Romane & Erzählungen
Der Fall Fiondrals - Band I (Komplettfassung)

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"Der Fall Fiondrals - Band I (Komplettfassung)"
Veröffentlicht am 17. März 2013, 640 Seiten
Kategorie Romane & Erzählungen
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Über den Autor:

Wer wäre ich hier, wenn nicht jemand, der seinen Visionen ein Zuhause geben will? Tue ich das gerade nicht, studiere ich Rechtswissenschaften und bemühe mich, nicht gleich jedes damit verbundene Klischee zu erfüllen (letzteres womöglich nur mit mittelmäßigem Erfolg), oder fröne in irgendeinem Pub meinen Lastern.
Der Fall Fiondrals - Band I (Komplettfassung)

Der Fall Fiondrals - Band I (Komplettfassung)

Beschreibung

Die Stadt Galor ragt als letzte Festung aus dem Trümmerfeld auf, in das die Invasion der Orks den Kontinent Fiondral verwandelt hat. Flüchtlinge aus allen Ecken und Enden des Landes suchen Zuflucht hinter den dicken Mauern. Doch während sich die feindlichen Heerscharen unter den hohen Zinnen sammeln, zerfressen Zwietracht und Hass die Reihen der Verteidiger, bis es schließlich an wenigen wackeren Streitern liegt, das Schicksal aller zu bestimmen. [Vorgänger-Projekt zu "Die Letzte Bastion"]

Prolog

15. Abenddämmerung. 49 n.V.
Pietro Merano schlenderte über die kalkweißen Kieselsteine, die im mittäglichen Schein der Frühlingssonne glühten. Obgleich der Boden unter seinen nackten Füßen brodelte, ging er ohne Hast. Lange Märsche hatten seine Sohlen gestählt, dass er die Hitze kaum spürte. Stattdessen genoss er die frische Küstenbrise, das goldene Glitzern, mit dem sich die Sonne im kristallklaren Wasser spiegelte, das Krächzen der Möwen, das von Fern durch den Wind wisperte. Er liebte die Ostküste, so wild und ungebändigt, so weit entfernt von den Städten, Dörfern, Burgen und Schlössern mit ihren Regeln, ihrer Konformität. Jedes Mal, wenn er zu Beginn des Winters nach Osten aufbrach, schmerzte es ihn, sie verlassen zu müssen, doch umso mehr frohlockte sein Herz, sobald er im Frühjahr zu jener windschiefen Bretterbude zurückkehren konnte. Auf der gesamten Reise hatte er jeden Abend vor dem Schlafengehen fiebrig gezittert, als sich die Erwartung der goldenen Küste seiner Träume bemächtigt hatte. Am gestrigen Tage war er endlich angekommen, hatte sein Fieber in einer einzigen Nacht kuriert und war am nächsten Tag gleich mit den ersten Sonnenstrahlen als ein komplett neuer Mensch aufgestanden. Den Morgen über hatte er sein altes Boot wieder seetauglich gemacht, das er jeden Winter zurücklassen musste. Marlene hieß es, nach der Frau, die er geliebt hatte, bis sein Herz ihn fort getrieben hatte, an die Ostküste.
Der Kahn hatte dem Winter gut getrotzt und so war es ihm gelungen, die wenigen nötigen Reparaturen noch vor dem Mittag abzuschließen, sodass er nun den Kiel über den Kies zerrte, dem azurblauen Meer entgegen.
Sein Herz schlug höher, als das Wasser sich um seine Füße schmiegte und Marlene von den Wellen getragen, leicht zu schwanken begann. Mit einem Freudenschrei sprang er an Bord, befreite seinen Leib von dem Leinenhemd, das ihn einschnürte, ließ die Sonne seine gegerbte Haut küssen. Ein altes Seemannslied pfeifend schwang er das Paddel, trieb Marlene hinaus auf die See, die so klar war, dass er jeden Kieselstein am Grund nachzeichnen konnte.
Der geschulte Blick seiner Augen, die so blau strahlten wie der Himmel selbst, folgte einer jeden Erhebung auf der Suche nach Muscheln oder Schwämmen. Aus den Tiefen der gläsernen See funkelte ein Universum unbekannter Farbenpracht. Goldgelbe Fische schossen zwischen den violetten Korallen hindurch, tiefgrüne Algen reckten sich aus den Riffen empor, eine Moräne schlängelte sich feuerrot durch den sandigen Untergrund.
Schließlich machte er in die gewellten Mäuler mehrerer Muscheln aus, die sich wie gigantische Reliefs aus dem Grund erhoben.
Sogleich packte er seinen Anker, einen klobigen Steinbrocken, um den sich ein dickes Tau wand, und schleuderte ihn über die Reling. Mit einem lauten Platschen glitt er ins Wasser hinab. Marlene wankte kurz, während Pietro sich bereits seinen Gürtel anlegte. Eine Schnalle und zwei Taschen hingen daran herab, um ein schartiges Messer, Steine für den Abtrieb und Platz für Perlen, Schwämme oder Muschelfleisch zu beherbergen.
Er stellte sich an die Reling, füllte seine Lungen mit Luft, flachte seinen Atem ab. Der erste Tauchgang war stets eine Herausforderung, aber eine Freude zugleich. Ein letztes Mal pumpte er die Seeluft in seine Brust, bevor er in das kühle Nass glitt. Gezogen vom Gewicht der Steine sank er dem Grund entgegen, schnellte zu den Muscheln hinüber und starrte auf die gewaltigen Kalkkiefer. Obwohl sie steinern und unbeweglich wirkten, fürchtete er stets, dass die gewellten Mäuler zuschnappen könnten.
„Seemannsgarn!“, zischte er sich in Gedanken an, wissend, dass auch die Luft seiner geübten Lungen nicht ewig reichen würde. So fuhr er mit seiner Hand zwischen die steinernen Kiefer, ließ seine Finger über das samtige Innere gleiten. Kaum die Hälfte hatte er ertastet, als seine Lungen ihn zum Auftauchen drängten.
Er schüttete die Steine aus seiner Tasche auf den Grund, schnellte nach oben und durchbrach den Schirm des Wassers. Vor ihm trieb immer noch Marlene, an deren Reling sich ein Sack mit weiteren Steinen befand. Nachdem er einige Male tief durchgeatmet hatte, langte er hinein und füllte seine Tasche erneut, um darauf wieder hinabtauchen zu können. Untern angelangt setzte er seine Suche im Maul der Muschel fort. Fast wollte er sie abschreiben, als seine Finger an etwas Hartes, Glattes stießen. Er langte tiefer hinein. Was auch immer er gefunden hatte, verbarg sich weit im Inneren der steinernen Kiefer. Schließlich umfing er es. Eine Perle, da war er sicher. So groß, dass er kaum die Hand darum schließen konnte. Die Vernunft gebot ihm, ein weiteres Mal aufzutauchen, doch das Fieber hatte ihn ergriffen. Er riss und zerrte an ihr. Seine Finger glitten ab, schnitten sich an den verkalkten Kanten. Ein dünner purpurner Schleier stieg vor ihm auf, bevor er sich in der Weite des Meeres verlor.
Pietro gab nicht auf, er versuchte es erneut, langte wieder zu und dieses Mal gelang es ihm, die Perle zu lösen. Langsam glitt sie in seiner Hand aus dem Maul. Er klappte die Finger auseinander und makellose Schwärze funkelte ihm entgegen. Ihre Tiefe  verschluckte seinen Blick. Sie war riesig, unbezahlbar. Alles, was er in fünf Jahren erwirtschaftet hatte, verblasste vor diesem Fund zur schieren Bedeutungslosigkeit. Seine Lungen pochten. Er musste auftauchen, doch als er seinen Blick von der Perle abwandte erkannte er, dass alles plötzlich ebenso dunkel war wie das Perlmutt. Als er nach oben blickte, prangerte dort ein gewaltiger Schatten in den Wellen, neben dem sich Marlenes Umrisse winzig ausnahmen.
„Ein so großes Schiff so nah an der Ostküste?“, drang es durch seinen Kopf, aber er hatte keine Zeit, diesem Gedanken weiter nachzugehen, weil seine schwindenden Luftreserven ihn zum Auftauchen zwangen. So stieß er sich hinauf und schnellte einige Meter vor dem gewaltigen Bug aus dem Wasser. Darüber ragten drei hohe Maste auf, deren schwere Einzelsegel sich im Wind blähten, während unzählige Ruder aus der Schiffswand ins Wasser stießen.
Pietro war sich sicher, noch nie ein derart riesiges Schiff gesehen zu haben, und er fragte sich, was es hier zu suchen hatte, während er hastig aus seinem Fahrwasser schwamm. Als er seine Augen auf den Horizont richtete, stockte ihm der Atem, denn er erkannte eine gewaltige Flotte, die sich über sein gesamtes Blickfeld erstreckte. Hinter ihm ertönte ein lautes Krachen, als Marlene unter dem Bug der Galeere zersplitterte. Er wollte schreien, doch besann sich eines Besseren und hob seinen Blick zur Reling.
Bevor er sich dazu drängen konnte, abzutauchen, funkelte ihm bereits eine Pfeilspitze entgegen, die nach seinem Tod verlangte. Zischend schlug sie in seine Brust und fegte jede Wärme der Sonne aus ihm. Der Kalte Ozean umfing ihn, verschluckte seinen purpurnen Lebenssaft. Die gewaltige schwarze Perle glitt ihm aus der Hand, sank zum Grund zurück.
Pietro Merano starb als ungerühmtes erstes Opfer eines Krieges, der noch tausende Leben fordern sollte. 

Kapitel 1: Galor

43. Grünwalden. 52 n.V.
Die Sonne verschwand hinter den kargen Klippen im Norden, tauchte den Himmel in ein tiefes Blutrot und sorgte dafür, dass sich der Schleier der Dunkelheit langsam über die Stadt Galor legte. Das Meer, welches die Halbinsel im Westen, Norden sowie im Süden umschloss, war ausnahmsweise ruhig und auch die Straßen zwischen den sandbraunen Stein- und Lehmbauten leerten sich langsam, während einige Gläubige sich auf den Flachdächern ihrer Gebäude sammelten, um Gebete zur Mondgöttin zu schicken.
Leutnant Ferren hingegen, ein stämmiger Kerl mit rostfarbenen Haaren und kantigem Gesicht, saß auf dem Balkon im zweiten Stock des Hauses, das er zusammen mit vier anderen Parteien bewohnte. Der lauwarme Abendwind fuhr angenehm unter sein weites, leicht verdrecktes Leinenhemd, wirbelte seine Haare auf, änderte die Richtung und überließ ihn somit wieder der Schwüle.
Gelangweilt nahm er einen Schluck Bier aus dem Keramikkrug, der auf dem schlichten Holztisch vor ihm stand, bevor er seinen Blick auf die unsauber gepflasterte Straße sinken ließ, auf der gerade zwei gerüstete Soldaten in Richtung Hafen marschierten, wobei sie ihn daran erinnerten, dass er morgen selbst wieder Wachdienst zu schieben hatte.
Die momentane Leere in den Straßen war, das wusste er, nur die Ruhe vor dem Sturm.
Bald würden wieder alle möglichen Leute unter dem Nachthimmel zu finden sein, die sich an Orte begaben, an denen man ihrer Sorge Abhilfe schaffen konnte.
Für Ferren jedoch, der sich geschworen hatte, als Unteroffizier treu seinen Richtlinien zu folgen, zumindest jenen, die er für sinnvoll hielt, blieb nur wenig, das er an einem freien Abend in dieser belagerten Stadt tun konnte.
Die Kneipen hatte man zur Nahrungsmittelrationierung geschlossen. Öffentliche Versammlungen waren gefährlich, da es in dieser Stadt zu viele Leute gab, die sich gegenseitig viel zu wenig leiden konnten, um friedvoll miteinander auszukommen. Alkohol und Dunkelkraut waren als Disziplinarmaßnahme verboten worden, aber dass sich niemand daran hielt, störte niemanden.
Was ihm also noch blieb waren Gebete, Bücher, Briefe oder das einfache Sitzen und Warten auf dem Balkon.
Da er nicht an einen Gott glaubte und keine Bücher mehr besaß, lehnte er nun in seinem Segeltuchsessel, während er abwog, ob das Schreiben eines Briefes eine gute Idee oder pure Zeitverschwendung war.
Schließlich, als ihn der Anblick der sandsteinernen Fassaden anödete, erhob er sich und kehrte in die kühle Dunkelheit seines kleinen Gemachs zurück, wo er sich an seinen schmalen Tisch aus dunklem Holz setzte, ein vergilbtes Stück Pergament herauskramte und ein verstaubtes Tintenfass sowie einen ausgefransten Federkiel heranzog, um mit dem Schreiben zu beginnen.
Doch kaum hatte er die Feder ins Tintenfass getaucht, entsann er sich, dass ihm niemand einfiel, an den er hätte schreiben können, dass es keine Möglichkeit gab, einen Brief ohne ein Schiff über einen Ozean zu schaffen, dass er letztlich nicht einmal wusste, worüber er schreiben sollte.
Dabei waren in den vergangenen Monaten durchaus viele Dinge geschehen, über die zu berichten, sich gelohnt hätte:
Den Menschen der Gebrochenen Welt waren zwei Kontinente bekannt, die sie Kalatar und Fiondral nannten. Während Kalatar der Ursprung der Menschheit, als solcher zivilisiert und in acht Nationen unterteilt war, hatte man Fiondral erst vor rund fünfzig Jahren als eine unberührte Wildnis entdeckt, die der Mensch jedoch innerhalb der darauffolgenden Dekaden seinen Zwecken angepasst hatte, sodass den stolzen Wäldern Städte und Paläste entwachsen waren.
Als einer der Erstkolonisten hatte Ferren eine Menge wahrlich interessanter Erfahrungen gemacht, bis es schließlich zu jener unvorhersehbaren Katastrophe gekommen war, die den ganzen Kontinent wie eine Welle des Grauens überzogen hatte.
An der Ostküste waren von einem Tag auf den anderen Orks aufgetaucht, eine den Menschen ähnliche Rasse, von der zuvor nur belächelte Seher zu berichten gewagt hatten. Im Sturm waren sie wie die Heuschrecken über Fiondral hergefallen, hatten erbarmungslos alles niedergemäht, bis sie schließlich die Region um Galor, der westlichsten Stadt, erreicht hatten.
Galor, ein letztes Licht, strahlte aus dem Meer der allumfassenden Finsternis.
Und wer nicht gefallen war, oder all seine Ideale über Bord geworfen und sich den Orks angeschlossen hatte, der saß nun, ebenso wie Ferren, dort fest.
Langsam begann er, die Feder über das Pergament zu bewegen:

„Liebe Schwester,
Damals bedauerte ich, dass du nicht mit nach Fiondral kamst, in die neue Welt.
Jetzt freue ich mich, dass du geblieben bist. Du kannst dir nicht vorstellen, was hier passiert ist, was ich gesehen habe. Viel zu viel ist es, um es zu berichten, und ich denke, es ist so grausam, dass du es gar nicht hören willst.
Die Orks sind jetzt hier. Vielleicht erinnerst du dich noch an die Schauermärchen, aus denen uns Vater damals immer vorlas.
Tja, der Kerl, der die geschrieben hat, lag gar nicht so falsch mit ihrer Art und ihrem Aussehen.
Sie haben Beine, Arme, Oberkörper, Hände, Füße und Kopf wie die Menschen, doch sind bullig wie Stiere.
Manche sind stark wie mehrere der besten Soldaten.
Sie haben eine gräuliche Haut und einige Dinge den Tieren gleich: Manche haben Hauer, andere Knochenkämme auf den Schädeln, ich habe sogar schon welche mit Hörnern gesehen, kleine allerdings.
Aber mache dir keine Sorgen, ich bin jetzt in Galor“, Ferren setzte die Feder kurz ab, fuhr sich mit den Händen an die Schläfen und stöberte in seinem Geist nach einer passenden Formulierung, von der er glaubte, sie könne Hoffnung geben.
Schließlich entsann er sich einiger Worte und fuhr fort:
„…der stärksten Festung Fiondrals. Die acht Nationen Kalatars haben diese Stadt einst gemeinsam gebaut, weißt du. Und unter ihren Flaggen sammelt sich ein Heer, so groß, dass ich die Zahl seiner Streiter nicht einmal benennen kann.
Wir stehen hier Seite an Seite und haben die Hoffnung nicht verloren. Der Feind soll kommen, wir werden ihn schlagen.
Ich bin jetzt übrigens Leutnant der delionischen Armee, Vater wäre sicher stolz auf mich, wenn er davon wüsste.
Aber um auch dich zu trösten, lass dir gesagt sein, Offiziere haben eine höhere Überlebenschance.
Also, mach dir keine Sorgen, grüße Vater und Mutter von mir und wisse, dass ich dich liebe.
Dein Bruder
Ferren“

Als er mit dem Schreiben des Briefes fertig war, legte er unter prüfendem Blick seine Zeigefinger an die Lippen, bevor er noch einmal jede Zeile durchlas und dabei in exakt dieser Stellung verharrte.
Es dauerte einige Zeit, bis er mit dem, was er zu Papier gebracht hatte, wirklich zufrieden war, dann richtete er sich auf und überlegte, wie er den Brief nach Kalatar schaffen konnte, obgleich eine Stimme aus dem hinteren Teil seines Kopfes ihm bereits sagte, dass dieses Unterfangen vollkommen sinnlos sei.
Letztlich entschloss er sich dazu, den großen Taubenschlag aufzusuchen, der ein Stück weiter nördlich am Ufer des Baskats, jenes Flusses, der in zwei Armen durch Galor floss, lag. Das Problem mit dem Taubenschlag war jedoch, dass er direkt an das Viertel der Ledrianer grenzte, die wahrlich nicht zu den besten Freunden der Delioner, seiner Landleute, gehörten. Denn vor der Invasion der Orks waren die acht alliierten Nationen Kalatars noch mit voller Fahrt und traumwandlerischer Sicherheit auf einen eigenen Krieg zugesteuert.  Ferren vermutet sogar, dass dieser auf Kalatar bereits ausgebrochen war, was zumindest erklärte, warum sie bisher keinerlei Verstärkungen oder Derartiges erhalten hatten. Zwar war aufgrund der orkischen Seeblockade, welche die gesamte Flotte Fiondrals zwar hatte auflösen aber nicht durchbrechen können, kein Hilfegesuch nach Kalatar gekommen, doch hätte es auffallen müssen, dass weder Waren noch irgendwelche Nachrichten den Westkontinent innerhalb des letzten Jahres erreicht hatten.
Bevor der Leutnant sein kleines Gemach verließ, packte er die verschlissene, lederne Scheide, in der sein etwas mitgenommenes Kurzschwert ruhte, und band sie sich an den Gürtel.
„Man kann ja nie wissen, wer da draußen so rumläuft“, dacht er.
Auf der anderen Seite seiner Zimmertür erstreckte sich ein schmales, finsteres Treppenhaus, dessen Decke von Staubfäden sowie Spinnenweben geziert wurde und in dessen oberem Teil sich der unangenehme Essensgeruch sammelte, der aus den unteren Trakten aufstieg.
Als Ferren weiter ging, stieß er mit dem Fuß gegen irgendetwas und nur einen Sekundenbruchteil später durchzog ein stechender Schmerz seine rechten Zehen.
Verärgert blickte er hinab, wobei er eine überdimensionierte, aus Holz und Draht zusammengebastelte Rattenfalle entdeckte, in die er gerade hineingestolpert war. Ohne einen weiteren Blick auf das Gerät geworfen zu haben, war er sich sicher, dass der Urheber dieses Unfugs nur der nogronische Gauner sein konnte, der im Keller des Gebäudes hauste.
Zwar hatte Ferren in seinem Leben noch nicht allzu viel mit den Nogronern zu tun gehabt, stimmte aber trotzdem der weitverbreiteten Meinung zu, sie seien die Höhlenbewohner unter den Menschen der kalatarischen Nationen. Da ihre Heimat fast gänzlich von nebligen Dschungeln überzogen wurde, kamen sie erschreckend gut mit der Dunkelheit zurecht und sahen auch danach aus. Die meisten von ihnen hatten eine abartig käsig bleiche Hautfarbe und schlitzförmige Augen.
Ferren ging mittlerweile der Theorie nach, dass sie sich auch nicht allzu gerne wuschen, was zumindest ihren latenten Gestank und ihr ansonsten sehr schmieriges Aussehen erklärte. Er fürchtete außerdem, dass sein im Keller lebender Mitbewohner die Ratten nicht fangen wollte, weil er sie für Schädlinge hielt, sondern viel eher um den durch die Nahrungsmittelrationierung hervorgerufenen Hunger zu bekämpfen.
In der Tat stellte der Leutnant an jedem Tag, den er in dieser überbevölkerten Stadt verbrachte, die erstaunliche Kreativität seiner Mitmenschen fest. Sich von Ratten zu ernähren, war sicherlich eine Extreme, aber nur eine von vielen.
Über die Gasse, an der sein Haus lag, erreichte er die nächste breitere Straße, die den Hügel hinab zum Flussufer führte. Im goldenen Schein der Fackeln und Öllampen trieb sich noch eine ganze Menge verschiedener Leute herum. Er beobachtete, wie zwei schlaksige Kerle in den Wappenröcken Delions einen Bettler wegscheuchten, der sich dies widerstandslos gefallen ließ.
Das Wappen Delions zeigte ein weißes Segelschiff auf hellgrünem Grund und war in diesem Viertel auf Röcken, Revers, Krägen, Flaggen und Bannern zu sehen, da es eben das delionische Viertel war.
Weil Galor jedoch nach dem Eintreffen tausender Flüchtlinge aus allen Regionen Fiondrals heillos überbevölkert war, hatte man noch etliche Menschen anderer Nationen in diesem, wie auch jedem anderen, Distrikt untergebracht.
Als Ferren die Straße hinunterblickte, sah er ein Meer von goldenen Lichtern und dunklen Konturen, das am Fuße des Hügels mit dem Fluss und dem dahinterliegenden, ledrianischen Viertel verschmolz. Schlecht erkennbar erhob sich an seinem Ufer der sogenannte Pastorenturm, der nur wenig höher war als die umstehenden Gebäude und ein geweißtes Kuppeldach besaß, welches in der Dunkelheit der Nacht ein wenig hervorstach.
Auf seinem Weg die Straße hinab traf er noch auf die ein oder andere Gruppe von Leuten, zwei Soldaten auf Patrouille, ein paar junge Nogroner, einige unterbeschäftigte Händler, Adlige, Bettler.
Ein Stück tiefer grenzte der Pastorenturm an einen sandsteinernen Häuserblock, vor dem ein einsamer Geiger den Vorbeigehenden seine klägliche Sinfonie darbot.
Der Turm war immer geöffnet und man erzählte, er sei einst eine kleine Kirche des Erlöserglaubens gewesen, in der nun alle möglichen Dinge verkauft wurden, deren Handel nicht verboten war. Viel blieb nicht, denn die offizielle Anordnung des Hohen Rats Galors besagte, dass sowohl Waffen als auch Nahrungsmittel, Metalle, Rüstungen und diverse Genussmittel zum Eigentum der Stadt gehörten. Der Schwarzmarkt jedoch florierte und so versuchte jeder, doch noch etwas Geld zusammenzukratzen, um damit Dinge zu kaufen, die seinen knurrenden Magen füllen oder seine bitteren Tränen ersticken konnten.
Im Pastorenturm waren die Geschäfte allerdings schon eingestellt worden, sodass im großen, kreisrunden Hauptraum des Erdgeschosses nur noch ein paar Händler ihre Verkaufsstände aufräumten.  Ferren grüßte sie im Vorbeigehen, bevor er zu der verwitterten, steinernen Wendeltreppe hinübertrat, die zum Obergeschoss führte.
Als er jedoch am Fuße der Treppe stand, kam ihm ein junger, leicht gerüsteter Soldat Delions entgegen, mit dem er fast zusammengestoßen wäre.
„Ah, guten Abend, Leutnant“, salutierte er.
„Guten Abend…Soldat“, grüßte Ferren etwas verwirrt zurück.
„Man hat Euch nicht über die heutige Aktion unterrichtet?“, fragte sein Gegenüber in Anbetracht seines Gesichtsausdrucks.
„Ähm, nein“, gab er zurück.
„Der Besitzer des Taubenschlags wurde wegen Betruges verhaftet. Es hat sich herausgestellt, dass seine Vögel gar keine Brieftauben waren, sondern mit den Briefen einfach irgendwo hinflogen. Na ja, eigentlich hätte jedem klar sein müssen, dass ein einfacher Vogel es nicht übers Meer nach Kalatar schafft, nicht wahr, Sir?“
„Ja, doch…natürlich“, pflichtete der Leutnant bei, während er den Brief tiefer in die Tasche seiner Hose stopfte.
„Schon mies. Dieser Kerl hat all die Leute ausgebeutet, die sich nur ein wenig Hoffnung verschaffen wollten.“
„Nun, Hoffnung hat er ihnen möglicherweise sogar gegeben. Ich muss dann mal weiter…Patrouille“, sagte er, salutierte zum Abschied und verließ den Turm wieder.
Auf der Straße angekommen, schlug er sich mit der flachen Hand vor die Stirn.
„Wie konnte ich nur so dumm sein?“
Fast war er versucht, den Brief zu zerreißen und in den nächstbesten Kanal zu werfen, doch entsann er sich schließlich, dass es noch eine letzte Möglichkeit gab.
Flaschenpost.
„Das ist doch Schwachsinn“, sagte er sich, aber seine Füße befanden sich schon auf dem Weg zum Hafen.
Galor war eine große Stadt, durch die zwei Flussarme des Stromes Baskat flossen und die sich in zehn mehr oder weniger große Viertel unterteilte.
Zum einen besaß jede Nation ihren eigenen Distrikt, auch wenn sie sich diesen mittlerweile mit Flüchtlingen aus diversen anderen Staaten teilen musste, weiterhin gab es den Hafen und zuletzt den Nordhügel als autonome Viertel.
Auf dem Nordhügel thronten hoch über dem Hafen der Palast Galors, von dem aus der Hohe Rat über die allgemeinen Geschicke der Stadt gebot, und der große Sonnentempel, im dem die Messen des Erlöserglaubens abgehalten wurden.
Ferren jedoch marschierte den südlichen Baskatlauf entlang zum Hafen hinunter, wobei er zunächst das delionische Viertel verließ und das iskatische betrat.
Iskat war unter den acht Nationen Kalatars der Staat der Magier. Zwar wurden diese auch in allen anderen Ländern geboren, doch geschah dies in Iskat mit großer Häufigkeit, weshalb man den dort lebenden Menschen nachsagte, die Magie im Blut zu haben. Außerdem gab es im Magierstaat die besten Ausbildungsmöglichkeiten für angehende Zauberer.
Dem iskatischen Viertel folgte das elipfische, das von den meist dunkelhäutigen Bewohnern der Wüstennation Elipf bevölkert wurde und auf der Nordseite direkt an den Hafen grenzte.
Als Ferren sich der Brücke näherte, die auf der Nordseite des Distrikts über den Baskat in den Hafen führte, peitschte ihm bereits eine wahre Flut lauter Rufe entgegen.
Wenig später konnte er zwei Gruppen ausmachen, die sich auf der Brücke gegenüberstanden und sich in einer heftigen verbalen Konfrontation befanden.
Die erste Fraktion konnte er als eine Gruppe einfacher Zivilisten identifizieren, die dem Aussehen nach aus Elipf, Delion und Nogron stammten, wohingegen es sich bei der zweiten um einen Zug ledrianischer Soldaten handelte.
Diese trugen allesamt leichte, glänzend silberne Rüstungen über schwarzer Kleidung und den Wappenrock Ledrias, welcher eine weißsilberne Lilie gekreuzt mit einem gleichfarbigen Schwert auf königsblauem Grund zeigte.
Während die Zivilisten laut und wütend über die Soldaten schimpften, bildeten diese stumm eine Reihe auf der Brücke, wobei sie Turmschilde und Speere beisammen hielten, sodass keiner passieren konnte.
Als Ferren die Brücke erreichte, preschte auf der anderen Seite des Flusses ein Reiter aus der Dunkelheit, der auf einem edlen, gräulichen, elipfischen Ross saß, das sich in Bezug auf sein Aussehen am besten mit einem Vollblutaraber vergleichen ließ. Bei dem Reiter handelte es sich um einen hageren, jungen Mann, der ein galantes, dunkelbraunes Samtjackett über seinem schwarzen, uniformartigen Seidenhemd mit hohem Stehkragen trug.
Seine Haare waren seidig dunkelblond und seitlich gescheitelt, während sein fahles Gesicht feine, elegante Züge besaß. In seinen Augen, die zu sichelförmigen Schlitzen verengt waren, lauerte jedoch ein Ausdruck des Sinisteren, und obwohl Ferren ihn nicht kannte, hatte er das flaue Gefühl, dass er nicht zu den Menschen gehörte, denen man bedenkenlos den Rücken zuwenden konnte.
„Ruhe, Pöbel!“, zischte er, nachdem er sein Ross hinter den Soldaten hatte einhalten lassen, „Die Streitkräfte Ledrias haben auf Befehl des Herzogs Montierre den Hafen besetzt und werden diesen bis zum Ende der Verhandlungen nicht räumen!“
Was der Reiter sagte, klang für Ferren durchaus einleuchtend.
Zwar wusste er nicht, worum es in den momentanen Verhandlungen des Hohen Rates eigentlich ging, doch hatte selbst er erfahren, dass sich Montierre und die beiden anderen Ratsmitglieder vollkommen uneinig waren. Die Besetzung des Hafens durch ledrianische Soldaten sprach dafür, dass die Verhandlungen nun auf einer anderen Ebene fortgeführt wurden.
„Mit welchem Recht?“, schrie jemand aus der Menge.
„Mit dem des ledrianischen Adels, respektloser Bauer!“, blaffte der Reiter zurück, während Ferren sich durch die menschliche Palisade kämpfte, die die Menge auf der Brücke gebildet hatte.
Als er sich endlich durch verhakte Arme und Schweißgeruch in die erste Reihe geschlagen hatte, wandte er sich an den Reiter:
„Ich bin Leutnant Ferren aus Delion“, er deutete auf das Wappen an seinem Hemdkragen, „und verlange, zu erfahren, wer Ihr seid und was die Besetzung des Hafens bezwecken soll.“
„Ich bin Marquis Lucian de Nord und der Grund für die Besetzung des Hafens hat Euch nicht zu interessieren, delionische Ratte!“, zischte sein Gegenüber, „Wichtig ist nur, dass wir jeden gnadenlos abschlachten werden, der versucht, das Hafenviertel zu betreten.“
„Ich denke, diese Leute hier würden mehr Verständnis für Euer Handeln zeigen, wenn sie wüssten, warum Ihr das tut“, rief eine junge Frau, die sich ebenfalls in die erste Reihe gekämpft hatte.
Sie war nicht sonderlich groß, besaß ein dementsprechend feinzügiges Gesicht und schulterlange, blonde Haare. Ihrer weißblauen Robe zufolge war sie eine iskatische Novizin.
„Ich betone und wiederhole: Unsere Beweggründe gehen den Pöbel einen Dreck an!“, fauchte de Nord, während er seinen Kopf hob, um die ledrianischen Bogenschützen zu beobachten, die auf den Dächern der umliegenden Häuser Position bezogen. Anschließend wandte er sich an einen der ihm unterstellten Fußsoldaten:
„Leutnant, Ihr habt Eure Befehle. Niemand kommt hier durch!“
„Wie Ihr befehlt, edler Herr“, rief sein Unteroffizier, wobei er stolz salutierte.
„Entschuldigt mich, aber es gibt noch andere Straßen, die danach verlangen, gesperrt zu werden. Richtet diesem Verbrecher Farruk aus, dass wir nicht gewillt sind, unseren Standpunkt zu überdenken“, lachte der Marquis anschließend, bevor er seinem Pferd die Sporen gab und wieder in der Dunkelheit verschwand.
„Ihr habt es gehört!“, brüllte der ledrianische Unteroffizier, wobei er seine hocherhobene Hand senkte, was zur Folge hatte, dass seine Untergebenen ihre eisernen Speere nach vorne gegen die Menge richteten, „Zurück, oder wir spießen Euch auf!“
„Das könnt Ihr nicht machen!“, schrie ein Jüngling aus der Meute, worauf der Offizier nach vorne schnellte und ihn mit einem Rückhandschlag auf den Boden beförderte.
„Dies ist meine letzte Warnung!“, fauchte er.
„Na los, zurück!“, befahl Ferren den übrigen unter schmerzlichem Zähneknirschen.
Langsam trottete die Menge im Rückwärtsgang von der Brücke. Einige ließen die Schultern hängen, andere drohten den Soldaten, sie würden schon sehen, was sie davon hätten.
„Na geht doch!“, grölte der ledrianische Leutnant, während sich die Meute gemächlich verzog. „Das wird sich Farruk nicht bieten lassen“, flüsterte die junge Novizin, die zuvor auf der Brücke neben Ferren gestanden hatte.
Langsam senkte er seinen Blick auf ihre hellen, bernsteinfarbenen Augen.
„Nein, ganz sicher nicht“, sagte er grüblerisch.
„Ich verstehe es einfach nicht. Die Orks stehen vor den Toren und diese Wahnsinnigen haben nichts Besseres zu tun, als sich gegenseitig zu bekriegen.“
„Ja…“, Ferren sprach gedehnt, „Weiß der Geier, was im Hohen Rat vorgefallen ist.“
„Manchmal will ich das gar nicht wissen“, lachte sein Gegenüber, „Was hat eigentlich ein delionischer Leutnant alleine zu dieser Zeit hier zu suchen?“
„Ich wollte…runter zum Strand…Nachtluft genießen“, stammelte Ferren, „Habe ein paar emsig kochende Nogroner bei mir im Haus wohnen. Und Ihr, Novizin?“
„Ich wollte zu einer Freundin ins Hafenviertel, aber ich glaube, das kann ich jetzt vergessen. Mein Name ist übrigens Ariona.
„Ferren“, stellte sich dieser vor.
„Hm, was dagegen, wenn ich mit zum Strand komme?“, erkundigte sich die Novizin, „Ich muss irgendetwas tun, bevor ich vor Zorn auf diese eingebildeten Idioten noch einen Herzinfarkt bekomme.“
„Ja…äh, ich meine nein. Nein, ich habe nichts dagegen“, stotterte Ferren.
„Wirklich nicht?“, Ariona hob eine Augenbraue.
„Nein, wirklich nicht“, bestätigte Ferren.
„Los, wir holen Steine und dann zeigen wir es diesen ledrianischen Bastarden!“, rief ein junger Elipfer, dem ein Teil der Meute in einen nahegelegenen Park folgte.
„Wir sollten besser hier verschwinden“, mahnte Ferren, worauf er sich auf den Weg zum Strand machte, der ein Stück weiter südlich des Hafens am Ende des elipfischen Viertels lag.
Ariona folgte ihm.
Mit dem Ende des Abends, dem Verhallen der Gebete und dem Einbruch der Nacht hatten sich auch die Straßen rapide gefüllt, sodass nun überall Gruppen verschiedenster Personen umherliefen, laut grölten, tranken und rauchten, während entweder die Stadtwache oder Landsmänner einer weniger freundlich gesinnten Nation versuchten, ihrem Treiben ein Ende zu bereiten.
Der Strand kündigte sich Ferren schon von weitem an, denn er war der mit Abstand lauteste Ort im elipfischen Viertel. Zwischen den sandbedeckten Bretterbuden der Fischer feierte allerhand Volk in ausgelassenster Stimmung, wobei eine gewaltige Wolke aus Dunkelkrautrauch den Ort vollkommen von der Außenwelt abschnitt.
„Eigentlich hatte ich mir erhofft, an diesem Ort etwas mehr Ruhe zu haben“, knurrte Ferren, nachdem er einen Hauch des Qualms eingesogen hatte, welcher bitter in seine Lungen stach.
„Habt Ihr nicht gewusst, dass ein Großteil Südstadt sich hier jeden Abend kollektiv die Kante gibt?“, fragte Ariona.
„Ehrlich gesagt, nein“, gestand der Leutnant und betrachtete das farbenfrohe Spektrum der Feiernden.
Da sah er sie jubeln, singen, tanzen und lachen, und mit einem Mal stiegen Tränen in seine Augen, denn er vermochte sich nicht mehr zu entsinnen, wann er zuletzt ein Lächeln gesehen hatte. Seine Lungen schmerzten vom Qualm des Dunkelkrauts, doch der Schleier der Finsternis, der über Land und Gemüt lag, tat sich jäh in diesem Moment auf, ein strahlendes Licht fiel in seine Seele.
Kaum hatte er sich versehen, stand er zwischen zwei Nogronern und einem elipfischen Unteroffizier.
Auf die Frage, was man denn feiere, antwortete man ihm: „Den Sieg“ und „Die Freiheit“.
Sekunden später kam Ariona herbei, um ihm einen Krug Met in die Hand zu drücken, den er ansetzte und seinen Inhalt inhalierte. Noch einen Krug später hüllte ihn alles ein wie eine wohlige Wolke, in der Tanz, Gesang und Rauch verschwommen.
„Galor wird niemals fallen“, sagte eine Stimme in ihm und zum ersten Mal glaubte er daran.
Als ihm Sekunden später auffiel, dass er die Worte laut herausgeschrien hatte, grölten schon etliche Leute mit ihm, bevor sie ihre Krüge auf den Sieg hoben.

Nachdem Marquis Lucian de Nord seine Befehle ausgeführt und den Hafen der Stadt besetzt hatte, war er in das ledrianische Viertel zurückgekehrt, um dort seinem Befehlshaber Herzog Montierre zu berichten.
Ledria bildete zusammen mit Serpendria die Achse der erzkonservativen Monarchien unter den Staaten Kalatars, was ihnen auch die Bezeichnung „Alte Königreiche“ eingebracht hatte. Ihr Vertreter in Galor, Herzog Jean Montierre, residierte in der Botschaft der Ledrianer, welche ein großes, rechteckiges Gebäude mit rötlichem, hohem Kuppeldach war, dessen weiße, steinerne Fassade von etlichen Gravuren geziert wurde.
Die beiden schwer gerüsteten Speerträger, welche vor dem Eingang Wache hielten, grüßten Lucian überschwänglich respektvoll, als er eintrat. Mit einem Schritt fand sich der Marquis in einem Paradies aus weißem Marmor wieder, das im Schein der Öllampen majestätisch glänzte. Wasser plätscherte unter wohltuendem Rauschen aus einem kleinen Terrassenbrunnen in der Mitte der Eingangshalle, während sich etliche grüne Zierpflanzen die Wände hinaufschlängelten. Das ledrianische Wappen prangerte als Gravur oder auf Bannern im gesamten Saal und Lucian sah sich gezwungen, zu lächeln, als er es erblickte.
Der hübschen Empfangsdame, die hinter einer weißmarmornen Theke einige Dokumente durchsah, nickte er kurz zu, während er die Halle durchquerte, um die breite Treppe gegenüber dem Eingang hinaufzusteigen.
Am Ende dieser befand sich ein großes Doppeltor, hinter dem der Beratungssaal der Ledrianer lag, den Lucian ohne zu zögern betrat.
Der kreisrunde Saal, welcher ebenfalls eine gewölbte Decke besaß, lag im Dunkeln und schien bis auf eine einzige Person, welche am großen, runden Tisch in der Mitte saß, gänzlich verlassen zu sein.
Als der Marquis eintrat, erhob sich die Gestalt vom Tisch, trat aus dem Schatten und grüßte ihn freundlich.
Vor ihm stand Herzog Montierre, ein ebenfalls noch junger, aber schmalschulteriger Mann. Zwar war er recht dürr, wusste dies aber unter seinem schwarzen Filzmantel gut zu verbergen. Sein Gesicht besaß noch jugendliche Züge, während die dunklen Ringe unter seinen kleinen Augen ihm ein leicht melancholisches Aussehen verliehen.
„Lucian!“, rief er, „Du bist bereits zurück? Gab es Schwierigkeiten?“
„Nein, mein Freund, alles verlief nach Plan. Es gab keinen Widerstand und, soweit ich das beurteilen kann, auch keine Verwundeten“, gab der Marquis zurück, „Ich hoffe, diese Nachricht vermag, dich ein wenig zu beruhigen.“
„Das tut sie natürlich, obwohl ich stets daran denken muss, dass uns die schwersten Zeiten noch bevorstehen.“
„Dessen bin ich mir bewusst“, pflichtete Lucian bei, „Doch werden wir triumphieren, denn unser Pfad ist der Pfad des Herrn.“
„Der Pfad des Herrn…“, Montierre schüttelte ungläubig den Kopf, „Diese Welt lässt mich langsam an seinem gerechten Willen zweifeln.“
„Zweifel ist Gift“, entgegnete de Nord beiläufig, während er ein Kristallglas mit rotem Wein aus einer Karaffe füllte.
„Ja, ich weiß“, flüsterte Montierre, wobei er seinen Blick zur Decke richtete, „Verzeiht mir, heiliger Fürst in Euren Hallen der Weisheit.“
„Hast du über meinen Vorschlag nachgedacht?“, erkundigte sich de Nord, nachdem er einen Schluck aus seinem Weinglas genommen hatte.
„Tut mir leid, Freund, aber er erscheint mir immer noch sehr extrem.“
„Er ist extrem“, versicherte der Marquis, „Aber die Extreme ist unsere einzige Wahl, unsere einzige Rettung.“
„Ich fürchte, ich bin nicht, bin noch nicht bereit, so weit zu gehen“, der Herzog schüttelte den Kopf.
Das Problem, von dem die beiden Adligen sprachen, war durchaus von entscheidender Wichtigkeit:
Im Hafen Galors lagen noch drei Schiffe, über deren Verwendung der Hohe Rat sich derart uneinig war, dass Montierre letztlich beschlossen hatte, das gesamte Viertel von seinen Truppen besetzten zu lassen.
Kalif Farruk nämlich, der im Rat die sogenannten Oppositionsstaaten, Skatria, Elipf und Delion, vertrat, war der Ansicht, die Schiffe seien als Fluchtmöglichkeit für alle Adligen oder sonstigen wichtigen beziehungsweise hochrangigen Personen zu gebrauchen, wohingegen für Montierre einzig und allein die Wehrlosen das Recht hatten, Galor zu verlassen.
Ebenso wie es die Ehre gebot.
Die junge Prinzessin Filiana, die das letzte Ratsmitglied war, hatte sich von den beiden rasenden Männern so verunsichern lassen, dass sie, um den Streit zu bändigen, gar nicht mehr über die Schiffe verhandeln wollte.
In der Angst, Farruk könnte Filiana letztlich auf seine Seite ziehen, hatte Montierre Lucian de Nord auf dessen eigenen Vorschlag hin den Befehl erteilt, den Hafen zu besetzen.Der Marquis hatte ihm jedoch vorgeschlagen, alle Schiffe zu verbrennen, um das Problem ein für alle Mal aus der Welt zu schaffen.
„Wir werden keine andere Wahl haben, wenn die Elipfer militärisch zurückschlagen“, beteuerte der Marquis.
„Das darf nicht passieren!“, rief Montierre, „Wenn wir anfangen, uns untereinander zu bekriegen, ist Galor schon verloren.“
„Das ist wahr. Aber bei diesen Wilden kann man sich nie sicher sein.“
„Lucian, Lucian“, lachte der Herzog, „dein Herz ist voller Hass.“
„Jene, die ich hasse, sind der Abschaum der Menschheit. Sie haben meinen Hass verdient“, zischte Lucian, worauf er sein Glas leerte.
„Ich wünschte, Filiana würde sich für unsere Seite entscheiden“, sagte der Herzog schließlich.
„So, wie ich sie bisher erlebte, erschien sie mir zu ängstlich, um sich überhaupt für etwas zu entscheiden“, gab de Nord zurück, „allerdings kann ich auch nicht behaupten, sie sonderlich gut zu kennen. Wenn ich etwas anmerken darf: Du solltest dir lieber Gedanken um Farruk machen, der, sofern mich mein Gespür nicht täuscht, was es selten tut, alsbald hier auftauchen dürfte.“
„Oh, er ist sicherlich schon auf dem Weg“, stimmte der Herzog zu.
„Wünschst du, dass ich dir bei der Audienz beistehe?“
„Nein, nein, mit diesem Scheinheiligen werde ich schon noch alleine fertig“, winkte Montierre ab, „Kehr du nur in den Hafen zurück. Es ist besser, wenn dort jemand nach dem Rechten sieht. Wir können uns kein unnötiges Blutvergießen leisten.“
„Ich werde, wie immer, mein Bestes dazu beitragen. Aber nimm dich vor dieser anmaßenden Ratte in Acht. Ihm ist wohl nicht einmal das Leben seiner Mutter heilig, sofern er überhaupt eine hatte“, mit dieser letzten Beleidigung verließ der Marquis unter schnellen Schritten den Saal, während der Herzog zurückblieb, um auf das elipfische Ratsmitglied zu warten.
Farruk traf tatsächlich wenig später in der Botschaft ein und betrat, nachdem das amtliche Prozedere vonstattengegangen war, den Beratungssaal.
Bei dem Kalifen handelte es sich um einen großen, athletischen Mann, der jedoch schon in jenes Alter gekommen war, da der Bart ergraute und das Haar sich lichtete.
Obwohl Elipf ein demokratischer Staat war, erinnerte die Bezeichnung der Ämter immer noch an die feudalistischen Titel, weshalb es auch Farruk vergönnt war, den des Kalifen anführen zu können.
„Montierre, mein ungewollter Freund“, rief er bereits, als er gerade in den Raum stürmte, „Bitte sagt mir, dass die Besetzung des Hafens auf das eigenmächtige Handeln dieses Irren de Nord zurückzuführen ist.“
„Die Befehle, Kalif“, begann Montierre, ohne sich aus dem Schatten, in den er zurückgekehrt war, herauszubewegen, „gebe immer noch ich.“
„Das heißt, Ihr seid dafür verantwortlich?“
„Offensichtlich.“
„So“, schnauzte Farruk, wobei er seinen prunkvollen Seidenkaftan glatt strich, „Ich dachte, wir führen unsere Verhandlungen mit Wort und Wahl, nicht mit Schwert und Stab. Aber ihr Monarchisten werdet es wohl nie verstehen.“
Der Kalif schüttelte verständnislos den Kopf.
„Monarchisten?“, keuchte Montierre, „In der Tat, wir haben nie verstanden, warum man den Narren eine Entscheidung überlassen sollte, die nur die Weisen treffen können.“
„Heuchler seid ihr, versucht ihr doch stets, die Unterdrückung, die ihr ausübt, zu rechtfertigen.“
„Wenn ich ein Heuchler bin, dann vermag kein Wort der kalatarischen Sprachen, Eure Charakterlosigkeit zu benennen, Farruk!“, zischte der Herzog, „Eurer Meinung nach sind alle Menschen gleich? Was gibt Euch dann das Recht, vor allen anderen aus dieser Stadt zu flüchten?“
„Das versteht Ihr nicht, Montierre. Wenn Leute wie ich  überleben, dann überlebt auch das Feuer der Freiheit, das sich über ganz Kalatar ausbreiten wird wie…“
„Schweigt! Ihr widert mich an!“, blaffte Montierre, „Die Freiheit, die Ihr proklamiert, führt Euch und alle anderen, die an sie glauben, ins Verderben.“
„Weil sie der Ordnung Eures Gottes widerspricht, Herzog? Das ist doch nur eine Scharade, um die Dummen zu täuschen. Ihr glaubt doch nicht etwa selbst daran?“
„Mein Gott hat damit reichlich wenig zu tun, Kalif. Das Verderben, von dem ich sprach, ist nicht die drohende Unterwelt, Narr. Sie ist wesentlich greifbarer, näher. Ihr müsst nur in den Spiegel blicken, um sie zu sehen.“
„Es gibt keinen Grund, Beleidigungen auszusprechen“, mahnte der Kalif.
„Dass die einzigen Worte, die vermögen, Euch zu beschreiben, Beleidigungen sind, ist nicht mein Verschulden, Farruk. Nur die ach so hoch gelobte Freiheit sorgte doch letztlich dafür, dass Abschaum wie Ihr zu so viel Macht kam. Es ist beschämend, zu wissen, dass ich in dieser Stadt auf derselben Stufe mit derartigen Narren stehen muss.“
„Ihr seht nur das, was Ihr sehen wollt, Herzog“, zischte Farruk, „Alle, die nicht den Gesetzen Eures Reiches und Eures Gottes folgen, sind für Euch also Dreck, ja? Habt Ihr nicht einmal darüber nachgedacht, dass Ihr Euch vielleicht geirrt habt? Dass die Worte Eures Gottes gar nicht so wahr sind?“
„Sprecht Eure Blasphemie irgendwo aus, aber nicht in meinen Hallen, zumal sie nichts zur Sache tut!“
„Schön, ich sehe ein, dass es vollkommen fruchtlos ist, mit einem Fanatiker vernünftig verhandeln zu wollen…kommen wir also zu meinem eigentlichen Anliegen zurück“, der Kalif machte eine kurze Pause, „Entfernt Eure Truppen umgehend aus dem Hafenviertel!“
Der Herzog betrachtete Farruk kurz, bevor er lächelte und seine feingliedrigen Hände faltete.
„Nein“, entgegnete er.
„Schön!“, brüllte Farruk, „Dann werde ich Eure erbärmlichen Truppen eben mit Waffengewalt aus dem Viertel jagen!“
„Seid doch kein Narr, Farruk!“, fauchte Montierre, „Die Orks stehen vor den Toren. Das letzte, was wir brauchen, ist Bürgerkrieg.“
„Es ist nicht meine Schuld. Es ist nicht meine Schuld. Ihr“, der Kalif deutete mit ausgestrecktem Arm und Zeigefinger auf sein Gegenüber, „habt das provoziert.“
„Euch hat anscheinend jede Vernunft verlassen“, der Herzog schüttelte den Kopf, „Aber das wagt Ihr nicht!“
„Ihr habt keine Wahl, Montierre. Verlasst den Hafen, oder Ihr werdet Schuld am Fall Galors tragen!“
Montierre ließ sich langsam in seinen ledernen Sessel zurücksinken, musterte sein Gegenüber und atmete einmal tief durch, bevor er wieder die Stimme hob:
„Wenn auch nur einer Eurer Soldaten seine Waffe gegen einen der meinen hebt, dann werde ich alle Schiffe verbrennen lassen und keiner von uns kommt hier jemals lebend raus! Ich bin bereit, bereit, in den Tod zu gehen, Farruk. Was ist mit Euch?“
„Ihr…Ihr habt doch den Verstand verloren, Montierre“, keuchte Farruk.
„Nein, den Verstand habt Ihr verloren, als Ihr damit begannt, auf Eure niederen Instinkte zu hören. Ich kann nicht leugnen, dass die Situation, in der wir uns befinden, schlimm ist, aber Ihr könnt nicht nur wenig, sondern offensichtlich gar nicht damit umgehen.“
„Pah, wir werden schon sehen, ob Ihr den Tod fürchtet, Herzog. Ja, wir werden sehen“, lachte Farruk, bevor er sich mit wirbelndem Kaftan umdrehte und aus dem Saal stürmte.
„Narr!“, zischte Montierre ihm hinterher, bevor er sich wieder in den Schatten zurücksinken ließ.

Ferren strauchelte mit vom Alkohol vernebelten Sinnen durch die niedrigen Sanddünen des Strandes. Obwohl er kaum noch in der Lage war, klar zu sehen, steuerte er unbeirrt auf die große, dunkle Felsformation zu, die sowohl den Strand als auch die Halbinsel im Süden begrenzte.
Schließlich stand er an jener Stelle, wo die Dünen in den dunkelbraunen Stein übergingen, und ließ sich wenig elegant in den Sand sacken. Dort war nichts mehr zu spüren von der Ausgelassenheit des Festes, vom Qualm des Dunkelkrauts, vom Gestank des Erbrochenen. Nur aus der Entfernung hallten noch die lautesten Rufe der Feiernden.
Während die Wellen des Meeres, welches, mit dem dunklen Horizont verschmolzen, kaum mehr als eine einzige Wand gähnender Schwärze war, sanft gegen die Felsen schwappten, kramte der Leutnant den Brief wieder hervor, welchen er vor wenigen Stunden geschrieben hatte. Mit Mühe entkorkte er die fast leere Metflasche, die er zuvor neben einem komatösen Elipfer gefunden hatte, kippte den letzten Schluck seinen Rachen hinunter und begann dann, recht sorgsam das Papier hineinzuschieben.
Als er es letztlich fertig gebracht hatte, es gänzlich in der Flasche zu verstauen, stopfte er den Korken wieder auf deren Hals. Dann zog er seine ledernen Stiefel aus, erhob sich, torkelte ein paar Schritte vor, bis seine Füße vom Meerwasser umschlungen wurden, und wollte gerade die Flasche in die See hinausschleudern, als eine Stimme hinter ihm ertönte:
„Ah, Ferren. Da seid Ihr.“
Erschrocken zuckte der Leutnant zusammen, bevor er sich umdrehte und in die bernsteinfarbenen Augen Arionas blickte, die etwa einen Meter vor ihm und damit noch auf dem Sand stand.
„Oh…Ariona“, stammelte er, „Was macht Ihr hier?“
„Ich habe Euch gesucht“, gab die Novizin mit fragendem Gesichtsausdruck zurück, „Hinten gab es eine Schlägerei zwischen ein paar Typen und einem Haufen Todesanbetern.“
„Todesanbeter?“, keuchte Ferren, wobei seine Hand an den Griff des Kurzschwertes fuhr, das er am Gürtel trug.
Zwar war es offiziell nicht verboten, an den Totengott Thanatos zu glauben, doch wurden seine Anhänger von den meisten Menschen der gebrochenen Welt abgrundtief gehasst. Dies war vor allem dem Dunklen Kult, einer brutalen, radikalen Gruppierung von fanatischen Todesanbetern, Nekromanten und sonstigen Schwarzmagiern zuzuschreiben, die vor rund fünfhundert Jahren ganz Kalatar terrorisiert hatte.
Die Vertreter der einzelnen Nationen in Galor indes hatten sich unter der Hand darüber geeinigt, jede Form der Todesanbetung in der Stadt zu unterbinden, da sie um die Moral ihrer Truppen fürchteten. Dennoch hatten sich seit der Invasion der Orks erstaunlich viele Menschen den Thanatoikern angeschlossen.
„Keine Sorge“, beschwichtigte Ariona, „ein paar Elipfer haben sie vertrieben.“
„Die Thanatoiker müssen inhaftiert werden!“, zischte Ferren, „Sie demoralisieren die Bürger Galors…und wahrscheinlich stecken sie auch noch hinter der Invasion der Orks.“
„Die Todesanbeter?“, Ariona stutze, „Warum glaubt Ihr das?“
„Nun ja, weil…viele sagen das, der ganze delionische Offiziersstab. Todesanbeter ganz klar. Diese tumben Orks hätten eine Invasion wie diese doch nie auf die Reihe gekriegt.“
„Nein, ich glaube nicht, dass die Thanatoiker dahinter stecken. Seht mal, für die meisten von ihnen ist der Tod nur ein Teil des natürlichen Kreislaufes, den sie anbeten. So wie die Göttin des Mondkults als die Gebärerin, als Mutter, der Welt betrachtet wird.
Sie führen den Tod nicht auf unnatürliche Weise herbei, um ihrem Gott zu dienen. Soweit ging nur der Dunkle Kult und den gibt es nicht mehr.“
Ferren schwieg zunächst, bevor er kopfnickend zustimmte:
„Aber wer sollte sonst dafür verantwortlich sein?“
„Manche halten es für die Sühne, die sie aufgrund des moralischen Verfalls tun müssen. Die Monarchisten glauben, es sei eine Verschwörung der Demokraten, und die Demokraten meinen, die Monarchisten stecken dahinter. Ganz ehrlich: Mit den Verdächtigungen hat die Situation, in der wir uns jetzt befinden, doch erst angefangen. Jetzt traut keiner mehr dem anderen.“
„Wohl wahr“, bestätigte der Leutnant, „Aber irgendwer muss Recht haben. Die Orks waren es jedenfalls nicht allein.“
„Ja, möglich. Ziemlich sicher sogar. Aber ich fürchte, hier Vermutungen zu äußern, wäre gefährlich.“
„Glaubt Ihr etwa, ich hätte was damit zu tun?“, keuchte Ferren.
„Nein, Ihr nicht. Aber diese Stadt. Sie ist gefährlich“, flüsterte Ariona.
„Ich bin Wachoffizier. Das müsst Ihr mir nicht erzählen.“
„Ich fürchte, von dem meisten wissen die Wachen nicht einmal etwas“, flüsterte Ariona, „In dem Haus meiner Freundin im Hafenviertel lebten mal sechs Leute. Jetzt sind es nur noch drei. Sie glaubt, einer der Bewohner hat angefangen, die anderen zu vergiften, um die Chance zu erhöhen, einen Platz auf den Schiffen zu bekommen.“
„Ja, so was hören wir öfter. Aber wir können nicht allem nachgehen, zumal das Gericht überlastet und das Gefängnis voll ist. Letztlich müssen sich die Leute selbst helfen.“
„Ja, so lange, bis die kalatarischen Nationen endlich einsehen, dass sie einmal zusammenhalten müssen, um zu überleben.“
„Das wird niemals passieren“, lachte Ferren bitter im Zustand der Ernüchterung, wobei er die Flasche aufs Meer hinausschleuderte, „Entschuldigt mich“, fuhr er fort, „aber ich habe morgen Wachdienst und sollte nun besser schlafen gehen.“
Mit diesen Worten schlüpfte er wieder in seine Stiefel und zog an der Novizin vorbei, sodass diese allein am Strand zurückblieb.

Kapitel 2: Verschwörung

44. Grünwalden. 52 n.V.
Der nächste Morgen brach an und quälte die verkaterten Bewohner Galors mit seinem gleißenden Licht.
Auf den Dächern sammelten sich die Anhänger des Mondkults zum Gebet, die Iurionisten, die an den allmächtigen Gerechtigkeitsgott glaubten, sowie die Anhänger des Erlöserglaubens strömten zu ihren Kirchen. Diese waren die einzigen Orte, wo Säufer und Schmuggler zusammen mit Offizieren und Soldaten in einer Bankreihe saßen, oder unter einem Dach standen, denn zumeist waren die Tempel bis zum letzten Stehplatz gefüllt.
Die Fischer machten ihre kleinen Boote klar, Bäcker klopften sich den Mehlstaub von den Händen, Wachwechsel wurden vollzogen.
Ariona erwachte recht spät, da sie noch bis in die frühen Morgenstunden hinein am Strand gefeiert hatte. Letztlich sprach auch nichts dagegen, seinen Rhythmus einige Stunden nach hinten zu verschieben, weil man als Novize in dieser Stadt so gut wie nichts zu tun hatte.
Ihr Bett befand sich in einem Schlafsaal im Keller einer ehemaligen Schule, den sie mit fünf anderen Personen bewohnte. Trotz der etwas eigenartigen Umgebung war sie mit diesem Schlafplatz durchaus zufrieden, da es dort stets angenehm kühl und die Betten, welche in Nischen standen, durchaus bequem waren. Ein ausgeblichener, mintgrüner Vorhang sorgte für ein wenig Privatsphäre.
Ãœber ihre Mitbewohner war sie allerdings weniger erfreut, handelte es sich bei diesen doch um eine ausgekochte Zicke, einen zwanghaften Choleriker, einen ziemlich verschwiegenen Todesanbeter, einen wenig erfolgreichen Schmuggler und einen Paranoiker.
Nachdem sie sich angezogen hatte, schob sie den Vorhang zur Seite, sodass sie den Hauptraum betrachten konnte, welcher jedoch abgesehen von einer Person gänzlich verlassen war. Die Anwesenheit des schmächtigen, jungen Mannes, der am großen, gusseisernen Ofen saß und irgendetwas röstete, wunderte sie nicht weiter.
Pegry, so war sein Name, hatte diesen Keller schon seit Wochen nicht mehr verlassen, da er, zumindest glaubte sie das, fürchtete, der Angriff auf Galor könne jeden Augenblick beginnen.
„Guten Morgen, Pegry“, grüßte sie.
„Morgen, wie?“, sagte er mit hastiger Stimme, nachdem er zunächst heftig zusammengezuckt war. Die dunklen Ringe unter seinen kleinen Augen indizierten, dass er schon sehr lange nicht mehr geschlafen hatte. Insgesamt erinnerte er Ariona stark an eine Ratte, auch wenn sie diesen Gedanken nicht gerade gerne hegte.
„Ja, es ist Morgen, glaube ich“, entgegnete Ariona.
„Kann sein…mir auch egal“, fiepte Pegry, „Hast du Ysil gesehen?“
„Wen?“
„Ysil…den Thanatoiker“, Pegry flüsterte, wobei er sich mehrmals über die Schulter sah.
„Ach, der“, stöhnte Ariona, wobei sie sich an die Schläfen fasste, „Nein, glaub‘ nicht.“
„Wann“, ihr Gegenüber machte eine Pause, wie sie bei einem Stotternden vorkam, nur dass sie in seinem Fall bewusst wirkte, „hast du ihn zuletzt gesehen?“
„Keine Ahnung, Peg“, gab die Novizin zurück, „Du bist doch immer hier. Du musst es doch am besten wissen.“
„Ja, ja…ich“, der Mann starrte in die ausglühende Asche des Ofens, „Es muss schon drei Tage her sein…oder vier…fünf vielleicht“, plötzlich verfiel er in eine Art verbale Raserei, „Zu lange, zu lange! Der heckt was aus, ja. Das spüre ich.“
„Ich glaube, du warst einfach zu lange in diesem Loch, Peg“, entgegnete Ariona, nachdem sie erschrocken einen Satz zurück gemacht hatte.
„Nein, nein, nein…ich nicht“, zischte Pegry, bevor er aufsprang und zu Ysils verhängter Schlafnische hinüberschlürfte.
„Du kannst doch nicht seine Sachen durchwühlen, Peg! Was soll das überhaupt?“, wandte sie ein.
„Klar kann ich“, erwiderte er, wobei er den Vorhang mit einem heftigen Ruck zur Seite riss.
Als er die Schlafnische des Todesanbeters freigelegt hatte, konnte Ariona ebenfalls nicht mehr verhehlen, neugierig zu sein. Obwohl das Gemach Ysils von außen nicht anders aussah als ihr eigenes, trat sie näher heran, während Pegry sich bereits rattenartig über den niedrigen Holzschrank gebeugt hatte, um diesen genauer zu untersuchen. Einen Augenblick später riss er die oberste Schublade auf und schleuderte ihren Inhalt heraus, als würde er bei der Berührung höchsten Ekel empfinden. Es handelte sich jedoch lediglich um ein paar eher ärmliche Kleidungsstücke, in denen Ariona Ysil auch schon einige Male gesehen hatte. Dem Aussehen des Stoffes zufolge scherte er sich recht wenig um die Instandhaltung seiner Kleidung.
„Ah, es ist ihm egal, wie sein Zeug aussieht. Hat wohl nicht vor, lange hier zu bleiben“, krächzte Pegry und grabschte nach der nächsten Schublade.
„Weißt du, ich finde das nicht richtig…“, kommentierte Ariona, wobei sie gespannt auf den Inhalt hinabblickte, der sich ihr offenbarte.
„Die Worte des Schattens“, las der Suchende auf dem Titel eines schäbig eingebundenen Buches, „Das prophetische Werk der Todesanbeter.“
„Das hat so ziemlich jeder von denen“, wandte sie ein, „Kein Grund zur Sorge.“
„Das hier nicht. Das nicht!“, fauchte Pegry, wobei er ihr das Buch vor die Füße schleuderte.
Auf den Innendeckel war mit schwarzer Tusche feinsäuberlich ein Zeichen gemalt, das aus zwei symmetrischen Dreiecken bestand, deren Spitzen sich berührten, sodass sie wie eine einfache Sanduhr aussahen.
Arionas Augen weiteten sich, als sie es erblickte.
Dieses simple Symbol hatte zwei Jahrhunderte lang Tod, Hass, Gewalt und Angst verkörpert: Das Siegel des Dunklen Kults.
„Das muss nichts heißen“, Ariona atmete langsam auf, „Vielen geben sich einfach zum Spaß als Kultist aus…aber den Dunklen Kult gibt es nicht mehr.“
„Quatsch! Ich hab es immer gewusst, immer, immer“, rief Pegry, der bereits damit fortfuhr, akribisch Ysils Besitz zu durchwühlen. Gebannt beobachtete Ariona, was er noch zu Tage förderte. Da waren Abschriften weiterer Werke der Thanatoiker, von denen einige noch zu dieser Zeit auf dem Index standen; ein paar Knochen, die Todesanbeter für gewöhnlich als Glücksbringer mit sich führten; Knochenstaub, der für ihre Rituale genutzt wurde; ein Zierdolch, ebenfalls Symbol Thanatos‘; eine säuberlich verkorkte, kleine Flasche schwarzen Weins; letztlich jedoch nichts, das, in diesem Fall, ungewöhnlich gewesen wäre.
Die letzte Schublade war jedoch verschlossen.
Ariona beobachtete Pegry, der sich die Finger bei dem Versuch wund schabte, sie aus dem Schrank zu reißen.
„Na, Pegry, wozu bist du ein Magier? Magier, ja!“, fauchte er sich selbst an, bevor er seine blutende Rechte mit ausgestrecktem Mittel- und Zeigefinger auf das Schloss richtete. Ein schwacher, blauer Lichtstrahl entwich seinen Fingerspitzen, traf es und ließ den Verrieglungsmechanismus leise klicken.
Nachdem er das Schloss geöffnet hatte, zog er die Schublade langsam aus dem Schrank.
Das, was er dabei ans Licht förderte, war sowohl für ihn als auch für Ariona erschreckend. Im kleinen Raum der Schublade wand sich um eine winzige Schale, die mit einer klebrigen, tief schwarzen Flüssigkeit gefüllt war, eine Schlange, Ariona vermutete, dass es eine Natter war. Obwohl sich ihre Haut bis zu einem Drittel des Körpers aufgerollt hatte, sodass man das rohe Fleisch darunter sehen konnte, ihr Schädel stellenweise skelettiert war und ihr fleischige Auswüchse entsprangen, schien sie dennoch am Leben zu sein.
„Nekromantie, eklige Nekromantie“, zischte Pegry, während er in seiner rattenartigen Haltung die Schlange beäugte, „Einfache Todesanbeter benutzen sie nicht, nein, nein.“, er lachte triumphierend.
„Nein, es widerspricht ihrem Glauben…der Dunkle Kult ist die einzige Glaubensform, die die Nekromantie vertritt“, stimmte Ariona betreten zu, „Verdammt, sieht so aus, als hättest du Recht gehabt, Peg. Ysil ist wohl mehr als ein gewöhnlicher Todesanbeter…ich frage mich nur, wie er dieses untote Exemplar erschaffen hat. Soweit ich weiß, ist er kein Magier. Keine Nekromantie ohne magisches Talent.“
„Das, das ist Schwarzsaft, ja genau, Hexerei!“, keuchte Pegry in seiner Zischstimme, nachdem er der Flüssigkeit in der Schale gerochen hatte.
„Das kann nicht sein!“, erwiderte Ariona, bevor sie selbst an dem Sud roch. Dessen Verwesungsgestank war so intensiv, dass er sich sofort in ihre Atemwege brannte und Tränen in ihre Augen schießen ließ. Wie jeder, der auch nur ein bisschen von der Nekromantie gehört hatte, kannte sie das Hexenwerk, das sie vor Augen hatte. Schwarzsaft nannte man jenes Gift, das es vermochte, Lebewesen in willenlose, untote Kreaturen zu verwandeln.
„Die Weinflasche“, flüsterte sie mit Unbehagen und diesmal war es nicht Pegry, der mit fieberhaftem Eifer etwas untersuchte, diesmal packte sie den Gegenstand, in diesem Fall die gut verkorkte Weinfalsche. Mit zittrigen Händen löste sie das vergilbte Leinentuch, welches den Korken umgab, bevor sie auch diesen aus dem Flaschenhals zog. Der entweichende Geruch war so unerträglich, dass es keinen Zweifel gab: Dies war eine ganze Bouteille des nekromantischen Elixiers.
„Damit könnte man drei erwachsene Männer zu willenlosen Zombies machen“, keuchte Ariona fassungslos.
„Ja, ganz richtig, ganz richtig“, bestätigte Pegry, „Ysil! Er will uns alle umbringen! Alle, alle!“
„Ich werde das sofort der Wache melden.“
„Nein!“, keuchte der Novize, „Nicht der Wache, nicht der Wache! Die Wachen sind dumm und faul und überarbeitet. Sie würden nichts unternehmen, gar nichts.“
„Was schlägst du dann vor, Peg? Sollen wir uns alleine mit einem Nekromanten anlegen?“, fragte Ariona, bevor sie schwer schluckte, da sie sich der Worte entsann, die Ferren am letzten Abend gesagt hatte:
Ja, so was hören wir öfter. Aber wir können nicht allem nachgehen, zumal das Gericht überlastet und das Gefängnis voll ist. Letztlich müssen sich die Leute selbst helfen.
„Ferren?“, sie sprach in Gedanken zu sich selbst, „Ja, Ferren. Er kennt mich, er könnte mir helfen, auch wenn die Wache überarbeitet ist.“
„Ich habe einen Freund bei der Wache im delionischen Viertel“, sagte sie Pegry.
„Ist er wirklich ein Freund? In dieser Stadt ist niemand dein Freund! Keine Freunde, nur Feinde!“, zischte ihr Gegenüber.
„Pah, du musst ja nicht mitkommen“, erwiderte Ariona.
„Ich werde diesen Keller nicht verlassen. Nein, nie.“
„Dann erledige ich das selbst“, mit diesen Worten ergriff die Novizin die Flasche mit dem Schwarzsaft, stand auf und ging zur Treppe, um den Keller zu verlassen.
„Halt die Stellung, Peg!“, rief sie noch höhnisch, während sie die Stufen hinauf stieg.
Da es gerade Mittag war, kam das Verlassen des kühlen Gemäuers einem Hitzeschock gleich, sodass Ariona wankend und vom gleißenden Licht geblendet auf die Straßen Galors trat. Dort war wenig los, weil es die meisten Bewohner der Stadt vorzogen, die Mittagsstunden über an einem schattigen Plätzchen zu verharren. Geblendet bemerkte sie die beiden verlumpten Bettler nicht, die sie durchdringend musterten, als sie das Haus verließ.
Sie folgte ein paar verwinkelten Gassen bis zum Lauf des Baskats, wo sie beiläufig einen Blick nach Westen warf. Dort führten die ledrianischen Truppen, welche die Brücken zum Hafenviertel besetzten, gerade einen Wachwechsel durch. Sie glaubte, Lucian de Nord irgendwo zwischen den Reihen der Soldaten auf seinem Pferd erkennen zu können, von wo aus er hochnäsig die Tätigkeiten seiner Untergebenen inspizierte.
Schnell wandte sie ihren Blick ab und ging die Uferstraße entlang in das delionische Viertel, wo sie jedoch feststellen musste, dass sie gar nicht wusste, wo Ferren genau stationiert war.
Als sie zwei delionische Soldaten auf Patrouille entdeckte, wandte sie sich an diese und bekam tatsächlich eine recht genaue Beschreibung, wo sich der Wachturm befand, in dem Ferren Dienst hatte. Dummerweise war dieser ziemlich weit von ihrer jetzigen Position entfernt, sodass sie die Reise durch die engen Gassen des delionischen Viertels mit einem eher mürrischen Gesichtsausdruck antrat.
Schließlich war sie durch so viele Straßen geirrt, dass sie durstig und mit der Feststellung, sich verlaufen zu haben, in den Eigenweiden des delionischen Viertel stand. Vom Strahlen der sengenden Sonne ausgelaugt, lehnte sie an einer Lehmwand, blickte in beide Richtungen der Gasse und fragte sich, ob sie tatsächlich genau gleich aussahen.
Als sie plötzlich jemand ansprach, zuckte sie erschrocken zusammen, war doch zuvor niemand zu sehen gewesen. Das abrupte Auftauchen der Person erklärte sie sich jedoch damit, dass es wahrscheinlich noch eine Seitengasse in der Nähe gab, die man von ihrem Standpunkt aus nicht sehen konnte. Bei dem Neuankömmling handelte es sich um einen gebräunten, athletischen, jungen Mann in einfacher Arbeiterkleidung.
„Habt Ihr Euch verlaufen, Novizin?“, fragte er, nachdem er sie höflich gegrüßt hatte.
„Das sieht so aus, ja“, bestätigte Ariona.
„Nun, ich mache Euch ein Angebot“, sagte ihr Gegenüber langsam, fortwährend mit höflicher Stimme, „Ãœbergebt mir die Flasche, die Ihr mit Euch führt, und ich werde sogar die Freundlichkeit aufweisen, Euch wieder aus diesem Viertel heraus zu geleiten. Wohlbehalten, versteht sich.“
„Ihr wollt die Flasche? Wieso?“, ächzte Ariona, obwohl sie schon grob eine Ahnung hatte, was gerade vor sich ging.
„Scheinbar hat ein bisschen von Pegrys Paranoia auf mich abgefärbt“, dachte sie, während sie bereits nach einem Zauber suchte, mit dem sie ihr Gegenüber überwältigen konnte, „Wahrscheinlich wurde Ysils Haus überwacht. Sie haben mich mit der Flasche gesehen und sind mir bis hierher gefolgt.“
„Rein hypothetisch: Was würdet Ihr tun, würde ich Euch die Flasche nicht geben?“, fragte sie.
„Das wollt Ihr gar nicht wissen“, entgegnete der Mann.
„Das überzeugt mich nicht.“
„Nun, wenn das so ist…“, gab er zurück, wobei er seine Faust ballte.
Bevor er zuschlagen konnte, hatte sie ihn jedoch mit einem Stoßzauber gegen die hinter ihm liegende Hauswand geschleudert. Mit einem leichten Lächeln betrachtete sie das Resultat ihrer Magie, um anschließend davon zu eilen. Das ungute Gefühl beschlich sie, beobachtet zu werden, und tatsächlich erschien es ihr relativ unwahrscheinlich, dass der Angreifer alleine agierte, zumal normale Menschen Magiern im Kampf meist unterlegen waren.
Als sie sich flüchtig umsah, konnte sie allerdings nichts entdecken, was letztlich dazu führte, dass sie ihre Schritte noch beschleunigte. Dann sah sie aus dem Augenwinkel gerade noch eine Gestalt, die sich von einem niedrigen Balkon auf sie stürzte, sodass sie um ein Haarbreit ausweichen konnte.
Bei ihrem Gegenüber handelte es sich um eine wild aussehende Nogronerin, welche eine enganliegende Lederrüstung trug.
Bevor Ariona ihr einen Zauber auf den Hals hetzten konnte, hatte sie sich auch schon einen Tritt eingefangen, der sie gegen die nächste Hauswand schmetterte. Ihre Gegnerin holte nun zu einem Seitwärtsschlag aus.
Obwohl sie kaum noch atmen konnte, schaffte sie es doch, sich darunter hinweg zu ducken. Von der Wucht des Schlages mitgerissen, taumelte die Kämpferin ein Stück zur Seite, worauf Ariona ihr einen leichten Stoß versetzte, der etwas Raum zwischen sie und ihre Gegnerin brachte.
Anschließend schockte sie die Nogronerin mit einer Ladung elementarer Magie, was diese außer Gefecht setzte. Mit einem bangen Blick über die Schulter, musste sie feststellen, dass sich der Mann, dem sie den Stoßzauber versetzt hatte, bereits erholt hatte und in ihre Richtung sprintete. Hastig warf sie sich in eine Seitengasse und lief los. Sie musste jedoch feststellen, dass ihr Verfolger schnell aufholte.
„Was soll das?“, fragte sie sich, „Ich bin eine Magierin. Wieso laufe ich vor einem unbewaffneten Rohling davon, anstatt ihn aufzuhalten?“
Die magische Macht pochte geradezu in ihren Händen, bevor sie sich umdrehte und ihrem Verfolger einen erneuten Stoßzauber entgegenschleuderte, der ihn frontal auf die Brust traf und einige Meter zurückschleuderte. Um ihm endgültig zu entgehen, bog sie in eine andere Gasse ein und nutzte dort eine Leiter, um auf die Flachdächer der angrenzenden Häuser zu gelangen.
Hier, so dachte sie, würde man sie sicherlich nicht finden.
Vom Laufen und Zauberwirken erschöpft, stand sie zunächst, sich mit den Händen auf den Knien abstützend, auf dem Dach. Die Flasche Schwarzsaft, welche sie die ganze Zeit über mitgeschleppt hatte, platzierte sie neben ihrem linken Fuß.
Bevor sie auch nur einmal tief durchatmen konnte, traf sie plötzlich irgendetwas mit enormer Wucht frontal ins Gesicht. Ohne zu wissen, was sie da erwischt hatte, geschweige denn wo es hergekommen war, taumelte sie zurück und musste gleich noch einen Treffer ähnlicher Härte in die Magengegend einstecken, der sie einsacken ließ. Panisch schlug sie um sich, konnte sie doch nicht erkennen, was sie angriff, weshalb sie der Attacke - und sie war sich sicher, dass es eine solche war - vollkommen wehrlos gegenüber stand.
Dann glaubte sie, vor sich eine Art Verzerrung zu erkennen, so wie sie von heißer Luft beim Aufsteigen erzeugt wurde. Als sie genauer hinsah entdeckte, sie dass auch irgendetwas mit der Lichtreflektion nicht stimmte. Etwas Unwirkliches befand vor ihr, wie eine Fata Morgana, und mit einem Mal wusste sie, welcher Hexerei sie gegenüberstand.
Wer auch immer sie angriff, trug einen Tarnanzug, was Ariona umso mehr verwunderte, weil diese ebenso selten wie teuer waren. Bei ihnen handelte es sich um Ganzkörperrüstungen aus leichtem, dünnem und meist enganliegendem Stoff, der so verhext worden war, dass er seinem Träger annähernde Unsichtbarkeit gewährte. Allerdings hatten die meisten Tarnanzüge gravierende Mängel, weshalb die Tatsache, dass sie ihren Angreifer nicht hatte erkennen können, auf ein äußerst qualitatives Exemplar hindeutete.
Nun, da sie wusste, wo ihr Gegenüber in etwa stand, konnte sie ihm zumindest eine Ladung elementarer Magie in Form eines Feuerballs entgegenwerfen. Die Verzerrung breitete sich aus, was dafür sprach, dass der Feind versuchte, auszuweichen. Ariona sprang sofort wieder auf und trat in die Gegend, wo sie den Angreifer vermutete.
Als sie traf, musste sie sich eingestehen, dass es merkwürdig war, gegen einen nicht sichtbaren Widerstand zu treten. Zugleich wurden die Verzerrungen mit jedem Treffer stärker, bis der Getarnte schließlich ihren Fuß zu packen bekam und sie von sich wegstieß. Sie taumelte zurück und steckte, bevor sie ihr Gegenüber erneut entdecken konnte, einen, wohl schlecht gezielten, Faustschlag in die Schultergegend ein. Dieser reichte jedoch, um sie kurz aus dem Gleichgewicht zu bringen.
Dann geschah alles schneller, als sie es überhaupt wahrnehmen konnte. Ein stechender Schmerz in der Kniekehle, ihr linkes Bein gab nach, der Boden kam rasant schnell näher, irgendwie schaffte sie es, sich abzurollen, lag auf dem Rücken, spürte ein Paar kräftiger, kalter Hände an ihrer Kehle, wurde gewürgt, versuchte, zu schreien, schlug panisch um sich. Entmutigt stellte sie fest, dass der Angreifer von den Schlägen, die sie ihm verpasste, reichlich wenig beeindruckt war.
Langsam legte sich ein gräulicher Schleier über ihre Augen, ihre Glieder wurden schwerer, der grauenhafte Druck an ihrer Kehle nahm zu und der Gedanken, irgendetwas tun zu müssen, brannte sich jäh in ihren Schädel. Ihre Magie konnte ihr nicht helfen, denn ein jeder Zauber hätte in diesem Zustand dafür gesorgt, dass sie vor Erschöpfung sofort in Ohnmacht gefallen wäre.
Als sie ihre Hand nach einem weiteren erfolglosen Schlag zu Boden sinken ließ, stieß sie gegen die Schwarzsaft Flasche. Mit letzter Kraft packte sie das Gefäß und schmetterte es ihrem Peiniger in die Seite, doch entgegen all ihrer Hoffnungen brach die Flasche nicht, hielt stand.
Die Schwärze legte sich bereits sanft über ihre Augen, doch ein letztes Mal brachte sie die Kraft auf, zuzuschlagen. Die Flasche prallte gegen die Rippen ihres unsichtbaren Feindes, das Glas brach, ein gellender Schrei ertönte.
Instinktiv rollte sie sich zur Seite und rang, nun da sie von dem eisernen Griff um ihre Kehle befreit war, panisch nach Atem. Wie durch schwache Linsen nahm sie ihre Welt wahr. Das Blut pochte so kräftig in ihren Ohren, dass sie nichts mehr hören konnte. Vor ihr taumelte, wand sich eine geschwärzte Gestalt, die geradezu qualmte.
Als ihr Blick schärfer wurde, erkannte sie das Unheil, das sie angerichtet hatte:
Der Schwarzsaft hatte sich an etlichen Stellen durch den Tarnanzug des Angreifers gefressen und sich anschließend einen Weg weiter in dessen Körper gebahnt. Markerschütternd schrie er, während sich das nekrotische Elixier durch sein Fleisch brannte, bis er schließlich, rückwärts wankend, die Kante des Daches erreicht hatte, die er hinunter stürzte.
Da Arionas Gehör sich wieder erholt hatte, nahm sie die vielen Stimmen wahr, die plötzlich von der Straße herauf zum Dach schallten. Offensichtlich hatten die Schreie des Getarnten all jene aus ihren Verstecken gelockt, die vor der Mittagssonne Zuflucht gesucht hatten.
„Vom Dach gefallen“, hörte sie.
„Sieht schlimm aus.“
„Nekromanten!“
„Schwarzsaft!“
„Da hoch! Wir müssen nachsehen!“
„Ich leg mich doch nicht mit einem Totenbeschwörer an.“
„Wachen! Wachen!“
Dann setzten sich viele Füße in Bewegung, und bevor sie auch nur an Flucht denken konnte, hatten die ersten Bewohner Galors das Dach erreicht. Kaum hatte sie sich versehen, war sie von etlichen Männern und Frauen eingeschlossen.
„Die soll eine Nekromantin sein? Na ich weiß nicht“, zweifelte ein dicklicher, junger Mann.
„Schnauze, Torben!“, blaffte sein geierartiger Nachbar, „Hast du schon mal einen gesehen? Einen Nekromanten? Hä?“
„Das ist bestimmt ein neuer Trick. Sie sieht harmlos aus, aber sie hat ein schwarzes Herz. Das rieche ich“, rief ein älterer Mann.
„Sie hat diesen Kerl mit Schwarzsaft erledigt!“, klagte eine fettleibige Frau.
„Nein, ich…ich“, stotterte Ariona, nur um festzustellen, dass sie zum Sprechen viel zu erschöpft war.
„Ruhe!“, befahl jemand, kurz bevor sich einige Soldaten in delionischen Wappenröcken ihren Weg durch die Menge bahnten. Ihnen stand ein älterer, aber rüstiger Offizier vor, der seine grauen Haare kurz trug und dessen körperbetonte Lederrüstung verriet, dass er noch einiges an Muskelmasse besaß.
„Ist diese Novizin für den Angriff verantwortlich?“, erkundigte er sich.
„Ja, ich habe gesehen, wie sie den Kerl mit Schwarzsaft attackiert hat“, sagte jemand, und als Ariona sich zum Sprecher umwandte, erkannte sie die wild aussehende Nogronerin, gegen die sie vor kurzem gekämpft hatte.
„Sie…“, keuchte die Novizin, doch der Offizier schien sie nicht zu beachten.
„Noch jemand?“, fragte er, worauf sich plötzlich etliche Leute etwas zu Wort meldeten. Erstickt im Schwall der Worte, gebannt in den Fesseln der Erschöpfung ließ sie die Schultern sinken, bevor man sie grob abführte.

Marquis de Nord saß bei reichhaltigem Buffet an einem Tropenholztisch auf der großen, steinernen und reichlich begrünten Dachterrasse der ledrianischen Botschaft.
Während er speiste, stand Herzog Montierre, ihm den Rücken zuwendend, an der Brüstung und blickte auf die Stadt hinaus. In die Ferne starrend, dachte er darüber nach, welche Meinung die Prinzessin Filiana, das dritte Ratsmitglied, wohl über die Besetzung des Hafens haben würde. Der Grund für diese Überlegungen war ihre dringende Anfrage um eine Audienz, die er jedoch bereits viel früher erwartet hatte.
De Nord verleibte sich gerade eine Schnitte mit serpendrianischem Kaviar ein, als Montierre sich zum ihm umdrehte und das Wort erhob:
„Lucian, ich muss dich um etwas bitten.“
„Hm?“, der Marquis verschluckte sich überrascht an seinem letzten Bissen, hustete kurz und fuhr dann fort, „Was gibt es denn?“
„Verzeih, aber ich würde es sehr begrüßen, wenn du an meiner statt mit der Prinzessin sprechen würdest.“
„Was sollte das bezwecken?“, fragte de Nord beiläufig, während er mehr Kaviar auf sein Baguette schaufelte.
„Nun, du weißt, was ich für sie empfinde. Ich fürchte einfach, dass ich…dass ich meine Interessen ihr gegenüber nicht gebührend vertreten kann.“
„Du meinst wohl unsere Interessen“, korrigierte de Nord, nachdem er einen Schluck Wein genommen hatte.
„Gut, ich sprach von unseren Zielen“, fuhr der Herzog fort, „Würdest du also mit Ihr sprechen?“
„Ich fürchte, ich verstehe dein Problem nicht.“
„Nun, es ist nur so, dass unsere politischen Ziele Filiana nicht gefallen werden und das wiederum gefällt mir nicht“, erklärte der Herzog, „Sagen wir mal, ich bin mir nicht sicher, ob ich stark genug bin, meinen Kurs auch ihr gegenüber zu vertreten.“
„Du…du würdest Gottes Wort verraten für…ein erbärmliches Gefühl?“, ächzte Lucian, „Wir sind in Galor, am Ende der Zeit, am Ende der Welt. Wir werden hier niemals lebend raus kommen, Jean, und du, du denkst an…Liebe?“
„Ich weiß“, seufzte Montierre, „es ist verwerflich…“
„Gut erkannt“, lobte de Nord, „Zumal du der Herr eines kargen, verarmten Landstriches bist, während durch ihre Adern königliches Blut fließt.“
„Ja, du hast Recht, es ist nur…“, stotterte der Herzog, bevor sein Gegenüber ihn unterbrach:
„Jean, wir werden sterben. Unsere Seelen und unsere Ehre sind alles, was wir noch besitzen, was wir noch retten können. Sollte es deine Intention sein, das wenige, das du noch hast, so kurz vor deinem Tod wirklich wegzuwerfen?“
„Nein. Das will ich wahrlich nicht. Und genau aus diesem Grund bitte ich dich darum, mit ihr zu reden.“
„Du weißt, wer ich einst war und wie ich dieses unterwürfige Gehabe verachte, das ich ihr gegenüber an den Tag legen muss?“, fluchte de Nord.
„Lucian…“, flüsterte der Herzog, „Ich denke, du solltest langsam akzeptieren, dass die Zeiten, da man dich noch mit „Eure Hoheit“ ansprach, vorbei sind.“
„Nur, weil ich einen anderen Namen und einen anderen Titel trage, heißt das nicht…“, begann der Marquis, bevor der Herzog ihn unterbrach:
„Ich fürchte schon. Im Ãœbrigen: Solltest du etwa für den Willen Gottes nicht auf deinen Hochmut verzichten wollen?“
„Nun, offensichtlich verlangt dieser, dass ich mit der geschätzten Prinzessin spreche“, zischte Lucian, während er mit seinem halbvollen Weinglas gestikulierte, „Wer wäre ich, würde ich mich dem widersetzen, dem einzigen, dem ich diene? Ich werde also mit ihr sprechen, mein Freund.“

Tatsächlich wartete Lucian nicht allzu lange auf die Prinzessin, die er im Beratungssaal zu empfangen gedachte.
Etwa eine halbe Stunde, nachdem er den Herzog verlassen hatte, schwebte sie in ihrem langen, königsblauen Kleid geradezu in den Saal. Im leichten Wind, der durch die Halle wehte, umspielte der seidige Stoff jede Kurve der gerade neunzehnjährigen Hochadligen wie fließendes Wasser. Ihrer hellen, zarten Haut war die Sanftheit förmlich anzusehen, viel mehr noch schien sie aus sich selbst heraus zu strahlen, und ein jedes ihrer kupferroten Haare glänzte im Licht der einfallenden Sonne.
De Nord blinzelte.
Das einzige, was sie mit ihm gemeinsam hatte, war die grüne Farbe ihrer Augen, doch während seine wie immer zu sichelförmigen Schlitzen verengt waren, hatten ihre eine klare, mandelartige Form. Als sie ihn erkannt hatte, weiteten sich diese überrascht.
„Seid gegrüßt…Marquis“, sagte sie, während er sich vom Tisch erhob, um sie zu begrüßen.
„Ihr ebenfalls, Eure Hoheit“, gab er unter einer angedeuteten Verbeugung zurück, „Ich nehme an, Ihr hattet den Herzog erwartet?“
„Ich muss wohl gestehen, dass dem so ist“, erklärte sie, während sie auf einem der bequem gepolsterten Stühle Platz nahm. De Nord setzte sich auf die ihr gegenüberliegende Seite.
„Ihr könnt versichert sein, dass ich die Interessen des Herzogs in seinem Willen vertrete“, versicherte er.
„Ja…ja, das glaube ich Euch aufs Wort“, sie lächelte.
„Oh, ich fühle mich geehrt“, gab Lucian zurück, während er eine Zigarette entzündete und sich anschließend ein Glas roten Weins aus einer Kristallkaraffe einschenkte, „Ich scheine wahrlich meine Manieren vergessen zu haben. Verzeiht, ich hätte Euch natürlich zuerst fragen sollen, ob ich Euch etwas anbieten...darf.“
„Nein, danke, für mich nichts, Marquis.“
„Dann ist meine Ehre ja gerettet“, lachte de Nord, worauf er einen Schluck von seinem Wein nahm, „Nun, ich nehme an, Ihr seid nicht grundlos hier?“
„Ja, das ist wahr…“, begann Filiana langsam, „Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll. Ihr habt den Hafen besetzt. Ist das wahr? Und Farruk droht mit einem Gegenschlag?“
„Nun, das trifft die Lage in der Tat ziemlich gut“, bestätigte Lucian gelassen.
„Es ist…soweit hätte es gar nicht…“, stotterte sie und der Marquis glaubte, eine Träne über ihre Wange fließen zu sehen, „Verzeiht, das ist alles ein wenig viel für mich.“
„Verständlich, Eure Hoheit. Der Krieg setzt den meisten ziemlich zu.“
„Es ist nur; ich hatte immer gedacht, der Feind wäre da draußen, aber jetzt fangen wir hier schon fast an, uns gegenseitig die Köpfe einzuschlagen.“
„Ich schätze, wenn es Farruks Kopf ist, der dabei eingeschlagen wird, sind wir danach besser dran“, scherzte de Nord.
„Dazu darf es nicht kommen. Ich will nur nicht, dass wegen einer so banalen Sache ein Krieg innerhalb unserer eigenen Mauern ausbricht“, schluchzte Filiana.
„Die Ehre ist keinesfalls banal, Eure Hoheit“, entgegnete de Nord, „Sie ließ uns, auch wenn wir es nicht gerne taten, keine andere Wahl, als den Weg der Konfrontation zu gehen, und sie bedingt auch, dass unser Standpunkt nicht verhandelbar ist.“
„Ist es Euer Standpunkt, der nicht verhandelbar ist, oder auch der des Herzogs?“, erkundigte sich die Prinzessin.
„Meine Worte wären auch die des Herzogs“, versicherte de Nord.
„Das Problem ist, eigentlich teile ich Eure Ansichten. Farruks Feigheit ist widerlich, und selbst wenn ich sterben müsste, ich bliebe hier, um die Wehrlosen zu retten“, beteuerte Filiana, bevor ihre Stimme in eine leidliche, nicht anklagende Tonlage rutschte, „Aber ihr nutzt Wege, die ich für…für ebenso falsch halte. Wir dürfen es nicht zum Kampf unter den acht Nationen kommen lassen, selbst wenn wir Farruk und alle Feiglinge dafür gehen lassen müssen. Es ist doch unsere Pflicht, diese Stadt gemeinsam zu verteidigen, oder?“
„Ja, das ist wahr, Eure Hoheit“, bestätigte de Nord, „Doch ich fürchte, uns würden wenige folgen, wenn sie den gleichen Ausweg hätten wie Farruk, zumal nach dem Fall Galors niemand mehr von ihrer Ehrlosigkeit berichten könnte.“
„Ihr glaubt also, dass Galor fallen wird?“
„Seht sie Euch doch an, die ehrlosen, stinkenden Narren, voller Schwäche, welche lieber räudig davonlaufen, als stolz zu sterben“, fluchte Lucian, „Mit ihnen kann man keine Stadt verteidigen.“
„Dann lasst sie gehen und wir verteidigen diese Stadt ohne sie!“, schlug die Prinzessin vor.
„Tut mir leid, Eure Hoheit, doch wir sind nicht bereit, eine solche Ungerechtigkeit walten zu lassen. Wir sind nicht bereit, diese ruchlosen Hunde gewähren lassen. Unsere Ehre werden wir bewahren.“
„Ihr…Ihr wollt Euch also lieber mit Farruks Männern bekriegen, als sie gehen zu lassen.“
„Eure Hoheit, hört mir zu: Kein Ledrianer oder Serpendrianer in Galor will gegen seine eigenen Verbündeten kämpfen. Aber wir werden bis zum Äußersten gehen, um Farruk dazu zu zwingen, seine verabscheuungswürdigen Pläne zu Gunsten der Ehre beizulegen.“
„Und Farruk würde genauso weit gehen, um sein Leben zu retten, fürchte ich. Seht doch nur: Ihr alle steuert geradewegs auf das Verderben zu!“, warnte Filiana.
„Das Verderben?“, Lucian lachte hoch, nachdem er einen weiteren Schluck Wein genommen hatte, „Einige versuchen immer noch, davor wegzulaufen, andere verzweifeln, manche wollen es nicht wahr haben, viele ertränken es im Alkohol oder lassen es im Rauch des Tabaks verblassen, wenige kümmern sich darum, Dinge zu retten, die wichtiger sind als das Leben selbst, aber letztlich wissen sie es alle: Ihr Tod ist schon beschlossen.“
„Ihr sagt es so ruhig, als würde es Euch gar nicht kümmern.“
„Auf mich wartete nie verwelkender Ruhm“, prophezeite de Nord.
„Ihr wollt also der Ehre wegen untergehen?“, fragte Filiana mit geweiteten Augen.
„Nicht wegen ihr, aber mit ihr“, versicherte Lucian.
„Und damit Ihr sie vor Eurem Tod nicht verliert, werdet Ihr Farruk nicht gewähren lassen?“
„Ich sehe, Ihr habt es begriffen“, lobte der Marquis.
„Das kann ich nicht zulassen“, sagte die Prinzessin langsam, wobei sie den Kopf schüttelte, „Sagt dem Herzog, dass ich im Rat für Farruks Position stimmen werde. Wenn das die einzige Möglichkeit ist, ein Blutvergießen zu vermeiden, dann…dann muss ich ihn gehen lassen.“
„Verzeiht, Prinzessin, aber ich fürchte, Eure Wahl wird nichts verändern“, entgegnete Lucian höflich, „Wir werden Farruk gegen kein Urteil der Welt gehen lassen, weshalb auch das Wort des Rates in diesem Fall kein Gewicht mehr hat.“
„Dann…habe ich hier nichts mehr zu sagen“, schluchzte Filiana, bevor sie sich erhob, „Ich danke Euch für das Gespräch, Marquis de Nord, möge Iurion über Euch wachen.“
„Der Herr schert sich nicht um die Angelegenheiten des Diesseits. Doch ich bete dafür, dass er auch Eurer Seele im Jenseits gnädig ist“, verabschiedete de Nord.
„Freut mich, dass ich helfen konnte“, fügte er unhörbar hinzu, als die Prinzessin bereits den Raum verließ.

Ariona sah sich um, während sie dem Gebrüll des Hauptmanns schon gar nicht mehr zuhörte.
Sie befand sich in einer tristen Kerkerzelle unterhalb eines delionischen Wachturms, in der es so feucht war, dass das Wasser mit der Monotonie eines Uhrwerks auf den Boden tropfte. Die Wände in ihrem modrigen, dunklen Blaugrau hatten, wie es ihr vorkam, die unschöne Angewohnheit, jedes Mal ein Stück näher zu rücken, wenn sie gerade nicht hin sah. Unweigerlich fragte sie ich, ob dies noch dieselbe Zelle war, in die man sie vor über einer Stunde gesteckt hatte.
„Woher hattet Ihr den Schwarzsaft?“, bellte der Hauptmann sie an.
„Das sagte ich doch bereits“, murmelte sie, wobei sie versuchte, energisch zu klingen, was ihr aber nicht gelang. Entgegen ihrer Hoffnungen hatte sie sich nämlich in der vergangenen Stunde kein bisschen von den Strapazen der Kämpfe erholt, die hinter ihr lagen, „Mein Zimmergenosse Pegry fand sie, als er die Schlafnische seines Mitbewohners Ysil durchsuchte.“
„Euer Freund stöbert also in den Sachen anderer Leute rum?“, erkundigte sich ihr Gegenüber.
„Seit er vor den Orks fliehen musste, ist er ein wenig paranoid.“
„So, so“, der Befrager lachte spöttisch, „Und dann seid Ihr mit dem Schwarzsaft zunächst ins delionische Viertel gerannt, anstatt ihn gleich der Wache im iskatischen Distrikt zu übergeben.“
„Ich kenne jemanden bei der delionischen Wache. Leutnant Ferren, wie ich es Euch schon drei Mal gesagt habe. Ich würde gerne mit ihm sprechen.“
„Seht, Leutnant Ferren ist ein anständiger delionischer Staatsbürger. Er lässt sich nicht mit Todesanbetern ein.“
„Ich bin kein Todesanbeter!“, fauchte Ariona.
„Natürlich nicht“, der Hauptmann grinste schelmisch, was auf seinem altersfaltigen Gesicht einen allzu merkwürdigen Ausdruck verlieh, „Ich frage Euch noch einmal: Was wolltet Ihr mit dem Schwarzsaft im delionischen Viertel?“
„Wollt Ihr mir eigentlich nicht zuhören? Ich wollte ihn bei Leutnant Ferren abliefern, verdammt!“
„Abliefern? Wollt Ihr etwa behaupten, der Leutnant sei, Euer Komplize?“
„Das habe ich nicht…Ihr seid doch…das ist absurd!“, schrie sie.
„Das ist es wirklich“, pflichtete jemand von außerhalb der Zelle bei, worauf sie sofort einen Blick auf die rostbraune Gittertür warf.
Im gedämpften Licht des Kerkers brauchte sie mehr als einen Blick, um zu erkennen, dass es sich bei der Gestalt hinter den korrodierten Stäben um Ferren handelte.
„Leutnant!“, blaffte der Hauptmann, „Warum unterbrecht Ihr mich bei einem Verhör?“
„Ich hörte, dass sie wegen Verdacht auf Anwendung von Schwarzmagie gefangen genommen wurde, und dachte, sie könnte vielleicht meine Hilfe brauchen.“
„Was macht dich so sicher, dass sie keine Nekromantin ist?“
„Ich kenne sie, Blaek. Hab sie vor zwei Monaten zum ersten Mal am Strand getroffen“, log Ferren.
„So…“, murmelte der Hauptmann, „Trotzdem, so lange es keine Beweise gibt, bleibt sie hier. Es gibt mehrere Zeugen, die gesehen haben, wie sie einen Bürger Galors mit einer Flasche Schwarzsaft attackiert hat.“
„Dieser Bürger trug einen Tarnanzug und hat versucht, mich umzubringen, um an die Flasche zu kommen!“, maulte Ariona.
„Ruhe, Gefangene!“, bellte Blaek, „Schön, Ferren, du bist über den Fall informiert?“
„Ja.“
„Gut, wenn du deiner Freundin also helfen willst, dann such diesen Pegry! Wir brauchen seine Aussage.“
„Klar, mach ich“, gab der Leutnant zurück, worauf er sich bereits zum Gehen wandte.
„Halt nicht so schnell“, unterbrach der Hauptmann, „Du bist in dieser Sache befangen. Nimm also Raham mit. Der kann auf dich aufpassen.“
Ferren nickte, bevor er endgültig abzog.
Ariona blickte ihm mit müden, aber weit aufgerissenen Augen hinterher.
Im Hauptraum des Wachturms oberhalb des Kerkers traf Ferren auf Leutnant Raham, der die Statur einer Vogelscheuche besaß, zu der die schulterlangen, blonden Haare, welche schwarze Strähnen durchsetzten, jedoch vollkommen unpassend wirkten. Mit wenigen Worten besprachen sie, was nun zu tun war, bevor sie sich beide in Bewegung setzten.
Während sie auf dem Weg zu der Kellerwohnung waren, fragte Ferren sich, wieso er Ariona überhaupt half. Auch kam es ihm plötzlich enorm merkwürdig vor, dass er Blaek einfach so belogen hatte, dass er sich nun für jemanden einsetzte, den er erst seit einem Tag kannte. Er erinnerte sich daran, dass sein Handeln eher einem Instinkt entsprungen war. Es war nicht bewusst gewesen, viel mehr hatte er geradezu mechanisch reagiert, ohne dass sein eigener Wille überhaupt Spielraum gehabt hätte.
Mit einem leichten Zähneknirschen hob er seinen Blick auf den blauen Himmel und beschleunigte seine Schritte.
Die Uferstraße war lang.

Pegry hockte im Halbdunkeln des Kellers verborgen hinter dem Vorhang einer Schlafnische, von wo aus er durch ein kleines Loch im Stoff in den Hauptraum spähte. Dort stritten gerade zwei seiner Mitbewohner, die Zicke und der Choleriker, lauthals am Feuer, ohne zu wissen, dass er überhaupt anwesend war.
Dass Ariona seit über zwei Stunden nicht zurückgekehrt war, hatte ein ungutes Gefühl in ihm aufkommen lassen, dass ihn geradezu gezwungen hatte, sich in einer der Schlafnischen zu verstecken.
„Schwachsinn, Ilar!“, kreischte die Frau, „Ich habe den Ofen nicht über die Nacht angelassen.“
„Schnauze, Zoe!“, blaffte ihr Gegenüber, „So dumm ist hier doch sonst keiner.“
„Du kannst mich mal, Ilar!“
„Im Leben nicht! Ich sag dir was: Wenn der Ofen bei dieser Affenhitze noch einmal nachts an sein sollte, verfeuere ich deinen Arm, um mir mein nächstes Frühstück zu kochen!“
„Ich verfeuere gleich…“, begann Zoe, bevor laute Schritte auf der steinernen Treppe ertönten, deren Frequenz auf das Eintreffen mehrerer Personen schließen ließ. Pegry hielt den Atem an, während vier Männer den Keller betraten.
Als er ihren Vorsteher erkannte, wurde aus der bösen Vorahnung bittere Gewissheit. Der grobschlächtige, breitschultrige Rohling war zweifelsohne Ysil, dessen verfinsterter Gesichtsausdruck nichts Gutes verhieß.
Nachdem er sich kurz unter hektischen Kopfbewegungen umgesehen hatte, wandte er sich an die beiden Streithähne, die mit seinem Eintreffen völlig verstummt waren.
„Habt ihr Pegry gesehen?“
„Verpiss dich!“, blaffte Ilar, „Und geh jemand anderem auf die Nerven!“
„Du hast echt ein Problem, Ilar“, stichelte Zoe, bevor sie sich an Ysil wandte, „Pegry? Ne, den hab ich nicht gesehen. Komisch eigentlich, der ist doch sonst immer hier.“
„Das ist wahr“, brummte Ysil, dessen Blick mittlerweile auf seine Schlafnische gefallen war, aus der immer noch die verwüsteten Schubladen herausquollen.
„War einer von euch an meinen Sachen?“, fragte er mit dunkler Stimme.
„Ich pack deinen stinkenden Scheiß nicht an!“, Pegry musste nicht einmal hinsehen, um zu wissen, wer soeben gesprochen hatte.
„Ich garantiert auch nicht“, versicherte Zoe, „Vielleicht war’s Peg. Hat dir nicht getraut, oder so.“
„Ja, Peg, diese kleine Ratte“, zischte Ysil diabolisch, bevor er mit einem gewaltigen Satz auf Pegrys Schlafnische zustürmte und deren Vorhang zur Seite riss.
Doch die Nische war leer.
„Wo versteckt sich dieser Hund?“, murmelte er, wobei er sich erneut umsah, während seine drei Schergen sich den übrigen Schlafnischen näherten.
„Ich versteh ja, dass du sauer bist, wegen dem da“, Zoe deutete auf Ysils verwüstete Schlafnische, „Aber kein Grund hier so die Welle zu machen.“
„Ihr geht mir alle gewaltig auf die Nerven, nogronisches Gaunerpack! Ich hau ab“, zischte Ilar, bevor er sich zur Treppe begab, wobei Ysil ihm finster hinterher blickte.
„Durchsucht die restlichen Nischen, los!“, befahl er, worauf seine Untergebenen sofort gehorchten.
„Hey!“, protestierte Zoe, als einer der drei den Vorhang vor ihrem Bett beinah abriss, „Lasst mein Zeug in Ruhe!“
„Klappe halten!“, schnauzte Ysil.
Pegry hatte das Glück gehabt, sich in der Nische zu befinden, in der Ysils Lakaien noch nicht nachgesehen hatten. Glück konnte man es jedoch auf den zweiten Blick nicht mehr nennen, da sie nun gemeinsam auf sein Versteck zukamen, um ihn zu enttarnen.
Bevor sie den Vorhang jedoch erreicht hatten, sprang er selbst heraus, was zur Folge hatte, dass die drei Männer erst einmal stehen blieben.
„Da kommt die Ratte aus ihrem Loch“, lachte Ysil, der immer noch neben Zoe stand.
„Ah, Ysil“, fiepte Pegry leise, um anschließend die Lautstärke seiner Stimme zu vervierfachen: „Nekromant!“
„Was soll das, Peg?“, bellte sein Gegenüber, worauf er sich an Zoe wandte.
„Du musst mir glauben, glauben, ja. Er ist ein Nekromant, Hexer, dunkler! Da sieh in die Schublade! Unheiliges Werk da drin, ja“, er deutete auf eine der herausgerissenen Schubladen.
„Ysil…“, begann Zoe, die jedoch nicht weiter kam, da sich ein kräftiges Paar Hände um ihren zierlichen Hals geschlossen hatte und ihr Genick wie eine Scheibe Zwieback brach.
„Und nun zu dir…“, flüsterte Ysil mit einem breiten Grinsen auf den dicken Lippen, während Zoes lebloser Körper vor seinen Füßen zu Boden sank.
„Ich werde dir gar nichts sagen, nichts, nein!“, schrie Pegry, während er sich in eine Art Abwehrhaltung brachte. Ysil jedoch lachte nur höhnisch, worauf er seinen Lakaien mit einem Handwink befahl, Pegry zu packen. Das brachte den paranoiden Novizen jedoch dazu, vollkommen, die Kontrolle zu verlieren.
Ohne irgendein Ziel zu haben, feuerte er in atemberaubender Geschwindigkeit diverse Zauber in den Raum, welche in einem wahren Feuerwerk von Lichtstrahlen explodierten. Obwohl er gar nicht bewusst zielen konnte, wurden seine Feinde zunächst von der schieren Flut der Magie überwältigt. Einer der Schergen wurde gar gänzlich erledigt, da ihn zuerst ein Stoßzauber gegen die nächste Wand und anschließend ein Feuerball ins Jenseits befördert hatte. Die anderen kamen mit einigen Blessuren davon, was hauptsächlich daran lag, dass der magische Sturm nicht allzu lange anhielt, da Pegry bald zu erschöpft war, um weitere Zauber zu wirken.
Nachdem sich Ysil und seine zwei verbleibenden Begleiter wieder erholt hatte, wurde er an beiden Armen gepackt und wehrlos an die Wand gedrückt, wo Ysil sich vor ihm aufbäumte.
„So, das war ja ganz lustig“, knurrte er, der selbst eine Platzwunde auf der massigen Stirn hatte, „Aber jetzt wird es ernst.“
Auf diese Worte packten die beiden Lakaien fester und nur einen Augenblick später schmetterte Ysil seine Faust in die Magengegend des Novizen. Dieser wollte sich nach vorne beugen, doch die Hände seiner Peiniger hielten ihn in eisernem Griff. Sein ganzer Körper krümmte sich vor Schmerz und Galle stieg in seinen Rachen hinauf.
„Sag mir, wer weiß noch davon!“, blaffte Ysil.
„Wovon?“, ächzte Pegry.
Ein weiterer Schlag erschütterte seine Nierengegend, doch dieser schien seinem Peiniger nicht zu reichen, denn die Linke traf ihn ein zweites Mal in den Magen. Galle und Blut sprudelten in seinen Mund. Er versuchte, sich aus dem Griff zu reißen, aber seine Bemühungen waren fruchtlos.
„Nein, nein!“, fiepte er.
„Ich frage noch einmal“, Ysil klang geradezu gelassen, „Wer weiß noch davon?“
„Diese Novizin…Ariona“, heulte Pegry.
„Und sonst?“
„Niemand.“
Und erneut prügelten die massigen Fäuste auf ihn ein, brachen seine Rippen, ließen seine Organe zerreißen. Der Schmerz war unerträglich, aber er war nicht fähig sich einen Zentimeter zu rühren, nicht einmal Schreien konnte, da das Blut seine Kehle füllte.
Als Ysil seinen Schlaghagel beendet hatte, gab er seinen Lakaien mit einem Handwink, das Zeichen Pegry loszulassen, worauf dieser wie ein Sandsack auf den Boden klatschte. Der Thanatoiker beugte sich über ihn und zog den schlaffen Kopf des Gepeinigten an dessen Haaren zu seinem Gesicht heran.
„Sonst weiß also wirklich niemand davon?“
„Nei…Nein“, ächzte Pegry, während das Blut weiter aus seinem Mund sickerte.
„Schade“, lachte sein Peiniger, worauf er den Novizen mit einem Tritt auf den Rücken gänzlich zu Boden schmetterte.
„Na los!“, rief er seinen Schergen zu, „Zieht in wieder hoch!“
Und als man Pegry, der nicht einmal mehr selbstständig stehen konnte, wieder an die Wand gepresst hatte, lachte Ysil diabolisch und zischte: „So mal sehen, wie lange du durchhältst.“
„Nein…bitte, nein, ich…“, heulte der Novize, bevor er in einem Hagel aus Tritten und Schlägen erstickte, bis er letztlich nur noch ein matschiges, lebloses Stück Fleisch war.
„Lasst diesen Fleischsack und euren Kumpel verschwinden“, wies Ysil seine Untergebenen an, während er selbst mit einem genüsslichen Lächeln seine blutigen Fäuste betrachteten.
Ohne mit der Wimper zu zucken, zerlegte einer der Schergen die Leichen Pegrys und seines Kameraden mit einem Messer in ihre Einzelteile, die er anschließend im Ofen verfeuerte, während der andere das Blut mit einem Lappen aufwischte.
Als damit fertig waren, konnte man tatsächlich nicht mehr allzu viel von dem Unheil sehen, das dort geschehen war, sofern man von Zoes Leiche absah. Ysil wies seine Lakaien an, den Keller zu verlassen, sodass er alleine dort war, als Ferren und Raham eintrafen.
Diesen bot sich ein etwas verstörender Anblick. Eine zierliche Frau, die tot auf dem Boden lag, und ein grobschlächtiger Hüne, der mit einer Platzwunde am Kopf daneben saß. Obwohl Ysil keine Anstalten machte, sich ihnen zu nähern, sondern sie nur mit schmerzverzerrtem Gesicht anstarrte, zog zumindest Ferren sofort seine Klinge.
„Auf den Boden!“, blaffte er, worauf sein Gegenüber zunächst überrascht die Augenbrauen hoben, dann aber Folge leistete.
„Bist du Ysil?“
„Ja…ja“, keuchte dieser vom Boden, wobei er Anstalten machte, sich wieder zu erheben.
„Liegen bleiben!“, fauchte Ferren.
„Ich weiß nicht. Ist das wirklich nötig?“, wandte Raham ein.
„Solange nicht geklärt ist, was hier vorgefallen ist, ist das allerdings nötig!“, entgegnete sein Kamerad, bevor sich dieser an den Hünen wandte, „Also, was weißt du über den Tod dieser Frau?“
„Pegry hat sie umgebracht. Dieser Wahnsinnige“, rief Ysil, „Zoe, so heißt sie, hat seinen Schrank durchsucht und dabei diese Schlange gefunden“, er deutete auf die Schubladen, die aus seinem eigenen Schrank gerissen worden waren, worauf Ferren Raham anwies, nachzusehen.
„Verdammt“, keuchte dieser, „Das ist eine untote Natter.“
„Ja, wirklich pervers“, kommentierte der Hüne.
„Aber diese Schlange wird sie wohl kaum umgebracht haben“, erwiderte Ferren, der die Spitze seines Schwertes beständig auf den Nacken seines Gegenübers hielt.
„Nein, natürlich nicht“, gab der Befragte zurück, „Pegry kam plötzlich rein und hat sie…hat uns erwischt. Der kannte keine Gnade. Hat ihr einen Stoßzauber direkt ins Gesicht geknallt. Ich habe noch nie gesehen, dass man einen Hals so verdrehen kann. Sie muss sofort tot gewesen sein. Mir hat er auch einen verpasst, aber ich bin, Iurion sei Dank, mit dieser Wunde davon gekommen. Ich war ohnmächtig. Der Kerl hat wahrscheinlich gedacht, ich sei auch tot. Wenn nicht, hätte er mich sicher erledigt. Der ist eiskalt.“
„Klingt nach einem fanatischen Todesanbeter, wenn du mich fragst“, wandte Raham ein, „Mit einem normalen Stoßzauber kann man kein Genick brechen. Das muss Schwarze Magie gewesen sein.“
„Möglich“, murmelte Ferren, bevor er sich wieder an Ysil wandte, „Eine Novizin namens Ariona gab an, dies sei dein Schrank und Pegry und sie hätten die Schlange darin gefunden. Was sagst du dazu?“
„Ich…Ariona?“, stotterte der Rohling, „Die ist doch genauso gefährlich, wie Pegry. Würde mich nicht wundern, wenn sie mit dem gemeinsame Sache macht. Die hängen meistens zusammen rum. Ich habe mal gesehen, wie ihr ein anderer Novize quer kam. Sie hat ihm direkt einen Feuerball auf den Hals gesetzt. Das könnt Ihr mir glauben!“
„Du willst also behaupten, Ariona sei auch eine Nekromantin?“
„Nun ja, ich kann’s nicht mit Sicherheit sagen, aber sie‘s eine verdammt gute Magierin. Und Ihr wisst ja, was man sagt: Je mächtiger der Zauberer, umso größer die Versuchung, nach der Schwarzen Macht zu greifen.“
„Ich habe mit ihr gesprochen, sie kam mir nicht wie jemand vor, dessen Geist und Körper von der Schwarzen Verderbnis belastet ist.“
„Ich sagte ja, dass sie gut ist. Sie sieht harmlos aus, ist nett. Der perfekte Schwarzmagier.“
„Recht hat er“, merkte Raham an, „Ich würde ein blondes Mädchen auch nicht für eine Hexe halten. Da wir sie allerdings mit einer Flasche Schwarzsaft erwischt haben, spricht doch alles für die Aussage dieses Mannes hier.“
„Schwarzsaft!“, rief Ysil, „Ich hab’s doch gewusst!“
„Nicht so schnell“, winkte Ferren ab, „Hast du eine Ahnung, wo Pegry jetzt sein könnte?“
„Na ja, weg auf jeden Fall“, antwortete Ysil, „Ich würde ja ins ledrianische oder serpendrianische Viertel gehen, wenn ich hier was verbrochen hätte. Oder in den Hafen.“
„In den Hafen kommt zurzeit niemand“, entgegnete Ferren, „Wir nehmen dich trotzdem mit auf die Wache, bis die Unstimmigkeiten geklärt sind.“
„Was? Aber ich habe doch gar nichts getan“, keuchte Ysil.
„Nennt uns einfach die Namen Eurer restlichen Mitbewohner“, sagte Raham ruhig, „Wir können dann ihre Aussagen aufnehmen und die Missverständnisse möglichst schnell aus der Welt schaffen.“
„Schön“, knurrte Ysil, „Ein gewisser Novize Ilar und ein Kerl namens Umbro.“
„Wo finden wir die?“, wollte Ferren wissen.
„Keine Ahnung. Umbro, den alten Schmuggler, wahrscheinlich überall, wo man verbotene Waren kaufen kann. Ilars Flüche hört man ohnehin durch die ganze Stadt.“
„Gut“, murmelte Ferren, der sich anschließend an seinen Kamerad wandte, „Du bringst den Kerl hier zu Blaek und ich warte hier, bis Ilar und Umbro zurückkommen.“
„Wie du willst. Aber Blaek wird nicht erfreut sein. Er meinte, ich soll dich nicht aus den Augen lassen.“
„Scheiß drauf!“

Was Raham widerfuhr, als er Ysil bei Blaek ablieferte, hatte er im Grunde bereits erwartet. Nachdem Blaek ihn angeschnauzt hatte, warum er denn jemanden aufgrund derart schwacher Beweislage direkt verhafte, durfte er den Gefangenen auch schon wieder freilassen.
Ziemlich genervt trat er den Rückweg an und seine Laune besserte sich kaum, als er Ferren von den Ereignissen berichtete, der ohnehin schon gereizt war, da bisher weder Ilar noch Umbro im Keller aufgetaucht waren.
„Also schön“, fluchte Ferren schließlich, „Du bleibst hier und wartest und ich hänge mich an die Spur von diesem Ysil.“
„Aber Hauptmann Blaek sagte…“, begann Raham, bevor er lautstark unterbrochen wurde:
„Blaek ist heute Morgen mit dem falschen Fuß aufgestanden! Dieser Ysil steckt da mit drin, das weiß ich.“
„Ferren“, sagte Raham ruhig, „meinst du nicht, du steigerst dich da in etwas rein? Du denkst doch gar nicht daran, dass diese Ariona eine Nekromantin sein könnte, oder?“
„Sie ist keine Nekromantin!“, blaffte der Leutnant.
„Schön…ich will ja gar nicht wissen, was da zwischen euch gelaufen ist, aber ich finde, dass Blaek schon Recht hatte: Du bist befangen.“
„Ich wette, dass ist er auch! Ich werde jetzt diesen Ysil finden und ihn mir noch mal richtig vorknöpfen“, zischte Ferren, bevor er aus dem Keller stürmte.
„Was war das denn schon wieder?“, murmelte Raham, während er sich auf einer kniehohen Steinmauer neben dem Ofen niederließ und ein arg mitgenommenes Buch über ledrianische Rittersagen aus seinem ledernen Ranzen zog.

Kapitel 3: Blut und Bier

44. Grünwalden. 52 n.V.
Ferren hastete schon beinahe zehn Minuten durch irgendwelche Straßen,  als er schließlich außer Atem mitten in einer unbelebten Gasse an einem kleinen, sandsteinernen Brunnen anhielt, um seinen Durst zu stillen.
„Wie bin ich hier hin gekommen?“, fragte er sich, während er sein verschwommenes Spiegelbild im Wasser des Brunnens betrachtete, „Wo will ich eigentlich hin? Oh verdammt, sollte Raham am Ende doch Recht haben? Was tue ich hier eigentlich? Helfe jemandem, der vielleicht schuldig ist, tue alles um ihr zu helfen“, plötzlich sah im klaren Wasser nicht mehr seine verzerrte Fratze, sondern Arionas bernsteinfarbene Augen, scharf und tief, „Nein, sie ist unschuldig. Ich glaube; ich weiß, dass sie es ist. Was mache ich also? Ysil finden? Einen Mann, der sicher nicht gefunden werden will, in dieser Stadt, unmöglich. Ich muss, ich muss die anderen finden. Wenn er wirklich der Nekromant ist, wird er versuchen, sie an ihren Aussagen zu hindern, sie vielleicht sogar umbringen. Ich muss sie finden! Umbro…Schmuggler…Unterstadt.“
Mit diesen Gedanken riss er das delionische Wappen vom Kragen seines Hemds, den er damit ziemlich verunstaltete, schleuderte es in das Wasser des Brunnens, sprang auf und eilte los durch die vielen Gassen, bis er schließlich einen kleinen Park im delionischen Viertel erreichte, der fast an das iskatische grenzte. Auf der Ostseite befand sich ein mehrstöckiges Gebäude mit bröckliger Fassade, vor dessen Eingang eine zerlumpte Markise aufgespannt war. Oberhalb davon verkündete ein hölzernes Schild: "Blut und Bier". Zwar stand die dunkle, hölzerne Tür offen, sodass man in das dahinterliegende Halbdunkel blicken konnte, doch hielt davor ein raubeiniger Mann Wache, der aufgrund seiner Kleidung wie ein Pirat auf dem Trockenen wirkte.
Als Ferren sich ihm näherte, fuhr er aus seinem Korksessel hoch und nahm ihn aus dem einen Auge, das er noch hatte, ins Visier.
„Halt, Junge!“, knurrte er, als der Leutnant den schattigen Bereich unter der Markise erreicht hatte, „Was willst du im Blut und Bier?"
„Verkaufen“, entgegnete Ferren schroff.
„So“, murmelte der Alte, nachdem er sein Gegenüber erneut gemustert hatte, „Was denn?“
„Das hier“, gab der Leutnant zurück und zog kurz sein Kurzschwert aus der ledernen Scheide an seinem Gürtel.
„Ah, tjo, die Preise für Waffen sind gut…sagt man. Aber ich hab so das Gefühl, dich schon mal bei der Stadtwache gesehen zu haben, Jungchen. War da vielleicht mal ein Wappen auf deinem Kragen, das du, sagen wir mal, abgerissen hast, bevor du her kamst?“
„Ich nicht. Das haben die mir abgerissen. Bin suspendiert. Hab ‘nem Schmuggler geholfen“, log Ferren.
„Wieso hilft ein Soldat ‘nem Schmuggler?“
„Die Bezahlung hat gestimmt.“
„Verstehe“, lachte der Alte, „Nun, für einen ehemaligen Wachmann haben wir hier Verwendung. Informationen werden gut gehandelt, weißt du. Immer rein in die gute Stube.“
„Äh ja, danke“, stotterte Ferren etwas überrascht, bevor er das "Blut und Bier" betrat.
In dem Laden war es angenehm kühl und unangenehm dunkel, sodass man kaum erkennen konnte, wer dort in tiefen Sesseln an den runden Korbtischen saß, die durch halbdurchsichtige Wände aus Bastgeflecht voneinander getrennt waren. Dem Geräuschpegel zufolge war das Lokal trotz der vergleichsweise frühen Stunde gut besucht. Überall vernahm Ferren das Klirren von Bierkrügen oder Rumgläsern beim Zuprosten, polierte Dolche blitzten im Halbdunkeln, Zahlen und Trinksprüche hallten durch den Raum, sinistere Stimmen handelten mit dem Tod.
Ferren bahnte sich seinen Weg durch das Labyrinth der Bastwände bis zur Bar, die, von zwei Pechfackeln erleuchtet, der hellste Ort des Lokals war, allerdings nicht so hell, als dass man die Getränke hätte erkennen können, welche die hübsche, junge, rothaarige Barfrau ausschenkte.
„Pia!“, grunzte ein schmierig wirkender, einarmiger Kerl, „Das hier ist kein Rum sondern irgendein skatrisches Mistzeug!“
„Ich fürchte, das interessiert weder mich noch dich“, entgegnete die Bardame, bevor sie einem weiteren Gast sein Getränk überreichte und sich dann Ferren zuwandte, „Neu hier?“
Er nickte.
„Was darf’s sein?“, fragte sie.
„Ich suche einen gewissen Umbro.“
„Hier gibt’s nur Getränke“, erwiderte Pia.
„Gut, dann nehme ich ein Bier“, gab der Leutnant in der Hoffnung, danach mehr zu erfahren, zurück. Sekunden später wurde ein Zinnbecher mit einer undefinierbaren, braunen Brühe direkt vor seiner Nase auf den Tresen geknallt.
„Lasst mich raten: Die Leute kommen nicht zum Trinken her?“, grummelte er.
„Was soll das denn schon wieder heißen?“, zischte Pia.
„Ha, der Junge hat verdammt Recht!“, stimmte der Einarmige zu, „Die Stadtwache hat diesen Laden doch nur noch nicht auseinander genommen, weil das Gesöff hier selbst zum Konfiszieren zu schal ist.“
„Schnauze, Yarbart!“, blaffte die Bardame.
„Du suchst also Umbro?“, erkundigte sich der Einarmige bei Ferren.
„Korrekt“, gab dieser zurück.
„Komisch, bist schon der zweite, der heute nach ihm fragt. Der andere war so ein Muskelbrocken. Ekliger Typ.“
„Ich fand ihn heiß“, kommentierte Pia.
„Du findest auch, dass das hier“, Yarbart hielt sein Rumglas in den Schein der Fackel, um dessen grünlichen Inhalt zu offenbaren, „was zu trinken ist“, er machte eine kurze Pause, bevor er sich wieder Ferren zuwandte, „Umbro ist normalerweise unten im Keller. Gleich da vorne die Treppe runter.“
„Danke“, verabschiedete sich der Leutnant, um anschließend der Wegbeschreibung Yarbarts zu folgen.
Der Keller war im Vergleich zum Schankraum, durchaus gut beleuchtet, zumindest, wenn man von den Sitznischen im Randbereich absah, die sich um einen zentralen Kampfring gruppierten, der im Wesentlichen aus einer von Holzbarrikaden eingeschlossenen Sandfläche bestand. Eine mit Kreide beschriebene Schiefertafel am Eingang verkündete den Zeitpunkt der nächsten Faust-, Hunde- und Hahnenkämpfe.
Während ein schmächtiger, blonder Bursche die Überreste des letzten Hahnenkampfes mit einer Kelle aus der Arena entfernte, wurde in den Sitznischen angeregt getuschelt. Aus den wenigen Wortfetzen, die er verstand, schloss Ferren, dass es hauptsächlich um den Handel mit verbotenen Waren ging.
Neben dem Eingang saß an einem hölzernen Tisch ein fettleibiger Mann, der mit einem bekritzelten Pergamentstück, einem Geldbeutel und einem Abakus hantierte.
„Entschuldigt“, sagte Ferren, „Ich suche einen Kerl namens Umbro.“
„Nische drei, linke Seite“, brummte der Mann, bevor er sich wieder dem Rechenschieber widmete.
„Ach“, rief er dem Leutnant hinterher, „Wenn Ihr ihn findet, sagt ihm, er soll seinen Gewinn abholen. Sonst behalte ich ihn.“
„Geht klar“, gab er zurück, bevor er weiter ging.
In Nische drei lag der dunkelhäutige Umbro sehr lässig in seinem Korbsessel, etwas zu lässig, um noch am Leben zu sein, wie Ferren sehr bald feststellen musste. Auf dem Tisch vor im qualmten einige Stummel von Dunkelkrautzigaretten direkt neben zwei leeren Rumgläsern. Der Tote wies jedoch keinerlei Verletzungen auf, was Ferren stutzig machte, da er Ysil, sollte dieser wirklich dafür verantwortlich sein, nicht für jemanden hielt, der derart subtil mordete.
Nachdem er ihn kurz betrachtet hatte, wandte Ferren sich wieder ab und kehrte zu dem Mann mit dem Abakus zurück.
„Sagt, wer serviert hier unten die Getränke.“
„Pia kommt normalerweise vor und nach jedem Kampf einmal hier vorbei. Ansonsten bringen sich die Leute ihren Schnaps selbst von oben mit“, erklärte sein Gegenüber.
„Danke“, gab Ferren zurück und wandte sich erneut zum Gehen.
„Hey, was ist jetzt mit Umbro? Holt der seinen Gewinn noch ab?“
„Nein, der ist tot.“
„Was? Genial! Und wieder ein paar Taler mehr in der Tasche!“, jauchzte der Mann, bevor er dem blonden Burschen im Ring etwas zurief, das sich sehr nach „Philipp, Leiche in Nische drei“ anhörte und Routine nicht vermissen ließ. Zwar schmerzte es Ferren, mögliche Spuren zurückzulassen, doch wollte er in diesem Lokal nicht allzu gerne als Angehöriger der Stadtwache auffallen.
So kehrte er an den Tresen im Erdgeschoss zurück, wo sich Yarbart immer noch mit Pia stritt.
„Und, habt Ihr Umbro gefunden?“, erkundigte sich ersterer.
„Ja, er war allerdings tot“, gab er zurück.
„Das wundert mich nicht“, lachte sein Gegenüber hämisch, „Der hat wahrscheinlich auch seinen Rum bei unserer bezaubernden Pia bestellt.“
„Quatsch nicht!“, schnauzte die Bardame, „Umbro kann sich den Rum gar nicht leisten. Der haut sein ganzes Geld für Hundewetten raus.“
„Das heißt, Ihr habt ihm nichts serviert?“, wollte Ferren wissen.
„Nein. Hab ich nicht“, zischelte Pia.
„Und dieser…gutaussehende Kerl, von dem Yarbart eben sprach, hat der was bestellt?“
„Was geht dich das eigentlich an, hä?“, blaffte sie.
„Klar hat er“, mischte sich Yarbart ein, „Zwei Rum. Pia ließ einen aufs Haus gehen. Hätte ich auch gerne mal.“
„Vergiss es, Yarbart!“
„Immer schön höflich bleiben, Madam“, lachte der Einarmige, der sich anschließend wieder zu Ferren drehte, „Umbro war ein Freund, was?“
„Ja, ja das war er.“
„Hm, Pia, sagte dieser Kerl dir nicht, du könntest, wenn du Feierabend hast, gerne mal bei ihm vorbei schauen?“
„Hat er nicht!“
„Oh doch, das hat er. Maurergasse Fünfunddreißig, delionisches Viertel, wenn ich mich recht erinnere. Er wollte gegen Abend da sein“, murmelte Yarbart, während Ferren zur Kenntnis nahm, dass es sich dabei keinesfalls um die Adresse des Wohnkellers handelte, in dem Ariona, Pegry und die anderen hausten.
„Danke, du hast was gut bei mir“, gab er zurück, wobei er Yarbart auf die Schulter klopfte.
„Nichts zu danken. Aber komm bloß nicht auf die Idee, mir hier ‘nen Rum auszugeben.“
„Keine Sorge, hab ich nicht vor“, lachte der Leutnant.
„Ihr Volltrottel habt mir gerade den Abend versaut!“, kreischte Pia.
„Ich hab dich nur davor bewahrt, mit ‘nem Mörder in die Kiste zu steigen“, rechtfertigte sich Yarbart.
„Schwachkopf!“
„Ich gehe dann mal“, sagte Ferren leise, bevor er die beiden Streithähne allein zurückließ.
Da es noch nicht Abend, sondern erst später Nachmittag war, machte er sich zunächst auf den Weg zu Raham, der, wie er vermutete, immer noch im Wohnkeller wartete.

Ariona saß derweil wieder in der Verhörzelle der delionischen Wache. Zwar hatte man sie kurzzeitig in eine andere Zelle verlegt, wo sie sich einige Zeit lang hatte ausruhen können, doch war sie vor wenigen Minuten wieder in diese zurückgeschleift worden. Nun saß sie, mit stählernen Schellen fixiert, in einem massiven Holzstuhl und wartete wenig sehnsüchtig darauf, dass ihr Befrager eintraf.
Dies geschah wenig später, als Blaek gefolgt von einem Novizen der Wache die Zelle betrat, was Ariona nicht weiter wunderte, da der Hauptmann, nun da sie wieder halbwegs bei Kräften war, sicherlich ihre magischen Fähigkeiten fürchtete.
„Novizin Ariona“, sagte er mit einem hämischen Lächeln, während er ihr gegenüber an dem kleinen, zerfurchten und obendrein noch morschen Holztisch Platz nahm, wohingegen sich sein Begleiter in einer Ecke nahe des Eingangs aufhielt.
„Gibt es irgendetwas Neues, oder wollt Ihr Euch zum achten Mal meine Geschichte anhören?“, fragte sie.
„Auf Eure Lügen kann ich verzichten“, entgegnete Blaek, „Im Ãœbrigen gibt es etwas Neues.“
„Ihr habt also Pegry befragt?“
„Nein“, lachte ihr Gegenüber, „Euer Freund Pegry hat diesen Kerl, den ihr verdächtigt habt, wie hieß er noch gleich…Ysil genau. Jedenfalls hat Euer Freund ihn angegriffen und eine Zimmergenossin, eine gewisse Zoe, umgebracht und ist danach geflohen.“
„Pegry? Das ist doch Schwachsinn!“, donnerte Ariona.
„Das glaube ich kaum. In seinem Schrank fanden wir eine untote Natter. Euer Freund war eindeutig ein Nekromant. Genau wie Ihr es seid, nicht wahr?“
„Das ist doch…das war nicht Pegrys sondern Ysils Schrank!“, schrie die Novizin.
„Ja, natürlich. Wisst Ihr, wir haben einige Leute befragt und alle sagten, Pegry habe sich hauptsächlich in seinem Keller aufgehalten. Wahrscheinlich, um an seinen schwarzmagischen Experimenten zu arbeiten.“
„Quatsch! Pegry war paranoid. Er glaubte, die Stadt könne jeden Augenblick angegriffen werden. Deshalb hat er sich in dem Keller versteckt.“     
„Wirklich eine rührende Geschichte“, sagte Blaek, dem die Falschheit seines Mitleids ins Gesicht geschrieben stand.
„Aber Ysil glaubt Ihr? Was für ein Spiel wird hier eigentlich gespielt? Fragt doch einfach Ilar oder Umbro. Die werden Euch versichern, dass es sich bei dem Schrank, in dem die Schlange war, um Ysils handelt“, fluchte sie.
„Ysil behauptete genau das Gegenteil.“
„Dann sucht die beiden doch und fragt sie!“, blaffte Ariona.
„Nun, leider sind all unsere Truppen mit der Suche nach dem Flüchtigen Pegry beschäftigt. Er gilt als äußerst gefährlich.“
„Der würde keiner Fliege was zu Leide tun!“
Der Hauptmann lächelte erneut.
„Nun, Novizin, es wäre an der Zeit zu gestehen. Damit könntet Ihr Euch einige Strapazen ersparen.“
„Gestehen? Das soll wohl ein Witz sein!“, zischte sie.
„Wenn da so ist“, murmelte Blaek, wobei er grinste, aufstand und seine Hand zu einer Faust ballte.
„Moment mal, was soll das…weg von mir!“, kreischte Ariona, während er sich ihr weiter näherte.
Bevor er sie erreichte, wirkte sie jedoch einen Stoßzauber auf ihn, den der Novize im Hintergrund allerdings schon erwartet hatte, weshalb es ihm gelang, Blaek mit einem Schild aus blassviolettem Licht zu schützen, der ihren Zauber absorbierte.
„Angriff auf einen Hauptmann der Wache. Ihr macht Euch wahrlich nicht gut“, spottete Blaek, während der Schild um ihn langsam verblasste. Dann schlug er zu. Direkt ins Gesicht und so hart, dass Arionas Hinterkopf gegen die Stuhllehne knallte. Heiß fühlte sie das Blut ihren Nacken hinab fließen.
„Ihr verdammter Bastard!“, heulte sie.
„Beleidigung eines vereidigten Dieners Delions“, lachte er und schmetterte seine Faust in ihren Magen, wobei ihn der Novize mit belustigtem Gesichtsausdruck beobachtete.
„Seht: Ihr müsst nur gestehen und alles ist vorbei“, sagte er, nachdem sie sich halbwegs gefangen hatte.
„Leck mich!“, blaffte sie, was ihr einen Schlag in die Nierengegend einbrachte. Dieser war derart hart, dass ihr kurzzeitig schwarz vor Augen wurde. Mit Tränen auf den Lidern rappelte sie an den stählernen Schellen, die sich jedoch keinen Zentimeter bewegten, was dem Novizen ein erneutes Lachen abverlangte.
„Es gibt keinen Weg hier raus“, kommentierte Blaek, „Und wir fangen gerade erst an.“
„Na mach doch!“, forderte sie ihn auf, worauf er zu einem weiteren Schlag ausholte. Diesmal konterte sie jedoch und feuerte ihm einen Schnittzauber direkt in den Oberschenkel, auf den der Novize nicht gewesen vorbereitet war. Der Hauptmann heulte laut auf, Blut spritzte über ihre Robe und sein Schlag verfehlte. Seiner Standkraft beraubt kippte er seitwärts auf den Tisch, den Ariona jedoch mit einem Zauber wegstieß, sodass er vor ihr auf den Boden klatschte, wo sie ihm genau ins Gesicht trat.
Endlich griff der Novize ein, indem er den Stuhl mit samt Ariona umwarf, sodass sie auf dem Rücken lag und vom sonstigen Geschehen nichts mehr mitbekam.
„Diese Schlampe!“, schrie Blaek, „Na warte, dir zeig ich’s!“
Mit diesen Worten beugte er sich über sie und schmetterte seine Faust in ihr Gesicht. Einmal, zweimal, dreimal. Sie fühlte, wie ihre Nase brach, ihre Lippen aufplatzten und Blut über ihr ganzes Gesicht rann.
Dann prügelte er auf ihren Unterleib ein, bis sie sich übergeben musste, doch da ihr Kopf am Stuhl fixiert war, floss alles in ihre Luftröhre zurück. Hustend rang sie nach Atem, doch es gab keine Erlösung und Blaek trieb seine Faust erneut in ihren Bauch, bis der Novize plötzlich rief:
„Sir, sie erstickt. Tot nützt sie uns nichts!“
„Schön!“, brüllte der Hauptmann, wobei er ihr noch einen letzten, heftigen Schlag in die Rippen versetzte.
Dann richtete er den Stuhl wieder auf und löste die Scharniere an Hals sowie Handgelenken, um sie anschließend vorwärts auf den kalten Steinboden zu schleudern, wo sie, sich krümmend, das Erbrochene aushustete.
„Erbärmlich“, zischte er, bevor er an ihr vorbei aus der Zelle heraus humpelte.
„Bring sie in ihre Zelle zurück!“, befahl er dem Novizen noch.

Als Ferren den Wohnkeller betrat fand er Raham immer noch auf der steinernen Mauer sitzend vor, wo er sich mit schmerzverzerrtem Gesicht den Kopf rieb.
„Was ist denn mit dir passiert?“, fragte Ferren.
„Dieser Ilar ist hier aufgetaucht“, murmelte sein Gegenüber.
„Ja, und?“
„Er war zuerst sogar noch ganz kooperativ. Etwas unhöflich vielleicht. Er gab an, dass diese Nische mit der toten Natter Ysils sei und er hat mir seine Version der Geschichte um Pegry erzählt.“
„Immer raus damit!“
„Also laut ihm kam Ysil mit drei anderen Typen hier an, als er sich gerade mit Zoe gestritten hat. Ysil suchte wohl Pegry, der aber laut Ilar nicht da war, was merkwürdig war, weil der wohl so gut wie nie den Keller verlässt. Ysil muss wohl ziemlich sauer gewesen sein, weil jemand seine Schlafnische durchwühlt hat. Er muss wohl drauf gekommen sein, dass es Pegry war und hat den drei Kerlen befohlen, den Keller nach ihm zu durchsuchen. Ilar ist dann wohl abgehauen“, berichtete Raham.
„Und was ist mit deinem Kopf passiert?“, erkundigte sich Ferren.
„Nun, als ich Ilar dann sagte, er solle mich wegen seiner Aussage mit auf die Wache begleiten, sagte er mir, meine Mutter gehe dem ältesten Gewerbe der Welt nach, verpasste mir einen Stoßzauber und verschwand.“
„Komische Leute“, kommentiere Ferren.
„Da sagst du was“, stimmte sein Kamerad zu, wobei er sich erneut den Hinterkopf rieb.
„Aber immerhin wissen wir jetzt, dass die Schlange Ysils Werk war.“
„Ganz ehrlich“, entgegnete Raham, „Diesem Ilar würde ich auch nicht trauen. Außerdem ist er abgehauen. Hast du noch irgendwas herausgefunden?“
„Ich habe Umbro gefunden. Dummerweise wurde er ermordet. Alles deutet auf Ysil hin.“
„Deutet wirklich alles auf Ysil hin, oder willst du nur, dass alles auf ihn hindeutet?“
„Ich bin objektiv!“, zischte Ferren.
„Wie du meinst.“
„Am besten gehst du zur Wache zurück und erstattest Blaek Bericht“, schlug der Leutnant vor, „Ich gehe noch einer Spur nach.“
„Schön“, murrte Raham, „Aber sag mir wenigstens, wohin du gehst.“
„Maurergasse Fünfunddreißig.“

Das gesuchte Haus in der engen Gasse war, wie alle nebenstehenden Gebäude auch, dreistöckig und besaß ein Flachdach sowie die überall gleiche sandfarbene Fassade. Zwei steinerne Blumenkübel, aus denen irgendein verdorrtes Gestrüpp sprießte, das wohl schon lange kein Wasser mehr gesehen hatte, flankierten die dunkle, massivhölzerne Eingangstür.
Ferren blieb kurz davor stehen und überlegte, was er, ausgehend von seinen Hypothesen, über den Kreis der Nekromanten wusste.
Da war zunächst die Tatsache, dass der sich dem Ende zuneigende Tag allzu schlecht für die Thanatoiker verlaufen war. Faktisch waren sie nicht nur in Gefahr gelaufen, enttarnt zu werden, sondern hatten beim Versuch, ihr Auffliegen zu verhindern, mehrere Leute und sogar einen Tarnanzug verloren.
Als er sich dessen bewusst wurde, trat er an die Tür heran, griff mit Mittel- und Zeigefinger der rechten Hand in die vertrocknete Erde der Blumenkübel und begann, sich damit das Sanduhrsymbol auf den Unterarm zu malen.
„Ich werde morgen eher zum Hauptmann befördert, als dass das hält“, murmelte er mit einem Blick auf sein wenig beeindruckendes Werk.
Dennoch klopfte er einen Augenblick später mehrere Male kräftig gegen die Tür.
Von Innen ertönte das Fluchen einer hohen Stimme:
„Wenn das wieder eine von Ysils Nutten ist, dann schlitz ich ihr die Kehle auf und diesem Hurenbock danach auch!“
Sekunden später wurde die Tür geöffnet und Ferren hatte den alten, hageren Mann dahinter kaum erblicken können, als dieser bereits blaffte:
„Verpiss dich, du Hure, dein Adonis ist nicht hier…oh, Verzeihung.“
„Ähm…keine Ursache“, gab der Leutnant nicht weniger erstaunt zurück, während sein Blick von der überdimensionalen Hakennase seines Gegenüber gebannt wurde.
„Entschuldigt, ich hatte jemand anderes erwartet“, sagte der Alte, der plötzlich in einer unverschämt höflichen Stimmlage sprach.
„Offensichtlich“, lachte Ferren.
„Würdet Ihr, mein Herr, mir mitteilen, was Ihr hier wollt?“
„Ich bin der Neue“, antwortete er, während er zugleich seinen Unterarm mit dem ärmlichen Sanduhrsymbol entblößte.
„Der Neue?“, sein Gegenüber stutzte.
„Ja, Ysil hat mich geschickt. Es gab heute eine Menge Chaos. Er dachte wohl, ihr könntet Unterstützung brauchen“, erklärte Ferren, wobei er in hoher Frequenz mit seinen Fingern gegen seinen Oberschenkel tippte.
„Wenn Ysil Euch geschickt hat, dann hat er Euch doch sicherlich auch meinen Namen verraten.“
„Namen?“
„Ja, wie ich heiße, verdammt!“, knurrte der Alte.
„Warum kann er mir nicht einfach glauben?“, dachte der Leutnant, bevor er die Mundwinkel zu einem übellaunigen Lächeln verzog, blitzschnell den Kopf seines Gegenübers packte und diesen derart hart gegen den Türrahmen schlug, dass der alte Mann sofort ohnmächtig wurde.
„Was tue ich hier eigentlich?“, fragte er sich, während sein Körper damit beschäftigt war, den Ohnmächtigen aus dem Eingang zu räumen, einzutreten und die Tür hinter sich zu schließen. Vor ihm lag ein langer, schmaler Flur, der mit dunklen Holzbohlen ausgelegt war und in den sich kaum ein Licht verirrte. Die wenigen Sonnenstrahlen, die dennoch einfielen, beleuchteten etliche Staubkörner, die wie ein Schwarm träger Insekten langsam durch die Luft taumelten. Nur schwerlich konnte er erkennen, dass es zwei gegenüberliegende Ausgänge gab, während der Flur selbst in einen Raum mündete, den er nicht einsehen konnte.
Langsam ging er vorwärts, bis zu der Stelle, an der die beiden Ausgänge lagen. Davor hielt er ein, da er fürchtete, entdeckt zu werden.
„Sevagus“, rief plötzlich jemand aus dem linken Eingang, „Wer war das?“
Ferren stockte, unwissend, was er nun tun sollte. Seine Kehle war trocken, sein Geist geradezu leer.
„Wie konnte ich mich nur in diese Situation begeben?“
„Sevagus?“, die Stimme ertönte erneut, besaß jedoch einen bedrohlichen, geradezu unheilvollen Tonfall, der ihn dazu zwang, seine Gedanken schneller zu ordnen.
„Irgendwas muss es doch geben…irgendwas…“, rann es durch seinen Kopf, bevor ihm schließlich ein jäher Einfall erfasste wie eine Sturmflut.
„Ja...ja, eine von Ysils Nutten, wie ich sagte. Hab sie rausgeworfen“, gab er zurück, wobei er versuchte, die Stimme des Alten, so gut wie möglich, zu imitieren.
„Ah, gut. Putz dir mal die Ohren!“, blaffte sein verborgener Gesprächspartner, bevor er seine Stimme senkte, um sich mit einer anderen Person zu unterhalten, wobei er allerdings immer noch gut hörbar war.
„Ysil soll gar nicht erst wieder kommen. Dieser elende Versager ist doch erst Schuld an der Scheiße, die hier heute abgelaufen ist“, die spöttischen Worte drangen mit leichtem Widerhall in den verstaubten Flur.
„Wohl wahr“, gab der Gesprächspartner zurück, welcher die raue Stimme eines Hedonisten besaß, der Tabak und Alkohol bevorzugte.
„Kelrayass wird uns umbringen, wenn er davon erfährt.“
„Nein.“
„Klar.“
„Er wird uns erst foltern und dann umbringen und danach macht er uns wahrscheinlich zu seinen untoten Lakaien.“
„Scheiße!“
„Genau.“
„Ich weiß echt nicht, warum ich bei diesem Dreck hier mitgemacht hab.“
„Hoffnung wahrscheinlich. Hattest Angst vor dem Tod, wie jeder hier.“
„Kelrayass versprach uns einen Ausweg, aber ich meine, hast du Calderons Leiche gesehen? Der Schwarzsaft hat fast nichts von ihm übergelassen und der Tarnanzug hat ihm kein bisschen geholfen. Mit diesen Kräften will ich gar nichts zu tun haben.“
„Hast du aber schon.“
„Ja, Scheiße, Mann! Und raus kommt man da auch nicht. Wenn wir auffliegen, erledigt uns die Stadtwache, und wenn wir versagen, macht Kelrayass uns kalt.“
„Aber wenn wir es schaffen, kommen wir hier lebend raus und werden belohnt.“
„Daran glaubst du wirklich?“
„Klar.“
„Ich wünschte, ich könnte das. Ich wünschte, ich hätte keine Zweifel.“
„Dunkelkraut?“
„Hä, was?“
„Ob du eine von den Zigaretten willst.“
„Von dem Dunkelkrautzeug? Das benebelt doch total.“
„Eben.“
„Ach das ist doch…ja, immer her damit!“
Das kurze Zischen von Flammen ertönte und es dauerte kaum eine halbe Minute, bis der ganze Flur von dem beißenden Qualm des Halluzinogens erfüllt wurde.
Eine weitere Minute später war Ferren sich sicher, dass er gefahrlos an den beiden Rauchenden vorbeischleichen konnte. Er warf einen kurzen Blick in den mittlerweile ziemlich verqualmten Küchenraum, wo zwei Männer, die im Rauch nur Silhouetten waren, gemeinsam an einem großen Tisch in Mitten des Zimmers saßen. Auf der rechten Seite des Flurs befand sich eine schmale, hölzerne Treppe, die sowohl nach oben als auch in den Keller führte.
„Hey! Was zum Henker soll!“, blaffte eine Stimme aus dem Raum am Ende des Flurs, worauf laute Schritte schnell näher kamen.
Instinktiv sprang Ferren in das Treppenhaus, nur Sekunden bevor ein hochgewachsener Mann an ihm vorbeizog, der den Wappenrock Xendoras‘ trug, welcher eine goldene Sonne auf schwarzem Grund zeigte. Der Leutnant war ein wenig verwundert, da man Xendor eher selten im delionischen Viertel antraf und der Mann sehr nach einem Soldaten aussah.
„Ah, hätte ich mir doch denken können, dass ihr verdammten Thanatoiker für diesen Unfug verantwortlich seid!“, blaffte dieser, nachdem er die Küche betreten hatte.
„Nur mit der Ruhe, Mann.“
„Schnauze! Wie kommt ihr eigentlich dazu, an einem Tag wie dem heutigen, wo von jedem die volle Aufmerksamkeit gefordert wird, dieses Dreckszeug zu rauchen, hä? Undiszipliniertes Pack!“
„Ich…wir dachten.“
„Das Denken solltet ihr anderen überlassen. Und jetzt geht in den Keller und überprüft den Fortschritt!“
„Ich werde ganz sicher gar nichts tun. Und außerdem: Seit wann gibst du hier Befehle?“
„Seitdem Calderon weg ist, muss ja irgendwer diesen Laden zusammenhalten. Und nun tut, was ich sage, oder ich werde euch dazu zwingen und glaubt mir, das wollt ihr nicht.“
Mit diesen Worten drehte sich der Soldat auf dem Absatz um und ging unter dem Scheppern seiner schweren Kettenstiefel zurück in den Raum am Ende des Flurs.
Ferren hechte darauf die Treppe hinauf, da er erwartete, dass die beiden Todesanbeter bald in seine Richtung kommen würden. Ein wenig verwirrt darüber, dass er scheinbar eine Operation aufgedeckt hatte, an der nicht nur die Thanatoiker beteiligt waren, stieg er die Treppe hinauf. Es war ihm allerdings klar, dass er, um aufzudecken, was wirklich dahinter steckte, den Keller des Hauses untersuchen musste. Da das jedoch im Moment offensichtlich zu gefährlich war, beschloss er, sich zunächst im Obergeschoss umzusehen.
Die Größe der Raume und die Höhe der Decken verliehen dem Gebäude ein durchaus edles Aussehen, das allerdings dadurch beschmutzt wurde, dass eine Menge Leute sich offensichtlich nicht darum gekümmert hatten, ihren Dreck zu beseitigen. So lagen einige Schlammklumpen sowie Steinbrocken auf dem zerkratzten Parkett, während die Kerzen, die wohl einst aus ihren irdenen Wandleuchtern heraus eine wohlige Atmosphäre verbreitet hatten, bis auf die Stummel heruntergebrannt waren. Oberhalb der Treppe lag ein weiterer schmaler Flur, aus dem eine Tür weiter geradeaus und eine andere nach rechts führte.
Nachdem er die gewaltige Dreckspur betrachtet hatte, die vom Flur aus zum linken Eingang führte, beschloss er der Sicherheit wegen, weiter geradeaus zu gehen. Hinter der Tür erstreckte ein abgedunkelter Lagerraum, der eine ganze Menge wild durcheinander gewürfelter Gegenstände beherbergte. Da waren zerbrochene Schaufeln und Spitzhacken, Schlachtermesser, einige recht gut gepflegte Waffen, Regale mit kleinen, verstaubten Glasflaschen, die allesamt von feiner Handschrift etikettiert waren.
Alchemistische Reagenzien, wie Ferren vermutete.
Weiter hinten erhoben sich noch mehr Regale, in denen meist angebrochenen Weinflaschen lagen. Auch ein paar Fässer mit Bier sowie Ständer mit Pökelfleisch waren vorhanden, die im Gegensatz zu den vielen bereits benutzten Grabungswerkzeugen jedoch weniger Ferrens Aufmerksamkeit forderten. Das Lager mündete in einen kleineren Raum, der aufgrund der etlichen Glaskolben, die auf Holztischen zu seltsamen Apparaturen zusammengezimmert waren, wie ein alchemistisches Labor wirkte. Aus dem beißenden Verwesungsgeruch, welcher einer jeden Öffnung der Apparatur entstieg, folgerte Ferren, dass die Nekromanten hier den Schwarzsaft gebraut hatten. Während einige geleerte Weinflaschen im hinteren Teil des Raumes zur Abfüllung bereit standen, suchte man das nekromantische Elixier vergebens. Scheinbar hatten die Thanatoiker dafür gesorgt, dass bei der Durchsuchung dieser Räumlichkeiten nichts Belastendes zu finden sein würde.
Vorsichtig schlich der Leutnant sich ins nächste Zimmer, bei dem es sich um einen Schlafsaal handelte, in dem man zwölf Betten in drei parallelen Reihen angeordnet hatte. Diese waren jedoch allesamt leer, weshalb nur die verdreckten Kleider, welche an offenen Garderoben in der Nähe der Betten hingen davon zeugten, dass dieser Raum bewohnt war.
„Wie bei der skatrischen Minengesellschaft“, murmelte Ferren, wobei er sich an einen eher unschönen Arbeitsaufenthalt im Nordreich erinnern musste.
Über den zweiten Ausgang des Schlafsaals gelangte er wieder ins Treppenhaus, wo er aus dem Erdgeschoss das Fluchen der beiden Thanatoiker hörte, die sich gerade wieder in die Küche zurückzogen. Achtsam schlich er hinab und stahl sich in einem passenden Augenblick in den Keller. Dort passierte er zunächst unter vorsichtigen Seitenblicken ein großes Gewölbe, das mit Kisten zugestellt war und von wenigen Fackeln nur spärlich beleuchtet wurde. Dennoch gähnte ein schwarzes Loch in der steinernen Wand, die das Gewölbe nach hinten begrenzte. Das Klingen von Metall auf Stein schallte begleitet von einem latenten Verwesungsgeruch heraus.
Nach einem bangen Blick über die Schulter ging er vorsichtig und mit gezogenem Schwert weiter, bis er den Rand der Bresche erreichte, welche in die Wand geschlagen war. Dort angekommen, musste er feststellen, dass der Verwesungsgeruch merklich stärker wurde, so stark, dass er sich gezwungen sah, sein Hemd über Mund und Nase zu ziehen.
Langsam schlich er weiter in den dunklen Gang hinein, in dem nur ein paar spärlich gestreute Fackeln gegen die eindringliche Finsternis fochten und an wenigen Stellen die rohen Felswände beleuchteten. Leicht abschüssig führte der schmale Tunnel weiter in den Fels hinein, auf dem Galor gebaut war. Schließlich glaubte Ferren sich beinahe an seinem Ende zu befinden, wofür sprach, dass sich der Verwesungsgeruch trotz seiner improvisierten Atemmaske ins Unerträgliche gesteigert hatte.
Er glitt um eine letzte Biegung und sah sich am Ende des Stollens, wo auf engstem Raum vier finstere Gestalten damit beschäftigt waren, ihre Spitzhacken unaufhörlich im Stein zu versenken, um den Tunnel weiter zu vergrößern. Zwar sahen die Arbeiter auf den ersten Blick aus wie Menschen, doch musste der Leutnant alsbald feststellen, dass ihre Haut bereits verwest war und tiefe Fleischwunden in ihren Körpern klafften.
Entgegen der weitläufigen Meinung, Untote besäßen das Bestreben, allem Lebenden den Garaus zu machen, schienen sich diese vier Zombies reichlich wenig für den Eindringling zu interessieren.
Generell ließ sich zwischen zwei Arten von Untoten unterscheiden: Den niederen, welche keinen eigenen Willen besaßen und somit gänzlich ihrem Schöpfer unterworfen waren, und den hohen, die immer noch über einen freien Geist verfügten, sehr mächtig, aber auch selten waren.
Ferren vermutete, dass der Nekromant, der für die Schöpfung dieser Zombies verantwortlich war, ihnen lediglich den Befehl gegeben hatte, den Tunnel zu graben und sich ansonsten friedlich zu verhalten. Doch als er die untoten Kreaturen betrachtete, musste er erkennen, was in diesem Haus eigentlich vor sich ging. Hatte er hinter allem, was geschehenen war, noch die Planung eines nekromantischen Anschlags vermutet, fand er nun etwas Anderes, Größeres, Schlimmeres.
„Dieser Tunnel führt aus Galor hinaus, unter dem Hauptwall hindurch. Die Todesanbeter arbeiten mit den Orks zusammen!“, die Erkenntnis strömte durch seine Gedanken wie eine Sturmflut, „Sie könnten durch diesen Tunnel hinein und an allen Verteidigungen vorbei und die Todesanbeter…das ist gar nicht allein ihr Werk. Dieser Kerl vorhin hatte mit Thanatos gar nichts am Hut. Er war…da stecken noch andere dahinter!“
Sein Herz pochte durch seine Rippen und er war sich sicher, seine Beine würden explodieren, wenn er jetzt nicht losrannte, und genau das tat er. Den Stollen, war er auch recht lang, hatte er binnen Sekunden hinter sich gelassen. Während die Zombies gemächlich weiter auf den Stein eindroschen,  hechtete er die Treppe hinauf, stürzte fast in den Flur, entsann sich der Wachen zu spät und hörte schon ihre Rufe in seinen Ohren.
„Wer ist da?
Ohne zu antworten, zog er sein Schwert, was die beiden Thanatoiker aus der Küche dazu verleitete, sich mit einem hölzernen Schlagstock und einem Brotmesser zu bewaffnen.
„Eindringling!“, kreischte der mit dem Messer, wohingegen sein Kumpan sofort auf Ferren losstürmte.
Dieser wehrte den ersten Abwärtshieb mit einer hohen Parade ab, bevor er seine Faust in der Magengegend seines Gegenübers versenkte. Der Todesanbeter taumelte darauf benommen zurück, während sich der nächste auf den Leutnant stürzte, der jedoch den Reichweitenvorteil seiner Waffe ausnutzte und die Klinge im rechten Lungenflügel seines Feindes versenkte. Heftig prallte der schlaffe, blutüberströmte Körper des Thanatoikers gegen ihn und schmetterte ihn so rücklings gegen die Wand.
„Was soll das?“, brüllte eine dritte Person.
Nachdem er den Leichnam des Todesanbeters von sich gstoßen hatte, konnte er die letzte Person erkennen, die sich im Flur befand. Es handelte sich um den xendorischen Soldaten, der bereits sein Breitschwert gezogen hatte.
Bevor dieser ihn jedoch erreichen konnte, setzte Ferren den zweiten Todesanbeter, der sich gerade wieder erheben wollte mit einem heftigen Tritt ins Gesicht, bei dem der Hinterkopf seines Gegenübers gegen die Wand schmetterte, außer Gefecht.           
„Dieser Kerl war sowieso wertlos“, spottete der letzte.
Einen kurzen Moment lang standen er und Ferren sich einfach nur gegenüber, um sich zu beäugen. Ein ausgebildeter Kämpfer der Xendor, das wusste er, würde eine größere Herausforderung werden, als die Thanatoiker es gewesen waren, eine tödliche, wenn er Pech haben sollte.
Unvermittelt sprang der Soldat auf ihn zu, wobei er zugleich einen Abwärtshieb mit seinem Breitschwert ausführte, dem er jedoch entging, indem er einen Satz zurück machte. Die Klinge fuhr in den Boden, wo sie eine der Bohlen zerschmetterte.
Blitzschnell setzte der Leutnant einen Ausfall nach vorne, um die offene Deckung seines Feindes zu nutzen. Dieser sah, dass er keine Zeit mehr hatte, sein Schwert wieder aus dem Parkett zu ziehen, weshalb er es losließ und zurückwisch.
Ferren verfehlte ihn zwar, legte aber ein überlegenes Lächeln auf, als er sah, dass er seinen Gegner auf taktische Art entwaffnet hatte.
„Ergibt dich! Leg dich auf den Boden und du überlebst“, rief Ferren dem Xendor zu, welcher sich hastig zu allen Seiten umsah, wobei er langsam zurückwich.
„Du änderst nichts!“, zischte er plötzlich, riss einen Dolch hinter seinem Rücken hervor und schleuderte ihn.
Er sah nicht viel mehr als einen silbernen Strahl, dem  auszuweichen unmöglich war, bevor ein immenser Schmerz in seine Schulter stach und ihn in die Knie zwang.
Dann erkannte er nur noch, dass der Xendor ebenso schnell wie das Wurfgeschoss auf ihn zu kam, mit dem Kopf voran. Er wurde von der Wucht mitgerissen und gegen die hinter ihm liegende Wand geschmettert. Sein Schwert glitt ihm aus der Hand.  
Sekunden später steckte er einen rechten Haken gegen die Schläfe ein, welcher ihn fast in die Ohnmacht trieb.
Doch bevor sein Gegner ein weiteres Mal zuschlagen konnte, versenkte er seine Faust in dessen Unterleib. Kreischend wich der Soldat zurück, worauf Ferren ihm sofort gegen sein Standbein trat und ihn so zu Fall brachte. Mit einem markerschütternden Schmerzensschrei riss er den Dolch aus seiner Schulter, wobei das Blut in einer Welle auf den Boden spritzte.
Sein Gegner versuchte derweil, zu seinem Schwert zurück zu robben, doch er hechtete hinterher, schmetterte ihn zu Boden, erhob sich über seinen Kopf und führte den Dolch an die Kehle des Xendor. Dieser krallte sich in seinen Unterarm, zerfetzte die Haut mit seinen gelblichen Fingernägeln, biss sogar zu, als sich die Klinge ihm bedrohlich näherte.
Der Schmerz war so stark, dass Ferren die Waffe fallen lassen musste, doch nutze er seine freie Hand, um seinem Feind einen Schlag auf den Hinterkopf zu verpassen, der ihn mit dem Gesicht in die Bohlen schmetterte.
Erneut ergriff der Leutnant den Dolch und stach ihn in den Hals des Xendor, der sich noch einmal erhob, um dann mit einem letzten Ächzten auf den Boden zurückzusacken.
Ferren rollte sich wieder vom Rücken des Gefallenen herunter und blieb schweratmend auf den Dielen liegen, während das Blut immer noch aus Schulter und Unterarm rann. Alles drehte sich um ihn her, sodass es beinahe so wirkte, als vollzogen die Staubkörner im fahlen Licht über ihm einen makabren Walzer, bei dem sie im Takt seines schwachen Herzschlags auf und ab tanzten.
„Ich kann hier nicht bleiben, nicht hier bleiben und verbluten“, keuchte er, nachdem er schon einige Zeit auf dem Boden gelegen hatte, „Steh auf!“
Langsam erhob er sich, wobei er feststellte, dass er sich in aufrechter Position besser fühlte, als erwartet. Gemächlich schleppte er sich, das Schwert des Gefallenen hinter sich her schleifend, auf die Tür zu. Als er näher kam, konnte er Stimmen hören, die durch das Holz der Pforte zu ihm drangen. Schnell hob er die Klinge, um sich in Angriffsposition zu bringen, auch wenn ihn das in einen tückischen Schwindelzustand versetzte.
Das Schloss klickte leise, die Tür wurde geöffnet, das Licht blendete ihn und er sah nur die Silhouetten zweier Männer.
„Das ist Ferren.“
„Ferren?“, es war die Stimme des Hauptmanns.
„Blaek?“, fragte er, wobei er sich schützend die Hand vor seine Augen hielt.
„Blaek…“, ein neuer Gedanke rann durch seinen Kopf, „Er hat die Tür nicht aufgebrochen. Er hat sie aufgeschlossen!“
„Du…“, keuchte er.
„Ferren!“, rief Blaek, in dessen Stimmfall plötzlich eine Note der Ãœberraschung lag, bevor er zu ihm herübereilte, um ihn zu stützten, „Wie bist du hier hergekommen?“
„Spar die die Heuchelei!“, blaffte der Leutnant, nachdem er den zweiten Mann mit einem kurzen Blick als Novizen der Stadtwache identifiziert hatte.
Während Blaek noch verwundert das Maul aufriss, schmetterte Ferren seine Faust auf den bandagierten Oberschenkel seines Vorgesetzten, worauf dieser sofort aufschrie und zu Boden sackte.
„Dieser Bastard wird doch noch zu einem Problem“, zischte der Novize, während er ihm einen Feuerball auf den Hals hetzte. Er wich ihm jedoch aus, sodass der Flammenblitz statt seines Kopfs die Wand neben ihm verkohlte.
Das Adrenalin hatte allen Schwindel von seinen Augen gefegt, allen Schmerz ertränkt, und statt des schwachen Herzschlags schmetterte sein Blut wie ein Trommelwirbel in seinen Venen. Er selbst bestimmte nichts mehr, stattdessen griff alles wie automatisiert ineinander. Seine Beine trugen ihn, so schnell sie konnten ins Treppenhaus und eilten von dort aus bis aufs Dach hinauf, während der Novize ihm hinterher rannte.
„Du durchkreuzt unsere Pläne nicht, Ferren!“, hörte er Blaek noch hinter sich schreien.
Da er nicht glaubte, in seinem angeschlagenen Zustand eine Chance gegen den Novizen zu haben, sprintete er über die angrenzenden Dächer bis an den Rand und sprang. Etwa einen Meter fiel er, bevor er unsanft auf einem niedrigeren Gebäude aufkam.
Zwei Blitzbolzen zerschmetterten die Ziegel hinter ihm.
Von seinen Fehlschlägen erzürnt, verzichtete der Novize auf elementare Magie und gebrauchte die direkte. Sein unfehlbarer Zauber traf Ferren, worauf die Zeit für einen Moment stillzustehen schien, in der unglaubliche Kräfte an jeder Faser seines Körpers zerrten.
Er versucht, sich dagegen zu stemmen, doch er war zu schwach, und dann ging alles rasend schnell.
Die Kräfte wurden so stark, dass sie ihn von den Füßen rissen und vom Dach fegten wie ein einzelnes Blatt im Wind eines Orkans.
Er segelte über die Brüstung, sah den Boden etwa vier Meter unter sich und dachte, dass nicht einmal mehr Zeit für ein letztes Gebet sein würde.
Dann jedoch prallte er mit dem Oberkörper voran in die Krone eines Zierbaums, stürzte durch das Geäst und landete langsam, aber unsanft auf der gepflasterten Straße.
Ein letztes Mal rappelte er sich auf, sodass es ihm gelang, in eine der angrenzenden Gassen zu fliehen, bevor der Novize die Kante des Daches erreichen konnte. Erschöpft aber sicher stützte er sich gegen die sandbraune Fassade eines Hauses.
Während sein Herz bis zum Hals pochte, sickerte immer noch Blut aus seinen Wunden.
„Ich muss das verbinden und dann…Ariona! Ich muss sie aus dem Gefängnis holen. Narr, wie willst du das anstellen? Ich muss das verbinden, sonst verblute ich“, seine Gedanken überschlugen sich, bevor er sich wieder aufraffte und dem blutroten Sonnenuntergang entgegenhinkte.

Kapitel 4: Der Richter

44. Grünwalden. 52 n.V.
Lucian de Nord saß auf der begrünten Terrasse einer Villa am Hafenviertel, welche direkt an das Meer grenzte, und blickte über die Brüstung hinweg auf die glänzend schwarze See. Nachdem er sein Weinglas auf dem marmornen Tisch abgestellt hatte, hob er den Blick auf die drei Schiffe, die ruhig im Wasser des Hafens trieben.
Verächtlich lächelte er, während er noch einmal rekapitulierte, was in den letzten zwei Stunden geschehen war.
Als er das tat, fiel ihm auf, dass es gar nicht viel war, zumindest nicht im Verhältnis zu den möglichen Auswirkungen. Vor eben jenen zwei Stunden hatte ein Bote der Prinzessin Filiana dem Herzog eine persönliche Einladung überbracht, was dazu geführt hatte, dass dieser sich innerhalb der nächsten halben Stunde aus der ledrianischen Botschaft gestohlen hatte. Lucian war darauf sofort in sein Palais am Hafen geritten, wo er nun schon seit einiger Zeit saß und gemächlich seinen Wein trank.
„Schwach“, kommentierte er in Gedanken, die Taten des Herzogs, „Und kindisch zugleich. Dieser Narr wird sich auch noch von ihr umgarnen lassen, bis er so eingesponnen ist, dass er die Wahrheit nicht mehr sehen kann. Wird er nachgeben?“, der Marquis lachte spöttisch, „Oh ja, das wird er! Aber nein, dieses Spiel spielt sie nicht mit mir. Diese Rechnung geht nicht auf, denn niemand setzt sich über mich hinweg! Ãœber Montierre vielleicht, aber nicht über mich! Ich verliere nie!“, dann hob er die Stimme und begann zu schreien, „Unteroffizier! Schafft mir sofort Tymaleaux hierher!“
„Natürlich, Eure Hoheit“, gab ein gerüsteter Soldat zurück, der bislang am Rande der Terrasse Wache gehalten hatte, worauf er sich entfernte.
Wenig später kehrte er in Begleitung eines recht massigen Mannes zurück, dessen dunkelblaues Samtjackett einige Weinflecken aufwies.
„Tymaleaux, Tymaleaux“, lachte Lucian freundlich, während sein Gegenüber langsam über die Terrasse zu ihm hin wankte, „Was sollen die Leute bloß von meinem Heerführer halten?“
„T‘schuldigt, Eure Hoheit. Ich komme gerade aus dem…“, begann Tymaleaux, wobei er sich seine verfilzten, goldblonden Haare aus der pockennarbigen Stirn wischte.
„Danke, aber so genau will ich das gar nicht wissen“, gab der Marquis zurück.
„Natürlich nicht. Verzeiht“, sein Gegenüber verbeugte sich, „Wie kann ich dienlich sein?“
„Wenn ich dir nun den Befehl geben würde, die Schiffe zu verbrennen, wie lange würde das dauern?“, fragte de Nord.
„Meint Ihr, bis sie brennen oder bis sie verbrannt sind?“
„Sagen wir, es reicht, wenn sie brennen.“
„Wir haben letzte Nacht schon alles vorbereitet. Wenn nicht wieder einer dieser Idioten auf seinem Posten einschläft, dann steht alles in weniger als einer Minute in Flammen…wenn Ihr es wünscht.“
„Exzellent“, lobte der Marquis, „Nun hör zu: Sollte der Herzog den Befehl geben, die Truppen aus dem Hafen abzuziehen, wirst du dafür sorgen, dass von den Schiffen nicht mehr als ein Haufen auf dem Meer treibender Asche zurückbleibt.“
„Es wird mir ein Vergnügen sein“, bestätigte Tymaleaux, während seine voluminösen Wangen sich langsam rot färbten, „Aber sagt, Eure Hoheit, wäre das nicht Hochverrat?“
„Nicht, wenn ich es dir vorher befehle“, zischte Lucian.
„Ihr setzt Euch also über den Herzog hinweg?“
„Ich tue das nicht gerne, aber es muss sein“, erklärte der Marquis, „Nun geh und sorge dafür, dass alles reibungslos abläuft.“
„Natürlich“, gab Tymaleaux zurück, bevor er sich verbeugte und zurückzog.
De Nord verweilte an seinem Tisch und genoss den trockenen, roten Wein.

Leutnant Raham marschierte gefolgt von einem Speerträger der delionischen Wache durch das nächtliche, iskatische Viertel, wo er in regelmäßigen Abständen Steckbriefe, die das Gesicht Ferrens zeigten, an Häuserwände schlug. Die Anklage lautete auf Mord, Insubordination, Behinderung der Ermittlungen, Angriff auf die Stadtwache und zu guter Letzt auf Hochverrat. Das Kopfgeld war so lächerlich hoch, dass es den Leutnant zu der Überlegung verleitete, ob in seiner Dienstzeit überhaupt schon einmal eine derart große Summe ausgestellt worden war.
„Wo sollen wir noch einen anbringen?“, fragte der den Speerträger, nachdem er einen Steckbrief an einen Baum genagelt hatte, der in der Mitte eines kleinen Platzes emporwuchs.
„Moment“, gab der Soldat zurück, worauf er eine Liste aus seiner Tasche kramte, „Zwei Gassen weiter ist ein Brunnen.“
„Sehr schön“, stöhnte Raham, wobei er den Hammer zurück in eine Lasche an seinem Gürtel steckte und weiter ging.
Während er durch die dunklen Gassen zog, fragte er sich, was Ferren wohl dazu verleitet hatte, doch bevor er eine Antwort fand, wurde er von der schieren Surrealität der Situation überwältigt.
„Ferren bringt keine Leute um. Gut er mag etwas hitzköpfig gewesen sein, aber er ist doch kein Todesanbeter. Er hat die Kerle immer verachtet, hat immer das getan, was er sollte, und er ist vor allen Dingen kein Mörder!“, dachte er, „Und dann ist da Blaek, der auf einmal Gefangene fast zu Tode prügelt. Irgendwie passt hier gar nichts mehr.“
Schließlich war der Brunnen erreicht, der sich in Mitten eines kleinen Rondells befand.
„Wie viele noch?“, fragte Raham, während er sich daran machte, einen Nagel in den Fugen des oberen Brunnenteils zu versenken.
„Noch sechs“, antwortete der Soldat. Dann ertönte ein recht dumpfes Schlagen von Holz auf Metall, das den Leutnant dazu verleitete, sich umzudrehen.
Was er sah, führte dazu, dass er die Augen weit aufriss.
Etwa zwei Meter vor ihm lag der Speerträger der Länge nach auf dem Boden, während s ein kleines Rinnsal roten Bluts durch die Fugen zwischen den Pflastersteinen sickerte. Hinter dem ohnmächtigen Wachmann erhob sich, einen hölzernen Schlagstock in der Hand haltend, Ferren.
Raham ließ reglos seinen Blick auf ihn sinken. Blutdurchdrungene Bandagen verunzierten Schulter sowie Unterarm und die Art, wie er sich gegen die Hauswand neben ihm stützte, verriet, dass seine Kräfte sich dem Ende entgegenneigten. Eine Zeit lang standen sie sich beide gegenüber, der eine mit der Hand auf dem Schwert griff, der andere mit gehobenem Schlagstock.
Schließlich war es Raham, der seine Hand locker zum Gruß hob, worauf auch Ferren seine Waffe senkte.
„Dachte doch, dass du vernünftig bist“, lachte der angeschlagene Leutnant.
„Vernünftig?“, spottete Raham, „Wenn ich wollte, könnte ich dich festnehmen, in deinem Zustand.“
„Aber du tust es nicht“, entgegnete Ferren, „Das nenne ich vernünftig.“
„Ja. Denn ich glaube wirklich nicht, dass du getan hast, wofür Blaek dich anklagt.“
„Nun, da muss ich dich enttäuschen. Die meisten Sachen davon habe ich wirklich getan.“
„Was?“, keuchte Raham, worauf seine Hand sofort wieder zum Schwertgriff schnellte.
„Keine Sorge“, beschwichtigte Ferren, „Ich hatte einen guten Grund.“
Damit begann er zu berichten, was geschehen war, nachdem er Raham verlassen hatte. Er erzählte von dem Versteck der Todesanbeter, von den Untoten, vom Tunnel, von den Kämpfen, von Blaeks Verrat und seiner Flucht, während Raham zugleich ihn darüber informierte, was sich auf der Wache ereignet hatte.
„Er hat sie gefoltert?“, schrie Ferren, nachdem er von Arionas Schicksal erfahren hatte.
„Ja…das hatte er“, bestätigte Raham matt.
„Wir müssen etwas unternehmen!“
„Das steht außer Frage. Ich habe nur keine Ahnung, wie wir gegen Blaek ankommen sollen. Du bist ein gesuchter Verbrecher, in einem, sagen wir, unguten körperlichen Zustand, und ich nur ein einfacher Leutnant. Blaek ist der Hauptmann der Wache. Gut, er hat sich in letzter Zeit einiges geleistet, aber seine Befehle werden immer noch befolgt.“
„Wir müssen Ariona erst mal aus dieser Todesfalle befreien. Dann sehen wir weiter.“
„Und wie willst du das anstellen?“
„Ich?“, lachte Ferren, „Wie sollte ich denn in die Wache kommen? Du musst das machen.“
„Warum war das klar…“, seufzte Raham, „Ich sehe ja ein, dass du sie nicht in Blaeks Nähe haben willst, aber ich kann sie ja schlecht aus den Kerkern rausholen, die von zwei Dutzend delionischen Soldaten bewacht werden.“
„Die dir nichts tun werden“, erwiderte sein Gegenüber, „Wenn Blaek seine Schicht beendet, wirst du den Kerker betreten und Ariona einfach hinausführen. Den Wachen sagst du, dass sie in ein Magiergefängnis der Iskaten verlegt wird, weil wir nicht genügend Zauberer haben, um sie im Zaum zu halten.“
„Das klingt zu einfach, als dass es wirklich funktionieren könnte. Wahrscheinlich hat Blaek einen Verräter als Wache vor ihrer Zelle abgestellt.“
„Wir müssen es versuchen! Eine andere Chance haben wir nicht!“
„Also gut. Mal angenommen, ich schaffe es, Ariona da raus zu bringen, wie soll es dann weitergehen?“
„Du schaffst sie erst mal zur Taverne Blut und Bier, ich werde dort auf euch warten.“
„Blaek wird die Wachen verzehnfachen, wenn er davon Wind bekommt.“
„Bis dahin müssen wir aus der Südstadt raus“, erklärte Ferren.
„Die finden dich auch in den anderen drei Bezirken“, dementierte Raham.
„Nicht im Hafen.“
„Der Hafen? Gute Idee, wenn da nicht noch die ledrianischen Soldaten wären, die den Befehl haben, jeden zu töten, der den Hafen betreten will.“
„Die Ledrianer erwarten, dass sie von eine größeren militärischen Einheit angegriffen werden. Sie versuchen nicht, den Hafen gegen Einzelpersonen abzuriegeln.“
„Wie du meinst“, murmelte Raham, während er langsam hin und her wanderte, „Aber das ist deine Sache. Ich muss Ariona ja nur aus den Kerkern holen und sie zum Blut und Bier schaffen.“
„Korrekt“, bestätigte Ferren, „Wenn alles glatt läuft, bekommst du dabei nicht einmal Schwierigkeiten.“
Sein Gegenüber zischte: „Schön wär’s.“
Ein bitteres Lächeln und einen kurzen Händeschlag später hatten sich die beiden schon wieder getrennt.
Während Ferren durch die Gassen zum Blut und Bier schlich, waren seine Gedanken leer; alle Sinne, alle Reserven darauf konzentriert, nicht aufzufallen und den Kontakt mit Wachen zu vermeiden. Er schlich um eine Ecke, hastete über die nächste Kreuzung, ein banger Blick über die Schulter, ein weiterer Schritt in Richtung der Kneipe, das alles wiederholte sich etliche Male und doch glaubte er, als er den Platz vor dem Blut und Bier endlich erreicht hatte, gerade erst losgegangen zu sein.
Seine brennenden Lungen sprachen gegen diese Theorie und verlangten eindringlich nach ein wenig Erholung.
Er ließ sich auf eine der steinernen Bänke sinken und plötzlich brach die Erschöpfung wie eine Sturmflut über ihn hinein. Ein jeder Muskel zerrte, bettelte um Entspannung, die Augen brannten, sehnten sich nach Dunkelheit, der Geist suchte Erlösung von den fieberhaften Träumen der letzten Stunden.
Als der Gebetsruf eines Mondkultisten von einem der anliegenden Dächer erschallte, wurde Ferren wieder aus seiner Trance gerissen.
„Ist das wirklich einen Tag her? Habe ich wirklich gestern noch auf meinem Balkon gesessen, ein Bier getrunken und einen Brief geschrieben? Wo bin ich eigentlich? Was mache ich hier? Ich kann doch kein gesuchter Verbrecher sein, das alles kann doch gar nicht passiert sein. Nicht an einem Tag“, seine Gedanken rasten, „Doch, du Narr! Das ist passiert. Und du steckst mitten drin. Ich…stecke mitten drin. Ich und Raham und Ariona. Ariona…“
Für einen Moment lang schienen seine Gedanken zu schweigen, sodass es still war in seinem Kopf.
Während Vögel zwitscherten und Grillen zirpten, wurde ihm klar, dass dies nicht mehr dieselbe Stadt war, in die er vor Monaten geflohen war, dass das Pflaster nicht mehr dasselbe war, über das er gestern noch spaziert war, und er war nicht mehr derselbe Mensch, seit er in ihre bernsteinfarbenen Augen geblickt hatte.
„Verdammt, Raham! Wo steckst du?“
Er erhob sich, um sich umzusehen.
„Nein, das geht furchtbar schief! Sie haben ihn aufgehalten. Blaek wird dafür gesorgt haben, dass sie niemand raus holen kann. Und ich schicke Raham auch noch da rein. Höhle des Löwen, verdammt. Das funktioniert nicht, kann nicht funktionieren.“
Die Zeit verging wie Teer. Die Grillen zirpten weiter, während die Gebete der Mondkultisten verhallten und die Vögel weiter zogen. Obgleich die Muskeln des Leutnants gerade noch nach Ruhe geschrien hatten, waren sie nun zum Zerreißen gespannt, dass sie ihn zwangen, umherzuwandern wie ein kopfloses Huhn. Ruhelos irrte er über das Pflaster, wobei er seine Blicke stets zum Rand des Platzes warf, um dort die Kegel der Öllampen nach Bewegungen abzusuchen.
Obwohl die Sonne schon seit mehr als einer Stunde untergegangen war, herrschte doch eine unerträgliche Schwüle und der gnadenlose Wind erbarmte sich keiner Böe 
Dann jedoch entdeckten Ferrens Augen zwei Gestalten, die langsam zwischen den Lichtkegel hindurchschlichen.
Sein Herz pochte durch seinen Brustkorb, als sie sich der Bank näherten, vor der er stand.
Schließlich waren sie ihm so nah, dass er sie erkennen konnte, und ein einziger Blick brachte die Erlösung, nach der sich Körper und Geist so gesehnt hatten. Vor ihm standen Raham und Ariona, die beide ziemlich mitgenommen aussahen. Arionas Blessuren stammten noch von der Folter, der Blaek sie unterzogen hatte, während Raham sich seine Wunden, wie Ferren in dem darauffolgenden Gespräch erfuhr, in einem Kampf mit dem Novizen zugezogen hatte, der darauf bestanden hatte, ihn und Ariona zu begleiten.
„Dieser Hundesohn wird dafür bezahlen, dass er dir das angetan hat“, zischte Ferren, nachdem er voller Entsetzten  Arionas geschwollenes und mit Blutergüssen übersätes Gesicht erblickt hatte.
„Ich…gestern saß ich noch am Strand und habe…gefeiert. Jetzt bin ich…hier, auf der Flucht“, stotterte sie.
„Wir kommen da raus“, versprach Ferren, „Sobald wir im Hafen sind, ist das alles vorbei.“
„Ich zerstöre eure Illusionen ja nur ungern“, wandte Raham ein, „Aber eure Flucht ist nicht alles. Wenn die Todesanbeter wirklich einen Tunnel aus Galor heraus graben wollen, dann müssen wir sie aufhalten! Im Ãœbrigen kann ich gleich mitkommen. Sobald der Novize wieder zu sich kommt und die rauskriegen, was ich gemacht habe, bin ich genauso ein Verbrecher wie ihr.“
„Wir könnten zu den Ledrianern gehen“, schlug Ariona vor, „Sie hassen die Todesanbeter.“
„Ja, leider hassen sie aber auch die Delioner“, merkte Raham an, „Die helfen uns ganz sicher nicht.“
„Wenn wir es bis ins Nordviertel schaffen, können wir es dem Rat melden. Der unternimmt bestimmt etwas“, erwiderte Ferren, „Aber erst mal müssen wir in den Hafen, bevor Blaeks Bluthunde uns finden.“
Darauf gab es allgemeine, wenn auch recht verhaltene Zustimmung.
Die drei debattierten noch einige Zeit darüber, wie genau sie es anstellen sollten, ins Hafenviertel zu gelangen, wobei sich schließlich die ursprünglich von Raham stammende Idee durchsetzte, zwischen den Brücken durch den Baskat zu schwimmen und auf der anderen Seite die Befestigungen zu erklimmen, ohne dass die Ledrianer davon Wind bekamen.
Dies gestaltete sich zunächst als durchaus einfach, was hauptsächlich der schlechten Wasserversorgung im Südviertel zu verdanken war. Dieses besaß nämlich im Gegensatz zum nördlichen und mittleren Bezirk keine Kanalisation oder Wasserleitungen, weshalb man in die steinerne Befestigung des Baskatstroms kleine Becken eingelassen hatte, in denen die Bürger des Südviertels sich oder ihre Kleider waschen konnten. So war es relativ leicht, den Fluss zu erreichen.
Als Ferren jedoch aus dem Becken hinausschwamm, musste er feststellen, dass der Strom wesentlich heftiger an ihm riss als erwartet. Zudem gab es an der gegenüberliegenden Befestigung keinen Ansatzpunkt, an dem ein Hinaufklettern möglich gewesen wäre.
„Verdammt!“, brüllte Ferren, während er ausgiebig rudernd versuchte, gegen die Strömung anzukämpfen.
„Ich fürchte, Ariona wird das in ihrem Zustand nicht schaffen“, wandte Raham ein.
„Was ich schaffe und was nicht, bestimme immer noch ich selbst“, brummte sie.
„Selbst wenn“, keuchte Ferren, „Wir kommen nie wieder aus diesem verdammten Fluss raus.“
„Falls ich es rüber schaffe, kann ich uns mit Magie die Brüstung hoch bringen“, schlug die Novizin vor.
„Dann hilf ihr rüber, Raham.“
„Schon klar“, seufzte dieser, worauf er Seite an Seite mit ihr ebenfalls in den Fluss sprang. Tatsächlich musste er einiges an Kraft aufwenden, um Ariona, deren körperlicher Zustand ziemlich schlecht war, über Wasser zu halten.
Auf halber Strecke kam ihnen Ferren entgegen, mit dessen Hilfe sie es dennoch auf die andere Seite schafften.
„Haltet euch an mir fest“, wies Ariona die beiden Soldaten an, worauf diese gleichsam ihre Taille umschlangen.
Anschließend warf sie ein magisches Seil aus bläulichem Licht an den oberen Rand der Befestigung, das sie langsam verkürzte, um sich und die beiden anderen nach oben zu ziehen. Zwar war es für Ferren und Raham mehr als schwierig, sich an Arionas zierlicher Statur festzuhalten, jedoch gelang es ihnen tatsächlich, die Brüstung zu überwinden.
Oben angekommen stürzten sie allesamt keuchend und nass auf das Pflaster.
Dann geschah alles rasend schnell.
Raham sah nur noch, wie eine dunkle Gestalt über ihn hinwegsegelt, auf Ariona landete und diese zu Boden drückte. Von irgendwoher tauchte ein vollgerüsteter, ledrianischer Soldat auf, der einen Tritt gegen Ferrens Kinnlade schmetterte, was diesen sofort außer Gefecht setzte.
„Hey, ich ergebe mich!“, rief er, während immer mehr Ledrianer in ihren silberglänzenden Rüstungen auftauchten.
„Ist auch besser so, delionischer Saboteur!“, entgegnete ein grobschlächtiger Mann, den Raham aufgrund des dunkelblauen Federbuschs auf seinem schweren Helm für einen Offizier hielt. Einen Augenblick später wurde er von zwei Soldaten gepackt, ein Lederriemen band seine Hände zusammen, so fest, dass er ins Fleisch schnitt.
„Schafft sie weg!“, befahl der Offizier, worauf die übrigen Soldaten Ariona, Ferren und Raham durch einige der angrenzenden Gassen schleiften, bis sie ein größeres Haus erreichten, dessen Fassade zwei ledrianische Banner zierten.
Grob stieß man ihn durch die Eingangshalle.
„In den Keller!“
Ein Soldat öffnete eine Tür, man schubste ihn hindurch, schleuderte Ariona und Ferren hinterher. Er stürzte eine hölzerne Treppe hinab, in einen dunklen, feuchten Gang mit rohen Steinwänden, an den hinter rostigen Gittern einige Lagerzellen grenzten. Die Soldaten kamen sofort hinterher, öffneten eine Zelle, drängten ihn hinein, schleiften auch Ariona und Ferren durch die Tür.
Dann öffnete man ihm die Fesseln, allerdings nur, um sie anschließend durch einen eisernen Ring in der Wand zu ziehen und sie wieder festzubinden. Ferren und Ariona wurden ebenfalls angebunden, sodass sie wie nasse Säcke an der Wand hingen.
„Zwei Mann bleiben hier! Ich werde bald mit dem Marquis zurück sein“, rief der Offizier, worauf alle außer zwei Speerträger den Keller wieder verließen.
„Das lief ja gut“, schnaubte Raham, dem jedoch niemand Gehör schenkte, da Ariona und Ferren immer noch ohnmächtig waren, während die Wachen ihn absolut nicht beachteten.
In den nächsten Minuten zermarterte sich der junge Leutnant den Kopf über seine Aussichten.
„Bestenfalls sperrt man uns nur ein“, hoffte er, „In Ledria und Serpendria wird dummerweise fast jedes Vergehen mit dem Tode bestraft.“
Schließlich ertönten wieder Schritte auf der hölzernen Treppe und wenig später tauchten zwei weitere Personen auf dem Hauptgang vor der Zelle auf. Dabei handelte es sich um den hünenhaften Offizier, der bei ihrer Gefangennahme das Kommando geführt hatte, sowie Lucian de Nord, der einen langen, ledernen Mantel über dem ledrianischen Wappenrock trug.
„Das“, begann der Marquis, nachdem er die drei Gefangenen kurz taxiert hatte, mit ruhiger, aber dennoch stechender Stimmlage „sollen also die Saboteure sein, deren Gefangennahme Euch dazu veranlasst hat, von einem delionischen Angriff auf den Hafen auszugehen, Vigard?“
„Nun ja, sie haben versucht, sich in den Hafen zu schleichen, edler Herr“, gab Leutnant Vigard zurück.
„Bei Gott, ein verwundeter Offizier, eine zusammengeschlagene Novizin und dieser Hänfling stellen doch keine Gefahr für uns dar.“
„Natürlich nicht. Ich hatte nur befürchtet, es könne sich um eine Art Vorhut handeln oder ein Ablenkungsmanöver. Daher rief ich Euch, edler Herr.“
„Scheinbar hatte ich Euch aufgetragen, mir jede Unregelmäßigkeit zu melden?“, fragte de Nord, während er sich eine Zigarette ansteckte.
„Das hattet Ihr“, bestätigte Vigard.
„Gut. Schafft sie nach oben! Ich gedenke, mich ein wenig mit ihnen zu unterhalten“, sagte Lucian, bevor er sich umdrehte und den Keller verließ.
„Natürlich“, gab der Unteroffizier zurück, worauf er den beiden Speerträgern ein Handzeichen gab. Diese begannen darauf, die Gefangenen einzeln nach oben zu führen beziehungsweise zu schleifen, wobei sie sich zuletzt um Raham kümmerten. Man führte ihn in einen verrauchten Speisesaal, in dessen Mitte sich eine lange Tafel aus dunklem Holz erstreckte. Der Raum wurde scheinbar von den ledrianischen Wachen als Kantine genutzt, weshalb eine ganze Menge von ihnen anwesend war.
Ferren und Ariona hatte man auf zwei der hölzernen Lehnstühle gesetzt, wo sie von den Soldaten wie Marionetten aufrecht gehalten wurden. Auch Raham presste man geradezu in einen der Stuhl, wo er jedoch ohne weitere Fixierung verbleiben durfte.
Als der Marquis eintrat, wurde es plötzlich totenstill, ein jeder Soldat nahm Haltung an. Der Koch, welcher ebenfalls den ledrianischen Wappenrock trug, eilte sofort herbei, um dem Marquis Wein anzubieten, den dieser jedoch mit einem einfachen Handwink ablehnte. Stattdessen wandte er sich an Vigard:
„Gebt ihnen den Azurgeist.“
„Edler Herr, meint Ihr nicht, wir sollten vorsichtig sein, was die Novizin angeht…“
„Habt Ihr etwa Angst, Vigard?“, lachte de Nord, „Ich glaube, es wäre vermessen, diese Novizin zu fürchten. Den Azurgeist, na los!“
„Natürlich, edler Herr“, sagte der Unteroffizier devot, worauf er die Wachen Ferrens und Arionas damit instruierte, diesen den Mund zu öffnen. Anschließend ließ er sich vom Koch eine halbleere Phiole überreichen, deren Inhalt in einem tiefen Azurblau strahlte.
Bei der Azurgeist genannten Flüssigkeit handelte es sich um ein alchemistisches Elixier, welches die Macht besaß, körperliche und geistige Kräfte in enormer Geschwindigkeit zu regenerieren. Dies zeigte sich, als Ferren sofort die Augen aufschlug, nachdem Vigard ihm nur einen einzigen Tropfen in den Rachen gegossen hatte. Ariona widerfuhr dasselbe Schicksal.
„Wo…wo bin ich?“, keuchte Ferren, während sie sich nur mit funkelnden Augen umsah.
„Dort, wo Ihr hinwolltet, wie ich schätze. Im Hafenviertel Galors“, antwortete Lucian, „Ich bin…“
„Marquis de Nord“, vollendete Ferren.
„Ganz recht“, lachte dieser, „Ich habe das Gefühl, Euch schon einmal begegnet zu sein. Allerdings erachtete ich Euch augenscheinlich als nicht wichtig genug, mir Euren Namen zu merken.“
„Leutnant Ferren.“
„So? Nun, ich muss gestehen, es interessiert mich reichlich wenig, wer ihr seid. Für mich ist lediglich von Bedeutung, was ihr in meinem Viertel zu suchen habt.“
„Eurem Viertel?“, ächzte Ariona, „Galor gehört…“
„Maul halten!“, blaffte einer der Soldaten.
„Vielleicht nicht die beste Ausdrucksweise, aber im Kern doch sehr passend“, kommentierte Lucian, „Was führte euch also her, in diesen Teil Galors, in dem ihr doch augenscheinlich nicht willkommen seid? Zumal in diesem Zustand.“
„Wir wurden Opfer einer Intrige“, begann Ferren.
„Intrige?“, lachte de Nord, „Nun, das wundert mich nicht. Immerhin weiß jeder Mensch der Alten Königreiche, dass den Angehörigen der Oppositionsstaaten die Ehre fremd ist.“
„Ihr glaubt uns also?“, wollte Raham wissen.
„Nein, aber eure Geschichte ist sicherlich amüsant. Fahrt also fort!“
Damit begannen Ferren und Ariona, dem Marquis all das zu erzählen, was sich an diesem einen Tag ereignet hatte, angefangen bei der Entlarvung des Okkultisten Ysil bis hin zur Flucht aus dem Südviertel. De Nord folgte geradezu gebannt ihren Worten, ließ sich trockenen Wein bringen, als Ariona von ihrer Folter berichtete, und lachte lauthals bei der Beschreibung des Kampfes, den Ferren gegen Blaek ausgetragen hat.
„Amüsant, wie ich bereits vermutet hatte“, sagte er schließlich, wobei er die Hände faltete.
„Es ist die Wahrheit!“, zischte Ariona.
„Nun, es mag euch vielleicht überraschen, aber ich glaube euch in der Tat. Obgleich es sehr verwunderlich scheint, dass ein Delioner derartige Heldentaten vollbracht haben soll. Ihr sagtet, das Haus mit dem Tunnel befinde sich im delionischen Viertel?“
„Ja…das ist wahr“, stammelte Ferren.
„Es könnte möglicherweise zu Komplikationen kommen, aber das werde ich wohl in Kauf nehmen müssen“, sagte der Marquis mehr zu sich selbst, bevor er sich an den Unteroffizier wandte, „Vigard, stellt mir eine Truppe der zehn besten Männer zusammen, die in diesem Viertel stationiert sind, und lasst mein Ross satteln!“, er drehte sich wieder zu Ferren, „Ihr werdet uns zu diesem Haus führen, auf dass wir die Pläne unseres Feindes durchkreuzen können. Seid allerdings gewarnt. Ich glaube euch zwar, sollte sich aber herausstellen, dass ihr mich belügt, müsste ich auf den Artikel der Ehrennotwehr zurückgreifen. Ich nehme an, ihr seid fähig, euch auszumalen, wie das für euch ausgehen würde.“
„Natürlich“, schluckte er.
„Schön. Ich denke, ihr solltet euch ein wenig ausruhen. Martin hier“, Lucian deutete auf den Koch, „wird Euch als Gäste bewirten, wie es in unserer Heimat üblich ist. Die Truppen sollten wohl in einer halben Stunde einsatzbereit sein. Ich empfehle mich bis dahin.“
Mit diesen Worten verließ der Marquis zusammen mit Vigard und einigen anderen Soldaten die Kantine, sodass letztlich nur noch die drei Gefangenen, der Koch Martin sowie drei Wachen zurückblieben.
„Wohlan. Ihr seht hungrig aus“, rief Martin, „Ich nehme an, hier hat niemand etwas gegen Fasan einzuwenden?“
„Fasan?“, keuchte Ariona, „Die Ledrianer versorgen ihre Soldaten mit Fasan? Habt Ihr im Entferntesten eine Ahnung, wovon ich mich in den letzten Monaten…“, an dieser Stelle war Raham so geistesgegenwärtig, sie zu unterbrechen:
„Kommt der Fasan aus Ledria oder Serpendria?“
„Serpendria“, gab Martin zurück, „Unsere Waffenbrüder waren so freundlich, uns während der Besetzung mit Essen und Getränken zu versorgen. Apropos Getränke…ich habe hier noch einen äußerst guten Chateau Travelle…"

Während die drei sich von Martin bewirten ließen, saß Herzog Jean Montierre an einem kleinen, runden Steintisch auf dem recht großen Balkon der xendorischen Botschaft, genoss die angenehm kühle Nachtluft und wartete auf Prinzessin Filiana.Diese erschien wenig später in einem langen, silbrigen Kleid aus feinster Seide.
„Verzeiht, Herzog, dass ich Euch warten ließ. Ich hatte Eure Ankunft erst am morgigen Tage erwartet“, sagte sie.
„Oh, ich habe gerne gewartet, Eure Hoheit“, gab Montierre zurück, wobei er aufstand und sich verbeugte, „Falls dieser Zeitpunkt Euch ungelegen sein sollte, kann ich gerne morgen zurückkehren.“
„Nein, bleibt nur, Herzog. Je eher desto besser“, sie nahm Platz, worauf auch er sich wieder setzte, „Kann ich Euch etwas anbieten? Wein, Tabak?“
„Oh, ich bin zu Dank verpflichtet, Eure Hoheit. Doch nichts der Gleichen.“
„Ihr seid ein bescheidener Mann, Jean Montierre. Ganz im Gegensatz zu Eurem Vertrauten de Nord, wie mir scheint.“
„Der Charakter des Marquis mag den einen oder anderen Makel aufweisen, jedoch verhält er sich ebenso, wie man es von einem ledrianischen Adligen erwartet. Und wenn er zu seinem Wort auch nur aus Hochmut steht, er steht dazu, und das ist in Galor schon mal etwas Gutes.“
„Und doch schien mir in all seinen Gebärden mehr zu liegen als die Arroganz eines einfachen Adligen, viel mehr die Würde eines Königs.“
„Ein König ist er wahrlich nicht. Ich muss gestehen, bevor ich ihn kannte, hatte ich noch nie von der Familie de Nord gehört“, berichtete der Herzog, „Aber das mag nichts heißen. Ich belege daheim keine besonders wichtige Position am Königshof. In den fünfundsiebzig Jahren meines Lebens war ich kaum zehn Mal in Velorien.“
Das Alter des Herzogs war in Bezug auf sein durchaus jung wirkendes Äußeres nicht sonderlich erstaunlich, da Menschen der Gebrochenen Welt durchschnittlich zweihundert Jahre alt wurden, obwohl ein Jahr der gebrochenen Welt 408 Tage besaß, und sich das Alter auf das Äußere eines jeden Kalatariers anders auswirkte. So veränderten sich manche vom dreißigsten bis zum hundertfünfzigsten Lebensjahr absolut nicht, während andere schon mit dem fünfzigsten starke Alterserscheinungen zeigten.
Jedoch wurde auch von Menschen berichtet, die über dreihundert Jahre im Diesseits verweilt hatten.
„Allerdings“, fuhr Montierre fort, „hoffe ich, dass de Nord nicht der Grund Eurer Einladung war.“
„Nein, das war er in der Tat nicht“, gab die Prinzessin mit einem verlegenen Lächeln zurück, „Allerdings tat auch er etwas zu diesem Treffen dazu, denn es sind seine Worte, die ich gerne aus Eurem Mund hören würde. Ich weigere mich nämlich, zu glauben, dass sie den Euren entsprechen, Herzog.“
„Ich hatte bereits befürchtete, dass Euch unsere Ziele nicht gefallen würden, Eure Hoheit.“
„Nicht gefallen?“, keuchte Filiana, „Montierre, Ihr und der Marquis setzt euch über alles hinweg, was in Galor einmal Bedeutung hatte! Sollte nun selbst die Stimme des Rates, meine Stimme, nicht mehr von Belang sein?“
„Nein, natürlich…Eure Hoheit, Eure Stimme ist stets von Belang“, versicherte der Herzog.
„Dann hört auch auf sie!“, rief Filiana, „Herzog, wie könnt Ihr, wie könnt Ihr für die Hoffnung auf einen Lohn im Jenseits jede Moral im Diesseits brechen?“
„Ich maße mich ungern an, Eure Worte in Frage zu stellen, Eure Hoheit, doch unser Handeln ist keinesfalls unmoralisch. Es ist eigentlich genau das, was der Iurionismus in diesem Fall vorsieht.“
„Ledrianer, Serpendrianer…ihr und euer Iurionismus, der alles so schön rechtfertigt: Arroganz, Rassismus, Morde“, seufzte Filiana.
„Aber, Eure Hoheit, der Iurionismus rechtfertigt unter keinen Umständen…“, erwiderte der Herzog rasch, „Gut, er, er mag drakonisch erscheinen mit all seinen Blutsurteilen…und ich teile auch nicht all seine Ansichten, ganz sicher nicht…aber sein Kern, einen jeden Menschen nur nach seinen moralischen Werten zu richten und die Ideale über alles andere zu stellen, den halte ich für wahrer, als es Erlöserglauben oder Mondkult je sein könnten.“
„Ich…ich hatte Euch immer für einen vernünftigen, für einen guten Mann gehalten, Jean. Nicht so wie de Nord, aber…aber augenscheinlich seid Ihr genauso ein Fanatiker wie er“, schluchzte die Prinzessin, während vereinzelte Tränen über ihre Wangen rannen. Der Herzog betrachtete sie kurz mit geweiteten Augen, bevor er mit schwacher, melancholischer Stimme fortfuhr:
„Ihr haltet mich für…? Aber wie könnte ich denn…?“, er hielt erneut inne, schniefte, blickte mit glasigen Augen zum Himmel, bis er sie schließlich wieder auf Filiana senkte, „Ich bitte, offen zu Euch sprechen zu dürfen, Eure Hoheit.“
„Das ist nichts, um das Ihr bitten müsst. Eigentlich hatte ich das von einer ehrenhaften Person wie Euch erwartet.“
„Nun, es ist…ich weiß nicht, wo ich beginnen soll“, stammelte Jean, „Ich stecke, in einer Sackgasse, Eure Hoheit. Ich stehe auf einem Platz, auf dem ich nicht verweilen kann. Etliche Wege führen von ihm weg, doch jeder von ihnen ist der falsche. Jeder von ihnen wird wieder nur auf einen anderen Platz führen, der dem ersten um nichts nachsteht. Und wen auch immer ich nach dem Weg frage, der gibt mir einen Rat, aber ich weiß, dass er falsch ist, dass in jedem Rat doch nur der Eigennutz steckt. Entweder wollen sie einen guten Platz im Jenseits oder einen Platz auf den Schiffen…sie sind alle gleich. Ich weiß nicht weiter; nicht, auf wen ich noch hören soll…“
„Hört auf Euer Herz, Herzog!“, sagte Filiana unter kurzem Augenaufschlag.
Doch Montierre lachte nur spöttisch:
„Wisst Ihr, was der Iurionismus über das Herz sagt, Eure Hoheit? Er sagt, es sei der kreatürliche Teil des Menschen, die triebhafte Schwäche. Wahrer Mensch ist nur der, der auf seinen Willen hört und auf Gottes heiliges Prinzip.“
„Aber wie kann jemand einen Willen haben, ohne ein Herz zu besitzen? Wonach wollt Ihr streben, wenn nicht nach dem, was Euer Herz sagt? Wäret Ihr nicht ohne Euer Herz ein Schiff auf dem weiten Ozean, ohne Karte, ohne Kompass?“
„Ich…weiß es nicht“, gestand Montierre, „Ich fürchte, ich brauche Zeit, darüber nachzudenken.“
„Aber wir haben keine Zeit!“, drängte Filiana, „Farruk kocht vor Wut und ich fürchte, dass auch de Nords Hass mitnichten kleiner wird.“
„Wahrlich nicht“, seufzte der Herzog, „Wie ich bereits sagte: Jeder Ausweg ist falsch.“
„Dann müssen wir vielleicht einen falschen Weg gehen, zumindest einen, der weniger falsch ist, als die anderen.“
„Das mag sein, doch Eure Hoheit, ich brauche Zeit!“
„Dann geben wir ihnen wenigstens etwas, Herzog. Lasst uns ihnen zumindest etwas in Aussicht stellen. Ein Ball am Ende dieser Woche, was sagt Ihr? Wir werden dann bekannt geben, wie wir uns entschieden haben.“
„Ein Ball trotz der Nahrungsmittelrationierung? Nun ja, das würde sicherlich nicht nur Farruk gefallen…meinetwegen, sofern Ihr nicht von mir verlangt, mich auch noch darum zu kümmern.“
„Nein Herzog, seid unbesorgt, das werde freilich ich übernehmen. Versucht Ihr nur, eine Entscheidung zu treffen, eine gute Entscheidung.“
„Seid versichert, Eure Hoheit, ich werde mein Bestes geben“, versicherte er, erhob sich, küsste ihre Hand und wandte sich anschließend zum Gehen.

Merkwürdigerweise schien es niemanden zu interessieren, dass zehn vollgerüstete, ledrianische Soldaten gemeinsam mit dem Marquis, der hoch zu Ross saß, von Ferren quer durch das delionische Viertel geführt wurden, sodass sie recht schnell in die Nähe des Hauses gelangten, in dem die Todesanbeter mit ihrem Tunnelbau begonnen hatten. Dort wagten es dann doch drei delionische Wachsoldaten, sich der Gruppe in den Weg zustellen.
„Halt!“, brüllte ihr Feldwebel, bevor er auf Ferren deutete, „Das ist ein gesuchter Verbrecher.“
„Er steht“, begann Lucian, „unter dem Schutz des Marquis de Nord, dessen Urteilskraft ihr natürlich gerne anzweifeln dürft. In Anbetracht meiner bewaffneten und äußerst elitären Garde würde ich euch davon allerdings abraten.“
„Ähm ja, dann…“, stotterte sein Gegenüber, „sagt uns wenigstens, was Euch dazu bringt, mit Euren Truppen in diesem Viertel herumzustreifen.“
„Ich bin dabei, ein Nest von Nekromanten und Verschwörern auszuheben und ihr solltet mir dabei besser nicht Weg stehen, Pöbel!“, blaffte der Marquis.
„Ihr wisst es?“, das Gesicht des Feldwebels wurde plötzlich fahl, dann wandte er sich an seine Kameraden, „Wir halten sie auf! Peterson lauf! Erstatte auf der Wache Bericht über einen ledrianischen Angriff!“
Auf diesen Befehl hin stürmte einer der Delioner los, während die anderen beiden ihre Speere gegen die Ledrianer richteten.
„Also das ist“, lachte Lucian, „wirklich erbärmlich.“
Mit diesen Worten zog er eine Pistolenarmbrust, die an seinem Gürtel befestigt war und erschoss einen der Verteidiger.
Während seine Soldaten den zweiten niederrangen, gab er seinem Pferd die Sporen, holte den Flüchtenden ein und trat ihn zu Boden.
„Eine Beleidigung“, spottete er, nachdem er nachgeladen hatte, und jagte dem letzten Feind einen Bolzen ins Genick. Ferren sah ihn unhörbare Worte murmeln, während die Soldaten die Leichen der Delioner zum Straßenrand schafften.
Anschließend zogen sie weiter und schafften es tatsächlich, das gesuchte Haus ohne weitere Unterbrechungen zu erreichen. Davor wies de Nord vier seiner Soldaten an, wachezuhalten, wohingegen er selbst mit dem Rest seiner Truppen und Ferren das Gebäude betrat.
Der Flur sah noch genauso aus wie zu dem Zeitpunkt, als der delionische Leutnant von dort geflohen war. Lediglich das Blut, welches die Leichen des xendorischen Soldaten und des Thanatoikers umringte, war mittlerweile geronnen.
„Halt, wer ist da?“, rief plötzlich jemand, worauf ein einfach gekleideter Mann aus der Küche stürmte, dem der Marquis jedoch sofort einen Bolzen in die Kehle feuerte, worauf er mit einem ekelhaften Gurgeln zu Boden ging und diesen erneut mit Blut tränkte.
„Sichert das Gebäude!“, befahl er wobei er sein silberglänzendes Langschwert zog, dessen schmale Klinge im fahlen Licht glänzte. Auch die Smaragde, die Griff und Parierstange zierten, funkelten aus ihren grünen Tiefen. Mit einem Stich ins Genick erlöste er den Wächter von seinem Leid, während die Soldaten an ihm vorbei in die anderen Räume des Hauses stürmten.
Er und Ferren verweilten im Flur, bis einer der Ledrianer zurückkehrte und berichtete, dass man sonst niemandem im Gebäude gefunden hatte.
Darauf ließ sich der Marquis vom delionischen Leutnant in den Tunnel führen, wo er einen flüchtigen Blick auf die Zombies warf.
„Ich habe genug gesehen“, zischte er, „Eure Geschichte, Leutnant Ferren, scheint also wahr zu sein. Man mag Euch keinen Glauben schenken, doch kann ich Euch versichern, dass man auf meine Worte hören wird. Ich werde also noch vor Sonnenaufgang den stellvertretenden Anführer Eurer Nation und den Hohen Rat Galors über diese Entdeckung in Kenntnis setzten“, de Nord wandte sich an einen seiner Soldaten, „Fünf von Euch bleiben hier und bewachen das Haus! Die Zombies werden nicht angerührt! Der Rest eskortiert Leutnant Ferren zurück ins Hafenviertel“, er senkte seine Stimme, um wieder zu ihm zu sprechen, „Ruht Euch ein wenig aus. Ich denke, Ihr, Leutnant Raham und diese Novizin werdet unseren Triumph morgen ungern durch den Schleier der Müdigkeit betrachten wollen. Weggetreten!“

Der nächste Morgen kam so früh, dass Ferren glaubte, gerade erst eingeschlafen zu sein, als ihn ein ledrianischer Soldat aus seinen Träumen riss.
„Auf den Flur und da auf den Leutnant warten!“, blaffte dieser, bevor er das Zimmer wieder verließ.
Ferren blieb allein zurück, warf einen Blick auf die bröckligen Wände, erhob sich dann aus seinem Bett, kleidete sich in Windeseile an und taumelte noch schlaftrunken aus dem Raum heraus.
„Verdammte Delioner“, hörte er zwei Wachsoldaten tuscheln, „war doch klar, dass die mit den Thanatoikern zusammenarbeiten.“
„Ja, ehrlose allesamt. Diese Oppositionsstaaten. Iurion wird sie zerschlagen!“
„Das wird wohl nie aufhören“, seufzte eine wohl bekannte Stimme.
Der Leutnant wandte sich sofort von den beiden Ledrianern ab, drehte sich um und erblickte Ariona, die aus einem der anliegenden Zimmer gekommen war.
„Ah, guten Morgen Ariona“, grüßte er.
„Morgen“, gab sie zurück, während ihm auffiel, dass all ihre Wunden und Blessuren verschwunden waren, sodass ihr Gesicht wieder vollkommen makellos wirkte, als wäre nie etwas gewesen, als hätte der gestrige Tag nie stattgefunden.
„Du…du bist…was ist mit deinen Wunden passiert?“, stotterte er.
„Ach das…“, sie lächelte, „Ich habe sie mit Magie geheilt. Hab die ganze Nacht dran gesessen. Und wie erging es dir mit dem Marquis? Sag schon!“, ihre bernsteinfarbenen Augen funkelten.
„Er hat ein paar Verräter eliminiert, das Haus durchsucht und versprochen, den Rat und den delionischen Anführer zu konsultieren“, berichtete er.
„Hm, von ihm hätte ich eher erwartet, dass er das ganze Viertel überrennt und dann erst nach den Verdächtigen sucht“, spottete sie.
„Nein, er erschien mir ruhig. Ich verstehe immer noch nicht, warum er uns geholfen hat. Ganz offensichtlich hasst er die Delioner.“
„Er ist Iurionist. Er muss Gerechtigkeit schaffen, sonst darf er sich nicht mehr zu der höheren Menschenrasse zählen. Glaubt mir, unser Wohlergehen interessiert ihn kein bisschen.“
„Du bist schonungslos“, lachte Ferren.
„Mag sein“, sie zuckte die Achseln, „Wo ist eigentlich dein Freund Raham?“
„Der ist unten in der Küche und genießt Martins ausgiebiges Frühstück“, erschallte Vigards Stimme hinter ihnen. Als sie sich umdrehten, stand dieser in voller Rüstung vor ihnen.
„Ich fürchte“, fuhr er fort, „euch wird diese Ehre nicht zuteil. Der Marquis erwartet uns umgehend in der ledrianischen Botschaft.“  
„Dann mal los!“ rief Ferren, „Ich kann es kaum erwarten, Blaeks Gesichtsausdruck zu sehen. Dieses Verräterschwein.“
Nachdem sie Raham in der Küche endlich von seinem Omelett getrennt hatten, machten sie sich eskortiert von einigen ledrianischen Soldaten unter dem Befehl Vigards auf den Weg ins ledrianische Viertel. Dort waren im Gegensatz zu den meisten anderen Distrikten beinahe alle Gebäude aus weißem Stein gebaut, den etliche Lilienbanner zierten. Auch gab es hier nur wenige verwinkelte Gassen, dafür große Alleen, die von Zypressen flankiert wurden.
In Anbetracht ihrer Wappenröcke straften die Bewohner des Viertels, ausschließlich Ledrianer und Serpendrianer, Ferren und Raham mit finsteren Blicken.
Das gewaltige Gebäude der ledrianischen Botschaft erhob sich genau in Mitten des Viertels auf einem weiten, gepflasterten Platz, auf den die zentrale Allee führte. Hinter prächtigen Blumenbeeten und flankiert von gewaltigen Statuen Iurions, die einen gesichtslosen Engel mit ausgebreiteten Flügeln, Vollrüstung und Richtschwert zeigten, befand sich der Eingang der Botschaft.
Als sie die Eingangshalle betraten, schlug ihnen eine Sturmflut von Jubelrufen entgegen, die jedoch nicht ihnen galten, sondern Marquis de Nord, der in bester Pfauenmanier quer durch die Halle stolzierte und sich dabei von seinen ledrianischen Mitbürgen auf dem Balkongang der zweiten Etage feiern ließ, während Lilienblüten auf ihn herabrieselten.
„Habt Dank, meine Brüder!“, rief der Marquis, wobei er sich zu allen Seiten hin verbeugte, „Ein Hoch auf Iurion! Ein Hoch auf Ledria!“
„Ein Hoch auf Ledria!“, schallte es von den Rängen zurück.
„Der Mann der Stunde“, spottete Ariona unhörbar, während sie die Halle durchschritten.
„Vigard, Vigard“, grüßte Lucian, „und unsere drei Gäste. Ich nehme an, ihr wollt die Gefangenen sehen, die uns der großzügige, delionische Kapitän überließ?“
„Natürlich“, gab Ariona zurück.
„Es wäre uns eine Ehre“, fügte Raham schnell hinzu.
„Wohlan denn, folgt mir!“, drängte Lucian, worauf er sich zu einer Tür begab, hinter der eine Treppe in den geräumigen Keller der Botschaft führte. Dort standen sowohl Hauptmann Blaek als auch der muskulöse Okkultist Ysil, der in das von Ledrianern besetzte Haus zurückgekehrt und ebenfalls gefangengenommen worden war, in einer Zelle am Pranger.
„Verdammte Hure!“, blaffte Blaek, als er Ariona erblickte, „Ich hätte dich umbringen sollen, als ich es konnte.“
„Ihr scheint Eure Manieren zu vergessen, Hauptmann“, spottete de Nord, „Sofern Ihr je welche hattet, was ich zu bezweifeln wage.“
„Wir werden ja sehen, wer zuletzt lacht!“, entgegnete der gefangene Hauptmann.
„Tja, ich kann mit ziemlicher Sicherheit behaupten, dass Ihr es nicht sein werdet“, lachte Lucian, „Es sein denn, es gelänge Euch, Euer Lächeln auf Eurer Fratze zu verewigen in dem Moment, da man Euch enthauptet.“
„Pah, ich bin Delioner. Ihr könnt mir gar nichts!“
„Das mögt Ihr sein“, erwiderte der Marquis, „allerdings befindet Ihr Euch hier auf ledrianischem Boden und ich kann Euch versichern, dass man Euch nach ledrianischem Recht bestrafen wird. Seht es ein, Blaek“, Lucian klopfte ihm beinahe brüderlich auf die Schulter, „Ihr tragt Euren Kopf alsbald nicht mehr auf den Schultern.“
„Wir sind hier in Galor!“, keuchte Ariona, „In Galor werden Menschen immer noch eingesperrt und nicht exekutiert.“
„Das ist wahr“, bestätigte de Nord freundlich, „gegenüber Menschen lassen wir Gnade walten“, plötzlich klang seine Stimme scharf wie ein Rasiermesser, „aber Insekten werden zerquetscht!“
Darauf herrschte Totenstille, bis sich der Marquis an Ysil wandte:
„Ihr sagt gar nichts? Nun, es würde mich nicht wundern, wenn Ihr gar zu dumm wärt, Euch zu artikulieren. Doch wartet nur, des Henkers Axt wird Euch schon einen Laut entlocken.“
„Der Meister wird Euch zerfetzten!“, blaffte Ysil.
„Auf diesen Versuch warte ich sehnlichst“, lachte de Nord, bevor er sich abwandte, „Lasst unseren Gästen ein paar Minuten mit den Gefangenen, Vigard. Danach geleitet sie in ihr Viertel zurück. Ich habe den Rat geben, die Audienz mit ihnen um ihrer Ruhe wegen auf morgen zu verschieben. Was auch immer ihr mit diesen beiden Hunden anstellt, beachtet, dass in Ledria Folter ein noch höheres Verbrechen als Landverrat ist. Ich empfehle mich.“
Auf diese Worte verließen sowohl der Marquis als auch Vigard sowie die restlichen Wachen die Zelle, sodass Ariona, Ferren und Raham allein mit den Gefangenen zurückblieben.
Sekunden später stürzte Ariona Ysil entgegen.
„Was hast du mit Pegry gemacht, du Schwein?“
„Pegry? Wer war das nochmal?“, murmelte Ysil, worauf Ariona ihm eine schallende Ohrfeige verpasste.
„Glaub mir, kleines Mädchen, das tut mir nicht weh. Pass lieber auf, dass deine Ledrianerfreunde das nicht mitbekommen“, lachte er, „Aber da ich sowieso sterbe, kann ich es dir ja verraten. Vielleicht freut es dich. Ich habe diesen Idioten zu einem stinkenden Fleischklumpen zusammengeprügelt und ihn anschließend verbrannt.“
„Das ist“, keuchte Ariona, „der erste Tag, an dem ich hoffe, dass es Iurions Inferno im Jenseits wirklich gibt! Ich hoffe, du verbrennst darin! Für immer!“
Sie wandte sich ab, drehte sich dann aber noch einmal um, spuckte dem Gefangenen ins Gesicht und stolzierte zur Tür hinüber.
Währenddessen trat Raham zu seinem ehemaligen Vorgesetzten Blaek hinüber:
„Tja, Sir…ähm, ich frage mich, warum. Ihr wart immer prinzipientreu, anständig, wie mir schien. Was wolltet Ihr damit erreichen?“
„Galor ist dem Untergang geweiht!“, rief der Hauptmann, „Ihr alle und die ganze Welt! Ich hätte überlebt, wenn unser glorreicher Plan aufgegangen wäre. Aber seht euch vor, mein Tod ändert nichts. Ihr ändert nichts!“
„Jämmerlicher Feigling!“, spottete Ariona, „Was sagst du dazu, Ferren?“
Als sie jedoch Ferren ansah, bemerkte sie, dass er wie erstarrt wirkte. Seine Augen waren glasig, sein Gesicht ermattet.
„Ferren?“, fragte sie, „Ist alles in Ordnung?“
„Hm?“, murmelte er, bevor er nach kurzer Pause fortfuhr, „Ja, doch es geht mir gut. Ich habe nur gerade darüber nachgedacht, was der Marquis über Menschen und Insekten gesagt hat.“
„Iurionistengeschwafel“, spottete Ariona, bevor sie sich wieder Ysil zuwandte.
Ferren hingegen schenkte ihren Worten keine Beachtung und versank wieder in Gedanken.

Er war etliche Jahre jünger, ein stinkender, ungepflegter Laufbursche, der im eisigen Nordreich Skatria weit weg von seiner Heimat für die Ledrianer arbeitete. Die ganze Geschichte lag so weit zurück, dass Skatria noch nicht einmal ein eigener Staat war, sondern unter ledrianischer Besatzung stand, dass noch kein Frieden unter den acht Nationen herrschte und ihr großer Friedenspakt, die sogenannte Vereinigung, mit der eine neue Zeitrechnung beginnen sollte, noch in ferner Zukunft zu liegen schien.
Langsam trottete er über eine unbefestigte Straße in einem Dorf, dessen Namen er wieder vergessen sollte.
Obwohl der Frühling bereits begonnen hatte, schnitt die bittere Kälte bis in Mark und ein eisiger, milchig weißer Nebel lag wie ein Totenschleier über dem ganzen Land, sodass man kaum die einfachen Stroh- und Holzhütten erkennen konnte, die in einigem Abstand den Wegesrand säumten. Etliche Meter über ihm und eine ganze Strecke weiter nördliche stießen die Zacken der Gebirgsketten wie Speerspitzen aus der klammen Umarmung des Nebels.
Mit jedem Schritt näherte er sich dem Dorfplatz, der noch hinter den weißen Schwaden verborgen lag, wohingegen die Rufe, Schreie, das unterschwellige Wimmern immer lauter wurden.
Die schneidende Stimme eines Herolds zerriss wie jeden Morgen die Luft:
„Eure Triebe sind Schwäche! Legt sie ab! Die Schwachen erwartet das Inferno! Legt sie ab, oder fallt in die Schwärze!“
Der Nebel lichtete sich und aus der versammelten Masse des Dorfes erhob sich in Mitten des Dorfplatzes ein gewaltiges Schafott, von welchem der Herold auf die Menge hinabblickten, während vollgerüstete ledrianische Soldaten die ersten Verurteilten hinaufführten. Es war jeden Morgen die gleiche Prozedur, seit Prinz Lemorgant, der ledrianische Staathalter Skatrias, damit begonnen hatte, den, wie er es nannte, wahren Iurionismus zu verbreiten.
Der Ruf des Herolds ertönte:
„Garrep Hedul, wegen Gewalt gegen Wehrlose zum Tode durch den Strick verurteilt. Milan Ortov, wegen Anwendung von Schwarzmagie zum Tode durch Enthauptung verurteilt, Lenique Brura, wegen Diebstahls heiliger Objekte und Entweihung religiöser Orte zum Tode durch Enthauptung verurteilt. Ivan Zarevski, wegen Entwürdigung einer Person zum Tode durch den Strick verurteilt. Vollstreckt den Willen des Herrn!“
Dieser Ruf kam für die vier in schwarze Kutten gehüllten Gestalten dem Befehl gleich, ihrer Arbeit nachzugehen. Während zwei von ihnen den betreffenden Personen Stricke um den Hals legten, führten die anderen beiden die zur Enthauptung bestimmten Gefangenen zu den Guillotinen.
Ferren wandte sich ab, obwohl er diese Prozedur schon derart oft gesehen hatte, dass er nicht einmal mehr Ekel empfand. Er ging weiter, ohne hinter sich hysterische Schreie zu hören. Selbst als das dumpfe Aufschlagen eines abgetrennten Schädels auf Stein ertönte, blieb die Menge ruhig.
Nur das unterschwellige Wimmern verblieb.

Die ledrianischen Besatzer waren kurz vor der Vereinigung und der skatrischen Staatsgründung in einer Volksrevolution zurückgeschlagen worden. Prinz Lemorgant, so hieß es, hatte man auf seiner Flucht einen Pfeil direkt in die Brust geschossen.
Da die skatrischen Revolutionäre jedoch nie seine Leiche gefunden hatten, rankten sich seit jeher Gerüchte um den gefallenen Prinzen von Skatria. Manche behaupteten, er habe kein Herz und sei deshalb nicht durch den Pfeil gestorben, andere meinten, der Getroffene sei nur ein Doppelgänger gewesen. Die wenigsten gingen davon aus, dass Prinz Lemorgant wirklich gestorben war.

Kapitel 5: Der Ball

49. Grünwalden. 52 n.V.
In Galor verliefen die nächsten Tage ruhig. Während das Haus mit dem halbfertigen Tunnel von einem Regiment delionischer Soldaten besetzt wurde, der Hafen weiterhin unter Kontrolle der Ledrianer blieb und de Nord als großer Held gefeiert wurde, begannen die Vorbereitungen für den Ball im Stadtpalast, der Hand in Hand mit einigen öffentlichen Festen in allen Distrikten ablaufen sollte, da ein Platz im Palast nur der gehobenen Gesellschaft vorbehalten war.
Nach dem Meister, jener ominösen Person, die die Thanatoiker Kelrayass genannt hatten, fragte niemand mehr, denn Ariona und die beiden Leutnants zogen es vor, sich in den nächsten Tagen von den zurückliegenden Strapazen zu erholen.
Während Ferren noch in einem magischen Hospital der Iskaten lag, wurde Raham zum neuen Hauptmann der Wache befördert, dessen erste Amtshandlung darin bestand, die Suche nach Ilar fortzusetzten, um die ganze Geschichte der Verschwörung endlich zu beenden.
Blaek und Ysil schlug man auf dem Platz vor der ledrianischen Botschaft feierlich die Köpfe ab.
Gleichzeitig wurden von allen Seiten und Nationen her die Rufe nach einer zentral verwalteten Armee Galors laut, da die einzelnen Nationen bislang eher autonom handelten, wenn man von ihrer Verbindung durch den Rat absah. Prinzessin Filiana stellte sich jedoch dagegen, da sie, nach eigener Aussage, befürchtete, die Vergabe der Ämter könnte den Konflikt zwischen den Oppositionsstaaten und den Alten Königreichen weiter anheizen.
So kam schließlich der Tag des Balls, ohne dass es weitere Zwischenfälle gab.
Gegen Abend fanden sich die gutbetuchten Kreise Galors im Stadtpalast ein, jenem festungsartigen, gewaltigen Gebäude aus dunkelbraunem, glänzenden Stein, welches auf dem Nordhügel über der Stadt thronte. Zwei rundliche Ausläufer, die an kleine Türme erinnerten flankierten das große Eingangstor, über dem die Banner der acht Nationen Kalatars prangerten.
Als Herzog Montierre den Nordhügel mit seiner Eskorte ledrianischer Soldaten erreichte, schloss ein Reiter zu ihnen auf, den er bald als seinen engsten Vertrauten de Nord erkannte.
„Guten Abend, Marquis“, grüßte er.
„Seid ebenfalls gegrüßt, Herzog“, gab Lucian zurück, während die Gardisten ihren Ring um Montierre etwas erweiterten, sodass der Marquis sein Pferd in gemächlichem Schritt neben ihm führen konnte.
„Man munkelt“, fuhr er leise fort, „dass heute, was die Schiffe anbelangt, eine Entscheidung verkündet wird. Ich nehme doch an, diese Entscheidung wird nur eine Bestätigung unserer Position sein?“
„Das wird sie sein“, bestätigte Jean eilig, „Im Ãœbrigen beglückwünsche ich Euch zu Euren Heldentaten, Marquis.“
„Habt Dank, Herzog. Dennoch tat ich nichts, was von mir nicht zu erwarten gewesen wäre“, entgegnete Lucian, „Entschuldigt mich, aber ich muss noch einige Wachen für den heutigen Abend instruieren.“
„Tut das. Wir wären sonst alle sehr um unsere Sicherheit besorgt“, stimmte Montierre zu, bevor der Marquis sich wieder von der Gruppe entfernte und sein Pferd die steile Straße zum Nordhügel hinauftraben ließ.
Am Eingang des Palastes erwarteten den Herzog einige Wachen der Xendor in ihren goldverzierten Rüstungen, die ihn jedoch einließen, ohne seine Einladung sehen zu wollen. Einigen weniger bekannten Adligen aus Nogron, die kurz nach ihm eintrafen, erging es jedoch anders.
Die gewaltige, mit glasierten Ziegeln ausgelegte Eingangshalle verlief einmal komplett durch den Palast und bildete somit den Weg zu den dahinterliegenden Gärten. Eine steinerne Treppe auf der linken Seite führte in die oberen Etagen, in die sich jedoch erst wenige Leute begaben, weshalb ein Großteil der Gäste sich noch im Atrium ballte, wo einige Kellner Wein und Kaviar verteilten. Kaum hatte er die Halle betreten, löste sich ein Mann in glänzendem, azurblauem Kaftan aus der Menge und kam mit ausgebreiteten Armen auf ihn zu.
„Montierre, mein Freund!“, rief Farruk mit breitem Lächeln auf dem Gesicht, „Darf ich hoffen, dass in Eurem Herzen doch noch das Gute gesiegt hat?“
„Hoffen darf man immer“, gab der Herzog zurück, wobei er dem Kalifen brüderlich auf die Schulter klopfte.
Dann ließ er seinen Blick über die Menge schweifen, um jenes schlitzförmige, giftgrüne Augenpaar zu suchen. Dort stand er: Lucian de Nord, ihm abgewandt, mit einigen Serpendrianern plaudernd.
Montierre senkte seine Stimme:
„Wenn mich nichts aufhält, werdet Ihr bekommen, was Ihr wolltet.“
„Das…“, Farruk stockte mit geweiteten Augen, „ist wundervoll! Ihr hört auf die Freiheit, ein großer Geist für einen Ledrianer. Ihr saht über den Tellerrand des Iurionismus hinaus und erkanntet…“
„Gott verhüte, Farruk, dass ich aus denselben Motiven handle wie Ihr“, entgegnete der Herzog, „Ich habe keinesfalls vor, mit Euch gleichzuziehen. Ich werde hier siegen oder fallen. Mein Sinneswandel ist lediglich der Einsicht zu verdanken, dass ich damit die meisten Menschen retten kann.“
„So…“, der Kalif musterte den Herzog kurz, bevor er seine Stimme zu einem schallenden Jubel hob, „Wie dem auch sei, dies ist ein wundervoller Abend! Etul, bringt mehr Wein. Lasst uns feiern!“
„Lasst es verhalten angehen, Kalif. Einige Leute wissen noch nichts, von meiner Entscheidung“, erwiderte Jean, bevor er sich abwandte.
Wenig später ertönte der Ruf eines Herolds, der die Gäste dazu aufforderte, sich in den Ballsaal im dritten Obergeschoss zu begeben, worauf der Großteil der Anwesenden Folge leistete.
Nachdem sie einige Treppen hinter sich gelassen hatten, erreichten auch Herzog Montierre und sein Gefolge den Ballsaal. Vor ihm erstreckte sich unter der gewölbten Decke, von der kristallene Kronleuchter herabhingen, eine große Fläche voller runder Tische, an denen bereits lautstark geplaudert wurde. An der rechten Wand der Halle befand sich eine gewaltige, bogenförmige Theke aus Wurzelholz, an der die Bediensteten des Palastes große Mengen an Spirituosen ausschenkten.
Der hintere, freie Teil des Raumes bildete die Tanzfläche, in deren hinterster Ecke sich ein kleines Orchester der Xendor positioniert hatte, welches an diesem Abend für die musikalische Untermalung sorgen sollte. Auf der linken Seite dagegen erhob sich ein hölzernes Podest für Redner, über dem die Loge der Ratsmitglieder lag.
Prinzessin Filiana hielt sich bei den drei dort stehenden, goldenen Lehnsesseln auf, wo sie einige Bedienstete unterwies.
Während sich Montierre dort hinbegab, hielten sich Raham und Ferren, die man, ebenso wie Ariona, aufgrund ihrer Heldentaten in den Stadtpalast eingeladen hatte, an der Bar auf.
Wenn man von seinem rechten Arm absah, den er immer noch in einer Verbandsschlinge trug, war Ferren wieder gänzlich genesen. In weißen Seidenhemden und frischen, delionischen Wappenröcken, die das Fraktionsoberhaupt der Delioner eigens für sie herausgegeben hatte, wirkten die beiden auch wesentlich edler, als sie es noch vor ein paar Tagen getan hatten.
Während Raham von der hübschen Bedienung einen randvoll gefüllten und aufwendig gravierten Bierkrug aus Zinn entgegennahm, ließ Ferren seinen Blick über die Menge schweifen. Er entdeckte de Nord, der sich im Kreise einige Adliger bei einem der Tische aufhielt, den Herzog, der mittlerweile mit der Prinzessin sprach, ein paar bekannte Gesichter wichtiger Personen und auch Ariona, die in ihrem schlichten, mattweißen Sari besonders aus der Menge hervorstach.
Er schluckte, als er sah, wie sich mit einem athletischen Mann unterhielt, dessen lange, feuerrote Haarmähne nicht weniger auffällig war als ihr Sari. Das Lächeln auf ihrem Gesicht verriet, dass sie sich durchaus amüsierte.
„Wer ist das?“, fragte Ferren und deutete auf ihren Gesprächspartner.
„Wer…ach, der“, seufzte Raham, „Das ist Olaf, einer von unseren Leuten. Man nennt ihn den Schönen.“
Den Schönen, dass ich nicht lache“, zischte sein Gegenüber, „Du bist doch jetzt Hauptmann der Wache, oder?“
„Richtig“, bestätigte er und deutete auf das klobige, goldene Insignie, welches er an einer Kette um den Hals trug.
„Schön“, brummte Ferren, „Dann tu einem Freund einen Gefallen und schick diesen Olaf als Ablösung zur Tunnelwache.“
„Weil er mit Ariona redet?“
„Frag nicht.“
„Aber ich kann doch nicht…“
„Tu es einfach!“, blaffte Ferren.
„Also gut“, murmelte Raham, bevor er sich auf den Weg zu Olaf machte.
Er hatte jedoch kaum zwei Schritte getan, als die Stimme der Prinzessin vom Rednerpodest her erschallte, worauf das unterschwellige Gemurmel im ganzen Raum, sofort erstarb:
„Seid gegrüßt, hohe Bürger Galors! Seid herzlichst gegrüßt an diesem wundervollen Abend. Wie ich sehe, genießt ein jeder von euch bereits das reichhaltige Angebot unserer Speisen und Getränke. Ich wünsche, allerseits guten Appetit und einen Toast auf unsere Stadt, auf Galor, die letzte Festung Fiondrals.“
„Ein Hoch auf Galor!“, schallte es aus einigen Kehlen.
„Doch“, mahnte Filiana, „sind wir heute nicht nur des Genusses wegen hier. Nein, wir sind hier, weil es etwas zu verkünden gibt, etwas, das einen jeden in diesem Saal interessieren dürfte. Wie sicherlich alle vernommen haben, gibt es immer noch Streitigkeiten zwischen den acht Nationen und das, obwohl die Orks vor den Toren stehen, obwohl wir nur dann eine Chance haben, wenn wir uns gemeinsam dem Sturm stellen. Hand in Hand! Ledrianer und Delioner, Serpendrianer und Elipfer, Nogroner und Iskaten, Xendor und Skatrier.
Ich weiß, es ist viel verlangt, über die Mauern des generationenübergreifenden Hasses zu springen, aber wir müssen diesen Sprung wagen! Der Rat mag in der Vergangenheit nicht das beste Beispiel für die Zusammenarbeit der acht Nationen gewesen sein, aber auch das wird sich ändern. Und deshalb setzten wir heute Abend ein Zeichen. Ein Zeichen für Einheit, ein Zeichen für unsere Stärke“, sie legte ihr rechte Hand auf die Brust und rief laut: „Möge Galor niemals fallen!“
„Wenn sie glaubt, ich würde wegen der paar Worte gleich der Bruder eines jeden stinkenden Skatriers sein, hat sie sich geschnitten“, flüsterte man am Tisch de Nords.
„Ich bitte“, fuhr Filiana fort, „Herzog Montierre, Oberhaupt der Ledrianer und Ratsmitglied für die Alten Königreiche, nach vorne.“
Jean leistete dieser Bitte mit einer leichten Verzögerung Folge, sodass es etwas dauerte, bis er schlendernd das Podest und die Prinzessin erreicht hatte.
„Bürger Galors!“, seine Stimme klang rau und war keinesfalls überschwänglich laut, „Ich gebe hiermit bekannt, dass die Besetzung des Hafens durch ledrianische Truppen ab dem morgigen Tag beendet ist. Wir sind mit dem Kalifen Farruk übereingekommen, dass die Hälfte der Plätze auf den Schiffen den wehrlosen Kindern, Frauen und Alten Galors zur Verfügung gestellt wird. Die übrigen Plätze werden von den Anführern der acht Nationen so besetzt, wie sie es für richtig erachten.“
Auf diese Worte schallte dem Herzog gellender Jubel entgegen, den er jedoch gar nicht hörte.
Sein Blick fiel auf die Tische, an denen seine Landsmänner saßen, auf ihre vor Enttäuschung verzerrten Gesichter.
Als die Prinzessin den Ball für eröffnet erklärt hatte und die ersten Gäste auf die Tanzfläche geströmt waren, hatten einige von ihnen den Saal bereits verlassen.
De Nord jedoch nicht.
Kaum war der Beifall abgeklungen und die Menge auf den Saal verteilt, bahnte er sich seinen Weg zur Loge der Ratsmitglieder. Der Ehrenwache gebot er mit einem einfachen Handzeichen, ihn passieren zu lassen. Seine schwarzen, ledernen Soldatenstiefel schlugen schwer auf das Parkett, als er sich Montierres Sessel näherte.
„Auf zwei Worte, Herzog“, zischte er.
„Lucian, ich bitte dich…“
„Sofort!“, blaffte er zurück, wobei er mit dem ausgestreckten linken Arm auf eine Tür wies, die von der Loge zu einem Seitengang führte.
„Ihr werdet den Herzog doch heil zurück bringen?“, wandte Farruk von der Seite her ein.
„Schweig, Made!“, zischte de Nord, wobei er noch einmal auf die Tür deutete, was den Herzog dazu bewegte, sich zu erheben und hindurchzugehen. Dahinter lag ein schnörkelloser, dunkler Gang mit kalten, rohen Steinwänden.
Der Marquis schlug die Tür hinter sich zu.
„Ich“, begann er mit schneidender Stimme, „nehme nicht an, dass ich dir befehlen muss, das auf der Stelle zu revidieren.“
„Das werde ich nicht“, erwiderte der Herzog.
„Narr! Ich will gar nicht wissen, was diese Hexe in deinen Schädel gepflanzt hat, aber ich weiß, dass ich diese Wendung nicht akzeptieren kann und dass dir das klar war! Ich verstehe wirklich nicht, warum du dich in eine derart lächerliche Lage bringst.“
„Lächerlich?“
„Für gewöhnlich ist es lächerlich, eine derart wichtige Aussage innerhalb weniger Minuten wieder zu revidieren.“
„Ich fürchte, du hast mich nicht verstanden. Ich werde gar nichts zurücknehmen!“, fauchte der Herzog, worauf Lucian ihn am Kragen packte und gegen die Wand schmetterte.
„Oh doch, das wirst du! Denn du stehst nur hier, weil ich es so will! Solltest du etwa vergessen haben, dass ich den höheren Platz in der Hierarchie belege, Herzog Jean Montierre, dessen Besitz man nicht einmal auf der Landkarte findet?
„Ich fürchte, Ihr irrt, Marquis de Nord.“
„Willst du mich verspotten, Jean! Durch meine Adern fließt königliches Blut, ich bin der Prinz von…“
„Schön. Wenn du das bist, dann gehe da raus und sag es den Leuten. Sag ihnen, wer du bist und dass du ab heute die Geschicke der Ledrianer verwaltest! Ich halte dich nicht auf.“
„Du…“, stockte Lucian.
„Ich war lange genug deine Marionette. Aber du vergisst, dass der Puppenspieler ohne sein Instrument eine Niete ist! Du kämst nicht mal aus diesem Saal raus, würdest du aus dem Schatten träten.“
„Es ist“, begann de Nord mit einem gelassenen Lächeln, „geradezu arrogant, zu glauben, mich übertrumpfen, gar austricksen zu können. Mit deiner Entscheidung änderst du nichts, Jean, denn du vergisst, welche Soldaten deine Befehle ausführen sollen. Du vergisst, wem die Loyalität der Ledrianer gebührt. Wenn du die Besetzung des Hafens aufheben willst, nur zu. Der sehr geschätzte Major Tymaleaux hat Befehl, in diesem Fall alle Schiffe sofort verbrennen zu lassen. Du solltest einsehen, dass du nicht gewinnen kannst. Gib dich geschlagen, ich bin bereit, zu verzeihen. Revidiere, was du gesagt hast, und alles ist vergeben!“
„So weit würdest du gehen? So blind bist du geworden? Ach, ich vergaß: So blind bist du immer schon gewesen!“
„Es ist stets amüsant, wenn die Blinden die Sehenden blind schimpfen, Herzog. Ich gebe dir als Freund den Rat: Denk darüber nach, aus welchem Grund du handelst, und dann sage mir noch einmal, dass ich blind bin.“
„Mag sein, dass Gottes heiliges Prinzip nicht mehr das einzige meines Handelns ist, aber mein Herz sagt mir, dass dein Weg falsch ist, und so sehr irren kann ich mich nicht!“
„Das Herz…schwach!“, zischte Lucian, „Aber mag es sein, was es will. Du vergisst, dass du nicht triumphieren kannst, denn, was rechtschaffen ist, wird niemals fallen!“
Mit diesen Worten drehte sich der Marquis unter einem Wirbeln seines königsblauen Umhangs um und stürmte zur Tür.
„Wenn du versuchst, den Ball zu verlassen, werden die Xendor dich aufhalten!“, rief der Herzog ihm nach.
„Das ändert gar nichts. Es zögert das Unvermeidbare allerhöchstens etwas hinaus.“
„Ist dir eigentlich nicht klar, dass du, wenn du die Schiffe verbrennst auch den Wehrlosen ihre Fluchtmöglichkeit nimmst?“
„Es geht nicht darum, dass ich sie verbrennen will, sondern dass ich sie verbrennen könnte. Solange sie in meiner Hand sind, habe ich den entscheidenden Trumpf in diesem Spiel und ich werde ihn einsetzten, auf dass diese Schiffe keinen einzigen kampffähigen Feigling von diesem Kontinent schaffen, dafür aber so viele Wehrlose wie möglich. Ebenso, wie wir es geplant hatten.“
„Wenn deswegen in Galor der Bürgerkrieg ausbricht, rettest du niemanden! Und glaub mir, er wird ausbrechen, wenn du meine Lösung blockieren solltest. Lucian, wir sind Iurions Auserwählte, es ist unsere Aufgabe, diesen Konflikt zu lösen und zwar ohne dabei das Blut etlicher Unschuldiger zu vergießen.“
„Das Blut, das vergossen würde, wäre nicht das Blut Unschuldiger. Es wäre…“, begann de Nord, bevor ein ledrianischer Unteroffizier in den Gang durch die Tür platzte.
„Ich hoffe, dafür gibt es eine Erklärung“, zischte der Marquis ihn an.
„Ja, edler Herr“, gab der Unteroffizier zurück, „Ein Angriff im delionischen Viertel! Die Orks sind durch den Tunnel gekommen.“
„Die Orks?“, keuchte Lucian, „Ich werde sofort zum Hafen reiten und den Delioner mit meinen Truppen zur Hilfe kommen.“
„Sollten wir nicht…“, begann der Herzog, doch der Marquis unterbrach ihn:
„Du bleibst hier! Ich werde mich schon darum kümmern. Und sollte irgendeiner dieser erbärmlichen Xendor auch nur daran denken, mich aufzuhalten, schlage ich ihm eigenhändig den Kopf ab!“
Mit diesen Worten verließ Lucian gefolgt vom Unteroffizier den Gang und trat in den Ballsaal, wo die ausgelassene Stimmung davon kündete, dass der Angriff noch nicht öffentlich gemacht worden war.
Die Treppen zur Eingangshalle hechtete er hinunter, ließ die fragenden Gäste dort unbehelligt stehen, eilte zu den Ställen, wo sein Pferd bereits gesattelt stand. Sekunden später galoppierte er den Hügel hinab und durchquerte das Viertel der Xendor.
Im Hafen konsultierte er seinen Untergeben Tymaleaux, der sofort alle verfügbaren Truppen mobilisierte, sodass die Docks beinahe unbesetzt zurückblieben, während de Nord mit seinen Soldaten zum delionischen Viertel zog.
Am Brückenübergang erwartete ihn bereits Olaf, der eine recht lange, aber nicht tiefe Schnittwunde auf seiner rechten Wange und Blutspritzer auf seinem Wappenrock hatte, zusammen mit einer großen Gruppe Soldaten, die scheinbar aus allen Distrikten der Stadt stammten.
„Ich hörte von einem Angriff und verlange sofort einen Bericht!“, rief de Nord, der auf jeglichen Gruß verzichtete.
„Sir, der Stollen da unten, er…wurde von der anderen Seite durchbrochen und Orks, sie strömten in die Katakomben. Wir konnten sie aber aufhalten und den Tunnel sprengen. Gefahr besteht keine mehr.“
„Es besteht keine Gefahr mehr...“, murmelte der Marquis, „Handelte es sich um einen größeren Angriff?“
„Ähm, nein“, antwortete Olaf, „Es war eher ein Spähtrupp.“
„Das ergibt, bei Iurion, keinen Sinn“, zischte Lucian, „Wozu gräbt man einen Tunnel, um dann einen Spähtrupp statt eines Regiment hindurch zu schicken, das den Feind auf jeden Fall erledigt?“ er wandte sich an zwei Soldaten, die neben ihm standen, „Woher kommt ihr?“
„Wir hatten unseren Wachposten in dem kleinen Turm am Südende der Promenade, bevor wir abgezogen wurden. Aber einer hält dort noch die Stellung.“
„Ich habe beinahe alle Truppen aus dem Hafen abgezogen“, keuchte de Nord, wobei er sich zitternd an die Stirn fasste, „Wir sollten beten, dass es sich bei dem Angriff nicht um eine Ablenkung handelt! Alle Mann sofort wieder auf ihre Posten!“
Noch bevor er geendet hatte, erschallte bereits von irgendwoher der Ruf: „Feuer im Hafen!“

Im Ballsaal wurde nicht mehr getanzt, die Musik des Orchesters war verstummt und nur ein unterschwelliges, düsteres Gemurmel beherrschte die Halle. Ratlose Fragen drangen durch die Luft, die Aufregung knisterte geradezu.
„Ist de Nord dafür verantwortlich?“, blaffte Farruk, der neben dem Herzog stand.
„Ich hoffe nicht“,  murmelte dieser, worauf er sich zum Balkon auf der Südseite des Palastes begab. Dort war es so voll, dass er sich nur unter Einsatz seiner Ellbogen bis zur Brüstung vorkämpfen konnten.
Im Hafen oberhalb des perlschwarzen Spiegels, den das Meer zu dieser Stunde bildete, tanzten in graziler Schönheiten drei Feuerbälle auf den Wellen. Die letzte Hoffnung Galors, ein Haufen Asche, den bald schon der unbarmherzige Ozean verschlingen würde.
Tränen prasselten auf den Stein der Brüstung, verständnislose Schreie zerrissen die Luft.
„Ich habe genug gesehen“, verkündete er, worauf er sich umdrehte und sich seinen Weg zurück zum Eingang bahnte.
Wenig später trafen er und Farruk im Hafenviertel auf de Nord, der gerade mit seinen Truppen zurückkehrte.
Es dauerte nicht mehr lange, bis sie die Promenade erreichten, von wo aus sie gerade noch mit ansehen konnten, wie das Meer die letzten brennenden Balken verschluckte. Um selbst im Falle eines Angriffs auf den Hafen sicher zu sein, hatte Lucian die Schiffe ein Stück davor auf See ankern lassen.
„Es ist mir unbegreiflich, wie jemand die Schiffe anzünden konnte. Selbst die übrigen Wachen hätten ihn aufhalten müssen!“, keuchte er.
„Vielleicht sollten sie ja niemanden aufhalten“, stichelte Farruk, „Vielleicht seid Ihr ja dafür verantwortlich.“
„Seid versichert, wäre ich das, hätte ich es aus Stolz zuvor angekündigt!“, entgegnete der Marquis, bevor er sich an einen der ledrianischen Soldaten wandte, „Wo ist Tymaleaux? Ich will ihn sofort sprechen.“
„Ich weiß es nicht, Sire. Als ich ihn das letzte Mal sah, wollte er hier runter, zur Promenade“, antwortete der Soldat.
„Hier…hier bin ich“, ein Keuchen ertönte, und als sich alle dem Pier zuwandten, von dem es kam, war eine einzelne dunkle Gestalt zu erkennen, die sich von dem schwarzen Horizont absetzte. Tymaleaux wankte über den steinernen Pier. Zwei Pfeile steckten in seiner Schulter und Blut tränkte sein dunkelblaues Samtjackett mehr, als es die Weinflecken je getan hatten.
„Verdammt, Tymaleaux!“, keuchte de Nord, worauf er diesem entgegeneilte, um ihn zu stützten. Wie ein nasser Sack stürzte er in die Arme des Marquis, während einige Soldaten herbeieilten, um zu helfen.
„Sag mir, mein Freund, was ist geschehen?“, fragte Lucian, nachdem auch Montierre und Farruk näher herangekommen waren.
„Mehrere Männer...kamen aus dem Nichts. Schwarze Kapuzen…konnte Gesichter nicht erkennen. Haben die Wachen getötet…waren schnell. Haben mich…auch erwischt…konnte sie nicht aufhalten. Verzeiht, Eure Hoheit“, ächzte der Angeschossene.
„Alles ist vergeben, Freund. Bringt ihn sofort zu einem Heiler!“, befahl de Nord.
Während man den verwundeten Tymaleaux fortschaffte, wandte sich der Marquis den Blick zum Boden und flüsterte: „Schwärze. Ein letztes Glühen erlischt. Sie werden alle versinken. Herr, sei ihren Seelen gnädig.“
„Ist alles in Ordnung mit dir?“, fragte Montierre.
„Ich muss gestehen, ich fürchte, in dieser Stadt keinen einzigen Freund mehr zu haben. Schon gar nicht jetzt. Ich werde morgen noch zur Front abreisen. Hier gibt es für mich nichts mehr zu retten“, sagte der Marquis, bevor er sich abwandte.
„Du willst nach Baskat?“, keuchte der Herzog.
„Ihr lauft vor Eurer Schuld davon!“, spottete der Kalif.
„Selbst wenn ich mir etwas hätte zuschulden kommen lassen, wäre es sinnlos davor zu fliehen, würde es mich doch spätestens mit meinem Tod einholen, und allzu lange wird wohl keiner von uns mehr leben“, sprach Lucian, bevor er sich abwandte und ging.
„Ist das sein Werk?“, fragte Farruk den Herzog.
„Das wage ich, zu bezweifeln“, entgegnete dieser, während er sich einem Unteroffizier zudrehte, „Gebt den Männern den Befehl zum Abrücken! Die Blockade des Hafens ist aufgehoben.“

Kapitel 6: Von Helden und Verrätern

50. Grünwalden. 52 n.V.
Doch zu Lucians Abreise sollte es nicht mehr kommen, da noch in derselben Nacht ein Bote die Tore erreichte und die Nachricht vom Fall Baskats überbrachte, einem Dorf westlich von Galor, das dessen letzten Außenposten dargestellt hatte.
Denjenigen, die ihre Sinne nicht mit Alkohol und Dunkelkraut vernebeln mussten, um die Realität zu ertragen, wurde recht schnell klar, dass die Zeit der Feste und Feiern nun endgültig vorbei war.
Die Orks kamen und mit ihnen eine schwarze Wolke der Angst, die sich wie ein Totenschleier auf die Gemüter der Menschen legte.
Plötzlich war jedes Ringen um Individualität verklungen, von Hass wurde nicht mehr gesprochen, sogar das Gerücht, de Nord stecke hinter der Zerstörung der Schiffe verflog ebenso schnell, wie es aufgekommen war.
Farruk ließ sich drei Tage lang vertreten, bevor er wieder auf die Bildfläche, um von Ehre und Würde zu reden, als hätte ihn ein Blitz getroffen.
Binnen einer Woche wurde der Plan einer zentralverwalteten Armee Galors in die Tat umgesetzt und plötzlich durfte sich, sogar mit Farruks Zustimmung, Herzog Jean Montierre Hochgeneral von Galor nennen.
Ging man abends durch die Straßen Galors, so traf man keine betrunkenen Adligen mehr, keine pöbelnden Jugendlichen, keine Rassisten, die sich von den gegenüberliegenden Straßenseiten her verspotteten. Vor den Häusern lehrten Veteranen Jünglinge das Kämpfen, nagelten Handwerker Fenster mit Brettern zu, schnitzten betagte Männer Speere, webten Weiber Wamse.

An einem warmen Spätsommerabend blickten Jean Montierre und Prinzessin Filiana vom Balkon der xendorischen Botschaft auf ein geschäftiges Viertel hinab.
„Wir haben es geschafft. Die acht Nationen sind sich einmal einig“, schwärmte Filiana, wobei sie sich tief in ihren Bastsessel sinken ließ.
„Ja, ich denke, wir werden einen guten Kampf geben“, stimmte Montierre zu, „doch gewinnen werden wir ihn wahrscheinlich nicht.“
„Müssen wir das denn?“, fragte die Prinzessin, „Es ist schon amüsant: Die Verräter, oder wer auch immer die Schiffe angezündet hat, dachten ganz sicher nicht, dass sie damit das erreichen würden.“
„Nein, wahrlich nicht“, lachte der Herzog, „Hätte ich wetten müssen, ich hätte mein ganzes Vermögen darauf gesetzt, dass nach der Zerstörung der Schiffe hier der Bürgerkrieg ausbricht.“
„Und de Nord gelyncht wird“, fügte Filiana hinzu, „Aber stattdessen wird er plötzlich verehrt.“
„Er wusste die ganze Zeit über, dass er sterben würde, und danach hat er gehandelt. Jetzt, wo allen klar wird, dass sie wahrscheinlich nicht mehr allzu lange leben werden, begreifen sie sein Handeln. Jetzt gibt es nur noch die Ehre zu retten, wie er immer sagte.“
„Ihr sprecht wahrlich so, als gäbe es nicht den Hauch einer Siegeschance für Galor.“
„Es tut mir leid, wenn ich Euch enttäuschen muss, Prinzessin, aber den gibt es auch nicht“, dementierte Jean, „Ja, Galor mag stark sein und randvoll mit Menschen, die bis an ihr Ende kämpfen würden - vor allem natürlich, weil sie gar keine andere Wahl haben - aber uns steht ein gewaltiges Heer gegenüber, das bereits einen ganzen Kontinent überrannt hat, und wir wissen noch nicht einmal, wer es anführt. Aber wir wissen, dass sie Schwarzmagier und wahrscheinlich noch Schlimmeres auf ihrer Seite haben. Von einem Sieg auszugehen, wäre arrogant.“
„Es gibt also keine Hoffnung?“, fragte Filiana.
„Ich fürchte, nicht“, gab der Herzog zurück, während ein Page auf den Balkon trat.
„Eure Hoheit, verzeiht, dass ich störe, doch der Marquis de Nord verlangt eine Audienz beim Hohen Rat. Er besteht darauf, ihn binnen einer Stunde einzuberufen.“
„Seit wann befiehlt ein Marquis de Nord dem Rat, was er zu tun hat?“
„Er sprach davon, eine Lösung gefunden zu haben“, erklärte der Laufbursche.
„Eine Lösung wofür?“, erkundigte sich Filiana.
„Das wollte er nicht sagen.“
„Nicht? Lasst ihm ausrichten, dass ich bereit bin, ihn anzuhören“, gab sie zurück.
„Ich ebenfalls“, fügte Montierre hinzu.

Da Farruk sein Einverständnis bereits gegeben hatte, kam es tatsächlich dazu, dass der Hohe Rat Galors den Marquis binnen einer Stunde im marmornen Audienzsaal des Stadtpalastes empfing. Aus drei goldenen Thronen blickten sie auf den galanten Adligen in seinem dunklen Samtjackett hinab.
„Seid gegrüßt, Marquis Lucian de Nord“, begann Prinzessin Filiana, worauf ihr Gegenüber eine leichte Verbeugung andeutete.
„Ich nehme an, Ihr habt den Rat nicht ohne Grund einberufen?“, fuhr der Herzog fort.
„Ihr verspracht mir eine Lösung für unsere Probleme. Eine Fluchtmöglichkeit von diesem Kontinent!“, donnerte Farruk.
„Dann wisst Ihr mehr als ich“, gestand Montierre.
„Das habe ich in der Tat“, sagte de Nord.
„Moment“, unterbrach die Prinzessin, „Die Lösung, von der Ihr spracht, betrifft den Sieg Galors?“
„Ich sprach von Flucht, nicht von Sieg“, korrigierte Lucian.
„Gleichviel!“, rief der Kalif, „Wie lauten Eure Pläne, Marquis? Geraderaus damit!“
„Nun, ich sollte vielleicht zunächst anmerken, dass es sich bei meinen Plänen nicht um ein sicheres Unterfangen handelt. Es ist keine greifbare Lösung; nichts, das man ohne Anstrengung erreichen könnte; keine göttliche Intervention; ein Himmelfahrtkommando im besten Sinne.“
„Ich bitte Euch, Marquis, kommt zum Punkt“, unterbrach die Prinzessin.
„Wie Ihr wünscht“, entgegnete der Marquis, „Als ich in der vergangenen Woche die Truppenberichte vom Beginn der Invasion durchstöberte, um genauere Angaben zu den Waffen unserer Feinde zu finden, stieß ich auf einen interessanten Vermerk. Die Orks nutzten für ihre Seeblockade hauptsächliche kleinere Galeeren und Schiffe, die sie von den Menschen erbeutet hatten. Ihre Landetruppen kamen jedoch mit gewaltigen Segelschiffen nach Fiondral, die bis zum Ende der Aufzeichnungen noch bei den Landezonen vor der Ostküste lagen. Die Orks sind primitiv. Den Beschreibungen, die den Aufzeichnungen beilagen, konnte ich entnehmen, dass fünf Männer ausreichen, um ein solches Schiff zu segeln. Wenn man dabei Magier einsetzt, ist es sogar mit einer deutlich geringeren Anzahl machbar. Auf der anderen Seite sind die Schiffe jedoch so groß, dass es möglich sein sollte, ganz Galor mit drei von ihnen zu evakuieren.
Mein Plan sieht also folgender Maßen aus:
Ihr unterstellt fünfundvierzig Soldaten, die besten Männer und Frauen Galors, meinem Befehl und ich garantiere dafür, bei meiner Ehre, dass diese Schiffe in den Hafen dieser Stadt einlaufen werden.“
Der Wind wehte sanft durch den Saal, die untergehende, blutrote Sonne warf ihre letzten Strahlen durch seine Fenster und brachte den weißen Marmor zum Glänzen. Farruk grinste wie ein Kind, Montierre neigte den Kopf, die Prinzessin taxierte de Nord nachdenklich.
„Euch ist klar, dass zwischen Galor und der Ostküste Fiondrals tausende Meilen Feindesland liegen?“, fragte sie.
„Selbst mir ist der Fall Fiondrals nicht entgangen“, spottete de Nord, „Aber unsere letzten Kundschafter berichten, dass die Hauptstreitmacht der Orks bereits weiter vorgerückt ist. Mein erster Schritt bestünde darin, den Tunnel wieder ausheben zu lassen, um durch ihn hinter die feindlichen Linien zu gelangen. Dort würden wir uns in drei Gruppen aufteilen, die, aus nur fünfzehn Personen bestehend, hinter den feindlichen Linien kaum auffallen sollten.
Ihr vergesst, dass Fiondrals Weiten keine orkische Festung sind. Hinter der feindlichen Hauptstreitmacht liegt verwüstetes Land, besiegte Städte und Dörfer, deren Bewohner zu jedem loyal sind, der ihnen eine Klinge an die Kehle hält. Wir werden dort keinen Heerscharen von Orks und Verrätern gegenüberstehen. Ein paar Jägern vielleicht. Wer weiß, ob es überhaupt zum Kampf kommt.“
„Die Mondgöttin sei gepriesen!“, keuchte Farruk, „Vergesst all meinen Spott über Euch, Marquis! Ihr seid brillant!“
„Brauchen wir denn nicht jeden Krieger hier in Galor?“, zweifelte Filiana.
„Also, ich denke, fünfundvierzig sind zu entbehren, wo diese Stadt doch mehrere tausend Einwohner hat“, erwiderte Montierre.
„Aber Ihr seid euch sicher, Marquis, dass drei Schiffe ausreichen werden?“, fragte Farruk.
„Nun, die Schiffe werden nicht vor den Orks hier sein. Sie werden reichen, wenn ich die Verluste richtig kalkuliert habe.“
„Verluste?“, ächzte die Prinzessin.
„Während ich für die Rettung sorge“, sprach Lucian, „ist es Aufgabe des Rates, dafür zu sorgen, dass noch etwas da ist, das man retten kann. Haltet diese Stadt, bis ich zurück bin!“
„Wir sollten vielleicht erst über Euren Vorschlag abstimmen, bevor wir uns Gedanken darum machen, wer was verteidigt“, wandte sie ein.
„Meinen Segen habt Ihr, de Nord“, verkündete der Kalif, „Und ich hoffe, auch den aller Menschen und aller Götter.“
„Ich weiß nicht“, widersprach Filiana, „Sollen wir wirklich unsere besten Männer opfern? Können wir Galor nicht halten, die Orks zurückschlagen? Das alles erscheint mir zu wage, zu wage. Nein, ich kann dem nicht zustimmen.“
„Und Ihr, Herzog?“, wandte sich de Nord an Montierre.
„Setzt diesem Plan noch eine vierte Gruppe hinzu, die die Orks aus dem Hinterhalt sabotiert, und Ihr habt meine Stimme, Marquis.“
„Das sollte sich einrichten lassen“, bestätigte Lucian.
„Exzellent!“, klatschte Farruk, „Betrachtet Euren Plan als bewilligt!“
„Wohlan denn“, rief de Nord, „Veranlasst, dass die Anführer der acht Nationen mir ihre besten Männer zur Verfügung stellen! Wenn wir nach Vorschlag des Herzogs noch drei Saboteure hinzufügen, sind das sechs Streiter aus jeder Nation. Ich verlange, dass es sich bei einem Fünftel der gesamten Truppe um Magier handelt!“
„Ich werde dafür sorgen, Marquis“, versprach Jean Montierre.
„Und ich kümmere mich um den Tunnel. Er wird bei Eurer Abreise wieder begehbar sein. Verlasst Euch darauf“, fügte Farruk hinzu.
Darauf verbeugte sich de Nord erneut kaum merkbar und zog sich zurück.

Eine weitere Wendung der Stimmung hinter den Mauern Galors blieb jedoch aus.
Obwohl Späher vermeldeten, dass das orkische Heer einige Meilen vor Galor gestoppt hatte und nichts auf einen Angriff schließen ließ, und de Nord bereits ihre Rettung pries, wich der Totenschleier der Furcht nicht von den Gesichtern der Bürger. Es wurde wenig geredet, nicht mehr gefeiert. Oft gab man illegale Güter freiwillig zurück. Der Schwarzmarkt erlebte seine schwärzesten Stunden.
Die Messen waren gefüllt und abends hallten die Gebete der Mondkultisten lauter gen Himmel als je zuvor.
Misstrauen starrte aus jedem Augenpaar, waren die Verräter, die hinter der Zerstörung der Schiffe steckten, doch immer noch nicht gefunden worden.
Alle Hoffnung und aller Glaube konnten nicht darüber hinwegtrösten, dass achtundvierzig Bürgern Galors in den nächsten Tagen Todesbotschaften ausgestellt wurden.
Ferren, den man nach dem Aufdecken des Thanatoikerrings und seinen zahlreichen Lädierungen vorläufig beurlaubt hatte, saß auf seinem Balkon, starrte die sandsteinernen Fassaden an und trank ein Bier, während der Himmel milchig grau, verhangen von Wolken das Sommerende ankündigte. Eine angehnehme Kälte lag über der Stadt, welche die Erinnerungen an die quälende Schwüle der vergangenen Tage verblassen ließ.
Während er einen weiteren Schluck aus seinem Bierkrug nahm, ertönte ein Klopfen an der Tür seiner Behausung.
Langsam, wenn gleich auch etwas verwundert, erhob er sich, um durch die Dunkelheit des Zimmers zum Eingang zu schreiten. Dort legte er seine Rechte auf den Griff seines Kurzschwerts und öffnete  die Tür nur einen kleinen Spalt.
„Leg das Schwert weg. Ich bin’s, Raham“, schallte es durch den Spalt.
Mit einem kurzen Blick versicherte sich Ferren, dass die besagte Person tatsächlich vor der Tür stand, bevor er öffnete.
„Du wirst langsam paranoid“, entgegnete Raham, während er eintrat und sein Gastgeber sich in Richtung des Balkons zurückzog.
„Die Verräter wurden noch nicht gefasst und haben einen begründeten Hass auf mich.“
„Die Verräter zu fassen, gestaltet sich als schwierig“, merkte der Hauptmann der Wache an, „Besonders, wenn man niemandem vertrauen kann. Ich bin immer noch dabei unsere Reihen von den ehemaligen Sympathisanten Blaeks zu säubern.“
„Was suchst du dann bei mir?“
„Gar nichts…abgesehen von dir selbst natürlich.“
„So?“
„Ja“, gestand Raham, wobei er die Arme hängen ließ, „Schlechte Neuigkeiten…sofern du an deinem Leben hängst.“
„Was zum…“, keuchte Ferren, während sein Freund ihm einen Brief übergab, dessen Wachssiegel das Wappen Delions zierte.
„Von Kapitän Lagon höchst persönlich“, erklärte der Hauptmann.
„Du weißt aber, was drin steht?“
„Ein Versetzungsbefehl zu einem Spähtrupp, die Galor verlassen wird.“
„Die Rettungsmission?“
„Jeder, mit dem ich darüber sprach, nannte es Himmelfahrtskommando“, gestand Raham.
„Scheiße“, ächzte Ferren, „Und womit habe ich das verdient?“
„Mit deinen außerordentlichen Leistungen bei der Aushebung des Thanatoikerrings.“
„Man sagt also, dass niemand von dieser Mission zurückkommen wird?“, fragte der Leutnant langsam.
„Nein es…die meisten nehmen es mit Fassung.“
„Aber sie glauben nicht, dass sie überleben werden?“
„Sie glauben bestimmt daran. Es ist nur…“
„Lüg mich nicht an!“, blaffte Ferren, „Sag mir: Gibt es in dieser Stadt irgendwen, der das hier“, er wedelte mit dem Brief vor der Nase seines Kameraden herum, „nicht für ein Todesurteil hält?“
„Ja, den gibt es“, antwortete Raham betreten, „Lucian de Nord.“
„De Nord…ich, ich muss…ich muss mit…weißt du, ob Ariona noch in dem Keller wohnt?“
„Das fragst du mich? Ich dachte du wüsstest…“
„Ach, verdammt!“, blaffte Ferren, sprang auf, knallte die Tür zu und ließ den Hauptmann allein zurück.
„Er hätte mir wenigstens sagen können, wo der Schlüssel für die Tür ist“, sagte Raham, während er sich kopfschüttelnd umsah.

Ferren rannte, dass neben ihm Häuserfassenden und Zierbäume zu einer verwischten Mixtur aus Sandbraun und Laubgrün verschmolzen, rannte, dass es sich anfühlte als würden seine Schienbeine aus den Gelenken springen, dass seine Füße wie weiße Glut brannten, als er schließlich vor dem Eingang des Wohnkellers stand.
Keuchend lehnte er sich gegen die Mauer neben der Tür, während sein Herz schmerzend in seiner Brust schlug.
Eine einziges Wort formte sich auf seinen Lippen: „Warum?“
Erneut hatte er das Gefühl, von sich selbst ausgetrickst zu werden, sich seinem eigenen Willen zu widersetzen.
Seine Hand öffnete die Tür, seine schmerzenden Füße trugen ihn die Treppe hinunter.
Als er den Wohnkeller erreichte, fuhr ihm ein eisiger Wind entgegen. Die Nischen waren allesamt leer, die Kohle im Ofen verglüht, aus geöffneten Schränken und Schubladen glotze ihn die Leere an.
Nichts und niemand war mehr an diesem Ort.
Ächzend schlug Ferren mit der blanken Faust gegen die rohe Steinwand, ohne dabei eine Miene zu verziehen.
Als er sich umdrehte, entdeckte er jedoch den einzige Gegenstand, den man nicht aus den Nischen entfernt hatte.
Ein vereinsamter, lederner Ranzen lehnte an der kniehohen Mauer, die den Eingang flankierte. Der Leutnant beugte sich zu ihm hinunter, um mit seiner Linken über die ledernen Riemen zu streichen.
Er wollte ihn gerade öffnen, als eine Stimme von der Treppe her erschallte:
„Hallo? Ist da jemand?“
Ferren brauchte keine Sekunde, um zu erkennen, wessen Stimme es war.
„Ariona?“, rief er zurück, während seine Gesichtszüge sich entspannten.
„Ferren? Bist du das?“, fragte sie, während bereits Schritte auf der steinernen Treppe ertönte. Wenig später erreichte sie das Ende und betrat den Kellerraum, wo der Leutnant noch auf sie wartete.
„Ferren, was machst du hier?“
„Ich…muss mit dir reden“, begann er, während sich Brennen aus seiner Haut ausbreitete, gegen das die Schmerzen in seinen Schienbeinen geradezu lächerlich waren. Den Brief zu zücken, kam einer unerträglichen Qual gleich.
„Weißt du, was das ist?“, fragte er langsam.
„Ich kann’s mir denken“, gab sie zurück, „Ich habe auch einen bekommen?“
„Was?“
Der Leutnant keuchte. Aus dem Feuer war eisige Kälte geworden.
Langsam fuhr Ariona fort:
„Sie sagen, es sei der Tod.“
„Wenn…wenn niemand daran glauben würde, dass wir es schaffen können, dann hätten sie uns nicht losgeschickt.“
„Nein“, lachte Ariona spöttisch, „der Rat hat nur eingewilligt, weil er hofft, dass wir ihn retten können. Glauben tun sie es nicht. Nur ein Fanatiker könnte daran glauben, dass die Rettung Galors möglich ist.“
„De Nord.“
„Ja, genau.“
„Aber du wirst einwilligen?“, wollte Ferren wissen.
„Hast du den Brief überhaupt schon gelesen? Das ist keine Frage, sondern ein Befehl. Na ja, ob ich hier sterbe oder da draußen, was macht das schon für einen Unterschied?“
„Was ist wenn wir uns weigern?“, schlug Ferren vor.
„Schlechte Idee. Das wäre Befehlsverweigerung, dafür sperrt man uns bestenfalls ein. Sollte die Verweigerung jedoch gegen de Nord gelten, werden wir wahrscheinlich auch noch hingerichtet“, zischte Ariona.
„Tot also?“, fragte der Leutnant mit einem bitteren Lächeln.
„Ja“, stimmte Ariona heftig nickend zu, „Ich glaube, ich werde zum Strand gehen. Bevor ich sterbe, will ich noch einmal feiern, noch einmal trinken, tanzen…“
„Ich fürchte, daraus wird nichts“, entgegnete Ferren leise, „Am Strand ist nichts mehr los. Wenn du Menschenmassen suchst, solltest du in die Kirchen gehen.“
„Die Kirchen…“, Ariona lachte spöttisch, bevor sie sich wieder direkt Ferren zuwandte, „Hat nicht jeder Offizier noch eine Flasche guten Weins in seinem Gemach, für schlechte Zeiten?“
„Mag sein“, lächelte Ferren.
„Wollen wir deine nicht öffnen? Eine bessere Gelegenheit wirst du nicht mehr bekommen.“
„Die Flasche, was…ja…ja, warum nicht“, stotterte der Leutnant, worauf ihn Ariona an der Hand nahm und aus dem Keller führte.

 Tage später saßen beide in ziemlicher Ernüchterung in einem Aufenthaltsraum des ehemaligen Thanatoikergebäudes, wo Ferren gerade seine neuen stählernen Armschienen festzurrte. Der Rat Galors hatte alle Streiter, die der Rettungsmission angehörten, mit der besten Ausrüstung ausstatten lassen, die sich in der Stadt hatte finden lassen. Daher besaß der Leutnant nun eine äußerst komfortable, braune Lederrüstung, die an Schlüsselstellen, wie dem Brustbereich, Schultern, Unterarmen und Oberschenkeln mit leichten Metallplatten verstärkt war.
Außerdem war es ihm nun vergönnt, ein Schwert zu führen, das seine alte, schartige Klinge in Härte, Balance und Schärfe um einen geradezu unnennbar großen Wert übertraf.
Ariona hingegen hatte man mit einer hellgrauen Robe aus Diamantfaden ausgestattet, der etwa die Härte eines stählernen Kettenhemds, jedoch das Gewicht normalen Stoffes besaß.
„Jetzt ist es also so weit“, murmelte Ferren, während ein gänzlich schwarz gekleideter Mann an der Tür vorbei schlurfte.
Es handelte sich um eine der drei Personen, die sich selbst Assassinen nannten, und den Auftrag besaßen, hinter den feindlichen Linien größtmöglichen Schaden an Soldaten und Kriegsgerät zu verursachen. Ferren hatte allerdings bisher nur zwei von ihnen gesehen, da der dritte, wie man sagte, nie seinen Tarnanzug ablegte.
Außer den Assassinen gehörten noch eine ganze Menge anderer Leute dem Stoßtrupp an. Da waren bullige Krieger aus Skatria, der hünenhafte Olaf aus Delion, einige Kampfmönche des Erlöserglaubens, ledrianische Edelmänner, nogronische Meuchelmörder, iskatische Magier, serpendrianische Ritter, weitere delionische Marinesoldaten, elipfische Wüstenkämpfer, xendorische Bogenschützten.
Ferren starrte auf die glänzende Klinge seines Schwertes und betrachtete die verzerrte Spieglung seines Gesichts, als plötzlich eine Stimme vom Eingang her erschallte. Dort war ein junger Mönch in brauner Robe erschienen, der jegliches Haar von seinem Kopf geschoren hatte.
„Entschuldigt“, sagte er, „Ich bin Bruder Janus und eigentlich nur hier, um den Segen des Erlösers über meine Gefährten zu sprechen.“
„Das ist freundlich“, gab der Leutnant zurück.
„Glaubt Ihr wirklich, dass es irgendwo, eine allmächtige Person gibt, die gerade uns retten will?“, entgegnete Ariona scharf.
„Lasst das besser nicht die Iurionisten hören“, lachte Janus freundlich, „Sonst seid Ihr schneller Euren Kopf los, als Ihr es glaubt.“
Noch während er sprach, trat ein weiterer Mann an, der jedoch um einiges älter war, als Janus, was man an seiner zerzausten, dunkelgrauen Haarmähne und dem gleichfarbigen Vollbart gut erkennen konnte.
Tiefe Furchen gruben sich durch sein Gesicht und dennoch wirkte er in seiner eisenbeschlagenen Fellrüstung weitaus rüstiger, als die meisten Kämpfer, die Ferren bisher gesehen hatte.
„Major Dragan“, grüßte der Mönch.
„De Nord will alle unten im Hauptsaal sehen. Es geht los“, knurrte der Alte, bevor er wieder davonstapfte.
„Wir sind schon unterwegs“, gab der Mönch zurück, worauf auch Ferren und Ariona sich erhoben, um den beiden Männern ins Erdgeschoss zu folgen, wo ein mächtiger Menschenstrom in den großen Saal am Ende des Flurs flutete.
Dort stand hocherhoben auf einem Stapel hölzerner Kisten, wo ihn alle sehen konnten, Marquis Lucian de Nord, der sein elegantes Samtjackett gegen eine nicht weniger gutaussehende, nachtschwarze Lederrüstung getauscht hatte, die von einem filigranen, silbernen Metallgeflecht geziert wurde. Über dieser trug er den königsblauen Wappenrock Ledrias sowie einen gleichfarbigen, bodenlagen Umhang.
Den meisten Krieger, die Lucian sahen, klappte die Kinnlade herunter und ihre Gesichter erstarrten zu ungläubigen Fratzen.
Zunächst war Ferren nicht klar, welchen Grund dies hatte, bis er selbst erkannte, dass es sich bei dem Leder, aus dem die Rüstung des Marquis gefertigt war, nicht um die Haut irgendeines Tieres sondern um die eines schwarzen Drachen handelte.
Die Drachen Kalatars waren jedoch bereits vor etlichen Generationen vertrieben oder gänzlich ausgerottet worden.
Die schiere Gier auf die Zähne, Hörner, Klauen, Herzen und Haut dieser majestätischen Geschöpfe hatte tausende Menschen dazu gebracht, den tödlichen Kampf mit ihnen aufzunehmen.
Wenige waren mit reicher Beute zurückgekehrt, aus der man anschließend eine Reihe mächtiger Artefakte gefertigt hatte, zu denen auch mehrere Drachenhautrüstungen gehörten.
Obgleich nahezu unzerstörbar, waren die meisten von ihnen mit der Zeit verloren gegangen, sodass sich nur noch wenige in den Händen hochrangiger Männer befanden, bei denen es sich meist um  Mitglieder von Herrscherfamilien handelte.
„Drachenhaut“, keuchte jemand leise.
„Ich habe in Brogalon an der Seite des Marquis gekämpft“, berichtete ein älterer Mann, „Ich sage euch, keine Klinge kann diesen Mann verletzen.“
„Wenn jeder von uns so eine Rüstung hätte, hätten wir die Orks schon an der Ostküste ins Meer zurückgetrieben“, wandte ein anderer ein, bevor Tymaleaux, der neben de Nord stand, sich mittlerweile von seinen Wunden erholt hatte und ebenfalls den ledrianischen Wappenrock sowie eine leichte, silberne Rüstung trug, das Wort ergriff.
„Ruhe, Soldaten! Der Marquis hat euch etwas zu sagen“, blaffte er, worauf die Worte und das staunende Keuchen langsam verhallten.
„Habt Dank“, gab der Marquis zurück, „Ich gestehe, überrascht zu sein. Ja, ich bin tatsächlich überrascht, dass ein jeder von euch heute hier steht. Ihr seid tatsächlich hier, obwohl man euch eure Befehle ausstellte wie Todesurteile, obwohl euch die Priester eure Sterbesakramente schon verlesen haben, obwohl man euch da draußen schon als Todgeweihte bezeichnet und letztlich obwohl ihr selbst aus tiefstem Herzen wisst, dass sie Recht haben.
Ja, es mag sein, dass eure Tage auf dieser Welt gezählt sind, dass jeder Schritt nach Osten ein Spatenstich mehr zu eurem Grab ist, und doch werdet ihr jeden dieser Schritte gehen, ohne dass auch nur ein Hauch von Zweifel in euren Gesichtern geschrieben steht, denn euch erwartet mehr, als dieses Leben je einem Menschen zu bieten vermochte.
Ich verspreche euch die Ewigkeit!
Wenn ihr einst vor dem Herrn steht, so wird er euch nicht fragen, wer ihr seid oder was ihr getan habt; er wird euch mit tosenden Posaunen empfangen, denn euer Ruhm wird euch bis ins Himmelreich vorauseilen, und noch in tausenden Jahren wird man auf Kalatar eure Namen preisen und den Kinder von den Bergen Skatrias bis zu den sonnigen Weiten Xendoras und den delionischen Inseln von euren Heldentaten erzählen!
Und ja, man wird von uns berichten, denn wir werden dafür sorgen, dass die letzten ehrenhaften Menschen Fiondrals den Orks entkommen können.
Wir mögen sterben, aber ich weiß, dass wir nicht scheitern werden!
Hebt eure Waffen, Streiter Galors! Hebt eure Waffen auf Galor, auf den Sieg, auf die Ewigkeit!“
„Auf die Ewigkeit!“, hallte es ihm aus siebenundvierzig Kehlen entgegnen, während Speere, Bögen, Schwerter, Schilde und Äxte in die Höhe stießen und plötzlich war es unbedeutend, dass keiner an ihren Erfolg geglaubte hatte, denn de Nord glaubte daran, mit einer Reinheit und Eindringlichkeit, dass in diesem Moment niemand an der Wahrheit seiner Worte zweifeln konnte.
„Truppenführer!“, rief Tymaleaux, nachdem der Jubel abgeklungen war, „Sammelt eure Verbände! Major Dragan, Ihr übernehmt die Vorhut!“
So gingen sie los, mit Leichtigkeit, mit lachenden Gesichtern, mit stolzgeschwellter Brust.
„Jetzt zeigen wir’s den Orks!“, lachte einer der Nogroner.
„Ja, denen schlagen wir ihre hohlen Fressen ein!“, stimmte ein Skatrier zu.
„Mund halten und in Formation bleiben!“, befahl ein ledrianischer Offizier, während sich die Menge in den Keller und den schmalen Tunnel schob. Dort jedoch wandelte sich die wabernde Meute zu einer militärisch organisierten Formation, denen einige Späher voran gingen.
Danach folgte ein Trupp skatrischer Nahkämpfer, dahinter de Nord mit seinen ledrianischen Landsleuten und ihnen dicht auf den Fersen der gesamte Rest. Der Tunnel schien endlos, ein schwarzer Schlund, in den sie ohne Widerwillen hinabstiegen, und doch schien es Ferren, als würde er durch Wasser waten, während die Schwärze den Keller hinter ihm verschluckte.
So traten sie die Reise an, eingezwängt zwischen rohen Felsmauern, den Ellbogen ihrer Kameraden und der allumfassenden Finsternis, gegen die ihre Pechfackeln einen aussichtslosen Kampf fochten.
Er ging mittlerweile dem hünenhaften Fährtenleser Olaf hinterher, dessen rote Haarmähne wenigsten ein bisschen Farbe in das triste Halbdunkel brachte.
Ariona befand sich währenddessen bei ihren iskatischen Landsleuten.
Der Gang wollte nicht enden, und als seine Füße schon in seinen Stiefeln brannten, funkelte ihnen immer noch kein Licht entgegen.
Langsam kam finsteres Gemurmel auf, das von den Offizieren mit zischenden Befehlen in die Stille zurückgepeitscht wurde.
Dann endlich wurde das Kommando durch die Reihen geflüstert wurde, die Fackeln zu löschen, sich ruhig zu verhalten und die Waffen zu ziehen.
Kurz darauf wurde verlautet, anzuhalten, und so verbrachten sie eine lange Zeit in der Dunkelheit.
Wasser tropfte, Schritte entfernten sich, verhallten. Stille weitete ihre Herrschaft aus, bis schließlich mit einem leisen Klicken die Schritte zurückkehrten. Irgendwo weiter vorne wurde gemurmelt, schließlich wagte man es, den Marschbefehl zu rufen, worauf sich der gesamte Zug wieder in Bewegung setzte.
Langsam ging es voran, das Glitzern am Ende des Ganges wurde zu einem Funkeln, einem kleinen Licht, schließlich zu einem grell, blendenden Strahlen, das sie zwang, ihre Augen zu schließen.
Blind stolperten sie eine unsaubere Steintreppe hinauf.

„Dragan, sichert den Ort und kehrt dann sofort hierher zurück“, befahl de Nord, während Ferren es gerade erst geschafft hatte, seine Umgebung zu erfassen.
Er stand vor einem verdreckten, kaum befestigten Loch, das man einfach so in die Erde geschlagen hatte, am Rande eines kleinen Dorfes, über dem ein milchig blasser Himmel hing.
Als eine Windböe heranfegte, riss sie die Blätter aus dem bereits leicht bräunlichen Kleid der Bäume. Der Sommer, so erkannte Ferren, war endgültig vorbei.
Erst jetzt bemerkte er die vier bulligen Orkleichen, die um den Tunneleingang herum langen und langsam ausbluteten.
„Alle Mann sammeln! Verteilt euch auf eure Gruppen! Je schneller desto besser!“, rief Tymaleaux.
„Weg da!“, blaffte ein hässlicher Skatrier, mit kahl geschorenem, bleichem Schädel, während er an dem Leutnant vorbei zog und ihn dabei fast zu Boden rempelte.
„Hey, ich bin Offizier, Arschloch!“, fluchte er.
„Na und, aber nicht meiner“, höhnte sein Gegenüber und schloss zu den übrigen Skatriern auf, die sich daran machten, das Dorf zu sichern.
„Gut gemacht, Marquis!“, lobte einer der ledrianischen Offiziere, nachdem sie außer Hörweite waren, „Ich werde in Zukunft auch immer zuerst einen Skatrier vorschicken.“
„Tymaleaux, beginnt damit, die Gruppen aufzustellen“, befahl de Nord, „Ich erwarte, dass sie marschbereit sind, sobald die Skatrier zurückkehren.“
„Natürlich, Sir“, gab Tymaleaux zurück, worauf de Nord sich auf einem, eigens für ihn ausgeklappten Stuhl niederließ und sich ein Glas Wein einschenken ließ.
„Ich glaub’s ja nicht“, ertönte Arionas Stimme hinter Ferren, während Tymaleaux einen gewissen Major Jarred herbeirief.
Bei diesem handelte es sich um einen athletischen, dunkelhäutigen Elipfer, der zwar eine keine Haare mehr auf seinem Haupt, dafür aber einen recht buschigen, schwarzen Vollbart besaß.
Anschließend begann Lucians Adjutant damit, die Namen der Männer und Frauen zu verlesen, die sich Jarreds sowie Dragans Gruppe anschließend sollten.
Da weder Ariona noch Ferren diesen zugeteilt wurden, schlossen sie, dass sie zur letzten Gruppe gehören mussten, die de Nord persönlich unterstellt war. Mit dabei waren ein noch junger, ledrianischer Hauptmann namens Renault, Olaf der Schöne, Tymaleaux, eine xendorische Bogenschützin namens Kalira, Bruder Janus und noch ein paar andere.
Als die Skatrier zurückkehrten, wurden ihnen noch drei weitere Personen zugeteilt, bei denen es sich um einen vermummten Magier, einen etwas älteren Skatrier namens Slemov und ebenjenen Mann handelte, der Ferren zuvor angerempelt hatte.
Dieser trug, wie der Leutnant jetzt wusste, den Namen Dimitri.
Nachdem alle Gruppen vollständig waren und man jedem Soldaten ein metallenes Insignie überreicht hatte, wandte sich de Nord noch einmal an die beiden anderen Befehlshaber, Jarred und Dragan.
„Wohlan denn, marschieren wir los. Ich wünsche euch alles Glück der Welt, von dem ich annehme, dass wir es brauchen werden.“
„So auch euch“, gab Jarred zurück, während Dragan schwieg.
„Bewegt euch!“, befahl der Marquis unter einer wegwischenden Handbewegung, was dazu führte, dass sich die drei Gruppen trennten und in unterschiedliche Richtungen davonmarschierten.
Zunächst durchquerten sie einige überwucherte Felder, um die sich wohl schon längere Zeit niemand mehr gekümmert hatte.
„Wenn Ihr irgendetwas Essbares findet, sammelt es ein“, wies Tymaleaux sie an, „Ihr habt sicherlich mitbekommen, dass wir mit recht knappen Vorräten losgezogen sind.“
„Wieso eigentlich?“, fragte Olaf.
„Weil das hier keine Kampfmission ist“, erklärte Renault, „Wir versuchen, so schnell wie möglich und mit geringen Verlusten die Ostküste zu erreichen. Ãœbermäßiges Gepäck würde uns dabei nur behindern.“
„Ich hatte erwartet, dass dieser Umstand hier bereits jedem bekannt wäre“, kommentierte de Nord, während er sich durch einige hochgewachsene Maisstauden kämpfte.
„Dann nehme ich mir doch gleich einen Maiskolben mit“, ließ Olaf verlauten, bevor er nach einer der Stauden griff.
„Sir, das Feld endet da vorne“, verkündete Renault.
„Gut, ich nehme an, dass dahinter eine Straße liegt?“, erkundigte sich Lucian.
„Ich werde auf der Karte nachsehen“, gab der Hauptmann zurück.
„Gott, Renault“, rief Tymaleaux, „Bis Ihr dieses Feld auf Eurer Karte gefunden habt, ist es Mitternacht. Ich habe eine bessere Idee. Ilar! Macht Eure Vogelgestalt und seht nach, was uns da erwartet.“
Ferren schluckte, als er den Namen des aufgerufenen Magiers hörte. Hastig sah er sich um, doch das Gesicht des Gesuchten erblickte er unter seinen Kameraden nicht.
„Ich bin kein Gestaltenwandler…Sir“, entgegnete der vermummte Magier, der mit den anderen Skatriern zu der Gruppe gestoßen war.
„Du…“, zischte Ferren, wobei er jedoch von Tymaleaux übertönt wurde:
„Schön, dann übernehmt Ihr das Truzos“, er wandte sich an den schmierigen, serpendrianischen Magier, der eine prunkvollbestickte, dunkle Seidenrobe trug.
„Pardon, Monsieur, aber ich werde mich nicht in ein Tier verwandeln. Das ist meiner unwürdig.“
„Truzos!“, blaffte Renault, „Das war ein Befehl.“
„Wenn Ihr es wirklich wünschen solltet…“
„Ach, vergesst es. Ich mache das!“, fauchte Ariona, worauf sie loslief.
Einige Meter weiter sprang sie in die Luft.
Dann zuckte es einen weißer Lichtblitz durch die Stauden, ihre Extremitäten verdrehten sich mit enormer Geschwindigkeit und in unnatürlichen Winkeln, bevor sie stark zusammenschrumpfte und sich schließlich in eine strahlend weiße Taube verwandelt hatte.
Mit wenigen Flügelschlägen war sie den Stauden, der Schwüle des Feldes und dem Gerede ihrer Kameraden entkommen. Über ihr hing nur der milchig weiße Himmel, unter ihr ruhte das herbstbraune Land und vor ihr erstreckten sich die unendlichen Weiten Fiondrals.
In ihrem gesamten Sichtfeld ordneten sich Felder und kleine Dörfer bis zum Horizont, wobei sie hin und wieder von Waldstücken oder orkischen Feldlagern unterbrochen wurden.
Sie flog eine Schleife warf einen Blick auf die Küste, wo sich die Türme Galors erhoben und nach Norden, zu den Bergen und Wäldern, in denen sich laut ihren Informationen die Lager der Orks befinden sollten.
Erst nachdem sie sich alles angesehen hatte und noch ein wenig durch den wogenden Wind gesegelt war, betrachtete sie das Feld, welches tatsächlich in eine Straße mündete.
Diese war vollkommen verlassen und führte durch etliche andere Felder zu einem Dorf weiter südlich.
Langsam ließ sie sich wieder sinken und landete, da sie sich nicht weiter durch das Feld schlagen wollte, direkt auf der Straße.
Nachdem sie sich zurückverwandelt hatte, rief sie in der Maisstauden Mauer hinein:
„Die Straße ist sicher!“
Tatsächlich verließen wenig später zunächst die Skatrier das Feld, denen der Rest der Gruppe folgte.
„Was habt Ihr gesehen, Novizin?“, wollte Tymaleaux wissen.
„Es gibt keine sichtbaren Feindbewegungen in dieser Gegend. Im Osten befinden sich noch weitere Felder und dahinter ein kleines Waldstück. Im Süden führt die Straße zu einem kleinen Dorf und im Norden wieder zu dem Ort in der Nähe des Tunnels.“
„Schön, ich denke wir sollten der Straße folgen, dann sind wir schneller, als wir es über die Felder wären“, sagte Renault.
„Nein“, entgegnete der Marquis, „Wir werden uns weiter gen Osten  durch diese Felder schlagen.“
„Doch, edler Herr“, wandte Tymaleaux ein, „das würde uns eine Menge Zeit kosten.“
„Dennoch ziehe ich es vor, unentdeckt zu bleiben, was uns ganz sicher nicht gelingen würde, suchten wir gleich das erst beste Dorf auf. Ihr solltet besser nicht vergessen, dass wir uns hier im Feindesland befinden.“
„Natürlich, Sir“, gab sein Adjutant zurück, bevor er sich an die Skatrier wandte, „Slemov, Ihr habt die Worte des Marquis‘ vernommen, bewegt Euch mit Euren Leuten in dieses Feld, der Rest folgt.“
„Hat es einen Grund, dass wir immer die Vorhut sind?“, fragte Dimitri.
„Es hat einen Grund, dass Befehle nicht hinterfragt werden sollen, Soldat!“, fauchte Renault, „Setzt Euch in Bewegung!“
Damit folgte Dimitri seinen Gefährten Slemov und Ilar über die niedrige Steinmauer auf der anderen Seite der Straße, hinter der das nächste Feld begann.
„Edler Herr, dürfte ich Euch eine Frage stellen?“, wandte sich Ferren an Lucian, während sie ebenfalls die Mauer überschritten.  
„Es sei Euch erlaubt, Leutnant.“
„Dieser Ilar…wenn er der Mann ist, für den ich ihn halte, dann wird er von der delionischen Wache immer noch wegen einiger Ungereimtheiten in Bezug auf die Thanatoiker gesucht. Wieso wurde er für diese Mission rekrutiert?“
„Unter den Skatriern gibt es nur wenige Magier. Wahrscheinlich mussten sie ihn nehmen“, gab Hauptmann Renault dazu.
„Skatrische Magier sind allesamt untalentiert“, lachte Truzos.
„Aber ich meine“, fuhr Ferren fort, „dieser Mann könnte ein Verräter sein? Da hätte man doch lieber irgendeinen einfachen Soldaten mitnehmen sollen. Nicht ihn.“
„Ich gestehe ein, dass Ihr Recht haben könntet“, bestätigte de Nord, „Ihr habt daher meine ausdrückliche Anweisung, ein Auge auf den Novizen Ilar zu werfen.“
„Vielen Dank, Sire.“
„Sollte Euch etwas auffallen, lasst es mich wissen“, wies der Marquis ihn an.
„Sir, ich fürchte, wir kriegen Magda nicht über die Mauer!“, rief Bruder Janus von der Steinmauer her.
„Ariona, Truzos! Geht zurück und seht zu, wie ihr helfen könnt. Danach schließt wieder zu uns auf!“, befahl de Nord.
„Wohlan denn, versucht, mit mir Schritt zu halten, Novizin“, sagte Truzos und machte kehrt, worauf Ariona ihm zähneknirschend folgte.
Obwohl sie nur wenige Meter von der Mauer trennten, konnte sie aufgrund der hochgewachsenen Maisstauden doch nicht bis dort sehen.
Als sie die Pflanzen endlich überwunden hatten, entdeckten sie Kalira, Janus und Olaf, die sich um ihr Lastenpony Magda gruppiert hatten, welches es nicht über die Mauer schaffte.
„Wenn wir das ganze Zeug hier abladen, schafft sie es vielleicht von alleine drüber“, vermutete Janus.
„Wir könnten versuchen, es darüber zu heben“, schlug Olaf vor.
„Ganz sicher nicht“, dementierte Kalira.
„Ich kann es mit einem Stoßzauber rüber schleudern“, merkte Truzos an.
„Das lasst Ihr bleiben!“, fauchte Ariona, „Wir sprengen einfach ein Loch in die Wand. Das Abladen dauert zu lange. Die anderen sind schon vorgegangen.“
„Schön“, knurrte Truzos, „Schafft das Vieh da weg und bringt euch in Sicherheit!“
„Ihr solltet es vermeiden, dabei allzu viel Lärm zu verursachen“, merkte Kalira an.
„Habt Ihr schon mal eine leise Explosion gehört?“, blaffte der Serpendrianer.
„Ich meinte ja nur…“, murmelte die Schützin, während Janus und Olaf das Pony von der Mauer wegführten.
„Reicht das?“, erkundigte sich der Mönch, nachdem er die andere Straßenseite erreicht hatte.
„Was weiß ich“, sabbelte der Serpendrianer, bevor er einen Flammenball gegen die Mauer feuerte, der sofort detonierte, als er sein Ziel fand.
Der Knall war ohrenbetäubend, Steine und Staub flogen durch die Luft, die Druckwelle warf sogar den Magier selbst zu Boden.
„So mein Werk hier ist vollbracht“, sagte er, rappelte sich wieder auf, klopfte den Staub von seiner Robe und verschwand im Feld.
„Idiot!“, zischte Ariona ihm hinterher.
„Wenn die Orks in der Nähe sind, wissen sie jetzt, wo wir sind“, seufzte Kalira.
„Na komm, wir kriegen dich schon wieder auf die Beine“, flüsterte Janus dem Pony zu, während er es zusammen mit Olaf beim Aufstehen stützte.
„Wir sollten uns beeilen, sonst verlieren wir die anderen“, wandte Ariona ein.
„Sind schon dabei“, bestätigte der Mönch, „Geht ruhig vor, ich führe Magda.“
„Ich bilde die Nachhut“, sagte die Bogenschützen.

Da de Nord das Marschtempo seiner Truppe gedrosselt hatte, gelang es ihnen tatsächlich recht schnell, wieder aufzuholen, sodass sie sich gemeinsam weiter durch die Felder schlugen.
Ariona kundschaftete noch ein paarmal für sie die Gegend aus, bis es schließlich Abend wurde und die Nacht über das Land herein brach.
Als sie zwischen den Feldern auf ein kleines, verlassenes Gehöft stießen, befahl de Nord, dort das Nachtlager aufzuschlagen.
Während die Skatrier die Umgebung nach Feinden absuchten, betrat der Marquis mit den anderen beiden Ledrianern das heruntergekommene Gehöft. Das Gebäude war ebenso wie das Mobiliar noch recht gut erhalten, jedoch kündete eine dicke Staubschicht, die alle Gegenstände überwucherte, davon, dass dort schon lange niemand mehr gewesen war.   
„Sobald die Skatrier zurück sind, können sie erst einmal hier sauber machen“, spottete Renault.
„Ihr scheint zu vergessen, Hauptmann, dass es für jeden Menschen eine Grenze gibt. Unsere nordischen Freunde mögen sich als Kanonenfutter verwenden lassen, allerdings fürchte ich, dass der Befehl, diesen Raum zu putzen, in einer Insubordination enden würde“, entgegnete de Nord.
„Ich würde lieber draußen schlafen als in diesem Dreck“, zischte der Hauptmann.
„Unsere Magier können doch sicher helfen“, lachte Tymaleaux, „Truzos! Ich brauche jemanden, der den Staub hier entfernt.“
„Pardon, aber ich bin ein Genie und keine Putzfrau!“, blaffte der Serpendrianer von draußen zurück.
„Novizin Ariona, sorgt dafür, dass dieser Raum in fünf Minuten bewohnbar ist!“, befahl Renault, bevor er das Gehöft wieder verließ.
„Putzen…“, zischte Ariona, während Tymaleaux und de Nord dem Hauptmann folgten, „Gott, wie ich sie hasse!“
„Befolgt besser ihre Befehle. Ich mag sie auch nicht, aber sie haben hier leider das Sagen“, flüsterte Bruder Janus ihr zu, bevor er sich daran machte, einen hölzernen Tisch mit dem Ärmel seiner Kutte abzuwischen.
„Lasst nur, Mönch. Ich komme damit noch ganz gut alleine klar“, entgegnete Ariona.
„Nun, davon bin ich überzeugt“, lachte der Geistliche, worauf er sich zum Ausgang begab, „Ich wünsche dennoch gutes Gelingen.“
Als die Skatrier zurückkehrten, hatte Ariona es tatsächlich geschafft, das Haus in einen einigermaßen passablen Zustand zu bringen.
Wenig später wurde ein Feuer im Kamin entzündet, um das sich die meisten der Streiter gesellten, während die Ledrianer sich in den ersten Stock zurückzogen, wo es noch ein paar nutzbare Betten gab.
Die Skatrier waren draußen zur Wache eingeteilt und Bruder Janus beaufsichtigte Magda beim Grasen, bevor er sie schließlich am Gehöft festband, um selbst ins Innere zurückkehren zu können.
Wenig später kam Hauptmann Renault nach unten, um die Verteilung der Nachtwache bekannt zu geben.
Tymaleaux übernahm dabei als Wachoffizier die erste, Ferren erhielt die zweite, Renault selbst die letzte.
Anschließend suchte sich jeder der drei Offiziere zwei weitere Soldaten aus, die mit ihnen die Wache übernehmen sollten.
„Keine Sorge, ich lasse dich schlafen“, flüsterte Ferren Ariona zu, bevor er sich für Olaf und Kalira entschied.
Während Tymaleaux mit seinen Begleitern die Wache übernahm, wurde das Feuer des Kamins zur Glut und die Gesellschaft, die sich darum gebildet hatte, löste sich langsam auf. Die meisten zogen sich in irgendwelche Ecken oder separate Räume zurück, um sich dort mit dem wenigen, das sie mitführten, ein annehmbares Nachtlager zu errichten.
Ferren breitete seine Bastmatte neben dem Kamin aus, legte seine Rüstung ab und kuschelte sich in seine Wolldecke. Dann blieb er reglos liegen, lauschte dem Knistern der Glut, dem Atmen seiner Kameraden, dem Ruf eines Nachtvogels in der Ferne, dem Wind, der sanft durch die Felder strich.
„Das ist alles zu einfach“, sagte er sich, „So leicht kann es nicht sein. Wo sind die Orks? Die Verräter, die Heerscharen? Hier ist nichts, gar nichts…versuch, zu schlafen…sie werden kommen….Ariona…“
Sekunden später war er auch schon in der sanften Umarmung des Traumes versunken.

Als ihn das laute Zischen des nogronischen Speerträgers Baraj dieser wieder entriss, glaubte er, kaum eine Stunde geruht zu haben.
„Was wollt Ihr?“, nuschelte der Leutnant.
„Ich übergebe Euch den Wachbefehl“, entgegnete der Soldat.
„Der Wachbefehl…wird normalerweise vom Offizier übergeben. Wo ist Tymaleaux?“
„Schon oben. Schlafen wahrscheinlich“, knurrte Baraj.
„Schön…“, murmelte Ferren, während er sich aufraffte.
Baraj stampfte an ihm vorbei.
„Wünsche auch eine gute Nacht!“, zischte er ihm hinterher, bevor er sich daran machte, Olaf und Kalira zu wecken.
Die Bogenschützin brauchte nur wenige Sekunden, um vollständig wach zu werden, wohingegen es bei Olaf eine halbe Ewigkeit dauerte.
„Habt Ihr etwas dagegen, wenn ich mich auf dem Dach positioniere, Leutnant? Von da aus sollte ich die ganze Gegend im Blick haben“, fragte sie, während sie ihre Lederrüstung anlegte.
„Nein, absolut nicht“, gab Ferren zurück, wobei er Olaf eine Ohrfeige verpasste, die ihn endgültig aus der Traumwelt beförderte.
„Aua“, murmelte er dumpf.
„Aufwachen und Posten beziehen!“, befahl der Leutnant, „Du nimmst die Nordseite!“
Wenig später befanden sie sich draußen, wo es im Vergleich zu den letzten Tagen erstaunlich kalt war. Die Geräuschkulisse beeindruckte ihn. Grillen zirpten, Pflanzen raschelten im Wind, Nachtvögel sangen.
Er richtete seinen Blick auf die Felder, die vor ihm nur eine schwarze, wabernde Wand bildeten, in der rein gar nichts zu erkennen war.
So saß er da, auf einer Bank an der Südseite des Gehöfts, während seine Gedanken durch ein ganz anderes, schier unendliches Universum streiften.
Dann aber ertönte ein Geräusch, ein klirrendes, lautes Scheppern von der Westseite, das den Leutnant dazu brachte, sich sofort zu erheben und sein Schwert zu ziehen.
„Die anderen wecken?“, dachte er mit einem Blick zur Tür, „Scheiß drauf!“
Er rannte los, stürmte um die Ecke und sah sich nur wieder mit der allumfassenden Finsternis konfrontiert.
Eine Sekunde verharrte er, bis ein Knirschen von den Dachziegeln her ertönte, dann ein dumpfes Aufprallen.
Langsam schlich er, seine Klinge fest in Händen haltend vorwärts.
„Seid Ihr das, Ferren?“, hörte er Kaliras Stimme.
„Ja…“, knurrte er zurück, wobei er das Schwert sinken ließ.
Zugleich kam die Waldläuferin hinter einem Stapel hölzerner Kisten hervor.
„Wart Ihr das?“, fragte sie.
„Was?“, entgegnete er.
„Dieses Scheppern.“
„Das habt Ihr auch gehört?“, erkundigte er sich.
„Natürlich“, antwortete sie, „Ich konnte aber nichts sehen. Deshalb habe ich das Dach verlassen.“
„Glaubt Ihr, dass irgendetwas im Gange ist?“
„Ich weiß nicht, Leutnant. Sonst ist hier doch nichts.“
„Ja…Tarnanzüge vielleicht.“
„Glaubt Ihr wirklich, unsere Feinde haben so etwas?“
„Ich hoffe, nicht“, sagte Ferren mit einem bitteren Lächeln, „Ich werde mal nach Olaf sehen. Haltet die Augen offen.“
„Werde ich, Leutnant“, versprach sie, worauf er an ihr vorbei und zurück in die Dunkelheit ging.
Olaf der Schöne hatte, wie er kurz darauf feststellen sollte, von der ganzen Aufregung absolut nichts mitbekommen.
Mit dieser eher beunruhigenden Erkenntnis kehrte Ferren auf seinen Wachposten zurück, wo er verweilte, bis die Sanduhr das zweite Mal durchgelaufen war.
Darauf schickte er Olaf, Renault zu wecken, sodass der Wachwechsel vollzogen werden konnte.
Anschließend legte er sich selbst noch an den Kamin, ohne jedoch Schlaf zu finden.

Der Aufbruch kam noch vor den ersten Strahlen der Sonne.
Nachdem man de Nord und die übrigen Streiter geweckt, das Gebiet erneut gesichert, eine kurze Lagebesprechung und ein noch kürzeres Frühstück abgehalten hatte, wurde der Marsch fortgesetzt. Wie bereits am Vortag scheute der Marquis offene Wege, sodass sie sich weiter durch Wiesen, Wälder und Felder schlagen mussten.
Am Nachmittag kamen sie jedoch in die Nähe eines orkischen Wachpostens, worauf de Nord den Zug stoppen ließ, um sich mit Renault und Tymaleaux zu beraten, während die anderen ein Stück entfernt an einem großen Felsen kampieren.
„Die Beratung ist sinnlos“, sagte Slemov mit einem Lächeln, „Die schicken eh wieder uns vor.“
„Scheiße!“, schnauzte Ilar, „Den Dreck lass ich mir nicht gefallen. Ich werde Renault in den Arsch treten, wenn er mich noch einmal auf irgendeinen verkackten Erkundungslauf schickt.“
„Das ist keine gute Idee“, erwiderte Janus.
„Ach, was? Wieso denn nicht, hä?“, schnauzte Ilar.
„Nun ja, in Ledria…“, begann der Mönch, bevor Ariona ihn unterbrach:
„…steht auf alles die Todesstrafe. Wir wissen es. Aber die können es sich nicht leisten, einen ihrer Gefolgsleute umzubringen. Nicht hier.“
„Die schneiden euch die Kehlen durch, ohne mit der Wimper zu zucken“, pflichtete Baraj selbstgefällig bei, „Für die seid ihr menschlicher Abfall.“
„Ich würde zu gerne sehen, wie eine von diesen Ledrianerschwuchteln versucht, mir die Kehle aufzuschneiden“, höhnte Dimitri.
„Ich kann keine Beleidigung gegenüber einem Offizier dulden“, wandte Ferren ein.
„Was willst du denn?“, blaffte Dimitri, worauf Ilar ihm spöttischen Beifall gab.
„Ich bin Leutnant und ich befehle und empfehle euch, bis zum Ende der Beratung die Klappe zu halten“, zischte er.
„Ferren“, wandte Ariona ein, „Sie haben Recht. Die Ledrianer benutzen sie absichtlich als Kanonenfutter. Das ist nicht gerecht.“
„Sie sind einfache Soldaten. Als sie zu dieser Mission einwilligten, war ihnen klar, dass es zu etwas derartigem kommen würde.“
„Ich bin nicht der lebende Schutzschild von diesen Lackaffen!“, fauchte Dimitri, wobei er Ferren am Kragen packte.
„Ich fürchte, Ihr seid genau das, Dimitri, zumindest, wenn ich es von Euch verlange“, erklang de Nords Stimme, womit sie die Ankunft der Offiziere ankündigte.
Der Skatrier ließ sofort von Ferren ab.
„Was ist das?“, zischte Renault, dessen Hand bereits auf seinem Schwertgriff lag, „Meuterei?“
„Ich werde dir…“, begann Ilar, bevor Janus ihn unterbrach:
„Unsere skatrischen Kameraden haben lediglich ihre Befremdung darüber geäußert, dass Ihr sie stets als Vorhut einsetzt.“
„Interessant“, murmelte Lucian, während er langsam an den Ilar und Dimitri vorbei ging, wobei ihm die Blicke der anderen folgten.
„Slemov“, rief er schließlich den dritten Skatrier, der sich bis jetzt zurückgehalten hatte, „Wenn ich euch nun befehlen würde, das orkische Lager auszukundschaften, was wäre Eure Antwort?“
Slemov schwieg zunächst, wobei er de Nord musterte, bis er sich schließlich räusperte und antwortete:
„Mit Vergnügen, Sire.“
„Interessant“, fuhr der Marquis fort, bevor er sich wieder an Ilar und Dimitri wandte, „Seht, solange ihr nicht gesteht, jämmerliche Feiglinge zu sein, ist euer Standpunkt offensichtlich unverständlich.“
Mit einem Lächeln beobachtete er, wie Dimitri die Zähne fletschte, einen halben Schritt vortrat, aber dann langsam wieder auf seine alte Position zurückkehrte.
„Wenn ihr also keinen Memmen seid, dann geht jetzt los und sichert das Lager!“, befahl Renault.
„Das“, flüsterte Dimitri, „ist das letzte Mal.“
Darauf spuckte er auf den Boden und schloss sich Slemov an, der bereits vorausgeeilt war.
De Nord blickte ihnen mit einem fadenscheinigen Lächeln hinterher, wobei er leise sprach:
„Ich wünschte, sie würden einfach meine Befehle befolgen.“
„Das ist doch Schwachsinn“, fauchte Ariona, „Hier geht es doch nicht um Befehle. Ihr“, sie deutete mit ihrem Zeigefinger auf die drei Ledrianer, „seid verdammte Rassisten.“
„Haltet den Mund, Novizin!“, zischte Renault, „Ihr habt hier gar nichts zu sagen.“
„Seht Euch vor“, warnte Tymaleaux, „Man könnte Euch das als Beleidigung auslegen.“
„Legt es aus wie Ihr wollt!“, entgegnete sie, „Und Ihr sagt gar nichts dazu, Marquis?“
„Ich bin es lediglich leid, mich diesbezüglich erklären zu müssen“, gab Lucian freundlich zurück, „Renault, erklärt es ihr bei Gelegenheit! Jetzt sollten wir jedoch noch ein Stück vorrücken.“
„Ihr habt es gehört!“, fügte Tymaleaux laut an, „Bewegt euch!“
Damit setzte sich die Gruppe erneut in Bewegung, um den   vor ihr liegenden Pinienwald zu betreten. Die herbstliche Kälte hatte ein wenig nachgelassen, der Duft von Harz durchdrang die Luft und ein jeder Schritt federte sanft auf den Nadeln, die den Boden bedeckten.
Sie waren noch nicht allzu weit in den Wald eingedrungen, als ihnen Slemov bereits entgegenkam.
„Das Lager ist leergeräumt. Anscheinend waren die Assassinen vor uns dort“, berichtete dieser, worauf de Nord den Marsch fortsetzten ließ. Schließlich lichteten sich die Bäume und sie erreichten eine vollkommen abgeholzte Senke, auf deren Nordseite sich ein kleinerer Hügel der matten Sonne entgegenreckte. Vor ihnen erhoben sich die schwellenden Ruinen eines verbrannten Wachturms, aus denen wenige geschwärzte Planken wie die Finger eines Skelettes zum milchigen Himmel hinaufragten. Um ihn herum gruppierten sich einige zerschnittene Zelte. Abgehakte Baumstämme, von der Hitze der Sonne zerborsten, zierten den Weg über das zertrampelte Gras zum Lager, wo die Kadaver der Orks zu Haufen lagen, während sich die Krähen an ihnen labten, ohne Notiz von den Neuankömmlingen zu nehmen.
Dimitri tanzte grölend, eine orkische Feldfalsche in Händen haltend, auf einem Leichenhaufen herum.
„Schade…ein Kampf hätte etwas Fahrt in dieses allzu langweilige Unterfangen gebracht“, klagte Truzos, „Auch wenn diese hirnlosen Kreaturen sicherlich keine Gegner abgegeben hätten.“
„Hauptmann Renault, würdet ihr bitte diesen Narren davon abhalten, die Leichen der Gefallenen zu entweihen“, wandte sich der Marquis an den Offizier.
„Aber natürlich, Sire“, gab dieser zurück, bevor er die Stimme hob, „Schwachkopf! Komm sofort da runter!“
„Was denn? Sind doch nur Orks?“, rief der Skatrier, während er langsam von dem Hügel hinunterstieg und dabei einen abgetrennten Orkschädel von sich wegkickte, sodass er im hohen Bogen durch die Luft sirrte.
„Bruder Janus“, verlangte Lucian, „ein Gebet für die Toten.“
„Aber es sind Orks“, wandte Kalira ein.
„Wie Iurion uns anwies, werden wir auch unseren Feinden die Ehre erweisen, das Jenseits in Würde zu betreten, selbst wenn es Orks sind“, entgegnete de Nord, „Schließt sie in Eure Gebete ein, Bruder! Ich erwarte, dass die Leichen danach verbrannt werden.“
So sammelten sie sich um das ausgebrannte Lagerfeuer in der Mitte des Postens, wo Bruder Janus ein Gebet des Erlöserglaubens und Renault eines für die Iurionisten sprach.
Anschließend wurde Ariona, Ilar und Truzos befohlen, die orkischen Leichen mittels Magie zu verbrennen, was letzterer allerdings nicht für nötig hielt.
Als sie fertig waren, entfachte man das Lagerfeuer, um das sich einige der Gefährten gesellten, während de Nord andere aussandte, die Gegend nach Nahrungsmitteln zu durchsuchen.

„Hier ist es so schön, dass man fast vergessen möchte, in welcher Situation wir uns befinden“, schwärmte Janus, der zusammen mit Olaf, Kalira, Ferren und Ariona durch den Wald wanderte.
„Das möchte ich eigentlich überall vergessen“, murmelte Olaf.
„Ich verstehe einfach nicht“, begann Ariona nach einem Blick über die Schulter, „was in den Köpfen dieser verfluchten Ledrianer vor sich geht, sofern es dort überhaupt irgendeine Aktivität gibt.“
„De Nord tut, was er tun muss“, wandte Ferren ein.
„Du unterstützt das auch noch?“, keuchte die Novizin, worauf ihr Gegenüber zunächst schwieg.
„Ich…nein, das nicht…aber es ist doch so, dass“, stotterte er schließlich, „dass er sich der Loyalität seiner Streiter sicher sein muss.“
„Pah, Loyalität“, höhnte Ariona, „Wenn die Skatrier überhaupt mal loyal zu ihm waren, dann sind sie es spätestens jetzt nicht mehr.“
„Also, Slemov wirkte auf mich loyal“, sprach Janus, während er einen Pinienzapfen vom Boden aufhob, „Die anderen beiden…nun ja, natürlich ist es falsch, was der Marquis mit ihnen macht, aber sie sind genauso von ihrem geschichtlichen Hass zerfressen, wie die Ledrianer auch.“
„Die Skatrier haben auch allen Grund dazu. Die Ledrianer haben sie zwanzig Jahre lang unterdrückt. Habt ihr je von dem gehört, was dieser Prinz Lemorgant dort angerichtet hat?“
„Das ist doch schon mehr als siebzig Jahre her“, wandte Kalira ein.
„Trotzdem kennt jeder Prinz Lemorgant und seine Geschichte“, merkte Janus an, „Für die einen steht er ganz oben auf der Liste der Menschen, die am besten nie geboren worden wären, für die anderen ist er ein Held…einige Iurionisten sahen ihn sogar als Propheten.“
„Ich war da…“, fügte Ferren langsam hinzu, während er ein paar nahe stehende, kahle Bäume untersuchte, „es war nicht das Blutvergießen, das man sich vorstellt. Ich weiß, dass das, was dort getan wurde, schrecklich war…aber es war eben kein Hass, es war kein Rassismus. Jeder Verbrecher bekam seinen fairen Prozess. Die meisten wurden hingerichtet. So wie Iurion es verlangte, würden die Ledrianer sagen. Ihr Rechtssystem war äußerst effektiv und in Skatria gab es viele Verbrecher.“
Tatsächlich hatte einst ein damals noch junger Adliger namens Lemorgant an der Spitze der ledrianischen Truppen das skatrische Reich erobert, worauf ihn der ledrianische König zum Prinzen und Statthalter von Skatria ernannte hatte, obwohl er kein Angehöriger des Königshauses gewesen war.
Anschließend hatte er, wie der Iurionismus es verlangte, damit begonnen, das Land von Menschen zu säubern, denen Moral fremd war, und so war jeder, der sich einer schlimmeren Untat als dem gemeinen Diebstahl schuldig gemacht hatte, aufs Schafott gestellt worden.
„Was auch immer die Iurionisten sagen; nichts rechtfertigt den Mord an einem Menschen.“
„Also, zwischen Exekution und Mord…“, begann Janus.
„Alles einerlei!“, blaffte Ariona, „Lasst uns zurückgehen!“
„Wenn wir mit den paar Pinienkernen zurückkommen, schickt Renault uns gleich nochmal los“, entgegnete der Mönch.
„Recht hat er“, stimmte Ferren zu.
„Ich werde trotzdem zurückgehen“, maulte die Novizin.
„Ich werde sie begleiten“, fügte Kalira hinzu, „Nicht, dass ich mich vor der Arbeit drücken will. Aber hier sollte niemand alleine rumlaufen.“
„Schon in Ordnung“, sagte der Mönch freundlich, „Aber nehmt schon mal diesen Sack Kerne mit, sonst lässt Renault euch noch auspeitschen.“
Somit entfernten sich die beiden Frauen von der Gruppe, während Olaf, Ferren und Janus weiter durch den Wald streiften.
„Die Sonne geht langsam unter“, stellte Olaf mit einem Blick zum Himmel fest.
„Ach was“, murmelte Ferren der mit gebeugter Körperhaltung langsam durch die Reihen der Bäume schritt.
„Wir müssen mindestens noch diesen Sack vollkriegen“, wandte Janus ein, „Also schön weitersuchen.“

Währenddessen saß Lucian de Nord etwas abseits vom Feuer vor einem der zerfetzten Zelte auf einem sonnengetrockneten Baumstamm und verzeichnete ihre Position auf einer Landkarte, wobei er zugleich einige Notizen in ein kleines Buch schrieb.
Er hatte gerade ihren Standpunkt markiert, als sich Major Tymaleaux mit einer Feldflasche orkischen Brandweins vom Lagerfeuer her näherte.
„Tymaleaux“, grüßte der Marquis.
„Auch einen Schluck?“, fragte dieser.
„Ich hoffe, du erwartest nicht von mir, dass ich dieses orkische Gesöff trinke.“
„Es schmeckt besser, als man denkt“, entgegnete der Major.
„Ich hielt deinen Geschmack, was solche Dinge anging, immer schon für etwas obskur und du zeigtest stets großes Talent dafür, mich immer wieder darin zu bestätigen.“
„Jeder ist eben anders“, rülpste Tymaleaux.
„Offensichtlich“, sagte Lucian angewidert, „was ich in den meisten Fällen durchaus begrüße. Aber ich nehme nicht an, dass du ausschließlich hergekommen bist, um mir etwas von diesem widerlichen Gebräu anzubieten.“
„Das ist allerdings korrekt“, bestätigte Tymaleaux, „Ich dachte, wir könnten eben auf diesen Hügel hinauf gehen und uns das Gelände ansehen. Der Wachturm steht ja nicht mehr.“
„Ich fürchte, mir entzieht sich der Sinn“, erwiderte Lucian, „Wenn ich das Gebiet auskundschaften will, schicke ich einen Magier.“
„Ja, aber mal ehrlich: Truzos ist zu stolz, sich in ein Tier zu verwandeln, Ilar ist ein Skatrier und diese Ariona erst…“, sagte der Major, „Sollten wir uns nicht selbst ein Bild von der Sache machen? Was kann es schon schaden? Außerdem stinkt es in dieser Orkgrube schlimmer als in einem skatrischen Bordell.“
„Vielleicht so

Kapitel 7: Verderbnis

Die Spur der Orks hatte die kleine Gruppe um Ferren in ein zerklüftetes Schluchtengebiet geführt, in dem ebenfalls Pinien die Flora dominierten.
„Der Weg ist breit“, stellte Olaf fest, während sie einer erstaunlich gut befestigten Straße folgten, die sich um die etlichen, felsigen Hügel schlang.
„Ach was“, blaffte Ilar, der, obwohl er im Schatten ging, häufig blinzelte.
„Ich glaube, er fürchtet, dass wir hier Patrouillen begegnen könnten“, merkte Janus an, der sich gegen eine Pinie lehnte.
Auch Ferren hielt kurz inne und blinzelte, um wieder etwas Klarheit in sein verschwommenes Sichtfeld zu bringen. Nun da er still stand, schmerzten seine Muskeln, als hätte man tausend Nadeln darin versenkt.
Seine Augen brannten, sehnten sich nach der kühlen Dunkelheit, seine Füße spürte er schon fast nicht mehr.
Er sah, wie Janus erschöpft an dem Baum lehnte, sah Olaf tief gähnen und Ilar, der sich auf einem Stein niederließ.
„Sir“, sprach der Mönch schließlich, „Wir sind schon seit fast zwei Tagen auf den Beinen…ohne Schlaf. Wir sollten rasten.“
„Richtig“, stimmte Ilar zu, „Diese beschissenen Steine bohren sich langsam durch meine Schuhsohlen.“
„Ich bin auch müde“, ließ Olaf verlauten.
Ferren jedoch blickte starr auf den Weg vor ihnen.
„Wir können nicht…“, sagte er und machte bereits einen Schritt weiter.
Doch noch in der Bewegung stach ein sengender Schmerz wie ein Schüreisen durch seine Kniekehlen und sein Körper sagte:
„Nein, nicht weiter.“
„Ich muss!“, erwiderte er, wobei er einen weiteren Schritt versuchte, bei dem er jedoch fast zu Boden stürzte.
„Nicht weiter…“
Er taumelte, schaffte es gerade noch, sich wieder zu fangen, als auch schon Janus herbeieilte und ihm helfend die Hand entgegenstreckte.
„Danke…Bruder“, keuchte er, während der Mönch ihn zu einem Baum führte.
An das starke, feste Holz gelehnt, ließen seine Schmerzen etwas nach und während über ihm einige Vögel zwitscherten, ordnete sich langsam der Scherbenhaufen seiner Gedanken.
„Ja…“, sagte er gedehnt, „Ihr habt Recht. Wir sollten rasten. Allerdings nicht gleich an der Straße.“
„Hier ist ein Pfad“, vermeldete Olaf.
„Pfad?“, ächzte Ilar, wobei er auf einen Streifen niedriger Grashalme blickte, der sich zwischen einigen Steinen hindurch tiefer in die Schlucht schlängelte, „Das ist bestenfalls für eine stinkende, elipfische Bergziege ein Pfad.“
„Nein, das ist ein Pfad“, erwiderte Olaf, „Auch für Menschen.“
„Pass mal auf!“, blaffte Ilar, „Wenn du glaubst, dass ich da runter gehe, dann…“
„Ilar“, unterbrach Janus mit freundlichem Unterton, „lasst es gut sein und folgt unserem Kameraden. Bald soll Euch Ruhe vergönnt sein.“
„Ruhe, Ruhe“, äffte der Magier, „Die hab ich im Grab, wo ich dank unseres Fährtenlesers auch sehr bald sein werde.“
„Ilar! Klappe halten!“, befahl Ferren, „Olaf, Ihr geht voran!“
So geschah es. Doch als sie den Pfad beschritten, mussten sie feststellen, dass ihr cholerischer Magier mit seiner Vermutung alles andere als falsch gelegen hatte. Unter dem Gras lagen zu Haufe lockere Steine, die sofort wegrutschten, sobald man auch nur eine Zehenspitze darauf setzte.
Hastig stolperten sie von einem Fehltritt in den nächsten, handelten sich die ein oder andere Blessur ein und erreichten schließlich noch erschöpfter als zuvor eine kleine Lichtung, die auf einem großen Felsen oberhalb eines ausgetrockneten Flusslaufes lag, der sich über Jahre hinweg durch den dunklen Stein gefressen hatte.
„Hier rasten wir!“, sagte Ilar unerbittlich.
„Ja, der Platz ist gut zum Rasten“, stimmte Olaf zu.
„Selbst wenn es der Kerker von Murngard wäre…“, zischte der Magier, während er bereits seine Bastmatte ausbreitete.
„Ah, diese Luft“, schwärmte der Mönch, der, am Rande des Felsens stehend, über die Wipfel der Bäume und die zerklüfteten Schluchten hinwegblickte.
Nachdem sie sich aus Matten, Geäst und Farn ein recht ansehnliches Lager geschaffen hatten, teilte Ferren die Wachen ein.
Da er die erste selbst übernahm, legten sich seine Gefährten schlafen.
Ilar war der erste, der zu Schnarchen begann, alsbald fielen auch Olafs Augen zu. Zuletzt wurde Janus vom Schlaf übermannt.
Der Wind strich sanft durch die Nadeln der Pinien, zischte zwischen den zerklüfteten Felsen. Von fern erschallte das Krächzen einiger Krähen, während zugleich Grillen zirpten, irgendwo rauschte ein Fluss, das Geäst knackte leise.
Ferren saß aufrecht in Mitten des Lagers, ließ seinen Blick über die scheinbar unbelebte Gegend schweifen, und fühlte sich plötzlich allein. Nun da er saß, schrie sein Körper wieder nach Bewegung, seine Muskeln brannten in jedem unbewegten Moment und ächzten zugleich nach Ruhe, wenn sie angespannt wurden.
Körper und Geist zerrissen, konnte, durfte, wollte er nicht rasten.
„In jeder Sekunde entfernt sie sich ein Stück weiter. Gleitet aus meinen Händen…“

Die Reitergruppe erreichte den mittleren Norden, ein weites, kühles Hügelland, das von dem dunkelgrünen Mantel mächtiger Nadelwälder überzogen wurde. Über die dunkel gepflasterte Straße gelangten sie unter Vanessas Führung durch ein kleines Dorf.
Ein paar Soldaten, die an dem Weg Wache hielten, grüßten die vorbei ziehenden Reiter respektvoll, wohingegen die meist alten Bewohner des Ortes ihnen eher verächtliche Blicke zuwarfen.
Nur de Nord wurde von beiden Parteien mit der gleichen Verwunderung betrachtet, der er eine kalte Verächtlichkeit entgegensetzte.
Als er seinen Blick vom gemeinen Volk abwandte, sah er die gewaltigen, bewaldeten Gipfel der nördlichen Vorgebirge über ihm thronen, unter denen an einem Hang ein schneeweißes Anwesen aus dem Dunkelgrün des Waldes hervorstach. Ein schmaler Weg wandte sich hinauf.
Ihr Ziel, wie der Marquis glaubte.
Tatsächlich bog Vanessa alsbald von der Straße ab, um jenem steilen Weg zu folgen, den ihre erschöpften Pferde nur langsam beschreiten konnten, und während die Reiter untereinander tuschelten, entdeckte de Nord einige Wachtürme, welche fast unsichtbar in die Reihen der Bäume eingegliedert waren und sich den Hang hinauf, bis zu einem schweren, schmiedeeisernen Gittertor zogen, das in einen geweißten, niedrigen Steinwall eingelassen war.
Vier Speerträger in schweren Rüstungen kamen ihnen in Reih und Glied entgegen, sodass sie gezwungen waren, einzuhalten.
„Gebt Euch zu erkennen!“, forderte einer der Soldaten.
„Ich bin Leutnant Vanessa Firani aus der Elitegarde des Lords“, gab sie zurück, „Ich bringe seinen Gast.“
„Wie lautet Eure Parole?“, fragte die Wache unbeirrt.
Es war still. Kein Wind rauschte durch die Wipfel der Bäume, die Vögel schwiegen, während die Bogenschützen still atmend von ihren Türmen auf die Ankömmlinge hinabblickten. Einige graue Wolken verdüsterten den Himmel. Das Wetter im Norden war bereits zum Herbstbeginn schlecht.
„Lemorgant“, antwortete sie schließlich und die Sehnen der Bögen, die auf die Gruppe gerichtet waren, entspannten sich.
„Wie überaus passend“, kommentierte Lucian, während der Wächter eine Art Notizblock aus seiner ledernen Gürteltasche kramte. Nachdem er diesen kurz durchpflügt hatte, hob er den Blick wieder zum Leutnant:
„Die Parole ist in Ordnung. Sie gilt allerdings nur für Euch und den Ge…Gast. Der Rest Eures Trupps wird hiermit von Eurem Kommando entbunden und an die Front beordert.“
„Bitte was?“, keuchte Vanessa.
„Na klasse“, seufzte einer der Reiter.
„Es ist des Lords persönlicher Befehl“, beharrte der Wächter.
„Ihr habt es gehört, Jungs“, wandte sich Vanessas Fähnrich an den Rest des Trupps, „Sieht so aus, als hätte unser hübscher Leutnant jetzt was Besseres zu tun. Also auf, auf!“
Mit diesen Worten wendete er sein Pferd und galoppierte  den Weg wieder hinab, während sich ihm die übrigen zaghaft anschlossen.
„Eure Waffen“, verlangte der Wachmann, nachdem sie verschwunden waren.
„Ihr solltet wissen, dass man mein Schwert nur von meiner Hand trennen kann, indem man diese von meinem Körper trennt“, entgegnete de Nord.
„Seid nicht dumm!“, zischte der Leutnant, während der Wächter ihn noch taxierte.
Dann hob er die Stimme:
„Wir wurden vor dieser Antwort bereits gewarnt“, murmelte er, „In diesem Fall soll es Euch erlaubt sein, Euer Schwert weiter zu tragen, Eure Armbrust jedoch…“
„Hier habt Ihr sie!“, unterbrach de Nord forsch, wobei er sie einem der Speerträger zuwarf. Dieser ließ gar seine Lanze fallen, um die Waffe aufzufangen.
Während der eiserne Speer klirrend zu Boden fiel, drehte sich der Vorsteher mit einem bedeutungsvollen Blick wieder zu Vanessa:
„Eure Waffen bitte.“
Sie stutze einen Moment, hob eine Augenbraue und zischte dann zurück:
„Das kann doch nur ein Witz sein! Er darf sein Schwert behalten und ich…“
„Die Befehle des Lords sind klar“ unterbrach ihr Gegenüber.
De Nord lachte leise, als sie ihr Schwert, ihre Armbrust und einen zuvor versteckten Parierdolch abgab.
Anschließend warf sie ihm einen allzu finsteren Blick zu.
Nachdem man auf Befehl des Vorstehers das Tor geöffnet hatte, kamen zwei weitere Speerträger herbei, um Lucian und Vanessa in die weiße Villa zu geleiten.
„In Anbetracht Eurer Parole nehme ich an, dass Ihr wisst, wer ich bin“, fragte de Nord, während sie durch die grünen Parkanlagen auf den Eingang zugingen.
„Ich habe es mir gedacht“, antwortete Vanessa.
„Ich finde es verwunderlich, welche Gelassenheit Ihr darüber zeigt“, Lucian wirkte geradezu beleidigt.
„Euer Freund Tymaleaux…“
„Er ist nicht mein Freund, sondern ein bemitleidenswertes Insekt“, unterbrach der Marquis.
„Wie auch immer“, fuhr sie fort, „Er erwähnte Eure Maskerade, als er mit den Thanatoikern über seinen Verrat verhandelte. So kamen wir darauf“, sie machte eine kurze Pause, „Ich muss allerdings sagen: Als ich Euch zuerst gesehen habe, habe ich daran gezweifelt, ob Ihr es wirklich seid.“
„Was gibt es daran zu bezweifeln?“, keuchte Lucian.
„Nun, Ihr seid jung…ich hätte mir den gefallenen Prinzen älter vorgestellt. Außerdem hatte ich gedacht, er wäre tot.“
„Was augenscheinlich nicht der Wahrheit entspricht.“
„Ja, wohl war“, seufzte sie, „Nach dem ersten Gespräch mit Euch, war mir klar, dass Ihr Lemorgant sein musstet. Niemand sonst hätte so störrisch sein können. Ich wundere mich ein wenig, dass wir Euch nicht in Ketten herbringen mussten.“
„Hätte ich erwogen, mich zu wehren, hättet ihr eine Leiche zurückbringen oder den Schöpfer um Gnade anflehen können“, entgegnete er, worauf sie spöttisch lächelte.
Als sie die schwere, dunkle Doppeltür erreichten, wurde diese sogleich geöffnet, sodass sie die gewaltige Eingangshalle betreten konnten, die den Botschaften in Galor um nichts nachstand. Den einzigen gravierenden Unterschied stellten die blutroten Banner dar, die im Luftzug sanft an den Wänden wogten. Eine grobgestickte, schwarze Zackenkrone prangerte auf ihnen.
„Das Wappen der Verräter“, erklärte Vanessa, die Lucians Blick gefolgt war.
„Nichts, worauf man stolz sein könnte“, zischte er, bevor er sich von ihr abwandte und den Speerträgern in das nächste Zimmer folgte.
Kopfschüttelnd ging sie hinterher.
Vor ihnen erstreckte sich ein gewaltiger Saal, der auf der Rückseite durch eine weiße Säulenwand in eine breite Terrasse auf der Rückseite des Anwesens mündete.
Die Wachen führten Lucian und Vanessa zwischen den mächtigen Säulen hindurch ins Freie, wo auf dem weißen, glänzenden Stein ein hölzerner Thron hinter einem ebenfalls steinernen Tisch stand. Wie Statuen ragten reglose Wächter am Rande der Terrasse auf, wort- und regungslos.
Bewegung ging lediglich von der Person aus, die sich, auf dem Thron sitzend, bereits an den reichhaltigen Speisen bediente, mit denen man den Tisch überhäuft hatte.
Zwei weitere, niedrige Stühle standen ebenfalls dort.
„Ah, unsere Gäste!“, rief die Gestalt am Tisch und winkte eifrig, „Kommt heran, kommt setzt euch!“
Langsam gingen Vanessa und Lucian über die Terrasse, während die beiden Speerträger hinter ihnen zurückblieben.
Dennoch wurden sie von einem Dutzend Augenpaaren verfolgt.
Als sie den Tisch erreichten, war die Person auf dem Thron endlich deutlich zu erkennen.
Es handelte sich um einen Mann höheren Alters mit verfilzten, graumelierten Haaren und gewaltiger Hakennase. Allerdings kleidete er sich elegant mit einem weißen Seidenhemd, über dem er eine schwarze Robe aus dem gleichen Stoff trug.
Dennoch wirkte das silberne Tiara auf seinem ungepflegten Haar gänzlich deplatziert.
Neben ihm ragte reglos ein bulliger Hüne auf, der geradezu aus seiner Lederrüstung herauszuplatzen schien.
Ein blutroter Mantel lag über seinen Schultern.
„Bitte, bitte setzt euch“, forderte der Sitzende seine Gäste auf, während er seine silberne Gabel in einem Hähnchenschenkel versenkte, der auf einem goldbekränzten Tablett vor ihm lag.
Die beiden Ankömmlinge leisteten seiner Bitte wortlos Folge.
„Oh, ich habe mich gar nicht vorgestellt“, schmatzte er, „Ich bin…“
Er verstummte, offensichtlich um einen Bissen herunter zu schlucken, worauf der Hüne an seiner Seite sofort das Wort ergriff:
„Das ist Lord Navaras, Oberkommandeur der Verräter und künftiger Kaiser Fiondrals.“
„Ja, Kryleg. Gut ausgedrückt“, lobte Navaras, nachdem er sich seinen Mund mit einer seidenen Serviette abgeputzt hatte, „Bitte, greift zu!“, er deutete auf das Essen.
De Nord langte sofort nach dem Fasan, um anschließend noch Kaviar auf seinen Teller zu schaufeln, wohingegen Vanessa reglos auf ihrem Stuhl verharrte.
„Ist es“, fuhr der Lord fort, nachdem er einen weiteren Bissen genommen hatte, „Euch lieber bei eurem derzeitigen Namen zu bleiben, oder fordert Ihr die Euch gebührende, königliche Würde ein?“
„Wenn mir schon einmal vergönnt ist, sie fordern zu können, wäre ich ein Narr, es nicht zu tun“, gab Lucian zurück.
„Wie Ihr wünscht, Prinz Lemorgant“, sprach Navaras langsam, „Ich heiße Euch also auf meinem bescheidenen Anwesen willkommen…Eure Hoheit.“
„Ich will nicht unhöflich erscheinen“, erwiderte der gefallene Prinz, „Aber ich bin hier, weil man mir einen Handel und Antworten versprach. Ich will natürlich nicht verhehlen, dass Ihr einen ganz annehmbaren Geschmack besitzt, was Speisen angeht, aber ich wüsste sie gerne mit ein paar Antworten versüßt.“
„Nun, wie Ihr wollt. Ihr sollt eure Antworten bekommen“, sagte Navaras nach einem Schluck Wein, um anschließend ein leichtes Lächeln aufzusetzen, sich noch einen Bissen Hähnchen einzuverleiben und dann erst mit seinem Bericht zu beginnen:

Vor etwa fünfzig Jahren war er noch ein junges, aber aufstrebendes Mitglied der Ost-Kalatarischen Händlergilde, dem bedeutendsten, privaten Unternehmen Kalatars.
Obwohl er einer serpendrianischen Adelsfamilie entstammte, war er nicht reich, denn er hatte seinen gesamten Besitzt hinter sich lassen müssen, als man ihn des Hochverrats angeklagt und zur Flucht gezwungen hatte. Er konnte es den serpendrianischen Behörden jedoch nicht verdenken, denn ihre Anschuldigungen, er habe geheime Staatsinformationen an die Händlergilde verkauft, entsprachen durchaus der Wahrheit. In all dem Trubel und der Aufregung über die Besiedlung des neu entdeckten Fiondrals, war es ihm jedoch gelungen, in Elipf Zuflucht zu finden.
Da er sich über die Jahre bereits ein hohes Ansehen bei der Gilde verschafft hatte, wurde er alsbald zu einer Schlüsselfigur in einem ebenso genialen, wie diabolischen Plan, der zu einem großen Teil seiner eigenen Brillanz entsprungen war.
Die Grundidee dabei war durchaus simpel:
Während alle anderen kaufmännischen Organisationen immense Geldsummen in den Aufbau Fiondrals pumpten, von dem sie sich gewaltigen Profit erhofften, rührte die Ost-Kalatarische Händlergilde keinen Finger.
Von nun an galt es, auszuharren, dem Hungertod zu entgehen und auf das kommende Unheil zu warten, ein Unheil, das ihnen von der zweiten Partei versichert wurde, die am Plan beteiligt war: Dem Dunklen Kult.
„Wer den wirklichen großen Profit will, darf bei seinen Geschäftspartnern nicht wählerisch sein“, pflegte Navaras zu sagen, um die Zweifel seiner Mitverschwörer zu bändigen.
Welche Motive die Todesanbeter bei der ganzen Sache hatten, war ihm seit jeher zweifelhaft.
Zwar hörte er das ein oder andere Mal von einer Prophezeiung, doch in der Annahme, er könne ihr okkultes Geschwafel ohnehin nicht verstehen, fragte er nie weiter nach.
Für ihn besaß es lediglich Relevanz, dass die Thanatoiker zu dem vereinbarten Zeitpunkt die Orks nach Fiondral brachten und die Invasion begannen. Wie sie diese sagenumwobene, verschollene Rasse aus dem Hut gezaubert hatten oder woher sie wussten, dass die Sagen über sie wirklich der Wahrheit entsprachen, war für ihn nie von Bedeutung gewesen.
Seine Aufgabe bestand lediglich darin, das Heer zu führen, was ihm mithilfe der Thanatoiker, die von der Orks wie des Urteil Iurions gefürchtet wurden, durchaus gut belang.
Im Folgenden ging es ihm weniger, um die territoriale Eroberung Fiondrals als um die damit einhergehende Auslöschung aller Handelsressourcen.
Die anderen Händlergilden sollten jeden Kupferschilling verlieren, den sie in den Aufbau des neuen Kontinents gesteckt hatten.
So war dieser unter seiner Führung von den orkischen Heerscharen überrannt worden, die nun vor den Toren Galors standen.

„Wollt Ihr damit andeuten, Ihr hättet das alles des Geldes wegen getan?“, erkundigte sich Lemorgant, nachdem Navaras mit seinem Bericht geendet hatte.
„Wofür sonst?“, lachte dieser, „Die Ost-Kalatarische Händlergilde kann sich von dem Profit die Welt kaufen. Alle anderen Gesellschaften sind zerschlagen. Sie hat das Monopol auf alles!“
„Ihr seid Euch aber der Tatsache bewusst, dass kein Kupferschilling, kein Silbertaler, keine Golddrake, ja nicht die Summe aller, die es auf der Welt gibt, den Schaden zahlen kann, den Ihr verursacht habt, die Leben, die Eure Pläne dahingerafft haben?“, zischte der Prinz.
„Das ist der Lauf der Dinge“, murmelte Navaras, „In diesem Spiel gewinnt nur der, der jede Regel missachtet.“
„Ja, so verhält es sich offensichtlich“, gestand Lemorgant, wobei er einen großen Schluck aus seinem Weinkelch nahm.
„Aber, ich kann Euch besänftigen. Ich habe nun andere Ambitionen als das Geld und das Wohl der Gilde“, versicherte der Lord.
„Ich muss gestehen, Ihr überrascht mich“, spottete der Prinz.
Navaras lachte.
„Oh ja“, sprach er dann, „Was will ich mit der Ost-Kalatarischen Händlergilde, wenn ich Kaiser von Fiondral sein kann?“
„Das ist in der Tat eine berechtigte Frage. Aber ich nehme an, ich wäre nicht hier, wenn dieser Plan nicht meine Hilfe erfordern würde?“
„Eben das tut er. Nun, meine Lage ist im Grunde folgende: Ich kommandiere ein riesiges Heer von Verrätern und da ich die Orks immer mal wieder ins offene Messer laufen lassen habe, bin ich ihnen geradezu ebenbürtig. Allerdings sind da noch die Thanatoiker.“
Er machte eine gedankenschwere Pause, bevor er fortfuhr:
„Sie besitzen eine ziemlich…einschüchternde Macht, auf die sich ihr Meister Ventro stützt. Es heißt, er könne damit unsterbliche Krieger schaffen. Das würde meinen politischen Ambitionen natürlich ein ziemliches Hindernis sein.“
„Offensichtlich“, kommentierte der gefallene Prinz, bevor er sich ein Baguettestück mit Kaviar einverleibte.
„Aus einer sicheren Quelle weiß ich, dass sich der Kern dieser Macht in Narbenfels befindet. Da sich Ventro allerdings mit seinem Führungsstab an der Front aufhält, ist sie mehr oder weniger ungeschützt.“
„Es würde mich wahrlich überraschen, wenn Ihr nicht von mir fordern würdet, diese Quelle zu zerstören“, gestand Lemorgant.
„Das fordere ich in der Tat“, bestätigte Navaras, „Ich kann keine meiner eigenen Einheiten damit betrauen, da Ventro meinen Plan sonst sicher erkennen und zunichte machen würde. Ihr jedoch…nun, man sagt Euch gewisse Dinge nach und offensichtlich, habt Ihr einen Schuss ins Herz überlebt. Dem Tod von der Schippe gesprungen, so zu sagen. Ich denke, die Auslöschung von Narbenfels sollte Euch möglich sein.“
Lemorgant sah ihn spöttisch lächelnd an, bevor er die dünnen, blassen Lippen öffnete:
„Bevor ich“, sprach er mit der Kälte eines Grabes, „mit dem erbärmlichsten Stück menschlichen Drecks, das mir je unter die Augen gekommen ist, verhandle, springe ich über diesen Tisch, um Euch die Kehle aufzuschlitzen oder bei dem Versuch zu sterben.“
Der Hüne an der Seite des Lords starrte grimmig wie ein knurrender Wachhund auf den Prinzen herab, während seine Hand auf dem Griff seines Breitschwertes ruhte.
„Aber, aber“, entgegnete Navaras, „Noch habe ich Euch doch gar kein Angebot gemacht.“
„Ich bin nicht geneigt…“, begann Lemorgant, doch der Lord unterbrach ihn:
„Ja, ich weiß, dass Iurionisten nicht mit…“, er räusperte sich, „Untermenschen verhandeln, aber in diesem Fall biete ich Euch nichts geringeres an als das Ãœberleben Galors. Zumindest das seiner Bewohner.“
„Erklärt Euch!“, blaffte der Prinz.
„Ich werde, die Gruppen, die zu den orkischen Schiffen ausgesandt wurden, nicht verfolgen lassen, und den Angriff auf Galor so weit herauszögern, wie ich kann. Dennoch werde ich beides nicht endgültig verhindern können“, erklärte Navaras.
„Solltet Ihr etwa andeuten, dass Euch am Fall Galors nichts gelegen ist?“, hakte der Prinz nach.
„Die Todesanbeter wollen es in Trümmern sehen, aber für mich ist es kein wirtschaftliches Ziel“, gestand der Lord, „Sie schwafeln von irgendeiner Prophezeiung, aber wenn es nach mir ginge, hätte ich euch die Schiffe für eure Flucht geschenkt. Krieg ist so…unentspannend.“
Navaras und Lemorgant saßen sich eine Zeit lang schweigend gegenüber, während Vanessa ihren Blick immer wieder vom einen auf den anderen schweifen ließ.
„Was“, begann der Prinz schließlich, „sollte mir die Gewissheit verschaffen, dass Ihr Euer Wort haltet?“Der Lord zuckte mit den Schultern:
„Nun, Ihr müsst mir schon glauben, dass ich meine, was ich sage. Das nennt man Vertrauen, soweit ich weiß.“
„Wenn ich Euch zitieren darf, Lord“, höhnte Lemorgant, "In diesem Spiel gewinnt nur der, der jede Regel missachtet."
„Ach das…“, ein beschämtes Lächeln zierte das Gesicht des baldigen Kaisers, „Nun ja, das ist natürlich wahr, aber, wie Ihr seht, in diesem Fall einmal nicht zutreffend. Wenn ich Galor zerstöre, habe ich keinen Vorteil. Wenn es kapituliert und flieht schon. Denkt an all die Menschen, die Ihr retten könntet, Eure Hoheit. Selbst wenn ich mein Wort nicht hielte: Wem würde es schaden, gäbe es ein paar Schwarzmagier weniger auf der Welt?“
Der Prinz schwieg, sodass Stille herrschte, bis es schließlich aus Vanessa herausbrach:
„Verdammt, Lemorgant! Seht Ihr nicht, was euch geboten wird? Jeder Narr an Eurer Stelle wäre schon lange auf das Angebot meines Meisters eingegangen. Reden Iurionisten nicht immer von Gerechtigkeit? Wo ist es denn gerecht, wenn tausende Menschen sterben, nur weil Ihr von den Ketten Eurer Ehre umschlungen seid.“
Erneut lachte Lemorgant spöttisch und zischte:
„Ehre…Ihr solltet nicht von Worten sprechen, deren Bedeutung sich Euch entziehen!“
„Ehre ist die Achtung, die die Gesellschaft einem Menschen für sein Verhalten entgegenbringt. Was würden die Menschen wohl sagen, wüssten sie von Eurer Entscheidung?“, keuchte sie, worauf der Prinz verächtlich auf sie herabsah.
„Die Antwort eines Narren“, zischelte er, „denn sie ist nur die halbe Wahrheit und damit nicht besser als eine volle Lüge! Ich nehme an, Ihr könnt Euch gar nicht vorstellen, dass die Ehre vor allem unter dem eigenen Auge gewonnen oder verloren wird.
Sie liegt nicht nur im Blick eines jeden Betrachters, sondern ebenso in dem des eigenen Spiegelbildes.“
„Ich muss schon sagen: Ihr seid eine harte Nuss“, lachte Navaras, der damit begonnen hatte, sich einige Weintrauben einzuverleiben.
„Es ist sinnlos“, protestierte Vanessa, wobei sie mit den Schultern zuckte.
„Es verhält sich so, dass Ihr irrt“, entgegnete Lemorgant, dessen Augen so fest zusammen gepresst waren, dass man sie beinahe nicht mehr erkennen konnte, weshalb sein Gesicht einer wächsernen Maske glich, „Ich bin geneigt, auf Euer Angebot einzugehen, Navaras.“
„So?“, ächzte der Lord, wobei er sich an einer Traube verschluckte und lauthals hustete.
„Ihr…“, keuchte Vanessa.
„Ja, ich, Prinz Lemorgant, besiegle diesen frevelhaften Pakt“, bestätigte ihr Gegenüber.
Dem Lord gelang es endlich, die verschluckte Traube wieder auf seinen Teller zu rotzen. Mit einem ekelhaften Geräusch spuckte er noch etwas Schleimiges hinterher, putzte sich dann den Mund mit seinem Seidentuch ab und flüsterte „Verzeiht“, bevor er die Stimme hob:
„Das ist…erfreulich, Eure Hoheit. Ich habe vollstes Vertrauen in Euer Wort und“, er blickte zu Vanessa, „in Eure Loyalität.“
„Wie meinen mein Herr?“, entgegnete sie mit geweiteten Augen.
„Ihr werdet den Prinzen begleiten. Er mag ein mächtiger Krieger sein, doch ich betraue ihn ungerne alleine mit der Auslöschung dieser Hexer. Ihr sollt ihm eine Hilfe sein“, erklärte Navaras, worauf er seine Hände faltete und seine beiden Gäste beobachtete, die ihn entgeistert anstarrten.
„Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich mit dem Nekromantengesindel bestens alleine zurechtkommen werde“, entgegnete Lemorgant schließlich.
„Unterschätzt sie besser nicht, Eure Hoheit.“
„Oh, seid versichert, Lord, das tue ich keinesfalls“, höhnte der Prinz.
„Es ist und bleibt mein ausdrücklicher Wunsch, dass Vanessa Euch begleitet“, beharrte Navaras.
„Wie Ihr wünscht“, sprach sein gegenüber langsam, „Ich garantiere jedoch nicht dafür, dass ich sie heil wieder zurückbringen kann.“
„Ich kann ganz gut auf mich selbst aufpassen!“, blaffte der Leutnant, worauf Lemorgant sie kurz betrachtete und anschließend fadenscheinig lächelte.
Dennoch akzeptierte er den Willen des Lords, der das Gespräch damit als beendet ansah.
Er ließ den Tisch abräumen, Vanessa ihre Waffen wieder zukommen und sie sowie den Prinzen anschließend in den Westflügel seines Anwesens bringen, wo er zwei Zimmer für seine Gäste vorbereitet hatte.
Die Villa des Lords sollte ihnen jedoch nur für einen einzigen Tag eine Zuflucht sein, denn ihre Abreise war bereits für den nächsten Morgen geplant.

Ferren stand in Mitten der Dunkelheit, die alles in ihrem eisigen Griff hielt, sodass zu beiden Seiten des Weges nichts als Schwärze lag, und doch wusste er, dass die gezackte Felswand zu seiner Linken hunderte Meter in die Tiefe führte. Er konnte gerade noch Olafs Fersen erkennen, die sich unbeirrt einen Weg durch die Finsternis bahnten.
„Kann er eigentlich irgendwas sehen? Oder läuft er einfach nur drauf los?“, fragte sich der Leutnant, während er Ilars Atem bereits im Nacken spürte.
Der hinter ihm gehende Magier hatte anscheinend ein noch schlechteres Auge für diese schattenhafte Welt, da er ihm bereits des Öfteren in die Hacken getreten hatte.
„Gottverschissene Dunkelheit!“, fluchte er, „Ich habe mir den Zeh an…“
„Klappe, Ilar!“, flüsterte Ferren, der sich bereits seit ihrem Abmarsch wünschte, es könnte einfach nur totenstill sein.
Stattdessen ertönte dauernd irgendetwas. Ihre gedämpften Schritte auf dem nadelbedeckten Pfad, ein hörbarer Atemzug, das Zirpen irgendeines Insekts, der Ruf eines verborgenen Nachtvogels, das Fallen kleiner Felssplitter, Knacken, Klackern, Knistern überall. Es war ihm, als folgte ihnen ein Schatten auf Schritt und Tritt.
Er blickte in die Finsternis und die zerklüfteten Felsen starrten aus leeren, schattenüberlagerten Augenhöhlen zurück.
„Welcher Bastard sollte mich schon hören?“, protestierte der Magier nun mit leiser Stimme, „Die verdammten, schweineköpfigen Orks sind doch sicher noch Meilen entfernt.“
„Vielleicht haben sie Wachposten abgestellt“, wandte Janus ein.
„Diese Idioten? Nie!“, entgegnete Ilar, worauf Ferren sie wieder zur Ruhe aufrief.
Stille. Zumindest für einen Moment, denn innerhalb einer Sekunde heulte ein Uhu, und nachdem sein Ruf verklungen war, stimmten einige Grillen eine Sinfonie des Zirpens an.
Vor Ferren erschien plötzlich eine schwarze Wand, die er viel zu spät wahrnahm, um ihr ausweichen zu können.
Er knallte genau in sie hinein.
Zwei Schmerzensschreie ertönten, Ilar stieß in seinen Rücken, fluchte.
Mittlerweile glaubte der Leutnant, dass er einfach nur gegen seinen Kameraden Olaf gelaufen war, der unvermittelt gestoppt hatte.
„Was sollte das?“, keuchte er immer noch gedämpft, während er sich gegen die harte Felswand zu seiner Rechten stützte und krampfhaft versuchte, nicht daran zu denken, dass er auch in den Abgrund auf der linken Seite hätte stürzen können.
„Ich habe etwas gehört“, antwortete Olaf.
„Wenn du diesen beschissenen Drecksvogel meinst, den hat hier jeder gehört“, maulte Ilar.
„Klappe!“, herrschte Ferren ihn an, bevor er sich an Olaf wandte, „Was habt Ihr gehört?“
„Stimmen, ein Stück vor uns. Oben auf dem Fels, bei der Straße.“
„Die Orks?“, erkundigte sich Janus.
„Die Scheißviecher sind doch niemals hier!“
„Olaf, bringt uns wieder auf die Straße!“, verlangte der Leutnant.
„Das ist schwer. Hier ist nur Fels“, entgegnete dieser.
„Ihr seid ein verdammter Fährtenleser!“
„Es ist dunkel“, entschuldigte sich Olaf.
„Was du nicht sagst“, höhnte der Magier.
„Bring uns einfach da rauf!“, wiederholte Ferren.
„Ich versuch’s“, war die Antwort.
Anschließend tappte der Späher weiter mit traumwandlerischer Sicherheit durch die Dunkelheit, wobei Ferren sich an seine Fersen heftete.
Während sie jenem schmalen, kaum sichtbaren Pfad folgten, der ein Stück unterhalb der eigentlichen Straße an der Felswand verlief, wurden die Stimmen lauter, sodass auch die anderen sie hören konnten.
Es waren gutturale Laute, die zunächst nur wie ein Flüstern durch die Wände der Bäume und Felsen drangen, dann aber stets deutlicher wurden.
„Orks“, dachte Ferren, bevor Olaf erneut abrupt einhielt.
Er deutete in die Finsternis zu seiner Rechten.
„Dort können wir hoch“, erklärte er und nur einen Augenblick später war seine schattenhafte Silhouette gänzlich verschwunden.
Langsam tastete sich Ferren am Fels entlang, ließ seine Hand über die zerfressene Oberfläche gleiten und setzte vorsichtig einen Schritt vor den anderen, bis dort plötzlich kein Fels mehr war. Vorsichtig wandte er sich nach rechts, wo sich eine Art Breche in der Felswand befand, die steil nach oben führte.
Nachdem er behutsam einen Schritt hineingesetzt hatte, stellte er fest, dass es sich um eine Treppe handelte, die man einfach in den Stein geschlagen hatte.
Einige Stufen über ihm, glaubte er, Olaf erkennen zu können.
„Vorsichtig sein!“, warnte der Späher, „Die Stufen sind sehr klein und steil.“
Ferren hatte selbiges bereits befürchtet.
Mit den Händen an die Außenwände der Breche gestützt folgte er langsam dem Verlauf der Stiege, wobei jeder Meter ein Schritt ins Ungewisse war.
„Welcher verdammte Vollidiot hat diese…“, fluchte Ilar, bevor er erneut zum Schweigen aufgerufen wurde.
Es dauerte fast zehn Minuten, bis sie die kurze Treppe hinter sich gelassen hatten und sich in einer Ansammlung von Pinien wiederfanden, die am Rande der Straße wuchsen.
Nicht mehr eingekesselt von den Felswänden der Schlucht erbarmte sich die Nacht einer kleinen Aufhellung.
„Man kann die Hand wieder vor Augen sehen“, lobte Ilar, während sie langsam durch die lichten Reihen der Bäume schlichen.
Dabei folgten ihre Blicke dem Lauf der Straße, die sich im fahlen Licht des Halbmondes wie eine glänzend, graue Schlange um die Felsspitzen zog.
Ein einziger, entfernter heller Punkt verlieh dem Reptil sein Auge, ein Lagerfeuer in der finsteren Nacht. Es stach so heftig aus der Dunkelheit hervor, dass man gar nicht weggucken konnte, es zwang die Blicke auf sich und warf sein warmes Licht auf ein kleines Lager, in dessen Mitte es sich befand. Dieses bestand lediglich aus zwei Zelten, dem Feuer selbst und einigen dunklen Objekten, die wie nasse Säcke auf dem Boden herumlagen, und bei denen es sich, wie die vier Gefährten bald feststellten, um schlafende Orks handelte.
Am Lagerfeuer standen noch einige Gestalten, manche bullig, andere mit menschlichen Zügen, und das Flüstern, das sie in der Schlucht gehört hatten, war nun zu einem lauten Grölen und Schreien geworden.
„Da sind sie“, sagte Ferren, wobei er heftig aufatmete, „Könnt ihr erkennen, ob sie Gefangene haben?“
Janus blinzelte und blickte in die Ferne, bevor er seufzte:
„Bei der Entfernung und den Lichtverhältnissen…unmöglich. Wir könnten noch ein Stück weiter vorrücken, ohne dass sie uns entdecken.“
„Ich gehe ganz bestimmt nicht noch näher an diese stinkenden Schläger heran. Ich bin ihnen gerade erst entkommen, verdammt, und ihr wollt, dass ich ihnen hinterher laufe?“, keuchte Ilar.
„Ihr habt es erfasst, Magier“, lachte der Mönch, während sich Ferren an Olaf wandte:
„Könnt Ihr uns noch näher heranbringen?“
„Ja“, bestätigte dieser.
„Dann geht voran.“
„Wir gehen. An der Felswand. Auf der anderen Straßenseite“, erklärte der Hüne, bevor er über die Straße huschte.
Die anderen folgten ihm, sodass sie sich langsam dem Lager näherten.
Ferren jedoch zweifelte daran, dass dies wirklich jene Orks waren, die sie einen Tag zuvor überfallen hatten.
„Sind sie wirklich so langsam marschiert?“, fragte er sich, „Das können sie niemals sein! Nein, sie sind es nicht, sie…“
„Da steht ein Wagen mit einem Käfig drauf“, bemerkte Olaf, wobei er vorsichtig in die hintere Ecke des Lagers deutete, wo tatsächlich ein Karren mit einem hölzernen Käfig stand, gerade so groß, dass ein paar erwachsene Menschen hinein passten.
Da sie näher gekommen waren, konnte man nun auch die Gestalten am Feuer erkennen, bei denen es sich um drei Orks und vier Menschen handelte.
Den Orks stand ein besonders großes und hässliches Exemplar vor, das mit zweien der Männer diskutierte, wohingegen die übrigen nur wortlos daneben standen.
Während es sich bei einem der beiden Männer um Tymaleaux handelte, was den vier Beobachtern jedoch entging, war der andere ein hochgewachsener Kerl, der einen nachtschwarzen Mantel trug, welchen das Sanduhrsymbol zierte. Offensichtlich ein Offizier der Todesanbeter.
„Ich wollen nur meinen Lohn“, forderte der Orks, „Haben Leben riskiert, meins und meine Männer.“
„Ihr bekommt gar nichts, Ork!“, blaffte der Offizier, „Unsere Richtlinien sind klar. Die Magierin wird den Nekromanten überstellt und zwar lebend.“
„Ich sie nicht töten. Wollen nur meinen Spaß.“
„Widerliche Bestie!“, harschte der Thanatoiker ihn an.
„Nun, sie sieht schon recht gut aus…“, wandte Tymaleaux ein.
„Was für den Ork gilt, gilt auch für Euch, Schwein! Die Novizin wird nicht angerührt! Unsere Meister wollen sie unversehrt.“
„Unversehrt oder jungfräulich?“, hakte der Ledrianer mit einem schmierigen Grinsen nach.
„Schweigt! Das Gespräch ist beendet!“, zischte sein Gegenüber und wandte sich ab.
Darauf jedoch hob der Ork wieder seine gutturale Stimme:
„Ihr mich nicht abhalten. Ich bekommen sie, oder ich töten euch und nehmen sie“, langsam zog er sein rostiges Falchion.
Während Tymaleaux einen Schritt zur Seite machte, drehte sich der Todesanbeter wieder um.
„Das wollt Ihr nicht wirklich, Kreatur!“
Der Ork setzte unbeeindruckt einen Schritt nach vorne, dann riss er mit einem diabolischen Grinsen auf seiner entstellten Fratze das Falchion in die Höhe, bereit einen tödlichen Abwärtshieb auszuführen.
„Er darf ihn nicht töten. Er darf nicht gewinnen. Wenn die Thanatoiker tot sind dann…ich muss etwas unternehmen, ich…“, raste es durch Ferrens Kopf.
Doch der Ork sollte nicht mehr zu seinem Angriff kommen, denn sein Gegenüber beschwor in einer lässig peitschenden Bewegung eine zischende Flamme, die nicht feurig rot, sondern fahl, gespenstisch grün war. In einer einzigen durchgehende Bewegung fuhr der Flammenschweif durch die Brust der Bestie, während der grüne Schein plötzlich aus ihrem Mund, den Augen und Nasenlöchern strahlte, als würde sie innerlich verbrennen, und genauso klang auch ihr Schmerzensschrei.
Binnen Sekunden erhoben sich die schlafenden Orks vom Boden, sahen grunzend umher, starrten eine Weile auf ihren Anführer, der mittlerweile rauchend zu Boden gesunken war, ballten die Fäuste.
„Vergesst nie“, begann der Thanatoiker, „warum ihr hier seid! Vergesst nie, warum ihr uns dient!“
„Er Recht haben. Nicht kämpfen gegen Feuer“, rief einer der Orks.
„Made! Töten alle!“, brüllte ein anderer.
Darauf wurden noch mehr Waffen gezogen, Worte verklangen und es ertönte der Gesang von Stahl untermalt mit den Schmerzensschreien derer, die von der Schwarzen Magie zugrunde gerichtet wurden.
Das Schauspiel war grauenhaft anzusehen und ergab für die vier Beobachter keinerlei Sinn, denn der Kampf schien sich zu einem Gemetzel unter den Orks zu wandeln, aus dem sich die Todesanbeter und Tymaleaux immer weiter zurückzogen.
Für Ferren sah es so aus, als würde jeder gegen jeden kämpfen, eine brutale Schläger- und Stecherei, die nur durch Blut beendet werden konnte.
Er sah, wie einige Orks zu Boden geworfen wurden, um anschließend von ihren eigenen Kumpanen mit Kolben zu Brei geschlagen zu werden. Sie traten, stachen und schlugen so lange, bis ihre Gegner tot waren, oder gar noch länger.
Dann endete der Kampf ebenso plötzlich wie er begonnen hatte, die Sieger zogen sich zurück und legten sich schlafen, während ihre toten Kameraden aus leeren Augen in den schwarzen Himmel hinaufstarrten.
„Was beim verdammten, fauligen Atem des Erlösers war das?“, keuchte Ilar.
„Ich habe keine Ahnung“, gestand Ferren gleichermaßen geschockt.
„Das“, erklärte Janus, „ist das orkische Rechtssystem. Diese Kreaturen kennen kein Gericht. Wenn es also eine Meinungsverschiedenheit gibt, wird sie so geklärt. Ich schätze, gerade haben jene, die gegen die Thanatoiker waren, gegen deren Sympathisanten verloren.“
„Aber das ist doch viel zu brutal für eine Entscheidung“, klagte Olaf.
„Ich denke, diese dreckigen Mistviecher machen das eher zum Spaß“, Ilar spuckte auf den Boden.
„Umso besser für uns“, merkte Ferren an, „Jetzt stehen weniger Feinde zwischen uns und unseren Kameraden.“
„Das sind immer noch zu viele“, wandte der Mönch ein, „Zumal sie mindestens einen Schwarzmagier dabei haben.“
„Mit diesem Bastard werde ich schon fertig“, blaffte ihr Magier.
„Mit Schwarzmagie legt man sich besser nicht an, wenn es sich vermeiden lässt“, dementierte Janus, worauf Olaf nickend zustimmte.
„Was schlagt Ihr also vor, Bruder?“, erkundigte sich der Leutnant.
„Ich würde meinen, wir folgen ihnen weiter. Irgendwo müssen sie die Gefangenen ja schließlich hinbringen.“
„Ja, wahrscheinlich an einen Ort, der wesentlich besser befestigt ist, als dieses Lager“, entgegnete Ilar, „Ich sage: Wir schlagen jetzt zu!“
„Nein…wir folgen ihnen“, sagte Ferren matt, „Der Feind ist da am schwächsten, wo er sich am sichersten fühlt.“
„Das würde ich meinen“, stimmte der Mönch zu, worauf sie beschlossen, zu ruhen, bis die Orks weiterzogen, was bereits früh am nächsten Morgen der Fall war.

 Raham saß mit gesenktem Kopf im Büro des Wachhauptmanns von Delion, bekleidet mit einem reich dekorierten Wappenrock, der ihm zu weit war, in einem Stuhl, der für seine schmalen Schultern zu breit war, am Ende eines korridorähnlichen Raumes, den er mit seinen matten Augen kaum ganz erfassen konnte.
Während seine Rechte von Krämpfen geplagt wurde, die dem Schreiben etlicher Berichte entsprungen waren, sehnten sich seine Füße nach einem der altgedienten Patrouillengänge durch das Viertel.
Doch stattdessen zwang ihn die Pflicht in diesem dämmrigen Raum zu verharren, Berichte durchzusehen und Schlüsse zu ziehen, sofern es möglich war.
„Immerhin“, dachte er sich, „war es Hochgeneral Montierre selbst, der mich damit betraut hat.“
Und die Worte des Herzogs hallten in seinem Schädel wider:
„Hauptmann Raham, es ist von äußerster Wichtigkeit, dass auch die letzten Reste des Verräterrings und des Dunklen Kults in Galor aufgedeckt werden. Von äußerster Wichtigkeit.“
War er zunächst noch energisch an die Arbeit gegangen, hatte er sich alsbald in einer Sackgasse wiederfinden müssen.
Die meisten Mitverschwörer waren tot und Blaek sowie Ysil hatte man noch vor einem ausführlichen Verhör hingerichtet. Er glaubte allerdings nicht, dass sie sich allzu kooperativ gezeigt hätten, und ertappte sich des Öfteren dabei, mit dem Kurs der Ledrianer zu sympathisieren.
„Für das, was sie Ferren und Ariona angetan haben, ist der Tod eine gerechte Strafe. Weitergebracht hat mich das allerdings nicht…“
Zwar wusste er mittlerweile, dass Ilar sich unter den Männern des Himmelfahrtkommandos befand, war aber durch Befragung derer, die sich seine Freunde schimpften, zu dem Schluss gekommen, dass der Angriff auf ihn in Bezug auf Ilars sonstiges Verhalten als eine vollkommen normale Reaktion zu bezeichnen war.
Die einzige Spur, die sich wie ein pechschwarzer Faden durch alle Aktivitäten der Verräter zog, war Kelrayass, der ebenso bewunderte wie gefürchtete Anführer des Thanatoikerrings.
Doch Kelrayass war eben nur ein Name, ein Phantom, eine sinistere Krankheit, die man zwar spüren, aber nicht benennen konnte.
Wen auch immer man fragte, niemand kannte ihn, und trotzdem hatte man das Gefühl, der eiskalte Blick dieses Mannes läge auf allem.
„Er ist hier“, dachte Raham noch, bevor ein lautes Klopfen an der massiven Holztür seines Büros erschallte.
Einen Moment lang starrte er wie benommen auf das Schloss, wobei seine Finger über den Griff seines Schwertes glitten.
„Hier ist Leutnant Vigard“, schallte es durch das Holz, „Ich muss mit Euch sprechen.“
Hastig blickte Raham zu seinem Schreibtisch hinab, schüttelte kurz den Kopf und hob die Stimme:
„Tretet ein, die Tür ist offen!“
Als der ledrianische Leutnant eintrat, war das leise Rascheln seiner silbernen Kettenrüstung zu vernehmen, die er unter seinem Wappenrock trug. Seinen Offiziershelm mit dem gewaltigen königsblauen Federbusch hatte er sich unter den Arm geklemmt.
„Setzt Euch doch“, sagte Raham freundlich, wobei er über die Gipfel der Aktenstapel hinweg auf einen der niedrigen Lehnstühle vor seinem Schreibtisch deutete.
Der Leutnant trat heran, stellte seinen Helm vor sich auf dem Schreibtisch ab, wo sich zwischen zwei Patrouillenbüchern ein freier Platz fand, und setzte sich.
„Was gibt es denn?“, erkundigte sich der Hauptmann.
„Nun“, räusperte sich Vigard, bevor er damit begann, von einer Entdeckung zu berichten, die eine Schwester des Iurionischen Ordens bei der Totensalbung jener Soldaten gemacht hatte, die am Hafen gefallen waren.
„Ihr fiel auf“, erklärte der Leutnant, „dass die meisten von ihnen durch Schüsse in die Brust getötet wurden.“ 
Der Hauptmann blickte ihn durchdringend an und schürzte die Lippen.
„Ist das ungewöhnlich?“, wollte er wissen.
„Nur bedingt“, entgegnete Vigard, „Einen ledrianischen Elitesoldaten frontal zu attackieren, ist eine eher heikle Angelegenheit. Es kann vorkommen, dass die Soldaten dagegen nichts unternehmen können…aber bei so vielen, die zumal auf einen Angriff aus dem Hinterhalt gefasst waren. Was ich sagen will ist: Wir gehen davon aus, dass sie den oder die Täter gekannt haben.“
„Ihr meint also, die Verräter stammen aus Euren eigenen Reihen?“, Raham sprach langsam und gedämpft.
„Nein, ich halte die meisten Ledrianer für durchweg loyal…aber da gibt es noch eine Sache. Jeder Soldat, den die Brustschüsse nicht erledigt hatten, wurde nachher mit einem Schuss in die Stirn erledigt. Aber Major Tymaleaux, der einzige, der nicht einmal eine Rüstung trug, kommt mit zwei Treffern in die Schulter davon…das passt nicht.“
„Das heißt, dieser Tyma…Tymaleaux könnte zu den Verrätern gehören?“
„Das kann ich natürlich auch nur vermuten. Sagen wir, unter den ledrianischen Offizieren genießt er einen, nun ja“, Vigard räusperte sich, „zweifelhaften Ruf.“
Tatsächlich war Major Tymaleaux, als er während der Eroberung Skatrias noch unter Lemorgant gedient hatte, ein angesehener Offizier der Krone gewesen.
Nach dem Fall Skatrias und der Auflösung beziehungsweise Zerschlagung von Lemorgants Streitkräften, war seine Karriere jedoch steil bergab gegangen, sodass man am ledrianischen Hofe schließlich gespottet hatte, sein Leben habe sich zu einer einzigen Kneipentour gewandelt.
Schließlich war er unehrenhaft entlassen worden, nachdem er im Vollrausch einen serpendrianischen Hochadligen beleidigt hatte.
Kurz nach der Entdeckung Fiondrals war er aus unbekannten Gründen rehabilitiert worden, um anschließend im Korps eines gewissen Marquis Lucian de Nord zu dienen.
Seine Vergangenheit war ihm dorthin allerdings ebenso gefolgt wie seine Alkoholsucht und die stetige Schnapsfahne.
Die beiden Offiziere einigten sich im Folgenden darauf, der Spur weiter nachzugehen, auch wenn sie sich nicht viel davon erhofften, da sich der einzige Verdächtige, den sie hatten, nicht mehr in Galor befand.
Allerdings gingen sie beide davon aus, dass Tymaleaux nicht alleine für das Massaker am Hafen und die Versenkung der Schiffe verantwortlich war.

Da der Weg nach Narbenfels lang war und sie unerkannt reisen mussten, sahen sich Vanessa Firani sowie Prinz Lemorgant am Abend dieses Tages dazu gezwungen, unter freiem Himmel auf einer Bergwiese am Rande eines Tannenwäldchens zu rasten.
Ihre Pferde  ließen sie frei auf der Weide grasen, denn der lange Holzzaun, der am Rande der Wiese verlief und als einziges überhaupt darauf hindeutete, dass dort irgendwann einmal Menschen gelebt hatten, war vollkommen morsch, weshalb man an ihm nicht einmal mehr eine Katze hätte anbinden können. Vanessas braune Stute grase auf der Weide, Lemorgants Schimmel blickte zu den Gipfeln hinauf, der Leutnant schärfte seine Klinge, der Prinz notierte etwas in seinem Logbuch.
Seine Feder fuhr noch unbeirrt über die Seiten, als das Knirschen des Wetzsteins plötzlich verklang und Vanessa langsam ihren Kopf hob:
„Wie ist es eigentlich in Galor?“, erkundigte sie sich.
Der Prinz wandte sich ihr bedenklich zu, wobei er fast überrascht wirkte, hatten sie doch auf ihrer bisherigen Reise kaum drei Worte gewechselt.
„Bitte was?“
„Ich wollte wissen, wie es in Galor ist“, wiederholte sie, während sie ihre Klinge zurück in die Schwertscheide schob, „Ich meine, es ist die letzte freie Stadt auf Fiondral.“
Lemorgant betrachtete sie geradezu gelangweilt aus seinen Augenschlitzen heraus.
„Ich muss gestehen, dass sich mir der Sinn Eurer Frage entzieht“, entgegnete er schließlich, „da Galor doch nur eine einfache Stadt ist, aus Stein und Holz.“
„Stellt Euch nicht dumm!“, maulte Vanessa, „Gibt es dort noch Hoffnung? Oder nur noch Verzweiflung? Was denken, was fühlen die Menschen dort?“
„Ich hoffe, Ihr erwartet nicht, dass ich darüber mit einem Offizier unserer Feinde spreche“, höhnte er.
„Wollt Ihr den Abend wieder schweigend verbringen?“
„Selbst nachdem ich einige Jahre mit einer falschen Identität lebte, verspüre ich wahrlich nicht den dringlichen Zwang, mit Euch ein Gespräch zu führen“, erklärte der Prinz.
„Ihr Iurionisten seid alle gleich“, spottete Vanessa, „Allesamt arrogant und in den meisten Fällen auch noch rassistisch.“
Lemorgant lächelte, während er sich, auf einer Bastmatte sitzend, an einen Baumstumpf lehnte.
„Ich nehme an, Ihr könnt Euch gar nicht vorstellen, wie oft mir dieser weitverbreitete Irrtum schon untergekommen ist“, seufzte er mit gespielter Theatralik.
„Irrtum?“, ächzte der Leutnant, „Betrachtet Euch doch selbst! Ihr seid das beste Beispiel dafür, dass es kein Irrtum ist. Ich meine, was unterscheidet Euch von uns? War Euer Feldzug in Skatria besser als der Krieg, den wir führen?“
„Ihr erdreistet Euch dieser Frage?“, zischte der Prinz, wobei ein stechendes Funkeln in seinen Augen blitzte, „Unser Feldzug war heilig. Wir hatten ein Ziel, welches so weit über Eure erbärmliche Gier hinausgeht, dass Ihr es Euch nicht einmal vorstellen könnt! Skatria war ein Barbarenstaat, eine entartete Anarchie, in der sich die Mächtigen alles nahmen, was sie wollten, ohne dabei jegliche Skrupel zu zeigen.“
„Ah“, Vanessa räusperte sich bedeutungsschwer, bevor sie mit einer spöttisch gehobenen Augenbrauen fortfuhr „der Zweck heiligt also alle Mittel, was?“
„Das tut er absolut nicht“, dementierte Lemorgant unter einer wegwischenden Armbewegung, „Wir haben trotz unseres erhabenen Ziels kein Leid verursacht.“
„Was?“, ihre Augen weiteten sich und ein verständnisloses Lachen sprudelte durch ihre breiten Lippen, „Ihr habt Krieg geführt und tausende Menschen ermordet.“
„Exekutiert“, berichtigte Lemorgant beiläufig, während er mit der Hand ein paar Krümel von seinen Armschienen entfernte, „die würdevolle Hinrichtung einer Person verursacht kein direktes Leid. Wir überstellen den Verurteilten nur einem höheren Gericht. Was jene Schergen, die sich Soldaten der skatrischen Clans schimpften, angeht, so haben diese sich für den Krieg gemeldet und wussten um ihr Schicksal. Wir begegneten ihnen weder mit Gnade noch mit Grausamkeit.“
„Euer Glaube ist seltsam“, warf sie ihm entgegen.
„Offensichtlich wissen die meisten Menschen nicht allzu viel über ihn, was wohl auch der Grund für all die Narreteien ist, die ich mir fortlaufend gefallen lassen muss.“
„Vielleicht würde man mehr verstehen, wenn man das Wort dieser Religion wenigstens in ihren Tempeln predigen würde“, Vanessas Stimme triefte erneut vor Hohn, während sie sprach.
Zwar gab neben den monumentalen Statuen auch prunkvolle Tempel, Klöster und Kapellen Iurions, doch wer in ihnen einen Prediger oder Priester des Gerechtigkeitsgottes suchte, der begab sich auf eine vergebliche Reise.
Iurionisten kamen nur zum Beten oder der Geselligkeit wegen an ihre heiligen Orte, die jedoch nur jenen zugänglich waren, welche zuvor ein Aufnahmejahr in einem Kloster verbracht hatten.
„Nun, es verhält sich so, dass unser Glaube keine Priester braucht“, erwiderte der gefallene Prinz, „ebenso wenig, wie er eine Predigt oder ein Buch benötigt, denn das Wort Iurions ist bereits in unseren Geist gebrannt, und wer es erst vernommen hat, den empfangen wir mit offenen Armen.“
Sie zischelte etwas, als Lemorgant geendet hatte, bevor sie erneut die Stimme hob:
„Merkwürdiger Kram…ich glaube, ich werde es nie verstehen.“
„Solltet Ihr mir Intoleranz vorgeworfen haben? Ihr scheint ebenso nicht den Willen zu besitzen, Euch mit meiner Meinung auseinanderzusetzten. Warum sollte Ich also gewillt sein, Euren Standpunkt, den der Verräter, für gerechtfertigt zu halten?“, sprach er leise, „Wobei ich natürlich anmerken muss, dass es keinen Weg gibt, Eure Taten zu rechtfertigen, unabhängig davon, wie lange man darüber nachdenkt.“
„Schön, dass Ihr mir immer wieder vorzuhalten versucht, wie falsch mein Handeln angeblich sein soll.“
„Womit ich augenscheinlich an geschlossene Türen klopfe“, diesmal war es sein Gesicht, das sich zu einem hämischen Lächeln verzog, „Möglicherweise solltet Ihr Euch fragen, warum Ihr Euch den Verrätern angeschlossen habt. Ich nehme an, Ihr werdet, sofern Ihr ehrlich zu Euch selbst seid, erkennen, dass Eure Ziele nur Euch selbst betreffen und somit verwerflich sind.“
„Wisst Ihr…“, begann sie, während sie wieder den Wetzstein ansetzte, „ich verbringe den Abend lieber schweigend.“
„Es ist mir ein Vergnügen“, gab Lemorgant geradezu höflich zurück, worauf er sich zurücklehnte und wieder damit begann, in seinem Logbuch zu blättern.

Der Gebirgspass, dem die Gruppe um Ferren gefolgt war, hatte sie und den Gefangenentransport der Orks zu einem kleinen Ort geführt, der von einer ziemlich mitgenommenen Palisade umringt wurde. Wo auch immer man hinblickte, waren noch die stummen Zeuge des Kampfes verblieben, der vor Monaten um dieses Dorf geführt worden war.
Zerschmetterte Belagerungsmaschinen zierten die Straße zum eingestürzten Stadttor, die Felder den Ort herum waren oftmals bis zum Boden niedergebrannt worden, in der Palisade klafften gewaltige Einrisse und die Ruinen einiger Wachtürme ragten zum milchigen Herbsthimmel empor.
Auf den Feldern, die nun mehr öde Flächen verbrannter Erde waren, rasteten vor den ausgebrannten oder eingestürzten Ruinen einiger Häuser etliche Orks und Verräter, wobei letztere in Zelten oder den Ruinen selbst kampierten, die übrigen schliefen, wie es für ihre Spezies üblich war, auf dem Boden.
Aus der Entfernung wirkte das Gelände im fahlen Licht des frühen Morgens wie ein gewaltiger Ameisenhaufen, in den sich der Gefangenentransport langsam hinein schlängelte.
„Klasse Idee“, spottete Ilar, der, wie seine Kameraden auch, auf einem Hügel nahe den Ruinen einer alten Windmühle saß und auf das Dorf hinabblickte, „Statt sie einfach in der Schlucht zu erledigen, sind wir jetzt in diesem Drecksloch hier, wo es eine ganze Legion dieser stinkenden Bastarde gibt.“
„Auch wenn es eher selten ist, muss ich unserem Magier diesmal wohl zustimmen“, pflichtete Janus bei.
„Tjo, das sind echt viele“, kommentierte Olaf.
„Aber sie werden uns, ohne zu fragen, Einlass gewähren“, grinste Ferren, worauf ihn seine drei Kameraden entgeistert anstarrten.
„Ihr habt meine ungeteilte Aufmerksamkeit, Leutnant“, gab der Mönch mit einem Lächeln zurück, worauf Ferren damit begann, einen Plan zu erläutern, der ihm bereits in der Schlucht gekommen war.
Ihm war aufgefallen, dass ihre Feinde ein sehr einfaches System zur Identifizierung ihrer eigenen Verbündeten benutzen: Die Orks erkannte man schlichtweg daran, dass sie Orks waren, und die Verräter an ihren blutroten Kleidungsstücken, wohingegen die Schergen der Thanatoiker kein Erkennungszeichen besaßen, sondern sich einfach dadurch auswiesen, dass sie sich in Begleitung eines Todesanbeters befanden.
Somit kam Ferren zu jenem simplen Vorschlag, die dunkle Kutte des Mönches mit einem Sanduhr Symbol zu versehen, damit dieser ihrer Gruppe vorstehen konnte.
„Ich weiß nicht…“, murmelte Janus, „Ich…ich bin ein Diener des Erlösers, wir und die Thanatoiker sind Todfeinde…ich kann doch nicht meine Robe mit…“
„Nein! Nie im Leben! Nie!“, protestierte Ilar, „Wir laufen unseren Feinden direkt in ihre behaarten Arme. Das könnt ihr vergessen, nicht mit mir! Nie!“
„Also ich finde den Vorschlag gut“, stimmte Olaf zu.
„Weil dein Gehirn allenfalls mit dem einer nogronischen Kanalratte vergleichbar ist“, zischte der Magier.
„Ruhe!“, herrschte Ferren ihn an, bevor er sich langsam an Janus wandte, „Nun Bruder, das ist natürlich Eure Entscheidung, aber ich flehe Euch an, eine andere Möglichkeit haben wir nicht.“
„So ist es offensichtlich“, murmelte der Mönch, „Und da es einem guten Zweck dient, soll es geschehen.“
Für einen kurzen Augenblick starrte der Leutnant in die dunklen Augen seines Gegenübers, nickte dann dankbar und wandte sich anschließend an Olaf:
„Nehmt Nadel und Faden, stickt ein paar Sanduhren auf diese Robe!“
„Natürlich“, gab der Späher sofort zurück, worauf er sich ans Werk machte, das er wenig später beendet hatte.
Mit einem Blick auf die Kutte des Mönchs stellte Ferren fest, dass seine Täuschung weniger schlecht aussah, als er erwartet hatte.
„Das funktioniert niemals…“, wiederholte Ilar.
„Und ob“, widersprach der Leutnant, der darauf den Befehl gab, sich in Bewegung zu setzen.
Langsam marschierten sie den grasbewachsenen Hügel hinab auf die gepflasterte Straße, die direkt in den Rachen der Bestie führte.
Einige Meter weiter befanden sie sich schon am Eingang des Feldlagers, wo zwei Speerträger mit blutroten Armbinden über den Verkehr auf der Straße wachten.
Prüfend musterten sie die Ankömmlinge, während Ilars Gesicht von einem unterdrückten Wutanfall kündete.
Janus zögerte für einen Moment, ging dann jedoch kraftvoll weiter, wobei er durch den Schleier seiner Kapuze, die er sich tief in Gesicht gezogen hatte, die Soldaten anherrschte:
„Ihr steht mir besser nicht im Weg!“
Den beiden klappte fast die Kinnlade herunter.
„Natürlich nicht“, versicherte einer von ihnen hastig und mit schwankender Stimmlage, während Ferrens Gruppe bereits an ihnen vorbei zog.
„Gut gemacht“, lobte er leise, als sie weiter über die Straße zogen, die zu beiden Seiten von kampierenden Orks verunziert wurde.
Gestank, Geschrei, das hohle Grunzen dieser Kreaturen beherrschte die ganze Gegend ebenso wie die Gewalt, die ihr gesamtes Zusammenleben zu regeln schien.
Wenn etwas gewaschen werden musste, so schlug man sich darum, wer das tun hatte. Wenn es einen guten Schlafplatz gab, so schlug man sich darum. Wenn es um Frauen, Essen oder Rang ging, schlug man sich.
Ihre Schritte wurden langsamer, während sie sich durch den Sumpf der Grausamkeiten kämpften, und es war ihnen, als fielen etliche Blicke auf sie, aus den Gräben, Schlafplätzen, von den Lagerfeuern, den Zelteingängen und Wachtürmen. Aus der Menge stachen etliche Augenpaare hervor, milchig weiß, die nur darauf warteten, ihre lächerliche Tarnung zu durchschauen.
Doch die meisten Betrachter entdeckten die gestickte Sanduhr, verzogen das Gesicht zu einer grimmigen Fratze, spuckten auf den Boden und wandten sich ab.
So kamen sie voran und näherten sich allmählich dem eingestürzten Stadttor, bis sich plötzlich einige Gestalten aus der dunkelgrauen Masse am Wegesrand lösten.
Es handelte sich um drei verdreckte Soldaten, die allesamt zerschlissene, dunkle Lederrüstungen sowie blutrote Armbinden trugen und eine junge, noch dreckigere Frau mit sich zerrten, die gerade noch mit einem zerfetzten Kleid bedeckt war.
Sie wehrte sich nicht, sondern hing reglos in den Armen ihrer Peiniger, dass man sie fast für eine Leiche halten konnte.
Die Gruppe kam frontal auf sie zu, überquerte den Straßengraben, die zerschunden Beine der Frau klatschten auf das Pflaster.
Als die Verräter direkt vor ihnen vorbei zogen, blieb Janus abrupt stehen, während Olaf und Ferren das Szenario mit verfinsterten Augen betrachteten.
So fest er konnte presste der Leutnant seine Handfläche in die Lederriemen seines Schwertgriffs.
„Was glotzt ihr denn so?“, blaffte einer der Soldaten, „Sie ist keine Magiern.“
Für Ferren ergaben diese Worte keinen Sinn. Er starrte sie einfach nur an, während sie die Frau wieder in den Sumpf des Feldlagers auf der anderen Straßenseite zerrten.
„Wir sollten helfen“, meldete sich Olaf.
„Bist du bescheuert?“, presste Ilar durch seine Lippen.
„Das würde uns zu sehr in Gefahr bringen“, dementierte Janus, bevor er den nächsten Schritt in Richtung des Stadttors setzte. Die anderen folgten zögerlich, wobei sie noch einmal einen Blick über die Schulter warfen.
Doch die Frau war bereits nicht mehr zu sehen, versunken in jenem dunkelgrauen Meer aus Dreck, Gewalt und Gestank.
Sie gingen weiter, ein Schritt nach dem anderen führte sie näher zum eingestürzten Stadttor, um das sie schließlich herumgehen mussten, da es unpassierbar war. Ein gewaltiges Katapultgeschoss war frontal in das Mauerwerk gekracht und hatte dieses eingerissen, sodass ein provisorisches Tor neben dem alten den Zugang zur Stadt gewährte.
Dabei handelte es sich lediglich um eine etwas breitere Breche in der Palisade, die von einigen Speerträgern der Verräter bewacht wurde, welche Ferren und seine Begleiter jedoch kopfnickend passieren ließen.
Vor ihnen erstreckte sich das Dorf, welches dem Feldlager an Dreck, Gestank und Gewalt um nichts nachstand. An allen Ecken standen streitend Orks und Verräter, der Boden war vom sauren Regen ausgewaschen, und wo auch immer man einen Fuß hinsetzte, folgte der beißende Qualm der Schmiedefeuer.
Laut klangen die Hämmer der Schmiede, die Tag und Nacht neue Waffen für das gewaltige Feindesheer schufen.
Beile fertigten Balken für Belagerungsmaschinen und Meißel schufen deren klobige Geschosse, die nur jenen einen Schluss zuließen:
Der Feind bereitet sich darauf vor, gegen Galor zu ziehen.
„Das…“, begann Ilar, als sie das Dorf erreicht hatten, „war einfacher als gedacht“, er starrte auf die Wachen der Verräter zurück, „Idioten!“
„Die Frage ist nur, wo wir unsere gefangenen Kameraden finden“, murmelte Janus, während er seinen Blick über die Mauern der Lehmhäuser schweifen ließ.
Ohne einen Plan oder ein festes Ziel irrten sie weiter durch das Dorf, wobei sie auf etliche Verräter trafen, bei denen es sich ebenso um junge wie alte Männer aber nur äußerst selten um Frauen handelte.
Während sie durch die geschundenen

Kapitel 8: Narbenfels

14. Mondweihe. 52 n.V.
Die Gegend, in der die Festung der Todesanbeter lag, war ein dunkler und unwirtlicher Ort, über dem schwer die schwarzen, milchigen Wolken hingen, die sich an diesem Nachmittag aber keines Regentropfens erbarmten. Den Wegesrand säumten Siedlungen, die man errichtet und wieder abgebrochen hatte, Felder die bestellt und wieder verdorrt waren, steinerne Statuen, deren Gesichter der saure Regen zu entstellten Fratzen zerfressen hatte, verdorrte Bäume, nur noch Hüllen ohne Kern.
Am Ende der Straße, die dunkles Gestrüpp überwucherte, thronte ein gewaltiges Felsmassiv, aus dem sich die Ruinen eines alten, steinernen Turms erhoben, wie eine Hand, die sich ein letztes Mal aus dem Sumpf streckt, in dem sie versank:
Narbenfels, kein Name hätte jenes zerklüftete Massiv besser treffen können, ein von Schwefel und dem messerscharfen Wind zerfressener Berg, der eine tote Landschaft überschattete.
Vanessa und Lemorgant führten ihre Pferde bis an den Rand des Massivs, wo sich ein letztes verlassenes Dorf befand, in dem sie rasten wollten. Da das Licht selbst fahl war, wirkte alles seltsam blass, die alten Fassaden, die morschen Holzbalken, die zerbrochenen Pflastersteine, die matten Scheiben. Obwohl jedes Leben diesen Ort verlassen hatte, schien die Leere doch eine eigene Existenz zu besitzen, die aus jedem gähnenden Eingang und jedem verdunkelten Fenster starrte.
Nachdem sie ihre Pferde angebunden hatten, kehrten die beiden Gefährten in einen alten Gasthof ein, der unter den umstehenden Gebäuden noch den besten Eindruck machte. Hinter der Tür erwartete sie ein schäbig möblierter Schankraum, den etliche Staubfäden und Spinnenweben zierten, obwohl keine einzige Spinne zu sehen war.
Alle Regale hatte man säuberlich geleert, sodass es keine Flaschen oder Konserven verblieben waren. Lediglich aus einem großen, leicht angesengten Fass tropfte in langatmiger Frequenz ein wenig schales Wasser. Wer auch immer diesen Ort einst bewohnt und wieder verlassen hatte, war selbst dazu bereit gewesen, die Kerzen aus ihren Ständern zu entfernen und mitzunehmen.
Nachdem Lemorgant seinen Blick über die heruntergekommene Einrichtung hatte schweifen lassen, ging er zu einem Tisch hinüber und trat heftig gegen einen daneben stehenden Stuhl, der darauf um- aber nicht auseinanderfiel.
„Was soll das?“, zischte Vanessa.
„Ich habe mir lediglich Gewissheit darüber verschafft, dass ich nicht einbreche, wenn ich mich auf diesem Stuhl niederlasse“, erklärte der Prinz, während er den Stuhl wieder aufstellte, um sich anschließend darauf zu setzen.
„Ihr hättet damit jemanden auf uns aufmerksam machen können“, entgegnete sie.
„Ihr glaubt doch nicht wirklich, dass die Todesanbeter diesen Landstrich überwachen“, höhnte er, während er eine Weinflasche entkorkte, die er zuvor aus einer Satteltasche seines Schimmels entnommen hatte.
„Sie wären dumm, wenn sie es nicht tun würden“, konterte Vanessa, deren Blicke weiterhin an den Wänden des Schankraum zirkelten.
„Ich nehme an, sie halten ihre Präsenz und diese Gegend für abschreckend genug. Außerdem haben sie hier keine Feinde, zumindest keine, von denen sie wüssten“, gab er gelassen bei einem Schluck roten Weins zurück.
„Denkt Ihr, Ihr könnt einfach in Narbenfels herein spazieren, ohne dass Euch jemand aufhält?“, sie hob spöttisch eine Augenbraue.
„Ich muss gestehen, eben das lag mir im Sinn“, lachte er.
„Das ist irrsinnig!“
„Habt Ihr einen anderen Vorschlag?“
„In der Tat…ich werde das Gebiet für Euch auskundschaften, damit wir nicht blind in das Maul des Löwen laufen“, antwortete sie.
„So? Solltet Ihr mich wirklich gerade davon abhalten wollen, weiter nach Narbenfels zu ziehen, nun aber planen, alleine dorthin zu gehen?“
„Im Gegensatz zu Euch besitze ich das hier“, sagte sie mit einem Grinsen, bevor sie mit der Linken in ihren Rucksack griff und erstaunlicherweise nichts herauszog.
„Euer Gehabe ist kindisch“, zischte Lemorgant, bevor er wahrnahm, dass sich unterhalb ihrer Hand kaum sichtbare Schlieren bewegten, wie sie vom Aufsteigen erwärmter Luft verursacht wurden.
Einen Moment lang stockte er, um anschließend wieder das Wort zu ergreifen:
„Ein Tarnanzug also.“
Sie nickte neckisch:
„Jetzt habt Ihr wohl nichts mehr gegen meinen Vorschlag?“
„So verhält es sich“, gestand der Prinz, worauf sie andeutete, dass sie sich nun zurück- und umziehen würde.
Als sie ging, kündigten dies nur ein schwacher Luftzug und ein hämisches „Bis später“ an.

Ferrens Trupp lagerte irgendwo mitten in der Wildnis, ohne dass jemand auch nur die leiseste Ahnung hatte, wo sich dieser Ort auf der Karte befand, aber zumindest hofften sie, dass es ihren Verfolgern genauso ging. Beim Verlassen der Stadt war ihre Maskerade aufgeflogen und sie hatten sich im Anschluss eine halsbrecherische Verfolgung mit einigen Reitern der Verräter liefern müssen, denen sie jedoch aufgrund ihrer beiden Magier entkommen waren.
In ihrem Lager, das auf einer Lichtung in Mitten eines weiten Laubwaldes lag, wurde bereits wieder über die Orks gescherzt, während Slemov und Ilar beiläufig Geschichten aus ihrer Heimat erzählten, die sogar Baraj ein Lächeln entlockten.
Ferren hingegen stand zusammen mit Janus am Rande der Lichtung, wo der Mönch ihm zuvor von den Geschehnissen im Hauptquartier der Verräter und somit auch von Olafs Tod berichtet hatte.
„Ja, er ist gefallen“, hatte Janus ihm mit bitterer Stimme eröffnet, „und es tut mir leid, aber ich hoffe, Ihr versteht mich, wenn ich darüber, nicht…noch nicht sprechen möchte. Ich kann Euch aber versichern, dass er sein Leben…sein Leben im Dienste Galors gab.“
Die Antwort des Mönches war mitnichten das gewesen, was der Leutnant sich erhofft hatte, doch trotz langen Nachhakens hatte sein Gegenüber ihm jede weitere Antwort verwehrt.
„Ich werde dann mal nach Slemovs Wunde sehen, wenn Ihr erlaubt“, sagte Janus.
„Natürlich, Bruder“, gab Ferren matt zurück, worauf sich der Mönch unter einer Verbeugung zu den anderen begab.
Der Leutnant hingegen ließ sich auf einen Buchenstumpf sinken, von dem aus er in das Lager zurückstarrte.
„Sieben gute Kämpfer hat diese Mission schon das Leben gekostet“, dachte er, „Und noch sind wir endlos weit von der Ostküste entfernt…wie kann ich noch glauben, dass jemals einer von uns diesen Strand erreichen wird?“
Resignierend senkte er den Blick zu Boden und starrte in das saftgrüne Gras, weshalb er nicht bemerkte, dass sich ihm jemand genähert hatte.
„Hey“, sagte eine sanfte Stimme, die ihm sehr wohl bekannt war. Er musste gar nicht hinsehen, um zu wissen, dass es Ariona war, die nun neben ihm stand.
Dennoch tat er es.
„Hey“, gab er gedehnt zurück, während er sich wieder von dem Buchenstumpf erhob und sie ansah.
Er starrte sie an, sie starrte zurück, und für einen Moment war es vollkommen belanglos, wie aussichtslos die Lage war. Bitterkeit, Verdruss, Zweifel, Angst, Trauer und Zorn flogen dahin, bevor sie sich nur einen Augenblick später in den Armen lagen.
„Du…du hast mir das Leben gerettet“, flüsterte sie in sein Ohr.
„Keine Ursache“, entgegnete er lächelnd, „Außerdem tat es verdammt gut, in Tymaleaux‘ Visage zu prügeln.“
Sie lachte ihn an, worauf sie sich wieder auf dem Stumpf niederließen, auf dem eng zusammenrücken mussten, um beide draufzupassen.
„Dieser Bastard hat es verdient“, seufzte Ariona zufrieden, „Schade, dass er entkommen konnte.“
„Tja“, murmelte Ferren, während er sie im Arm hielt und zum Himmel blickte, „Beim nächste Mal.“
Dann sprudelte es nur so aus ihm heraus. Sie unterhielten sich über alles Mögliche, über seine Zeit in Skatria und ihr Leben in Iskat, über die Flucht nach Galor, über die Religionen, die Ledrianer und die Invasion.
Irgendwann lenkte Ariona das Gespräch wieder auf die jüngsten Ereignisse zurück und erzählte Ferren, was ihr im Kerker mit dem Todesanbeter widerfahren war.
„Du hast gegen einen Todesanbeter gekämpft und hast ihn besiegt?“, ächzte Ferren, „Das ist unglaublich!“
„Ja, es ist…nein…es, das alles hätte eigentlich gar nicht, gar nicht so passieren dürfen“, stotterte sie, „Ich weiß nicht…ich bin nur eine Novizin, das ergibt alles keinen Sinn.“
„Du meinst die Sache mit dieser, dieser Seelen…Seelenklinge?“, erkundigte er sich.
„Ja, genau…ich kann mir da einfach keinen Reim darauf machen. Ich weiß nicht viel über Seelenmagie…damit beschäftigen sich ausgebildete Magier, aber doch keine Novizen“, erklärte sie.
„Dann frag doch Ilar oder Truzos“, schlug er nach kurzem Nachdenken vor, bei dem er sich eingestehen müsste, als normaler Soldat gar nichts über Schwarze Magie zu wissen. Auch der Name Algaz kam ihm mitnichten bekannt vor.
„Hm, Ilar ist selbst nur ein Novize und Truzos ist ein verdammter Idiot. Er würde mich auslachen, wenn ich ihn danach frage.“
„Einen Versuch ist es doch wert“, wandte er ein.
„Hm“, sie seufzte gedehnt, während sie sich stärker an seinen Arm lehnte, „Ja, du hast wahrscheinlich Recht…ich werde ihn fragen. Irgendwann.“

Die Nacht vermochte kaum, die Entstellungen zu kaschieren, welche die Natur und die schwarze Verderbnis Narbenfels zugefügt hatten, denn mit ihr war das fahle Licht des Vollmondes erschienen und hatte sich über den zerklüfteten Landstrich gelegt wie ein Leichentuch, sodass alles nun noch gespenstischer und lebloser wirkte als am Nachmittag.
Lemorgant stand unterhalb einer rauen, aschgrauen Felswand und starrte auf das gewaltige Abflussrohr, welches aus dem Stein hervorragte. Versperrt mit einem rostigen Eisengitter wirkte es wie ein augenloser Schlund, aus dem sich langsam ein Rinnsal stinkender, schlammiger Brühe in ein ausgetrocknetes Kiesbecken darunter ergoss.
Es war still, totenstill.
Offenkundig gab es an diesem Ort weder Nachtvögel noch Grillen oder sonst irgendein Tier, sodass das einzige, was der Prinz hören konnte, das Tropfen der schlammigen Brühe aus dem gewaltigen Abflussrohr war, gelegentlich unterbrochen von Vanessas leisen Atemzügen. Er konnte sie nicht sehen, vermutete aber, dass sie etwa einen Meter rechts von ihm am Kiesgraben stand.
Sie war vor etwa einer halben Stunde zum Gasthaus zurückgekehrt und hatte ihm berichtet, einen unbewachten Weg in den Narbenfels gefunden zu haben, worauf sie sich zu diesem Ort begeben hatten, einem Kanal, der laut Vanessa in die Tiefen des verklüfteten Massivs führte.
Der Prinz betrachtete das rostige Gitter, welches den Eingang versperrte, abwertend, wobei er feststellte, dass einige der Gitterstreben stark verbogen waren. Anscheinend hatte die schlammige Flüssigkeit sie so stark zerfressen, dass man sie einfach auseinanderschieben konnte. So, schätzte er, hatte Vanessa sich bei ihrer Erkundungstour Zutritt zu den Kanälen dahinter verschafft.
„Ich lasse Euch gerne den Vortritt“, sprach er einfach geraderaus, da er nicht genau wusste, wo sich seine Gefährtin momentan befand.
„Wie Ihr wünscht, Prinz“, zischte sie von seiner Rechten her, worauf die kaum sichtbare Luftanomalie, die einzig auf ihre Anwesenheit hindeutete, in Richtung der Röhre verschwand.
Lemorgant folgte dem Flimmern, zwängte sich durch die Gitterstäbe und fand sich in einem übel riechenden, modrigen Kanal wieder, dessen Wände aus kaltem, grauem Stein waren. Licht gab es keins, sodass der Gang schon nach wenigen Metern gänzlich von der Dunkelheit verschluckt wurde.
„Hattet Ihr einen Grund dafür, mir nicht zu sagen, dass wir eine Fackel brauchen würden?“, blaffte er.
„Nein“, schallte ihre neckische Stimme ein ganzen Stück vor ihm, „Kommt nach, ihr verliert mich noch.“
Ohne zu zögern begab sich der Prinz in das Universum von Dunkelheit und Gestank.
Das Fehlen des Lichtes schien den beißenden Verwesungsgeruch, der von der schlammigen Gülle ausging, nur noch zu verstärken, aber er würde ihn, so wusste er, nicht aufhalten. Schnellen Schrittes stapfte er in seinen schweren Drachenlederstiefeln durch den Stollen, während Vanessas gedämpfte Schritte wenige Meter vor ihm erklangen.
Der Kanal führte tief in den Fels hinein und Lemorgant schien es, als würde sich der Leichengestank mit jedem Meter, den sie weiter vordrangen, stärker in seine Atemwege beißen. Schließlich, als es fast unerträglich war, begann der Gang anzusteigen.
„Macht Euch auf was gefasst“, warnte Vanessa, während sie der Stiege folgten.
Tatsächlich stellte der Prinz sehr bald fest, dass sie mit ihrer Warnung keineswegs untertrieben hatte. Er trat über die Schwelle, womit er sich am Boden einer trichterförmigen Grotte wiederfand.
Der Verwesungsgeruch war hier sogar noch stärker als in der Röhre, denn schon auf dem fahlen Fels am Boden der Grotte klebte geronnenes Blut und einige kleinere Leichenteile zierten den Grund. Über ihren Köpfen hing auf halber Höhe der Höhle ein Netz aus groben, armdicken Tauen, das die grauenhafte Last etlicher Leichen trug. Mit leeren Augenhöhlen blickten sie aus ihren entstellten, leblosen Gesichtern zum Grund hinab, wo Vanessa und Lemorgant reglos wie Statuen standen.
Verstohlen sah sie in sein Gesicht, dessen blasse Haut und die finstere Augen keine Gemütsregung verrieten.
Der Prinz starrte mit demselben toten Ausdruck zu den Leichen hinauf wie sie auf ihn hinab. Dann entdeckte er eine fahle Gestalt, die langsam zwischen den Kadaverhaufen umherschlurfte. Nachdem er sie ein wenig beobachtet hatte, erkannte er, dass es sich um einen grotesken Ork mit ausgeblichener Haut handelte.
Darauf reagierte er prompt, indem er seine Pistolenarmbrust zog, anlegte und nur eine Sekunde später feuerte. Der Pfeil zerriss Luft und Fleisch, sodass den Leichenbergen bald ein weiterer Kadaver hinzugefügt wurde.
Während der Prinz noch seine Waffe nachlud, um sie anschließend wieder in die Halterung an seinem Gürtel zurück zu stecken, erklomm Vanessa bereits mit bloßen Händen die schartige Wand der Grotte, ohne dass er sie in ihrem Tarnanzug bemerkte.
„Ich gehe hoch“, gab sie zu verstehen.
Als sie das Netz schließlich von unten erreicht hatte, zögerte sie jedoch. Etwas in ihrem Inneren hielt sie davon ab, den letzten Griff zu tun und sich auf die Taue hinauf zu ziehen. Nicht wissend, ob es nun der pure Ekel, der beißende Verwesungsgeruch oder die schiere Angst vor dem, das dort oben noch warten konnte, war, hing sie reglos an der Felswand, bis sie schließlich langsam eine Hand um das armdicke Tau über ihr schloss. Geronnenes, schwärzliches Blut bedeckte dessen ganze Oberfläche.
Achtsam zog sie sich hinauf, worauf sie sich in einer Wolke des Verwesungsgeruchs wieder fand, die alles zu umgeben sich. Ihre Augen verdrehten sich, der Gestank schickte sie zu Boden und es gelang ihr gerade noch, sich mit letzter Kraft in eines der Taue zu krallen, um nicht in die Grube zurückzustürzen. Es dauerte eine Zeit, bis sie es schaffte, sich wieder aufzurappeln.
Die Hand schützend vor Mund und Nase haltend, stolperte sie zwischen den Kadaverhaufen hindurch, wobei sie nach jedem wackligen Schritt einen Blick über ihre Schulter warf.
„Hat sich da gerade etwas bewegt? Da hat mich doch jemand angesehen“, sie verharrte, während sie ihren Blick über die unzähligen Leichen schweifen ließ. Sie waren allesamt nackt, der Großteil von ihnen weiblich. Im fahlen Halbdunkel der Grotte wirkte ihre Haut farblos, ihre Extremitäten waren oftmals auf groteske Weise verdreht, mit weit aufgerissenen Lidern starrten sie aus pupillenlosen, milchig weißen Augen ins Leere.
Vanessa Firani hatte schon einiges gesehen, doch nun stockte ihr Atem. Unter dem enganliegenden Stoff des Tarnanzugs perlte kalter Schweiß auf ihrer Haut, aus der jede Farbe gewichen war. Keuchend nahm sie einen tiefen Atemzug, der Unmengen bestialisch stinkender Faulgase in ihre Lungen beförderte.
Sofort presste sich die Schwärze auf ihre Augen, bevor sie den Boden unter den Füßen verlor und zur Seite wegkippte. Sie sah und spürte nichts mehr, als ihr Körper der Länge nach auf die dicken Taue klatschte.
„Madam Firani?“, ertönte Lemorgants Stimme noch, „Ihr gedenkt doch nicht etwa, mich hier unten warten zu lassen?“
Entgegen seiner Erwartungen gab es keine höhnische Antwort, stattdessen herrschte weiterhin Stille.
„Nutzlos!“, kommentierte der Prinz, nachdem er eine Weile gewartet hatte, leise, bevor er selbst zu der rauen Felswand hinüber trat, seine behandschuhten Hände in den Rissen über ihm versenkte und sich langsam nach oben zog.
Obwohl Drachenhaut in Relation zu den meisten Rüstungsmaterialien extrem leicht war, hing sie doch zusammen mit Wappenrock, Umhang und Waffen schwer an Lemorgant, sodass sein Aufstieg eine recht unangenehme und langwierige Prozedur wurde, zumal er sich nicht sonderlich gut aufs Klettern verstand. Dennoch schaffte er es schließlich, das Netz zu erklimmen.
Gemächlich sog er die Faulgase durch seine Nüstern ein und blies sie wie den Qualm einer Zigarette wieder aus seinem Mund heraus, ohne dabei auch nur einen Hauch von Ekel zu zeigen.
„Dieser Gestank wird mich nicht aufhalten“, spottete er in Gedanken, während er die Grotte nach seiner Gefährtin absuchte.
Sekunden später entsann er sich jedoch, dass seine Augen ihm bei dieser Suche nichts nützen würden, trug Vanessa doch immer noch ihren Tarnanzug.
Missmutig setzte er vorsichtig einen Schritt nach vorne über das Netz und betrachtete beiläufig einen der Leichenhaufen, wobei ihm, neben den blinden Augen auch noch eine lange, pechschwarze Narbe auf der Herzseite auffiel, die einen jeden Kadaver brandmarkte. Langsam ging er weiter, bis er mit seinem schweren Drachenhautstiefel gegen einen unsichtbaren Widerstand trat.
Mit spöttisch verzogener Miene ging er in die Hocke, um anschließend mit der behandschuhten Linken über die Konturen des nicht sichtbaren Objektes zu streichen.
Vorsichtig ertastete er Vanessas Kopf, von dem er anschließend die hauchdünne Maske des Tarnanzugs löste. Nachdem er ihr hübsches Gesicht freigelegt hatte, griff er in die kleine, lederne Tasche, die seitlich an seinem Gürtel befestigt war und förderte eine Phiole mit Azurgeist zu Tage.
Anschließend klappte er den Mund des Leutnants auf und träufelte eine geringe Menge des Elixiers hinein.
Ein strahlend, azurblaues Licht riss Vanessa je aus der Schwärze, die sie gefangen hielt. Ihr ganzer Körper verkrampfte sich, während sie für einen Moment in einem wolkenlosen Himmel zu schweben schien. Dann war alles vorbei und die Realität brach mit ihrem fahlen Licht sowie dem Leichengeruch wie eine Sturmflut über sie hinweg.
Nachdem Lemorgant ihr wortlos beim Aufstehen geholfen hatte, ging er weiter.
Sie hielt für einen Moment inne, bevor sie sich die Maske übers Gesicht zog und dem Prinz folgte, bis sie zwei Leichen erreichten, die abseits der Kadaverhaufen lagen. Bei einer davon handelte es sich um den Ork, den Lemorgant zuvor erschossen hatte. Hatte er von unten noch wie ein normaler Vertreter seiner Rasse gewirkt, zeigte sich nun, dass auch seine Haut ausgeblichen war, dass er zwar vor Muskeln strotzte, aber dennoch vollkommen abgemagert war. Einige schwarze Geschwüre quollen aus seiner erblichenen Haut, während seine Augen ebenfalls von den dunklen Abszessen durchzogen wurden, dass sie fast gänzlich schwarz waren.
Vor der Kreatur lag die unbekleidete, verdreckte Leiche einer Frau, an deren Armen und Oberschenkeln tiefe Bisswunden klafften.
„Sie fressen die Leichen“, keuchte Vanessa angeekelt.
„Leichen, die von der schwarzen Verderbnis durchdrungen sind“, flüsterte Lemorgant, „Offensichtlich züchten sich die Thanatoiker ihre eigenen Monster. Aber ich nehme nicht an, dass sie all diese Menschen getötet haben, um sie an die Orks zu verfüttern. Ich würde doch meinen, dass etwas anderes dahinter steckt. “
„Was auch immer es ist. Erledigen wir die Quelle des Ãœbels und dann verschwinden wir hier“, zischte sie.
„Wenn wir wüssten, was die Quelle des Ãœbels wäre“, sinnierte der Prinz, bevor er über den ausblutenden Ork hinweg zu einem in den Fels geschlagenen Ausgang deutete, „Nach Euch.“
Vanessa setzte sich darauf sofort in Bewegung, wobei sie dankbar war, endlich den Leichen und dem Gestank entfliehen zu können.
Lemorgant, der mittlerweile anhand der Luftverzerrung erkennen konnte, wo sie sich ungefähr befand, folgte in einigem Abstand. Obwohl der Tunnel eng war und die Holzbohlen auf seinem Boden die unangenehme Angewohnheit hatten, bei jedem Schritt, den man auf sie setzte, ein leises Quietschen von sich zu geben, war er doch, wie Vanessa fand, eine ungemeine Verbesserung zur Grotte.
Der Verwesungsgeruch verflüchtigte sich mit jedem Schritt, den sie tiefer in den dunklen Stollen setzte, während vereinzelte Fackeln an den Wänden etwas Wärme und Licht spendeten. Leicht ansteigend führte der Gang um eine Biegung, vor der Vanessa einhielt und sich an den hinter ihr gehenden Prinzen wandte:
„Ihr wartet kurz!“
„Mit Vergnügen“, gab Lemorgant zurück, worauf sie weiter ging.
Nachdem sie um die Biegung geschritten war, strahlte ihr ein fahles Licht entgegen, das aus dem höher gelegenen Ende des Tunnels drang, wo sich dessen Wände zu einem schmalen Durchgang zusammenquetschten. Obwohl das Strahlen kaum Kraft besaß, blendete es ihre von der Dunkelheit gezeichneten Augen, sodass sie mehrmals stolperte, als sie sich langsam die Stiege hinauf kämpfte. Hinter dem Durchgang fand sie sich in einer finsteren Halle wieder, die vom bleichen Mondlicht erhellt wurde, das durch ein marmorverkleidetes Loch in der Decke fiel, sodass es wie aus einem gewaltigen, milchig weißen Auge in die Höhle hinabstarrte. 
Das gespenstische Strahlen offenbarte etliche fahle Gestalten, die zusammengekauert auf dem Boden, auf Matten oder im Dreck lagen, während sich zwischen ihnen mehrere gewaltige Marmorsäulen erhoben, welche die Decke der Halle stützten und auf ein kleines Podest an ihrem Ende zu führten, auf dem sich ein steinernes Tor erhob, dessen Rahmen von etliche Sanduhrsymbolen geziert wurde. Vanessa stockte der Atem, als sie zwei Männer in nachtschwarzen Roben entdeckte, die mit begierigen Blicken eine der fahlen Figuren durch das Portal führten.
Für einen Moment blieb ihr Blick an den Männern haften, die zweifelsohne Schwarzmagier waren. Schwulstige, fleischige Narben prangerten auf ihren Schädeln, schwarze Auswüchse klafften aus Kiefern und Schultern, die Gesichter waren in grausamer Weise verzerrt. Einer der beiden Männer, die schon mehr Kreaturen waren, hielt vor dem Tor inne und ließ seinen Blick durch die Halle schweifen, wobei seine Augen, welche die dunklen Geschwüre gänzlich verschlungen hatten, für einen kurzen Augenblick an Vanessa hängen blieben.
Ein eisiger Schock durchfuhr ihren ganzen Körper, während sie in die schwarzen Höhlen starrte. Dann wandte sich der Mann ab, schob die Gestalt sanft durch das Tor und verließ die Halle. Sein Kamerad folgte ihm.
Langsam ging Vanessa einen Schritt weiter vor, wobei sie versuchte, die Gestalten am Boden nicht anzusehen.
Der Schock aus der Grotte saß noch so tief in ihren Eingeweiden, dass sie sich keinen weiteren zumuten wollte. Ihr Blick folgte dem felsigen Untergrund zum Tor. Der Weg war frei.
Behutsam setzte sie einen Fuß vor den anderen, während ihre Augen sich an die finstere, schartige Steindecke heften.
„Ich sehe nichts, und was auch immer in dieser Halle lauert, sieht mich auch nicht“, sagte sie sich immer wieder auf dem Weg zum Podest.
Doch plötzlich sah sie im Augenwinkel etwas Bleiches durch die Dunkelheit huschen.
Während sie noch gegen den Drang ankämpfte, hinzusehen, wurde die Erscheinung auch schon wieder von der Finsternis verschluckt. Dafür drang ein leises Röcheln in Vanessas Ohren, das schwere Ziehen von Luft in Lungen. Sie stockte, verhielt sich ganz ruhig, wagte kaum, zu atmen, und lauschte. Nachdem sie das Röcheln noch zwei weitere Male gehört hatte, war sie sich sicher: Wer auch immer es verursachte, stand direkt hinter ihr. Zeitgleich flutete die Erkenntnis ihren Geist, dass ihr nunmehr nur die Möglichkeiten blieben, loszulaufen oder sich umzudrehen.
„Ich kann nicht laufen“, sagte sie sich, „Lemorgant ist bestimmt schon am Eingang.“
„Du musst“, entgegnete eine andere Stimme, „Scheiß auf Lemorgant!“
„Nein, nicht…noch nicht“, fasste sie schließlich den Entschluss, bevor sie sich umdrehte und in zwei milchig weiße Pupillen starrte, die einfach durch sie hindurchglotzen. Das fürchterliche Augenpaar gehörte einer jungen Frau, die jedoch vollkommen unbekleidet war. Ihre Haut war verdreckt und zu einem Aschgrau ausgeblichen, während ihre Haare jede Farbe verloren hatten, sodass sie nur noch wie geisterhafte Fäden im wirkten. Eine lange, pechschwarze Narbe klaffte über ihrer Brust.
Vanessa starrte die Gestalt an und setzte langsam einen Schritt zurück, ohne dass es eine Reaktion von Seiten ihres Gegenübers gab.
Erneut musterte sie die Frau, bevor sie langsam die Stimme hob:
„Könnt ihr mich sehen?“
Die Gestalt neigte den Kopf, wobei ihr verdrecktes Gesicht jedoch keinerlei Regung zeigte. Offenbar hatte sie Vanessa gehört, unternahm aber nichts.
„Sie kann Euch nicht sehen, sie kann Euch vielleicht spüren, aber nichts gegen Euch unternehmen“, erklang eine kalte Stimme, mit der sich Lemorgant ankündigte, welcher kurz darauf aus der Dunkelheit auftauchte.
Die Frau wandte sich ihm zu und musterte ihn, ohne ihre Position zu verlassen.
„Was meint Ihr damit?“, fragte Vanessa flüsternd.
„Diese Kreatur“, antwortete der Prinz mit einem abwertenden Blick auf die Frau, „wurde ihrer Seele beraubt. Sie lebt noch und kann Eindrücke verarbeiten, ohne jedoch ein Empfinden oder einen Willen zu besitzen. Dies hier ist ein leerer Körper, ein gefangenes Bewusstsein.“
„Wie ist das möglich?“, erkundigte sich Vanessa.
„Wenn ein Mensch durch den Angriff mit einer Seelenklinge direkt getötet wird, verliert er seine eigene Seele, sodass diese kernlose Existenz zurückbleibt.“
„Könnten die Todesanbeter sie gegen uns einsetzen?“
„Das nehme ich nicht an“, entgegnete Lemorgant, „Seelenlose wehren sich nicht und befolgen keine Befehle. Sie vegetieren einfach nur vor sich hin, ein verabscheuungswürdiges Dasein.“
„Dann benutzen die Thanatoiker sie nur, um sich mit ihnen zu vergnügen“, Vanessa spuckte angewidert auf den Boden.
„Ich glaube nicht, dass das der einzige Zweck dieses Unterfanges ist. Allerdings müsstet Ihr als Offizier der Verräter doch irgendetwas über diese ganzen Frauen wissen.“
„Nein, ich…“, begann sie, bevor ihr jäh etwas klar wurde, „Doch…die Thanatoiker machen Jagd auf weibliche Magier. Jeden, den die Verräter fangen, müssen sie bei ihnen abliefern, sie dürfen sie auf keinen Fall töten. Ich…ich habe mich immer gefragt, was mit ihnen passiert…“, sie hielt betreten inne, „Das ist es also.“
„Ich nehme an, das ist von Bedeutung, wenn die Todesanbeter einen derartigen Aufwand betreiben, um all diese Magierinnen mit Seelenklingen zu töten“, murmelte der Prinz, bevor er die Stimme hob, „Wohlan denn, lasst es uns zu Ende bringen!“
Mit diesen Worten zog er seine Armbrust, starrte die Seelenlose für einen flüchtigen Augenblick an und drückte ab. Der Pfeil zerriss Luft und Fleisch, bevor der Kadaver der Frau mit einem dumpfen Knall zu Boden fiel. Während Lemorgant seine Waffe zurück in die Halterung am Gürtel steckte, zeigte sein Gesicht kein Zeichen von Trauer oder Schmerz, stattdessen wirkte er beinahe glücklich.
„Ihr könnt das einfach so tun, ohne etwas dabei zu empfinden?“, fragte Vanessa.
„Was sollte ich auch empfinden? Ich tat das Richtige, beendete das würdelose Dasein dieser Frau und bewahrte ihr Andenken vor einer Schändung durch die Weiterexzistenz ihres entwürdigten Körpers. Ich habe ihre Ehre gerettet.“
„Ihr habt sie getötet“, beharrte sie.                                      
„Ihr werdet das nie verstehen“, zischte er zurück, „Bewegt Euch!“
Mit einem finsteren Blick auf ihren Begleiter, den er nicht wahrnehmen konnte, setzte sie sich in Bewegung, wobei sie derart laut auftrat, dass der Prinz hören konnte, wie sie sich entfernte.
Vorsichtig tastete sie sich durch das Tor aus weißem Marmor, welches im Mondlicht fahl leuchtete und von den Thanatoikern unverschlossen zurückgelassen worden war. Sie erwartet, auch hinter dieser Pforte auf sinistere Kreaturen zu treffen, doch dem war nicht so. Der kurze, in den Fels geschlagene Gang hinter dem Tor mündete schnell in einer unsauber gearbeiteten Steintreppe, die sich mit einigen Biegungen nach oben wand.
Während Vanessa die steilen Stufen erklomm, drangen allmählich Laute in ihre Ohren, die mit jedem Schritt an Lautstärke gewannen, bis sie zu einer wahren Flut der Geräusche geworden waren. Es klang wie die Geräuschkulisse einer gutbesuchten Kneipe, die jedoch von Echos und der schwarzen Verderbnis, welche auch die Stimmen der Schwarzmagier veränderte, grauenhaft verzerrt wurde. Ein abgesetzter Krug hallte etliche Male wieder, das Lachen eines Nekromanten drang wie ein Schmerzensschrei durch den rauen Fels, das Klimpern von Würfeln erfüllte die Höhle wie das Läuten von Totenglocken.
Vanessa tat den letzten Schritt über die Schwelle mit einer unerträglichen Schwere.
Der Korridor vor ihr war sauber verkleidet und mit einem blutroten, etwas ausgefransten Teppich ausgelegt, während aus den angrenzenden Räumen das wohlige Licht von Kaminfeuern strahlte. Im Schein einer Fackel saßen zwei weniger entstellte Schwarzmagier an einem Tisch am Anfang des Ganges, spielten ein Würfelspiel und tranken dabei roten Wein aus Zinnbechern. Als sie eintrat, entleerte einer der beiden gerade die Weinfalsche in seinem Humpen.  Langsam starrte er mit einem seinen leicht geschwärzten Augen auf den Boden des Gefäßes, bevor er einen unverständlichen Zischlaut ausstieß. Sein Kumpan begann lauthals, zu lachen, bevor ein bulliger, entstellter Ork mit einer neuen Flasche aus einer Tür weiter hinten im Korridor erschien und sie wenig elegant den beiden Todesanbetern servierte.
„So lässt es sich leben“, kommentierte der Lachende, während die Kreatur wieder davon zog.
Wenig vorsichtig ging der Leutnant an den beiden Thanatoikern vorbei, die beide zu sehr mit sich selbst, ihrem Spiel und ihrem Wein beschäftigt waren, um das leise Federn ihrer Schritte zu hören, welches ohnehin von dem verzerrten Stöhnen übertönt wurde, das aus einer  verschlossenen Zelle drang, in der sich, wie sie vermutete, gerade ein Todesanbeter mit einer Seelenlosen vergnügte.
„Hassil!“, blaffte plötzlich einer der beiden Spielenden zur Tür hin, „Was auch immer du da tust, mach es leise!“
Dennoch wurde es mitnichten stiller.
Als sie an den beiden Spielern vorbeigezogen war, hielt Vanessa inne und betrachtete verstohlen den ihr zugewandten Rücken.
„Ich muss sie irgendwie aus dem Weg räumen, damit Lemorgant hier vorbei kann“, dachte sie. 
Obwohl Schwarzmagier äußerst mächtig waren, glaubte sie doch, die beiden mit Hilfe ihres Tarnanzugs und des Überraschungsmoments ausschalten zu können. Sie sah sich kurz um, wobei die unzähligen Möglichkeiten, die beiden zu töten, so pfeilschnell in ihren Geist drangen, dass es ihren Mund zu einem mörderischen Lächeln verzog. Sie entschied sich für eine effiziente, schnelle und leise Methode, für die sie einen letzten Schritt auf den Thanatoiker zu trat. Dieses Mal achtete sie penibel darauf, unhörbar zu sein, doch plötzlich hob der Thanatoiker an der anderen Seite des Tisches seinen Kopf.
Seine geschwärzten Augen bleiben an den ihren hängen, seine Kinnlade senkte sich überrascht, sie starrten sich einen Moment lang an. Unfähig zu atmen, gelähmt vom eisigen Blick des Schwarzmagiers, fragte sie sich, ob er sie wirklich sehen konnte.
Dann jedoch senkte er den Blick und würfelte.
Vanessa atmete vorsichtig auf.
Sie musste schnell und präzise sein, würde sie einen der beiden zum Zug kommen lassen, oder zu viel Lärm machen, so würde es, das wusste sie, sowohl für sie selbst als auch den Prinzen tödlich enden. Entschlossen senkte sie ihre Hände, sodass sie auf Kopfhöhe ihres Ziels in der Schwebe blieben, ohne dass das ahnungslose Opfer etwas bemerkte. Im nächsten Moment spürte der Thanatoiker nur noch, wie sich der sanfte Stoff des Tarnanzugs auf seine Ohren legte, dann hatte sie ihn gepackt und drehte seinen Kopf in einem Ruck herum. Das Brechen seines Genicks erklang wie das Fallen der Würfel, die sein Gegenüber gerade auf dem Tisch verteilte.
Der zweite Todesanbeter hatte gerade seinen Wurf gemacht, als sein Kumpan leblos in seinem Stuhl zusammensackte. Erschrocken und verwirrt zugleich, riss er den Mund auf, ohne auch nur einen Laut von sich zu geben, wobei er die Verzerrung, die pfeilschnell auf ihn zu raste, kaum noch wahrnahm. Eine gewaltige Druckwelle, schmetterte gegen seine Kehle, ließ seinen Hilferuf im Keim ersticken, und schickte ihn mit einem letzten Röcheln ins Jenseits. Fast wäre er mit dem Stuhl zu Boden gefallen, doch Vanessa war schnell genug herbeigeeilt, um ihn aufzufangen und somit größeren Lärm zu vermeiden.
Schnell atmend horchte sie auf, doch außer dem verzerrten Stöhnen war nichts zu hören.
„Gut gemacht“, lobte sie sich selbst, bevor sie sich auf den Weg zurück zur Treppe machte, an deren Ende bereits Lemorgant wartete.
„Der Weg ist frei“, flüsterte sie ihm zu und setzte sich gleich wieder in Bewegung.
„Nichts anderes hatte ich erwartet“, ließ er verlauten und erklomm ebenfalls die Stufen. Als sie im Korridor an den beiden Leichen vorbei gingen, beobachtete sie ihn, dessen Blick lange an den Toten haftete. Doch in seinem fahlen Gesicht regte sich kein Muskel, sodass sie sich mehr denn je fragte, ob dieser Mann ein Heiliger oder ein Monster war.
Schnellen Schrittes marschierten sie über die schwarzen, kalten Fliesen des Korridors, der auf einen dunkle, hölzerne Doppeltür zuführte. Ein gespenstisch fahlgrünes Licht kroch unter dem Tor hindurch.
„Ich sollte voraus gehen“, schlug der Leutnant vor.
„Das solltet Ihr nicht“, erwiderte Lemorgant, „denn hinter diesem Tor wird uns erwarten, was wir suchen.“
„Wie Ihr meint“, zischelte sie, „Ich lasse Euch gerne den Vortritt.“
„Es ist mir ein Vergnügen“, versicherte er, wobei er mit großen Schritten auf das Tor zuging, welches er mit einer einzigen, mächtigen Armbewegung aufstieß.
Verborgen folgte ihm Vanessa.
Als die beiden Flügel der Tür auseinander gerissen wurden, strahlte ihr das fahlgrüne Licht mit einer derartigen Intensität entgegen, dass sie die Augenlider zusammenpressen musste. Verschwommen erkannte sie die Umrisse einer riesigen Halle aus schwarzem Stein, welche einen kreisrunden Grundriss besaß und über der ein mächtiges Kuppeldach hing. Der dunkle Boden fiel zur Mitte hin ab, aus der eine mehrere Meter hohe, schwarze Säule von gewaltigem Ausmaß empor wuchs, deren krönender Abschluss eine strahlende Kugel aus jenem gespenstisch grünen Licht war. Um das Podest herum gruppierten sich einige niedrige steinerne Aufbauten, die teilweise alchemistische Apparaturen, grobe Werkzeuge und letztlich auch einige reglose Körper beherbergten. Während ihr Blick zum Sockel der Säule in der Mitte fuhr, nahm sie kaum den Windzug war, der an ihr vorbei zog.
Zu bizarr war das, was es dort unten zu sehen gab.
Vor dem Sockel befand sich ein zum Eingang hin ausgelegter Thron, auf dem eine schattenhafte, reglose Gestalt verharrte, die von zwei weiteren Personen flankiert wurde. Bei einer davon handelte es sich um einen glatzköpfigen, übel entstellten Schwarzmagier, dessen vollkommen von Geschwüren überwucherter Kiefer bereits durch seine fahle Haut gedrungen war.     
Die zweite Person schien jedoch kein menschliches Wesen mehr zu sein. Zwar besaß sie die verzerrten Züge eines Mannes, bestand jedoch aus einem fahl weißen Licht, sodass sie nicht viel mehr war als eine verzerrte Erscheinung, der jegliche Details fehlten.
Zuletzt fiel Vanessas Blick auf den Rundgang, der an der Wand der Halle entlang führte, an der einige entartete Orks Wache hielten. Alles deutete darauf hin, dass man sie bereits erwartet hatte.
Dann enthüllten sich vor ihr zwei aschfahle Gesichter, die einfach so in der Luft zu schweben schienen.
„Tarnanzüge!“, rann es durch ihren Geist, „Sie sind uns die ganze Zeit über gefolgt!“
„Seid gegrüßt“, sprach die geisterhafte Gestalt neben dem Thron mit einer Stimme, die so grauenhaft verzerrt war, dass sich Vanessas Eingeweide krümmten.

Der Morgen war kalt und der Himmel glotze aus blinden, milchigen Augen auf Ariona hinab, während sie langsam durch den aschgrauen Sand kroch, aus dem sich kein einziger Grashalm erhob. Jedes Licht war fahl, jede Böe wie ein eisiger Dolchstoß. Wie oft hatte sie versucht aufzustehen? Wie oft war sie von jener unerklärlichen, unbezwingbaren Macht in den Staub zurückgepresst worden?
Ein weiteres Mal stemmte sie sich dagegen, hob mit letzter Anstrengung den Kopf und blickte in die Ferne. Bis zum Horizont erstreckte sich die graue Einöde, umringte sie von allen Seiten und schien niemals enden zu wollen. Doch nur wenige Meter vor ihr erhob sich ein Grabstein aus der Wüste, an dem eine dunkle Gestalt saß und mit einem Meißel einen Namen hineinritzte.
Eine überirdische Anziehungskraft ging von dem Stein aus, ein Sog, ein tiefes Verlangen, eine Sucht.
„Du musst es schaffen!“, sagte sie sich, bevor eine kalte, verzerrte Stimme in ihrem Kopf erschallte, die definitiv nicht ihre eigene war:
„Warum all der Aufwand, nur um dein eigenes Grab zu erreichen?“
Die unerklärliche Last auf ihren Schultern nahm plötzlich enorm zu, schmetterte sie in den Staub und presste die Luft aus ihren Lungen.  Ihre Rippen knacksten, doch sie bohrte ihre kleinen Finger in den grauen Sand, um sich weiter zu ziehen.
„Zäher, als ich erwartet hatte“, zischte die Stimme, „Letztlich werden dein Leid und deine Mühen nur meinen Triumph versüßen. Sieh all die Opfer und stelle dir selbst die Frage: Waren sie es wert?“
Als seine Worte endeten, wurde sie mit dem Gesicht in den Boden geschlagen, dass sie nur noch Schwärze sah, bis die Last, die auf ihr lag, sich langsam milderte, wodurch sie sich wieder ein Stück erheben konnte. Einige Meter vor ihr befand sich immer noch der Mann mit dem Grabstein, der jedoch nun nicht mehr von einer grauen Einöde, sondern von Bergen aus übel zugerichteten Leichen umgeben wurde. Übelkeit flutete ihren Rachen, sie wandte den Blick gen Boden, krabbelte weiter, bis sie die erste Leiche erreichte.
Sie konnte nicht anders, als in ihr Gesicht zu blicken, und Ferren starrte aus toten Augen zurück. Tränen strömten über ihr Gesicht. Sie zwang sich, wegzusehen, doch wo sie auch hinblickte, prangerten die hohlen, verwesenden Fratzen von Freunden und Bekannten.
„Sie trifft keine Schuld. Sie alle starben deinetwegen!“, blaffte die Stimme.
„Nein!“, kreischte sie, bevor sie die unerklärliche Macht erneut in den Boden schmetterte und sie in der Schwärze versank.  
Die Novizin erwachte. Schweiß perlte auf ihrer Stirn und Tränen trieften aus ihren Augen, während sie zum schwarzen, wolkenverhangenen Himmel hinaufblickte und sich fragte, ob dies einfach nur ein Alptraum gewesen war. Sekunden später drehte sie sich zur Seite und erkannte Ferren, der selig schnarchend in seinem Lager ein Stück neben ihr ruhte.
„Wodurch unterscheidet sich eine Vision von einem Traum?“, fragte sie sich.
„Das war nur ein Traum, nur ein Traum“, sagte ein Teil von ihr, der erschöpft von den Strapazen der letzten Tage nach Schlaf verlangte.
Doch die Angst hielt sie wach, die Angst, alles noch einmal zu durchleben, zurückzukehren in diesen Alptraum, der, wie sie sich alsbald eingestand, keiner war.
„Es war eine Vision, muss eine Vision sein“, dachte sie, „Alles ist zu…zu real für einen Traum. Es war als wäre ich wirklich dort gewesen…dort…“
Diese eine Überlegung war der letzte Tropfen gewesen, der das Fass zum Überlaufen brachte und die Dämme, mit denen sie sich vor all dem geschützt hatte, was ihr widerfahren war, brechen ließ. All die unbeantworteten Fragen strömten über sie hinweg wie eine Sturmflut und verlangten begierig nach einer Antwort, die sie nicht geben konnte. Es drängte sich ihr der Zwang auf, nach Hilfe zu suchen, dass sie keine andere Wahl hatte, denn es blieb ihr nur eine Möglichkeit.
Sie musste Truzos fragen.
„Wenn ich ihn jetzt wecke, lacht er mich nicht nur aus, sondern bringt mich auch noch um“, murmelte sie nach einem erneuten Blick zum schwarzen Himmel und musste missmutig feststellen, dass sie nicht anders konnte, als bis zum nächsten Morgen zu warten. Doch schlafen wollte sie nicht, denn die Angst hielt sie wach und führte sie wie eine Marionette hinaus aus ihrem Lager in den Wald.
„Irgendwas muss ich ja tun“, sagte sie sich distanziert von jeder Vernunft, während sie zwischen die Reihen der Bäume trat, ohne zu bemerken, dass ihr Lager nicht das einzige war, das diese Nacht leer blieb.

„Ich bin Kelrayass“, Worte, die wie Eis aus dem kaum erkennbaren Mund der verzerrten Gestalt drangen und die Luft im Raum fast zum Gefrieren brachten. Obwohl Lemorgant stolz und unbeirrt geradeaus starrte, war ihm durchaus bewusst, in welch prekärer Situation sie sich befanden. Insgesamt standen ihnen etwa zehn Gegner gegenüber, ein Schwarzmagier, zwei Todesanbeter in Tarnanzügen und einige verdorbene Orks.
Die geisterhafte Gestalt, die sich Kelrayass nannte, zählte er bewusst nicht mit, denn bei ihr handelte es sich um etwas, dass man, wie er wusste, einen Seelensplitter nannte, ein Geisterhaftes Abbild eines Schwarzmagiers, das jedoch über keinerlei physischen oder magischen Kräfte verfügte und nur dann gefährlich werden konnte, wenn sein Urheber die Position mit ihm tauschte. Dabei jedoch handelte es sich um ein magisches Werk von derartiger Komplexität, dass es die meisten Hexer umgehend in die Ohnmacht beförderte. Doch obwohl der Prinz nicht davon ausging, dass sich Kelrayass selbst an diesem Ort zeigen würde, musste er sich eingestehen, dass es durchaus schlecht für sie aussah.
„Kooperation ist ebenso wenig eine Option wie Kapitulation“, zischte eine Stimme in seinen Gedanken, während er seine Finger auf den Griff seines Schwertes presste. Zugleich erhob Kelrayass‘ Phantom erneut die Stimme:
„Wie Ihr seht haben wir Euch bereits erwartet, Prinz Lemorgant. Euch und wer auch immer Euer unsichtbarer Begleiter ist.“
„Ihr seid es also, den man Kelrayass nennt“, gab Lemorgant zurück, während Vanessa sich in Schweigen hüllte. Dann fuhr er spöttisch fort: „Ich muss gestehen, ein wenig verwirrt zu sein, sagten meine eigenen Leute mir doch, ihr wäret der Anführer des Dunklen Kults, wohingegen die Verräter einem gewissen Ventro diese Position zusprechen.“
Sein Gegenüber lachte kalt und verzerrt:
„Ventro ist nur eine Figur in diesem Spiel. Er mag bedeutend sein, ein Turm, eine Dame, ein König vielleicht, doch selbst der König ist und bleibt eine Figur, die nicht das Spiel bestimmt.“
„Demnach seid Ihr der, der die Figuren zieht.“
„Ja, es mag sein, dass ich einige Spielzüge bestimme, doch letztlich bin auch ich, wie jeder von uns, nur eine Figur, ein Teil eines großen Plans.“
„Ein Diener Eures Gottes“, knüpfte Lemorgant an.
„So ist es…doch bin ich wahrlich mehr seine Hand als sein Diener“, sprach der Seelensplitter, „Und als eine solche, weiß ich auch, dass Ihr von Navaras geschickt wurdet. Navaras, der selbst nur ein Bauer in diesem Spiel ist, der nicht versteht, was er überhaupt tut, der die Ziele nicht kennt, der nur sein erbärmliches Geld sieht. Ihr seid ein Mann mit Idealen, Prinz Lemorgant, Ihr habt niemals wirklich in Erwägung gezogen, mit diesem Narren gemeinsame Sache zu machen.“
„Mitnichten“, bestätigte der Prinz, „Sie sind nur Insekten, die danach verlangen, zerquetscht zu werden.“
„So ist es“, lachte Kelrayass, wobei eine unterschwellige Freude mitschwang, „Wir jedoch, Ihr und ich, Iurionisten und Thanatoiker verfolgen dasselbe Ziel. Wir mögen auf anderen Pfaden wandern, doch letztlich führen sie uns wieder zusammen. Wir wissen, was die Zukunft bringen wird und dass wir es ändern müssen.“
„Ich muss gestehen, nicht zu wissen, wovon ihr sprecht“, entgegnete Lemorgant.
„Nein, das wisst Ihr nicht. Denn Ihr habt es noch nicht gesehen. Lasst mich Euch die Zukunft zeigen, wie sie uns bevorsteht, und Ihr werdet einsehen, dass wir unsere Zwist überwinden und an einem Strang ziehen müssen.“
„Kelrayass“, begann der Prinz mit kalter Stimme, „Es ist vollkommen gleich, für welches Ziel Ihr kämpft, denn die Art, auf die Ihr es zu erreichen sucht, macht uns bereits zu Feinden.“
„Ihr Idiot!“, zischte Vanessa ihm ins Ohr, „Kooperiert mit ihnen oder sie bringen uns um!“
„Tja“, seufzte Kelrayass, „wie bedauerlich, dass ein Mann von Ehre stets zu seinem Wort steht. Aber ich vertraue darauf, dass das Schicksal uns derselben Sache dienen lässt“, er wandte sich unangekündigt an den Schwarzmagier neben ihm, „Boltrac, tut, was nötig ist!“
Seine verzerrten Worte klangen noch in Vanessas Ohren, als er sich bereits abgewandt hatte und in der Dunkelheit verschwand. Während diese ihn langsam verschlang, hob der entstellte Schwarzmagier seine klauenartige, von Geschwüren überwucherte Rechte, mit der auf Lemorgant deutete.
„Zerlegt ihn!“
Die Orks hoben ihre bösartig gezackten Klingen, die beiden Thanatoiker zogen ihre Masken wieder über ihre Gesichter, was sie erneut vollkommen unsichtbar machte, Lemorgants juwelenbesetztes Schwert funkelte im fahl grünen Licht. Vanessa stand nur da und warf unschlüssig, was sie tun sollte, einen Blick auf den Prinzen. Im gespenstischen Leuchten wirkte sein Gesicht wie eine Maske, die ebenso aschfahl war wie die Haut des Schwarzmagiers.
Dann unvermittelt zog er seine Armbrust mit der Linken, im Bruchteil einer Sekunde hatte er abgedrückt und der Bolzen zerriss die Luft. Ein Schrei ertönte, bevor Blut aus dem Nichts spritze, worauf sich ein Mann in einem schwarzen Anzug enttarnte, der mit einer Wunde im Bauch zu Boden ging. Sein Schmerzensheulen ging jedoch im Brüllen der Orks unter, die sich von dem Rundgang hinab in die Halle stürzten.
Lemorgant wandte sich ihnen zu, wurde dann jedoch von einem heftigen Stoß gegen die Schulter getroffen, der ihn ins Taumeln brachte. Der zweite getarnte Thanatoiker hatte ihn erwischt. Er rappelte sich auf, führte noch aus der Drehung einen Seitwärtshieb aus, der jedoch ins Leere ging.
Drei Orks kamen von der linken Seite, zwei von der rechten, weshalb er zunächst dorthin auswich. Die erste Kreatur preschte ihm entgegen. Speichel rann aus ihrem schwarzen Maul, aus dem gelbe Zähne wie Backsteine ragten, ihr gezacktes Scimitar hatte sie hoch erhoben, aus ihren geschwärzten Augen starrte der blanke Wahnsinn.
Der Prinz jedoch verengte berechnend seine Pupillen, duckte sich unter dem Abwärtshieb der Bestie hinweg, drehte sich um und trennte ihr hinterrücks den Schwertarm an der Schulter ab. Während dickes, schwarzes Blut aus der Wunde rann, drehte sich der Ork einfach um, ohne dass seine Fratze auch nur die geringste Empfindung von Schmerz verriet.
Mühelos wich der Prinz dem Schlag der verbleibenden Faust aus, bevor er den Schädel seines Gegners längs aufspaltete, was diesem endlich den Garaus machte.
Der nächste Ork hatte ihn fast erreicht, stolperte dann jedoch über einen nicht sichtbaren Widerstand, ging zu Boden und wurde anschließend hart gegen den Kopf getroffen. Unbeeindruckt wollte er sich wieder erheben, wurde aber von Lemorgant mit einem Stich ins Genick niedergestreckt. Dann jedoch traf ihn der getarnte Todesanbeter erneut mit einem Schlag in den Rücken, wieder taumelte er, sah noch einen der Orks von links heranpreschen und schaffte es nicht mehr, sein Schwert  zur Parade zu heben.
Die Kreatur schmetterte ihre Klinge in seine Seite, wobei ihn die ungeheure Kraft des Unwesens von den Füßen riss und gegen den nächsten Steinaufbau schleuderte.
Er blickte an sich herunter.
Wo das Scimitar ihn getroffen hatte, war sein Wappenrock zerfetzt, ein Teil der filigranen Silberverzierung seiner Rüstung war abgebröckelt, die Drachenhaut hingegen hatte nicht einmal einen Kratzer. Doch obwohl sie ihn vor Schnitten und Stichen schützte, vermochte sie nicht, die unnatürliche Wucht der orkischen Angriffe abzufangen. Dass dieser Treffer seine Rippen nicht zertrümmert hatte, war, so glaubte er, nur der Gunst seines Gottes zu verdanken.
Er hob den Blick und starrte in die schwarzen Augen der Bestie, die geradewegs auf ihn zu raste.
Dann sah er, wie sie plötzlich einhielt und häufig zu zucken begann, als würde jemand in hoher Geschwindigkeit auf sie einschlagen. Er nutze den Moment, den Vanessa ihm verschafft hatte, um seine Armbrust nachzuladen.
„Aus der Schusslinie!“, blaffte er, bevor er sich wieder erhob und den Ork mit einem gezielten Schuss in die Kehle ins Jenseits beförderte. Während der Getroffene blutend gurgelnd zu Boden sank, jagten die beiden verbleibenden Orks einfach über ihn hinweg.
„Zielt auf den Kopf, ihr hirnlosen Kreaturen!“, zischte der Schwarzmagier, der das Geschehen lediglich beobachtete.
Lemorgant fragte sich darauf, ob die Orks seinen Rat überhaupt verstanden hatten, da ihre Vorgehensweise sich keinesfalls veränderte.
Sie verharrten lediglich kurz in ihrem Ansturm, um anschließend weiter vor zu sprinten. Kaum hatte der erste den Prinzen erreicht, holte er zu einem heftigen Seitenhieb aus, den Lemorgant mit seiner Klinge zu parieren gedachte. Doch die Wucht des Angriffes war überwältigend, sie prallte gegen seine Klinge, zerrte sie unaufhaltsam aus seinen Händen, einen Augenblick später klirrte Stahl auf Stein und er prallte erneut rücklings gegen einen kalten, steinernen Aufbau.
Muskelbepackt bäumte sich die fahle Bestie vor ihm auf, hob das Scimitar, welches im gespenstischen Licht glänzte, um es im Schädel des Prinzen zu versenken. Dieser jedoch schnellte in eben jenem Moment nach vorne, als der Ork seinen mörderischen Abwärtshieb ausführen wollte. Die Klinge sirrte durch die Luft, ohne ihr Ziel zu finden, während Lemorgant, der seine Armbrust fallen gelassen hatte, seinen letzten Trumpf, einen silbernen, gekrümmten Langdolch, zog.
Auge in Auge mit der verdorbenen Kreatur befand er sich nun mit der kürzeren, leichteren Waffe im Vorteil. Er zögerte nicht, hob den Dolch und wollte ihn gerade durch die Kehle seines Gegenübers ziehen, als ein weiterer harter Stoß ihn in die Seite erwischte, taumeln ließ und seinen Angriff ins Nichts lenkte.
Verwundert rappelte er sich wieder auf, brachte sich in Abwehrposition und fragte sich einen Moment, ob der verliebende Todesanbeter wieder zugeschlagen hatte, bevor er erkannte, was wirklich geschehen war. Vor ihm sackte grade der Ork zusammen, dem er die Kehle hatte durchtrennen wollen, während sein letzter Kamerad seine gezackte Klinge aus dessen Leichnam herauszog. Der andere Ork hatte seinen Waffenbruder einfach getötet, um Lemorgant mit seinem Angriff zu treffen. Obwohl ihn die Ehrlosigkeit seiner Feinde anwiderte, beobachtete er das Geschehen doch mit scharfer Miene. Er sah das todessüchtige Funkeln in den schwarzen Augen der Kreatur, als diese sich mitleidlos über ihren gefallenen Mitstreiter hinwegsetzte.
„Wo sind Vanessa und der andere Thanatoiker?“, fragte er sich noch, während er langsam zurückwich.
Eine Sekunde später traf ihn eine unsichtbare Faust direkt ins Gesicht. Er wankte zurück, spürte das Blut aus seiner Nase über sein Kinn rinnen, steckte noch einen weiteren Schlag in die Nieren ein, sackte weiter zurück, kassierte erneut eine schmetternde Rechte ins Gesicht, zumindest glaubte er, dass es eine Rechte war.
Schwärze presste sich auf seine Augen, er spürte einen weiteren Schlag auf die Brust.
„Das war’s für dich, verdammter Prinz!“, brüllte eine kalte Stimme.
„Nein!“, harschte er sich an, „Das ist nicht das Ende! Was rechtschaffen ist, wird niemals fallen!“
Obwohl er nichts sehen konnte, schnellte er mit aller Kraft nach vorne, krachte heftig in einen starken Widerstand.
„Nicht hart genug für einen Stein“, dachte er und führte mit seinem Dolch einen horizontalen Streich aus.
Schmerzensschreie füllten seine Ohren und warmes Blut benetzte seine Handschuhe, während seine Augen sich langsam von dem Schlag erholten.
Vor ihm war der Thanatoiker zu Boden gesackt, enttarnt durch den Riss in seinem Anzug. Blut sprudelte zwischen seinen Fingern hindurch, die er verzweifelt auf die lange Wunde in seinem Bauch presste.
„Empfange den Gnadenstoß!“, zischte Lemorgant, worauf er seinen Dolch durch die Schädeldecke seines Feindes hämmerte und ihn anschließend von sich wegtrat.
Dahinter kam der verbleibende Ork zum Vorschein. Schnell rennend, im mörderischen Ansturm begriffen, mit weit aufgerissenen, tiefschwarzen Augen preschte er unaufhaltbar auf den Prinzen zu, der nur noch wenige Meter von ihm entfernt war.
Dann jedoch rauschte die Anomalie wie ein kaum erkennbarer Blitz durch die Luft, prallte seitlich gegen den Ork, warf ihn zu Boden und kugelte über ihn hinweg. Das Scimitar glitt aus den Händen der Kreatur, schlitterte über den kalten Steinboden und blieb geradewegs zu Lemorgants Füßen liegen, der mit einem finsteren Lächeln den Dolch zurück in seine Halterung am Gürtel gleiten ließ, um die Waffe des Orks aufzuheben, dem er sodann gelassen entgegenschlenderte. Unbeirrt versuchte die Bestie, sich wieder auf die Beine zu hieven, doch weit kam sie nicht, denn der Prinz schlug ihr mit einem einzigen Hieb den fahlen Schädel von den Schultern.
„Möge der Herr dir gnädig sein“, sprach er leise, bevor er sich jenem Punkt zuwandte, wo Vanessa seinen Gegner gestoppt hatte.
Mühsam raffte sie ihren Körper auf, den der Zusammenprall mit der Bestie arg zerrüttet hatte. Ihre Glieder schmerzten und als sie an sich hinunter sah, flackerte der Tarnanzug vor ihren Augen. Da sie nach dem Aufprall über den Boden gerutscht war, hatte sich seine Oberfläche abgerieben, was seine Wirksamkeit stark einschränkte.
Missmutig hob sie den Blick, worauf dieser sofort auf Lemorgants fahles Gesicht fiel. Blut tropfte von seinem Kinn, benetzte seine blassen Lippen, ein breiter Riss klaffte in seinem prächtigen Wappenrock, doch seine Rüstung wies keinen Kratzer auf.
Sie sah über ihn hinweg, wobei sie den dunkelgekleideten Schwarzmagier entdeckte, der immer noch neben dem Thron stand, von wo aus er seinen Schergen beim Sterben zugesehen hatte.
„Einer noch“, dachte sie, bevor Boltrac seine Stimme hob.
„Eine äußerst beeindruckende Vorstellung“, lachte er, dessen Stimme die Verderbnis zu einem grauenhaften Kreischen verzerrt hatte, „Aber das hat jetzt sein Ende.“
„Allerdings, denn ich gedenke, diese Farce mit Eurer Hinrichtung zu beenden“, zischte Lemorgant, worauf er sich langsam, aber zielstrebig mit zum Boden gesenkten Scimitar auf den Schwarzmagier zu bewegte.
„Ich erledige das alleine“, flüsterte er Vanessa zu.
„Wartet nur, ich werde Euch Eure Arroganz ausbrennen!“, schrie Boltrac, bevor er die bleichen, unförmigen Arme hoch über den Kopf reckte. Zwischen seinen schwulstigen Händen entstand eine Kugel nachtschwarzer Flammen, die wild pulsierte, bis der Magier sie schließlich freigab. Mit einem ohrenbetäubenden Zischen raste das schwarzmagische Geschoss auf den Prinzen zu, der unbeirrt weiter ging.
Vanessa riss verständnislos den Mund auf, während sie das groteske Schauspiel regungslos wie eine Statue betrachtete. Sie spürte die geballte Kraft des Zaubers noch dort, wo sie stand, wusste, dass man schwarzer Magie nicht ausweichen konnte, und es wurde ihr zur bitteren Gewissheit: Der Prinz würde diesen Angriff nicht überleben.
Mit unbeschreiblicher Macht schlug der Feuerball in seine Brust ein, schwarze Flammen züngelten um den Ledrianer, bedeckten ihn und hüllten ihn für einen Moment gänzlich ein, sodass er nicht mehr war als ein schwarzer Schatten.
Dann jedoch war es der Thanatoiker der vor Schmerz aufschrie und aus dessen entstelltem Gesicht Todesqualen sprachen, wohingegen Lemorgant die schwarzen Flammen mit einer einzigen Bewegung von sich abschüttelte, worauf diese augenblicklich verschwanden, ohne auch nur die Spur einer Verletzung auf ihm zu hinterlassen.
Während er eine Hand schmerzhaft verkrampft in seine eigene Brust krallte, taumelte der Todesanbeter zurück, bevor er sich erneut aufbäumte.
„Das schafft Ihr nicht noch einmal!“, seine gellende Stimme zerriss die Stille begleitet von einer Fontäne gespenstisch grüner Lichtblitze, die allesamt auf Lemorgant entgegenzuckten.
Ohne einzuhalten, marschierte er in das dichte Geflecht der Strahlen, die sich in Lawinen farbenfrohen Funken ergossen, als sie ihn berührten. Jeder Strahl, der explodierte, entlockte dem Schwarzmagier einen neuen Schmerzensschrei, jeder Funken ließ ihn weiter zurücksacken, dem schattenhaften Thron, der gewaltigen Säule, seinem Ende entgegen.
„Das…das kann nicht sein“, heulte er, als der Prinz ihn fast erreicht hatte, „Ich kann nicht…der Meister würde nicht zulassen, er würde nie…“
Lemorgant befand sich fast in Reichweite, sodass ihm seine innere Stimme sagte, es sei an der Zeit, die Waffe zu heben, um zum finalen Stoß anzusetzen. Aus den pechschwarzen Augen des Thanatoikers glotze der pure Unglauben, die stinkende Angst. Er musste wissen, dass es kein Entkommen gab, weder in dieser Welt noch in der nächsten.
Doch plötzlich weiteten sich die Augen des Hexers, dass der blanke Wahnsinn dem Prinzen entgegenstarrte.
Mit einem hysterischen Gackern grabschte der Todesanbeter an den Hals der schattenhaften Gestalt auf dem steinernen Thron, die Lemorgant endlich deutlich erkennen konnte.
Auf dem kalten, dunklen Stein saß mit rostigen Nägeln und Ketten fixiert eine arg verweste Leiche, aus deren linker Gesichtshälfte bereits jedes Fleisch gewichen war. Der Rest besaß eine ekelhaft dunkelbraune, leicht gräuliche Tönung, aus der modrige Knochen hervorstachen, während die Haare wie ausgeblichene, nicht geisterhafte Fäden schimmerten. Vor ihrer Brust jedoch prangerte ein klobiger Kristallschädel, der an einer dunklen Kette um ihren Hals befestigt war.
Eben diese Kette packte der Thanatoiker löste sie und legte sie blitzschnell um seinen eigenen Hals, was jedoch keinen noch so unbedeutenden Effekt zeigte.
„Ich bin unbeeindruckt“, kommentierte der Prinz, der kurz innegehalten hatte, um das Geschehen zu betrachten.
„Dann seht und staunt!“, fauchte Boltrac, wobei er erneut die Arme in die Luft riss. Erneut füllte ein unerträglich lautes Zischen den Raum, das diesmal jedoch von einem gespenstischen Heulen untermalt wurde. Die große Kugel aus gespenstisch grünem Licht, welche über der Säule thronte, erstrahlte plötzlich in blendender Helligkeit, bevor ein tentakelartiger Strahl aus ihr hervorbrach und den Kristallschädel flutete. Dann riss der Strahl ab, worauf die Kugel wieder ein wenig verblasste.
Als Vanessas geblendete Augen sich erholt hatten, konnte sie jedoch eine zweite Lichtquelle ausmachen, die Boltracs überwuchertes Gesicht beleuchtete. Sie brauchte nur einen Augenblick, um zu erkennen, dass es der Schädel war, der nun in demselben gespenstischen Licht strahlte wie die unheimliche Kugel.
„Schlagt nur zu, Prinz!“, forderte der Hexer.
„Ihr scheint wahrlich ein Narr zu sein, Euch auf eine Macht zu verlassen, die bereits zweimal versagt hat“, spottete Lemorgant, bevor er das Scimitar hob und es dem Thanatoiker geradewegs ins Herz rammte.
Dieser leistete keinen Widerstand, als die breite, schartige Klinge durch seinen Brustkorb brach und eine grässliche Wunde in sein fahles Fleisch riss. Doch kein Blut rann aus ihr, nachdem der Prinz seine Klinge wieder aus dem Körper des Todesanbeters gezogen hatte, dessen schwarze Augen nun mörderisch funkelten, berauscht von der Macht.
Während Vanessa noch fassungslos beobachtete, wie der klaffende Riss auf seiner Brust einfach verschwand, schnellte er nach vorne und schmetterte den Prinzen mit unglaublicher Wucht von sich weg. Es riss ihn von den Füßen und schleuderte ihn rücklings auf den Boden, von wo aus er sich abrollte, sodass er binnen eines Augenblicks wieder auf den Beinen war.
Lemorgant hob erneut die schwere Klinge und auch dieses Mal schien Boltrac nicht an eine Parade zu denken, als er zuschlug. Das Scimitar raste in den Hals des Thanatoikers, während der Prinz so viel Kraft auf den Hieb verwand, dass er am Ende von seinem Ziel abgewandt stand. Er schnaubte kurz, bevor er merkte, dass das Gewicht in seiner Schwerthand deutlich nachgelassen hatte. Erstaunt starrte er auf den Griff des Scimitars, aus dem nur noch ein Stück der Klinge ragte, dampfend und eingeschmolzen.
Als er wieder zu Boltrac blickte, lachte dieser, dessen Wunden im Nu verheilt waren, voller Wahnsinn.
„Ich bin unsterblich!“, schrie er, wobei er Lemorgant einen weiteren Stoß unnatürlicher Kraft versetzte, der ihn erneut auf die Fliesen katapultierte.
„So verhält es sich absolut nicht!“, ächzte der Prinz, worauf er seinen Dolch zog und über den glatten Boden hinter Boltrac gleiten ließ.
Dieser blickte ihm kurz nach, gackerte spöttisch, nachdem nichts geschehen war, wandte sich wieder Lemorgant zu und blickte plötzlich auf die glänzende Spitze eines Bolzens.
Nur einen Augenblick später wurde abgedrückt und das Geschoss raste auf den Thanatoiker zu, genau in den kristallenen Schädel vor seiner Brust. Doch statt das schwarzmagische Artefakt in tausend Teile zerbersten zu lassen, verglühte der Pfeil in einer einzigen Stichflamme, als er den Kristall berührte.
„Du brauchst schon mehr als eine kleine Armbrust, um mich zu erledigen!“, höhnte Boltrac, doch der Prinz lachte nur, während er aus zu Schlitzen verengten Augen geradezu durch ihn hindurch zu starren schien.
Tatsächlich jedoch beobachtete er Vanessa, deren Tarnanzug sich wieder von der Kollision mit dem Boden erholt hatte, sodass sie nunmehr als ein kaum sichtbares Flackern hinter dem Hexer schwebte. Ein tödliches Funkeln, das mit Geisterhand den Dolch führte, den der Prinz hinter Boltrac hatte gleiten lassen. Langsam streckte sie die Klinge nach vorne, ihre Hand führte nur eine Intention, nur ein Ziel.
„Durchtrenne die Kette und der Träger verliert den Schädel und die Macht“, rann es durch ihren Kopf, während sie darüber nachdachte, dass diese Option schon ein wenig zu einfach war, zumal Boltrac sie noch nicht bemerkt hatte, stattdessen etwas in Lemorgants Richtung brüllte, das sie nicht verstand.
In einer einzigen, keinesfalls zittrigen Bewegung schob sie den Dolch sanft zwischen den Körper des Todesanbeters und die Kette, ohne dass dieser etwas davon merkte.
Dabei sah sie nicht, dass auch diese von einem schwachen g

Kapitel 9: Assassinen

15. Mondweihe. 52 n.V.

 

Die Sonne schob sich gerade über den Horizont und bedeckte die Welt mit ihrem tiefen, blutroten Licht, als Baraj, der die letzte Nachtwache schob, Ferren weckte. Nachdem der Leutnant in militärischer Schnelligkeit erwacht war, ließ er seine Mitstreiter wecken, sofern dies notwendig war. Einige waren schon vor Sonnenaufgang im Lager herumgeirrt, wie Janus, der für Slemov, den die Schmerzen wach hielten, im Wald nach Heilkräutern suchte, und Ariona, die tatsächlich die ganze Nacht über durch die Gegend gewandelt war.
Als die ersten Strahlen der Sonne in ihre geschwollenen, blutunterlaufenen Augen blitzten, stach ein sengender Schmerz durch ihren Schädel. Dennoch ließ sie ihren gequälten Blick über das Lager schweifen, um nach Truzos zu suchen, den sie in seinem Nachtlager entdeckte, wo er immer noch beharrlich vor sich hin schnarchte, obwohl Baraj gerade versuchte, ihn aus dem Schlaf zu reißen. Doch bevor sie beobachten konnte, wie der Magier wach wurde, stand plötzlich Ferren vor ihr und versperrte ihr die Sicht.
„Alles klar?“, erkundigte er sich.
„Ja, alles in Ordnung“, bestätigte sie matt.
„Du siehst müde aus.“
„Hab schlecht geschlafen“, murmelte sie, „Nach allem, was war.“
„Hm ja, das ist alles etwas viel“, seufzte er, „Ich weiß noch nicht genau, wie es weiter gehen sollte, tja, ich…hab zu tun, wir…reden später.“
Mit diesen gestammelten Worten zog er ab und durchstreifte erneut das Lager, sodass Ariona Truzos wieder in ihrem Blickfeld hatte. Er hatte sich bereits erhoben und strich seine kunstvoll bestickte Robe glatt, wobei er Baraj etwas Unverständliches hinterher fluchte.
Anschließend warf er einen verfinsterten Blick durch das Lager, bevor er sich wieder auf seiner Bastmatte niederließ, ein Buch zückte und darin las. Seit dem Überfall und der Befreiung hatte er sich meist von den anderen ferngehalten und sprach allerhöchstens mit Janus.  Ariona näherte sich ihm langsam und unwissend, wie sie ein Gespräch mit ihm beginnen sollte, wo seine schlechte Laune doch jedem entgegensprang, der es wagte, in sein Gesicht zu sehen. Schon wollte sie einen Schritt zurücktreten, das Gespräch auf später verschieben.
„Nein, du musst“, wurde ihr klar, während sie beobachtete, wie ihre Füße sie weiter zu ihm trugen und ihre Lippen ein freundliches „Guten Morgen“ formten.
„Was wollt Ihr?“, blaffte der Serpendrianer, ohne den Gruß zu erwidern.
„Ich habe eine Frage“, erklärte sie langsam.
„Die Sonne ist gerade erst aufgegangen. Kann das nicht bis später warten?“
„Nein, es ist wichtig“, versicherte sie, worauf er sie kurz abschätzig musterte.
„Ich glaube nicht“, höhnte er anschließend.
„Verdammt, Truzos, könnt Ihr vielleicht ein einziges Mal von Eurem hohen Ross herunterkommen und mir einfach nur zuhören?“, schnauzte sie.
„Also schön…versucht, mich nicht allzu sehr zu langweilen“, seufzte der Magier, worauf sie sich neben ihm auf der Bastmatte niederließ und begann, von dem zu berichten, was ihr widerfahren war, wobei sie versuchte, so nüchtern zu wirken, wie es nur möglich war.
Als sie geendet hatte, starrte ihr aus Truzos‘ Gesicht der blanke Hohn entgegen.
„Ihr habt offensichtlich einen Hirnschaden erlitten“, spottet er, „Einen derartigen Angriff überlebt man nicht. Wahrscheinlich habt Ihr eine einfache Waffe für eine Seelenklinge gehalten und wurdet dann von einem fehlgeleiteten Zauber erwischt.“
„Es war eine Seelenklinge, da bin ich mir sicher“, fauchte Ariona.
„Ach ja? Ich liege doch richtig, wenn ich annehme, dass Ihr eine einfache Novizin seid, nicht wahr? Und wahrscheinlich habt Ihr zuvor nie eine Seelenklinge gesehen, wie?“
„Ich kann eine Seelenklinge sehr wohl von einer einfachen Waffe unterscheiden!“
„Ja, das denken sie alle. Denken, dass sie etwas von Schwarzmagie verstehen, weil sie einmal einem Thanatoiker gegenüberstanden, denken, dass sie weise oder stark sind, nur weil sie es nach Galor geschafft haben. Dabei sind gute Männer dafür gestorben, dass sie überleben konnten“, zischte der Serpendrianer.
„Wieso nehmt Ihr das so persönlich? Ich habe Euch doch nur eine allgemeine Frage gestellt“, maulte sie.
„Einen Schwachsinn habt Ihr!“, schallte es ihr entgegen, „Den Angriff mit einer Seelenklinge überlebt man nicht. Ihr wärt jetzt ein willenloses Stück Fleisch, wenn Euer Bericht stimmen würde.“
„Aber das bin ich nicht und ich will wissen warum“, beharrte sie.
„Haltet Ihr Euch für etwas Besonderes, nur weil Ihr diesem Todesanbeter entkommen seid? Ich sage Euch, Ihr seid nicht besser als das gewöhnliche Fußvolk. Wenn Ihr vor sechs Monaten nach einem orkischen Hinterhalt tot in einem Straßengraben gelegen hättet, dann sähe die Welt heute auch nicht anders aus. Ihr wollt Antworten auf Eure Hirngespinste? Dann sucht einen Priester! Ich kann Euch jedenfalls nicht helfen. Und jetzt belästigt mich nicht länger!“
Seine Worte waren klar wie Wasser, das aus einem Eisblock schmolz, und schnitten mit ihrer eisigen Intensität in Arionas Seele, dass es ihr physisch wehtat. Langsam taumelte sie zurück, wobei ihr sein abschätziges Lächeln folgte.
„Serpendrianer…Ledrianer…die sind alle gleich. Solche Idioten. Er weiß, dass ich Recht habe, aber er ist zu eingebildet, es zuzugeben“, sagte sie sich selbst, womit sie jedoch nicht vermochte, die Flut der Tränen aufzuhalten, die in ihre Augen quoll. Sie wusste nicht, womit Truzos sie derart hatte verletzen können, doch sie wusste, dass er die letzte Chance auf Antworten gewesen war, und sie fragte sich, was sie nun überhaupt noch wusste.
„Bin ich wirklich eine kranke Irre, die ihre Träume für Visionen hält, die glaubt, etwas Besonderes zu sein und den gängigen, magischen Theorien zu widersprechen?“, rann es jäh durch ihren Geist und Wogen des Zweifels brachen über sie hinweg. Sie taumelte, die Müdigkeit schwemmte ihre Sicht dahin, der Boden näherte sie ihr mit beeindruckender Schnelligkeit.
Plötzlich packte sie jemand unsanft an der Schulter, womit er jedoch verhindert, dass sie gänzlich einsackte. Grob raffte er sie auf, wobei sie erkannte, dass es sich um Baraj handelte.
„Alles in Ordnung mit Euch?“, erkundigte er sich.
„Ja…ich…schlecht geschlafen“, stammelte sie, worauf er sie wieder losließ und sie fast noch einmal zusammenbrach.
„Zweifel ist Gift!“, hallte Lucians höhnisch lachende Stimme durch ihren Schädel.

Zur gleichen Zeit irrte Ferren durch das Lager, während sein Blick suchend über die Köpfe seiner Mitstreiter huschte. Er schritt langsam voran, sah Baraj und Ariona, die ein Stück voneinander entfernt standen, Truzos, der noch in seinem Lager saß, Janus, der Slemovs Wunde versorgte, Ilar, der die beiden Pferde betrachtete, welche ein Stück weiter angebunden waren. Doch der Blick des Leutnants fand nicht das, was er suchte, bis er sich schließlich eingestand, dass er es gar nicht finden konnte.
Es wurde ihm klar, dass die Köpfe, die er aufspüren wollte, verschwunden waren. Kein de Nord, der ebenso weise wie arrogant ihre Mission überwachte, kein Tymaleaux, der spöttisch Befehle brüllte, kein Renault, der mit Karte und Logbuch aufwarten konnte, kein Olaf, der ihm selbst in tiefster Nacht die Richtung wies.
„Jetzt ist es an dir“, sagte er sich, „Jetzt triffst du die Entscheidungen.“
„Aber welche?“, fragte er sich zugleich.
„Weg hier und weiter nach Osten“, die nüchterne Antwort drang jäh in seinen Kopf, „Osten…“
Aber er wusste auch, dass er vor seinen Kameraden nicht wie ein planloser Idiot wirken durfte, dass er sich wie die anderen Offiziere verhalten musste, die entweder nie einen Fehler begangen oder nie dazu gestanden hatten. De Nord, Renault, Tymaleaux waren keine Männer gewesen, denen der Geruch des Versagens anhaftete.
„Osten…“, echote es durch seinen Schädel, „Ich muss wissen, wo Osten ist!“
Mit diesem Entschluss ließ er seinen Blick erneut über die Reihen seiner Gefährten schweifen, wobei er nun jedoch ein klares Ziel hatte. Als er nach Janus suchte, zermarterte er sich zugleich den Kopf über die Widersprüchlichkeit seiner Situation
„Ein Soldat, ein Offizier, fragt einen Mönch nach der Himmelrichtung.“
Er wandte sich dem Geistlichen zu, der sich mittlerweile von Slemov entfernt hatte, und seine Beine trugen ihn über das Meer der Kontroversen, die Kluft zwischen den beiden Männern.
„Bruder, habt Ihr einen Moment Zeit für mich?“, erkundigte er sich.
„Natürlich“, gab der Mönch freundlich zurück, „Was kann ich für Euch tun, Leutnant?“
„Wir ähm…müssen weg von hier“, stammelte er, „In Richtung Osten, aber ich…ich habe keine Ahnung, wo Osten ist.“
Janus starrt ihn kurz an, bevor er seinen Kopf mit einem leichten Grinsen gen Himmel wandte, an dem noch einige Sterne hingen, deren schwaches Licht langsam von der Sonne überstrahlt wurde. Der Geistliche drehte sich ein wenig, warf einen flüchtigen Blick in eine andere Himmelrichtung und streckte dann seinen linken Arm aus, sodass er weit über die Wipfel der Bäume deutete:
„In etwa diese Richtung.“
„Habt Dank“, gab Ferren zurück, reckte sich, betrachtete kurz die tapferen Recken, die vom einstigen Zug de Nords übrig geblieben waren, und hob dann seine Stimme, die laut wie kräftig durch das Lager schallte:
„Sachen packen und sammeln! Wir marschieren in zehn Minuten ab!“
Sofort brach eine Welle der Hektik über das Lager, denn nicht jeder in Ferrens Trupp strotzte wie Baraj vor Disziplin, der schon marschbereit gewesen war, bevor der Leutnant den Befehl gegeben hatte. Doch wo immer es an etwas mangelte, schien es plötzlich eine helfende Hand zu geben, auch wenn diese dem fluchenden Ilar gehörte.
Mit Hilfe von Muskelkraft und Magie schaffte man Slemov auf eines der beiden Pferde, da er kaum selbst gehen konnte.
Ariona, die, so fand Ferren, ebenfalls sehr erschöpft wirkte, durfte sich vom zweiten tragen lassen, wohingegen alle übrigen sich auf die Kraft ihrer eigenen Beine verlassen mussten, da sie den Karren auf ihrer Flucht außerhalb des Waldes zurückgelassen hatten, denn es war unmöglich gewesen, das sperrige Gefährt durch die dichten Reihen der Bäume zu manövrieren.
Truzos warf dem Leutnant einen finsteren Blick entgegen, während dieser Ariona beim Aufsatteln half, und wandte sich anschließend ab. Als die Novizin sicher auf dem Rücken des Gauls saß, blickte Ferren erneut auf den Rest seines Trupps und fünf wettergegerbte Gesichter starrten erwartungsvoll zurück. Der Moment war durchzogen mit einem Hauch von Ewigkeit, er funkelte in Janus‘ hoffnungsvollen Augen, klang in Ilars üblichem Spott mit, sprach aus Slemovs angespanntem Gesicht, aus Truzos‘ verächtlichem Schnauben, aus Barajs diszipliniertem Blick.
„Männer“, wandte sich Ferren an sie, „wir haben harte Schläge eingesteckt. Wir haben unsere Kameraden fallen sehen und unsere Anführer verloren“, er starrte auf Slemov und Baraj, denen die Verräter nicht mehr gelassen hatten als ihre lumpenhafte Kleidung, „man hat uns unsere Waffen und Rüstungen genommen, uns gefangen, uns verfolgt und doch stehen wir noch hier! Wir stehen hier, wir atmen, wir leben! Und so lange wir das tun, lebt auch die Hoffnung weiter. Lasst uns weiterziehen und zu Ende bringen, wofür unsere Freunde bereits ihr Leben gaben. Für Galor!“
„Ja, für Galor“, murmelte Janus mit Bitterkeit.
„Für Galor!“, grölten Slemov, Ilar und Baraj, und als ihr Rufen verklungen war, gab Ferren den Befehl zum Abmarsch.
So verließen sie die Lichtung und der herbstbraune Wald verschluckte sie, nur um sie Stunden später in einem wundersamen Landstrich wieder auszuspucken. Die Reihen der Bäume endeten jäh, wo sie in ein Feld aus verdorrten Stümpfen übergingen, die wie Grabsteine aus der schlammigen Erde ragten. Die abgeholzte Ebene zog sich bis zu einem kiesbelagerten Flussufer hinab, welches windschiefe Bretterbuden zierten. Wo man hin sah, erhoben sich niedrige, hölzerne Schilder mit verblassten Aufschriften aus der Erde, von denen manche noch verkündeten:
„Eigentum der skatrischen Minengesellschaft.“
„Dieser Grund gehört Maglir Garek. Bei unbefugtem Betreten wird sofort geschossen.“
„Dieses Land ist Besitz der delionischen Goldarbeiterzunft.“
„Neu-Delion“, entsann sich Ferren des Namens dieser Provinz, die einst so prall mit Leben gefüllt gewesen war wie ein Bierkrug in einer guten, skatrischen Kneipe.
Er erinnerte sich an jene Zeit, als an Flüssen wie diesem zu jeder Tageszeit Menschen aller Nationen gesessen und nach Gold gesucht hatten. Er erinnerte sich an all die Halunken, Schürfer, Schwindler, Glücksritter, Unternehmer und Abenteurer, die zwischen den Tannenwäldern und Flussläufen nach dem Sinn ihres Lebens gesucht hatten.
Er erinnerte sich, dass er selbst einst einer von ihnen gewesen war. Mochten die Menschen hier auch die Natur ausgebeutet haben, hatten sie ihr nie ihre raue Schönheit geraubt. Wo man Bäume gefällt und Flüsse gestaut hatte, war das Zwitschern der Vögel oder das Plätschern des Baches bald durch den süßen Duft brennenden Tabaks und das fröhliche Grölen angetrunkener Kneipengäste ersetzt worden.
Plötzlich sah Ferren sich selbst wieder unter ihnen.
Er trat über die Schwelle und ein warmer Luftzug hüllte ihn ein. Er schlug sich durch Gemurmel und Zigarrenqualm an den runden Tischen vorbei, wo raubeinige Gesellen um ihr geschürftes Gold pokerten, während ein paar Gaukler die Gaststätte mit dem Klang rauer Stimmen und Fideln füllten.
An der Theke verlangte er eilig nach einem Bier, neben ihm zählte ein schmieriger Händler mit einem habgierigen Lächeln den Inhalt seines prallen Geldsacks, ein heruntergekommener Mann blickte von seinem Glas mit Gerstenbrand auf, glotze in das Funkeln der Goldraken, ein hübsches Mädchen tanzte zwischen den Tischen zum Spiel der Fideln.
Alle wogten in der Hoffnung des Glücks, lachten, tanzten, grölten und doch erweckten sie in Ferren nicht einen Funken Freude, denn in seiner Kehle steckte mit der Bitterkeit von Erbrochenem die Gewissheit über das Zukünftige. Tränen schossen ihm in die Augen, als er dem Mädchen beim Tanzen zusah, wissend, dass sie in einigen Monaten von Orks vergewaltigt in einem Straßengraben liegen würde. Er sah die Draken des schmierigen Händlers benetzt mit dessen eigenem Blut über das Pflaster einer brennenden Stadt verteilt, sah den Mann, der jetzt noch seinen Gerstenbrand trank, als Verräter eine Axt gegen seine einstigen Freunde schwingen, sah die Kartenspieler ausbluten nach einem Hinterhalt der Thanatoiker.
Die Realität sog ihn zurück und er war entsetzt vom Tod, der sich die Landschaft einverleibt hatte wie ein gutes Frühstück. Die Menschen hatten das Leben der Natur vernichtet, um es durch ihr eigenes zu ersetzten, doch die Invasion hatte nur Leere zurückgelassen, in der Bretterbuden und Besitzschilder wie Relikte einer längst vergangenen Zeit von der Endlichkeit mahnten.
Aus dem ausgewaschenen Boden stemmten sich hingegen die ersten grünen Grashalme empor, womit sie davon kündeten, dass der Landstrich irgendwann wieder seine ursprüngliche Schönheit zurückerlangen würde.
„Vielleicht hätte man es nie ändern sollen“, dachte Ferren, bevor er seine Kameraden weiter in Richtung des Flusses führte.
Über die leichte Strömung des Bachs ging es zurück auf den Kies, anschließend hinauf auf einen gerodeten Hügel, an dessen Fuß eine Straße verlief, gesäumt von den morschen Holzschildern, die den Grund verstorbener Besitzer absteckten. Der Weg lenkte sie durch die Landschaft, vorbei an leerstehenden Tavernen sowie verlassenen Holzfällerposten der untergehenden Sonne und einem kleinen, unangetasteten Waldstück entgegen.
Je näher sie den Bäumen kamen, umso weniger Schilder säumten den Wegesrand, bis sie schließlich einen halb zerschmetterten Steinblock erreichten, den eine verwitterte Aufschrift zierte.
„Refugium der Erlöserbruderschaft“, entzifferte Janus die dunklen Buchstaben, „Dieser Weg führt zu einem Kloster des Erlöserglaubens…ich bezweifle, dass es noch bewohnt ist.“
„Die Thanatoiker hassen den Erlöserglauben noch stärker als sie die Iurionisten hassen“, raunte Ariona, „Da lebt bestimmt niemand mehr.“
„Ein verlassenes Kloster könnte ein guter Ort für unsere Nachtruhe sein. Wir sollten dem Weg folgen“, schlug Slemov vor.
„Ich brauch nur einen verschissenen Platz zum Sitzen“, wandte Ilar ein.
„Also gut, gehen wir weiter“, befahl Ferren, worauf sich der Trupp wieder in Bewegung setzte.
Der Pfad schlängelte sich durch die Reihen der Bäume, bis er sie zu einem stillen See führte, der einsam in Mitten des Wäldchens ruhte. Einige Gebäude aus weißem Stein überschatteten ihn und machten den Eindruck, perfekt in die Idylle des Ortes zu passen, sie drängten sich nicht hervor, sondern lagen dezent im Hintergrund. Einzig die gewaltigen Risse, die in dem edlen Gemäuer klafften, stachen jedem Betrachter sofort ins Auge, ebenso wie die Sanduhrsymbole, die unsauber geritzt auf etlichen Steinen prangerten. Das Refugium war tatsächlich vollkommen verlassen, da die Todesanbeter jeden getötet oder verschleppt hatten, der sich dorthin zurückgezogen hatte.
„Los Leute, sichert das Gebiet!“, befahl Ferren, worauf seine Kameraden ausschwärmten, um die Gebäude und den Waldrand in der Nähe des kleinen Sees zu durchsuchen, während er zusammen mit Ariona und Slemov bei einem eingestürzten Turm zurückblieb.
Wenig später kehrten die Kundschafter zurück, um zu berichten, dass das Refugium sicher war. Im Folgenden verstreuten sie sich über die ganze Anlage, manche suchten nach einem guten Schlafplatz, andere wollten lieber unter der violett roten Dämmerung am See sitzen, um einen Tag langer Märsche und Strapazen ausklingen zu lassen.
Janus, Ariona und Slemov hatten sich auf einem Plateau aus weißem Stein zueinander gesellt, das etwa einen Meter über dem See thronte und eine wundervolle Aussicht über selbigen bot. Von den vier steinernen Bänken, die den Mönchen dort zum Sitzen gedient hatten, waren zwei vollkommen zerschmettert worden. Ariona lag flach mit dem Rücken auf einer der unbeschädigten und Slemov lehnte sich, auf dem Boden sitzend an die andere, während Janus an der niedrigen Brüstung stand, von wo aus er auf das Gewässer hinausblickte.
„Wart Ihr zuvor schon einmal hier, Bruder?“, erkundigte sich Slemov.
„Nein, war ich nicht“, entgegnete der Mönch, „Aber mir ist von diesem Ort berichtet worden.“
„Es muss schön hier gewesen sein, als noch jeder Stein auf dem anderen stand“, sinnierte Ariona.
„Es ist immer noch schön hier“, gab Janus zurück, wobei er sich vom See abwandte, sich umdrehte und direkt auf ein riesiges Sanduhrsymbol starrte, das eine Säule am anderen Ende des Plateaus entstellte.
„Die Thanatoiker müssen Euren Glauben wirklich hassen“, sagte Slemov, der seinem Blick gefolgt war.
„Nun ja, es ist hauptsächlich der Dunkle Kult, der uns hasst“, erklärte der Geistliche, „Wie unsere geschätzte Novizin schon sagte: Er verachtet uns noch mehr als die Iurionisten.“
„Das ist merkwürdig, dabei waren es doch die Iurionisten, die ihn zerschlagen haben.“
„Ja, die Iurionisten sind überall da, wo Unrecht getan wird, um ein paar Leute hinzurichten und sich dann wie die größten Helden aufzuspielen“, zischte Ariona.
„Hat der Erlöserglauben denn selbst nichts gegen den Dunklen Kult unternommen?“, wollte Slemov wissen.
„Er durfte nicht“, maulte die Novizin, „Er ist pazifistisch und hat lediglich versucht, sich zu verteidigen, was gegen eine Horde marodierender Nekromanten natürlich kaum funktioniert hat.“
„Ja…wir brauchten die Iurionisten.“
„Das mutet alles recht seltsam an“, wandte der Skatrier ein.
„Glaubt ihr denn nicht an einen Gott?“, erkundigte sich Janus.
„Doch irgendwo schon…aber seit der ledrianischen Besatzung sind wir Skatrier der Religion eher…abgeneigt.“
„Verständlich“, fügte Ariona an, „Iurionisten bauen nur Scheiße. Sie bringen Leute um, weil sie glauben, es sei Gottes Wille. Weil sie glauben, sie hinzurichten sei etwas anderes, als sie abzuschlachten, nur weil vorher ein Urteil darüber gesprochen wurde. Ihr habt es doch selbst gesehen, de Nord, Tymaleaux, Renault…waren die etwa gute Menschen?“
„Nun, soll Tymaleaux nicht gesagt haben, de Nord hätte uns nicht verraten und bis an sein Ende gegen ihn gekämpft?“, entgegnete Janus.
„Macht ihn das jetzt besser?“, fauchte die Novizin, „Renault hat uns auch nicht verraten, aber er hat Dimitri erschossen, nur weil er glaubte, die Ehre würde ihm das gebieten.“
„Die Ehre“, seufzte Slemov, „Manche verstehen sie, manche nicht. Renault war ein Idiot…Dimitri auch…aber de Nord…de Nord hat es verstanden. Wenn ihr ihm eine Klinge an die Kehle gehalten und versichert hättet, dass er mit seinem Tod alle Wehrlosen auf diesem Kontinent retten könnte, er hätte nicht über seine Antwort nachdenken müssen.“
„Pah, er ist ein arroganter Mistkerl mit einem Herz voller Verachtung“, fluchte die Novizin.
„Verachtung muss nicht unbedingt etwas Schlechtes sein“, erwiderte der Mönch, „Es kommt nur darauf an, wen man verachtet und aus welchem Grund.“
„Und Ihr wollt dem Erlöserglauben angehören, der niemanden, keinen Menschen, kein Tier, gleich seiner Taten verurteilt?“, fragte Ariona spöttisch.
„Oh ja, ich gehöre dem Erlöserglauben an“, bestätigte Janus, „Aber ich muss gestehen, dass ich mit den Iurionisten sympathisiere…ich meine, wenn wir den Pazifismus des Erlöserglaubens wirklich praktizieren würden, hätten wir uns bei Beginn der Invasion allesamt wehrlos abschlachten lassen müssen. Einen fühlenden Menschen mag das aufhalten, aber ein von der Verderbnis zerfressener Schwarzmagier würde mit jedem Schädel, den er abtrennt, lauter lachen.“
„Ja, das wäre ziemlich sinnlos“, lachte der Skatrier bitter, bevor er eine kurze Pause einlegte, „Pazifismus…woran glaubt ihr vom Erlöserglauben eigentlich?“
„Das ist recht simpel. Wir glauben, dass eines Tages ein Erlöser kommen wird und aus dieser Welt das Paradies erschafft. Allerdings wird auch von einer großen Schlacht gegen die finsteren Mächte berichtet.“
„Das klingt simpel…wird über den Erlöser und die Zeit seiner Ankunft denn nichts gesagt?“
„Nein, nur dass in seiner Welt jedem vergeben wird, sodass jeder gleichberechtigt und glücklich an der Seite der anderen leben wird, aber dieses Paradies müssen wir selbst besorgen, indem wir den Kampf gegen die Finsternis gewinnen“, erklärte der Geistliche.
„Tja“, seufzte Slemov, „Da bleibe ich lieber bei meiner Religionslosigkeit.“
„Ist auch besser so“, raunte Ariona.
„Das muss jeder selbst wissen“, schloss Janus, „Ich für meinen Teil werde mich nun zurückziehen. Es war ein langer Tag.“
Damit erhob sich der Mönch, verbeugte sich kurz und zog davon, worauf auch Slemov andeutete, dass er nun lieber schlafen würde, womit er Ariona alleine zurückließ, die noch ein wenig auf dem Plateau verweilte, um auf den nunmehr vollkommen schwarzen See hinauszublicken.

Etliche Meilen entfernt schlugen Tymaleaux‘ schwere Stiefel im Takt seines Gangs auf den zerkratzten Parkettboden des schäbigen Korridors, der sich vor ihm erstreckte. Während er schnurgerade auf die Tür an dessen Ende zumarschierte, hüllte ihn der Gestank des Todes ein, der aus den angrenzenden Zellen sickerte und davon kündete, welche Art von Magie diesen Ort in ihren eisernen Klammergriff genommen hatte.
Der Major beschleunigte seine Schritte, womit er dem Gestank jedoch nicht entfliehen konnte. Tatsächlich schien er sich zum Ende des Korridors hin immer weiter zuzuspitzen, sodass der Ledrianer, die Schwelle der letzten Tür mit wachsendem Ekel übertrat. Der dahinterliegende Raum war abgedunkelt und wurde von einem schäbigen, modrigen Mobiliar beherrscht, in dessen Mitte eine knorrige Gestalt an einem klobigen Schreibtisch thronte. Der Kadavergestank wurde von einem überschwänglichen Lavendelduft in Schach gehalten, der Tymaleaux sofort umschlang. Ihm gegenüber saß Ventro, ein gebrechlicher, alter Mann, mit schneeweißen Haaren, der so abgemagert war, dass er mehr wie ein Skelett wirkte. Auf seiner Haut jedoch klafften keine fleischigen Narben, keine Geschwüre durchzogen seine grauen Augen, kein Wahnsinn sprach aus seinen eingefallenen Gesichtszügen und so wirkte er frei von der schwarzen Verderbnis wie ein Heiliger unter den entstellten Schwarzmagiern, die diesen Ort bewohnten. Tatsächlich besaß der Oberbefehlshaber der Thanatoiker nicht die geringste Spur eines magischen Talents, was ihn, wie Tymaleaux gelernt hatte, für den Dunklen Kult umso wertvoller machte, denn Schwarzmagier waren zwar mächtig, gaben aber in den meisten Fällen keine guten Anführer ab, da ihr Verstand zumeist der Verderbnis zum Opfer fiel.
Ventro musterte Tymaleaux kurz, bevor er auf einen modrigen Stuhl vor seinem Schreibtisch deutete:
„Setzt Euch, Major. Der Meister wird bald eintreffen. Denkt nur daran: Ihr sprecht, wenn Ihr gefragt werdet, und schweigt still, wenn nicht.“
„Natürlich“, stimmte der Ledrianer zu und tatsächlich sollte kaum mehr eine Minute vergehen, bis eine verzerrte, fahl weiße Gestalt durch die linke Wand des Raumes trat.
„Seid gegrüßt, ehrwürdiger Kelrayass“, rief Tymaleaux sofort, während Ventro den Ankömmling musterte und schwieg.
„Ihr ebenfalls, Major“, gab die Erscheinung mit ihrer grauenhaft verzerrten Stimme zurück.
„Wir haben dieses Treffen nicht einberufen, um Höflichkeiten auszutauschen“, knurrte Ventro, „Wie steht es um Euren Plan, Kelrayass?“
„Bestens“, sprach dieser, wobei sein eisiges Lachen den gesamten Raum wie ein schneidender Polarwind füllte, „Dieser Narr Navaras hat genau das getan, was wir für ihn vorsahen und auch Prinz Lemorgant erledigte seine Rolle gut. Dummerweise konnte er Navaras‘ erbärmlicher Schergin entkommen, aber das spielt nun keine Rolle mehr.“
„Das heißt, Aphaelon ist nun endgültig vernichtet?“, seufzte Ventro.
„Nicht vollständig…aber zum größten Teil.“
„Er war ein großer Mann. Vielen unserer Anhänger würde nicht gefallen, wenn sie wüssten, dass wir dafür verantwortlich sind“, zischelte der Alte.
„Spart Euch die Sentimentalität“, fauchte Kelrayass, „Aphaelon war ein Narr, der überhaupt erst an unserer Situation schuld ist. Aber wenn Ihr das nicht einsehen wollt, dann tröstet Euch wenigstens damit, dass nicht wir es waren, die ihn letztlich vernichteten.“
„Wie könnt Ihr so reden? Aphaelon hat die Zukunft gesehen, er war es, der den Dunklen Kult schuf und die Welt in Schrecken versetzte!“
„Nur um sich dann in eine lächerliche Leuchtkugel zu verwandeln, weil er zu schwach war, den letzten Schritt zu gehen“, knüpfte Kelrayass spöttisch an, „Er mag eine bedeutende Person gewesen sein, aber er wurde nutzlos.“
„Wie Ihr meint“, Ventros Stimme knurrte wie die eines Hundes, „Was mit Aphaelon geschah, kümmert mich nicht, solange Ihr einhaltet, was Ihr verspracht.“
„Glaubt mir, das werde ich“, gelobte die Erscheinung, „Und nun vergesst jene, die der Vergangenheit angehören, um Eure Konzentration auf die Zukunft zu richten.“
Tatsächlich hatte Prinz Lemorgant in Narbenfels weit mehr als nur ein schwarzmagisches Artefakt vernichtet. Die leuchtende Kugel war der magische Ãœberrest des ersten Hohepriester Thanatos‘ gewesen, des Schöpfer des Dunklen Kults, des größten Hexer aller Zeiten, eines Mannes namens Aphaelon, der vor über fünfhundert Jahren kurz vor der Zerschlagung des Kults urplötzlich von der Bildfläche verschwunden war.
Was genau ihm widerfahren war, wusste niemand, doch gingen jene Thanatoiker, die sich mit der Kugel beschäftigt hatten, davon aus, dass die schwarze Verderbnis seinen Körper gänzlich verzehrt und von ihm nicht mehr als jene magische Sphäre übrig gelassen hatte, eine körperlose Seele, gebunden an das Diesseits.
„Also schön“, murmelte der Alte, „wenden wir uns der Gegenwart zu. Ihr sagtet, Ihr hättet ihn gefunden?“
„Das habe ich“, bestätigte Kelrayass, „Aber ich kann das schwerlich alleine zu Ende bringen. Und da“, er wandte sich an Tymaleaux, der bisher, wie man ihm aufgetragen hatte, keinen Mucks von sich gegeben hatte, „kommt Ihr ins Spiel, Major. Ihr werdet einen Trupp erwählter Thanatoiker anführen und Euren alten Spähtrupp endgültig vernichten!“
„Es wäre mir eine Ehre, Meister“, gelobte der Verräter.
„Nichts anderes hatte ich erwartet“, rühmte Kelrayass, „Ihr werdet ihnen mit Eurem Trupp nach Neu-Delion folgen, sie finden und dann meine Anweisungen befolgen.“  
„Finden?“, knurrte Ventro, „Warum sollte der Major sie finden müssen, wo Ihr Euch doch unter ihnen verbergt?“
„Ich fürchte, Ihr könnt Euch in Ermangelung des magischen Talents gar nicht vorstellen, wie kompliziert es ist, diesen Zauber zu wirken. Zudem muss ich mich immer aus dem Lager schleichen, um das zu tun, und ihr könnt mir glauben, dass jeder normale Mensch nur bei dem Versuch, das zu vollbringen, was ich tagtäglich tue, in Ohnmacht fallen würde.“
„Also schön…“, seufzte Ventro, bevor er sich an Tymaleaux wandte, „Dann findet sie!“
„Das werde ich.“
„Unser derzeitiger Aufenthaltsort ist das Refugium des Erlöserglaubens in Neu-Delion. Ventro sollte wissen, wo es liegt…aber nun zu unserer letzten Angelegenheit…“, lachte die Erscheinung, „Major Tymaleaux für Eure ausgezeichneten Dienste, Eure Empfehlung des Prinzen für unsere Pläne und im Hinblick auf Eure zukünftigen Aufgaben entlohnen wir Euch mit unbeschreiblicher Macht, einer Macht, die Euch in die Reihen der Unsterblichen erheben wird! Ventro, ich bitte Euch…“
„Natürlich…Meister“, murmelte der Alte, aus dessen Miene der Neid klaffte, bevor er sich erhob und langsam zu einem mächtigen Schrank hinüberschlurfte, bei dem es sich um das einzige Möbelstück im Raum handelte, das einen einigermaßen soliden Eindruck machte.
Tymaleaux stockte der Atem, während er dabei zusah, wie Ventro einen großen, rostigen Schlüsselbund von seinem Gürtel nahm, hastig einen besonders schweren Schlüssel aus den Reihen der metallenen Rohlinge klaubte und ihn ins Schloss stach.  Als er die beiden schweren Flügeltüren öffnete, blitzte zunächst ein schwacher Strahl fahl grünen Lichts in den Raum, der sich über das alte Mobiliar legte und es mit seiner gespenstischen Aura verschleierte. Tymaleaux starrte regungslos in den Schrank hinein, in die leeren Augenhöhlen der drei kristallenen Schädel, die feinsäuberlich auf einem Brett in seinem Inneren aufgereiht waren, perfekt geschliffen, perfekt geordnet.
Als sich das fahle Strahlen auf sein Gesicht legte, entsann er sich seiner Vergangenheit, er entsann sich der stinkenden, skatrischen Kneipen und der etlichen warmen Nächte, die er in nogronischen Bordellen verbracht hatte, seines glorreichen Feldzugs an Seiten Lemorgants, seines Hasses gegen die Ungerechtigkeit. Er erinnerte sich an seinen Aufstieg, an seinen Fall, an den Gestank von Erbrochenem, an den Hohn seiner alten Kameraden, wie ihm das Gelächter entgegenschallte, an ihr selbstgerechtes Getue, und fühlte, den Hass auf die Gerechtigkeit sein Herz verweben.
„Es ist egal“, hallte eine Stimme durch seinen Schädel, „wo du deine Glückseligkeit findest.“
Während seine Erinnerungen ihn durch längst vergangene Zeiten trugen, sah er, dass Ventro bereits den mittleren Schädel aus dem Schrank genommen hatte und nun zu ihm herüberhinkte. Plötzlich stand er genau vor ihm und drehte das Artefakt bedenklich in den Händen, sodass die leeren Augen nun vom Verräter wegstarrten. Stattdessen streckte sich ihm die schwere, ebenfalls von gespenstischen Strahlen umflochtene Kette entgegen.
„Nehmt, was Euch zusteht“, forderte Ventro.
„Nehmt die Macht eines Gottes!“, fügte Kelrayass hinzu.
Und er nahm.
Gierig langte er nach der Kette, legte sie sich in einer einzigen hastigen Bewegung um den Hals, verankerte geschickt die Scharniere in seinem Nacken, worauf ihn das gespenstische Licht selbst einhüllte. Blendend strahlte es durch seinen ganzen Körper, eine Flutwelle unbeschreiblicher Macht, deren Wogen bis in seine Fingerspitzen peitschten. Visionen rasten durch seinen Schädel, zeigten ihm Zukunft und Vergangenheit eines Menschen, der glorreicher war, als er selbst. Sie kündeten von der Bedeutsamkeit ihrer Sache, in der er nur ein Zahnrad war und dennoch eines, das die ganze Maschine zum Stoppen bringen konnte.
Machterfüllt hob er die Hände, ballte die Fäuste, ein Rausch, eine Sucht, die danach gellte, befriedigt zu werden. Schränke, Tische, Stühle, das gesamte Mobiliar ragte ihm entgegen und verlangte, von seiner göttlichen Macht zerschmettert zu werden. Er grabschte in das Feuer der einen Kerze, die auf Ventros modrigem Schreibtisch einen aussichtslosen Kampf gegen die Finsternis focht.
Die Flammen hüllten seine Finger ein und versengten sein Fleisch, ohne dass er Schmerz empfand, ohne dass sie ihm schadeten, denn als er sie wieder aus dem Feuer herauszog, verheilten seine Wunden innerhalb von Sekunden. Kelrayass betrachtete ihn und er glaubte, auf dem verzerrten Gesicht der Erscheinung sogar ein Lächeln erkennen zu können.
„Wie ich sehe, seid Ihr zufrieden“, sprach der Geisterhafte.
„Ja, Meister…das bin ich“, versicherte Tymaleaux gedehnt.
„Sehr schön“, lobte Kelrayass, „Aber nun hört mir zu!“
„Während Ihr, Tymaleaux, nach dem Trupp Ferrens sucht, werdet Ihr, Ventro, mit der Belagerung und Zerstörung Galors beginnen.“
Der alte Mann wandte sich seinem Meister zu, wobei eine Mischung aus Hohn und Ãœberraschung aus seinem eingefallenen Gesicht starrte.
„Galor?“, fragte er unsicher, „Warum sollten wir Galor noch zerstören, jetzt wo wir wissen, dass er nicht dort ist.“
„Galor spielt eine wichtige Rolle in unseren Plänen und ist in vielerlei Hinsicht unsere Rückversicherung. Außerdem hatte dieser Idiot Navaras einmal Recht, als er sagte, man müsse die Orks dezimieren, damit wir diesen Kontinent nach dem Fall der Allianz in Griff haben.“
„Wie Ihr meint, Meister“, knurrte Ventro, „Was soll ich tun?“
„Das sagte ich bereits“, zischte die Erscheinung, „Vernichtet Galor! Ich habe vollstes Vertrauen in Eure Fähigkeiten. Beruft den Kriegsrat ein, schickt die Orks und Navaras Männer an die Front, sorgt dafür, dass so viele wie möglich von ihnen sterben.“
„Ich werde tun, was von mir verlangt wird“, versicherte der Alte.
„Sehr schön, ich werde derweil…“, Kelrayass‘ Worte verhallten, worauf sein Seelensplitter regungslos verharrte.
„Was ist los, Meister?“, erkundigte sich Ventro erwartungsvoll, während Tymaleaux unverwandt auf die Erscheinung starrte.
„Ich fürchte, entdeckt worden zu sein…ich werde euch wieder kontaktieren, sobald es mir möglich ist. Befolgt meine Befehle!“, noch während er sprach, begann sein Seelensplitter zu verblassen, bis er gänzlich verschwunden war.

Ilar starrte in den sternenbehangenen Himmel, der sich auf dem ruhigen, vollkommen glatten See widerspiegelte, dass es wirkte, als ruhten hunderte silberne Schätze in dem stillen Gewässer. Selbst die spätesten Vögel hatten sich zur Nachtruhe begeben und den Grillen schien das Klima in der Gegend zu missfallen, denn es herrschte Stille, sofern man von dem leisen Schnarchen absah, das von Zeit zu Zeit durch die geweißten Gemäuer hallte.
Der Magier spazierte durch die Ruinen der gewaltigen Bauten, die verfallenen Kreuzgänge und die eingestürzten Türme, begleitet vom Funkeln der Sterne
„Glotzt mich nicht an!“, zischte er, während er weiter zog, wohl wissend, dass er seine Wache eigentlich am Eingang des alten Kasinos halten sollte, in dem die meisten seiner Kameraden schliefen.
„Hier ist sowieso niemand außer den verfluchten Sternen“, dachte er, „Wieso sollte ich da auf dem scheißkalten Stein rumsitzen? Vielleicht haben die Plünderer noch etwas Wein übergelassen…“
Mit diesem Einfall zog er weiter in Richtung des Waldrandes, vor dem ein Gebäude aus dem Boden ragte, das er seiner Größe und Bauart nach für ein Lagerhaus hielt. Ein gewaltiger, pechschwarzer Brandfleck, der auf der Außenmauer klaffte, kündete davon, dass die Thanatoiker bei der Schändung dieses Ortes auch davor nicht haltgemacht hatten.
Der Magier blickte tief in den geschwärzten Stein, in den das Feuer bizarre Formen geschmolzen hatte, sodass es für einen Moment wirkte, als würden ihn verzerrte Fratzen und diabolische Mienen aus dem Ruß heraus anstarrten. Er stand regungslos da, während er der Geschichte lauschte, die die geschmolzene Mimik über Zerstörung und Hass erzählte.
„Ich bin zu müde! Verschissene Nachtwache!“, harschte er sich an, worauf er einen letzten Blick in die finstere Wand des Waldes warf, die sich hinter dem Gebäude aufbäumte. Anschließend wandte er sich ab, blickte auf das im Sternenlicht ruhende Refugium und machte sich auf den Weg zurück zum Kasino. Er hatte kaum zwei Schritte auf dem geweißten Pflasterweg getan, als ein markerschütternder Schmerzensschrei ihn einholte und ihn wie eine Flutwelle niederschmetterte. Gebeugt wirbelte er herum, wobei er so auf einen Angriff gefasst war, dass feurige, magische Funken aus seinen Fingerspitzen rieselten.
Doch er starrte nur der undurchdringlichen, schwarzen Wand entgegen, die der Wald am Ende des Weges aufzog wie ein eiserner, eisiger Vorhang. Er wusste nicht wie lange er hineingestarrte hatte, als ihm plötzlich auffiel, dass dort noch mehr lauerte als die blanke Schwärze. Ein kaltes, gespenstisch grünes Licht sickerte durch die Reihen der Bäume, schwach und weit entfernt, umringt von der eisigen Dunkelheit.
„Scheiße, Mann!“, keuchte Ilar, als er es sah, drehte sich um und rannte.

Ferren war bereits wach gewesen, bevor ihn die außerordentlich kräftigen Hände des Magiers am Kragen packten und durchschüttelten. Ilars Schritte auf dem blanken Stein waren wie Glockenschläge durch das Kasino gehallt, was ihn, Slemov und Ariona sofort geweckt hatte.
„Wacht auf, Leutnant, wacht auf, verdammt!“, brüllte Ilar ihm entgegen, wobei ihn der Hauch skatrischen Brandweins fast wieder in die Traumwelt zurückbeförderte.
„Ich bin wach“, keuchte Ferren durch den Dunst, „Was ist los?“
„Ich hab einen Schrei gehört, einen Schrei aus dem verschissenen Wald und da war dieses Licht…“
„Ihr seht doch Gespenster…“, gähnte Ariona übellaunig.   
„Was für ein Licht?“, erkundigte sich der Leutnant.
„Keine Ahnung…so ein verfluchtes, kaltes Leuchten…grün war es, ja grün, verdammt!“, fauchte Ilar.
„Ja, fahl grün“, bestätigte Janus, der ungesehen am Ende der Halle erschienen war, was Ferren verwunderte, da er, Baraj und Truzos in einer Kapelle etwas weiter östlich im Refugium geruht hatten, „Ich habe den Schrei ebenfalls gehört und sah das Licht im Wald, aber es hat sich entfernt. Ich habe Truzos und Baraj geweckt, sie sollten bald hier sein.“
Wie der Mönch angekündigt hatte, trafen ihre Kameraden wenig später ein, wobei ihre Gesichter durchaus nicht verheimlichten, was sie von ihrer Situation hielten.
„Ein Angriff?“, erkundigte sich Baraj.
„Nein, nur ein Schrei, soweit wir wissen“, dementierte Ferren.
„Vielleicht kommt da noch was“, vermutete Slemov.
„Wäre ziemlich dämlich, uns vor einem Angriff derart zu warnen“, entgegnete Truzos.
„Ja, das klingt eher nach einer Falle“, stimmte Janus zu.
„Oder es ist irgendein perverses Spiel dieser kranken Schwarzmagier“, warf Ariona ein.
„Fest steht, wenn wer geschrien hat, war da auch jemand“, sagte Slemov.
„Da hat jemand geschrien, verflucht nochmal. Wie ein verdammtes, abgestochenes Schwein“, fluchte Ilar.
„Sehen wir doch nach“, schlug Ariona vor.
„Schwachsinn!“, blaffte Truzos, „Damit rennen wir denen direkt in die Arme. Geht ruhig, wenn Ihr wollt, aber ich bleibe hier.“
„Wir werden alle hier bleiben“, sagte Ferren so laut, dass er sowohl das Gemurmel als auch die Zweifel seiner Kameraden übertönte, „Wir bleiben alle hier, in diesem Raum, mit stetig zwei Mann als Wache. Morgen früh können wir immer noch nachsehen, was sich da draußen ereignet hat.“
„Das ist richtig“, stimmte der Mönch zu.
„Klingt nach einem Plan“, brummte Baraj.
Um die erste Nachtwache hätte man sich streiten müssen, denn alle waren noch auf den Beinen und schienen nach der Aufregung der letzten Minuten jeder Müdigkeit beraubt, weshalb Ferren die Wächter notgedrungen selbst bestimmte.
„Schlafen? Jetzt?“, hörte er Truzos verächtlich murmeln, während er sich selbst zu seinem Lager zurückbegab, wobei er an Slemov und Ilar vorbeiging, die mit einer Flasche orkischen Brandweins hantierten.
„Sollen sie es nehmen, wie sie wollen“, dachte er, „Ich werde mich wieder hinlegen.“
Und so ließ er sich auf seine Bastmatte fallen, um all den Gedanken zu entkommen, die sich in seinem Kopf verflochten.
Schon plagten ihn Zweifel über seine Entscheidung, bei der Einteilung der Nachtwachen.
„Ich hätte Ariona schlafen lassen sollen“, pflügte es durch seinen Schädel, „Sie ist nur eine Novizin und das alles nicht gewohnt. Das Marschieren nimmt sie sehr mit.“
„Du weißt ganz genau, warum du ihr den Gefallen tun willst“, schallte eine vor Kritik triefende Stimme zurück, „Hier geht es nicht um ihre Erschöpfung, sondern um deine Gefühle! Das ist falsch! Du bist Offizier, du musst dich davon trennen, du musst das ablegen.“
„Ablegen…“, die Worte des Herolds auf dem Schafott in den skatrischen Bergen echoten aus blutigen Erinnerungen:
„Eure Triebe sind Schwäche! Legt sie ab! Die Schwachen erwartet das Inferno! Legt sie ab, oder fallt in die Schwärze!“
„In die Schwärze…“
Der Schlaf umhüllte ihn sanft und trug ihn mit wiegender Hand aus der eisigen, eisernen Realität hinaus.
Er schlief traumlos und tief, bis Baraj ihn als Bote des anbrechenden Tages mit stählerner Stimme aus der wohligen Umarmung riss. An diesem Morgen brauchte selbst er lange, um sich aus den Nachwirkungen des Schlafes zu kämpfen, sodass sich die Welt um ihn herum nur sehr langsam aufklarte. Verschwommen lag das Kasino vor ihm, in dem die fahlen Figuren seiner Kameraden auf dem Boden saßen, sich leise unterhielten oder von ihren kümmerlichen Vorräten aßen. Sein Blick ruhte nur für eine Sekunde auf der Szenerie, bevor er sich dem Nogroner zuwandte, den er damit beauftragte, Slemov und Janus zu ihm zu schicken.
Da Baraj sofort gehorchte und auch die anderen beiden nicht zögerlich waren, sah sich Ferren alsbald seinen gesuchten Kameraden gegenüber.
„Bruder“, begann der Leutnant, „ich werde in der nächsten Viertelstunde mit Slemov und Ilar in den Wald aufbrechen…ihr wisst ja warum. Nun, was ich sagen will: Ich übertrage Euch während meiner Abwesenheit den Befehl. Sollten wir bis Mittag nicht zurück sein,  zieht Ihr weiter…und sucht nicht nach uns.“
„Sir, meint Ihr wirklich…“, murmelte der Mönch.
„Ja, das ist die sicherste Lösung“, entgegnete Ferren sofort, um sich anschließend dem Skatrier zuzuwenden, „Erklärt Ilar, worum es geht! Wie gesagt, ich will in einer Viertelstunde aufbrechen.“
„Natürlich“, bestätigte Slemov, worauf er und Janus sich entfernten.
Sie hatten sich gerade umgedreht, als Ariona bereits an ihnen vorbei zog, direkt auf den Leutnant zu.
„Du lässt mich hier zurück?“, flüsterte sie scharf, wobei ihr Gesichtsausdruck davon kündete, dass sie jedes einzelne seiner Worte gehört und mit größtem Argwohn aufgefasst hatte.
„Ariona, ich…“, stammelte Ferren.
„Mein magisches Talent ist größer als Ilars! Warum nimmst du ihn an meiner Stelle mit?“
„Es ist die beste Lösung, wenn…ich kann Ilar doch schlecht hier mit Truzos und Baraj zurücklassen.“
„Aber mich?“, blaffte sie.
„Verdammt Ariona!“, es fiel ihm schwer diese Worte so leise zu sprechen, dass die anderen ihn nicht hören konnten, „Der Erlöser weiß, was gestern Nacht in diesem Wald war. Schwarzmagier, wenn man Ilar und Janus glauben kann, und das tue ich. Ich will dich da nicht mit rein schleppen.“
„Aber du gehst. Du gehst ohne mich. Was ist, wenn Ilar dich nicht schützen kann? Wenn ihr nicht zurückkommt? Dann bin ich alleine mit Truzos und Baraj und…“
„Ich komme zurück, das verspreche ich“, erwiderte er.
„Pah“, höhnte sie, „Das haben schon so viele Leute gesagt. Sie alle haben große Reden geschwungen. Was hat es ihnen gebracht? De Nord sprach von der Unsterblichkeit, bevor wir Galor verließen. Jetzt ist er tot!“
„Bitte...“, flehte Ferren, während er in ihre bernsteinernen Augen starrte, die plötzlich eisig und stählern wirkten, „vertrau mir einfach.“
„Ich…“, begann Ariona, bevor sie von Slemov und Ilar unterbrochen wurde, die gerade zu ihnen gestoßen waren.
„Wir wären so weit, Sir“, vermeldete Slemov.
„Ja, verschissen bin ich soweit, auf mein eigenes Begräbnis zu gehen. Verfluchte Scheiße!“, maulte Ilar.
„Schön. Gehen wir!“, knurrte Ferren und zog schnurstracks an Ariona vorbei, dass die beiden Skatrier gar nicht hinterherkamen.
„Ferren“, rief sie ihm nach, „Ja, ich…vertraue dir.“
Seine Schritte wurden langsamer, sein Atem flacher, der eiserne Knoten in seinem Herzen löste sich und das Brennen in seinen Fingernägeln strömte nunmehr als eine wohlige Wärme durch seinen Körper.
„Ja“, dachte er, als er gefolgt von Ilar und Slemov das Kasino verließ, „Ich werde zurückkehren.“

Herzog Jean Montierre war im sonst menschenleeren Beratungssaal der ledrianischen Botschaft tief in seinen Sessel gesunken, so geschwächt von der Müdigkeit, dass er sich in die Lehne krallen musste, um überhaupt noch auf den Tisch und die Pläne blickten konnte, die sich darauf stapelten.
Eine weitere Nacht war einfach so dahingezogen, war verklungen zwischen Truppenzahlen, den Zeilen toter Chronisten, den Worten von Kriegsberichten. Einzig die Narbe der Müdigkeit, die sie in Montierres Körper geschlagen hatte, kündete davon, dass es diese Nacht wirklich gegeben hatte.
Eine jähe Ãœbelkeit kroch seine Kehle herauf, worauf er hastig nach der dunkeln Weinflasche tastete, die ein kleines Stück von ihm entfernt auf dem Tisch ruhte. Durch den Schleier der Müdigkeit stießen seine Finger gegen etwas filigranes, gläsernes, das ihnen sogleich entglitt und mit einem lauten Scheppern zu Boden fiel. Als sich Scherben über seine schweren Stiefel ergossen und ein paar letzte Weintropfen in das vergilbte Pergament eines Schlachtberichts flossen, realisierte er, dass er sein Glas vom Tisch gestoßen hatte. Unbeirrt langte er nach der Flasche und goss den kümmerlichen, dunklen Restinhalt in seinen Hals, wo der liebliche Geschmack die Ãœbelkeit davonflutete. Schwer atmend rieb er sich die Augen, ohne dass seine Sicht dadurch klarer wurde, während seine Gedanken einen wirren Tanz in seinem Kopf vollführten. Aus Zahlen und Namen entstiegen Orks und Menschen, die sich gegenseitig die Köpfe einschlugen, Nekromanten, umschlungen von ihrer sinisteren Magie, unsterbliche Krieger…
„Unsterbliche Krieger“, hallte es aus seinem Mund, wobei ihm wieder klar wurde, was ihn die ganze Nacht über wach gehalten hatte. Ein Chronist hatte von der Schlacht bei Valgors Grad, hoch im nördlichen Gebirge berichtet, bei der ein Kämpfer gesichtet worden war, dem Klingen und Pfeile nichts anhaben konnten. Ein leuchtender Kristallschädel habe um seinen Hals gehangen, hieß es in dem Bericht.
Montierre musste sich jedoch eingestehen, dass er trotz seiner nächtlichen Recherche kaum etwas über diesen unheimlichen Kämpfer wusste, zumal es kaum Berichte aus dem Norden gab, da die Orks bei ihrer Invasion einen Keil zwischen die nördlichen und die südlichen Provinzen getrieben hatten.
Er wusste nicht einmal, ob die Feste Winterbruch, der man die Uneinnehmbarkeit nachsagte, gefallen war oder noch standhielt. 
„Außerhalb der Stadt“, stellte er fest, „endet der gesamte Kosmos…“
In einem erneuten Anfall von Müdigkeit sank er rücklings in den Sessel und er wäre sicherlich sofort eingeschlafen, hätte nicht in ebenjenem Moment ein lautes Klopfen an der schweren Doppeltür die Stille im Saal zerrissen.
„Herzog Montierre…seid Ihr dort drin?“, die Stimme Amelies, der hübschen Empfangsdame, hallte dumpf durch das dicke Holz.
„Ja…“, Jean unterdrückte ein Gähnen, „ich bin hier. Kommt ruhig rein.“
Langsam schoben sich die schweren Flügel der Tür auseinander, wobei es der zierlichen Frau sichtlich schwer fiel, sich gegen das massive Holz zu stemmen. Letztlich gelang es ihr jedoch, sich in ihrem schlichten, aber hübschen, lachsfarbenen Kleid durch den Spalt in den Beratungsraum zu zwängen. Als sie den Herzog sah, weitete sich ihr Gesicht vor Entsetzten, welches sich in Betretenheit wandelte, nachdem sie feststellte, dass ihm dies durchaus nicht entgangen war.
„Verzeiht, Herzog, aber Ihr seht…“, begann sie.
„Furchtbar aus…ich weiß“, unterbrach er, wobei er gerade noch ein Lächeln auf seinen blassen Lippen zustande brachte.
„Habt Ihr…schon wieder die ganze Nacht?“, fragte sie leise.
„Ja“, entgegnete er knapp, „Was gibt es denn?“
„Die xendorische Prinzessin, sie hat sich für zehn Uhr angemeldet“, erklärte Amelie, „Deshalb suchten wir auch nach…“
„Filiana!“, kreischte Montierre, der plötzlich wie vom Donner gerührt, kerzengerade in seinem Sessel saß, „Ich…sie…nicht jetzt!“, er verharrte plötzlich in seinem Stammeln, atmete einmal tief durch und fuhr etwas ruhiger fort, „Wie lange noch, bis sie hier ist?“
„Eine Viertelstunde, Herr. Ich wollte es Euch früher sagen, aber ich habe Euch nicht…“
„Nicht gefunden, verstehen“, murmelte er, den es vom Stuhl gehoben und zum Umherwandern getrieben hatte, „Bei Iurion, ich sehe grässlich aus. Ich kann doch so nicht die Prinzessin empfangen, das...ist unmöglich.“
„Das ist leider nicht alles. Vigard und Hauptmann Raham bitten ebenfalls um eine Audienz“, berichtete Amelie fast verlegen.
„Vigard…Raham, ich…wie soll ich das nur alles schaffen? Verdammt, wo ist nur die Nacht geblieben?“, stammelte der Herzog.
„Soll ich Azurgeist bringen lassen?“
„Azurgeist…“, murmelte Montierre, „Ja, ja! Bringt Azurgeist und eine Schale, eine Schale mit Wasser und, und Lavendel, ach nein, nein…Jasminöl, ja genau das.“
„Azurgeist, Wasser und Jasminöl, Sir?“, erkundigte sich die Empfangsdame noch einmal.
„Richtig, und schnell, bitte.“
„Natürlich, edler Herr“, gab sie zurück, worauf sie sich sofort verbeugte, umdrehte und zur Tür hinausstürmte. Gedämpft hallte ihre Stimme zu Jean, als sie draußen Dienern Anweisungen erteilte, während er darum kämpfte, in ihrer Abwesenheit nicht einzuschlafen. Verbissen krallte er sich in die Sessellehne und starrte verklärt in das dunkelgrüne Glas der leeren Weinflasche, die sein verzerrtes Spiegelbild zeigte. Eine blasse Fratze, der die dünnen Haare in der Stirn klebten und aus der ermattete Augen starrten. Langsam versank er in den grotesken Schattierungen, die Dunkelheit umfing ihn, er sank in die einladend weichen Polster seines Sessels, seine Augenlider klappten nach unten, das Spiegelbild wurde von der Schwärze verschluckt.
„Herzog!“, wie ein Donner schallte Amelies Stimme heran und ließ seine Lider augenblicklich zurückschlagen. Das Spiegelbild starrte aus dem Flaschenglas zurück, band seinen Blick für eine Sekunde an sich, bevor er sich mühsam zur Tür wandte, von der ihm die Empfangsdame bereits entgegen kam, gefolgt von zwei Dienern, die eine silberne Schale mit Wasser und ein Flakon mit Jasminöl trugen. Sie selbst jedoch hielt vorsichtig und um den Wert ihres Inhalts wissend eine kleine, halbvolle Phiole in der Hand, aus der das azurblaue Leuchten hell strahlte, dass sich seine Augen weiteten.
Die drei Ankömmlinge stellten ihre Gaben auf dem Tisch vor ihm ab, verbeugten sich und entfernten sich wieder, während er bereits nach der Phiole langte, sie mit zittrigen Händen entkorkte und den Inhalt in seinen Rachen goss.
Wie eine Sturmflut brach eine Welle der Macht über Körper und Geist hinweg, fegte jede Müdigkeit, jede Schwäche davon, raste durch seine Venen, spannte seine Muskeln, zerriss den Schleier der Verschwommenheit.
Klar sah er vor sich das Wasser, in das er sein Gesicht tauchte, um die letzten Hinterlassenschaften der schlaflosen Nacht davon zu spülen. Das Jasminöl übertönte derweil mühelos die Gerüche seines ungewaschenen Körpers.
„Noch ein wenig Zeit, zu warten“, sagte er sich, streckte sich und lehnte sich anschließend zurück an das weiche Polster des Sessels.

„Wir kehren nie zurück. Nie, nie, verdammte Scheiße“, fluchte Ilar, wobei er wutentbrannt den Saum seiner Robe aus einem Dornengestrüpp zerrte, „Wenn uns die Schwarzmagier nicht erledigen, dann dieses verschissene Mistzeug hier.“
„Ruhe!“, harschte Ferren ihn beiläufig an, während er weiter in den Wald starrte, der wesentlich dichter war, als es von außen den Anschein gemacht hatte. Ãœberall rankten sich Dornenbüsche, wucherte hohes Gras, schlängelten sich Äste und alles lag unter einem blutrot, braunen Schleier des Herbstlaubs. Dennoch hatte der Leutnant das Gefühl, als würden zwischen all den Blättern, Ästen, Stämmen und Büschen etliche finstere Augenpaare starren.
„Ich will ja nichts sagen“, murmelte Slemov, „Aber zu glauben, dass wir hier in einen Hinterhalt tappen würden, wäre ziemlich dämlich. Wir wären doch niemals so tief in diesen unwegsamen Wald eingedrungen.“
„Scheißwald“, zischte Ilar, der sich erneut verfangen hatte, „Ich könnte kotzen, das…“, er stockte, „Verdammte Scheiße!“
„Was denn?“, Ferren hatte sich sofort dem Novizen zugewandt, der immer noch durch das Gestrüpp taumelte, seinen Blick jedoch von seiner dornendurchdrungenen Robe abgewandt hatte und stattdessen einige Bäume anglotzte, die sich etwa fünfzig Meter zu seiner Rechten aus dem Waldboden erhoben.
Er schob sich an einer Buche vorbei, um besser sehen zu können, und sein Blick fiel sofort auf das, was bereits Ilar gebannt hatte. Die linke der drei stolzen Eichen, die dort über dem Gebüsch thronten, war zu einem pechschwarzen Schlot aus Asche verkohlt worden, dass sie wie ein Mahnmal des Todes aus all dem Leben ragte, das sie umgab. Direkt unter ihr hatte etwas das gesamte Gestrüpp in einem perfekten, rußschwarzen Kreis versengt, weshalb sich dort nur noch verbrannte Erde befand, in deren Mitte ein grauenhaftes Objekt umringt von toter Natur lauerte. Aus einer schimmernden, dunklen Masse reckten sich versengte Knochen triefend von eingeschmolzenem, nachtschwarzem Fleisch zum milchigen Himmel. Über dem unerkenntlichen Torso thronte eine vollkommen entstellte Fratze, aus deren verkohlter Haut ein letzter Ausdruck tiefsten Grauens sprach.
„Das ist heftig“, murmelte Slemov betreten.
„Scheiße!“, fluchte Ilar, der sich endlich von allen Dornenpflanzen befreit hatte, sodass er nun im Rußkreis direkt neben der Feuerleiche stand, „Das soll mal ein Mensch gewesen sein?“
„Das“, begann Ferren unheilvoll, bevor er sich hinunterbeugte und einen kohleüberzogenen Gegenstand aus dem toten Fleisch zog, „war einer von uns.“
„Von uns?“, Slemov trat neben ihn, um das Objekt besser sehen zu können. Es schien eine flache, handtellergroße Metallscheibe zu sein, deren Kanten das Feuer eingefressen hatte, womit es seine einstige Form zu einem entropisch anmutenden Klumpen verzerrt hatte. Unter der pechschwarzen Asche, die es wie ein Mantel überzog, waren schemenhaft zwei Buchstaben zu erkennen. Ein versengtes G verschlungen mit einem nicht weniger deformierten A.
Trotz der Veränderung, die das Objekt erfahren hatte, wussten die drei Kundschafter genau, worum es sich handelte.
„Ein Abzeichen Galors“, echote es aus dem Mund des Skatriers.
„Einer unserer Assassinen“, stimmte der Leutnant zu.
„Was beim stinkenden Erlöser hatte der hier zu suchen?“, blaffte Ilar.
„Keine Ahnung“, flüsterte Ferren, „Ich mache mir eher Sorgen darum, wie er so enden konnte.“
„Das stinkt nach schwarzer Magie“, zischte der Novize.
„Ihr riecht das?“, erkundigte der Offizier sich.
„Natürlich nicht!“, schallte es zurück, „Aber ganz ehrlich, diesen kranken Mist bringt nicht irgendein normaler Magier zustande.“
„Seid Ihr sicher?“
„Natürlich, bin ich sicher, verdammt!“
„Mit Verlaub gesagt, Sir“, wandte Slemov ein, „Wenn dieser Kerl hier noch rumlungert, sollten wir besser verschwinden.“
„Schon klar“, erwiderte Ferren, wobei er das versengte Insignie in seine Tasche gleiten ließ, „Gehen wir!“
Somit wandten sie sich von der finsteren Szenerie ab, die das Feuer sowohl in die Natur als auch in ihre Seelen fressen hatte, und kehrten zurück in das dornendurchwachsene Dickicht des dichten Waldes.

Als seine Gäste eintrafen, war Herzog Jean Montierre nicht mehr mit jener halbtoten Figurine vergleichbar, die sich vor kaum einer Viertelstunde von der Müdigkeit ummantelt in ihrem Sessel wiedergefunden hatten. Er saß kerzengerade in seinem Lehnsessel, von wo aus er erwartungsvoll auf die mächtige Flügeltür starrte, die im leichten Windzug, der durch die Halle zischte, leise knarrte.        
Dann erschallten gedämpft durch das dicke Holz der Tür die Schritte mehrerer Personen auf dem marmornen Boden der Eingangshalle, welche alsbald von leisen Stimmen begleitet wurden. Doch nur eine drängte sich aus dem unterschwelligen Gemurmel klar, gutmütig, sanft, wie sie war, in die Ohren des Herzogs und kündete von der Ankunft Filianas. Verträumt schloss er die Augen, um ihr einen Moment lang angestrengt zu lauschen, bevor die Tür mit lautem Knarren geöffnet wurde und grelles Licht in den Saal flutete.
Als er die Augen wieder öffnete, glitt die Prinzessin bereits in den Raum, wohingegen ihr Gefolge auf der Schwelle zurückblieb.
Lediglich Amelie trat ebenfalls darüber, verbeugte sich vor dem Herzog, um ihm anschließend kurz zu berichten, dass Vigard und Raham zwar bereits eingetroffen seien, sich aber gerne dazu bereit erklärt hätten, das Gespräch des Herzogs mit der Prinzessin abzuwarten.
„Ich hoffe, sie nicht allzu lange warten lassen zu müssen“, versicherte der Herzog sofort, worauf sich Amelie erneut verbeugte, bevor sie den Raum ebenfalls verließ und die Tür hinter sich schloss.
Augenblicklich wandte Montierre seinen Blick vom starken Holz der Tür zu der wundervollen, filigranen Gestalt der Prinzessin, was ihm ein jähes Lächeln entlockte.
„Guten Morgen, Filiana“, grüßte er freundlich.
„Jean…“, sagte sie gedehnt, „schön dich zu sehen.“
„Die Ehre ist ganz auf meiner Seite“, versicherte der Herzog, bevor er auf den Sessel auf der gegenüberliegenden Seite des Tisches deutete, „Bitte, setz dich doch.“
„Oh, natürlich“, gab Filiana zurück, worauf sie sich, umschlungen von ihrem blassgrünen Seidenkleid in Bewegung setzte. Doch schon beim ersten Schritt wusste Montierre, dass sie sich nicht auf dem Platz niederlassen würde, zu dem er gewiesen hatte, sondern auf den Stuhl direkt neben ihm. Eine Welle der Wärme hüllte ihn ein wie der sengende Wüstenwind, als sie sich setzte, und brandete auf seiner blassen Haut. Für einen Moment ertappte er sich dabei, seinen Kopf zu einem Schulterblick zu drehen, um nachzusehen, ob dort nicht de Nord hinter ihm stand und mit spöttischer Miene auf ihn herabblickte.
„Dort ist nichts…und nichts ist verwerflich. De Nord ist da, wo er sein wollte, eben wie du nun dort bist, wo du sein willst“, sagte er sich, während seine Lippen sich zu einem weiteren Lächeln formte.
„Was verschafft mir die Ehre deines Besuchs?“, erkundigte er sich.
„Ach, ich…“, sie senkte den Kopf, sodass sie auf die Schlachtpläne starrte, „ich wollte dich einfach mal wieder sehen. Du hast in den letzten Tagen kaum einen Schritt aus diesem Gebäude gesetzt. Immer wenn sich ein Ledrianer zur Audienz anmeldete, habe ich gehofft, du seist es, aber stets sah ich nur Gesandte und Laufburschen.“
„Ja, ich…verzeih“, seufzte er tief,  „ich hätte dich gerne gesehen, aber es ist…“, er deutete mit seiner bleichen Hand, unter deren Haut fahlblaue Adern pochten auf die Dokumente, die sich auf dem Tisch stapelten, „ich habe einfach keine Zeit mehr. Seit de Nord weg ist und ich zum Hochgeneral Galors ernannt wurde, werde ich überall gebraucht, muss mich um tausend Sachen kümmern. Ich zermartere mir den Kopf über Dinge, die der Marquis mit einem Handwink entschieden hätte…ich hadere mit mir selbst…ich“, er stockte, „ich kann das alles nicht alleine tun.“
„Aber das musst du doch nicht“, raunte die Prinzessin, „Wer würde das verlangen? Es gibt doch sicher etliche Leute, die dir assistieren können, dir assistieren wollen.“
„Oh ja“, lachte Montierre bitter, „davon gibt es reichlich. Sie drängen sich mir geradezu auf, aber…aber woher soll ich wissen, dass hinter ihrem netten Lächeln, ihren guten Ratschlägen nicht schon die Triebe das Verrats wuchern? Ich…ich brauche Hilfe, ja. Aber wem soll ich vertrauen?“, eine einzelne Träne rann aus seinem Auge, als er Filiana fragend anblickte. Der Wind strich leise durch ihr kupferrotes Haar, das sie zu einem Zopf zusammengebunden hatte, das Licht fiel durch die schmalen, kristallgläsernen Fenster und funkelte in ihren smaragdgrünen Mandelaugen. Langsam

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Über den Autor

Crawley
Wer wäre ich hier, wenn nicht jemand, der seinen Visionen ein Zuhause geben will?
Tue ich das gerade nicht, studiere ich Rechtswissenschaften und bemühe mich, nicht gleich jedes damit verbundene Klischee zu erfüllen (letzteres womöglich nur mit mittelmäßigem Erfolg), oder fröne in irgendeinem Pub meinen Lastern.

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Crawley Re: Guter Einstieg -
Zitat: (Original von Maire am 15.05.2013 - 10:28 Uhr) Neugierig gemacht von deinem Klappentext habe ich gestern Abend noch den Prolog gelesen. Was soll ich sagen? Wenn beim Lesen der ersten Sätze das Kopfkino anspringt, hat der Autor alles richtig gemacht. Ich war sofort in der Geschichte drin , konnte mir alles ganz genau vorstellen und war am Schluss des Prologes sogar ein wenig traurig, dass Pietro seine Perle nicht bekommt. Also alles genau so wie es sein sollte, um einen Leser an eine Geschichte zu binden. Ich werde auf jeden Fall noch weitere Kapitel lesen. Die Sterne Bewertung lasse ich mir deshalb noch offen. :-)


Dann danke ich für den Kommentar und wünsche viel Spaß bei den weiteren Kapiteln.

LG
Crawley
Vor langer Zeit - Antworten
Maire Guter Einstieg - Neugierig gemacht von deinem Klappentext habe ich gestern Abend noch den Prolog gelesen. Was soll ich sagen? Wenn beim Lesen der ersten Sätze das Kopfkino anspringt, hat der Autor alles richtig gemacht. Ich war sofort in der Geschichte drin , konnte mir alles ganz genau vorstellen und war am Schluss des Prologes sogar ein wenig traurig, dass Pietro seine Perle nicht bekommt. Also alles genau so wie es sein sollte, um einen Leser an eine Geschichte zu binden. Ich werde auf jeden Fall noch weitere Kapitel lesen. Die Sterne Bewertung lasse ich mir deshalb noch offen. :-)
Vor langer Zeit - Antworten
Crawley Re: -
Zitat: (Original von EagleWriter am 14.05.2013 - 20:46 Uhr) Bin jetzt etwa zu... einem viertel durch und bisher gefällt mir die Geschichte doch ganz gut. Du hast wirklich ein Talent. ich nenne es mal mit Worten Bilder malen. Besonders an den düstereren Stellen kommt das doch sehr gut rüber.


Klingt gut. Wie immer danke fürs Lesen, Bewerten und Kommentieren.

LG
Crawley
Vor langer Zeit - Antworten
EagleWriter Bin jetzt etwa zu... einem viertel durch und bisher gefällt mir die Geschichte doch ganz gut. Du hast wirklich ein Talent. ich nenne es mal mit Worten Bilder malen. Besonders an den düstereren Stellen kommt das doch sehr gut rüber.
Vor langer Zeit - Antworten
EagleWriter Re: Re: -
Zitat: (Original von Crawley am 17.03.2013 - 20:00 Uhr)
Zitat: (Original von EagleWriter am 17.03.2013 - 19:58 Uhr) Muss mal sehen, wann ich Zeit finde, die Geschichte komplett zu lesen. Hatte ja schon mal ein paar Kapitel gelesen aber dann irgendwann vergessen wo ich war.
lg
E:W


Ah jo...ist eines meiner älteren Werke. Ich habe lange überlegt, ob ich es überhaupt als Komplettfassung hochladen soll. Schätze die 638 Seiten dürften auf die meisten ziemlich abschreckend wirken.


Na ich finds praktisch, kann mir das ganze dann einfach auf den Reader ziehen
Vor langer Zeit - Antworten
Crawley Re: -
Zitat: (Original von EagleWriter am 17.03.2013 - 19:58 Uhr) Muss mal sehen, wann ich Zeit finde, die Geschichte komplett zu lesen. Hatte ja schon mal ein paar Kapitel gelesen aber dann irgendwann vergessen wo ich war.
lg
E:W


Ah jo...ist eines meiner älteren Werke. Ich habe lange überlegt, ob ich es überhaupt als Komplettfassung hochladen soll. Schätze die 638 Seiten dürften auf die meisten ziemlich abschreckend wirken.
Vor langer Zeit - Antworten
EagleWriter Muss mal sehen, wann ich Zeit finde, die Geschichte komplett zu lesen. Hatte ja schon mal ein paar Kapitel gelesen aber dann irgendwann vergessen wo ich war.
lg
E:W
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