Kurzgeschichte
Tag im Juni

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"Tag im Juni"
Veröffentlicht am 21. März 2008, 10 Seiten
Kategorie Kurzgeschichte
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Tag im Juni

Tag im Juni

Beschreibung

Meine Geschichten handeln von Erfahrungen und Erlebnissen während meines Auslandssemesters im Nahen Osten und haben alle ihren wahren Kern.

                                               Ein Tag im Juni

 

Ich heiße Ahmed. ich lebe in diesem Land, seitdem meine Eltern aus Palästina flohen. Ich fahre Taxi.

Der Strom der Vertreibung trieb uns in den Osten der Stadt, aus dem wir bis heute nicht rausgekommen sind. Hier sind die Häuser kleiner, alles scheint staubiger und enger, die englischsprachigen Werbetafeln machen halt an der Grenze des Westteils. Kurzum: Es wirkt hier arabischer.

 

Ich habe drei Kinder, die alle zur Schule gehen. Der Älteste heißt Muhammad; und so nennt man mich im Viertel Abu Mohammad. Der Vater von Muhammad. Darauf bin ich stolz.

                                                                                                                                                                                                                                                                                              Wenn ich in das Zentrum fahre, dorthin wo die Touristen zu den Sehenswürdigkeiten der Stadt gebracht werden wollen, heiße ich Ahmed. Ich spreche ein wenig Englisch, es wirkt internationaler und aufgeschlossen gegenüber den Fremden.

 

So schließe ich jeden Morgen die Tür des gelben Taxis auf und setze mich auf den durchgescheuerten Ledersitz. Am Spiegel baumelt ein Duftbäumchen neben einer Mini Ausgabe des Koran. Die Luft draußen ist zum schneiden. Es ist Juni und schon morgens heiß. Die Scheißkarre springt röhrend und blechern klingend an, als ich den Schlüssel im Zündschloß drehe. Wenigstens beim erstenmal. Die Radlager knacken, aber als die Regierung ein Sonderprogramm ins Leben rief und neue Taxis ohne Importzölle ins Land lassen wollte, um den Austausch alt gegen neu, oder rückständig gegen modern?, zu initiieren, hatte ich kein Geld. Wie immer. Wir leben bescheiden in unserer Wohnung, und Fatima, was meine Frau ist, kann gut damit haushalten. Nie hat sie sich beklagt.

Das Auto rollt los, vorbei an den Läden mit den arabischen Aufschriften. Der Bäcker, der Metzger, der Friseur, der Supermarkt. Was braucht man mehr zum Leben?

 

Ich schalte das Radio ein und arabische Popmusik eines bekannten Sängers aus dem Libanon ertönt: „Mein Liebling, was ist die Bedeutung des Lebens? Die Stunden von heute sind die Geschichte von morgen.“  Vorbei an den vereinzelten Häusern auf dem Weg in die Stadt. Wer es sich leisten kann, wohnt außerhalb, dort wo die Luft klarer ist, in einem Häuschen eingebettet in lehmrote Felder mit ein paar Bäumen darin. Im Garten ein Hund an der Kette, der an die Olivenbäume pinkelt.

Die vereinzelten Häuser werden mehr, sie reihen sich aneinander und hupend drängen Massen von Autos und kleine Busse in die Stadt. Die Busse halten überall, wen man die Hand hebt, um sie anzuhalten. Eine Fahrt ist billig. Viele Studenten sind auf dem Weg zur Universität. Junge Männer und junge Frauen. Wo gibt es das sonst, daß Männer in Bussen aufstehen und einer Frau den Platz freimachen?

Das Zentrum kommt näher und der Lärm der hupenden Autos verschmilzt mit dem geordneten Chaos und den Fetzen von Musik, die aus offenen Autofenstern herübergeweht werden.

 

Ich fahre ich ein gutes Viertel mit einigen Hotels. Ausländer sind besonders spendabel. Entweder, weil sie keine Ahnung haben, wo sie sich befinden und wie sie auf dem kürzesten Weg wohin kommen, oder weil sie nicht mit der fremden Währung klarkommen.

In der Ausfahrt eines Hotels steht ein Paar und winkt mich heran. So halte ich vor ihnen und sie steigen ein.

Amerikaner würde ich sagen und frage: „Sie sind aus Amerika?“ „Nein, aus Deutschland.“ „Oh,“ sage ich, „Deutschland sehr gut: Mercedes, Porsche. Gute Autos.“ Die Frau lächelt wenigstens. „Amerika nicht gut. Immer nur Krieg, aber Deutschland ein gutes Land. Ich heiße Ahmed. Herzlich willkommen. „Ich strahle sie durch den Rückspiegel an. Die Frau lächelt verlegen und schaut aus dem Fenster.

Er fragt: „Wie lange dauert die Fahrt bis zum Amphitheater?“ „Oh, etwa 40 Minuten. Sie sehen, der Verkehr, wir sind mitten in der Hauptverkehrszeit. Das Amphitheater liegt im alten Stadtzentrum, außerdem gibt es eine Umleitung. Wir haben noch viele andere Sehenswürdigkeiten. Ich fahre Sie gerne dorthin, wenn Sie wollen. Sie sollten den Golf sehen, die alte Ruinenstadt, das archäologische Museum. Ich gebe ihnen meine Handynummer. Woher sind sie aus Deutschland? Bleiben Sie lange?“

„München“. „Wie schön“, erwidere ich. „Ein Cousin von mir hat dort bei BMW gearbeitet. Ich wollte ihn immer besuchen, aber die Arbeit. Sie verstehen. Hier: Pistazien, bedienen Sie sich!“ Die Frau schüttelt den Kopf, der mittlerweile über die aufgeschlagegen Seiten des Reiseführers gesenkt wurde.

Ich richte den Rückspiegel so ein, daß ich auf ihre Knie sehen kann. Sie trägt eine weiße knielange Hose und so wie sie aussieht bin ich sicher, daß darunter alles ist, wovon ein Mann nur träumen kann. Wie bei den Frauen im Fernsehen. Seitdem wir Satelliten-Fernsehen haben und mehr als einhundert Programme kommt die Welt zu uns nach Hause. Es gibt alles: Musikkanäle, Nachrichten, Filme und sogar Häuser lassen sich besichtigen. Vor allem gibt es schöne Frauen und die Stimmen auf den Musikkassetten erhalten ein Gesicht und einen Körper.

Ich liebe meine Frau. Sie ist eine gute Ehefrau und Mutter und betet fünfmal am Tag.

„Ihr Cousin war bei BMW ?“ „Ja, er ging 1980 und hatte vorher Ingenieurwesen studiert. Hier gibt es nicht viel Arbeit, wissen Sie? Man geht in unserem Land zur Schule, man studiert vielleicht sogar und dann geht man weg. Dorthin, wo die Arbeit ist. Eines Tages hätte  ich auch gerne einen BMW oder Mercedes. Haben Sie einen?“ Der Mann taut langsam auf, so biete ich noch einmal den Beutel mit Pistazien an. „Bitte, nehmen Sie! Die Schalen können Sie in den Aschenbecher tun.“ Zaghaft nimmt er. „Sie sind sehr gut. Aus dem Iran“, bestätige ich seinen Griff in die Tüte.

 

Der Verkehr stockt und ich hupe genauso wie die anderen. Vorankommen ist alles. Es gibt keine Klimaanlage, wenn man von den vier geöffneten Fenstern einmal absieht. Der Taxameter zeigt drei Dinar. Ihn habe ich eingeschaltet, seitdem das Tourismusministerium in letzter Zeit stichprobenartige Kontrollen durchführt. Ausländer hatten sich beschwert, weil die Taxameter oft „kaputt“ sind und Fahrer ihrer Meinung nach angemessene Preise verlangten. Bei 3 Dinar abzüglich der Benzinkosten fahre ich eine Extrarunde an der neuen Shopping Mall vorbei. „Ich dachte zuerst, Sie wären Amerikaner. Amerika ist nicht gut, wissen Sie? Zuviel Krieg durch die Amerikaner und wenn sie als Touristen in meinem Land zu Besuch sind tragen sie die Nase hoch. Amerikaner denken, sie können für Geld alles kaufen.“ Ich schaue wieder in den Rückspiegel und stelle mir vor, was die Frau unter der weißen Bluse mit der Folklorestickerei trägt. Wie es sich wohl anfühlt, eine von heller Haut überpannte Brust zu berühren? Sie hat schöne Haut. Wie die Frauen im Fernsehen.

„Aber Deutschland ist gut. Mercedes, BMW, Porsche. Deutsche sind freundlich“.

Der Mann nickt freundlich lächelnd und ich beeile mich, bei einem Ampelhalt meine Mobiltelefonnummer auf ein Stück Papier zu schreiben und reiche es nach hinten. „Hier bitte. Rufen Sie Ahmed einfach an. Zu jeder Tages- und Nachtzeit. Sie sind meine Freunde aus Deutschland und ich mache ihnen einen Sonderpreis.“ Er nimmt den Zettel dankend und steckt ihn in die linke Brusttasche. Drei Dinar später halten wir vor dem Amphitheater. „Und wenn Sie zu den anderen Sehenswürdigkeiten fahren wollen – ich bringe Sie hin! Sie sind meine Freunde aus Deutschland.“ Der Mann bezahlt und ohne die Extrarunde wäre das Trinkgeld fast null gewesen. „Schöner Aufenthalt und noch einmal: Herzlich willkommen!“ Im Radio kommen die Nachrichten. Der Sprecher sagt, in Europa wurde von Terroristen eine Autobombe gezündet und zehn Menschen getötet und verletzt. Das gibt es hier nicht, denke ich und kratze mich am Sack.

 

 

 

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mariawalters

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