Kurzgeschichte
Das zweite Ich des Todes - Psychothriller - NaNoWriMo 2011

Ich wache auf. Schweißgebadet. Sie ist da.

Ich wache auf. Schweißgebadet. Sie ist nicht da.

Und ich weiß nicht, was real ist. Ich kann mich an nichts mehr erinnern.

Hatte mein Horoskop nicht etwas ganz anderes vorhergesagt? Irgendwie makaber.

Ich wache auf. Schweißgebadet. Sie ist da.

Es ist selten, dass sie länger als zwei Stunden am Stück schläft, aber heute sind es sogar vier. Jetzt seufzt sie im Schlaf. Ein Albtraum. Schon wieder. Ich streiche sanft über ihre Stirn und wecke sie.

Dann öffnet sie ihre Augen, schreckt hoch. Ihr ganzer Oberkörper ist schweißnass.

Durch das nasse Nachthemd bilden sich ihre sehr weiblichen Körperkonturen noch deutlicher ab. Sie schämt sich vor mir und hält sich schützend ihre Decke vor den Oberkörper. Im nächsten Moment lässt sie sich wieder fallen.

"Ich mache das Licht an", sage ich, schäle mich langsam aus meiner Bettdecke und versuche schweren Herzens Aurora nicht mehr anzusehen, da ich weiß, dass sie sich sonst durch meine Blicke noch gedemütigter fühlt als ohnehin schon durch die Saukerle, die ihr das angetan haben - vor allem der fette Kugelfisch, der auf ihr lag, als man sie gefunden hatte. Durch das dünne Hemd sehe ich Bisswunden an ihren Brüsten. Ich hatte recherchiert, viele Bücher von Opfern gelesen und hatte gewusst. Die Frauenhändler von Kiev ließen aufmuckende Mädchen wie bei einer Hexenverbrennung im Mittelalter verenden. Als man mir sagte, man habe bei meiner halbtoten Freundin bereits Alraunen gefunden, war ich vor Schreck erstmal zusammengeklappt - genauso wie zum ersten Mal, als ich sie wiedersah.

Dann tut sie etwas, womit ich nicht gerechnet habe. Sie sucht nach meiner Hand. Ich nehme ihre und drücke sie fest zu.

"Jonas?", fragt sie zaghaft.

"Ja?", frage ich. Und in diesem Moment schaut sie mich zum ersten Mal seit langem wieder an.

"Können wir morgen mit der Schwebebahn fahren? Wie bei unserem ersten Date?"

Nein, denk eich. Dafür müssten wir zuerst über die Autobahn, das geht nicht. Die letzte Autobahnfahrt hatte Aurora fast wahnsinnig gemacht; ich wusste bis jetzt noch nicht warum. Sie schaut mich immer noch an.

"Jonas?"

"Ja?"

Ich freue mich, dass sie mit mir redet und mich dabei ansieht, aber ich habe Angst, das ssie mich die Frage noch einmal fragt. Sie sagt nichts, sondern rückt näher zu mir und lehnt ihren Kopf an meine Schulter.

"Halt mich", bittet sie.

Ich wundere mich, dass sie so viel Nähe zulässt, aber ich schlinge meine Arme um ihren Oberkörper und drücke sie an mich.

"Okay?", frage ich.

Sie bedankt sich. Ich lächle, weil es sich wunderbar anfühlt, sie im Arm zu halten und weil ich in diesem Augenblick sehe, dass sie mit dem Teddybärkissen schläft, was ich ihr zum dreijährigen Jubiläum geschenkt hatte. Kitsch, ich weiß. Genauso kitschig, wie der Münchner Glaspalast, den sie so mohte.

"Ich liebe dich, Jonas."

"Ich dich auch, Aurora."

Ich lächle.

Dann wache ich auf. Schweißgebadet. Sie ist da.

Ich wache auf. Schweißgebadet. Sie ist nicht da.

Und sie war nie da.

Denn ich bin krank.

   Richard von Huchting