Kurzgeschichte
Lebensherbst

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"Lebensherbst"
Veröffentlicht am 16. Juli 2012, 4 Seiten
Kategorie Kurzgeschichte
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Über den Autor:

Ich bin 1967 geboren, verheiratet und Mutter zweier Söhne. Unter Pseudonym veröffentlichte ich bereits zahlreiche Geschichten in diversen Autorenforen. Meine Kurzgeschichte \"Wie ein grauer Nebelschleier\" erschien im Januar 2012 in der Anthologie \"Erwachen\" (Sarturia-Verlag). Desweiteren wird vom Sperling-Verlag die Anthologie \"Wintermärchen herausgebracht (voraussichtlich Herbst 2012), in der ich ebenfalls mit einem Märchen vertreten bin. ...
Lebensherbst

Lebensherbst

 

Mit gebeugtem Rücken saß sie am Tisch. Ihre von Altersflecken übersäte Hand führte zittrig den Löffel zum Mund. Geräuschvoll schlürfte sie die Suppe. Dass sie die Hälfte davon verschüttete, schien sie nicht weiter zu stören. Seine Hilfe hatte sie wie immer abgelehnt. Sie konnte richtig böse werden. Manchmal sogar ausfallend. Es schmerzte Ralf, ihren langsamen Verfall beobachten zu müssen.
Ihre Stärke hatte Ralf stets bewundert, denn leicht war ihr Leben nie gewesen. Sein Vater hatte die kleine Familie unmittelbar nach seiner Geburt verlassen und war auf Nimmerwiedersehen verschwunden. Eine alleinerziehende Mutter war damals in den Augen der christlich geprägten Dorfgemeinschaft ein absolutes Tabu. Aber Mutter war eine Kämpferin und hatte mit eisernen Willen und harter Arbeit dafür gesorgt, dass es ihm an nichts fehlte.

Ralf erinnerte sich wehmütig an seine Kindheit.

Sie war es gewesen, die sein Fahrrad reparierte. Sie hatte mit ihm gezeltet. Sie zeigte ihm, wie man flache Kieselsteine übers Wasser tanzen lässt …. Viele Kleinigkeiten, die in den Familien seiner Freunde Väter mit ihren Kindern unternahmen, hatte Ralf mit seiner Mutter gemacht.Einen Vater vermisste er aber trotzdem nie. Ebenso verdankte er ihr, dass er das Gymnasium besuchen und später sein Studium finanzieren konnte. Dafür hatte sie oft bis spät in die Nacht gearbeitet …

Unvermittelt hob die alte Frau den Kopf und riss Ralf aus seinen Gedanken.
„Wann kommt Mama nach Hause?“, wollte sie wissen, „sie hat mir versprochen, eine neue Schleife mitzubringen. Die schöne Rote, die es bei Krügers im Laden gibt.“
"Bald!", erwiderte Ralf. "Sie kommt sicher bald." Sorgfältig wischte er ihr den Mund ab, zog den Rollstuhl vom Tisch zurück und schob ihn auf die Terrasse.
„Sie hat es mir versprochen“, sagte die Alte weinerlich. Dann brach ihre Stimme und sie murmelte nur noch etwas Unverständliches vor sich hin.

Es war ein lauer Frühlingstag. Ihr schlohweißes Haar leuchtete in der Sonne. Ralf zog einen Stuhl heran, setzte sich neben seine Mutter und hielt zärtlich ihre Hand. Aus den Sträuchern und Bäumen tönte lautes Vogelgezwitscher zu ihnen herüber. Ein Lächeln huschte über das von Falten zerfurchte Gesicht der alten Frau. Die ersten Frühlingsboten streckten ihre Köpfe keck den wärmenden Sonnenstrahlen entgegen. Frühling, dachte Ralf. Die Zeit, in der die Natur zu neuem Leben erwacht. Doch seine Mutter war längst am Ende des Herbstes angekommen, auf den schon bald ein ewig währender Winter folgen würde.

 

 © Kalwap 16.07.2012

 

 

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Über den Autor

Kalwap
Ich bin 1967 geboren, verheiratet und Mutter zweier Söhne. Unter Pseudonym veröffentlichte ich bereits zahlreiche Geschichten in diversen Autorenforen. Meine Kurzgeschichte \"Wie ein grauer Nebelschleier\" erschien im Januar 2012 in der Anthologie \"Erwachen\" (Sarturia-Verlag). Desweiteren wird vom Sperling-Verlag die Anthologie \"Wintermärchen herausgebracht (voraussichtlich Herbst 2012), in der ich ebenfalls mit einem Märchen vertreten bin. Außerdem veröffentlichte ich kürzlich mein erstes eBook auf Amazon. Weitere Informationen, sowie Bilder, Sinnige und Unsinnes, gibt es auf meiner Homepage

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GerLINDE Lebensherbst - Hallo Kalwap, eine ergreifend schöne Geschichte hast Du geschrieben. Rührend hat sich der Sohn um seine Mutter im Rollstuhl gekümmert und sie nicht in ein Heim "abgeschoben".
Der allmähliche Zerfall der Gedanken, eine Krankheit, die noch nicht zu heilen ist. Täglich werden sich diese Situationen im Alltag widerfinden, leider zunehmend.

Gern gelesen.

Lieben Gruß
GerLinde
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