Fantasy & Horror
Augen der Nacht

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"Augen der Nacht"
Veröffentlicht am 30. März 2012, 8 Seiten
Kategorie Fantasy & Horror
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Augen der Nacht

Augen der Nacht

Freiheit

Endlich war es Morgen. Die Sonne ging am Horizont langsam auf und das warme Licht flutete das Zimmer. Ich hatte die letzten sechs Stunden nur noch dem Atem meiner Zimmergenossen gelauscht und mir Sorgen über den heutigen Tag gemacht. Nun hatte ich bereits seit fünf Jahren auf diesen Tag hingearbeitet und endlich hatte mein Meister zugestimmt, mich zum Initiationsritual zuzulassen. Heute würde ich nun endlich ein volles Mitglied der Beschützer unserer Stadt werden. Meine Ausbildung wäre damit zwar noch lange nicht beendet, aber ich wäre ein vollwertiger Diener Gottes. Aber dies hatte mich nicht die ganze Nacht lang wach gehalten. In meinen Augen war das bedeutenste Ereignis des heutigen Tages, dass ich zum ersten Mal in meinem Leben fliegen würde. Ich hatte schon häufig gesehen, wie die älteren Schüler der Akademie ihre Flügel spreizten und jedes Mal hatte ich mir vorgestellt, wie es wohl sein würde selber durch die Luft zu gleiten.

Noch versunken in diesen Gedanken stand ich aus dem Bett auf und begann mich anzukleiden. Die einfachen Klamotten eines niederen Auszubildenden würde ich heute gegen eine neue Garnitur in der Farbe, die für mich bestimmt war, austauschen. Ein letztes Mal musste ich sie leider doch noch anziehen. Ich schlich mich leise aus dem Raum, um die anderen nicht zu wecken und machte mich auf die Suche nach meinem Meister. Wahrscheinlich war der alte Mann noch immer in seinem Quatier und dachte gar nicht daran aufzustehen, bevor nicht die ganze Akademie in sich zusammenstürzte oder, was seiner Meinung nach genauso schlimm war, einer seiner Vorgesetzten ihm einen Befehl gab. Aber mir blieb wohl keine andere Wahl, als es trotzdem zu versuchen und ihn irgendwie dazu zu bringen, mit zum Außengelände zu kommen, wo das Ritual stattfinden würde. Die Meisterquartiere waren am anderen Ende des Akademiecampus, was mich trotz meines zügigen Gehtempos eine halbe Stunde kostete und mich dazu brachte, den Erbauer der Akademie wieder einmal zu verfluchen.

Angekommen sandte ich ein Stoßgebet gen Himmel, dass mein Meister schon wach sein möge, doch wirklich daran glauben konnte ich nicht. Nach mehrmaligem Klopfen merkte ich, dass wohl jedwede Liebesmüh vergeblich war und ich mich lieber alleine zum Ritualplatz begeben sollte. Ich konnte an so einem Tag schließlich nicht zu spät erscheinen.

Der Ritualplatz war ein kleiner Platz am Rande der Plattform, auf der die Akademie über den Wolken schwebte. Der Platz war noch wie leer gefegt und mein Herzschlag beruhigte sich etwas. "Zumindest bin ich nicht zu spät", dachte ich und machte mich bereit, noch eine Zeit lang zu warten, bis Lord Nardan eintreffen würde. Niemand wusste, aus welchen Gründen der Leiter der Akademie persönlich jedem Initiationsritual beiwohnte. Es gab jedoch Gerüchte, die besagten, einige Schüler würden schon direkt nach dem Ritual gesondert ausgebildet werden und der Leiter müsste entscheiden, wer dies war. Deswegen zog er es vor anwesend zu sein, anstatt nur auf Basis von Berichten anderer zu entscheiden.

Nach und nach begann das tägliche Leben in der Akademie, doch der Ritualplatz blieb leer. Es war Schülern, die nicht am Ritual teilnahmen, untersagt, sich dem Platz zu nähern. Ich konnte meine Verwunderung kaum unterdrücken, als ich Lord Nardan zusammen mit meinem Meister auf den Platz zugehen sah. Sollte der alte Mann etwa doch rechtzeitig aufgestanden sein? Ich musste lächeln, bei dem Gedanken daran, wie sehr ihm dies widerstreben musste. Damit könnte das Ritual wohl gleich beginnen. Mein Herz begann wieder schneller zu schlagen und ich spürte, wie die Nervosität, die mich die ganze Nacht lang wachgehalten hatte, zurückkehrte.

"Na nervös?", murmelte mein Meister mir mit einem spöttischen Grinsen zu, als er bei mir ankam und Lord Nardan zur Mitte des Platzes weiterging. Ich nickte nur. Er hatte gut reden, sein Ritual war schon Jahrzehnte her und die Anzahl der Rituale, denen er schon beigewohnt hatte, konnte er wohl selber nicht mehr zählen.

"Komm!"

Lord Nardans Stimme ließ keinen Raum für Widerspruch. Ich bewegte mich langsam auf die Mitte des Platzes, wo er schon wartete, zu und merkte, dass ich mit jedem Schritt nervöser wurde. Es fühlte sich an, als wäre ich auf dem Weg zum Schafott, um meine gerechte Strafe zu empfangen, und nicht hier um ein Diener Gottes zu werden. Seine Aura war erdrückend. Ich spürte, warum nie jemand seine Position als Leiter der Akademie angezweifelt hatte. Ich hatte, soweit ich mich erinnern konnte, noch nie eine solche Präsenz reiner Macht gespürt.

Sobald ich vor ihm stand, fiel ich augenblicklich auf die Knie; nicht nur, weil es Teil des Rituals war. Von Nahem war seine Präsenz noch erdrückender.

"Bist du bereit, den Segen Gottes zu empfangen?"
Ich schluckte.

"Ja, ich bin bereit, für meinen Herren zu kämpfen und sein Wort als Gesetz zu tragen."

"Schwörst du, Gott zu dienen bis zu deinem Tode und darüber hinaus?"

"Ich schwöre."

"Schwörst du, diese Stadt gegen jede Gefahr zu verteidigen, die da kommen möge?"

"Ich schwöre."

Jedes Wort des Rituals war genau einstudiert, so dass ich mit jeder Sekunde sicherer wurde und ein Stück meiner Nervosität von mir abfiel.

"Ich ernenne dich hiermit zu einem Diener Gottes. Nutze dein neu gewonnenes Amt, um unser Volk und unsere Stadt vor allem Übel, was da kommen mag, zu schützen. Und nun", er lächelte, "spreize deine Flügel, als Diener unseres Herrn und vollwertiges Mitglied der Akademie des goldenen Schwertes."

In diesem Moment spürte ich, wie eine gewaltige Macht meinen ganzen Körper durchströmte. Meine Haut begann zu kribbeln und ich bekam ein flaues Gefühl im Magen. Gleichzeitig bemerkte ich, dass etwas an meinem Körper sich anders anfühlte und ich begriff auch sofort woran das lag. An meinem Rücken befand sich ein Paar Flügel, so groß wie mein eigener Körper, und ich merkte, dass ich diese flügel bewegen konnte. Langsam verließ ich den Boden unter meinen Füßen und erhob mich Stück für Stück in die Luft.

Das Gefühl der Freiheit war unbeschreiblich. Mein Gewicht lastete nicht mehr auf meinen Beinen sondern befand sich einfach in der Luft unter mir bloße Leere. Nur getragen von meinen eigenen Flügeln glitt ich langsam aber erstaunlich sicher, wenn man bedenkt, dass es mein erster Flug war, durch die Lüfte. Der Boden wurde immer kleiner unter mir und über den Akademierand hinausgleitend konnte ich sogar die noch viel weiter entfernte Stadt unter mir erkennen. Dort unten gingen Menschen ihrem Tagewerk nach unwissend gegenüber dem, was sich weit über ihren Köpfen abspielte. Ich bedauerte sie, da sie dieses Gefühl der Freiheit wohl nie erleben würden und niemals die Volständigkeit erfahren könnten, die man nur in der Luft spüren kann.

Ich flog noch einige Minuten weiter durch die Luft, bis mir einfiel, dass man unten auf der Akademieplattform sicher schon auf mich wartete. Gen Boden gleitend erhaschte ich zum ersten Mal einen wirklichen Blick auf meine Flügel und ich hätte fast vergessen, dass ich weiter mit ihnen schlagen musste. Sie waren schwarz wie die finsterste Neumondnacht. Ich hatte nocht nie jemanden mit schwarzen Flügeln gesehen. Sie alle waren entweder weiß oder in den buntesten Farben, doch von schwarzen Flügeln war mir nichts bekannt. Was mochte das bedeuten? Dafür musste es doch eine logische Erklärung geben. Oder nicht? War ich eine Ausnahme? Etwas Besonderes? Vielleicht etwas besonders Gutes... oder besonders Schlechtes. Lord Nardan würde Bescheid wissen. Er musste wissen, was in so einer Situation zu tun war. Ich konnte nicht der Einzige sein... oder doch?

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Chaos

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Principessa62 Kommentar vom Buch-Autor gelöscht.
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