Beschreibung
Es ist ein Text über einen täglichen Fall
Jeden Tag, wenn er sich dem Ende neigt, steige ich aus meiner Kleidung und setze mich auf die Kante meines Bettes. Nahezu gedankenverloren vollführe ich dieses tägliche Ritual und jedes Mal, wenn die Beine unter der Decke verschwunden und der Kopf auf dem Kissen gebettet sind, legt sich eine schwere, angenehme Dunkelheit über mich.
Im Bruchteil von Sekunden beginnt der ganze Körper langsam durch eine zähe, klebrige Masse in die Tiefe gezogen zu werden. Als wäre ich in einem Teertropfen, der sich gerade aus einem nicht ganz verschlossenen Hahn seinen Weg bahnt, merke ich, wie ich eine unsichtbare Abgrenzung mehr und mehr strapaziere. Immer stärker wird der Sog nach unten und immer schwieriger ist es der schwarzen Membran mich von dem Durchbruch abzuhalten. Erst als sich der letzte Faden nicht mehr an der Maße halten kann und die Verbindung zum Ganzen entgleitet, fängt mein Fall, umschlossen von einem dünnen, schwarzen Film, in den Abgrund an.
Zu Anfang ist die Geschwindigkeit fast schon unerträglich langsam, während der Körper und Geist sekündlich die Umgebung registrieren. Viel ist es nicht, doch die Dunkelheit vermittelt auch, dass es sie gibt. Erst als der Sog in den Abgrund an Stärke gewinnt, fangen Bilder langsam an an den nicht vorhandenen Wänden aufzutauchen. Sie zeigen vieles, doch immer nur einen Moment. Momentaufnahmen in steigender Zahl, je mehr der Fall zunimmt. Die Meisten davon will ich nicht sehen, denn unter mir ist ein kleines Licht, dass meine Aufmerksamkeit beansprucht. Ein Licht, welches mich zu rufen scheint. Es ist zu interessant, als wenn Momentaufnahmen des Tages, des Monats, des Jahres, des Lebens, mich von ihm reißen könnten. Fast schon unbewusst versuche ich mich in der Luft abzustoßen um den Fall zu beschleunigen. Es gelingt mir nicht. Es gelingt mir nie. Hier herrschen andere Gesetze. Gesetze, auf die ich keinen Einfluss habe. Der einzige Trost, der mich nicht verzweifeln lässt, ist die Erkenntnis, dass die Momentaufnahmen, die zuvor noch gestochen scharf zu sehen waren, nunmehr nur noch verschwommen an mir in die Höhe fliegen. Wo ich noch vor einem Moment gewisse Dinge erkennen konnte, verwandeln sie sich mit jedem Anstieg der Fallgeschwindigkeit mehr und mehr in tanzende Linien. Sie würden anmutig und unterhaltsam wirken, wenn das Licht unter mir nicht mit jeder Sekunde größer werden würde und damit meine Bewunderung wachsen ließe.
Der Wind in diesem Raum umschmeichelt meinem Körper, während ich den schneidenden Frost, der schwarzen Hülle sei dank, nicht verspüre, aber mit den Fingern aus den einzelnen Eiskristallen Töne entlocke und sie zu einer ansteigenden Melodie vereine. Wie in Trance vereint sich die Melodie, das Gefühl von Freiheit und die Neugier zu erfahren, was das Licht darstellt, zu einem zusätzlichen Antrieb, der die Bilderreihen nach und nach in vorbeifliegende Lichtlinien verwandelt bis sie durchgezogene, leuchtende Säulen bilden.
Was zu Anfang des Absturzes nur ein kleiner Lichtpunkt war, ist nun zu einem riesigen Krater angewachsen und weitet sich mit jedem zurückgelegten Meter weiter. Die Vorfreude ist groß, die Erwartungen hoch, die Euphorie wächst immer weiter, während immer mehr die Stärke des Lichtes nachlässt und erste Einblicke in das Dahinter gewährt. Das Dahinter, das ich nie zuvor erblickt habe. Mir steigen Tränen in die Augen. Die Geschwindigkeit hat schon längst jegliche Grenzen überschritten und die ersten Funken fangen an den Seiten an zu beißen. Angst verspüre ich nicht. Ich bin in Sicherheit, wie jedes Mal. Und selbst wenn ich es nicht wäre, gilt all mein Denken der Grenze des Lichtes. Ich will durch, will in das Dahinter, will, dass der Fall noch schneller wird. Ich weiß nicht, was mich da erwartet, aber ich weiß, dass ich durch den Lichtkreis muss. Mein ganzes Sein lechzt nach dem Durchbruch.
Ein letztes Mal werde ich schneller. Ich bin so schnell, dass meine Augen die Lichteinstrahlungen nicht mehr unterscheiden können. Für einen kurzen Moment werde ich blind, um im Nächsten blitzschnell gedreht durch die Lichtbarriere zu brechen. Mit einem Aufschrei des Glückes, zerplatzt meine schützende Hülle und entlässt mich in eine unbekannt Welt.