Kurzgeschichte
Radiowelten

Ich dreh den Radio auf und plötzlich läuft dasselbe, das ich sowieso auch sonst den ganzen Tag höre. Ich bin definitiv endlich daheim, baby. Ich kann es kaum glauben, ein Lied nach dem anderen, das gut ist und hier ist und bei mir ist und somit meines ist. Ich will ja nicht verraten, welcher Sender es ist, aber ich denke, ihr könnt es euch denken. Ich stehe täglich dazu auf, aber ich schalte meinen Radiowecker  immer so schnell aus, dass ich das noch gar nicht bemerkt habe. Also die gute Musik. Denken konnte ich es mir, ist ja unsere gesamte Wohnung mit Bildern ihrer Küken tapeziert. Ich bin ja gar kein richtiger Fan vom Radio, als Kind hab ich dazu getanzt und gesungen, mit einer Taschenlampe als Mikrofon, und stundenlang bin ich davor gesessen und hab auf mein Lieblingslied gewartet, damit ich endlich auf die Rec Taste drücken kann, aber später dann habe ich Musik gehört, die das Radio mir nicht bieten konnte. Außerdem haben mich die Moderatoren immer genervt, ich hör lieber Musik bei mir daheim und bin mein eigener Moderator. Was ich sage, ist sowieso immer viel klüger und besser und wahr, so wahr kannst du es niemals sagen. Du versuchst mir etwas einzureden, deine Meinung, deine Ansichten, als wäre es das einzig gültige und das einzig richtige, aber ich will einfach nur die Musik in mich einsaugen und genießen und weinen, weil es schön ist, und weinen, weil es mich an früher erinnert, und lachen, weil es schön ist, und lachen, weil es mich an früher erinnert, als alles noch leicht und gut und die Zukunft so weit weg war. Jetzt ist sie da, und ich habe immer noch nichts erreicht. Jetzt ist sie da und ich bin immer noch hier, und träume, und hoffe, und warte auf die Zukunft, die so weit weg ist. Im Radio sprechen sie über Betäubungsmittel, das haben sie früher sicher auch nicht. Ich wollte immer selbst mein eigenes Radio machen. Ich habe sogar 4 beidseitig bespielte Kassetten mit meiner eigenen Radioshow, vielleicht waren es sogar mehr Kassetten. Alle Leute habe ich interviewt, meine Eltern, meine Großeltern, meinen Bruder, meine Schwester, meine Kusine, meinen Goldfisch, meinen Basketball, meine zweite Persönlichkeit, die Chrissi mit zwei s. Die Chrissi mit zwei s war schon verheiratet. Ich weiß aber nicht mehr, mit wem. Die Chrisi mit einem s hatte zwei Mütter, die zweite lebte im Garten und wartete darauf, dass ihre Tochter endlich für immer zu ihr kommen würde. Die Chrissi mit zwei s war viel cooler und lustiger als die Chrisi mit einem s. Und so interviewte die Chrisi mit einem s die Chrissi mit zwei s, weil die eine war ein Star und die andere nur Moderatorin. Es ist ein Rausch, eine Welle, es nimmt dich mit und bricht aus, aus dir raus, aus deiner Brust, ein Donnie Darko´scher Vektor, er zeigt nach vorne, Richtung MORGEN, Richtung Möglichkeiten.