Science Fiction
XR46 - Eine neue Welt

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"XR46 - Eine neue Welt"
Veröffentlicht am 16. August 2012, 98 Seiten
Kategorie Science Fiction
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Über den Autor:

Wer wäre ich hier, wenn nicht jemand, der seinen Visionen ein Zuhause geben will? Tue ich das gerade nicht, studiere ich Rechtswissenschaften und bemühe mich, nicht gleich jedes damit verbundene Klischee zu erfüllen (letzteres womöglich nur mit mittelmäßigem Erfolg), oder fröne in irgendeinem Pub meinen Lastern.
XR46 - Eine neue Welt

XR46 - Eine neue Welt

Beschreibung

Nachdem die Erde nahezu unbewohnbar geworden ist, sucht die Menschheit einen neuen Planeten, um ihn zu besiedeln. XR46 verspricht, ihre großartige neue Heimat zu werden, doch die Landung in der neuen Welt verläuft keinesfalls wie geplant. Ein kleiner Trupp um den strengen Offizier Albany soll den mysteriösen Vorkommnissen auf den Grund gehen und stellt sich dem unbekannten Planeten. (Noch unfertig. Weitere Kapitel sind in Arbeit)

Prolog

Daniel Lancaster war vor der gläsernen Scheibe erstarrte und glotze in die Schwärze des Weltraums, aus dessen Mitte diese erstaunliche blaue Kugel hervorbrach. Weiße Federwolken umhüllten ihre tiefen Ozeane, schattierten die Landmassen und die unberührten Urwälder.
Immer größer wurde sie, während das kleine Shuttle, in der sich befand, langsam näher kam. In Mitten des Alls nahm es sich wie ein winziges Spielzeug aus, dennoch war es geräumig genug, dass die drei Leute auf der Brücke problemlos Platz fanden.
„Wie lange noch bis zum Eintritt?“, verlangte der Mann auf der rechten Seite des Cockpits zu wissen, der von Daniel durch den Sitz des Piloten getrennt wurde.
Er ragte hoch vor der Scheibe auf, während die schwarze Uniform schneidig und streng über seine schmalen Schultern fiel. Über dem hohen, silberbestickten Kragen thronte ein hageres Gesicht, in dem ein Paar tiefer, giftgrüner Augen ruhte. Die schwarzen, gescheitelten Haare glänzten im Licht der Armaturen. Es handelte sich um Seth Albany, Führungsoffizier ihrer Mission.
„Etwa 14 Minuten“, antwortete Jan Emerson, der junge Pilot, dessen ebenfalls schwarze Uniform wesentlich weniger dekoriert war als Albanys.
„14 Minuten und 37, 86 Sekunden“, verkündete eine elektronische Männerstimme, während ein gesichtsloses grünes Hologramm auf den Armaturen aufploppte.
Argus, wie Daniel wusste, die Künstliche Intelligenz, die sie von der Erde hatten retten können.
„Ich, werde mich nach unten begeben und nach den anderen sehen. Geben sie mir fünf Minuten vor Eintritt Bescheid und halten Sie mich über eventuelle Schwierigkeiten auf dem Laufenden“, befahl Albany dem Piloten, bevor er sich zum Gehen wandte.
„Für mich sieht es nicht so aus, als würde es Schwierigkeiten geben“, entgegnete der blonde Emerson keck.
Albany schnellte auf der Stelle herum, seine Stimme klang scharf wie ein Rasiermesser:
„Drei Landungsschiffe und zwei Shuttles werden nicht vermisst, weil es keine Schwierigkeiten gab. Stellen sie sich darauf ein, dass nicht alles so läuft, wie geplant, Mr. Emerson!“
Er stiefelte davon, bevor der Pilot antworten konnte.
„Heute wohl mit dem falschen Fuß aufgestanden“, brummte Jan, nachdem der Offizier die Luke zum Cockpit hinter sich geschlossen hatte.
„Wenn es danach geht, steht er jeden Morgen mit dem falschen Fuß auf“, scherzte Daniel, dabei war ihm sehr wohl bewusst, was auf dem Spiel stand und warum Albany sich so verhielt.
Der blau weiße Ball, der dort vor seinen Augen in Mitten des schwarzen Alls hing, war die letzte Hoffnung der Menschheit, deren Planet sich zum Sterben neigte.  
Hier, etliche Lichtjahre von der Erde entfernt, hatte man XR46 gefunden, einen Planeten, der nach den Einschätzungen führender Wissenschaftler der Menschheit als neue Heimat dienen konnte, und so hatte sich eine gewaltige Flotte von Sternenkreuzern aufgemacht, um einen Großteil der Menschheit eben dorthin zu schaffen.
Nachdem die Flotte XR46 erreicht hatte, waren insgesamt fünf Ladungstrupps ausgesandt worden. Vor zwei Tagen nun war der Kontakt zum letzten abgebrochen und man hatte einen kleinen Trupp ausgesandt, um herauszufinden, was geschehen war.
Zu diesem Trupp, der unter Albanys Kommando stand, gehörte auch er selbst, ein Techniker, der eher zufällig in die Sache hineingerutscht war.
Als Himmelfahrtskommando verschrien, hatten sich abgesehen von Albany keine Freiwilligen gefunden, sodass das Flottenkommando schließlich zu dem Entschluss gekommen war, den Trupp eigens auszuwählen. Um zu verhindern, dass eine gute Freundin, die eine weitaus bessere Elektronikerin war als er, eingezogen wurde, hatte er sich darauf nachträglich freiwillig gemeldet.
Nun standen sie kurz vor dem Eintritt in die Atmosphäre von XR46 und er tat, was man im befohlen hatte, und sandte über einen Platinen besetzten Handschuh an seiner Rechten, der zugleich als Computer fungierte, einen Statusbericht an das Flottenkommando. Man hatte ihn ausdrücklich angewiesen, das alle fünf Minuten zu tun.
XR46 nahm mittlerweile die ganze Frontscheibe ein, unter der milchweißen Wolkendecke schimmerten seine gewaltigen Landmassen. Unweigerlich kam die Frage in ihm auf, was sie dort untern finden würden.
Er hatte sich stets gefragt, wie die Erde wohl vor dem Menschen ausgesehen hatte oder ob es noch anderes intelligentes Leben gab.
Möglicherweise, so dachte er, würde er es dort unten erfahren.
„Eintritt in die Atmosphäre in 5 Minuten“, vermeldete Argus.
„Ja, ja“, entgegnete Emerson genervt, „Halt’s Maul und sag Albany Bescheid.“
„Ihre Anfrage wird durchgeführt, Mr. Emerson“, erklärte das Hologramm, bevor es verschwand.
Fünf Sekunden später war Albany wieder im Cockpit.
„Geben sie die Anweisung, sich für den Eintritt bereit zu machen“, wies er den Piloten an, während Daniel sich bereits zu dem niedrigen Metall Sitz an der Seite des Cockpits begab. Er ließ sich in die bequemen Polster sinken und zurrte die Gurte fest, während der Offizier auf der anderen Seite das Gleiche tat.
„Eintrittsprotokolle werden ausgeführt“, verkündete Argus.
„Wir sollten Gott darum bitten, dass alles glatt geht“, knurrte Albany, während sie dem Planeten entgegenrasten.
Plötzlich begann das Shuttle, leicht zu zittern, doch die ruckartigen Bewegungen verstärkten sich, bis jede Metallsterbe bebte und kreischte.
Hastig warf Daniel Albany und Jan einen Blick zu, wobei er jedoch nur steinerne Mienen entdeckte. Beide schienen von dem, was gerade geschah, reichlich unbeeindruckt, was ihn zumindest etwas beruhigte.
Die Vorstellung, dass das Gefährt jede Sekunde auseinanderbrechen und er erfrieren oder verbrennen oder zerfetzt werden könnte, verflog und er starrte hinab auf die Wolkenfetzten, die nun immer näher kamen.
Das Rattern erstarb.
„Wir sind drin“, erklärte Jan erleichtert, „War doch gar nicht so schwer.“
„Kein Grund, sich auszuruhen“, entgegnete Albany.
„Ich brauche einen Kurs, Sir“, sagte Jan, während er das Shuttle drosselte und über das Wolkenmeer gleiten ließ.
„Steuern sie den Landepunkt Epsilon an. Argus sollte die Koordinaten haben“, antwortete der Offizier.
Epsilon, hallte es durch Daniels Gedanken. Die Landezone der Einheit Charlie befand sich am Rande einer Wüste, die man per Satellit ausgemacht hatte. Es erschien ihm logisch, dass Albany sie zuerst untersuchen wollte, denn der Kontakt mit Charlie war bereits während des Landeanflugs abgebrochen, also standen die Chancen gut, in der Nähe der Landezone auf Hinweise zu stoßen.
Nachdem er Argus' Hologramm kurz einige Laute entgegengezischt hatte, durchbrach Emerson mit dem Shuttle die Wolkendecke und raste dem Ozean entgegen.
Das Licht der zwei Sonnen spiegelte sich auf der Wasseroberfläche - grotesk, wenn man nur an eine gewöhnt war - und Daniels Blick versank in den endlosen, ruhigen Fluten, bis das Shuttle eine Kurve vollzog und auf das Festland zusteuerte. Hoch erhoben sich die Felsenklippen am Horizont, wobei Daniel auffiel, dass sie tiefer flogen, als er geahnt hatte.
Jan zog ihr Gefährt weiter hoch, preschte über die Klippen und die dahinter liegenden Urwälder hinweg. Von dort aus bis zum Horizont beherrschte das Grün alles, es schien sich über die ganze Welt zu erstrecken, und obwohl Daniel nur die Kronen der majestätischen Bäume sah, konnte er sich die etlichen Pflanzen vorstellen, die sich dort unten rankten, die Blumen, die dort in den schönsten Farben blühen mussten und die Tiere, die frei und wild zwischen den mächtigen Stämmen umherstreiften. Dinge, die er nur noch aus Bildern, Filmen und Erzählungen kannte.  
Die Welt, aus der er kam, war grau.
Doch auch das Grün verflog, als sie schnell darüber hinwegrasten, und die Wälder brandeten schließlich an einem gewaltigen, sandhellen Felsmassiv, hinter dem die schier endlose Wüste lauerte.
Laut Argus sollte Landezone Epsilon auf der rückwärtigen Seite des Massivs liegen, und als er sich dessen gewahr wurde, ließ Albany den Schub verringern. Das Shuttle wurde merklich langsamer und sank tiefer. Scharfe Winde schnitten, schüttelten sie durch, ohne dass Jan ernstlich darüber besorgt zu sein schien.
Er steuerte unbeirrt weiter über das Massiv hinweg, während Albany sich aus seinem Sitz erhob, um das Gelände genauestens zu mustern. Dabei glich seine Miene mehr denn je der eines Raubvogels. Auch Daniel schälte sich aus seinen Gurten und wankte zur Scheibe hinüber, wobei er sich immer wieder gegen die Turbulenzen stemmen musste.
Als er sie endlich erreicht hatte, sah er gerade noch, wie das Massiv unter ihnen absackte; und dann erhob es sich vor ihnen:
Vor dem Hang eines majestetischen Berges prangerte ein gewaltiger Haufen metallischen Schrotts. Aufbauten waren ineinander verstoben, Streben rankten sich den Fels hinauf, an vielen Stellen hatten Feuer die Teile zu unförmigen Klumpen eingeschmolzen und tief geschwärzt. Gewaltige Flügel waren zersplittert, wobei sie das gesamte Areal mit Trümmerteilen überzogen hatten.
Aus der Mitte ragte ein gewaltiger, schwarzer Rumpf auf.
Das war also Landungsschiff Charlie.
„Heilige Scheiße!“, keuchte Emerson, während er das Shuttle um die Absturzstelle kreisen ließ.
„Argus!“, zischte Albany, „Ich verlange einen Bericht über die Außenbedingungen.“
„Die Außenbedingungen sind für Menschen ungefährlich“, verkündete die künstliche Intelligenz, „Es wird allerdings dringend zur Mitnahme von Wasser und Sonnenschutz geraten.“
„Danke“, erwiderte der Offizier roh, bevor er sich an den Piloten wandte, „Suchen Sie einen geeigneten Landeplatz. Wir gehen runter und sehen uns das aus der Nähe an. Lancaster, erstatten sie dem Kommando Bericht.“
„Schon dabei“, bestätigte er, als sich das Shuttle bereits dem Boden entgegen neigte. Sekunden später landete es nach einem kurzen Senkrechtflug sanft auf ausfahrbaren Füßen.
„Direkt in den Felsen gekracht“, stellte Jan fest, nachdem er einen weiteren Blick auf das Landungsschiff geworfen hatte, „Mann, deren Pilot muss betrunken gewesen sein. Ich meine, diese Wand muss er doch gesehen haben.“
„Das werden wir herausfinden“, prophezeite Albany, „Luken öffnen!“
Ein hydraulisches Zischen ließ verlauten, dass die Backbordluke geöffnet wurde, worauf zwei dunkle Gestalten aus dem Rumpf des Shuttles schossen. Daniel beobachtete ihre schwarze Ganzkörperpanzerung und die Maschinenpistolen, die sie routiniert in Händen hielten.
„Ist das wirklich nötig?“, erkundigte er sich, als er sich mit Albany auf den Weg zum unteren Deck des Shuttles begab.
„Allerdings“, bestätigte Seth, kurz nachdem sie die Treppe, die aus dem Cockpit hinabführte, hinter sich gelassen hatten.
Vor ihnen lag ein kleiner, enger Trakt mit einigen Schlafnischen, die sich in die metallenen Wände gruben, weiter hinten er hoben sich einige tiefe Stühle und ein kleiner Stahltisch, auf dem noch die Figuren eines magnetischen Schachspiels ruhten.
Die beiden durchschritten den Trakt und folgten einer weiteren Treppe auf das unterste Deck, dessen linke Seitenwand aufgeklappt war, sodass man das Shuttle über sie verlassen konnte.
Der sengende Atem der Wüste hauchte Daniel entgegen, als er an den Ausstieg trat. Ein alter Hüne mit Sturmgewehr und Körperpanzerung hielt davor Wache, wobei er grimmig auf einem Zahnstocher kaute.
Gregor Hollen gehörte zusammen mit Jan Emerson, dem Arzt Friedrich Edenthal und dem Ersatztechniker Jacques Leclerc zu den einzigen Personen, die das Shuttle nicht verlassen würden.
Albany stieg jedoch auch nicht sofort aus, sondern begab sich zunächst zu einem schwarzen Metallschrank, der sich am Ende des Decks erhob. Mit seinem Handcomputer öffnete er die elektronische Schiebetür, womit er ein gewaltiges Waffenarsenal freilegte. Routiniert ergriff er eine silberglänzende Pistole, entsicherte sie und verließ zusammen mit Daniel das Shuttle.
Die sengenden Strahlen der beiden Sonnen bissen unerbittlich auf seine Haut, während er über den staubtrockenen Felsboden trottete. Einige Meter weiter warteten die übrigen Mitglieder der Besatzung.
Ihnen stand der Unteroffizier Michael Haley vor, ein schlaksiger, junger Mann, der gerade dabei war, seinen hohen Uniformkragen aufzuknöpfen, um der Hitze zu trotzen.
Neben ihm erhob sich der Soldat Mikato Yi, ein athletischer Asiate, der lächelnd den grellen Sonnen entgegenblickte.
Seine Kameradin Rachel Gains, deren weiblichen Züge gänzlich unter ihrer Körperpanzerung verschwunden waren, starrte hingegen achtsam auf die in Wüste hinaus.
Das letzte Glied der Kette stellte Jessica Andrews dar, eine junge Exobiologin, die mit ihren geflochtenen blonden Haaren sicherlich die Hübscheste der Gruppe war. Mit ihrem Tank-Top und der knielangen Khakihose bildete sie den absoluten Kontrast zu den Soldaten.
„Überprüfung der Kommunikationsgeräte!“, befahl Albany, worauf ein jedes Mitglied des Außenteams sich ein schmales Headset ans Ohr klemmte, „Test“ sagte und ein bestätigendes Nicken empfing.
Zuletzt spreizte Daniel Daumen und Zeigefinger seiner linken Hand so voneinander ab, dass die Platinen seines Handschuhs dort ein Rechteck bildeten, in dem sich langsam ein Display aufbaute. Darauf waren Jan Emerson und Jacques Leclerc, ein Franzose mit kantigem Gesicht und verfilzten Haaren zu sehen.
„Verbindung steht“, bestätigte er Albany.
„Gut“, lobte der Offizier, ohne dass auch nur ein Hauch von Freundlichkeit in seiner Stimme mitschwang, „Ich will einen Statusbericht über das Gelände.“
„Wir haben die Geländescans bereits durchgeführt“, schallte Jacques‘ Akzent aus dem Lautsprecher an Daniels Handschuh, „Die Hitzesignatur weist keine Lebenszeichen auf. Allerdings meint Argus, dass das bei der Hitze in diesem Gebiet zu erwarten war. Die Wärmesignaturen von Lebewesen werden einfach von der Umgebungstemperatur überdeckt.“
„Verstehe“, murmelte Albany, „Irgendwelche Gefahrenmeldungen?“
„Argus vermeldet weder eine ungewöhnliche Strahlenkonzentration noch einen gefährlichen Gasaustritt. Sieht so aus, als wäre der Antrieb des Landungsschiffs nicht beschädigt worden.“
„Wollen wir es hoffen“, gab Albany zurück, worauf er Daniel mit einem Handwink befahl, die Verbindung zu trennen.
„Wir gehen los“, verkündete er noch.
Danach teilten sie sich auf.     
Albany marschierte mit Mikato Yi und Jessica Andrews zur Südseite des Wracks ab, während Daniel Michael Haley und Rachel Gains die Felsen im Norden hinauffolgte.
Der Aufstieg in der Hitze zerrte an ihm und der elektronische Handschuh, der seine Linke umfasste, erleichterte ihm das Klettern nicht etwa. Als sie sich dem ersten Wrackteil näherten, rannen schweren Schweißperlen von seiner Stirn.
Vor ihm hatte sich ein großes Bruchstück der gewaltigen linken Tragfläche zwischen zwei Felsspitzen verkeilt. Das gesamte Trümmerteil war sicherlich über fünfzig Meter lang und aus seinen scharfen Bruchkanten rannen die zähflüssigen Überreste des Treibstoffs.
Verständnislos im Angesicht der Zerstörung schüttelte Daniel den Kopf, bevor er damit begann, das Wrack mit seinem Handschuh zu scannen und die Daten an das Shuttle zurückzusenden.

Kapitel I: Landezone Epsilon

Jessica Andrews  folgte den beiden Soldaten in gemächlichem Tempo um die staubigen Ausläufer südlich des Wracks. Sie starrte in den Staub, hob den Blick zu den Kronen des Massivs und entsann sich der endlosen Wälder, die sich dahinter erstreckten.
Die Schönheit hatte sie tief berührt und loderte immer noch feurig in ihrem Herzen. Ein jeder Gedanke an diesen prallen, saftgrünen Born des Lebens fachte die Glut wieder an, aber nicht nur die Freude und Faszination brannten, sondern auch die Trauer. Denn neben die Erkenntnis der Schönheit und der Frage, ob ihre Welt vor langer Zeit ebenso wundervoll ausgesehen hatte, trat ein dunkles Omen:
„Wie wird XR46 erst aussehen, wenn die Aktion der Flotte geglückt und er Planet besiedelt ist. Wird man auch ihn in eine unwirtliche graue Einöde verwandeln?“
Um sich abzulenken, senkte sie den Blick von den Gipfel des Massivs zu dem gewaltigen Bruchstück der linken Tragfläche, das sich direkt zu ihren Füßen in den Boden gebohrt hatte und sich von dort aus noch fast hundert Meter den Fels hinaufzog.
„Zerstörung…das ist alles, was die Menschen schaffen können“, dachte sie, während sie Yi dabei beobachtete, wie er zu Seiten des Trümmerteils die Felsen empor kraxelte.
Albany begab sich nun ebenfalls hinauf und sie folgte ihm, wobei ihr ein olivgestreifter Gecko über die Finger huschte.
Sehnsüchtig blickte sie dem Tier nach, das sie nur aus Bücher kannte.
„Beeilen sie sich besser, Andrews“, schallte ihr Albanys Zischen entgegen, worauf sie ihren Blick wehleidig von der Echse abwandte, um weiter nach oben zu klettern.
Sie holte die beiden Soldaten auf einem kleinen Plateau ein, wo diese innegehalten hatten, um das vor ihnen liegende Wrack des Landungsschiffs zu begutachten.
Jetzt bemerkte auch sie, dass es nicht etwa frontal in den Felsen gekracht war, sondern von oben mit dem Rumpf auf dem Massiv aufgesetzt hatte und bis ins Tal gerutscht war.
„Wir müssen uns den Rumpf ansehen“, erklärte der Offizier, bevor er Yi vorausschickte.
Der Asiate bahnte sich seinen Weg abseits von dem Bruchstück, dem sie hinaufgefolgt waren.
Während die Männer sich routiniert über die Felsen bewegten, betete Jessica darum, nicht abzurutschen und den ganzen staubigen Abhang zurück zum Shuttle zu kullern.
Erleichtert atmete sie auf, als sie endlich den Bug des Landungsschiffs erreichten, der sich tief in die sandige Erde gebohrt und dabei eine kleine Lawine vor sich aufgeschüttet hatte. Etliche Meter darüber thronte die vorgezogene Brücke des Wracks, von unten unerreichbar.
Langsam zog Yi am verbeulten Rumpf vorbei, bis er einen Riss entdeckte, der so breit in der dunklen Metallwand klaffte, dass man mühelos hindurchschlüpfen konnte.
Mikato blickte Albany an, der nickend zustimmte, bevor der Asiate sich ins Innere des Wracks begab.
„Sie folgen ihm!“, befahl der Offizier Jessica, „Ich werde hier warten.“
Langsam nickte sie ihm zu, bevor auch sie durch den Spalt huschte.
Als die Dunkelheit sie umschloss, stellten sich die feinen Härchen an ihrem Nacken auf. 
Aus der Finsternis ragten verschlungene Silhouetten auf, Schatten rankten sich über die Wände, ein paar vereinzelte Sonnenstrahlen stachen wie Speerspitzen durch Risse in der Decke. Ein stickiger Dunst hing schwer über allem und brannte mit sengender Hitze auf ihrer Haut, aus der sogleich Schweißperlen quollen.
„Bleiben Sie direkt hinter mir! Vorsichtig“, sagte Mikato knapp, bevor er sich in Bewegung setzte.
Seine Schritte knirschten laut und der Schein, den die Taschenlampe unter seinem Gewehrlauf auf den Boden warf, offenbarte ein Gebiss scharfkantiger Metallsplitter, das im Dunkeln lauerte.
Bedacht setzte sie einen Fuß vor den anderen, um sich nicht an den Bruchkanten die Waden aufzureißen.
Ihre Hand taste an einem Container entlang, der mit schweren, schwarzen Gurten am Boden fixiert war. Mehr als die Hälfte davon waren beim Absturz gerissen.
Erneut ließ sie ihren Blick schweifen, wobei sie in den riesigen Schemen noch weitere Container erkannte. Offensichtlich schlichen sie gerade durch einen Frachtraum.
Als sie tiefer in die lichtlosen Katakomben vordrangen, stießen sie auf immer mehr Verwüstung. Metallstreben rankten sich quer durch den Raum, sodass sie groteske Verrenkungen vollführen musste, um vorwärts zu gelangen. Der Aufprall hatte einige Behälter zerschmettert und ihren Inhalt durch die Halle verteilt. Glasscherben knirschten unter ihren Sohlen, Fliegen labten sich an dem verrottenden Proviant.
Jeden Augenblick fürchtete sie, dass das tote Fleisch hier nicht lediglich aus den Nahrungsvorräten stammte, doch Yi erklärte ihr, dass während der Landung sicherlich niemand hier unten gewesen sei.
Vorsichtig schlugen sie sich weiter durch das Gewirr der Schatten, bis sie schließlich eine metallene Trennwand erreichten, in deren Durchgang sich ein Container verkeilt hatte. Kraftvoll stemmte sich der Asiate dagegen, doch der Stahlklotz bewegte sich keinen Millimeter, sodass Yi sich nach dem dritten Versuch geschlagen gab.
„Kehren wir um“, murmelte er grimmig, „Hier geht es nicht weiter.“

Daniel Lancaster stand unterdessen an der Seite von Michael Hailey an einer Felskante, von wo aus er auf den gewaltigen Rumpf des Landungsschiffs hinabblickte, der sich aus dem Staub reckte. Von oben waren die Aufbauten, die sich aus dem stählernen Ungetüm erhoben, deutlicher zu erkennen, ebenso wie die Zerstörung, die in ihnen klaffte.
Die gläserne Frontscheibe, hinter der sich die Brücke verbarg, war zersplittert, das Dach des oberen Decks gänzlich eingebrochen, Metallstreben zu schwarzen Klumpen eingeschmolzen. Daniel entdeckte einen schmalen Außengang, der bogenförmig unterhalb der Brücke entlang führte. Zwar bestand er nur aus dünnen Metallplatten, die von einem niedrigen Geländer eingerahmt wurden, doch schien er größtenteils unversehrt. Außerdem führte er so nahe an der Brücke vorbei, dass man hinaufklettern und durch die zersplitterten Scheiben hineingelangen konnte.
Hailey schien dies ebenfalls aufgefallen sein, denn, nachdem er sich kurz am Kinn gekratzt hatte, befahl er Rachel Gains vorauszugehen und deutete dabei auf den Außengang.
Behände rutschte die Soldatin den Abhang hinab, wobei sie eine dichte Staubwolke hinter sich aufwirbelte.
Noch bevor sie den Rumpf erreichte, befahl Hailey Daniel, ihr zu folgen, was er äußerst wiederwillig tat.
Seine Füße glitten über den staubigen Boden, als er sich den Hang hinabkämpfte, wobei er oftmals die Hände zur Hilfe nehmen musste, um zu bremsen. Zweimal fürchtete er, gänzlich abzudriften, doch beide Male gelang es ihm in letzter Sekunde, sich wieder zu fangen.
Als Rachel ihn endlich auf den Außengang zog, klappte er erleichtert auf den Metallplatten zusammen. Seine Hände brannten vom rauen Fels und Schweiß quoll aus jeder Pore seines Körpers.
Hailey folgte ebenso schnell wie sicher, sodass ihm kaum Zeit zum Verschnaufen blieb.
Erneut schickte der Leutnant Rachel vor, worauf sie wortlos Folge leistete und ihre Schritte sanft über die Platten setzte.
Daniel ging ihr nach, wobei er feststellen musste, dass der Außengang sich in einem wesentlich schlechteren Zustand befand, als es von oben den Anschein gemacht hatte. Die Metallplatten unter ihm wankten bedrohlich bei jedem Schritt und als er sich am Geländer abstützen wollte, zersplitterte es und stürzte neben ihm in den Abgrund.
Vor Schreck presste er sich fest gegen die stählerne Wand zu seiner rechten, über der die Brücke thronte.
„Nur noch wenige Meter bis zu den Fenstern“, sagte er sich immer und immer wieder.
Als sie endlich unterhalb der schwarzen Höhlen standen, fühlte er sich noch wesentlich erschöpfter als nach dem Abstieg. Schwer atmend lehnte er an der Wand und wagte es nicht, auf die Platte zu treten, auf der Rachel stand, um diese nicht weiter zu belasten.
Kaum war Hailey an ihn herangetreten, empfing er eine Nachricht von Albany. Sie seien zwar in den Rumpf eingedrungen, konnten aber nur in die Frachträume vorstoßen und seien nun auf der Suche nach einem anderen Eingang.
Er gab zurück, sie hätten bei der Brücke einen erfolgversprechenden Eingang gefunden, und informierte Hailey zugleich über die Fortschritte der anderen Gruppe.
Der Leutnant nickte zustimmend, bevor er mit entschlossenem Gesichtsausdruck an Daniel vorbeizog. Die Platte, auf der er stand, wackelte bedrohlich, als der Offizier sie betrat.
Schnell erreichte er Rachel, die ebenfalls einen unsicheren Blick auf den Boden warf. Dennoch schien das Metall das Gewicht der beiden Soldaten zu halten.
„Ich helfe Ihnen rauf. Dann kommt Lancaster. Ich zuletzt“, erklärte Hailey, bevor er sich für eine Räuberleiter in Stellung brachte.
Rachel vermochte nicht, ihren zweifelnden Gesichtsausdruck zu verbregen, bevor sie dem Befehl folgeleistete.
Die Platte schepperte, während sie sich zur Brücke hinaufschlängelte, hielt aber stand.
Nachdem Gains über der Brüstung im schwarzen Schlund hinter den Scheiben verschwunden war, winkte Hailey Daniel heran.
Bedächtig setzte er einen Fuß vor den anderen, bis er schließlich auf derselben wackelnden Platte stand wie der Leutnant.
„Na los“, murrte Michael, worauf er auf seine Hände stieg und sich nach oben reckte.
Er war weitaus weniger sportlich, als die Soldaten und so fiel es ihm bereits schwer, nur nach Rachels Hand zu greifen, die über der Brüstung aufragte.
Kaum hatte er sie gepackt, zischte ein lautes Knallen in sein Trommelfell, der Halt unter seinen Füßen gab augenblicklich nach, ein Schrei zerriss die Luft und ein Ruck ging durch seinen rechten Arm, dass er beinahe barst.
Es dauerte einen Augenblick, bis er begriff, dass Hailey unter ihm abgestürzt war und er nun nur noch von Rachels Hand über dem Abgrund gehalten wurde.
Sein Herz schlug Stakkato, während er mit seiner Linken ebenfalls nach der Hand seiner Kameradin langte.
Mit hochroter Miene schlang sie ihre Finger um seine. Seine Füße kratzen an der stählernen Verkleidung unter ihm, suchten vergeblich nach Halt.
Rachel ächzte, als sie ihn langsam zu sich heraufzog, doch der Schweiß hatte ihre Finger glitschig gemacht. Fast rutschten sie ab, doch sie griff nach, packte ihn fest am Unterarm und hievte ihn letztlich über die Brüstung. Rücklings kugelte er über die durchgeschmorten Armaturen und blieb flach und röchelnd auf dem Metall Boden liegen, wo ihn Kälte und Dunkelheit umfingen.
„Hailey ist gestürzt! Ich wiederhole: Hailey ist gestürzt!“, bellte Rachel in ihr Headset.
Albany antwortete etwas, doch Daniel hörte dem Funk nicht mehr zu.
Er wusste nicht, wie lange er am Boden gelegen hatte, als Gains ihn schließlich wieder auf die Beine riss. Schwankend trat er zur zersplitterten Frontscheibe hinüber, um einen Blick in die Tiefe zu riskieren. Im Boden des Außengangs hatten sich noch mehr Platten verabschiedet, sodass nun ein großes Loch eben dort klaffte, wo sie vorkurzem noch gestanden hatten.
Hailey konnte er nicht entdecken, vermutete jedoch, dass es schräg gestützt war und daher irgendwo unter dem Aufbau außer Sichtweite lag.
„Scheiße“, murmelte er, „Glaubst du, er ist tot.“
„Schwer zu sagen…ist ganz schön tief. Michael…“, schluchzte sie.
„Sie hatten Recht, das hier ist ein verdammtes Himmelfahrtskommando“, klagte er.
„Auf dem Weg kommen wir nicht zurück“, bemerkte sie, wobei sie mit dem Lauf ihres Sturmgewehrs auf das Loch im Außengang deutete, „Wir müssen irgendwie anders wieder rauskommen.“
„Dann können wir auch gleich nach dem Hauptrechner sehen“, murrte er resignierend, bevor er einen Schritt tiefer in die Finsternis trat.
Er schaltete seine Taschenlampe ein, worauf der Lichtkegel den hinteren Bereich der Brücke beleuchtete.
Einen Augenblick später wünschte er sich, es nicht getan zu haben.
Aus dem metallenen Stuhl vor ihm, dessen hohe Rückenlehne sich leicht bog, glotze ihn der Kapitän des Ladungsschiffes an. Das eine Auge starrte noch geradeheraus, wohingegen aus dem anderen eine blutverkrustete Metallstrebe ragte.
Geronnenes Blut glitzerte dunkel auf der leicht versengten Uniform des Leichnams. Als Daniel sich abwenden wollte, fiel sein Blick sogleich auf den nächsten Toten, einen Navigator, dessen Gesicht gänzlich verkohlt war. Offensichtlich waren die Armaturen, an denen er gearbeitet hatte, beim Absturz explodiert.
Eine letzte Leiche entdeckte er am Ende der Brücke, wo sie direkt an der Wand ruhte, als wäre sie beim Aufprall dorthin geschleudert worden. Etliche lange Glassplitter funkelten in ihrer Brust, ragten aus ihrem toten Fleisch.
Ihm drehte sich der Magen um, während die Illusion von der Sicherheit der Raumfahrt vor seinen Augen zersplitterte.
„Arme Kerle“, seufzte Rachel, nachdem auch sie einen Blick auf die Toten geworfen hatte.
„Müssten da nicht noch mehr sein?“, erkundigte sich Daniel furchtsam, wobei er auf die leeren Stühle deutete.
„Es waren hundertfünfzig Mann an Bord“, flüsterte Gains, „Ich fürchte, die hier werden nicht die letzten Leichen sein, die wir finden.“
Sie ging vor und Daniel folgte ihr tiefer hinab in den dunklen Schlund des Wracks.

Jessica verbarg sich hinter Mikato Yi, während dieser an Albanys Seite auf die Stelle zueilte, von der sich Haileys Sender meldete. Sie wollte nicht sehen, was dem Mann passiert war, der noch bei ihrer Ankunft so freudig gelächelt und genau wie sie mit der sengenden Hitze gerungen hatte.
Über ihnen ragte bereits der Aufbau der Brücke empor, woraus sie schloss, dass es nicht mehr weit sein konnte.
Yis Worte bestätigten das, als er verlauten ließ, ein Stück voraus etwas entdeckt zu haben. Entsetzt sah Jessica zu dem beschädigten Außengang hinauf, der weit über ihr thronte.
„Dort ist er runter gestürzt?“, fragte sie sich betreten, während sich die grausige Vorstellung in ihren Geist schlich, welche Auswirkungen der Sturz auf einen menschlichen Körper haben könnte.
Plötzlich stoben Albany und Yi vor ihr auseinander, sodass ihr Blick auf Haileys Körper fiel, der vor ihnen im Staub lag. Der Aufprall hatte seine schneidige, schwarze Uniform zerfetzt und ein Rinnsal von Blut tropfte langsam über die sandigen Felsen. Sofort beugte sich der Offizier zu ihm herab, während Yi etwas auf seinem Handcomputer überprüfte.
„Seine Sensoren vermelden keine Lebenszeichen“, sagte der Asiate bitter, worauf Albany jedoch nur den Kopf schüttelte.
„Sensoren irren sich“, blafft er.
Jessica wusste, dass die meisten Kleidungsstücke mittlerweile eine Menge kleinster, elektronischer Gerätschaften beherbergten, die die Vitalfunktionen ihres Trägers überwachten und im Notfall sogar Hilfe rufen konnten. Eigentlich müssten sie schon von Haileys Tod gewusst haben, als sie losgegangen waren, dachte sie, es sei denn…
Albany lachte plötzlich, nachdem er den Puls des Gestürzten überprüft hatte. Es war ein kaltes, tonloses Lachen, dem jeder Ausdruck von Freude fehlte.
„Die Sensoren sind das einzige, was diesen Sturz nicht überlebt hat“, verkündete er, „Unser Kamerad hier hingegen lebt. Schaffen wir ihn zurück zum Shuttle, damit sich Edenthal um ihn kümmern kann. Yi, geben Sie Mr. Hollen durch, dass wir zurückkommen und…“, plötzlich stockte er, wobei seine Hand augenblicklich zum Knauf der Waffe schnellte, die in seinem Halfter ruhte.
„Sir?“, Yi warf dem Offizier einen bangen Blick zu.
„Seine Waffe“, zischte Seth, wobei er mit seiner Linken auf Haileys Halfter deutete.
Jessicas Blick folgte ihm dorthin und fand nur gähnende Leere. Sofort hob Yi sein Gewehr, während Albany seine Pistole bereits entsichert hatte.
„Möglicherweise hat er sie beim Sturz verloren“, wandte sie ein, wobei sie mit den Schultern zuckte.
„Sich darauf zu verlassen, wäre leichtfertig“, entgegnete Albany, „Ich werde nach der Waffe suchen, während sie Hailey zum Shuttle zurückbringen. Danach bleiben sie dort, bis ich mich wieder melde! Alle!“
Jessica nickte, wohingegen Yi sich bereits daran machte, eine Trage auszubreiten, die an seinem Gürtel befestigt gewesen war und die im wesentlichen aus einem schweren Stofftuch bestand, dass zwischen zwei metallenen Stäben aufgerollt war. Mit zwei daran befindlichen Seilen, ließ es sich zu einer Trage festzurren, mit deren Hilfe sie Hailey zum Shuttle zurück transportieren konnten.
Obwohl Hailey nicht allzu viel wog, hing er doch schwer in dem Tuch, sodass Jessica der Weg wesentlich länger vorkam, als er eigentlich war.
Gregor Hollen, von allen nur Greg genannt, betrachtete, die Ankömmlinge schweigend, während sie an ihm vorbeizogen.
„Der Doktor ist unten“, sagte er dann doch noch.
Tatsächlich erwartete Friedrich Edenthal sie bereits auf dem Frachtdeck. In sein sonst freundliches Gesicht stand tiefe Besorgnis geschrieben und Schweißtropfen perlten am Ansatz seines graumelierten Haars.
„Bringen wir ihn hoch“; drängte er, nachdem er sie zügig mit einem Nicken gegrüßt hatte.
Yi leistete der Anweisung sofort Folge, indem er zur Treppe preschte, wobei Jessica Mühe hatte, ihm nachzueilen und dabei nicht die Trage aus ihren Finger gleiten zu lassen.
Die Krankenstation, sofern man den engen Raum mit seinen zwei Betten und verglasten Wandschränken überhaupt als solche bezeichnen konnte, quetschte sich ein Deck höher zwischen Bug und Maschinenraum. Zwar leuchtete grelles Licht auf die Betten herab, jedoch besaß dieses einen sehr begrenzten Kegel, sodass über dem Rest der Station eine ominöse Dunkelheit lastete.
Nachdem sie Hailey auf einem der Betten abgelegt hatten, wandte Yi sich sofort zum Gehen, während sie hin und her gerissen zwischen Tür und Bett erstarrt war.
„Sie nicht!“, herrschte Edenthal sie an, nachdem die Tür hinter Yi zugefallen war.
Sie schenkte dem Doktor einen vorwurfsvollen Blick, war sie doch eine derart harsche Ansprache von ihm nicht gewöhnt. Auch war sie wenig erfreut darüber, ihm bei einer eventuellen Operation behilflich sein zu müssen.
„Ich habe Exobiologie studiert, nicht Medizin“, rann es durch ihre Gedanken, bevor die Horrorvision eines ausgeweideten Körpers nachfolgte. 
„Tut mir leid, Jessica“, murmelte der Doktor, dessen Stimme wieder in den gewohnt freundlichen Tonfall zurückfallen war, „Aber ich brauche dich. Ich habe hier keine Verwendung für Soldaten oder grobe Techniker oder Piloten, die sowieso nichts ernstnehmen. Ich…“, sein Blick fiel erneut auf Haileys reglosen Körper, „Beim Herrn, was macht ihr denn da draußen für Sachen?“
Während die Frage noch verhallte, riss er die Uniform des Leutnants über dessen Brust auf.
„Dort in der Schublade“, er deutete auf einen der verglasten Schränke, „sind Elektroden und Sensoren. Geben Sie mir die!“
Jessica zögerte kurz, bevor sie wortlos Folge leistete.
Als sie mit den gesuchten Utensilien zu ihm zurückkehrte, danke er ihr kurz und machte sich ans Werk.

Die Schwärze umfing Daniel wie ein viel zu enger Mantel, kroch durch seine Venen und ließ ihn frösteln, obwohl in den Eingeweiden des Landungsschiffs dieselbe Hitze brütete wie draußen am Wüstenrand.
Sein Handcomputer warf einen kleinen Lichtkegel, an dessen Rand gespenstische Schatten lauerten, während er an dem verkohlten Steuerungspult hantierte.
Sie hatten sich bereits tief in das Innere des Schiffes durchgeschlagen, in den stockfinsteren, stählernen Kadaver, wo Knarren, Quietschen und Knirschen einen jeden Schritt begleiteten, als würde das Metall selbst leben. Ihr Weg nach unten war beschwerlich gewesen, denn eine Feuerwalze hatte etliche Gänge zerstört, und da die gesamte Stromversorgung ausgefallen war, hatten sie sich durch eine Kluft lichtloser Dunkelheit tasten müssen.
Das größere Problem am Stromausfall stellten jedoch die schweren, elektrischen Türen dar, die sich ohne die Hilfe der Schiffshydraulik nicht öffnen ließen.
Zum Rechenzentrum des Bordcomputers vorzudringen, war damit unmöglich, weshalb es sie tiefer in den Bauch des Schiffes verschlagen hatte, wo Daniel irgendwie versuchen wollte, wieder für Strom zu sorgen, auch wenn er wusste, dass seine Erfolgschancen mit der Nichtigkeit bandelten.
Allerdings fürchtete er, dass sie ohne Energie ohnehin nicht aus dem Schiff entkommen konnten.
Während er also am Steuerungspult einer Sicherheitstür herumwerkelte, hinter der sich laut den Schiffsplänen ein Notstromaggregat befinden sollte, kratzte Rachel mit ihrem Kampfmesser durch die Fugen der schweren Schiebetür. Das knirschende Geräusch, welches sie dabei erzeugte, ließ seine Haare zu Berge stehen.
Schließlich verstummte das Knirschen, worauf er ihr beiläufig einen verstohlenen Blick zuwarf. Sie ließ die Schultern sinken.
„Das führt doch zu nichts“, murrte sie, wobei sie ihr Messer wieder in dessen Halterung zurückschob und ihr Gewehr packte, das sie auf einem niedrigen, verbeulten Schrank abgelegt hatte, „Mach du hier nur weiter, ich suche derweil schon mal nach einem anderen Ausgang. irgendwo muss man doch aus dieser verdammten Mühle herauskommen.“
„Sie lassen mich allein?“, keuchte Daniel und ließ sofort von dem durchgeschmorten Steuerungspult ab.
„In diesem Schiff gibt es nichts als Leichen. Leichen töten keine Menschen“, antwortete sie schroff wie ein Fels, obwohl er nur zugut wusste, dass auch sie sich fürchtete.
Oftmals war sie während ihres Weges nach unten ohne ersichtlichen Grund herumgeschnellt und der Lichtkegel ihrer Lampe hatte verkohlte Leichen oder noch schlimmer die gähnende Leere offenbart.
„Aber falls…“, stammelte er, „Ich meine, ich bin komplett unbewaffnet.“
Sie verzog den Mund zu einem spöttischen Lächeln, zögerte kurz, griff dann nach ihrem Messer, löste es vom Gürtel und warf es ihm mitsamt der schwarzen Ummantelung zu.         
Mühevoll fing er es auf und nickte ihr dankend zu, während sie davonzog. Anschließend widmete er sich wieder dem Steuerungspult, das tatsächlich eine harte Nuss darstellte.
Zunächst hatte er versucht, seine Grundfunktionen über die Stromzufuhr seines Handschuhs zu reaktivieren, was jedoch misslungen war, da offenbar das gesamte Gerät durchgeschmort war.
Nun grub er sich unter Einsatz des Messers in das Innere der Elektronik, um seinen Handschuh direkt mit dem Öffnungsmechanismus der Tür zu verbinden. Dabei hoffte er inständig, dass wenigstens die Kabel, die zur Tür führten, den Absturz überstanden hatten.
Er fragte sich ohnehin, was in diesem Schiff vorgefallen war, dass es sich in einem solch schlechten Zustand befand. Er wusste, dass ein Ladungsschiff der Amber-Klasse, zu der auch dieses Wrack gehörte, mit genügend Sicherheitssystemen ausgestattet war, um einen massiven Aufprall zu überstehen, es sei denn, das System fiel bereits vor dem Absturz aus.
„Bald werde ich es wissen“, murmelte er, nachdem er eine angesengte Metallplatte abgelöst und die darunterliegenden Schaltkreise freigelegt hatte.
Einige hatten es gänzlich hinter sich, andere machten noch einen durchaus erfolgsversprechenden Eindruck, sodass Daniel betete, die Türsteuerung gehöre zu der zweiten Gruppe.
Tatsächlich fand er den Schaltkreis D4, der zu der Tür passte, in relativ gutem Zustand vor und begann, einige Drähte von den verkohlten Apparaturen des Steuerungspults zu lösen und mit den Platinen an seinem Handschuh zu verknüpfen.
Wenig später stand die Verbindung und die Analysesoftware ließ verlauten, dass zumindest die Hydraulik noch einsatzfähig war.
Daniel gab den Öffnungsbefehl und lauschte erfreut dem Knarren, das die Schiebetür verursachte, als sie durch die verbogenen Fugen fuhr.
Die Hydraulik gab zwar recht schnell den Geist auf, jedoch reichte der Spalt, den sie geöffnet hatte, um hindurch zu schlüpfen.
Dahinter ruhte ein kleiner, kreisrunder Raum, der in seiner Mitte eine dunkle Säule voller Armaturen und Kabel beherbergte. Obwohl einige Verkleidungsplatten abgebrochen waren, wirkte das Aggregat selbst unbeschädigt.
Mit einem Lächeln begab sich Daniel zu der Steuerungskonsole, die zwar ebenfalls offline, aber wesentlich weniger beschädigt war wie das Pult im Vorraum.
Über einen externen Anschluss verband er seinen Handcomputer mit der Konsole und speiste sie mit Strom, was sie wieder zum Leben erweckte.
Der Rest war ein Kinderspiel.
Es dauerte kaum eine Minute, bis das Notstromaggregat leise zischte und die erste Lampe aufflackerte.
Als die Dunkelheit dem grellen Neonschein wich, war Daniel durchaus zufrieden mit sich. Er klopfte sich stolz auf die Brust, bevor er durch den Türspalt dem flackernden Leuchten entgegenschritt.

Seth Albany verweilte in Mitten der staubigen Ödnis an jenem Fleck, wo sie Hailey gefunden hatten, während er mit rauvogelartiger Miene die Umgebung musterte und die Strahlen der Sonnen in seinen smaragdgrünen Augen funkelten.
Die Waffe des Leutnants hatte er nicht finden können, dafür aber etwas, dass ihn umso mehr beunruhigte. Zwar verwehte der sengende Wind den Staub sekündlich, doch war es ihm nicht gelungen, alles vor Albanys schneidendem Blick zu verbergen, sodass er eine Spur ausgemacht hatte, die zwar zu undeutlich war, um ihr folgen zu können, aber immer noch deutlich genug, um sie als menschliche Fußabdrücke zu identifizieren.
Die Waffe in seinem Halfter hatte er längst entsichert, als er sich per Funk an alle Mitglieder der Mission wandte:
„Hier spricht Captain Seth Albany. Ab sofort herrscht erhöhte Alarmbereitschaft. Die gesamte Besatzung ist auf der Stelle zu bewaffnen. Wir sind hier nicht allein und was auch immer mit uns hier draußen ist, besitzt nun eine 9mm-Handfeuerwaffe. Es ergeht sofortiger Rückzugsbefehl zum Shuttle.“
„Das könnte etwas schwierig werden“, hallte Rachels Stimme aus seinem Headset, wobei ein metallischer Hall sie leicht verzerrte, „Wir suchen noch nach einem Ausgang.“
„Also gut. Ich kehre zum Shuttle zurück, hole Yi ab und dann machen wir uns auf den Weg zum Wrack und sehen, wie wir ihnen helfen können. Albany Ende.“
Kaum waren seine Worte verhallte, schnellte er auch schon auf der Stelle herum und marschierte zum Shuttle zurück.

„Bewaffnen?“, murmelte Jessica, während sie neben Friedrich Edenthal stand, der gerade die Röntgenbilder Haileys begutachtete, „Ich kann gar nicht mit einer Pistole umgehen.“
„Ich auch nicht“, entgegnete der Arzt, „Und ich werde auch nicht darunter gehen und mir ein Gewehr in die Hand drücken lassen, während dieser Mann hier meine Hilfe braucht.“
Sein Blick ruhte immer noch auf den durchscheinenden, schwarzweißen Bildern, die auf die Leuchtfläche vor ihm geheftet waren. Bedächtig fuhr er mit den Fingern seiner Linken über das bartlose Kinn.
„Wie steht es um ihn?“, erkundigte sie sich.
„Schlecht. Ich fürchte, seine Halswirbel haben was abgekriegt und der unachtsame Rücktransport wird ihm nicht gerade geholfen haben.“
„Es tut mir leid, ich wusste nicht, dass…“, stammelte sie, die sich plötzlich schuldig fühlte, hatte sie doch beim Abtransport der Leutnants geholfen.
„Keine Ursache“, winkte er ab, „Du hast nur Befehle befolgt und ich sage auch nicht, dass es falsch war, ihn hierher zu tragen, nur riskant. Aber wenn man bedenkt, was da draußen möglicherweise rumläuft, war es sicherlich die richtige Entscheidung.“
„Was glauben Sie denn, was es ist, Doktor?“, wollte sie wissen.
„Ein durchgeknallter Überlebender? Ein Saboteur? Eine außerirdische Lebensform? Ach, wo wir gerade dabei sind. Dieser Planet ist doch bewohnt oder?“, Neugier funkelte in seinem Blick.
„Ja, es gibt Leben auf diesem Planeten. Eine ziemlich große Artenvielfalt, soweit wir wissen. Ich habe sogar schon einen Gecko gesehen. Ein wunderschönes Tier“, ihre Mandelaugen weiteten sich schwärmerisch, „Aber für eine intelligente Zivilisation gab es keine Anzeichen, falls Sie darauf hinauswollten.“
„Darauf wollte ich hinaus“, bestätigte er lachend, „Ich schätze den Gläubigen ist es ganz Recht, wenn das auch so bleibt.“
„Glauben…“, schnalzte sie spöttisch, worauf er ihn ein Lächeln schenkte, von dem sie nicht wusste, ob es mittleidig oder amüsiert wirken sollte.
Ein bisschen von beidem, fürchtete sie.
Schließlich wandte sich Edenthal kopfschüttelnd von den Röntgenbildern ab.
„Nicht gut?“, fragte sie
„Das ist schwer zu sagen. Ich kann mit den bescheidenen Mitteln auf diesem Shuttle wenig für ihn tun. Wir müssen ihn auf eine echte Krankenstation bringen. Am besten direkt zurück zur Flotte.“
Seine Worte erschienen ihr richtig, sodass sie nickend zustimmte.
„Ich sollte mit Albany reden“, fuhr er fort.
„Muss nicht jemand hier bleiben, bei ihm“, sie deutete besorgt auf den reglosen Hailey, wobei immer wieder die Erinnerung an sein freudiges Lächeln durch ihren Geist stach, „Ich meine, wir können ihn doch hier nicht alleine lassen.“
„Da hast du vermutlich Recht“, bestätigte er, „Am besten sprichst du mit Albany und ich bleibe hier.“
„Ich soll mit Albany reden?“, ächzte sie.
Der Anführer der Mission war ihr suspekt. Sie traute ihm nicht und sie musste sich eingestehen, dass er ihr Angst einjagte. Sein ganzes Auftreten, seine Gebärden, seine Worte strahlte eine Kälte aus, die sie manchmal zittern ließ, wenn sie nur seine Stimme hörte.
Er wirkte zu streng, zu eisig, zu besessen, um überhaupt noch menschlich zu sein, dachte sie. Doch Edenthal gegenüber wollte sie ihre Furcht nicht offenbaren und so übertönte sie ihre vorherigen Worte mit hastiger Zustimmung und verließ ihn, bevor er noch ein weiteres Wort sagen konnte.
Da alle Wege innerhalb des Shuttles sich an Kürze überboten, gelangte sie schnell zurück zum unteren Frachtdeck, wo Albany gerade in Begleitung Yis aufbrechen wollte.
„Halt, Sir…“, keuchte sie, „Kann ich Sie kurz sprechen, Sir?“
Verwundert wandte sich Albany zu ihr um, während Yi sie kaum sichtbar belächelte und Greg Hollen, der immer noch die Luke bewachte, mit unverändert steinerner Miene auf die Wüste hinausstarrte.
„Was gibt es, Mrs. Andrews?“, erkundigte sich der Offizier.
„Doktor Edenthal schlägt vor, umgehend zur Flotte zurückzukehren. Er sagt, er könne Hailey hier nicht ausreichend versorgen.“
„Zur Flotte zurückkehren?“, ächzte Yi höhnisch.
„Wie Sie sehen, haben wir gerade wenig Zeit, Mrs. Andrews. Richten Sie dem Doktor aus, ich werde seinen Vorschlag überdenken, sobald der gesamte Trupp wieder beim Shuttle versammelt ist“, entgegnete Albany, bevor er sich an Greg wandte, „Mr. Hollen, ich ernenne sie in meiner Abwesenheit zum stellvertretenden Offizier. Sobald Yi und ich das Shuttle verlassen haben, werden Sie die Luke schließen lassen. Danach stellen Sie eine Verbindung zum Flottenkommando her und geben durch, dass wir die Mission unter Umständen abbrechen und zurückkehren werden.“
„Verstanden, Sir“, gab der Soldat zurück, während Jessica sich fragte, ob der Offizier ihre Anfrage gerade bejaht hatte.  Sie sah nur noch, wie er und Yi zum Massiv hinauseilten, unterdessen Greg in sein Headset blaffte:
„Emerson, schließen Sie die Luke!“
Es dauerte kaum eine Sekunde, bis die Hydraulik leise zischelte und  die schwere Metallklappe sich unter einem Knirschen erhob, um sie wieder von der Außenwelt abzuschneiden.

Kapitel II: Omen

Daniel fand sich in einem verwüsteten Raum tief in den Eingeweiden des Schiffes wieder, die von den weniger flackernden Neonröhren nur spärlich beleuchtet wurden.
Während sich die verkohlten Überreste diverser Metallteile die Wände hinaufschlängelten, wirkte der große, schwarze Block, der sich aus der Mitte der achteckigen Halle erhob, merkwürdig unbeschädigt.
Doch obwohl der Bordcomputer den Absturz offensichtlich gut überstanden hatte, war es dem schwankenden Stromnetz nicht gelungen, ihn wieder hochzufahren, wofür Daniel durchaus dankbar war, denn das Entfernen des Speicherkerns gestaltete sich wesentlich einfacher, sofern die Maschine nicht unter Strom stand.
Den Weg hinab hatte er alles andere als gut überstanden, war er doch etlichen Leichen über den Weg gelaufen und hatte währenddessen die Warnung Albanys empfangen. Danach hatte er bei jedem Kadaver genau nachgesehen, ob er auch wirklich tot war.
Rachel ging davon aus, dass es sich bei dem Unbekannten um einen durchgedrehten Überlebenden handelte. Es käme öfter vor, dass Menschen bei solch traumatischen Ereignissen den Verstand verloren, doch konnte er sich nur schwerlich vorstellen, wie überhaupt jemand diesen Absturz überlebt haben sollte. Die gesamte untere Backbordseite war gänzlich zerquetscht und wer mit viel Glück den Aufprall überlebt hatte, der war anschließend der Feuerwalze zum Opfer gefallen, die nach einem Gasleck offensichtlich durch das gesamte Schiff geflutet war.
Trotzdem suchte sein Geist fieberhaft nach einer Möglichkeit, die das Überleben eines Besatzungsmitglieds erklären konnte, denn die Vorstellung, der Dieb sei kein Überlebender des Absturzes, beunruhigte ihn noch mehr.
„Jessica hat gesagt, es gäbe hier keine intelligenten Lebensformen“, meinte er, sich erinnern zu können.
„Sie hat den Planeten nur auf Satellitenbildern gesehen“, sagte er sich kritisch, „Wahrscheinlich, dass sie sich geirrt hat.“
Plötzlich pochte er auf die Ankunft von Rachel, mit der er sich darüber geeinigt hatte, zuerst den Speicherkern zu bergen, bevor sie den Rückzugsbefehl Albanys befolgen würden. Dazu hatten sie verabredet, sich hier, im Rechenzentrum des Bordcomputers, zu treffen.
Augenscheinlich schien sie sich zu verspäten und so ruhige sein banger Blick auf der kalten Stahltür, die der einzige Zugang zum Rechenzentrum war.
„Ich sollte schon mal anfangen, während sie noch auf dem Weg ist“, dachte er, „Je schneller wir hier raus sind desto besser.“
Mit diesem Gedanken trat er an den schwarzen Block im Zentrum heran, der, aus der Nähe betrachtet, nun auch seine Wunden offenbarte.
Er war, wie Daniel nun feststellen musste, nicht immer schwarz gewesen, sondern hatte diese Farbe lediglich beim Durchschmoren etlicher Platinen gewonnen. Er wusste jedoch, dass der Speicherkern dagegen geschützt war, sodass die Chancen gut standen, ihn noch auswerten zu können.
Hoffnungsvoll lockerte er einige Schrauben in der Bodenplatte, die dem schwarzen Klotz zu Füßen lag.
Nachdem er die Platte entfernt hatte, offenbarten sich die wahren Ausmaße des Rechners, ein gewaltiges, wirres Netzt aus Kabeln und Platinen, das sich unter dem Boden des Rechnerraums rankte.
Diffus flackerte der Untergrund im Licht der Stromstöße, die immer wieder durch die schweren Kabel auf den Außenbahnen zuckten. Langsam stieg Lancaster in das schwarze Netz hinab, wand sich zwischen Drähten und Kabel hindurch, bis er den Stahlgitterboden eines Zwischendecks erreichte.
In der Tiefe ragten die schattenhaften Aufbauten des riesigen Rechners auf, der es vermochte, das Schiff durch den ganzen Weltraum zu navigieren, Planeten zu analysieren und das Gefährt eigenständig zu steuern.
Der Techniker fragte sich, wie das Gerät derart versagen konnte und weiter, ob Argus, der Zugriff auf die gesamte Rechenleistung der Flotte hatte, nicht mehr über den Absturz wissen musste. Doch zogen sich die Grenze seines Wissens über künstliche Intelligenz durchaus eng, sodass er die Frage wieder verwarf und sich stattdessen seinem Hauptproblem zuwandte: Dem Speicherkern.
Achtsam schlug er sich über das Zwischendeck bis zu der großen, schwarzen Säule, die das Zentrum des Untergrunds durchmaß.
Um sie herum wandte sich eine filigrane Treppe, der zu allem Überfluss ein Geländer fehlte. Langsam schlich er die Stufen herab, bis er ein weiteres Zwischendeck erreichte. Unter der Rußschicht der Säule suchte er nach den Symbolen, die die Lage des Speicherkerns beschrieben, bis plötzlich über ihm ein Krachen ertöne.
Sofort flog sein Blick in die Höhe, doch sah er nichts außer dem schattenhaften Geäst der Kabel, das sich über ihm rankte.
„Rachel?“, der Ruf entwich seinen Lippen, bevor er es selbst bemerkte.
Als die Antwort auf sich warten ließ, versuchte er es über Funk, doch auch dort herrschte Stille, sodass es sich missmutig dem Speicherkern zuwandte.
Schnell hatte er ein paar Teile der Verkleidung abgeblättert und das Innere des Rechners freigelegt. Die manuelle Entfernung des Speicherkerns stellte kein allzu großes Hindernis dar. Nachdem er ein paar Sicherheitsriegel beiseitegeschoben hatte, glitt seine Hand in den eckigen Schlund der Maschine, seine Finger umfassten die Speicherplatte und rissen sie mit einem leichten Ruck heraus.
Hastig ließ er die flache, schwarze Platte in die Seitentasche seiner Hose gleiten, bevor er sich wieder zum Ausgang begab.
An der Platte zum Rechnerraum angelangt lugte er zunächst in die Halle, doch die kalte Stahltür verweilte immer noch unangetastet. Langsam zog er sich auf die verkohlten Bodenplatten hinauf.
Der Raum empfing ihn mit Stille, Leere und Reglosigkeit. Lediglich das grelle Neonlicht flackerte von Zeit zu Zeit und zischte dabei wie eine Schlangenzunge.
Erneut versuchte er, Rachel anzufunken, erneut blieb eine Antwort aus. Kopfschüttelnd rief er den Schiffsplan auf seinem Handcomputer auf, um nach einem Ausgang zu suchen. Nun, da der Strom wieder einigermaßen stabil durch das Schiff floss, konnte er sich fast frei bewegen, solange er sich von der zertrümmerten Backbordseite fernhielt.
So wählte er den gegenüberliegenden Teil des Schiffes, ließ von Argus einen erfolgsversprechenden Ausgang suchen und bat die künstliche Intelligenz, ihn dorthin zu geleiten. Freundlich bestätigte Argus seine Anfrage, während sich bereits eine grünfarbig Route durch den Plan des Schiffes schlängelte.
Behutsam folgte Daniel den Anweisungen durch die dunklen Gänge des Wracks, auf denen nur die Notbeleuchtung für ein dämmriges orangefarbenes Licht sorgte. Unter seinen Schritten zitterte der Boden und über ihm gähnte das Metall, wenn der Wind von außen gegen das Wrack fegte. Ein jähes Gefühl der Unruhe beschlich ihn, während Albanys Warnung als Endlosschleife durch seine Erinnerungen spulte.
Plötzlich meldete sich Argus mit einer privaten Nachricht:
„Verzeihung, Mr. Lancaster…“, seine Stimme verstummte, auch wenn es so geklungen hatte, als hätten seinen Worten weitere folgen sollen.
„Was sollte das denn?“, fragte sich Daniel noch, während er die Funktionstüchtigkeit seines Handcomputers überprüfte, ohne jedoch auf einen Fehler zu stoßen.
„Merkwürdig“, murmelte er, bevor er noch einen Schritt nach vorne setzte. Dann schnitt ein kalter, feuchter Luftzug in seinen Nacken und er erstarrte augenblicklich.
Für einen Moment hoffte er, es könnte der Wüstenwind gewesen sein, doch dieser war, wie er nach den wenigen Stunden am Massiv nur zu gut wusste, trocken und sengend heiß. Furchtsam schloss er für seinen Sekundenbruchteil die Augen, während durch seine Gedanken die Visionen dessen hämmerten, was er erblicken würde, wenn er es wagen sollte, sich umzudrehen.
Seine Nackenhaare richteten sich auf, seine Muskeln fühlten erstarrten zu Stein, das ekelhaft dunkelgelbe Notlicht flackerte. Für einen Moment spielte er mit dem Gedanken, einfach loszurennen, dem er sicherlich nachgegeben hätte, wäre nicht im selben Moment ein leises Klicken hinter ihm ertönt.
Das Einrasten einen Schlagbolzens.
„Umdrehen!“, forderte eine Stimme hinter ihm, die rau und hitzig klang wie der Wind der Wüste selbst.
Als er der Anweisung langsam folgeleistete, war er sich sicher, diese Stimme nie zuvor gehört zu haben.
„Wenigstens ist sie menschlich“, dachte er noch.
Nachdem er sich umgedreht hatte, starrte er in den silbernen Lauf einer Pistole, konnte jedoch nicht erkennen, wer sie hielt. Im diffusen Licht des metallenen Korridors nahm sich sein Gegenüber wie eine schattenhafte Silhouette aus. Lediglich ein paar verfilzte Strähnen hoben sich von den Umrissen ab und das Notlicht funkelte auf der schweißnassen Stirn.
„Wer sind Sie?“, fragte er, wobei seine Stimme ebenso zitterte wie seine Hände.
„Klappe halten!“, blaffte sein Gegenüber nicht minder nervös zurück, „Bist du bewaffnet.“
„Ich bin Techniker“, gab Daniel zurück, wobei seine Gedanken zu dem Messer glitten, dass er zwischen Gürtel und Hose eigeklemmt hatte. Im dämmrigen Licht der Notlampen durfte es kaum zu erkennen sein.
„Denk nicht mal dran!“, sträubte sich seine Vernunft gegen den Plan, der sich langsam in seinem Geist abzeichnete, „Du hast keine militärische Ausbildung. Gegen eine Schusswaffe bist du chancenlos.“
„Woher kommst du?“, die Stimme des anderen überschlug sich vor Hast, „Eins der anderen Schiffe? Beta? Alpha? 
„Nein…wir“, die Furcht lähmte seine Stimme, sodass es ihm schwer fiel, zu sprechen. Der Fremde drängte ihn, indem er ihm mit seiner Pistole zornig entgegenstach, „…sind eine Rettungsmission“, beeilte er sich, den Satz zu beenden.
„Rettungsmission“, äffte der Bewaffnete, dass es durch die metallenen Wände hallte, „Niemand wird uns retten! Wir sind alle verloren!“
„Was reden Sie da?“, es platzte einfach aus ihm heraus, ohne dass er die Gelegenheit hatte, über seine Worte nachzudenken. Eine Sekunde später hielt er seinen Tonfall gegenüber einem bewaffneten und wenig freundlich gesinnten Fremdling für eine weniger kluge Wahl.
„Mund halten!“, schallte es zurück, „Du bist Techniker sagst du.“
Daniel nickte eilig.
„Gut“, murrte der Fremde, dessen Stimme plötzlich wesentlich weniger wahnsinnig klang, stattdessen glaubte er, bitteren Ernst und einen Hauch von Ängstlichkeit herauszuhören, „Du wirst mir jetzt genau zu hören. Die ganze Flotte ist in Gefahr. Wir wurden verraten, aber dort oben sind sie zu blind, um zu erkennen, dass der Betrüger genau vor ihrer Nase sitzt. Ich wollte es selbst kaum glauben, bis…“
Seine schattenhaften Lippen formten sich bereits zum nächsten Wort, die Zunge schnalzte einen Laut heraus, der jedoch sogleich vom Knall eines Schusses erstickt wurde. Die silberne Pistole fiel klirrend zu Boden und mit einem letzten Keuchen sackte der Fremde hinterher. Sein regloser Leib schlug schlaff auf die Metallplatten, während ein feines Rinnsal dunklen Blutes aus dem Loch in seiner Stirn sickerte.
Am Ende des Korridors hob sich im flackernden Notlicht Rachel Gains Gestalt von der Dunkelheit ab.
Daniel jedoch beachtete sie gar nicht, sondern hechtete dem Fremden hinter her und umschlang ihn mit seinen Armen, während er selbst nicht verstand, woher jenes Gefühl gekommen war, das nun verlangte, dem Mann helfen zu müssen. Er wollte tröstende Worte flüstern, doch der Tod hatte Augen und Ohren des Fremden längst geschlossen. Das vernarbte Gesicht verharrte steinern, als hätte man es gemeißelt. Beiläufig entdeckte er einige Brandwunden, die sich über die Unterarme des Toten rankten.
„Samuel Flynn – Kommunikationstechniker“, verkündete die silberne Plakette auf der Brust seiner zerschlissenen, schwarzen Uniform. Geronnenes Blut klebte auf dem Metall.
„Gains an alle Teams. Melde, dass die Bedrohung neutralisiert wurde. Widerhole: Die Bedrohung wurde neutralisiert. Wir machen uns jetzt auf den Weg zurück zum Shuttle“, schrie Rachel in ihr Headset, bevor sie sich wieder an Daniel wandte, „Na los, nehmen Sie seine Waffe und kommen Sie mit!“
Obwohl sich ein Teil von ihm gegen diese Anweisung sträubte, war er doch viel zu erschöpft, um sich zu widersetzten. Es erschien ihm unangemessen, den Mann hier liegen zu lassen, dessen Worte fortwährend durch seinen Schädel echoten.
Doch die Sehnsucht nach Licht und der Sicherheit des Shuttles verdrängten seine Bedenken fürs erste, sodass er Rachel wortlos folgte.

Jessica saß auf einem staubigen Felsen und blickte in den Himmel, den die doppelte Dämmerung der beiden Sonnen in ein mystisches Gewand hüllte. Goldene Strahlen verstoben sich mit sattem Violett, bis sie sich zu einem Streifen tiefen Rots vereinigten. Der Wind hatte gedreht und trug nun die exotischen Düfte aus dem Urwald zu ihnen, der sich hinter dem Massiv erstreckte. Es roch nach Frische, nach nassem Grün, nach den majestätischen Bäumen, den wilden Tieren. Nach Leben. Sie lächelte, während sie jede Böe einsog, die der Wind ihr entgegenschickte wie ein Geschenk. Zugleich spitzte sie die Ohren, doch das Massiv schottete sie vor der Sinfonie ab, die der Urwald gerade spielen würde, und so waren die schweren Schritte ihrer Kameraden im Frachtdeck des Shuttles alles, was sie vernahm.
Der Himmel wandelte sich, zuerst verschwand das goldene Glitzern, das Rot verschmolz mit dem Violett, das langsam immer dunkler wurde. Sie legte sich auf den Rücken, wobei der raue Fels an ihren nackten Armen kratzte, und blickte hinauf in die Schwärze, die alles verschlang. Die ersten Sterne funkelten ihr entgegen und es gab keine graue Wolkendecke, die sie von den unendlichen Weiten des Himmelszeltes trennte.
Eine Stimme zischte in ihrem Ohr und für einen Moment war sie versucht, das Headset von ihrem Kopf zu reißen und in den Staub zu schleudern, um noch ein paar Minuten auf dem Felsen genießen zu können. Allerdings hatte sie bereits erkannt, dass es Albany war, der sprach, und ging daher davon aus, dass die folgenden Anweisungen wichtig waren. Tatsächlich forderte der Offizier die gesamte Mannschaft dazu auf, sich in fünf Minuten vor der Backbordluke einzufinden. Da das Shuttle keinen Raum besaß, der für eine Vollversammlung der Mannschaft groß genug gewesen wäre, mussten sie sich im Freien treffen.
„Fünf Minuten“, dachte Jessica, wobei sie einen kurzen Blick zum Shuttle zurückwarf, das etwa hundert Meter hinter ihr auf seinen klobigen Stahlfüßen ruhte, „Zeit, noch etwas hier zu bleiben.“
So räkelte sie sich und ließ sich noch einige Zeit vom Himmelszelt umarmen, bis sie hinter sich bereits die Stimmen von Yi und Greg hörte, worauf sie sich mürrisch aufraffte. Auf dem kurzen Rückweg entsann sie sich, was alles geschehen war, nachdem Albany und Yi das Shuttle verlassen hatten:
Der Zustand Haileys verschlechterte sich zusehends. Am Nachmittag erlitt der Unteroffizier einen Herzinfarkt und Doktor Edenthal konnte ihn nur mit Mühe, Not und dem mehrfachen Einsatz eines Defibrillators retten. Seitdem war es zwar zu keiner weiteren Verschlimmerung gekommen, doch weigerte sich Edenthal vehement, Haileys Zustand als stabil zu bezeichnen. Später kehrten Yi, Gains, Albany und Lancaster mit einer Leiche zurück, die nun ebenfalls auf der Krankenstation ruhte. Edenthal sollte sie untersuchen, wozu er Jessicas Hilfe gefordert hatte, allerdings weigerte sie sich, auch nur eine Fußspitze in die Krankenstation zu setzen, solange die Leiche dort lauerte.
Außerdem war es Lancaster gelungen, den Speicherkern des abgestürzten Landungsschiffs zu bergen. Momentan arbeitete er mit Jacques Leclerc daran, seine Daten auszuwerten.
Als sie die Backbordluke erreichte, hatte sich auch der Rest der Mannschaft dort eingefunden. Die Soldaten Greg Hollen, Mikato Yi und Rachel Gains, immer noch in ihren Kevlarpanzerungen hielten, ihre Sturmgewehre fest in den Händen. Albanys fahles Gesicht schimmerte im Sternenlicht über dem silberdekorierten Kragen seiner strengen, schneidigen Uniform. Spritzer schwarzgeronnenen Blutes prangerten auf dem weißen Laborkittel Edenthals, den ein schwacher Geruch von Verwesung und Zitrone umwehte. Jacques Leclerc streckte seine Finger, als hätte er sich bei der übermäßigen Nutzung einer Tastatur einen Krampf zugezogen. Daniel Lancasters Augen funkelten glasig. Jan Emerson lächelte schmal, bis Albany das Wort erhob.
„Ich will es einmal so zusammenfassen: Der heutige Tag war eine Katastrophe. Einer unserer Kameraden liegt im Sterben, wir können den Tod von tausenden Menschen auf diesem abgestürzten Landungsschiff bestätigen und zu guter Letzt mussten wir den anscheinend einzigen Überlebenden erschießen. Der Speicherkern ist schwerer beschädigt, als wir dachten, und es wird wohl noch eine Zeit dauern, bis wir Aufschluss über den Absturz erlangen.“
„Es wird nicht mehr lange dauern, wir tun unser Möglichstes“, versicherte Jacques, womit er nicht einmal Albanys Blick auf sich zog. Der Offizier fuhr unbeirrt fort:
„Ich habe mich aufgrund der heutigen Ereignisse und des Zustandes unseres verletzten Kameraden dazu entschlossen, die Mission abzubrechen und vorerst zur Flotte zurückzukehren, um…“
„Mit Verlaub, Sir“, unterbrach Greg Hollen, „Das Flottenkommando gab den ausdrücklichen Befehl, die Mission fortzusetzten.“
Im Gegensatz zu Jacques erlangte Hollen sofort Albanys Aufmerksamkeit. Der Offizier funkelte ihn aus seinen finsteren Augenschlitzen an, während sein Mund sich zu einem einzigen Strich schmälerte.            
„Ich kann mich nicht entsinnen, Ihnen das Wort erteilt zu haben, Mr. Hollen“, fauchte er, „Der Abbruch dieser Mission wird allerhöchstens zu einer Verzögerung von wenigen Tagen führen. Wir werden zur Flotte zurückkehren, Hailey in einer geeigneten Krankenstation unterbringen, einen Ersatzmann aufnehmen und die Mission anschließend fortsetzten. Die Zeit, die wir sparen, wenn wir jetzt fortfahren, kann niemals Mr. Haileys Tod aufwiegen.“
„Das Flottenkommando hat sich klar ausgedrückt“, wiederholte Hollen, wobei Emerson ihm mit einem schüchternen Nicken zustimmte, „Die Mission darf unter keinen Umständen abgebrochen werden. Sie widersetzten sich dem direkten Befehl des Oberkommandos, Captain Albany.“
„Sie widersetzten sich dem Befehl Ihres direkten Vorgesetzten!“, zischte Albany, dessen rechte Hand bereites auf seinem Pistolenhalfter ruhte.
„Meine Herren!“, Edenthal meldete sich mit sanftem, aber bestimmtem Klang zu Wort, „Ich habe einen anderen Vorschlag. Landezone Gamma ist kaum zwei Flugstunden von hier entfernt. Der Kontakt zu Team Charlie brach als letztes ab. Wir wissen, dass sie gelandet sind, und ich will doch sehr hoffen, dass sich ihr Landungsschiff in einem besseren Zustand befindet als dieses hier. Die Landungsschiffe verfügen über besser ausgestattete Krankenstationen als die Shuttles. Dort könnte ich Mr. Hailey behandeln, während wir die Mission trotzdem fortsetzten.“
Albany starrte in durchdringend an. Obwohl die Sonnen gänzlich untergegangen waren und die Schwärze am Himmel thronte, herrschte doch noch brütende Hitze. Der Wind, der vom Urwald her wehte, war feucht und schwül.
„Das klingt nach einem Plan“, gestand Albany schließlich, wobei seine Hand wieder vom Halfter glitt, „Also gut…alle Mann wieder ins Shuttle, wir fliegen in fünfzehn Minuten los!“
„Ich bin müde, Sir“, klagte Emerson.
„Halten Sie den Mund und bewegen Sie sich ins Cockpit!“, blaffte der Offizier, der als erster zurück ins Shuttle preschte, wobei er Greg Hollen mit einem finsteren Seitenblick durchstach.

Kapitel III: Team Charlie

Daniel Lancaster verbrachte den Start im Technikzentrum am Ende des oberen Frachtdecks, wo er die gedämpfte Beschleunigung kaum bemerkte. Zusammen mit Jacques Leclerc stand er an einem quadratischen Metallisch, der sich in Mitten des abgedunkelten Raums erhob. Zentral auf dem Tisch ruhte der Speicherkern in Mitten einer Apparatur, aus der sich tausende Kabel erstreckten, sodass sie wie ein Krake wirkte. Im Hintergrund leuchteten kleine LEDs wie ein Miniatursternenhimmel, während das leise Sirren der Maschinen die Luft erfüllte.
„Gleich müsste es klappen“, orakelt Jacques, während er an den Kabeln herumwerkelte, die mit dem Speicherkern verbunden waren. Unterdessen starrte Daniel auf die drei Monitore vor sich, kaute auf dem schmalen Griff eines Schraubenziehers und folgte den Ergebnissen der Diagnosesoftware.
„Ich fürchte nicht“, entgegnete er schließlich, womit er seinem Kollegen das Lächeln aus dem Gesicht wischte, „Die Diagnose hat keine Fehler in der Hardware festgestellt.“
„Der Speicherkern ist nicht mechanisch beschädigt worden?“, auf Leclercs Gesicht zeichnete sich tiefe Verblüffung ab, während ihm die Kabel aus der Hand glitten und sich wie träge Schlangen dem Boden entgegen wanden, „Vielleicht wurden die Daten durch einen Stromstoß beschädigt.“
„Nein, so wie das hier aussieht…wurde der Inhalt neu verschlüsselt“, stellte Lancaster fest, als er etliche Seiten Quellcode überflog, „Und zwar bewusst.“
„Vielleicht hat der Bordcomputer das infolge einer Fehlfunktion veranlasst. Ich kann mir nicht vorstellen warum ein Crewmitglied, das tun sollte. Ich schätze, den Code zu knacken, können wir getrost vergessen.“
Daniel stimmte dem mit einem Nicken zu, denn die Rechner an Bord eines Shuttles besaßen tatsächlich viel zu wenig Rechenleistung, um einer Verschlüsslung wie dieser Herr zu werden, sofern man nicht bereit war, ein Jahr auf das Ergebnis zu warten.
„Wenn wir Team Charlie erreicht haben werden wir das einfach auf ihrem Landungsschiff erledigen“, prophezeite Jacques, derweil Daniel seine Getränkedose ansetze, nur um festzustellen, dass sie bereits geleert hatte. Gelassen schleuderte er sie zu dem Kasten zurück, aus dem er sie genommen hatte, wobei er jedoch verfehlte, sodass die Dose klirrend über den Metallboden sprang und dabei noch den Rest ihres klebrigen Inhalts verspritzte.
„Wenn Albany das sehen würde…“, Leclerc lachte und nahm sich ebenfalls eine Dose aus dem Kasten, „Das war die letzte.“
„Dann hole ich eben neue“, erklärte sich Daniel bereit, worauf er die Dose vom Boden aufhob, in den Kasten zurückwarf und diesen mitnahm, um ihn auf dem mittleren Frachtdeck gegen einen neuen auszutauschen.
Er verließ den kleinen Trakt der Techniker und fand sich in einem abgedunkelten Lagerraum wieder, in dem die Minimalbeleuchtung einen aussichtslosen Kampf gegen die Finsternis focht, sodass er lediglich die Konturen der Container wahrnehmen konnte, die sich vor ihm erhoben. Grüne Markierungen am Boden wiesen ihm den Weg zur Treppe, die dem Wohntrakt vorgelagert war. Dieser beherbergte zwei Waschräume sowie kleine Kabinen für die Offiziere und Frauen an Bord, ein Luxus, den man nur auf den größeren Shuttles der ExTerra-Klasse fand. Daniel hatte davon jedoch noch nichts zu Gesicht bekommen, denn bei seinem Quartier handelte es sich um eine Schlafnische auf dem Oberdeck.
Er stieg die Treppe weiter hinab aufs mittlere Frachtdeck, von wo aus ihm lauter Rock n‘ Roll entgegenschallte. Verblüfft warf er einen Blick durch die diffusen Lichtverhältnisse, wobei er Mikato Yi und Greg Hollen erkannte, die auf der anderen Seite des Frachtraumes neben einer Musikanlage standen, ein Bier tranken und sich über irgendetwas unterhielten. Obwohl sie keinesfalls amüsiert wirkten, prosteten sie Daniel doch freundlich zu, als sie seine Anwesenheit bemerkten. Er winkte kurz zurück, bevor er sich zu einem der metallenen Wandschränke begab, wo er den Kasten gegen einen neuen austauschte. Anschließend begab er sich zurück zum Technikzentrum, wo er zusammen mit Jacques zwei weitere Dosen öffnete und sich über die gute, alte Zeit auf der Erde unterheilt. Der Flug zur Landezone Gamma würde noch gut eine Stunde in Anspruch nehmen. 

Jessica Andrews räkelte sich auf dem bleichen Stoff des schmalen Sofas, das sich in ihrer kleinen Privatkabine befand. Doch so sehr sich auch streckte und reckte, zerrte doch eine brennende Anspannung in ihren Gliedern. Ihre Kabine war für ein Shuttle recht geräumig, ein kleines Exil aus mattiertem Metall und milchigem, bläulichem Glas; und dennoch wollte sie nichts mehr, als herauszubrechen, aus der Kabine, aus ihrem Körper. Die Anspannung sengte wie eine unerträgliche, unnatürliche Flamme und die Erinnerungen an die Geschehnisse bei Landezone Epsilon hämmerten steinhart auf ihren Schädel ein, dass sie glaubte, er müsse jeden Moment zerspringen.
Das abgestürzte Landungsschiff, die etlichen Toten, Haileys Sturz, der verrückte Überlebende, der Zorn in den Stimmen der Männer, bevor sie abgeflogen waren. So viele Fragen, die nach Antworten verlangten, die sie nicht geben konnte. Dazu war sie unfähig und das verdammte sie zum Warten. Sie musste darauf warten, dass Daniel und Jacques den Inhalt des Speicherkerns entschlüsselt hatten, dass das Shuttle Landezone Gamma erreichte, dass Edenthal Hailey stabilisierte oder dass Hailey starb. Als ihr klar wurde, dass sie zu all dem keinen einzigen Funken beitragen konnte, beschlich sie ein jähes Gefühl der Nutzlosigkeit, so matt wie der kalte Stahl ihres Kleiderschranks.
Plötzlich flammte das dringende Verlangen nach Alkohol in ihr auf. Sie wollte das Brennen in ihrer Kehle spüren, nur um irgendetwas zu tun, um die Leere zu füllen. Doch wusste sie, dass sie in ihrer Kabine keinen Schnaps finden würde, und sie zweifelte auch daran, dass sich überhaupt irgendwelche Spirituosen an Bord befanden.
So blieb ihr nur, aufzustehen und ziellos durch die kleine Kabine zu wandern. Zum Schrank, über zwei Nähte in den Bodenplatten, bis zum Bett, umdrehen und wieder zurück. Mit vier Schritten durchmaß sie den Raum, wobei ihre Anspannung mitnichten verflog, stattdessen zogen sich ihre Ketten nur noch fester, dass sie kaum noch atmen konnte. Der Lüfter sirrte, doch das, was sie in ihre Lungen sog, erschien ihr unrein, und sie sehnte sich nach dem sengenden Wüstenwind und dem Hauch des Urwalds, der über das Massiv geweht worden war.
Sie verharrte, suchte ihr verzerrtes Spiegelbild auf der matten Wand des Kleiderschranks und spielte mit dem Gedanken, vor der Landung noch einmal unter die Dusche zu steigen. Ein ausgiebiges Bad würde sie sicherlich auf andere Gedanken bringen. Ihre Sehnen und Gedanken entspannten sich angesichts dieses Plans, sodass sich ein dünnes Lächeln über ihre blassroten Lippen zog.
Schon schritt sie zur Tür, hatte diese jedoch noch nicht erreicht, als ihr ein Klopfen entgegenschallte.
Verwundert erstarrte sie noch in der Bewegung, bevor sie langsam den letzten Schritt zur Tür hinübertrat.
„Wer ist da?“, fragte sie.
„Edenthal“, wisperte es durch das dicke, undurchsichtige Milchglas zurück.
Für einen Moment fragte sie sich, ob Haileys Zustand sich erneut verschlechtert hatte, er möglicherweise sogar verstorben war. Dann jedoch besann sie sich, und drückte den eckigen, grünen Kontrollknopf, worauf die Tür geräuschlos zur Seite glitt und Edenthal offenbarte. Seine Miene wirkte ernst, doch, so hoffte Jessica, nicht ernst genug für einen Todesfall.
„Was ist denn los?“, drängte sie dennoch.
Der Doktor bemühte sich um ein kurzes Lächeln, bevor er das Wort erhob und dabei so leise sprach, dass er fast schon flüsterte.
„Können wir uns kurz unterhalten?“
Sie musterte ihn beiläufig, bevor sie nickte. Er trat ein und schloss die Tür mit einem Druck auf den roten Knopf hinter sich.
Jessica setzte zwei Schritte zurück, bis an die Kante ihres Bettes, ließ sich aber nicht darauf nieder. Obwohl sie dem Doktor mehr vertraute als den anderen Mitgliedern der Besatzung, mutete sein Verhalten seltsam an.
„Sagst du mir jetzt endlich, was los ist?“, verlangte sie, worauf er sich zunächst kopfschüttelnd auf das schmale, blasse Sofa sinken ließ.
„Es geht um Landezone Gamma oder um das, was wir dort finden werden“, murmelte er, wobei er sich mit der Linken durch das graumelierte Haar strich. Obwohl Jessica ihn verständnislos anstarrte, fuhr er unbeirrt fort, „Nehmen wir einmal an, wir finden nicht das, was wir erwarten. Nehmen wir an, das Schiff befindet sich in ähnlichem Zustand wie das von Landungstrupp Echo und wir können Hailey auch dort nicht behandeln.“
„Dann bringt Albany ihn zur Flotte zurück“, warf sie sofort ein.
„Das würde Albany versuchen, aber er würde es nicht schaffen“, erklärte Friedrich, wobei seine grauen Augen glasig funkelten, „Du hast doch gehört, was Hollen gesagt hat, und die hast die Zustimmung der anderen Soldaten gesehen. Wenn Albany versucht, zur Flotte zurückzukehren, werden sie ihn festsetzten und stattdessen selbst die Mission fortführen.“
„Aber sie können sich doch nicht gegen Albany wenden. Er ist ihr vorgesetzter Offizier“, protestierte Jessica. Obgleich oder gerade weil sie gegenüber Seth Albany stets eine unterschwellige Furcht empfunden hatte, konnte sie sich nicht vorstellen, wie es möglich war, dass man sich ihm widersetzte. Er war so kalt, so stählern, dass es wie Frevel erschien, sich vorzustellen, dieser Mann könnte falsch liegen oder scheitern. Es schien ihr zudem, als würde er nie eine Entscheidung treffen, sondern stets einem einzigen vorbestimmten Weg folgen.
Edenthal hingen schüttelte beständig den Kopf.
„Nach §62a des interstellaren Raumfahrtgesetzes, darf eine Mannschaft ihren Offizier unter bestimmten Bedingungen ab- und festsetzten. Diese Bedingungen sind gegeben, wenn er den direkten Befehl des Flottenkommandos verweigert.“
„Aber das Raumfahrtgesetz besagt auch, dass ein Befehl verweigert werden darf, wenn er ethischen Richtlinien widerspricht. Heißt es nicht, dass niemand zurückgelassen werden darf?“
„Ja, und auch diesen Paragraphen gibt es. Nur hat das Flottenkommando ihn nach der Flucht von der Erde in Bezug auf sich selbst außer Kraft gesetzt. Die Befehle des Kommandos sind in jedem Fall zu befolgen. Alles andere wäre Meuterei.“
„Aber die Befehle das Flottenkommandos sind falsch!“, schrie sie, so laut, dass es von den Metallwänden blechern zurückechote.
„Allerdings“, bestätigte Edenthal, „Und was auch immer geschieht, ich werde alles tun, was in meiner Macht steht, damit Hailey nicht irgendwo sterbend zurückgelassen wird.“
„Das heißt wir müssen Albany helfen, wo wir nur können.“
Edenthal nickte ebenso bedächtig wie grimmig und auch sie begeisterte es keinesfalls, sich drei bewaffneten Soldaten wiedersetzten zu müssen. Dennoch, so wusste auch sie, konnte sie es nicht mit ihrem Gewissen vereinbaren, Hailey seinem Schicksal zu überlassen. So blieb ihr nur, inständig zu hoffen, dass sich auf Landezone Gamma nicht alles zum Schlimmsten wenden würde.
Als Jan Emersons Stimme aus dem Lautsprecher ihrer Kabine hallte und verkündete „So, haltet euch mal fest, Leute, wir gehen runter“, wünschte sie sich, der Flug hätte länger gedauert.

Als Seth Albany durch die verglaste Front des Cockpits blickte, erstreckte sich vor seinen Augen eine gewaltige Nebelbank, aus der die dunklen Kronen verkrümmter, schwarzer Bäume emporragten. Während das Shuttle sich langsam dem milchig weißen Meer entgegenneigte, gelang es dem Captain darunter eine zerfurchte, schlammige Sumpflandschaft auszumachen.
„Wir müssten eigentlich da sein, Sir“, kommentierte Emerson, der seinen Blick von den Armaturen gehoben hatte und ebenfalls in die Ferne starrte.
„Argus, wie weit ist Charlies Landungsschiff noch von uns entfernt?“, verlangte er zu wissen.
„Die Stelle, von der das letzte Signal gesendet wurde, befindet sich 273 Meter genau voraus“, antwortete die künstliche Intelligenz.
„Wir sollten sie sehen können. Sie müssten direkt unter uns sein“, murmelte Emerson, wobei er sich aus seinem Pilotensessel nach vorne beugte, um besser sehen zu können.
„Was sagen die Sensorscans?“, wandte sich Albany an Argus‘ Hologramm.
„Scans sind allesamt negativ“, gab das Programm mit kurzer Verzögerung zurück.
„Wir müssten…“, begann Jan erneut.
„Es ist nicht hier“, Albanys Erkenntnis ertränkte Emersons Worte.
„Es muss hier sein“, protestierte der Pilot.
„Augenscheinlich nicht“, erwiderte der Offizier, wobei er mit der fahlen Faust auf das Metall der Armaturen schlug, die mit einem stählernen Sirren antworteten.
„Was jetzt?“, Jans Stimme triefte vor Resignation.
„Wir werden hier Schleifen ziehen und einen Funkspruch absenden“, gab Albany zurück, worauf Emerson zustimmend nickte, „Argus, sende auf allen Frequenzen unsere Absichten und erbitte Rückmeldung. Wiederhole den Funkspruch alle 50 Sekunden.“
„Das werde ich, Sir. Beiläufig gesagt: Ich fürchte, diese…altmodische Methode wird keinen Erfolg haben. Ich habe keinerlei Zugriff auf die elektronischen Ressourcen von Landungsschiff Charlie, was mich vermuten lässt, dass sie allesamt ausgefallen sind.“
„Soll es sein, wie es ist. Wir senden trotzdem“, entgegnete der Offizier, worauf Argus das Absenden des Funkspruchs bestätigte.
So kreisten sie über das leichenhafte Nebelmeer, während Argus alle fünfzig Sekunden mit einem elektronischen Piepen verlauten ließ, dass der Funkspruch erneut gesendet worden war. Fast eine Viertelstunde vollzog das Shuttle beständig weite Schleifen, doch weder die Nachricht noch die Sensorscans führten zu irgendeinem Ergebnis, sodass Argus sich schließlich erneut zur Wort meldete:
„Sir, ich fürchte ein Weiterführen dieser Suchaktion würde zu einem Energieverlust führen, der in Bezug auf die Erfolgsaussichten unverhältnismäßig wäre.“
„Schon verstanden“, knurrte Albany, „Emerson, wir landen. Bringen Sie das Shuttle auf den Boden.
„Sir, eine manuelle Untersuchung dürfte sich aufgrund der territorialen Gegebenheiten als schwierig erweisen“, wandte die künstliche Intelligenz ein.
„Genau dafür wurde ich ausgebildet“, zischte der Captain, „Runter jetzt!“
„Zu Befehl, Sir“, bestätigte Emerson, wobei er hastig auf einige Bedienfelder tatschte, um den Landevorgang einzuleiten. Kurz darauf sank das Shuttle sanft zu Boden. Die Kronen der Bäume zogen an ihnen vorbei, dann durchstießen sie den Schleier des Nebels, ein hydraulisches Rauschen verkündete, dass die metallenen Füße ausgefahren wurden, auf denen sie wenige Sekunden später sicher landeten.
Sie standen schon fast eine halbe Minute, als das Shuttle plötzlich ein Stück nach unten wegsackte.
„Sir, das Shuttle steht auf schlammigem Boden“, vermeldete Argus sofort, „Wenn wir länger an diesem Ort bleiben, werden wir im Morast versinken.“
„So eine verdammte…“, kommentierte Jan, wobei er seinen Blick über einige Anzeigen schweifen ließ.
„Also gut, ich gehe raus“, murrte Albany, „Argus, gibt Mr. Hollen, Mr. Yi und Dr. Andrews Bescheid, dass sie sich mit voller Ausrüstung an der Backbordluke einfinden sollen. Mrs. Gains übernimmt während meiner Abwesenheit das Kommando. Während wir draußen sind werden Sie, Mr. Emerson, das Shuttle wieder starten und die Suche aus der Luft fortführen.“
„Natürlich, Sir“, bestätigte der Pilot, worauf Albany ihm mit sinisterem Blick zunickte und das Cockpit verließ.

Als Jessica Andrews sich umsah, wusste sich gar nicht, wie sie überhaupt dorthin gekommen war. Blass erinnerte sie sich daran, dass Rachel ihr beim Anlegen der Körperpanzerung geholfen hatte, deren Gewicht so gering war, dass sie es kaum spürte. Die Gasmaske, die sie noch nicht über ihr Gesicht gestülpt hatte, zog hingegen merklich an ihrem Nacken und auch die Pistole hing schwer in dem Halfter an ihrem Gürtel.
„Was soll ich überhaupt damit?“, wandte sie sich an Greg Hollen, der gerade sein Sturmgewehr entsicherte.
„Mit der Waffe?“, ein Lächeln verunzierte sein kantiges Gesicht, „Auf den Feind richten und schießen.“
„Welcher Feind?“, es gelang ihr kaum, ihre Verachtung nicht herauszuspucken, und sie fragte sich, ob es tatsächlich nur eine Erkundungsmission gewesen war, für die sie sich damals gemeldet hatte.
„Sagen Sie es mir, Doktor. Ist doch Ihr Planet“, antwortete Greg nach einem Achselzucken.
„Das ist nicht…“, wollte sie ihm entgegenbrüllen, doch er hatte sich schon von ihr abgewandt und stampfte nun Kaito Yi entgegen.
Zur selben Zeit trat Albany hinter ihr aus dem Shuttle, der im Gegensatz zu ihr und den beiden anderen Soldaten keine bullige Panzerung, sondern eine leichte Kampfuniform trug, über deren nachtschwarze Oberfläche sich etliche dunkelgrüne Platinen rankten, die jedoch im rechten Licht kaum sichtbar waren. Bei einem genaueren Blick entdeckte Jessica, dass das Material kein normaler Stoff war, sondern aus unzähligen, winzigen Waben bestand. Auch fiel ihr auf, dass die Uniform und der leichte, schwarze Helm außer dem Gesicht keinen Millimeter von Albanys Haut unbedeckt ließen.
„Sie sind soweit?“, fragte er, während Greg Hollen ihn ebenfalls neugierig musterte.
„Aye, Sir“, gab Kaito eilig zurück und bevor Jessica auch nur ein Wort sagen konnte, hatten sich die drei Männer auch schon in Bewegung gesetzt.
Hastig stolperte sie ihnen hinterher, verließ bald die Lichtung auf der Jan das Shuttle gelandet hatte und drang in das tiefe Sumpfgebiet ein. Zu allen Seiten ragten die dünnen, dunklen Stämme merkwürdiger Bäume auf, an deren langen Ästen violette Blätter sprossen. Ihre dicken Wurzeln rankten sich durch den morastigen Boden, in den Jessica bei jedem Schritt ein paar Zentimeter einsackte.
Milchig weißer Nebel stieg aus brodelnden Lachen pechschwarzen Wassers auf.
„Mr. Hollen, was sagt Ihr Scanner?“, erkundigte sich Albany, nachdem sie etwa zwei Kilometer durch das unwegsame Gelände marschiert waren.
„Nichts…abgesehen von der Position unseres Shuttles“, entgegnete Greg.
„Bei mir genauso“, merkte Yi, während Jessicas Blick einen auffallend grünen Vogel verfolgte. Unbeschwert glitt er durch das Geflecht der Äste und obgleich er manchmal für kurze Zeit verschwand, entdeckte sie ihn immer wieder und starrte fasziniert auf die violetten Tupfer, die sein Gefieder zierten.
Auch als sie weiterzogen, schien er ihnen zu folgen und so hielt sie stets nach den violetten Punkten Ausschau, während sie sich durch den Morast kämpfte.
„Das führt doch zu nichts!“, Gregs gutturaler Ruf schreckte in der Nähe einige krähenähnliche Vögel auf, wobei sie ihren grünen, gefiederten Freund aus den Augen verlor. Nachdem die schwarzen Viecher davongeflogen waren, hielt sie erneut Ausschau. Beiläufig vernahm sie, wie Albany Hollens Protest niederschlug, indem er mit einem Zischen an ihm vorbei zog.
Dann entdeckte sie gerade noch die violette Schwanzfeder, die in einer milchigen Nebelwand verschwand, und ließ missmutig die Schultern hängen, fürchtend, dass sie ihren Freund nun für immer verloren hätte. Im nächsten Augenblick rissen die Nebelschwaden auf und offenbarten das stählerne Ungetüm, das dort zwischen den Bäumen ruhte.
Landeschiff Charlie.
„Dort!“ rief sie, worauf die drei Männer sofort herumschnellten. Sie hatte zuvor kaum bemerkte, dass ihre Begleiter schon mehrere Meter vorausgegangen waren. Nun trafen auch ihre Blicke die entfernten, dunklen Aufbauten.
Greg Hollens Reaktion bestand darin, einen kleinen schwarzen Gegenstand, den Jessica für seinen Sensor-Scanner hielt, gegen den nächstbesten Baum zu schleudern, wo er in einem Regen aus Elektroniksplittern zerschellte.
„Mr. Hollen“, schallte Argus‘ computergenerierte Stimme durch den Funk, „Sie beschädigen Teile Ihrer Ausrüstung und verstoßen damit gegen §28b Absatz II des Raumfahrtfahrtruppengesetztes. Ich bitte sie, derartiges Verhalten in Zukunft zu unterlassen.“
„Leck mich! Das Scheißteil hat ohnehin nicht funktioniert“, blaffte der Soldat zurück.
„Recht hat er“, stimmte Yi zu, „Mein Scanner zeigt auch nichts an, obwohl das Landungsschiff gleich da vorne ist.“
„Meiner funktioniert auch nicht“, merkte Albany an, „Bei drei funktionsuntüchtigen Geräten kann es sich unmöglich um einen Zufall handeln.“
„Aber das hieße ja…“, ächzte Jessica, „Sabotage?“
„Wer weiß“, zischte Albany, „Die Techniker werden unsere Scanner zur analysieren, sobald das Shuttle hier ist. Aber zuerst sehen wir uns das Landungsschiff an. Bewegung!“
Die letzten Meter hinüber zum stählernen Koloss, überwanden sie wie im Flug, sodass sie schließlich am Rande einer weiteren morastigen Lichtung standen, auf der Landungsschiff Charlie thronte.
Aufgrund seines gewaltigen Gewichts war ein Teil des metallenen Vogels im Boden versunken, sodass sich das Schiff nun in Schräglage befand. Abgesehen davon wirkte es unbeschädigt.
„Wer landet so ein riesiges Ding auf diesem Boden“, murrte Kaito, „Deren Pilot muss betrunken gewesen sein.“
„Müsste nicht irgendjemand hier sein?“, fragte Jessica leise, nachdem sie in der Umgebung lediglich bei paar kleine Echsen und Vögel ausgemacht hatte.
„Das wäre zu erwarten gewesen“, antwortete Albany kalt, bevor er seinen Blick verwundert Greg Hollen zuwandte, der wie ein Gorilla auf dem Boden herumstampfte, „Was tun sie da, Mr. Hollen?“
„Dieser Boden hier ist etwas fester als der übrige Morast“, erklärte der Soldat, „Möglicherweise haben sin d sie deshalb hier gelandet, statt an der eigentlich Landezone.“
„Das beantwortet immer noch nicht die Frage, warum sie es hier stehen lassen, bis es einsinkt“, fluchte Yi kopfschüttelnd.
„Wo ist Crew“, wiederholte Jessica.
„Das gilt es herauszufinden“, entgegnete Albany, „Doch zunächst werden wie Emerson mit den anderen herbeordern. Danach werfen wir einen Blick in das Innere des Schiffes.“
Jessica starrte unterdessen in den schwarzen Schlund der gewaltigen, geöffneten Laderampe.

         

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Über den Autor

Crawley
Wer wäre ich hier, wenn nicht jemand, der seinen Visionen ein Zuhause geben will?
Tue ich das gerade nicht, studiere ich Rechtswissenschaften und bemühe mich, nicht gleich jedes damit verbundene Klischee zu erfüllen (letzteres womöglich nur mit mittelmäßigem Erfolg), oder fröne in irgendeinem Pub meinen Lastern.

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Moonoo Interessante und abwechslungsreiche Geschichte. Gut konstruiert.

Liebe Grüße
Vor langer Zeit - Antworten
EagleWriter Bisher wirklich spannend. Hoffe du schreibst weiter

lg
E:W
Vor langer Zeit - Antworten
Crawley Re: Bis jetzt sehr gut -
Zitat: (Original von EwSchrecklich am 16.08.2012 - 22:05 Uhr) ...finde ich.
Es ist schön flüssig geschrieben uhd prangt nicht etwa vor Fehlern oder so.
Ich hoffe du schreibst weiter!

lg


Danke für den Kommentar. Was das Weiterschreiben angeht: Schon geschehen.

LG
Crawley
Vor langer Zeit - Antworten
EwSchrecklich Bis jetzt sehr gut - ...finde ich.
Es ist schön flüssig geschrieben uhd prangt nicht etwa vor Fehlern oder so.
Ich hoffe du schreibst weiter!

lg
Vor langer Zeit - Antworten
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