Kapitel 12 Wolf
Jaret sah über das weite, verlassene Land. Seit dem Kampf mit dem Vogel war bereits ein Tag vergangen und soweit das Auge reichte erstreckte sich noch immer nichts als eine Wüste aus Asche.
Jetzt aber tauchte vor ihnen langsam etwas Neues auf.
Ein Wald aus versteinerten Bäumen und darin so etwas wie ein ummauerter Brunnen. Vertrocknete Ranken und Sträucher bedeckten den Boden, die mittlerweile die gleiche Aschgraue Farbe angenommen hatten wie alles hier.
Jaret trat an den Brunnenrand heran und sah hinab. Leer. Kein einziger Tropfen Wasser.
,, Das ist es.“ , meinte Verren.
,, Das ?“ , fragte Jaret unglaübig. Er wusste nicht was er erwartet hatte aber das hier war einfach… nun ja… nichts.
,, Verren, ich möchte wirklich nicht an euch zweifeln, seit ihr sicher das ihr die Karte richtig lest ?“ , fragte Jade.
,, Nein, absolut richtig seht selbst.“ Verren schlug die Seite des Buchs mit der Karte auf und deutete auf den Küstenumriss.
,, Seht ihr, hier sind wir an Land und wenn wir nicht am falschen Ort sind…“ Er deutete auf eine kleine Markierung auf der Karte, die unschwer als grobe Zeichnung eines Brunnens zu erkennen war.
Jaret wendete sich ab und sah wieder hinab… Wie hatte es gelautet…
,,Jeder Schritt in den Hallen begleitet von einem Tropfen, Rubinrotes Wasser tränkt die Stufen, verfärbt den Fluss und bringt kurz Frieden“
Es gab hier keine Stufen… und einen Fluss konnte er auch nicht entdecken…. Aber… Es war wohl einen Versuch wert.
Er zog einen kleinen Dolch und zog sich die Klinge einmal über die Handfläche. Einige wenige Blutstropfen fielen hinab in den leeren Brunnen.
,, Was macht ihr….“ Gerret verstummte.
Ein seltsames Geräusch ließ den Boden erzittern.. ein Geräusch fast wie….
Fließendes Wasser. Das was Jaret ursprünglich für den Boden des Brunnens gehalten hatte brach zusammen und darunter quoll tosend Wasser hervor, das rasch den gesamten Brunnen auffüllte.
Die Wassermassen beruhigten sich erst als der Brunnen randvoll war.
Soviel zum beruhigten Fluss, dachte Jaret.
Am jetzt überfluteten Grund des Brunnens schimmerte irgendetwas. Den anderen war es auch aufgefallen.
,, Wir werden wohl oder übel tauchen müssen.“ ,stellte Gerret fest.
,, Falsch wir werden schwimmen müssen. Ihr bleibt besser hier.“ , sagte Jaret.
,, Moment mal Jaret ich werde euch drei sicher nicht…“
Jaret unterbrach ihn. ,, Gerret, ihr seid die Felswand kaum heraufgekommen. Und ich hätte sowieso lieber etwas Rückendeckung. Wer weiß ob nicht wieder ein… Vogel… auftaucht.“
Der Magier gab auf. ,, Nun gut. Ich warte. Aber beschwert euch nicht bei mir wenn euch da unten irgendetwas frisst.“
,, Gerret, für den Fall das da unten irgendetwas sein sollte, dürfte es seit ein paar Jahrhunderten Tod sein.“ , versuchte Jade den Magier zu beruhigen.
,, Und wenn nicht bin ich ja auch noch da.“ , meinte Verren.
Jaret ließ sich vom Brunnenrand ins Wasser fallen. Es war eiskalt, etwas das ihn nach der Wüstenähnlichen Landschaft oben überraschte und fast dazu gebracht hätte wieder aufzutauchen.
Stattdessen jedoch tauchte er, gefolgt von Jade und Verren tiefer auf das schwache Licht am Boden zu. In Der Seitenwand des Brunnens klaffte eine Öffnung und… Er streckte eine Hand hindurch… Irgendetwas hielt das Wasser davor zurück. Er trat durch die Öffnung.
Die anderen beiden folgten ihm wenige Sekunden später und sahen sich, genau wie er um. Viel zu sehen gab es allerdings nicht. Vor ihnen führte eine nur am Anfang von einigen Leuchtkugeln erhellte Treppe wieder ein paar Stufen nach oben.
Und hinter ihnen…. Schwebte eine Wand aus Wasser.
Jaret stellte überraschend fest, dass der Zauber, welcher das Wasser daran hinderte den Gang zu überfluten, auch die Nässe aus ihrer Kleidung entfernt hatte.
Er versuchte mit einer Hand Wasser aus der Wand zu schöpfen. Es funktionierte nicht. Kein Tropfen Wasser konnte die seltsame Barriere durchbrechen.
,, Habt ihr eine Ahnung was das genau für eine Art Zauber ist ?“ , fragte er Verren.
,, Keine Ahnung. Aber wenn es nach all der Zeit noch aktiv ist… Wir sollten sehr vorsichtig sein Jaret.“
Sie gingen weiter, hinein in das Dunkel hinter der Treppe. Das mussten die Stufen sein.
,, Adriana
Ich habe es fast geschafft. Die letzten Seiten von Jaets Tagebuch enthüllen etwas Bemerkenswertes. Offenbar befindet sich der seelenquell, den er gesucht hat unter einem Brunnen. Und nach allem was ich weiß, glaube ich sogar zu wissen welcher.
All das hier findet hoffentlich bald ein Ende. Solange hoffe ich du kommst in Dynastes zurecht.
Ein paar ermahnende Worte reichen hoffentlich.
Wenn das hier endlich vorbei ist, hoffe ich wirklich nie wieder etwas von schwarzer Magie, verrückten Zauberern, Sehern und ähnlichem zu hören.
Aber… da ist wieder dieses Gefühl, das ich nicht richtig fassen kann. Als wäre etwas direkt hinter mir.
Ich weiß das klingt verrückt, aber so muss sich ein Reh fühlen, wenn es den Atem eines Wolfs im Nacken spürt.
Nur das ich keine Ahnung habe wo der Wolf ist.
Liron“
Liron beobachtete die kreisenden Zeiger jetzt schon eine Weile. Die fragenden blicken von Torus ignorierend klappte er den Deckel wieder zu und verstaute die Apparatur wieder in seiner Tasche.
Die Zeiger tickten tatsächlich rückwärts.
Wobei das vielleicht der falsche Ausdruck war… sie prangen vielmehr rückwärts.
Seit sie Grauhafen verlassen hatten, war die Uhr wieder einigermaßen normal gelaufen. Jetzt jedoch wo sie sich ihrem Ziel näherten, dem Brunnen an dem ihm vor so langer Zeit einst die Geister der Seher begegnet waren, begannen die Zeiger sporadisch kurz rückwärts zu laufen.
Um den Brunnen zu erreichen mussten sie durch einen Mangrovenwald, der den Ort vor dem Rest der Welt abschirmte. Der einzige Weg hindurch bestand aus einem Hölzernen Laufsteg, der stellenweise beschädigt war, so dass sie immer wieder über Lücken springen mussten.
,, Ihr wart schon einmal hier ?“ , fragte Torus ihn, während sie ihren Weg fortsetzten.
,, Zweimal um genau zu sein. Beim ersten Mal hätte ich allerdings nie vermutet, das hier mal ein Wald wachsen würde, geschweige denn das hier überhaupt je wieder etwas wachsen würde.“
Er hatte den Ort eigentlich nur aus Zufall gefunden… weil er gemeint hatte jemanden außerhalb von Grauhafen gesehen zu haben. Dieser jemand hatte sich am Ende als der geläuterte Ruben Darelto herausgestellt.
,, Und das zweite Mal ?“
,, Beim zweiten Mal habe ich es mit einem äußerst bösartigen Monster zu tun bekommen das mich beinahe getötet hätte. Ich hoffe den Teil mit dem Monster kann ich mir diesmal sparen.“
Ihn schauderte immer noch ein wenig bei der Erinnerung. Er wäre erst beinahe getötet worden. Und dann war dieses... etwas in ihm erwacht, das ihn später beinahe übernommen hätte.
Beim letzten Mal als er hier war, war ihm allerdings auch noch etwas anderes begegnet. Ein Irrlicht namens Lis, das letztlich gestorben war um ihn zu retten. Er hatte sich damals geschworen, dass dies nicht umsonst gewesen war.
Und das brachte natürlich all seine anderen Erinnerungen an damals zurück. Anbrail, die Sanduhr, die er letztlich zerstört hatte und das Wesen das er dadurch befreit hatte. Phönix. Er hatte seit dieser Zeit weder von dem Wesen gehört noch es gesehen. Vielleicht war der Feuervogel einfach verschwunden.
Sie erreichten das Ende des hölzernen Stegs, wo das Land vom Sumpf hinter ihnen wieder anstieg und auf ein kleines Plateau führte in dessen Mitte sich der Brunnen befand.
Nebel trieb über den Boden und schwächte die Sonnenstrahlen ab, so dass alles ungewöhnlich düster wirkte. Trotzdem hatte Liron keine Angst. Dieser Ort mochte eine Verbindung zweier Welten darstellen, aber eine Gefahr war er nicht. Zumindest nicht hier oben. Aber aus dem Tagebuch ging hervor, dass er auf den Grund des Brunnens tauchen musste.
Er sah über den Rand in das kristallklare Wasser. Er tauchte eine Hand hinein. Sofort begann das Wasser durcheinander zu wirbeln, als würde von irgendwoher eine Strömung kommen.
Der Versuch hinunterzutauchen würde nur zum Ertrinken führen. Aber… es war ja auch nicht vorgesehen ohne Opfer nach unten zu gelangen.
Er zog seine Waffe und schnitt sich in die Handfläche.
Ein paar Blutstropfen landeten im Wasser und hinterließen kurz rote schlieren darin. Das Wasser beruhigte sich.
,, Das ist es ? Danach habt ihr gesucht? Was nun ?“
Liron legte sein Schwert und die Pistole weg. ,, Tut mir einen gefallen und wartet hier. Haltet die Augen offen,“
,, Wonach ?“ Torus war verwirrt. Die Stimme des Sehers klang ernst, das war auch in Ordnung so, aber schwang da nicht auch so etwas wie Angst mit?
,, Das weiß ich nicht. Und ich würde es lieber auch nicht ehrausfinden.“
Mit diesen Worten verschwand Liron im Wasser.
Es war nun einige Minuten her, dass der Seher im Brunnen verschwunden war und Torus begann langsam sich zu langweilen. Natürlich machte er sich Sorgen um Liron, aber diese hielten sich im Grenzen. Er wusste hoffentlich was er tat.
Torus begann sich den Brunnen etwas näher anzusehen. Es schien sich um einfache, aufeinandergeschichtete, Steine zu handeln die größtenteils nur noch von den darum wuchernden Ranken zusammengehalten wurden. Es wirkte zerbrechlich.
Aus Neugier was wohl passieren würde wirkte er einen kleinen Zauber auf einend er Steine, der ihn von seinen Platz lösen würde.
Die Reaktion war heftiger als er erwartet hatte.
Der Zauber prallte ab und wurde dabei sogar noch verstärkt, sodass er plötzlich seiner eigenen Magie ausweichen musste. Das war alles, nur kein gewöhnlicher Stein.
Er versuchte per Hand einen der Steine zu verschieben, doch sobald er ihn berührte löste sich eine der Ranken und schlug nach ihm. Ein tiefer Kratzer am Handrücken war alles was er ausgerichtet hatte.
Aber… der Schutzzauber war ruhig geblieben als Liron hineingestiegen war… konnte diese Magie etwa Absichten erkennen?
Ohne den Gedanken an Zerstörung legte er erneut eine Hand auf den Stein. Nichts geschah.
Das war faszinierend…
Während er noch darüber nachgrübelte schlug etwas mit einem dumpfen Schlag neben ihm auf den Stein und prallte ab.
Ein Pfeil… Was zum ?
Er wirbelte herum und sendete eine Welle aus Feuer in die Richtung aus der der Pfeil gekommen sein musste.
Außer das er den Nebel etwas vertrieb und ein paar Sträucher in Brand setzte geschah nichts.
Ein weiterer Pfeil kam aus dem nichts und landete wenige Meter vor ihm. Vorsichtig und sich nach allen Seiten umsehend ging Torus in die Richtung aus der der zweite Pfeil kam.
Ein kleines Wäldchen das dem Schützen ein gutes Versteck bieten musste.
Als er grade einmal ein paar Schritte in das Dickicht gemacht hatte krachte etwas mit einem dumpfen Schlag auf seinen Kopf. Um ihn herum wurde alle schwarz.
Er überlegte kurz ob er den Zauberer töten sollte. Er entschied sich schließlich dagegen. Er stellte keine Bedrohung mehr da und bis er wieder aufwachte.. wäre es längst zu spät und er bereits auf dem Rückweg um sich den letzten Akt des Planes anzusehen.
Zu lange hatte dieser Mann sie zum Narren gehalten. Heute würde erst er erfahren wem er in die Quere gekommen war… und danach alle anderen die auf seiner Seite standen.
An sich war es eine Gnade den Seher als erstes zu töten. Es würde ihm viel Leid ersparen.
Ein letztes Mal überprüfte der Attentäter seine Waffen. Die Pfeile für den Bogen… er wusste nicht ob er sie brauchen würde…. Dort unten waren sie eigentlich unnötig. Aber er würde auf keine Waffen verzichten. Liron Weißläufer mochte älter geworden sein, das hieß aber nicht, dass die Gemeinschaft ihn unterschätzen würde. Noch dazu besaß er immer noch die Macht des Magienexus.
Das würde zweifelsohne sehr interessant werden.
Die interessanteste Jagd seit Jahren.
Er beugte sich über den Brunnenrand um hineinzuspringen als ihm etwas auffiel.
Im Gras neben dem Brunnen lagen ein Schwert und eine Pistole. Dieser Narr war unbewaffnet nach unten gegangen.
Möglicherweise würde die Jagd doch nicht so interessant werden wie er dachte.
Er zog das gezackte Messer und ließ es über seien Handfläche wandern. Der leichte druck reichte schon um die Haut zu durchbohren.
Ein paar Tropfen Blut fielen ins Wasser. Die ersten von vielen, dachte er. Und es würde nicht sein Blut sein, welches das Wasser das nächste Mal färbte.
Er holte noch einmal Luft und verschwand unter der Wasseroberfläche.
Der Wolf hatte das Reh gefunden.