Kapitel 3 Inglarion
Inglarion war schon aus der Ferne Beeindruckend. In den Himmel ragende Wälle , die schon lange nicht mehr der Verteidigung gedient hatten , deren Kronen von zerbrechlich wirkenden Zinnen gesäumt wurden. Und dahinter, die Stadt selbst. Filligran wirkende Türme aus honigfarbenem Stein, der in der Abendsonne an Gold erinnerte, Straßen mit sorgsam gefügtem Pflaster, kleinere verträumte Gassen, Blumengirlanden behangene Tempel, Plätze mit Brunnen, Bänken, Marktständen… In den reicheren Häusern waren kunstvoll angefertigte Buntglasfenster zu finden, die Lichtspiele auf die Wände und Fußböden zeichneten.
Und über allem thronend , das Herz des Kaiserreichs Der Palast des Ert-Kaisers, welcher sich in einem eigenen, von der restlichen Stadt abgegrenzten Bezirk befand. Hallen aus Marmor und Sandstein, gewaltige Säulenhallen und selbst die öffentlich zugängigen Plätze vor dem Palasts-Zugang waren mit Marmor ausgelegt. Corinthis hatte den Palast einmal besucht. Zumindest die wenigen Gebäudeteile, die man als Bittsteller oder Besucher zu sehen bekam. Die Wachsamen Augen der persönlichen Inquisitions-Garde des Kaisers überwachten alle, die sich in diese Säle wagten, bereit jeden Aufruhr in diesen für einige fast heiligen Hallen zu unterbinden.
Des Kaisers Wort war Gesetz für diese Männer und die gesamte Inquisition, die kurz nach dem Zusammenbruch der ersten Welt ins Leben gerufen war. Vom ersten Herrscher von Ert, damals noch lediglich eine kleine in der Asche verbliebene Provinz. Seit jener Zeit, war viel geschehen.
Die Macht des Kaisers, amtierend ein Mann namens Baratas , der seine Linie direkt auf jenen ersten Herrscher zurückführte war fast gottgleich und und die Inquisition hatte dafür zu sorgen, dass dies so blieb. Neben anderen Aufgaben, die Corinthis einen Schauer über den Rücken jagten. Magierjagd…
Glaube und Dienst… die Grundsätze der Inquisitoren duldeten keinen Wiederspruch und ließ keine Gnade zu.
Während seines Besuchs hatte er die schweigsamen Gestalten, in den vergoldeten Panzerungen die jeweils mit dem persönlich eingravierten Sonnensiegel des Kaisers versehen, so gut wie möglich gemieden.
Die schwindelerregend hohen Hallen des Palastes, welche mit aufwendigen Deckenfresken verziert waren, die teilweise noch aus der ersten Welt stammten, faszinierten Corinthis . Und auch die Inschrift über dem Torbogen, welche den Zugang zum Palastviertel bildete. Uralt in den Stein gebrannt mit Magie war sie selbst nach einem Jahrtausend oder mehr noch lesbar.
Denke und Herrsche. Ein Grundsatz aus den Tagen als die Zeit der Magierlords begann, eine Erinnerung an jeden, der ohne Voraussicht handelte und regierte. Eine Aufforderung zur Weisheit und zu Nachsichtigkeit. Die Kaiser bekamen die Innschrift vermutlich kaum zu sehen.
Und natürlich fand sich überall das vertraute Sonnensymbol. Auf den marmornen Plätzen, in den Hallen, an offiziellen Gebäuden und tributpflichtigen Betrieben und im Holz der Stadttore, die bereits seit Jahrzehnten nicht mehr geschlossen worden waren. Corinthis bezweifelte fest, dass diese sich überhaupt noch schließen lassen würden.
Und natürlich war das auch nicht nötig, trotz der Unruhen. Die gab es seit Jahrzehnten immer mal wieder an der Grenze des zweiten großen calvadischen Reichs, das sich aus der Asche der ersten Welt erhoben hatte. Das Königreich Niob. Corinthis selbst hatte die Grenze nie Überschritten, Keltor jedoch, war soweit er wusste einige male dort gewesen.
Es war vermutlich nicht sehr viel anders als hier, auch wenn er fremdartige Beschreibungen gehört hatte, nur der Herrscher hatte eben einen anderen Titel.
Auch wenn der Kaiser und essen öffentliche Boten das anders darstellte. Und was die Inquisition anbelangte… war Niob der Hort des Bösen, der Magiern Zuflucht gewährte und das Wort des Gottkaisers mit Füßen trat.
Schweigend setzten er und Keltor ihren Weg durch die Straßen Inglarions fort. Die Werkstatt lag mitten im verwinkelten Herzen der Stadt, einem Gebiet, das noch zum ursprünglichen Siedlungsgebiet der ersten Welt zählte. Hier in einem abgegrenzten ummauerten Hinterhof hatte Corinthis sich vor Jahren ein Atelier eingerichtet, das Keltor ihm zur Verfügung gestellt hatte.
Als sie sich den vertrauten Gassen näherten musste Keltor unwillkürlich schmunzeln.
,, Weißt du noch, wie das alles hier angefangen hat ?“
Corinthis musste ebenfalls laut lachen. Er war im Umland Inglorions aufgewachsen, auf einem Bauernhof… doch nach dem Frühen Tod seiner Eltern, er dachte nicht gerne darüber nach, hatte er sein Glück in der Stadt versuchen wollen. Corinthis hatte schon immer eine Begeisterung für das Malen besessen, aber nie genug Geld gehabt um sich anständige Farben leisten zu können. Diese waren unerschwinglich teuer. Und so hatte er sich meist auf Zeichenkohle und Pergament das ebenfalls nur schwer für ihn zu bekommen war, verlassen.
Die Idee seine so mit rudimentären mitteln gefertigten Werke zu verkaufen war verrückt. Aber er hatte offenbar wirklich Talent, den mit genau diesen Zeichnungen, konnte er sich anfangs über Wasser halten. Bis er sich auf die Suche nach einem Gönner gemacht hatte. Ihm war klar, dass er so nicht ewig weitermachen konnte. Das meiste Geld, das er bekam, wurde auch direkt als Steuern oder Abgaben eingesammelt und das wenige, das blieb reichte grade so zum Überleben.
Eines Tages verschlug es ihn so, in genau diesen Teil der Stadt verschlagen. Die verwinkelten unübersichtlichen Straßen hier hatten ihn schnell in seinen Bann gezogen und irgendwie, fast unabsichtlich war er in dem offenen Hinterhof gelandet.
Ein Mann, mit einem Körperumfang fast doppelt so breit wie er selbst, Keltor, hatte dort gestanden und mit einem Mann gestritten. Offenbar der Bewohner des Hofs und der anliegenden Gebäude.
Soweit er es hören konnte ging es um Rückstände in den Zahlungen oder Schulden. Jedenfalls endete es damit, dass der Mann plötzlich losrannte und in den Gassen verschwand. Keltor setzte ihm ein Stück weit nach, trottete dann aber wieder Kopfschüttelnd auf den Hof.
Neugierig trat Corinthis auf den Mann zu. ,; Darf ich fragen was das grade wahr ?“
,, Das waren grade gut zweihundert kaiserliche Dukaten und ein paar Viertel, die da einfach weggerannt sind.“ , antwortete der Mann verzweifelt.
Corinthsi hielt kurz inne. Eine kaiserliche Dukate, war eine Goldmünze, die etwa dem Wert einer Kuh entsprach, soweit er wusste. Selbst hatte er noch nie auch nur eine davon in der Hand gehalten.
Viertel wiederum waren Geldstücke, die halb aus Silber und halb aus Kupfer bestanden und etwa ein Zehntel des Werts einer Dukate besaßen. Zweihundert Dukaten wiederum… für dieses Geld bekam man ein eigenes Dorf, oder eine Kleinstadt….
,, Ist er euch so lange die Miete schuldig gewesen ?“
,, Ach wenn es nur das wäre, der wollte die Halle kaufen. Ich bin Händler wisst ihr ,Keltor der Name und habe schon so einiges Erlebt und mit so ziemlich allem Geschäfte gemacht, aber so was… Er hat sich Monatelang um die Zahlung gedrückt und die ganze Zeit den Schuppen selbst vermietet. Und jetzt haut dieser Penner mit meinem Geld ab.“
In Corinthis Kopf begann sich eine Idee zu formen. ,, Ich bringe euch euer Geld wieder.“
,, Mach dir keine Mühe Kleiner, der ist längst über alle Berge.“
,, Pah wenn du das schaffst, kannst du den Schuppen haben.“
,, Abgemacht.“
Der Händler machte eine Wegwerfende Handbewegung. ,, Pah, Viel Glück ich glaube nicht dra…“
Er stockte, als er sah, wie Corinthis bereits um die Ecke bog um die der Schuldner verschwunden war und die Straße hinab rannte...
,, Da brat mir doch einer einen calvadischen Schwarzstorch…“
Corinthis wusste, dass der Mann einen Vorsprung haben musste. Aber er hatte einen anderen Vorteil. Die Gassen dieses Stadtteils hatten sich unauslöschlich in sein Gedächtnis gebrannt, in all ihren Einzelheiten. Wo Straßen abführten, die er nicht kannte, überlegte er , wo deren Gegenstück in den ihn bekannten Wegen enden konnte, andernorts wusste er, dass es sich um Sackgassen handelte und nahm eine andere Richtung…
Es war trotzdem ein Glücksspiel, aber eines, das er schlussendlich Gewann. Nach wenigen Minuten kam der Mann wieder in Sicht, den er auf dem Hof gesehen hatte. Hier öffneten sich die Gassen wieder zu einer breiten, um diese Uhrzeit belebte Straße, hier und da gab es Stände , die Waren verkauften…
Der Mann bemerkte ihn jetzt auch und wusste wohl instinktiv, das er Verfolgt wurde, denn plötzlich begann er wieder zu rennen.
Offenbar hatte er sich bereits in Sicherheit gewiegt und stürmte nun ohne Rücksicht durch die Menschenmenge. Corinthis jedoch ging schlauer vor. Er kannte diese Straße. Der Mann hoffte wohl in abschütteln zu können, wenn er in der Menge blieb. Aber an irgendeinem Punkt musste er wieder von ihr abbiegen, oder er würde im Palastviertel enden. Der letzte Ort, an den ein flüchtiger Betrüger gelangen wollte. Viel eher würde er einen Weg aus Inglorion suchen.
Und das bedeutete, es gab nur eine Hand voll Wege, die er nehmen konnte. Corinthis lenkte seine Schritte weg von der großen Straße. Wenn er dem Flüchtigen den Weg abschneiden wollte, würde er eine kleine Abkürzung nehmen müssen. Oder auch eine große…
Er stellte sich vor eine Hauswand. Eine dämliche Idee… aber ihm blieben sonst nicht viele Optionen.
Mit einem Satz Griff er nach einem Vorsprung im Gestein der Mauer. Die Ziegel der Wand waren verschoben und boten einen fast idealen halt. Sofern man schwindelfrei war. Hochkommen war also schon mal kein Problem das Runterkommen wiederum… nun darüber würde er sich Gedanken machen, wenn es soweit war.
Über die Dächer hatte er einen fast unglaublichen Blick auf die Stadt, aus einer Perspektive, die er so noch nicht kannte. Corinthis brauchte einen Moment um sich daran zu gewöhnen. Dann jedoch wusste er, wohin er musste.
Mit einem Sprung überquerte er die Lücke zwischen zwei Dächern. War es eigentlich Verboten hier oben zu sein?
Fast wäre er beim Aufkommen auf der gegenüberliegenden Seite ausgerutscht. Hinter ihm, ging es mehrere Meter in die Tiefe. Im letzten Moment fing sich Corinthis wieder. Vielleicht war das hier oben doch keine so gute Idee. Aber dort unten in der Gasse nahm er eine Bewegung wahr.
Runterklettern war keine Option, bis dahin wäre der Mann längst wieder weg.
Verdammt, das würde Wehtun.
Er schätze grob und sprang mi Anlauf.
Der harte Aufprall, den er erwartet hatte, blieb aus, stattdessen riss er den immer noch rennenden Mann mit sich zu Boden.
Corinthis rappelte sich schneller als der andere wieder auf und versperrte ihm den Weg.
,, Du schon wieder. Was bei den Nardor willst du eigentlich?“
,, Ach ich dachte da an die 200 Dukaten, die ihr Keltor schuldet.“
,, Wenn das so ist, hier hast du was als Anzahlung.“ Mit diesen Worten stürmte der Mann auf ihm zu und Corinthis sprang grade noch rechtzeitig zur Seit um der Schneide eines Messers zu entgehen.
Ganz jedoch, kam er doch nicht davon, die Klinge streifte ihm am Arm und hinterließ eine klaffende Wunde. Der Schmerzzuckte sofort durch seinen Körper. Trotzdem war die Verletzung wohl nicht gefährlich.
Das war kein Spiel mehr, keine simple Verfolgungsjagd. Der Mann wollte ihn tatsächlich töten oder zumindest schwer verletzen.
Erneut hieb der Mann mit dem Dolch nach ihm, diesmal jedoch war er vorbereiteter und sprang rechtzeitig zurück. Aber so oder so.. er war unbewaffnet…
Rasch sah Corinthis sich um, entdeckte aber nur ein morsches Holzgerüst, das scheinbar eine Hauswand abstützte. Besser als nichts. Das Holz war so brüchig, das er ohne Schwierigkeiten in Stück in Armlänge abbrechen konnte.
,, Was ?“ Der Mann schien fast Lachen zu wollen,, Sag mal Junge, hast du überhaupt schon mal wirklich gekämpft ? Hau ab, dann kommst du wenigstens mit dem Leben davon.“
Corinthis rührte sich nicht.
,, Stur wie ? Na selber schuld.“ Als er wieder auf ihn losging sprang Corinthis nicht zur Seite, sondern schlug den Holzstab mit voller Wucht gegen den Kopf seines Angreifers. Besonders effektiv war das nicht, da das brüchige Holz fast ohne Wiederstand zersplitterte.
Aber der kurze Moment der Verwirrung reichte Corinthis um dem Mann das Messer zu entreißen. Mit aller Kraft ließ er den Knauf der Waffe gegen dessen Unterkiefer krachen. Er wollte ihn nicht töten. Sein Gegner sank endgültig zu Boden.
,, Das Geld ?“ , fragte er.
Der Mann löste mit zitternden Händen einen Beutel von seinem Gürtel. ,, Hier, aber bitte lasst…“
,, Ist ja schon gut, Verschwindet.“
,, Ja, danke.. das werde ich.“ Schwankend stand der Mann auf und rannte davon. Corinthis legte den Dolch beiseite und warf einen kurzen Blick in den Beutel.
Es sah so aus, als wäre alles da. Gut gelaunt machte er sich auf den Rückweg. Der Schnitt an seinem Arm brannte, aber er ignorierte es. Jetzt hieß es zurück zu Keltor und hoffen, das dieser Wort hielt. Allerdings… er könnte einfach abhauen… das Geld in dem Beutel übersteig den Wert des Gebäudes locker um das doppelte…
Er schob den Gedanken von sich. Das wäre nicht richtig. Trotzdem war da eine leise flüsternde, gierige Stimme. Er brachte sie zu schweigen.