Fantasy & Horror
Die Gebrochene Welt I (Kapitel 2 Teil 1/2) - Der Fall Fiondrals

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"Die Gebrochene Welt I (Kapitel 2 Teil 1/2) - Der Fall Fiondrals"
Veröffentlicht am 01. August 2012, 30 Seiten
Kategorie Fantasy & Horror
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Über den Autor:

Wer wäre ich hier, wenn nicht jemand, der seinen Visionen ein Zuhause geben will? Tue ich das gerade nicht, studiere ich Rechtswissenschaften und bemühe mich, nicht gleich jedes damit verbundene Klischee zu erfüllen (letzteres womöglich nur mit mittelmäßigem Erfolg), oder fröne in irgendeinem Pub meinen Lastern.
Die Gebrochene Welt I (Kapitel 2 Teil 1/2) - Der Fall Fiondrals

Die Gebrochene Welt I (Kapitel 2 Teil 1/2) - Der Fall Fiondrals

Beschreibung

Die Stadt Galor ragt als letzte Festung aus dem Trümmerfeld auf, in das die Invasion der Orks den Kontinent Fiondral verwandelt hat. Flüchtlinge aus allen Ecken und Enden des Landes suchen Zuflucht hinter den dicken Mauern. Doch während sich die feindlichen Heerscharen unter den hohen Zinnen sammeln, zerfressen Zwietracht und Hass die Reihen der Verteidiger, bis es schließlich an wenigen wackeren Streitern liegt, das Schicksal aller zu bestimmen. (Weitere Kapitel folgen in Kürze) Titelbild: "Einsturzgefahr" by "Paulo Claro" Some rights reserved. Quelle: www.piqs.de

Kapitel 2: Verschwörung

44. Grünwalden. 52 n.V.

Der nächste Morgen brach an und quälte die verkaterten Bewohner Galors mit seinem gleißenden Licht.
Auf den Dächern sammelten sich die Anhänger des Mondkults zum Gebet, die Iurionisten, die an den allmächtigen Gerechtigkeitsgott glaubten, sowie die Anhänger des Erlöserglaubens strömten zu ihren Kirchen. Diese waren die einzigen Orte, wo Säufer und Schmuggler zusammen mit Offizieren und Soldaten in einer Bankreihe saßen, oder unter einem Dach standen, denn zumeist waren die Tempel bis zum letzten Stehplatz gefüllt.
Die Fischer machten ihre kleinen Boote klar, Bäcker klopften sich den Mehlstaub von den Händen, Wachwechsel wurden vollzogen.
Ariona erwachte recht spät, da sie noch bis in die frühen Morgenstunden hinein am Strand gefeiert hatte. Letztlich sprach auch nichts dagegen, seinen Rhythmus einige Stunden nach hinten zu verschieben, weil man als Novize in dieser Stadt so gut wie nichts zu tun hatte.
Ihr Bett befand sich in einem Schlafsaal im Keller einer ehemaligen Schule, den sie mit fünf anderen Personen bewohnte. Trotz der etwas eigenartigen Umgebung war sie mit diesem Schlafplatz durchaus zufrieden, da es dort stets angenehm kühl und die Betten, welche in Nischen standen, durchaus bequem waren. Ein ausgeblichener, mintgrüner Vorhang sorgte für ein wenig Privatsphäre.
Über ihre Mitbewohner war sie allerdings weniger erfreut, handelte es sich bei diesen doch um eine ausgekochte Zicke, einen zwanghaften Choleriker, einen ziemlich verschwiegenen Todesanbeter, einen wenig erfolgreichen Schmuggler und einen Paranoiker.
Nachdem sie sich angezogen hatte, schob sie den Vorhang zur Seite, sodass sie den Hauptraum betrachten konnte, welcher jedoch abgesehen von einer Person gänzlich verlassen war. Die Anwesenheit des schmächtigen, jungen Mannes, der am großen, gusseisernen Ofen saß und irgendetwas röstete, wunderte sie nicht weiter.
Pegry, so war sein Name, hatte diesen Keller schon seit Wochen nicht mehr verlassen, da er, zumindest glaubte sie das, fürchtete, der Angriff auf Galor könne jeden Augenblick beginnen.
„Guten Morgen, Pegry“, grüßte sie.
„Morgen, wie?“, sagte er mit hastiger Stimme, nachdem er zunächst heftig zusammengezuckt war. Die dunklen Ringe unter seinen kleinen Augen indizierten, dass er schon sehr lange nicht mehr geschlafen hatte. Insgesamt erinnerte er Ariona stark an eine Ratte, auch wenn sie diesen Gedanken nicht gerade gerne hegte.
„Ja, es ist Morgen, glaube ich“, entgegnete Ariona.
„Kann sein…mir auch egal“, fiepte Pegry, „Hast du Ysil gesehen?“
„Wen?“
„Ysil…den Thanatoiker“, Pegry flüsterte, wobei er sich mehrmals über die Schulter sah.
„Ach, der“, stöhnte Ariona, wobei sie sich an die Schläfen fasste, „Nein, glaub‘ nicht.“
„Wann“, ihr Gegenüber machte eine Pause, wie sie bei einem Stotternden vorkam, nur dass sie in seinem Fall bewusst wirkte, „hast du ihn zuletzt gesehen?“
„Keine Ahnung, Peg“, gab die Novizin zurück, „Du bist doch immer hier. Du musst es doch am besten wissen.“
„Ja, ja…ich“, der Mann starrte in die ausglühende Asche des Ofens, „Es muss schon drei Tage her sein…oder vier…fünf vielleicht“, plötzlich verfiel er in eine Art verbale Raserei, „Zu lange, zu lange! Der heckt was aus, ja. Das spüre ich.“
„Ich glaube, du warst einfach zu lange in diesem Loch, Peg“, entgegnete Ariona, nachdem sie erschrocken einen Satz zurück gemacht hatte.
„Nein, nein, nein…ich nicht“, zischte Pegry, bevor er aufsprang und zu Ysils verhängter Schlafnische hinüberschlürfte.
„Du kannst doch nicht seine Sachen durchwühlen, Peg! Was soll das überhaupt?“, wandte sie ein.
„Klar kann ich“, erwiderte er, wobei er den Vorhang mit einem heftigen Ruck zur Seite riss.
Als er die Schlafnische des Todesanbeters freigelegt hatte, konnte Ariona ebenfalls nicht mehr verhehlen, neugierig zu sein. Obwohl das Gemach Ysils von außen nicht anders aussah als ihr eigenes, trat sie näher heran, während Pegry sich bereits rattenartig über den niedrigen Holzschrank gebeugt hatte, um diesen genauer zu untersuchen. Einen Augenblick später riss er die oberste Schublade auf und schleuderte ihren Inhalt heraus, als würde er bei der Berührung höchsten Ekel empfinden. Es handelte sich jedoch lediglich um ein paar eher ärmliche Kleidungsstücke, in denen Ariona Ysil auch schon einige Male gesehen hatte. Dem Aussehen des Stoffes zufolge scherte er sich recht wenig um die Instandhaltung seiner Kleidung.
„Ah, es ist ihm egal, wie sein Zeug aussieht. Hat wohl nicht vor, lange hier zu bleiben“, krächzte Pegry und grabschte nach der nächsten Schublade.
„Weißt du, ich finde das nicht richtig…“, kommentierte Ariona, wobei sie gespannt auf den Inhalt hinabblickte, der sich ihr offenbarte.
„Die Worte des Schattens“, las der Suchende auf dem Titel eines schäbig eingebundenen Buches, „Das prophetische Werk der Todesanbeter.“
„Das hat so ziemlich jeder von denen“, wandte sie ein, „Kein Grund zur Sorge.“
„Das hier nicht. Das nicht!“, fauchte Pegry, wobei er ihr das Buch vor die Füße schleuderte.
Auf den Innendeckel war mit schwarzer Tusche feinsäuberlich ein Zeichen gemalt, das aus zwei symmetrischen Dreiecken bestand, deren Spitzen sich berührten, sodass sie wie eine einfache Sanduhr aussahen.
Arionas Augen weiteten sich, als sie es erblickte.
Dieses simple Symbol hatte zwei Jahrhunderte lang Tod, Hass, Gewalt und Angst verkörpert: Das Siegel des Dunklen Kults.
„Das muss nichts heißen“, Ariona atmete langsam auf, „Vielen geben sich einfach zum Spaß als Kultist aus…aber den Dunklen Kult gibt es nicht mehr.“
„Quatsch! Ich hab es immer gewusst, immer, immer“, rief Pegry, der bereits damit fortfuhr, akribisch Ysils Besitz zu durchwühlen. Gebannt beobachtete Ariona, was er noch zu Tage förderte. Da waren Abschriften weiterer Werke der Thanatoiker, von denen einige noch zu dieser Zeit auf dem Index standen; ein paar Knochen, die Todesanbeter für gewöhnlich als Glücksbringer mit sich führten; Knochenstaub, der für ihre Rituale genutzt wurde; ein Zierdolch, ebenfalls Symbol Thanatos‘; eine säuberlich verkorkte, kleine Flasche schwarzen Weins; letztlich jedoch nichts, das, in diesem Fall, ungewöhnlich gewesen wäre.
Die letzte Schublade war jedoch verschlossen.
Ariona beobachtete Pegry, der sich die Finger bei dem Versuch wund schabte, sie aus dem Schrank zu reißen.
„Na, Pegry, wozu bist du ein Magier? Magier, ja!“, fauchte er sich selbst an, bevor er seine blutende Rechte mit ausgestrecktem Mittel- und Zeigefinger auf das Schloss richtete. Ein schwacher, blauer Lichtstrahl entwich seinen Fingerspitzen, traf es und ließ den Verrieglungsmechanismus leise klicken.
Nachdem er das Schloss geöffnet hatte, zog er die Schublade langsam aus dem Schrank.
Das, was er dabei ans Licht förderte, war sowohl für ihn als auch für Ariona erschreckend. Im kleinen Raum der Schublade wand sich um eine winzige Schale, die mit einer klebrigen, tief schwarzen Flüssigkeit gefüllt war, eine Schlange, Ariona vermutete, dass es eine Natter war. Obwohl sich ihre Haut bis zu einem Drittel des Körpers aufgerollt hatte, sodass man das rohe Fleisch darunter sehen konnte, ihr Schädel stellenweise skelettiert war und ihr fleischige Auswüchse entsprangen, schien sie dennoch am Leben zu sein.
„Nekromantie, eklige Nekromantie“, zischte Pegry, während er in seiner rattenartigen Haltung die Schlange beäugte, „Einfache Todesanbeter benutzen sie nicht, nein, nein.“, er lachte triumphierend.
„Nein, es widerspricht ihrem Glauben…der Dunkle Kult ist die einzige Glaubensform, die die Nekromantie vertritt“, stimmte Ariona betreten zu, „Verdammt, sieht so aus, als hättest du Recht gehabt, Peg. Ysil ist wohl mehr als ein gewöhnlicher Todesanbeter…ich frage mich nur, wie er dieses untote Exemplar erschaffen hat. Soweit ich weiß, ist er kein Magier. Keine Nekromantie ohne magisches Talent.“
„Das, das ist Schwarzsaft, ja genau, Hexerei!“, keuchte Pegry in seiner Zischstimme, nachdem er der Flüssigkeit in der Schale gerochen hatte.
„Das kann nicht sein!“, erwiderte Ariona, bevor sie selbst an dem Sud roch. Dessen Verwesungsgestank war so intensiv, dass er sich sofort in ihre Atemwege brannte und Tränen in ihre Augen schießen ließ. Wie jeder, der auch nur ein bisschen von der Nekromantie gehört hatte, kannte sie das Hexenwerk, das sie vor Augen hatte. Schwarzsaft nannte man jenes Gift, das es vermochte, Lebewesen in willenlose, untote Kreaturen zu verwandeln.
„Die Weinflasche“, flüsterte sie mit Unbehagen und diesmal war es nicht Pegry, der mit fieberhaftem Eifer etwas untersuchte, diesmal packte sie den Gegenstand, in diesem Fall die gut verkorkte Weinfalsche. Mit zittrigen Händen löste sie das vergilbte Leinentuch, welches den Korken umgab, bevor sie auch diesen aus dem Flaschenhals zog. Der entweichende Geruch war so unerträglich, dass es keinen Zweifel gab: Dies war eine ganze Bouteille des nekromantischen Elixiers.
„Damit könnte man drei erwachsene Männer zu willenlosen Zombies machen“, keuchte Ariona fassungslos.
„Ja, ganz richtig, ganz richtig“, bestätigte Pegry, „Ysil! Er will uns alle umbringen! Alle, alle!“
„Ich werde das sofort der Wache melden.“
„Nein!“, keuchte der Novize, „Nicht der Wache, nicht der Wache! Die Wachen sind dumm und faul und überarbeitet. Sie würden nichts unternehmen, gar nichts.“
„Was schlägst du dann vor, Peg? Sollen wir uns alleine mit einem Nekromanten anlegen?“, fragte Ariona, bevor sie schwer schluckte, da sie sich der Worte entsann, die Ferren am letzten Abend gesagt hatte:
Ja, so was hören wir öfter. Aber wir können nicht allem nachgehen, zumal das Gericht überlastet und das Gefängnis voll ist. Letztlich müssen sich die Leute selbst helfen.
„Ferren?“, sie sprach in Gedanken zu sich selbst, „Ja, Ferren. Er kennt mich, er könnte mir helfen, auch wenn die Wache überarbeitet ist.“
„Ich habe einen Freund bei der Wache im delionischen Viertel“, sagte sie Pegry.
„Ist er wirklich ein Freund? In dieser Stadt ist niemand dein Freund! Keine Freunde, nur Feinde!“, zischte ihr Gegenüber.
„Pah, du musst ja nicht mitkommen“, erwiderte Ariona.
„Ich werde diesen Keller nicht verlassen. Nein, nie.“
„Dann erledige ich das selbst“, mit diesen Worten ergriff die Novizin die Flasche mit dem Schwarzsaft, stand auf und ging zur Treppe, um den Keller zu verlassen.
„Halt die Stellung, Peg!“, rief sie noch höhnisch, während sie die Stufen hinauf stieg.
Da es gerade Mittag war, kam das Verlassen des kühlen Gemäuers einem Hitzeschock gleich, sodass Ariona wankend und vom gleißenden Licht geblendet auf die Straßen Galors trat. Dort war wenig los, weil es die meisten Bewohner der Stadt vorzogen, die Mittagsstunden über an einem schattigen Plätzchen zu verharren. Geblendet bemerkte sie die beiden verlumpten Bettler nicht, die sie durchdringend musterten, als sie das Haus verließ.
Sie folgte ein paar verwinkelten Gassen bis zum Lauf des Baskats, wo sie beiläufig einen Blick nach Westen warf. Dort führten die ledrianischen Truppen, welche die Brücken zum Hafenviertel besetzten, gerade einen Wachwechsel durch. Sie glaubte, Lucian de Nord irgendwo zwischen den Reihen der Soldaten auf seinem Pferd erkennen zu können, von wo aus er hochnäsig die Tätigkeiten seiner Untergebenen inspizierte.
Schnell wandte sie ihren Blick ab und ging die Uferstraße entlang in das delionische Viertel, wo sie jedoch feststellen musste, dass sie gar nicht wusste, wo Ferren genau stationiert war.
Als sie zwei delionische Soldaten auf Patrouille entdeckte, wandte sie sich an diese und bekam tatsächlich eine recht genaue Beschreibung, wo sich der Wachturm befand, in dem Ferren Dienst hatte. Dummerweise war dieser ziemlich weit von ihrer jetzigen Position entfernt, sodass sie die Reise durch die engen Gassen des delionischen Viertels mit einem eher mürrischen Gesichtsausdruck antrat.
Schließlich war sie durch so viele Straßen geirrt, dass sie durstig und mit der Feststellung, sich verlaufen zu haben, in den Eigenweiden des delionischen Viertel stand. Vom Strahlen der sengenden Sonne ausgelaugt, lehnte sie an einer Lehmwand, blickte in beide Richtungen der Gasse und fragte sich, ob sie tatsächlich genau gleich aussahen.
Als sie plötzlich jemand ansprach, zuckte sie erschrocken zusammen, war doch zuvor niemand zu sehen gewesen. Das abrupte Auftauchen der Person erklärte sie sich jedoch damit, dass es wahrscheinlich noch eine Seitengasse in der Nähe gab, die man von ihrem Standpunkt aus nicht sehen konnte. Bei dem Neuankömmling handelte es sich um einen gebräunten, athletischen, jungen Mann in einfacher Arbeiterkleidung.
„Habt Ihr Euch verlaufen, Novizin?“, fragte er, nachdem er sie höflich gegrüßt hatte.
„Das sieht so aus, ja“, bestätigte Ariona.
„Nun, ich mache Euch ein Angebot“, sagte ihr Gegenüber langsam, fortwährend mit höflicher Stimme, „Übergebt mir die Flasche, die Ihr mit Euch führt, und ich werde sogar die Freundlichkeit aufweisen, Euch wieder aus diesem Viertel heraus zu geleiten. Wohlbehalten, versteht sich.“
„Ihr wollt die Flasche? Wieso?“, ächzte Ariona, obwohl sie schon grob eine Ahnung hatte, was gerade vor sich ging.
„Scheinbar hat ein bisschen von Pegrys Paranoia auf mich abgefärbt“, dachte sie, während sie bereits nach einem Zauber suchte, mit dem sie ihr Gegenüber überwältigen konnte, „Wahrscheinlich wurde Ysils Haus überwacht. Sie haben mich mit der Flasche gesehen und sind mir bis hierher gefolgt.“
„Rein hypothetisch: Was würdet Ihr tun, würde ich Euch die Flasche nicht geben?“, fragte sie.
„Das wollt Ihr gar nicht wissen“, entgegnete der Mann.
„Das überzeugt mich nicht.“
„Nun, wenn das so ist…“, gab er zurück, wobei er seine Faust ballte.
Bevor er zuschlagen konnte, hatte sie ihn jedoch mit einem Stoßzauber gegen die hinter ihm liegende Hauswand geschleudert. Mit einem leichten Lächeln betrachtete sie das Resultat ihrer Magie, um anschließend davon zu eilen. Das ungute Gefühl beschlich sie, beobachtet zu werden, und tatsächlich erschien es ihr relativ unwahrscheinlich, dass der Angreifer alleine agierte, zumal normale Menschen Magiern im Kampf meist unterlegen waren.
Als sie sich flüchtig umsah, konnte sie allerdings nichts entdecken, was letztlich dazu führte, dass sie ihre Schritte noch beschleunigte. Dann sah sie aus dem Augenwinkel gerade noch eine Gestalt, die sich von einem niedrigen Balkon auf sie stürzte, sodass sie um ein Haarbreit ausweichen konnte.
Bei ihrem Gegenüber handelte es sich um eine wild aussehende Nogronerin, welche eine enganliegende Lederrüstung trug.
Bevor Ariona ihr einen Zauber auf den Hals hetzten konnte, hatte sie sich auch schon einen Tritt eingefangen, der sie gegen die nächste Hauswand schmetterte. Ihre Gegnerin holte nun zu einem Seitwärtsschlag aus.
Obwohl sie kaum noch atmen konnte, schaffte sie es doch, sich darunter hinweg zu ducken. Von der Wucht des Schlages mitgerissen, taumelte die Kämpferin ein Stück zur Seite, worauf Ariona ihr einen leichten Stoß versetzte, der etwas Raum zwischen sie und ihre Gegnerin brachte.
Anschließend schockte sie die Nogronerin mit einer Ladung elementarer Magie, was diese außer Gefecht setzte. Mit einem bangen Blick über die Schulter, musste sie feststellen, dass sich der Mann, dem sie den Stoßzauber versetzt hatte, bereits erholt hatte und in ihre Richtung sprintete. Hastig warf sie sich in eine Seitengasse und lief los. Sie musste jedoch feststellen, dass ihr Verfolger schnell aufholte.
„Was soll das?“, fragte sie sich, „Ich bin eine Magierin. Wieso laufe ich vor einem unbewaffneten Rohling davon, anstatt ihn aufzuhalten?“
Die magische Macht pochte geradezu in ihren Händen, bevor sie sich umdrehte und ihrem Verfolger einen erneuten Stoßzauber entgegenschleuderte, der ihn frontal auf die Brust traf und einige Meter zurückschleuderte. Um ihm endgültig zu entgehen, bog sie in eine andere Gasse ein und nutzte dort eine Leiter, um auf die Flachdächer der angrenzenden Häuser zu gelangen.
Hier, so dachte sie, würde man sie sicherlich nicht finden.
Vom Laufen und Zauberwirken erschöpft, stand sie zunächst, sich mit den Händen auf den Knien abstützend, auf dem Dach. Die Flasche Schwarzsaft, welche sie die ganze Zeit über mitgeschleppt hatte, platzierte sie neben ihrem linken Fuß.
Bevor sie auch nur einmal tief durchatmen konnte, traf sie plötzlich irgendetwas mit enormer Wucht frontal ins Gesicht. Ohne zu wissen, was sie da erwischt hatte, geschweige denn wo es hergekommen war, taumelte sie zurück und musste gleich noch einen Treffer ähnlicher Härte in die Magengegend einstecken, der sie einsacken ließ. Panisch schlug sie um sich, konnte sie doch nicht erkennen, was sie angriff, weshalb sie der Attacke - und sie war sich sicher, dass es eine solche war - vollkommen wehrlos gegenüber stand.
Dann glaubte sie, vor sich eine Art Verzerrung zu erkennen, so wie sie von heißer Luft beim Aufsteigen erzeugt wurde. Als sie genauer hinsah entdeckte, sie dass auch irgendetwas mit der Lichtreflektion nicht stimmte. Etwas Unwirkliches befand vor ihr, wie eine Fata Morgana, und mit einem Mal wusste sie, welcher Hexerei sie gegenüberstand.
Wer auch immer sie angriff, trug einen Tarnanzug, was Ariona umso mehr verwunderte, weil diese ebenso selten wie teuer waren. Bei ihnen handelte es sich um Ganzkörperrüstungen aus leichtem, dünnem und meist enganliegendem Stoff, der so verhext worden war, dass er seinem Träger annähernde Unsichtbarkeit gewährte. Allerdings hatten die meisten Tarnanzüge gravierende Mängel, weshalb die Tatsache, dass sie ihren Angreifer nicht hatte erkennen können, auf ein äußerst qualitatives Exemplar hindeutete.
Nun, da sie wusste, wo ihr Gegenüber in etwa stand, konnte sie ihm zumindest eine Ladung elementarer Magie in Form eines Feuerballs entgegenwerfen. Die Verzerrung breitete sich aus, was dafür sprach, dass der Feind versuchte, auszuweichen. Ariona sprang sofort wieder auf und trat in die Gegend, wo sie den Angreifer vermutete.
Als sie traf, musste sie sich eingestehen, dass es merkwürdig war, gegen einen nicht sichtbaren Widerstand zu treten. Zugleich wurden die Verzerrungen mit jedem Treffer stärker, bis der Getarnte schließlich ihren Fuß zu packen bekam und sie von sich wegstieß. Sie taumelte zurück und steckte, bevor sie ihr Gegenüber erneut entdecken konnte, einen, wohl schlecht gezielten, Faustschlag in die Schultergegend ein. Dieser reichte jedoch, um sie kurz aus dem Gleichgewicht zu bringen.
Dann geschah alles schneller, als sie es überhaupt wahrnehmen konnte. Ein stechender Schmerz in der Kniekehle, ihr linkes Bein gab nach, der Boden kam rasant schnell näher, irgendwie schaffte sie es, sich abzurollen, lag auf dem Rücken, spürte ein Paar kräftiger, kalter Hände an ihrer Kehle, wurde gewürgt, versuchte, zu schreien, schlug panisch um sich. Entmutigt stellte sie fest, dass der Angreifer von den Schlägen, die sie ihm verpasste, reichlich wenig beeindruckt war.
Langsam legte sich ein gräulicher Schleier über ihre Augen, ihre Glieder wurden schwerer, der grauenhafte Druck an ihrer Kehle nahm zu und der Gedanken, irgendetwas tun zu müssen, brannte sich jäh in ihren Schädel. Ihre Magie konnte ihr nicht helfen, denn ein jeder Zauber hätte in diesem Zustand dafür gesorgt, dass sie vor Erschöpfung sofort in Ohnmacht gefallen wäre.
Als sie ihre Hand nach einem weiteren erfolglosen Schlag zu Boden sinken ließ, stieß sie gegen die Schwarzsaft Flasche. Mit letzter Kraft packte sie das Gefäß und schmetterte es ihrem Peiniger in die Seite, doch entgegen all ihrer Hoffnungen brach die Flasche nicht, hielt stand.
Die Schwärze legte sich bereits sanft über ihre Augen, doch ein letztes Mal brachte sie die Kraft auf, zuzuschlagen. Die Flasche prallte gegen die Rippen ihres unsichtbaren Feindes, das Glas brach, ein gellender Schrei ertönte.
Instinktiv rollte sie sich zur Seite und rang, nun da sie von dem eisernen Griff um ihre Kehle befreit war, panisch nach Atem. Wie durch schwache Linsen nahm sie ihre Welt wahr. Das Blut pochte so kräftig in ihren Ohren, dass sie nichts mehr hören konnte. Vor ihr taumelte, wand sich eine geschwärzte Gestalt, die geradezu qualmte.
Als ihr Blick schärfer wurde, erkannte sie das Unheil, das sie angerichtet hatte:
Der Schwarzsaft hatte sich an etlichen Stellen durch den Tarnanzug des Angreifers gefressen und sich anschließend einen Weg weiter in dessen Körper gebahnt. Markerschütternd schrie er, während sich das nekrotische Elixier durch sein Fleisch brannte, bis er schließlich, rückwärts wankend, die Kante des Daches erreicht hatte, die er hinunter stürzte.
Da Arionas Gehör sich wieder erholt hatte, nahm sie die vielen Stimmen wahr, die plötzlich von der Straße herauf zum Dach schallten. Offensichtlich hatten die Schreie des Getarnten all jene aus ihren Verstecken gelockt, die vor der Mittagssonne Zuflucht gesucht hatten.
„Vom Dach gefallen“, hörte sie.
„Sieht schlimm aus.“
„Nekromanten!“
„Schwarzsaft!“
„Da hoch! Wir müssen nachsehen!“
„Ich leg mich doch nicht mit einem Totenbeschwörer an.“
„Wachen! Wachen!“
Dann setzten sich viele Füße in Bewegung, und bevor sie auch nur an Flucht denken konnte, hatten die ersten Bewohner Galors das Dach erreicht. Kaum hatte sie sich versehen, war sie von etlichen Männern und Frauen eingeschlossen.
„Die soll eine Nekromantin sein? Na ich weiß nicht“, zweifelte ein dicklicher, junger Mann.
„Schnauze, Torben!“, blaffte sein geierartiger Nachbar, „Hast du schon mal einen gesehen? Einen Nekromanten? Hä?“
„Das ist bestimmt ein neuer Trick. Sie sieht harmlos aus, aber sie hat ein schwarzes Herz. Das rieche ich“, rief ein älterer Mann.
„Sie hat diesen Kerl mit Schwarzsaft erledigt!“, klagte eine fettleibige Frau.
„Nein, ich…ich“, stotterte Ariona, nur um festzustellen, dass sie zum Sprechen viel zu erschöpft war.
„Ruhe!“, befahl jemand, kurz bevor sich einige Soldaten in delionischen Wappenröcken ihren Weg durch die Menge bahnten. Ihnen stand ein älterer, aber rüstiger Offizier vor, der seine grauen Haare kurz trug und dessen körperbetonte Lederrüstung verriet, dass er noch einiges an Muskelmasse besaß.
„Ist diese Novizin für den Angriff verantwortlich?“, erkundigte er sich.
„Ja, ich habe gesehen, wie sie den Kerl mit Schwarzsaft attackiert hat“, sagte jemand, und als Ariona sich zum Sprecher umwandte, erkannte sie die wild aussehende Nogronerin, gegen die sie vor kurzem gekämpft hatte.
„Sie…“, keuchte die Novizin, doch der Offizier schien sie nicht zu beachten.
„Noch jemand?“, fragte er, worauf sich plötzlich etliche Leute etwas zu Wort meldeten. Erstickt im Schwall der Worte, gebannt in den Fesseln der Erschöpfung ließ sie die Schultern sinken, bevor man sie grob abführte.

Marquis de Nord saß bei reichhaltigem Buffet an einem Tropenholztisch auf der großen, steinernen und reichlich begrünten Dachterrasse der ledrianischen Botschaft.
Während er speiste, stand Herzog Montierre, ihm den Rücken zuwendend, an der Brüstung und blickte auf die Stadt hinaus. In die Ferne starrend, dachte er darüber nach, welche Meinung die Prinzessin Filiana, das dritte Ratsmitglied, wohl über die Besetzung des Hafens haben würde. Der Grund für diese Überlegungen war ihre dringende Anfrage um eine Audienz, die er jedoch bereits viel früher erwartet hatte.
De Nord verleibte sich gerade eine Schnitte mit serpendrianischem Kaviar ein, als Montierre sich zum ihm umdrehte und das Wort erhob:
„Lucian, ich muss dich um etwas bitten.“
„Hm?“, der Marquis verschluckte sich überrascht an seinem letzten Bissen, hustete kurz und fuhr dann fort, „Was gibt es denn?“
„Verzeih, aber ich würde es sehr begrüßen, wenn du an meiner statt mit der Prinzessin sprechen würdest.“
„Was sollte das bezwecken?“, fragte de Nord beiläufig, während er mehr Kaviar auf sein Baguette schaufelte.
„Nun, du weißt, was ich für sie empfinde. Ich fürchte einfach, dass ich…dass ich meine Interessen ihr gegenüber nicht gebührend vertreten kann.“
„Du meinst wohl unsere Interessen“, korrigierte de Nord, nachdem er einen Schluck Wein genommen hatte.
„Gut, ich sprach von unseren Zielen“, fuhr der Herzog fort, „Würdest du also mit Ihr sprechen?“
„Ich fürchte, ich verstehe dein Problem nicht.“
„Nun, es ist nur so, dass unsere politischen Ziele Filiana nicht gefallen werden und das wiederum gefällt mir nicht“, erklärte der Herzog, „Sagen wir mal, ich bin mir nicht sicher, ob ich stark genug bin, meinen Kurs auch ihr gegenüber zu vertreten.“
„Du…du würdest Gottes Wort verraten für…ein erbärmliches Gefühl?“, ächzte Lucian, „Wir sind in Galor, am Ende der Zeit, am Ende der Welt. Wir werden hier niemals lebend raus kommen, Jean, und du, du denkst an…Liebe?“
„Ich weiß“, seufzte Montierre, „es ist verwerflich…“
„Gut erkannt“, lobte de Nord, „Zumal du der Herr eines kargen, verarmten Landstriches bist, während durch ihre Adern königliches Blut fließt.“
„Ja, du hast Recht, es ist nur…“, stotterte der Herzog, bevor sein Gegenüber ihn unterbrach:
„Jean, wir werden sterben. Unsere Seelen und unsere Ehre sind alles, was wir noch besitzen, was wir noch retten können. Sollte es deine Intention sein, das wenige, das du noch hast, so kurz vor deinem Tod wirklich wegzuwerfen?“
„Nein. Das will ich wahrlich nicht. Und genau aus diesem Grund bitte ich dich darum, mit ihr zu reden.“
„Du weißt, wer ich einst war und wie ich dieses unterwürfige Gehabe verachte, das ich ihr gegenüber an den Tag legen muss?“, fluchte de Nord.
„Lucian…“, flüsterte der Herzog, „Ich denke, du solltest langsam akzeptieren, dass die Zeiten, da man dich noch mit „Eure Hoheit“ ansprach, vorbei sind.“
„Nur, weil ich einen anderen Namen und einen anderen Titel trage, heißt das nicht…“, begann der Marquis, bevor der Herzog ihn unterbrach:
„Ich fürchte schon. Im Übrigen: Solltest du etwa für den Willen Gottes nicht auf deinen Hochmut verzichten wollen?“
„Nun, offensichtlich verlangt dieser, dass ich mit der geschätzten Prinzessin spreche“, zischte Lucian, während er mit seinem halbvollen Weinglas gestikulierte, „Wer wäre ich, würde ich mich dem widersetzen, dem einzigen, dem ich diene? Ich werde also mit ihr sprechen, mein Freund.“

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Crawley
Wer wäre ich hier, wenn nicht jemand, der seinen Visionen ein Zuhause geben will?
Tue ich das gerade nicht, studiere ich Rechtswissenschaften und bemühe mich, nicht gleich jedes damit verbundene Klischee zu erfüllen (letzteres womöglich nur mit mittelmäßigem Erfolg), oder fröne in irgendeinem Pub meinen Lastern.

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Fianna Jetzt nimmt deine Geschichte richtig Fahrt auf. Sehr spannend vor allem die Kampfszene, aber auch der Rest lässt nicht zu wünschen übrig.

Dein Schreibstil ist einfach toll und fesselnd!

Liebe Grüße
Fianna
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