Romane & Erzählungen
PK & F Kein Neger und ein Adler - der spannende Jugendroman VOR dem 1. PK & F Buch!

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"PK & F Kein Neger und ein Adler - der spannende Jugendroman VOR dem 1. PK & F Buch!"
Veröffentlicht am 26. Februar 2012, 344 Seiten
Kategorie Romane & Erzählungen
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PK & F Kein Neger und ein Adler - der spannende Jugendroman VOR dem 1. PK & F Buch!

PK & F Kein Neger und ein Adler - der spannende Jugendroman VOR dem 1. PK & F Buch!

Beschreibung

Frank Berge ist stolz der "Eagle One" anzugehören, einer Elitekampfpiloteneinheit der deutschen Luftwaffe mit Stützpunkt in Seilingen. Eines Tages werden er und sein Kamerad Theo auf eine ganz spezielle Geheimoperation geschickt, die einen vernichtenden Schlag gegen den Menschenschmuggel in Mittelafrika (Nambesia) bewirken soll! Peter Kollin entdeckt, dass sich ein fremder Junge auf dem benachbarten Schrottplatz aufhält. Es ist der dunkelhäutige Junge, der ihn in ein Geheimnis einweiht, ein Geheimnis das darauf wartet, von beiden Jungs gelüftet zu werden, doch das ist nicht ganz ungefährlich! Hinter all dem steckt ein international gesuchter Menschenhändler! Das Buch beschreibt, wie es letztlich dazu kam, dass Frank Berge auf den kleinen Flugplatz nach Ordwohn zog und warum die Familie Kollin ebenfalls dort landete (PK & F Das Geheimnis des Toten). Am Ende laufen die Fäden zweier, völlig unterschiedlicher Geschichten nahtlos zusammen! Und das mit einem ganz erstaunlichen Ende ;-)

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 PK & F

Kein Neger und ein Adler!

Das Buch VOR dem 1. Buch!

Spannung, Aktion und Abenteuer für Jung und Alt ab 11!

Ein Geschenk an seine Leser und alle, die es noch werden könnten!

von Martin Gilles

 

Vorwort

 

Der Fliegerhorst Seilingen war den meisten Menschen eher unbekannt.

Und das war auch gut so!

Völlig ungestört, in der Abgeschiedenheit der ländlichen Gegend, am Rand der Kleinstadt Seilingen, waren hier die Asse der Deutschen Luftwaffe, die besten Berufspiloten der deutschen Luftstreitkräfte, stationiert.

Eine dicke Dunstschicht aus feinstem Wüstenstaub, tausende Kilometer weit entfernt aus der Sahara stammend, war bis hierhin geweht. Sie überdeckte die ganze Region um Seilingen herum wie eine dichte Glocke. Bei diesem Wetter waren zum Leid der Piloten, aber zum Segen des Bodenpersonals (von denen sich schon ein paar bei der Hitze der letzten Tage einen Kreislaufkoller zugezogen hatten) seit mehreren Tagen alle Flüge komplett gestrichen worden. Die empfindlichen Antriebsaggregate vertrugen diese feinen Partikel ebenso wenig wie Vulkanasche, und da niemand genau wusste, inwiefern sie die Lebensdauer der Maschinen beeinflussen könnten, blieb besser alles am Boden, was flugtauglich war. Trotzdem lagen die Geschwaderpiloten „Eagle One“ und diejenigen, die einmal dazugehören würden, nicht auf der faulen Haut, sondern trainierten Körper und Geist in den unterirdischen Räumen des Fliegerhorsts.

Man bewarb sich nicht zu „Eagle One“, sondern wurde vorgeschlagen und persönlich ausgewählt. Jeder, der es geschafft hatte dazuzugehören, unterschied sich auf vielfache Weise von gewöhnlichen Mitmenschen. Die „Speerspitze“ des Geschwaders bildeten eindeutig die Kampfpiloten, die sich hier einer nie endenden Fortbildung unterzogen und ganz nebenbei zu außergewöhnlich befähigten Einzelkämpfern ausgebildet wurden.

Diese Jungs (zu Theos Bedauern waren leider keine Damen dabei!) wurden von ihren Vorgesetzten und Kollegen gleichermaßen geschätzt und geachtet, und das nicht nur wegen ihres besonderen Könnens, sondern ebenso wegen ihrer überragenden geistigen und körperlichen Fitness und zweier schon fast in Vergessenheit geratenen Tugenden: Bescheidenheit und Anstand.

In diese jungen Menschen, aber genauso in die altgedienten, erfahrenen Piloten, wie Frank Berge, steckte man Unsummen Steuergelder und niemand stellte je die Frage, ob man dieser elitären Gruppe Tag für Tag einzig Millionen teures Luftfahrzeug anvertrauen konnte oder nicht – bis zu jenem Tag!

Einem Tag, der das Leben von Frank Berge für immer veränderte, unwiderruflich, brutal, mit der ganzen Härte der Realität, aus der man nicht entfliehen konnte: noch nicht einmal ein Mann wie Frank Berge!

 

 

Freunde

 

Endlich ertönte der Essensgong. Er läutete gleichzeitig auch das Ende des theoretischen Unterrichts für den heutigen Tag ein.

Frank reckte und streckte sich auf seinem unbequemen, hölzernen Stuhl, auf dem er die letzten vier Stunden verbracht hatte.

Dann sortierte er schnell seine Unterlagen zusammen, die noch immer ausgebreitet vor ihm herumlagen. ‚Endlich geschafft‘, dachte er erschöpft und spähte hinüber zu seinem Freund Theo, der ein gutes Stück weiter, drei Tische entfernt, schräg vor ihm, ebenfalls damit begonnen hatte, seine Sachen wegzuräumen. Sie waren verabredet, um gleich nach dem Mittagessen im nahe gelegenen Städtchen gemeinsam eine Runde Billard zu spielen. Am späten Nachmittag müssten sie aber wieder zurück zum Horst und in die Sporthalle zum Training. Danach hätte Frank noch einen jener ganz, ganz seltenen Termine mit der oberen Führungsspitze des Stützpunktes, zu dem er unbedingt musste!

Trotz argen Drängelns trafen sie beim Rausgehen, gleich hinter der Tür, doch noch aufeinander.

„Nach dem Essen, das gilt doch, oder?“, fragte Frank vorsichtshalber seinen Freund, während sie zusammen zum Aufzug drängten, umgeben von all den anderen Kameraden, die teils die gleiche Richtung einschlugen, teils in Richtung Treppen strömten.

„Klar doch, um eins nach dem Essen! ‚Zum Bären‘ zum Billarden, ist abgemacht!“, antwortete Theo, grinste und wurde schon von ihm weggedrängt.

„Okay, dann bis später, Theo. Ich glaube, ich nehme lieber die Treppe!“, rief Frank ihm hinterher. Seinen Freund verlor er fast schon aus den Augen und driftete immer weiter von ihm weg. Sie würden sich später sowieso in der Kantine wiedertreffen.

Theo war ihm damals gleich nach seiner Ankunft auf Anhieb sympathisch gewesen und schon nach kurzer Zeit zu einem echt guten Freund geworden. Die anderen Kameraden waren zwar auch nicht übel, aber ansonsten gab es hier nur noch einen gemeinsamen Freund, einen von den „Technikfreaks“, den beide besonders gut leiden mochten. Einen kräftigen Kerl mit kantigen Gesichtszügen namens Thomas Meissner, von seinen Freunden kurz Tom genannt, der beim Bodenpersonal beschäftigt und für spezielle „Funktechnik“ zuständig war. Selbst Frank gegenüber hatte er sich dazu nie konkreter geäußert und ihm auch nicht verraten, dass seine Hauptaufgabe in der Planung und Betreuung von Spezialeinsätzen lag. Er war auch dafür zuständig, im Hintergrund der Operationen für eine perfekte Kommunikation und Überwachung zu sorgen. Obwohl er also eisern schwieg, oder gerade deshalb, witzelten die Freunde, Frank und Theo, öfter über seinen Job. So konnte es auch schon mal vorkommen, dass die Jungs nach ein oder zwei Bierchen fantasierten, dass er, Tom Meissner, bestimmt tief unten im Bunker den Feind abhören würde (welchen auch immer!?) und die großen Satellitenschüsseln neben den getarnten Hangars in Richtung Russland ausgerichtet hätte. Keiner der beiden konnte ja ahnen, wie nahe sie damit an die Wirklichkeit herankamen und so sollte es auch sein!

Die drei verbrachten oft ihre Freizeit zusammen, doch zu Wochenenden oder Urlauben trennten sich für mehrere Tage ihre Wege. Dann galt es für jeden der Männer, nach Hause zu den Familien zu fahren. Frank hatte vor acht Jahren seine langjährige Freundin Maria geheiratet und schon kurz nach der Eheschließung war ihr gemeinsamer Sohn Ralf zur Welt gekommen, den sie über alles liebten. Etwa gleichzeitig hatte der Hubschrauberpilot und frisch gebackene Vater sich entschlossen, das Angebot anzunehmen, dem Geschwader „Eagle One“ beizutreten, und war nun schon recht lange dabei. Kurz nach seinem Eintritt folgte ihm der Rest der kleinen Familie nach Seilingen. Seine Frau und sein Sohn fanden hier im Zentrum, in einer der geräumigen Wohnungen, die der Bund den Angehörigen seiner Bediensteten zur Verfügung stellte, ein neues Zuhause. Während Frank die Woche über leider ohne sie auskommen musste, lebten die beiden sich trotzdem schnell in Seilingen ein und bald hielt dort der ganz normale Alltag Einzug. Frank wohnte natürlich überwiegend im Fliegerhorst und während der Woche bekam er nur einmal die Gelegenheit zum „Ausgang“, den er heute mit dem Freund zum Bowlen nutzen wollte.

In der Kantine herrschte ein Gewimmel wie auf der Kirmes, was sicherlich auch am Speiseplan lag, denn heute gab es Pommes mit einem halben Hähnchen und dazu Mayo und Ketchup so viel man wollte! Weder Theo noch Tom waren zu entdecken.

Enttäuscht setzte Frank sich zu einer Gruppe „Grünschnäbel“, die zusammenrückten und ihm zuvorkommend Platz machten. Er bemerkte aus den Augenwinkeln heraus, dass sie seine Rangabzeichen und das auffällige Adlersymbol auf Brusttasche und Ärmel der Fliegerjacke ehrfurchtsvoll, ja regelrecht respektvoll bestaunten. Sie tuschelten leise miteinander, was ihn aber nicht weiter störte. Das kannte er schon. Es war schon eine besondere Gunst, dem Geschwader anzugehören und die meisten Anwärter mussten sich zuvor bis zu zwei Jahre bewähren! ‚Gut, dass ich das alles schon lange, lange hinter mir habe‘, dachte Frank und grinste in sich hinein. Mit seinen knapp über 40 Jahren zählte er hier ganz eindeutig zu den „alten Hasen“.

Nachdenklich tunkte er eine volle Gabel mit Pommes tief in die Mayo auf seinem Tellerrand und ließ seine Gedanken schweifen. Da war noch dieser merkwürdige Termin nachher!

Er war sehr gespannt darauf. Der Kommandeur selbst hatte ihn für den späten Nachmittag zu dieser persönlichen Besprechung gebeten, und wenn der Kommodore Oberst Martinsen zu etwas „bat“, dann war das eigentlich keine Bitte, der man nachkommen KONNTE, sondern ein Befehl, dem man sich nicht zu widersetzen hatte, und: selten etwas GUTES! Frank schwebte völlig im Unklaren, um was für einen Gesprächsstoff es sich dabei wohl handeln könnte, und das machte ihm wirklich zu schaffen.

Theo wartete exakt um Dreizehnhundert auf dem Parkplatz des Fliegerhorsts auf Frank, der gerade eben selber eintraf und seinen amerikanischen Schlitten aus den 70ern schon von Weitem per Funk aufschloss. Es handelte sich dabei um sein persönliches „Steckenpferd“, ein sehr zeitaufwendiges und kostspieliges Hobby. Der Motor war extrem hochgetunt, die ganze „Karre“ komplett modernisiert, mit unzähligen Sonderausstattungen versehen und in auffälliger Weise in mehrfarbigen Streifen lackiert.

Theo begrüßte ihn lachend und stieg auf der Beifahrerseite ein.

„Wurde auch Zeit, altes Haus! Hast dich wohl nicht vom Hähnchen trennen können, was?“

„Ja, ich gestehe!“, antwortete Frank und lachte vergnügt. „Das ist leider so ziemlich das Einzige, was unser Koch so gut hinbekommt, dass ich sogar gerne noch eine zweite Portion nehmen würde!“, sagte er noch und startete den Motor, der mit tiefem Bass laut röhrend zum Leben erwachte. Schwungvoll parkte er den Sportwagen aus, beschleunigte und wurde erst wieder deutlich langsamer, als er an die rot-weiß lackierte Schranke der Zuund Ausfahrt des Fliegerhorsts heranfuhr. Ein kurzer Blick des MPs durchs Seitenfenster genügte, Frank und Theo grüßten den Militärpolizisten und schon öffnete sich für die beiden der Schlagbaum. Gleich dahinter brachte Frank den Wagen ordentlich auf Touren und sie jagten in Richtung Städtchen.

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Durch Zufall entdeckt

 

Nach der Schule traf sich Peter Kollin meistens mit ein paar Kumpels aus der Nachbarschaft. Vom Spielplatz aus ging man entweder auf Entdeckungstour durch die Stadt oder skatete zum Beispiel eine Runde. Ansonsten fuhren die Jungs ab und zu gemeinsam mit dem Rad einfach so in der Gegend umher oder spielten zusammen Basketball oder unternahmen irgendetwas anderes. Eigentlich war es Peter ausdrücklich verboten, ohne der Mutter Bescheid zu geben, das Viertel, in dem er wohnte, zu verlassen.

Sie wollte schon gerne wissen, wohin er ging und mit wem seiner Kumpels er unterwegs war. Es nervte ihn immer, dieses „Bescheid-Geben“. Nach der Schule gab es immer zuerst das Mittagessen, dann waren die Hausaufgaben an der Reihe und zu allerletzt kam die Freizeit. Und das war dann während der Woche meistens schon so spät gegen Ende des Tages, dass es sich oft nicht mehr recht lohnte, noch groß rauszugehen, weil er schon bald wieder zum Abendessen zurück nach Hause musste. Doch dieses Mal hatte Peter andere Pläne. Nachdem ihn die Mutter von der Schule abgeholt und nach Hause gefahren hatte, aß er schneller als sonst zu Mittag. Dann erledigte er in Windeseile seine Hausaufgaben und rief der Mutter noch zu, er wäre nur mal eben um die Ecke. Unten im Keller schnappte er sich aber sein Rad und düste ab in Richtung Schrottplatz, der ein paar Straßen weiter entfernt am Rand der Stadt lag. Auf dem Hinweg zur Schule heute Morgen hatte er aus dem Auto heraus entdeckt, wie sich jemand (nur unbedeutend kleiner als er selbst, dunkelhaarig, gelockt, mit rotem Schulrucksack) durch den Bauzaun des Schrottplatzes gezwängt hatte. In dem Moment, als sie dann auf seiner Höhe angekommen waren, war er gerade hinter einem Busch in Deckung gegangen. Als Peter sich nach hinten umgesehen hatte, hatte er nur noch sehen können, wie sich die Lücke im Zaun wieder schloss. Dann war leider schon die nächste Abbiegung gekommen und von dem Jungen hinter dem Zaun war sowieso nichts mehr zu sehen gewesen.

Peter war schon öfter auf dem Schrottplatz gewesen, um sich vom Taschengeld irgendetwas zum Basteln und Tüfteln zu besorgen.

Das letzte Mal brauchte er von dort Teile für ein Windkraftrad, aber das Projekt stellte sich dann leider doch als zu aufwendig heraus. Doch durch seine vielen Besuche kannte er die Männer, die dort arbeiteten, wenigstens vom Sehen her.

Und er kannte den großen Rottweiler, der sich auf dem Schrottplatzgelände als freilaufende, lebendige Alarmanlage aufhielt! Genau aus diesem Grund wunderte es ihn sehr, dass der Hund den Eindringling nicht am Zutritt gehindert hatte.

Hierfür konnte es eigentlich nur eine Erklärung geben: Der Junge mit dem Rucksack war dem Vierbeiner mindestens genauso gut bekannt wie er, Peter, der von diesem immer freund13 lich begrüßt wurde. Ansonsten hätte er mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Stück seines Hosenbodens am Lattenzaun zurücklassen müssen, bevor er es vielleicht geschafft hätte, hinter den Zaun zu gelangen. Als Peter sich das genauso bildlich vorstellte, musste er grinsen, und noch während er weiter über dieses Rätsel nachdachte, erreichte er das große Zufahrtstor zum Schrottplatz.

Dort, neben der eisernen Glocke, hielt er mit seinem Rad an und läutete. Er läutete und wartete gespannt, ob ihm aufgemacht würde. Normalerweise stand das Tor immer weit offen und man konnte irgendwen auf dem Gelände arbeiten hören.

Doch Peter hörte nur den Hund, der aufgebracht bellte, sich aber gleich wieder beruhigte, als er Peters Stimme hörte:

„Ist ja schon gut, Bello, alles ist gut, ich bin es nur …“ Außer dass der Hund daraufhin wehklagend und jammernd hinter dem Tor zu kratzen begann, geschah weiterhin nichts.

Auf dem linken Torflügel unter dem Bild eines gefährlich dreinschauenden Wachhundes hing ein Schild mit den Öffnungszeiten. Vorsichtshalber sah sich Peter das jetzt einmal genauer an. Die verwaschenen, ausgeblichenen Buchstaben konnte er gerade eben noch erkennen. ‚Perfekt‘, dachte er erfreut: Heute war Donnerstag und es war schon knapp nach 16.00 Uhr! Die Arbeiter mussten zum Glück überpünktlich Feierabend gemacht haben! Ihm würde hier garantiert niemand mehr öffnen und deshalb, dachte er zufrieden, könnte er in aller Seelenruhe nachschauen, was es mit dem Zaun auf sich hatte, hinter dem der Junge verschwunden war. Er schob sein Rad das kleine Stückchen von der Zufahrt zurück bis zur Straßenecke. Links ging es zur „An der Hasenkaul“, so hieß die Straße, an der der ellenlange, mannshohe Zaun aus Brettern und Latten verlief, und rechts ging es zurück nach Hause. Also bog Peter links ab und schob sein Fahrrad noch ein Stückchen weiter entlang des Zauns, bis zu der Stelle, wo er glaubte, dass dort der Junge durchgeschlüpft war. Er beugte sich vor und prüfte mit der freien Hand, ob sich eines der Bretter beiseite drücken ließ, es knackte, doch das war alles. Es funktionierte nicht! Enttäuscht probierte er es am nächsten, doch leider wieder ohne Erfolg. Doch das übernächste Brett ließ sich tatsächlich relativ leicht und locker zur Seite rücken. Plötzlich sogar so leicht, dass es mit einem Mal einen großen Schwung tat und mit aller Wucht zurückpendelte! Peter bekam es im letzten Moment zu fassen, bevor es ihn ansonsten am Arm erwischt hätte. Durch die Lücke im Zaun entdeckte er auf der anderen Seite einen Pfad. Er hielt einen kurzen Moment inne, überlegte und lauschte. Gerade kam der Hund angelaufen, er hörte ihn jetzt hecheln, er schien sich hinter „seinem“ Brett zu schaffen zu machen. Peter war fest entschlossen, denselben Weg zu nehmen wie sein Vorgänger, und war gespannt, wo ihn der schmale Pfad hinter dem Zaun wohl hinführen würde. Doch zuvor stand er schnell auf, schob sein Rad noch ein kleines Stück weiter den Bürgersteig entlang und kettete es dort an einen Laternenpfahl an. Als er danach das Brett noch einmal vorsichtig zur Seite schob, sah er vorsichtshalber rechts und links die Straße hinunter, ob ihn auch keiner dabei beobachtete. Die Luft war rein und so zwängte er sich flink durch die Lücke im Zaun. Noch immer geduckt, rückte er auf der anderen Seite das Brett wieder an seine ursprüngliche Stelle, währenddessen er gleichzeitig den aufdringlichen Hund abwehren musste, der ihn freundlich begrüßte und dabei ununterbrochen versuchte, sein Gesicht abzuschlecken. Er war so stark am Wedeln, dass sein Schwanz einige Male laut gegen den Bretterzaun schlug.

„Tsch! Bist du denn total bekloppt, du verrätst noch alles!“, schimpfte Peter und streichelte ihn, völlig im Widerspruch zu dem, was er sagte, zärtlich hinter den Ohren. Bevor er endlich wieder aufstand, klopfte er dem Hund noch ein letztes Mal sanft auf die Flanke. „Ich hab noch keinen eigenen Hund, aber das wird sich bald ändern! Der, den ich dann bekomme, wird sogar noch größer als du, wirst schon sehen!“, erklärte er mit todernster Miene und der Hund hörte ihm mit schiefgelegtem Kopf aufmerksam zu.

Peter wandte sich ab und folgte nun dem schmalen, plattgetretenen Pfad, den er schon von der Lücke aus entdeckt hatte. Der Hund trottete zuerst brav hinter ihm her, doch dann überholte er ihn. Er schien genau zu wissen, wo es lang ging, wo dieser Pfad hinführte! Der schlängelte sich um Brombeerhecken herum, teilte eine Ansammlung niedriger Sträucher in eine linke und rechte Hälfte und verlief an der Stelle quer über das Schrottplatzgelände, wo es eigentlich nie jemanden hin verschlug und die Natur sich schon vor langer Zeit das Ihrige zurückerobert hatte. Hier war alles völlig verwildert und nur einzelne Wracks ehemaliger großer Baugeräte, alte zerlegte Krangerüste, ein paar verrostete Überseecontainer in der Ferne, große, aufgeschweißte Siloreste und der vordere, zerstörte Teil eines Flugzeugrumpfs schauten wie Ungeheuer aus ihrer dornigen und blättrigen Umhüllung heraus. Der ganze Bereich hätte ebenso gut als Filmkulisse dienen können, als Teil einer ehemaligen Zivilisation, die eine furchtbare Katastrophe schlagartig ausgelöscht hatte.

Beeindruckt ließ Peter das alles auf sich wirken und trotz fantasievoller Gedanken (wie etwa, dass er von nun an der letzte und einzige Mensch auf der ganzen weiten Welt wäre und sich ganz allein durchschlagen müsste!) blieb er aufmerksam. So bemerkte er schon von Weitem, dass der Pfad offensichtlich bei einem umgestürzten Lkw zu enden schien. Das riesige Fahrzeug war von Brombeerranken vollständig überwuchert und lag komplett falsch herum. Auf seinem Rücken befand sich ein stark von Rost befallener Silo, der in seiner vollen Länge auf dem Boden ruhte. Die dicken Zwillingsräder des Transporters wiesen nach oben in die Luft, wie ein toter Käfer, der auf dem Rücken verendet war und die Beine steif gegen den Himmel streckte. Was zuvor unten war, war jetzt oben und andersherum. Es sah schon sehr merkwürdig aus! Peter trat langsam näher und überlegte, was dieses Behältnis wohl vor seiner Zeit, hier auf dem Schrottplatz, für eine Funktion innegehabt hatte. Er trat etwas beiseite und sah dabei, dass sich auf der rechten Seite des Silos Fragmente eines Werbeschriftzugs befanden. Um ihn vollständig lesen und zu Ende enträtseln zu können, hielt er den Kopf schräg und las:

„Wenns’ eilt und brennt: kauft Müllers Schnellzement!“ Er grinste beim Lesen, sagte dann leise: „Aha!“ und wandte sich wieder dem Ende des Silos zu. Hier hatte man ein großes Loch hineingeschweißt, sodass dadurch eine mannshohe Öffnung entstanden war. Irgendwer hatte den größten Teil dieses Zugangs mit einer brüchigen und schmutzigen Lkw-Plane verhängt.

Es sah ganz so aus, als wäre das erst kürzlich geschehen!

‚Geheimnisvoll‘, dachte Peter und schielte um Unterstützung suchend nach seinem vierbeinigen Begleiter. Der wedelte unbeeindruckt mit seinem Stummelschwanz und zögerte zunächst, ganz so, als wollte er auf ihn warten. Doch da Peter noch immer unschlüssig stehen blieb, lief er einfach zielstrebig, einmal kurz geduckt, schwupps, unter der Plane hindurch ins Innere und war noch eher dahinter verschwunden, als Peter ihm zu folgen vermochte.

Er schob die Plane vorsichtig ein Stückchen zur Seite und schlüpfte dann langsam hindurch. Dahinter ging es fast exakt waagerecht geradeaus weiter, tiefer hinein und am Ende leuchtete eine schwach glimmende Lampe den Silo spärlich aus. Das Ganze wirkte wie eine Art Höhle, war aber zum Glück nicht ganz so gruselig wie Peter zunächst dachte. Er schwitzte jetzt stark, denn es war stickig hier drinnen, und wischte sich mit dem Ärmel über die Stirn, während er sich blinzelnd nach dem Hund umsah. Links und rechts der dunklen Stahlwände stand eine Menge Krimskrams herum. ‚Wer das wohl alles herangeschleppt hat?‘, fragte er sich. Ein paar Werkzeuge befanden sich auch unter dem Gerümpel, doch die meisten Sachen schienen mindestens schwer reparaturbedürftig. Am anderen Ende des Silos war ein richtiges Tischchen und auf dem Boden davor stand ein alter Kochtopf, aus dem der Hund Wasser schlabberte.

Daneben, gleich neben einem Stuhl, lehnte ein dunkelroter Schulrucksack an der stählernen Wand den erkannte Peter sofort! Er ging vorsichtig weiter, achtete auf das, worauf er trat, und machte einen großen Schritt über einen Lukendeckel im Boden. Auf dem Tischchen, das nur über drei Beine verfügte, stand die kleine Lampe, die alles spärlich beschien. Von dort führte ein rot-schwarzes Kabel nach unten und durch einen schmalen Riss im Metall nach draußen. ‚Nicht schlecht‘, dachte Peter und schaute sich die Lampe genauer an. Der Junge mit dem Rucksack schien eine ganz gewöhnliche Gartenleuchte so umgebaut zu haben, dass die Solarzelle, die einst obendrauf montiert war, bis nach draußen reichte, wo die Sonne den Akku lud.

Plötzlich hörte er ein Geräusch direkt hinter ihm und wusste im selben Moment, dass es zu spät war zu fliehen oder sich zur Wehr zu setzen. Irgendetwas drückte ihm gleichzeitig höchst unangenehm und fest in den Rücken und das ließ ihn vor Angst erstarren. Er brachte zunächst kein Wort heraus, wollte sich umdrehen, traute sich aber nicht und dann rief auch noch jemand mit tiefer Stimme:

„Hände hoch!“ Verängstigt und total überrumpelt kam Peter langsam der Aufforderung nach. „Umdrehen!“, befahl die Stimme.

Peter überlegte fieberhaft, wie er entkommen könnte, und drehte sich dabei ganz allmählich um, damit er den Sprecher endlich zu sehen bekam. Die Spitze eines Holzspeeres bewegte sich mit ihm und zielte genau auf die Stelle seiner Brust, worunter sein Herz so schnell und laut pochte, als würde es jeden Moment zerspringen! Im trüben Lichtschein erkannte Peter jetzt, wen er da vor sich hatte, und beruhigte sich sofort wieder. Es war ein dunkelhäutiger Junge, der nur ein wenig kleiner war als er selbst. Er mochte aber gut und gerne gleichalt sein. Der Andere schien ihm auch nicht unbedingt kräftiger als er selbst. Seine Arme und die nackten, spindeldürren Beine, die in einer dunkelgrünen Shorts steckten, waren stellenweise schmutzig. Das konnte er trotz dessen Hautfarbe und der spärlichen Beleuchtung noch ganz gut erkennen. Peter atmete erleichtert einmal tief ein und aus und ließ allmählich seine Hände wieder sinken.

Dabei versuchte er sogar so eine Art freundliches Grinsen, doch der Speer zuckte wieder bedrohlich nach vorn und jetzt wurde Peter wirklich sauer.

„Jetzt aber hallo mal! Ich tue dir schon nichts!“, sagte er barsch und drückte die Holzstange mit der linken Hand sacht zur Seite.

„Kann ja jeder sagen!“, folgte bissig die Antwort, aber dennoch senkte sich die Waffe ein Stückchen.

„Wohnst du hier?“, fragte Peter und entspannte sich mehr und mehr.

„Nee, eigentlich nicht!“

„Darf ich mich jetzt endlich wieder richtig bewegen oder machst du mich sonst kalt, hier in diesem hässlichen ‚Ding‘?“, spöttelte Peter und es klang schon fast, als würde er den Anderen ewig kennen.

„Nee, kannst dich ruhig wieder bewegen.“ Der Junge zog den Speer ganz zurück. „Hab vorhin meine Stimme verändert.

Klang echt wie ein richtiger Mann, oder nicht?“, fragte er ihn und sah ihn dabei hoffnungsvoll an.

„Mmh, ich hab mir fast in die Hose gemacht!“, gestand Peter.

„Warum verfolgst du mich überhaupt?“, fragte der Andere jetzt misstrauisch.

„Tue ich ja eigentlich gar nicht richtig!“, antwortete Peter empört.

Dabei umrundete er den Tisch und sah sich weiterhin neugierig um. Verfolgt von den argwöhnischen Blicken des anderen Jungen kam er dann zurück und setzte sich lässig auf den Stuhl. Das Tischchen wackelte dabei gefährlich und die LED-Laterne flackerte für einen Moment, als ginge sie jeden Augenblick aus. Dann fing sie sich aber wieder und leuchtete schwach glimmend weiter. „Sorry!“, meinte Peter.

„Egal!“, antwortete der Andere und baute sich in sicherer Entfernung ihm gegenüber auf, den Speer fest in seinen Händen haltend.

„Ich habe zufällig gesehen, wie du heute Morgen durch den Zaun bist, und jetzt habe ich dieses ‚Ding‘ hier entdeckt. Ist ja eigentlich gar nicht so übel hier.“

„Ja, aber gewöhn dich bloß nicht dran, das ist nämlich mein Versteck! Habe ich zuerst gefunden!“, beeilte sich der Junge, das richtigzustellen. Peter musste grinsen, weil er natürlich verstand, dass der Andere seine Besitzansprüche geltend machte.

„Nun hab dich mal nicht so! Außerdem will ich dir das hier ja nicht wegnehmen. Aber ich finde es echt super hier.“ Der Junge schielte ihn ungläubig an und schob die Unterlippe trotzig vor. Peter beugte sich zu dem Hund herunter. „Im Ernst, ich finde es echt toll hier. Hast das wirklich gut gemacht hier drinnen!“ Dabei kraulte er den Hund, der brav unter dem Tischchen lag und sich dankbar für die Streicheleinheiten extra lang auf dem Metallboden ausstreckte.

„Na, mit dem Bello scheinst du dich jedenfalls auch gut zu verstehen“, grinste der Andere und kam endlich etwas näher an den Tisch heran, wobei er seinen Speer jetzt beiseite an die Metallwand lehnte.

„Ach?! Das ist also sein Name. Wusste ich gar nicht“, meinte Peter.

„Ich bin übrigens der Gabriel. Und du?“ Der andere Junge streckte Peter eine schmutzige Hand entgegen und der griff zu, ohne zu zögern, und schüttelte sie freundschaftlich. „Peter, Peter Kollin.“

„Bist du verschwiegen?“, fragte Gabriel und machte eine Geste, die alles oder nichts bedeuten konnte, aber Peter wusste sofort, dass er damit das Ganze hier meinte: den Silo, den Zugang durch den Zaun, seine Anwesenheit, einfach alles.

Jungs brauchten eben nicht so viele Worte wie Mädchen, um einander zu verstehen! Er hatte da einmal im Fernsehen etwas drüber gesehen. Da die Männer während der Steinzeit hauptsächlich jagten, mussten sie schon beim Aufspüren der Beute und erst recht während der Jagd mit wenigen, präzisen Gesten und noch weniger Lauten miteinander kommu… Peter kam nicht mehr auf das Wort, aber es stimmte: Bei Gabriel wusste er gleich, was er meinte, und antwortete jetzt:

„Klar bin ich das! Geheimnisse sind bei mir fast so gut aufgehoben wie in einem Tresor! Aber sag mal, Gabriel, hättest du nicht eigentlich zur Schule gemusst? Und warum bist du alleine hier und wo wohnst du eigentlich und bist du echt ein Neger?“ Er sah ihn erwartungsvoll an und Gabriel war zunächst einmal nur baff.

Für Sekunden starrte er Peter mit seinen großen dunklen Kinderaugen total verblüfft an. Dann bemerkte er aber Peters aufrichtigen, offenen Blick und las darin auch nicht das geringste Anzeichen irgendeiner Gemeinheit oder Falschheit. Daraufhin änderte sich sein eigener Gesichtsausdruck und Gabriel schien eher leicht verwundert. Doch dann wiederum, nach einer kleinen Ewigkeit, schlug auch diese Mimik noch einmal gänzlich um und es platzte endlich aus ihm heraus, laut prustend vor Lachen:

„Du meinst im Ernst, ob ich ein Neger bin, ein richtiger Neger?!“, rief er, lachte und rang sichtlich nach Atem, sodass Peter automatisch mit einfallen musste in diese spontane Fröhlichkeit. Sie lachten gemeinsam und kicherten dann immer wieder aufs Neue, wenn der Eine den Anderen ansah. „Wo hast du das denn bloß her? Wer hat dir das denn erzählt: ein Neger?!“ Beide lachten erneut vergnügt auf. Peter erschien das Wort „Neger“ immer lustiger und je länger er versuchte, nicht mehr zu lachen, desto komischer kam es ihm vor und selbst dem Hund schien das allmählich zu albern: Er knurrte für einen kurzen Moment, woraufhin sich die beiden Jungs wieder gegenseitig anblickten und abermals wie blöde zu kichern begannen, bis sie es schafften, endlich wieder prustend Fassung zu gewinnen. Dann erklärte Peter, sichtlich mit sich am Ringen, um bloß keinem neuerlichen Kicheranfall zu erliegen:

„Ich, ich habe das wirklich immer nur so gehört und mir nie etwas dabei gedacht. Heißt es jetzt echt NICHT Neger, oder wie? Afrikaner vielleicht?“ Gabriel, der sich gerade eben mit Mühe und Not selbst unter Kontrolle hatte, kämpfte wieder gegen einen neu aufkeimenden Kicherflash und antwortete dann übertrieben ernst:

„Wieso sagen alle Leute eigentlich immer Afrikaner? Ich komme aus Amerika, aus den Vereinigten Staaten von Amerika!“

„Ist ja krass! Ist aber doch nicht dein Ernst, oder?“, staunte Peter und war wirklich tief beeindruckt. „Du bist also ein richtiger ‚Ami‘!“

„Nee, bin ich in Wirklichkeit nicht!“ Gabriel grinste verschmitzt.

„Wollte dich nur mal veräppeln! Du kannst es nicht wissen, aber jeder meint, dass ich ein Afrikaner sei. Kann das manchmal schon gar nicht mehr hören, kannst du mir ruhig glauben!“ Peter sah, dass er es ernst meinte. „Weißt du, nur weil ich dunkler bin als du, muss ich doch nicht von irgendwo herkommen, oder!?“ Das klang zwar absolut logisch und deshalb nickte Peter ihm auch gleich zustimmend zu, aber er verstand jetzt eigentlich nicht mehr so genau, worum es hier überhaupt ging. Schließlich gab es wichtigeres zu besprechen und bestimmt noch eine Menge zu entdecken, dachte er. Er schwieg aber lieber erst einmal und hörte weiterhin zu. „Ich bin hier in Brandendom geboren und meine Mutter auch. Mein Dad, der kommt aus Nigeria!“

„Ah soooo, ja dann!“ Die beiden Jungen machten sich jetzt, ohne dass sie das hätten absprechen müssen, gemeinsam auf den Weg nach draußen und der Hund kam ihnen langsam hinterher getrottet. Dieses „Ah soooo“ hatte ziemlich enttäuscht geklungen, dachte Gabriel und er musterte Peter im Tageslicht vor dem Silo. Die Augen gewöhnten sich schnell wieder an das grelle Licht hier draußen.

„Tja“, begann er erneut, „ich kann ja auch nichts dafür, dass ich leider kein Amerikaner bin!“ Peter sah ihn etwas ratlos an.

„Äh, ja und?“, fragte er und Gabriel, der immer noch glaubte, er wäre für Peter so eine Art Enttäuschung, fuhr schnell weiter fort:

„Ich glaube, dann würde es auch eher Afroamerikaner oder so ähnlich heißen.“ Sie standen mitten in der prallen Sonne direkt vor dem Silo und Peter zupfte in Gedanken versunken an einigen Grashalmen die Ähren ab.

„Aber dann käme dein Vater doch wieder aus Afrika, oder nicht?“

„Tja, ich glaube schon.“ Gabriel zuckte mit den Schultern, woraufhin Peter sich entschied, dieses Thema jetzt zu beenden.

„Also mir ist das eigentlich völlig schnuppe, wer von woher kommt. Jedenfalls sind wir jetzt beide hier und du hast mir noch immer nicht gesagt, warum du nicht zur Schule musst und so.“ „Mmh, ja, stimmt.“ Gabriel tippte Peter mit der Hand zweimal leicht auf die Schulter und wies dann mit weit ausgestrecktem Arm und Zeigefinger in eine entfernte Richtung, wo in einem genauso verwilderten Teil des Schrottplatzes ein paar rostige Eisencontainer verstreut herumstanden und sich ein kleiner Hügel ganz in der Nähe befand. „Lass uns dahinten mal hingehen und leise spionieren.“ Er flüsterte jetzt geheimnisvoll: „Da sind nämlich welche und die sind ganz bestimmt nicht aus Amerika und auch nicht von hier.“ Bevor Peter ihm antworten konnte, setzte sich Gabriel auch schon in Bewegung, gefolgt von dem mit dem Schwanz wedelnden Hund. Peter war eigentlich sehr gespannt, denn er hatte die rätselhafte Andeutung seines neuen Freundes nicht wirklich verstanden und fragte sich, was ihn wohl am Ende dieses Pfades wieder Interessantes erwarten würde.

Gabriel drehte sich nach den ersten Metern immer wieder zu ihm um und sprach unterdessen leise weiter:

„Ich war schon auf dem Weg zur Schule, aber dann dachte ich mir, dass ich lieber nochmal nach DENEN sehen sollte. Und da ich nachher eh schon das Wichtigste für heute verpasst hatte, kam es mir dann auf das bisschen Sport auch nicht mehr an.“ Peter sah, wie geschickt Gabriel ein paar Brennnesseln auswich, die neben dem Pfad ganz nah am Rand standen und noch nicht plattgetreten waren. „Und nach dem Sport hätte ich dann sowieso keine richtigen Schulstunden mehr gehabt.“

„Was denn?“, fragte Peter.

„Mathe!“, kam prompt als Antwort. „Und ehrlich gesagt“, fuhr Gabriel jetzt leise kichernd fort, „hatte ich so spät eigentlich auch überhaupt keinen Bock mehr hinzugehen.“ „Und du kriegst keinen Ärger zu Hause? Hast du denn keinen Hunger?“ Peter hielt an, weil Gabriel vor ihm stoppte. Sie standen vor einem quer liegenden, riesigen Baukranelement, unter dem sie gleich hindurchkriechen würden. Der Hund aber wich einfach auf einen anderen, noch schmaleren Pfad nach rechts hin aus und war schon nach zwei Metern im dichten Gestrüpp verschluckt und verschwunden.

„Doch, klar! Aber DAFÜR lohnt es sich!“ Gabriel klatschte nach einer Mücke auf seinem Bein. Er hatte genau beobachtet, wie sie anflog, und ließ sie so lange unbehelligt, bis sie sich gerade in die richtige Position brachte, um ihren langen Stechrüssel in seine Haut hineinzufahren. Da ereilte sie dann der Tod!

„Komm, lass uns weitergehen, aber vorsichtig von nun an!“ Gabriel bedeutete Peter mit einem Finger auf den Lippen, sich ab jetzt besonders leise zu verhalten und duckte sich flink unter dem Kranteil hindurch. Peter folgte ihm schweigend und etwa zehn bis fünfzehn Meter weiter hielten sie vor der Erhebung, die er auch schon von Weitem entdeckt hatte, an. Vom Fuß dieser zugewachsenen Schutthalde konnte man nicht sehen, was sich dahinter verbarg. Er folgte Gabriel hinauf, und als sie beide bis zur Hälfte oben waren, sah er das obere Drittel mehrerer Wohncontainer, die sich ganz nah hinter dem Hügel unter ihnen befanden.

Peter schwitzte stark und sein Kopf glühte, aber weniger wegen der starken Sonne als vielmehr vor Aufregung. Gabriel zog ihn näher zu sich heran.

„Müssen runter, flach auf die Erde!“, flüsterte er ihm zu. Sie duckten sich und robbten gemeinsam nebeneinander vorsichtig den Wall so weit hinauf, bis sie mit den Köpfen knapp über die Anhöhe spähen konnten, gut verdeckt durch Gräser und Unkräuter. Die Überraschung war groß und fast wäre ihm ein lautes „Oh Mann!“ oder „Wahnsinn!“ herausgeplatzt, doch Peter riss sich zum Glück zusammen und schaute Gabriel stattdessen fassungslos an. Der aber zeigte ihm beschwörend, wieder mit dem Finger an den Lippen, dass er auf jeden Fall weiterhin leise sein sollte. Dabei zogen beide Jungs ihre Köpfe instinktiv ein Stückchen zurück.

„Was ist das denn, verdammt?!“

„Psssst, bist du wohl leise! Du gefährdest noch die ganze schöne ‚Mission‘!“

„Was für eine ‚Mission‘?“, fragte Peter deutlich leiser.

„Unsere!“, war die Antwort und Gabriel sah ihm ernst in die Augen.

 

 

Kommodore Oberst Martinsen

 

Mit Theo machte das Bowlingspiel richtig viel Spaß und Frank genoss diese kurze Abwechslung sehr. Normalerweise wären die beiden Freunde erst zum Feierabend dorthin gefahren, aber heute war ihr Ausgang vorverlegt. Dennoch wollten beide nicht auf eine Erholung vom harten Unterricht der letzten Tage verzichten, so kurz sie auch war. Frank bedauerte, dass sie nicht ein oder zwei Bierchen dazu trinken konnten, denn der Ausgang von knapp drei Stunden bedeutete noch lange nicht, dass sie danach nichts mehr leisten müssten, ganz im Gegenteil: Man würde sie gleich noch einmal zu sportlichen Höchstleistungen motivieren und ihnen bis an den Rand der Erschöpfung alles abverlangen. Und das ging natürlich überhaupt nicht mit Alkohol im Blut! Also tranken die beiden Cola, spielten ihr Spiel und brachen pünktlich genug auf, um bloß nicht zu spät zurück zum Stützpunkt Seilingen zu kommen.

Auf der Rückfahrt kam Frank nicht umhin, seine ganz eigenen Gedanken zu diesem ewigen Sporttraining dem Freund mitzuteilen.

„Theo“, wandte er sich an seinen Beifahrer, der versonnen nach draußen in die Landschaft sah, sich dabei den Fahrtwind um die Nase wehen und einen Arm lässig aus dem Wagen herausbaumeln ließ. „Ehrlich gesagt, ich glaube, ich werde langsam zu alt für diesen ganzen Sportkram, mein Freund!“ Lachend zog Theo den Arm zurück, rückte seine Sonnenbrille am Nasenflügel etwas nach unten und sah ihn dann über den Rand der schwarzen Gläser hinweg vergnügt an.

„Musst ja auch nicht ewig die Schulbank drücken! Vielleicht will der Oberst dir ja gleich seinen Posten andrehen?!“, witzelte er lachend.

„Hahaha, guter Witz!“, konterte Frank, doch Theo fuhr jetzt weiter fort:

„Nein, im Ernst! Warum bewirbst du dich nicht endlich als Ausbilder? Mit all deiner Erfahrung und so …“

„Wär aber auch was für dich“, entgegnete Frank und jagte auf gerader Strecke am Stadtrand noch einmal richtig den Motor hoch.

„Ja, schon, aber ich lasse dir, mein Lieber, sehr gerne den Vortritt“, gab Theo grinsend zurück.

Im Fliegerhorst angelangt drehte Frank erst eine langsame Runde über den Parkplatz, der sich gleich hinter der Fahrzeughalle befand, da sein Platz mittlerweile wieder belegt war. Es standen ungewöhnlich viele Autos hier und Theo blickte mehr als einmal nervös auf die Uhr. „Dort vorn, Frank“, sagte er und zeigte weiter vorne nach rechts auf eine Lücke.

„Danke, Theo.“ Sein Freund parkte den langen Wagen geschickt ein und stellte den Motor ab. Das Verdeck fuhr automatisch hoch und schloss sich über ihren Köpfen. „Alles klar, dann mal los!“, rief Frank und sprang aus dem Wagen. Er warf einen letzten Blick auf seine Armbanduhr, ermahnte Theo zur Eile und die beiden Männer hasteten schnellen Schritts gemeinsam zum Stabsgebäude hinüber. Es blieb ihnen nur noch wenig Zeit, gerade genug, um auf ihre Zimmer zu gehen, die Sporttasche zu packen und sich umzuziehen, bevor man sie in den unterirdischen Sporthallen erwarten würde. Und so trennten sie sich, um schon kurze Zeit später in den „Katakomben“, wie die Sporthallen spöttisch genannt wurden, wieder aufeinander zu treffen.

Es war die reinste Schinderei und Frank, der in dieser Truppe mit einigen Jahren Abstand ziemlich der Dienstälteste war, litt unter all den jungen Athleten wie ein alter Hund, der einem Stöckchen hinterherjagen sollte. Dennoch schnitt er gar nicht so schlecht ab, wie er selbst immer glaubte, und am Ende der Stunde waren die beiden Ausbilder mit seiner Leistung mehr als zufrieden. Völlig ausgepumpt setzte er sich auf den Boden, lehnte sich an die Wand und rieb sich sein schmerzendes rechtes Knie. Doch anstatt dass Theo ihn bemitleidete, kam der, nicht weniger schwer atmend, vom Hindernisparcours zurück und stellte sich vor ihn, die Hände in die Hüften gestemmt. Er grinste von einem Ohr bis zum anderen und beugte sich dann dicht zu ihm hinunter:

„Und, Alterchen, geht’s wieder?“

„Ich zeig dir gleich Alterchen, du Teeny! Komm und hilf mir mal auf!“ Frank streckte ihm seine Hand entgegen und Theo zog ihn schwungvoll auf die Beine. Dann klopfte ihm der Jüngere freundschaftlich auf die Schulter.

„Komm, lass uns gehen, Frank. Für heute haben wir es wirklich geschafft. Wir sehen uns beim Abendessen, ich geh’ jetzt duschen.

Erzähl mir auf jeden Fall nachher, was sich aus dem Gespräch mit dem Oberst ergeben hat, ja?“

„Na klar, Theo, bis nachher!“ Frank griff sich seine Sporttasche, stopfte das Handtuch, das er zum Schweißabtrocknen benutzt hatte, zurück in seine Tasche, verabschiedete sich von ein paar der anderen Kollegen und begab sich, an den Duschräumen vorbei, zu den Aufzügen. Er genoss lieber den Luxus eines eigenen Bads mit WC und Dusche direkt auf seinem Zimmer (ein besonderes Vorrecht, das nur die Älteren erhielten). In einer halben Stunde würde der Kommandeur ihn erwarten und Frank würde sich frisch geduscht im Dienstanzug vor ihm präsentieren.

Zwanzig Minuten später überprüfte Frank Berge noch einmal mit einem letzten hektischen Blick im Flurspiegel, ob wirklich alles ordentlich saß, und in der Tat, er war kaum wiederzuerkennen!

Und das konnte er sogar nochmals steigern, wenn sich ihm eine der seltenen Gelegenheiten bot, seine Gesellschaftsuniform „spazieren zu tragen“, die er vom eigenen Sold bezahlt hatte. Obwohl eher selten der Fall, war Frank in dieser blauen, maßgeschneiderten Uniform der Hingucker auf jedem Ball, jeder Hochzeit und so war er auch vor Jahren seiner zukünftigen Braut begegnet. Die goldenen, geflochtenen Schulterstücke und die meisten seiner Rangabzeichen hatte er damals schon tragen dürfen, doch inzwischen waren noch einige Ehrenauszeichnungen besonders erfolgreich abgeleisteter, streng geheimer Spezialaufträge im Kosovo und Nahen Osten hinzugekommen und schmückten seine Brust. In seiner Ausgehuniform ging Frank für einen Laien wahrscheinlich glattweg als General durch, aber auch in der weniger prunkvollen Dienstuniform eines Offiziers machte er eine ganz gute Figur. Da es also nichts mehr auszusetzen gab und die Zeit jetzt wirklich drängte, zog Frank endlich die Tür hinter sich zu, wandte sich um und schritt in gemäßigter Eile den Flur hinunter zum Aufzug, wo er ihn sechs Stockwerke tiefer, nahezu 18 Meter unter der Erde, Tonnen von Stahl und Beton über sich wissend, wieder verließ.

Hier betrat er mit einem etwas mulmigen Gefühl ein wahres Labyrinth aus Gängen und Abzweigungen, um dann im Vorzimmer des Kommandeurs, Oberst Martinsen, um Einlass zu bitten. Dessen Adjutant, ein Oberstabsfeldwebel und somit die „rechte Hand“ des Obersts, ein vielbeschäftigter, dennoch stets freundlicher Mann, hob schon bei seinem Eintreten nickend den Telefonhörer an. Er bot ihm mit einer höflichen Geste an, auf dem Stuhl gleich gegenüber an der Wand Platz zu nehmen.

„Herr Oberst? – Jawohl, er ist hier. – Selbstverständlich, Herr Oberst. – Ja, die Unterlagen liegen bereit, auf dem Tisch, jawohl!“ Obwohl er eigentlich immer sehr beherrscht war, rutschte Frank gerade zum zweiten Mal unruhig auf seinem Stuhl hin und her, als fände er einfach nicht die richtige Sitzposition.

„Okay, kann reinkommen, jawohl! Auf Wiederhören!“ Nach diesen Worten legte der Adjutant den Hörer zurück auf das Telefon, hob den Kopf und lächelte Frank Berge verbindlich an.

„Sie können jetzt durchgehen, Herr Berge!“ Schon bei seinen ersten Worten war Frank ruckartig aufgestanden und zupfte noch einmal das Jackett gerade nach unten. Er dankte dem Ad31 jutanten und schritt zackig auf die holzverkleidete Bürotür des Kommodore zu. Frank klopfte zweimal, wartete und lauschte.

Trotz der Stahlverstärkung in der Tür konnte er jetzt deutlich eine Stimme vernehmen:

„Herein!“ Frank musste automatisch an seine Kindheit denken.

Seine Mutter, eine geborene Brenninkmeyer, pflegte darauf oft zu antworten: „Ja, herein, wenn’s kein Schneider ist!“ ‚Komisch‘, dachte er, ‚dass ich ausgerechnet jetzt an sie denken muss.‘ Schon die Eingangstür zu den Büroräumen des Kommandeurs verriet dem Besucher, dass er hinter dieser Tür nicht mit den üblicherweise schlichten, farblosen und tristen Einrichtungsgegenständen zu rechnen hatte, aber das, was er dann zu sehen bekam, überstieg immer alle Erwartungen. Selbst Frank, der nicht zum ersten Mal hier unten zu Gast war, war zum wiederholten Mal ehrlich beeindruckt. In seinem großen Büro, das mindestens drei normale Büros beinhaltete, saß links ein Stück entfernt neben der Tür Kommodore Martinsen hinter einem großen, massiven Schreibtisch. Dessen Metallplatte stammte angeblich von einer alten „Tante JU“, einer „Junkers JU52“, die im Zweiten Weltkrieg von den Alliierten über Berlin abgeschossen worden war. Auch die Tischbeine, so erzählte der Kommodore immer gerne neuen Gästen, hatten ihre ganz eigene, spannende Geschichte, denn sie stammten angeblich aus Teilen der „Heinkel HE162“, die gegen Ende des Zweiten Weltkriegs während des sogenannten „Jägernotprogramms“ als Düsenjäger entwickelt worden waren. Und an einer Wandseite befanden sich zwei große, vormontierte Kirchenfenster aus buntem Mosaikglas in Blei eingefasst, die von hinten indirekt beleuchtet wurden und der Betonwand die Kälte nahm. Martinsen beendete schnell noch einige Eingaben auf seinem Com32 puter und drückte dann gleichzeitig die drei „berühmten“ Sperrtasten. Der Bildschirm verdunkelte sich und statt des blauen Hintergrunds erschien das „Eagle One“-Logo in Weiß vor einem schwarzen Hintergrund. Mehrere Schaukästen, diskret beleuchtet und mit großen, detailgetreuen, militärischen Flugmodellen bestückt, standen verteilt im Raum und lockten den Besucher, einen Blick mehr auf die Modelle zu werfen.

Hinter dem Kommodore, der selbst in einem großen ledernen Schwingsessel saß, befand sich ein schweres Holzregal, angefüllt mit jeder Menge Literatur und etlichen Flugzeugmodellen mehr. An den Wänden hingen gut verteilt und geschickt platziert einige wertvolle, alte Ölgemälde mit Schlachtenmotiven aus dem Mittelalter in goldverzierten Prunkrahmen. Weiche, kostbare Teppiche und schwere Mahagonimöbel, eine Ecke mit Clubcouch, Tischchen und zwei Sesseln rundeten das Ganze so ab, dass es insgesamt eher wie ein Wohnzimmer wirkte als ein richtiges Büro, in dem hart gearbeitet wurde. Doch der Schein trügte! In den hinteren Räumlichkeiten, das wusste Frank, befanden sich noch ein kleines, spartanisch eingerichtetes Schlafzimmer und ein winziges Bad sowie ein großer, moderner Konferenzraum mit Notstromversorgung, abhörsicheren Leitungen zu sämtlichen Streitkräften und zwei redundanten Hochleistungsrechnern mit verschlüsselter Satellitenverbindung zu drei europäischen Spionagesatelliten.

„Mein lieber Junge, schön, dass Sie da sind!“ Der grauhaarige Mann, ein Mittfünfziger, der nur unwesentlich jünger wirkte, erhob sich nun und strahlte Frank dabei verbindlich an. Jetzt zeigte sich, dass Martinsen immer noch eine stattliche Figur aufwies: Er war groß und von schlanker Gestalt. Er umrundete seinen wuchtigen Schreibtisch und steuerte auf Frank zu. „Ach, ich freue mich ja so, dass wir uns mal wiedersehen!“ „Ich, äh, ich mich auch, Herr Oberst, ich mich auch!“, versicherte ihm Frank und beide schüttelten sich wie gute Freunde kräftig die Hand, während Martinsen ihn hinüber zur Clubecke führte. Dort gebot er ihm, Platz zu nehmen in einem der tiefen, bequemen Ohrensessel, und sank ihm gegenüber selbst in einen Sessel.

„Tja, mein lieber Junge“, wiederholte er, „ich habe gerade noch einmal Ihre Akte durchforstet und muss schon sagen, ich bin wirklich sehr froh, dass Sie zu meiner Truppe gehören.“ Frank lauschte gespannt. „Schon bei Ihrem Einsatz im Irak habe ich ehrlich gesagt nicht damit gerechnet, Sie so bald wiederzusehen und was machen Sie stattdessen, mein Junge?“ Frank zuckte mit den Schultern. „Werden mittendrin, weit hinter den feindlichen Linien, abgeschossen und verwundet und schlagen sich dann mutterseelenallein durch!“ Der Kommodore brummte zufrieden. „Ja, und dann tauchen Sie drei Wochen später fast unversehrt in Syrien wieder auf! Also ich muss schon sagen, mein lieber Junge …“ Der Kommodore griff neben sich und öffnete den Verschluss einer auf antik getrimmten Bar. Sie bestand aus einem hölzernen Gestell mit einer großen Weltkugel und er hob jetzt die obere Hälfte an. Verschiedene Alkoholflaschen kamen darunter zum Vorschein. „Was darf ich Ihnen einschenken, Frank?“

„Oh, äh, ich trinke wirklich nie, außer ganz, ganz selten mal ein, zwei Bier, Herr …“

„Ach, Unsinn, mein Junge!“ Martinsen blickte ihn abwartend an. „Wirklich nicht?“

„Nein, nein, besten Dank, Herr Oberst, wirklich nicht!“ Sichtlich enttäuscht, nun selbst keinen geeigneten Vorwand mehr zu haben, sich auch einmal außerhalb des Feierabends ein Schlückchen gönnen zu können, ohne ein schlechtes Gewissen haben zu müssen, schloss der Kommodore die Kugel und murmelte irgendetwas von: „Schade aber auch!“ Dann ließ er sich ächzend zurück in seinen Sessel fallen und stöhnte.

„Tja, also: Ich brauche Sie mal wieder, mein Junge!“ Frank schwieg und die beiden Männer blickten sich fest in die Augen.

Eine kleine Pause entstand und Frank dachte kurz darüber nach, dass der Kommodore so nett er auch war, so gemütlich und freundlich er auch rüberkam in dieser Position genauso brutal und hart auftreten konnte, wenn es der Anlass erforderlich machte. „Ja, also, so ist es, ich brauche Sie mal wieder!“, begann er erneut. „Ich weiß, dass Sie jetzt schon wissen, mein Junge, wie ernst das ist, was ich heute von Ihnen verlangen werde, und das zeigt mir, dass Sie wirklich der Beste sind!“ Frank erhob keinen Einspruch und der Kommodore fuhr ernst fort: „Es handelt sich wieder einmal um einen ganz speziellen Auftrag. Eines jener ‚Never- come-back-Kommandos‘ für zwei meiner besten Männer!“ Martinsen blickte ihn ernst an.

„Sie, Herr Oberst, erlauben mir, die zweite Person selbst auszusuchen?“

„Ja, aber natürlich, natürlich!“ Jetzt erst bemerkte Frank, dass auf dem Tischchen eine Aktenmappe lag, auf der in großen Lettern die Worte STRENG VERTRAULICH und darunter GEHEIM zu lesen waren. Als hätte er seine Gedanken gelesen, legte der Kommodore seine Fingerspitzen auf den Ordner und drehte ihn mit Schwung zu Frank herum. Dann tippte er mehrmals darauf. „Bitte, schlagen Sie ihn auf und schauen Sie sich die Sachen in Ruhe an!“ Er lehnte sich zurück, seufzte einmal tief und beobachtete Frank, der sich langsam den Ordner griff und bedächtig den Deckel abhob.

Er enthielt verschiedene Beschreibungen, Landkartenausdrucke und Bilder von Luftüberwachungsflügen einer Region in Mittel35 afrika. Frank blätterte weiter. Es kamen noch Fotos von einem blonden Mann, mal in Gesellschaft anderer, mal allein, aber auf den meisten Bildern war er nicht gut zu erkennen. Dann folgte eine detaillierte Personenbeschreibung des sogenannten „Zielobjekts“, einer Person, um die man sich offensichtlich „sorgte“.

Er betrachtete alles, prägte sich möglichst viel ein und legte die Mappe dann, aufgeschlagen, zurück auf den Tisch. Das Foto des blonden Mannes, der gar nicht so recht in seine Uniform hineinzugehören schien, lag nun obenauf. „Alter: 36“ stand darunter und: „Hannes von Eberdingen“. Es handelte sich bei dem Foto um ein Gruppenbild. Es zeigte den Blonden vor einer Gruppe bewaffneter Soldaten und rechts neben ihm stand ein dunkelhäutiger Afrikaner in einer sandfarbenen Fantasieuniform.

Beide schüttelten sich gerade die Hände und lächelten in die Kamera. ‚Ein widerlicher Typ, eiskalte Augen, dieser von Eberdingen‘, dachte Frank. Der Kommodore wandte sich jetzt nochmals an ihn und rückte dabei etwas näher an den Tisch heran.

„Ja, das ist er! Ein Mann ohne Gewissen und ohne familiäre Bindungen!

Rechts neben ihm, das ist Buthopa, dieser geisteskranke, selbsternannte Machthaber von Nambesia. Von Eberdingen ist ein guter Freund und Kumpel von Buthopa! Ist gebürtiger Südafrikaner und Kopf einer Menschenschlepperbande, die Jahr für Jahr hunderte Menschen über afrikanische Grenzen bis nach Deutschland schmuggelt: wenn überhaupt!“

„Was genau meinen Sie bitte mit ‚wenn überhaupt‘?“, fragte Frank irritiert. Der Kommodore blickte schnell auf die Wanduhr, bevor er ihm antwortete.

„Es sieht so aus, dass hier in Deutschland, dem endgültigen Bestimmungsland der Flüchtigen, jeweils immer nur ein kleiner Rest derjenigen ankommt, die tatsächlich rausgeschmuggelt werden sollen! Viele verschwinden, nachdem sie ihre ‚Passage‘ bezahlt haben, irgendwo auf dem Weg nach Deutschland im Nirgendwo!“ Martinsen beugte sich angespannt nach vorn.

„Unsere Leute haben den von Eberdingen monatelang überwacht und jede Bewegung seiner Leute beobachtet. Immer wieder verschwinden Menschen, die sich ihm und seiner Schlägertruppe widersetzen, und werden nie mehr gesehen! Wir haben auch Informationen von aufgegriffenen Flüchtlingen, die wir vor ihrer Abschiebung zurück nach Hause, in die ärmsten Länder der Erde, noch mal befragen konnten. Sie bestätigen alle, dass die Zustände, unter denen sie rüberkamen, katastrophal waren! Dass sie unterwegs fast verhungert und verdurstet wären!

Und mancher vermisste nach seiner Ankunft den ein oder anderen seiner Mitreisenden.“

„Das heißt, dieser von Eberdingen bringt die, die ihm gegen den Strich gehen, einfach um?“ Frank war entsetzt.

„Nein, nein, wir glauben, dass er das immer durch seine Helfershelfer erledigen lässt.“ Der Kommodore tippte auf die einzelnen Soldaten hinter den beiden im Vordergrund. „Die schmutzige Arbeit lässt er lieber andere erledigen, und diejenigen, die ihn um Hilfe bitten, sind meist in so schlechter körperlicher Verfassung, dass sie an den Strapazen solcher Reisen zugrunde gehen, wenn sie nur ein bisschen, sagen wir mal, missachtet werden!“ Martinsen nahm einen grimmigen Ausdruck an, bevor er fortfuhr. „Eingepfercht in enge Lkws, stundenlang ohne Wasser und Nahrung und in glühender Hitze, werden sie tagelang durch Afrika geschleust, und wer es dann bis zum Mittelmeer geschafft hat …“ Der Kommodore hob beide Hände als Geste seiner Hilflosigkeit und ließ sie wieder sinken. „Tja, der wird danach mit den anderen Überlebenden zusammen wie Sardinen im Rumpf irgendwelcher kleinen Fischerboote einge37 zwängt, mit denen wir noch nicht einmal über einen See paddeln würden, und über das Meer gefahren! Wer das dann auch noch überlebt, den erwartet noch mal eine tagelange Irrfahrt durch mehrere europäische Länder, wieder versteckt in irgendwelchen Containern von Lkws, bis er zuletzt auch bei uns in Deutschland ankommt. Und jetzt kommt’s: Von Eberdingen schmuggelt nicht nur die Ärmsten der Armen, sondern betreibt mit ihnen auch noch regen Handel! Wir wissen, dass er auch hier in Deutschland seine festen Abnehmer für diese Leute hat.“ Franks Gesichtszüge verfinsterten sich zunehmend und für einen Moment stellte er sich vor, wie dieses Monster die Armen weiterverschacherte. „Ja, ja“, fuhr Martinsen fort, „wir wissen schon, wo ein Teil dieser Menschen dann landet, aber niemand war bisher bereit, öffentlich gegen ihn auszusagen, aus Angst um sein Leben oder um das seiner Lieben. Und was manchen Mädchen widerfährt, damit möchte ich Sie jetzt lieber verschonen, mein Junge! Man ist sich übrigens ziemlich sicher, dass von Eberdingen mitten in Deutschland sogar selbst so eine Art Gefangenenlager betreibt. Wo, haben wir bisher, trotz aller Mittel, nicht herausfinden können.“ Frank schwieg eine Zeit lang, sichtlich betroffen, und stierte dabei auf das Bild des Hannes von Eberdingen. Er begann ihn schon jetzt zu hassen, aber eine weitere Frage drängte sich ihm auf und ließ ihn nicht mehr los.

„Herr Oberst?“

„Jawohl, mein Junge?“

„Es ist also wirklich so, dass diese armen Menschen, die man unterwegs aufschnappt, tatsächlich wieder zurückgeschickt werden?“, fragte er und musste plötzlich schwer schlucken.

Martinsen, der ihn genau beobachtete, schien mit der Antwort, die er sich dafür schon in Gedanken zurechtgelegt hatte, nun scheinbar doch nicht mehr ganz so glücklich. Er zögerte einen kleinen Moment, bevor er ihm dann bedächtig antwortete, und wusste genau, dass Frank Berge von ihm eine ehrliche, eine wirklich aufrichtige Antwort erwartete.

„Tja, was soll ich Ihnen sagen, mein Junge!? Wir können nicht all diese armen …“

„Entschuldigen Sie, Herr Oberst, aber das ist mir natürlich schon klar. Ich meine, was ist mit denen, die ihre Heimat wirklich wegen unmittelbar drohender Gewalt oder verheerender Hungersnöte verlassen haben?“ Der Kommodore seufzte tief auf, auf seiner Stirn bildeten sich Sorgenfalten und er antwortete ihm dann mit ernster, leiser Stimme:

„Mein Junge, ich bedaure auch sehr, dass es so ist, wie es ist, das können Sie mir ruhig glauben, und ich bin Ihnen sicherlich eine ehrliche Antwort schuldig.“ Dann legte er eine Pause ein, seufzte erneut und fuhr fort: „Nur die wenigsten dürfen überhaupt noch hier bleiben!“

„Obwohl das für den ein oder anderen das Todesurteil bedeuten könnte?!“

„Jawohl, mein Junge, für den ein oder anderen. Das ist traurig, aber so ist nun mal die grausame Wahrheit“, antwortete er bekümmert, doch dann fuhr er erklärend fort: „Es ist kaum noch zu unterscheiden, wer wirklich fliehen muss, weil in seiner Heimat sein Leben durch andere ernsthaft bedroht wird, und wer sein Land nur verlassen hat, um hier das vermeintliche große Geld zu machen! In diesem Dschungel aus Lug und Trug finden sich die Behörden kaum noch zurecht, zumal auch noch viele der Flüchtlinge über gar keine und viele sogar über gefälschte Papiere verfügen. Und um der Flut der Einwanderer überhaupt noch Herr zu werden, verfährt unsere gesamte westliche Welt auf ähnliche Weise. Man hat Quoten festgelegt, nach denen jedes Land nur eine bestimmte Anzahl Flüchtiger aufnimmt.

Die Zahlen derer, die wir Jahr für Jahr in den einzelnen Ländern dennoch bereit sind aufzunehmen, ohne sie wieder abzuschieben, schrumpft zunehmend. Die Bereitschaft der Menschen zur Hilfe am Mitmenschen ist zwar insgesamt sehr, sehr groß, aber auch sie hat ihre Grenze.“ Der Kommodore blickte betrübt hinüber auf den Globus.

 

3

Die Container

 

Er riskierte noch mal einen Blick durch die Deckung aus Gräsern und niedrigem Gestrüpp hindurch, hinab nach unten zu den Containern und den Menschen, die sich dort nur wenige Meter entfernt von seinem und Gabriels Versteck aufhielten. Es war einfach nicht zu fassen, dass sich mitten auf dem Schrottplatz eine solch große Ansammlung dunkelhäutiger Menschen befand, die hier inmitten der Stadt und trotzdem so geschickt verborgen dauerhaft zu wohnen schienen! Peter fand, sie sahen genauso aus wie diejenigen, die man manchmal im Fernsehen sah, wenn von Flüchtlingen aus Afrika die Rede war. Einige Männer saßen kreisförmig versammelt auf dem Boden in der Mitte des Platzes und spielten offensichtlich irgendein Spiel mit gewöhnlichen, rundlichen Steinen. Ein paar Frauen wanderten umher, mal hierhin, mal dorthin. Eine der Jüngeren war damit beschäftigt, Wäsche zwischen zwei Bäumen über eine Leine zu hängen, eine andere schleppte einen großen Wasserkanister.

Der Hund, der sich kürzlich von den beiden Jungs getrennt hatte, um seinem eigenen Pfad zu folgen, lag lang hingestreckt und völlig entspannt vor einem mobilen WC. Das kleine Toilettenhäuschen hatte seine besten Tage schon hinter sich gelassen, es sah vergammelt aus und man hatte es sicherlich nicht grundlos ganz am Rand der Anlage aufgestellt. Der Hund ließ sich dort, im Schatten des Klos, von mehreren Kindern durchs Fell kraulen. Es war Peter ein Rätsel, wie der Vierbeiner überhaupt dort unten hineingelangen konnte, denn das große Zugangstor war mit einer dicken Kette fest verschlossen und um das ganze Gelände herum befand sich ein hoher Zaun, der es wie eine Burgmauer umschloss. Im oberen Teil war der Zaun sogar noch mit Stacheldrahtrollen verstärkt, sodass man auch nicht drüber konnte, und als Hund schon zweimal nicht! Irgendwer musste das Tier also hereingelassen haben, überlegte Peter, wies mit dem Finger vorsichtig zu dem Hund hinunter und stupste Gabriel an, der dicht neben ihm kauerte. Der verstand sofort, was Peter meinte, und flüsterte ihm zu:

„Ja, ja! Der Bello hat dahinten, dort, ein schmales Loch gebuddelt, durch das er unter dem Zaun durchkriechen kann.“ Er wies mit dem Zeigefinger vorsichtig nach links, an einer Handvoll Grashalmen vorbei, zur Rückseite des eingezäunten Areals, wo Peter glaubte, zu beiden Seiten des Zauns eine Kuhle am Boden zu erkennen. Ein, zwei Meter von dieser Stelle entfernt stand schon der erste Wohncontainer, der von hier oben ziemlich abgewohnt ausschaute. Und dann, nach einer kleinen Pause, währenddessen die Jungs dem nahezu lautlosen Treiben dort unten gebannt zusahen, wandte sich Gabriel erneut an seinen neuen Freund:

„Schau mal dahinten!“, flüsterte er und zeigte nach rechts, wo in etwa zwanzig Meter Entfernung, außerhalb des Containerdorfes, vor dem Tor, ein ehemaliger Bauwagen stand. Und jetzt erkannte Peter auch, was Gabriel meinte. Vor dem Wagen, der offensichtlich als Aufenthaltsraum diente, saß auf einem alten Campingstuhl einer der Schrottplatzarbeiter. Peter erinnerte sich, ihn schon öfter an der großen Metallpresse, ganz vorne bei den Schrottfahrzeugen gesehen zu haben. Jetzt fiel ihm auch wieder ein, dass dem Mann an der rechten Hand der ganze Daumen fehlte, aber das war von hier oben beim besten Willen nicht auszumachen. Trotz oder vielleicht gerade wegen dieser unheimlichen Verletzung mochte er den Kerl nicht, obwohl er ihn nicht näher kannte. In einer Hand hielt er eine Bierflasche und Peter traute kaum seinen Augen, die andere ruhte lässig auf einer doppelläufigen Flinte, die halb verdeckt von seinem fetten Bauch quer über seinen Beinen lag. Peter überlegte fieberhaft.

Trotz all dieser schockierenden Entdeckungen musste es doch für das alles hier eine ganz normale Erklärung geben, aber welche? Wenn er sich doch nur besser konzentrieren könnte! Es gab im Prinzip grundsätzlich erst einmal nur zwei Möglichkeiten, warum der Zaun und die Wache da waren. Doch welche war wohl die richtige? Sollten die Bewohner dieses kleinen, abgegrenzten Containerdorfs vor denen da draußen beschützt werden oder (und das hielt Peter eher für ausgeschlossen) mussten sie eingesperrt werden, zum Schutz der Schrottplatzleute oder sogar aller Menschen, die draußen lebten? Einen Augenblick dachte er noch über eine weitere Möglichkeit nach, doch die verwarf er gleich wieder: Was wäre, wenn die Menschen da unten schlimme, ansteckende Krankheiten hätten und man sie deshalb hierhin wegsperrte? Er schwitzte, die glühende Sonne machte es auch nicht gerade leichter, konzentriert nachzudenken.

Er wischte sich über die Stirn, und als hätte Gabriel geahnt, dass er verzweifelt vor sich hingrübelte und nach Antworten suchte, wandte er sich leise flüsternd an seinen neuen Freund:

„Peter, sieh dir mal genau den Zaun an! Da sind auf der Innenseite noch extra Kabel, äh, ich meine extra Drähte, siehst du sie?“ Peter spürte ein leichtes Unbehagen in der Magengegend und entdeckte jetzt auch die zusätzlich waagerecht am Zaun entlang verlaufenden Drähte. Es waren fünf blanke, blitzende Drähte, die mit einem Abstand von zirka 20 – 30 cm voneinander parallel verliefen und zwischendurch von schwarzen Kunststoffisolatoren gehalten wurden.

„Ich glaube, das sind Alarmdrähte!“, wandte Peter sich leise an Gabriel und zog seinen Kopf wieder ein Stückchen zurück, bevor er aufgebracht und mit erhobener Stimme, deutlich lauter weiterflüsterte: „Meinst du, das sind alles Gefangene?“

„Ja, aber pssst, nicht so laut“, antwortete der und nickte, „glaub’ schon!“

„Gabriel, lass uns hier abhauen, ich hab’ Schiss!“ Der Junge grinste und legte ihm eine Hand auf den Arm.

„Ist nicht schlimm, Peter, hatte ich auch, als ich das hier das erste Mal entdeckt habe.“ Aber er willigte ein und er und Peter machten sich gemeinsam, vorsichtig an den Rückzug. Sie robbten noch ein Stückchen den kleinen Hügel hinunter durchs Gras, dann liefen sie den Rest. Erst am Krangerüst angelangt, unter dem sie vorsichtig hindurchkrochen, verlangsamten sie ihr Tempo und folgten dem schmalen Pfad in gemächlichem Trott zurück zum Silo.

 

 

Der Job

 

Kommodore Martinsen und Frank saßen noch eine ganze Weile zusammen, und erst als Frank bemerkte, dass der Oberst immer häufiger und dabei zunehmend auch immer etwas nervöser auf die Wanduhr schielte, schickte er sich an, mit seinen Fragen zu Ende zu kommen.

„Gut, dann wären jetzt alle Details zu Ihrem Einsatz so gut wie besprochen und eigentlich alles so weit erst mal klar, oder nicht?“, fragte der Kommodore und erhob sich dabei schon schwerfällig aus seinem Sessel, mit der Absicht, das Gespräch jetzt sowieso beenden zu wollen.

„Jawohl. Ich danke Ihnen für Ihr Vertrauen und werde Sie bestimmt nicht enttäuschen!“, bestätigte Frank und erhob sich eilig. Martinsen lächelte, klopfte ihm leicht auf die Schulter und antwortete:

„Das weiß ich, mein Junge!“ Währenddessen führte er ihn zur Tür und stellte ihm noch eine letzte Frage: „WEN gedenken Sie mit an Bord zu holen?“

„Ich möchte gerne Theo Andersen vorschlagen, Herr Oberst!“ Der Kommodore blieb vor der holzvertäfelten Eingangstür stehen. Den Türgriff schon umfassend, wandte er sich noch einmal an Frank und nickte zufrieden:

„Eine ausgezeichnete Wahl, mein Junge! Habe seinen Vater gut gekannt, ein ganz patenter Kerl. Habe lange unter ihm gedient und sein Sohn kommt ganz nach dem Vater. Eine ausgezeichnete Wahl!“, wiederholte er, schüttelte Frank zum Abschied kräftig die Hand, dann öffnete er die schwere Bunkertür und trat beiseite, um ihn durchzulassen. „Also alles Gute und viel Erfolg. Ihre Instruktionen werden Ihnen noch heute Abend auf Ihr Quartier gebracht. Und dass Sie mir ja gut auf ‚meinen Theo‘ aufpassen! Bringen Sie sich und ihn wieder heil zurück nach Hause, mein Junge!“ Noch ehe Frank hätte antworten können, schloss sich leise hinter ihm die Tür und der elektronische Verschluss rastete hörbar ins Schloss.

Nachdenklich wandte Frank sich ab. Der Oberstabsfeldwebel befand sich mitten in einem wichtigen Telefonat, nickte ihm aber freundlich zu und hob zum Abschied kurz die Hand.

Frank grüßte militärisch, dann marschierte er an ihm vorbei, weiter den Gang runter zu den Aufzügen. Sein Freund würde sich ganz schön wundern, wenn er das alles beim Abendessen erführe. Und als aktives Mitglied der Operation ‚HUT‘ durfte er ihm unter dem Siegel der Verschwiegenheit schon jetzt von ihrem bevorstehenden, gemeinsamen Spezialauftrag berichten.

Gut eine halbe Stunde später betrat Frank, angezogen mit einem kurzärmligen T-Shirt, einer bequemen, weiten Jogginghose und Sportschuhen, die Kantine, die sich schräg gegenüber vom Stabsgebäude befand. Dieses Haus war eines der wenigen, wirklich „gewöhnlichen“ Gebäude. Darunter befanden sich keine unterirdisch angelegten Räumlichkeiten (sofern sie nicht auch vor Frank geheimgehalten wurden!), außer einem ganz normalen Keller, in dem die Vorratsräume und die Kühlkammer der Küche lagen. Das Stabsgebäude aber, mit den offiziellen Büros im Erdgeschoss, den Mannschaftsunterkünften in den oberen Etagen, Duschen und Toiletten, war ähnlicher Bauart, jedoch wesentlich größer und besaß mehr Etagen. Ganz im Gegensatz zum Küchen- und Kantinenkomplex befand sich hier noch sprichwörtlich eine halbe Kleinstadt unter der unauffälligen „Oberfläche“.

Die Kantine war gut besucht, aber jetzt bei Weitem nicht mehr so voll wie noch zur Mittagszeit, und Frank erspähte Theo augenblicklich nach seinem Eintreffen. Er gab ihm mit der Hand, über die Köpfe der anderen hinweg, die ebenfalls in der Schlange anstanden, ein Zeichen. Als sich ihre Blicke erneut trafen, wies er auf einen weiter entfernt stehenden, vereinzelten Tisch, der noch gänzlich unbesetzt war und sich weitgehend außerhalb der Hörweite der anderen Kameraden befand. Daraufhin löste sich Theo aus der kleinen Gruppe, mit denen er zusammen am Tisch speiste. Er nahm sein Tablett auf, entschuldigte sich unter irgendeinem Vorwand, der bei den Anderen nur ein kurzes, unbefangenes Gelächter auslöste, und ließ sich an dem freien Tisch nieder, wo er gespannt auf Frank wartete.

„Mann, wurde aber auch langsam Zeit jetzt! Ich habe das dumme Gefühl, als wenn ich in letzter Zeit ständig auf dich warten müsste“, begrüßte er ihn scherzhaft. Frank antwortete ganz schuldbewusst:

„Ja, ja, ich weiß. Aber du wirst dich noch wundern über das, was ich dir jetzt zu erzählen habe!“ Und er begann Theo leise zu berichten, was er im Büro des Kommodore erfahren hatte und schaffte es sogar irgendwie, trotzdem auch noch zwischen den Worten hin und wieder einen Happen zu sich zu nehmen.

„Und was genau heißt jetzt dieser Deckname ‚HUT‘, den ich, und das sage ich jetzt nur dir als meinem Freund, ziemlich blöd finde?“, hakte Theo neugierig nach.

„‚HUT‘“, erklärte Frank und grinste dabei leicht spöttisch, „mein lieber Theo, ist nicht irgendein blöder Deckname ohne richtigen Bezug zu irgendetwas. Es ist die englische Abkürzung für HUman Trafficking, MENSCHENHANDEL, und bedeutet damit so ziemlich genau, wogegen wir mit unserer Operation vorgehen werden und einen hoffentlich vernichtenden Schlag ausüben!“ Frank unterbrach an dieser Stelle seine Ausführungen und griff nach der Colaflasche, die bis jetzt unangetastet auf seinem Tablett stand. Dabei hielt er sie wie zu einem Trinkspruch Theo entgegen. Der begriff sofort, hob seine eigene Flasche empor und dann ließen die beiden ihre Flaschen klirrend aneinanderstoßen.

„Diesmal, mein Freund, haben wir eine ehrenvolle Aufgabe.

Hier gibt es keine richtige oder falsche Seite, auf der wir stehen.

Auf die Freiheit eines Jeden!“, sagte Theo euphorisch und nahm einen kräftigen Schluck. Frank nickte zustimmend, führte seine Flasche zum Mund und trank in einem Zug die halbe Glasflasche leer.

„Boooh, tut das gut“, sagte er und fuhr weiter fort: „Da hast du völlig recht, Theo. Diesmal geht es nicht um zwei Streithähne, von denen unsere Regierung den einen aus irgendwelchen wirtschaftlichen oder politischen Gründen bevorzugt und den anderen einfach fallen lässt wie eine heiße Kartoffel, sondern um einen international geächteten Verbrecher. Einen Verbrecher, der sich ausschließlich an hilflosen, wehrlosen Menschen vergeht, deren Not und Leiden der Eberdingen schamlos ausnutzt!“

„Genau! Und wir werden ihn jagen, dieses Monstrum!“ Frank pflichtete ihm bei.

„Ja, Theo, das werden wir! Bei diesem Einsatz brauchen wir uns über Recht oder Unrecht überhaupt keine Gedanken zu machen.

Wenn wir es schaffen, an dieses Monster, diesen Hannes von Eberdingen heranzukommen und ihm das Handwerk zu legen, haben wir wirklich dazu beigetragen, dass diese grausame Welt ein kleines bisschen besser wird.“ Theo beobachtete, wie Frank den Rest seiner Cola leerte. Ihm lag noch eine wichtige Frage auf der Leber.

„Und wie stellen die Herrschaften sich das Ganze vor? Will der Oberst den Typen lebend, oder wie?“

„Lass dich überraschen, mein Freund“, antwortete Frank, „aber ich glaube nicht, dass Martinsen besonders enttäuscht wäre, wenn von Eberdingen versuchen würde zu fliehen.“ Theo nickte seinem Freund nachdenklich zu, dann gab er ihm ein Zeichen, dass sie jetzt aufbrechen könnten, und griff nach seinem Tablett. Doch bevor sich die beiden Männer erhoben, richtete sich Theo noch ein letztes Mal mit ernster Stimme an Frank:

„Zudem wird ‚HUT‘ ein wichtiger Schlag gegen den internationalen Menschenhandel: ein Zeichen, ein Signal, dass man nicht ungestraft zusieht!“

„In der Tat, Theo, so ist es!“, meinte Frank und griff nach seinem eigenen Tablett. Die beiden Freunde erhoben sich, stellten ihre Tabletts in einen der Geschirrwägelchen zurück und verließen gemeinsam die Kantine, um sich im Stabsgebäude auf ihre Quartiere zu begeben.

Im Flur hielt Frank seinen Kameraden zurück.

„Theo, kommst du bitte noch mit auf meine Stube, um die Unterlagen durchzugehen, falls sie wie versprochen schon da sind?“ Er nickte und folgte ihm den Treppenaufgang hinauf in den ersten Stock. Bei den Mannschaftsunterkünften lag ganz vorne Franks „Seniorenappartement“, wie dessen Stube allgemein, spöttisch genannt wurde. Theos Zimmer befand sich (allerdings ohne Bad und WC ausgestattet) im zweiten Stock. Auf dem Tischchen lagen tatsächlich schon die Unterlagen, von denen der Kommodore gesprochen hatte, genau wie Frank ge48 hofft hatte. Er zog den einzigen Stuhl zu sich heran und bat Theo, sich stattdessen neben ihn auf sein Bett zu setzen, das allemal bequemer ausschaute als der harte Holzstuhl. „Setz dich bitte, mein Freund, und lass uns mal gemeinsam schauen, was der Oberst uns da für den morgigen Einsatz Schönes zusammengestellt hat!“ Dabei zog er den Ordner zu sich heran, auf dessen Deckel in großen roten Lettern „HUT – Streng vertraulich!“ stand, und schlug ihn auf. Das Foto von Hannes von Eberdingen lag ganz obenauf. ‚Was hatte der Oberst noch mal genau gesagt?‘, überlegte Frank: „Junge, bringen Sie mir diesen von Eberdingen, und wenn etwas schiefläuft, dann merken Sie sich: Bei dieser Operation gibt es auf beiden Seiten keine Gefangenen!“

4

Nicht mehr Ärger

 

Gabriel wollte zunächst noch den Schulrucksack aus seinem Versteck herausholen und dann würden sie sich auf den Heimweg machen. Auf dem Weg zum Silo diskutierten sie, um was für ein merkwürdiges, geheimes Lager es sich bei dem Containerdorf handelte.

„Hast du eigentlich jemals jemanden dort reden hören? Aus welchem Land diese Menschen wohl stammen?“, fragte Peter.

Er beobachtete unterdessen stirnrunzelnd, wie Gabriel sich von drei Klettpflanzenkapseln befreite, die sich an seinen Socken festklammerten und ihn ordentlich piksten.

„Mmh, habe ich“, bejahte er, „aber verstanden habe ich nichts und woher die kommen: wer weiß?“ Er richtete sich wieder auf und warf die Kapseln in hohem Bogen ins Gras. „Ich glaube, die kommen wirklich aus Afrika.“ Damit ging er an Peter vor49 bei in den Silo hinein, um seinen Rucksack zu holen. Als er hindurchschlüpfte, hielt Peter für ihn den Eingangsvorhang auf, damit mehr Licht ins Innere drang, und dabei warf er einen flüchtigen Blick auf seine Armbanduhr. Sein Blick blieb erschrocken daran haften.

„Oh Mann, Gabriel! Mir bleibt gerade noch genügend Zeit, nicht zu spät nach Hause zu kommen, wenn ich jetzt sofort aufbreche!“ Sein Freund kam schon wieder heraus und schulterte gelassen den Rucksack. Dann wies er mit dem Kopf in die Richtung, in der sich der versteckte Eingang im Zaun befand.

„Okay, ist ja kein Problem, dann lass uns jetzt halt nach Hause gehen.“ Er wandte sich um und marschierte voran, dicht gefolgt von Peter, der sich wunderte, wie Gabriel es immer wieder schaffte, mit seinen nackten Beinen, die in einer kurzen Hose steckten, jeder Brennnessel geschickt auszuweichen. Hintereinander durchstiegen sie die Öffnung im Zaun, aber nicht, ohne dass sich Gabriel vorher genau vergewisserte, dass auf der Straße auch wirklich niemand zu sehen war. Dann schob er die Holzlatte wieder an ihren ursprünglichen Platz zurück, sodass nichts mehr darauf hinwies, dass hier überhaupt ein Eingang existierte. Peters Fahrrad lehnte unversehrt und angekettet an der Laterne, wo sich die Wege der beiden Jungen gleich trennen würden, weil Gabriel genau entgegengesetzt von Peters Zuhause wohnte.

„Tja Gabriel, ich muss dann wohl leider mal in die andere Richtung!

Tut mir ja sehr leid!“

„Kommst du denn morgen wieder?“, fragte Gabriel und blickte ihn hoffnungsvoll an.

„Ja, bestimmt. Wir müssen unbedingt mehr über die Leute bei den Containern erfahren. Ich bin jetzt schon ganz gespannt, was wir noch alles herausfinden werden.“ Er sah noch einmal prüfend auf seine Uhr. „Ich werde aber morgen nicht so früh können, weil ich zuerst noch meine Hausaufgaben machen muss, damit ich am Samstag und Sonntag frei habe.“ Gabriel nickte ihm schnell zu.

„Ja, ja, das ist ja nicht so schlimm: besser als gar nicht!“ Unterdessen hantierte Peter am Schloss und dabei bemerkte er noch einmal mit unglücklicher Miene:

„Mist, wenn ich mich nicht beeile, kriege ich bestimmt Ärger zu Hause. Hatte meinen Eltern nicht gesagt, wo ich bin.“ Gabriel blickte ihn verständnislos an und zuckte dann mit den Achseln.

„Ja, und, wo ist das Problem?“

„Ja, toll finden die es nicht, wenn sie nicht wissen, wo ich bin.

Ich müsste es aber wenigstens noch pünktlich schaffen, zum Abendessen!“

„Bei mir ist das eh egal!“, sagte Gabriel entschieden und rückte seinen Rucksack zurecht. „Meine Mutter kommt erst immer spät abends nach Hause und muss morgens immer wieder ganz früh raus, außer am Wochenende.“ Nachdem er das Fahrradschloss jetzt endlich aufbekommen hatte, schwang sich Peter aufs Rad.

„Und dein Vater?“, fragte er neugierig.

„Ach, der!“ Gabriel winkte unbekümmert ab. „Der ist schon lange, lange weg. Meine Mutter, meine beiden älteren Schwestern und ich sind allein. Wir brauchen ihn nicht!“

„Ah so“, antwortete Peter, nickte verständnisvoll und verabschiedete sich dann von seinem neuen Freund. Er versprach noch einmal, am nächsten Tag auf jeden Fall zum Schrottplatz zu kommen, winkte und radelte endlich los.

In dem Mietshaus, in dem Peter und seine Familie wohnten, gab es insgesamt vier Wohnungen. Die Familie Kollin bewohn51 te die in der 2. Etage. Die Gegend, in der sie lebten, galt als eine der „guten“, aber nicht der „besseren“ von Brandendom, und das vierstöckige Mietshaus passte sich unauffällig seiner Umgebung an. Der kleinen Familie genügte es vollkommen. Das Haus stammte aus den 70er-Jahren und sein Vater hatte unbedingt hier wohnen wollen. Als Architekt war er bei der Wohnungssuche vor ungefähr zwei Jahren ganz erfreut gewesen über den typischen Baustil dieser Epoche und hatte gleich angehalten, um sich das Haus näher anzusehen. Er mochte die farbigen Elemente, die damals modern waren, die Fassade, die mit Kieselsteinplatten verkleidet war, und noch ehe Peter sich versah, waren sie hierhin gezogen. Die Grundschule war in der Nähe, Geschäfte gab es reichlich und Spielgelegenheiten für Jungs waren in der Nachbarschaft ebenfalls genügend vorhanden.

Peters Vater hatte hier, gleich in der Nähe, bei dem größten Bauunternehmen aus der Region als Architekt angefangen und das war auch der Grund, warum sie überhaupt erst hierher gezogen waren.

Als Peter sein Fahrrad in den Keller hineinschob, kam ihm unten im Flur die ältere Nachbarin, die mit ihrem Mann eine Etage unter ihnen wohnte, entgegen. Er konnte sie nicht besonders gut leiden, weil seine Eltern ihn immer anhielten, wegen „denen“ bloß leise zu sein und keinen Krach zu machen. Die alte Frau hatte sich kurz nach ihrem Einzug darüber beschwert, dass aus Peters Zimmer, es lag genau über ihrem Schlafzimmer, immer so viel Geklopfe und Gehämmer käme. Es sei angeblich kaum zu ertragen wobei er meistens überhaupt keinen Krach machte! Aber trotzdem hatten sie natürlich nicht ganz Unrecht, denn Peter bastelte und baute tatsächlich sehr gerne an irgendwelchen seiner „Erfindungen“ (wie er es nannte) herum und es mangelte ihm nun einmal an einem Keller, in dem man werken konnte, oder einer Garage mit Werkbank. Trotzdem grüßte er die Nachbarin höflich und machte ihr Platz mit dem Rad.

„Tach, Frau Müller.“ Sie drängte sich an ihm vorbei und erwiderte missmutig:

„Dass du mir nur ja gut abschließt! In letzter Zeit wird in der Nachbarschaft überall eingebrochen. Seit neuestem sogar in unserer Gegend.“ Sie wandte sich ab und murmelte noch etwas von:

„Räuberbande unterwegs, furchtbare Zeiten heutzutage“, bevor sie um die Flurecke herum verschwand und Peter hörte, wie sie sich ächzend und stöhnend die Treppe hochquälte. Ein ihm wohlbekannter, ziemlich unangenehmer Geruch hing plötzlich in der Luft. Die Müller konnte er nämlich auch deshalb nicht leiden, weil sie genau diesen überall im Haus verströmte. Er fand, dass sie widerlich roch. Ihren Mann hatte Peter übrigens noch nie zu Gesicht bekommen. Die Müller behauptete zwar, er wäre sehr krank, aber Peter wurde den Gedanken nicht los, dass dieser Geruch vielleicht so eine Art Leichengeruch sei. Er hatte mal in einem Krimi über den Geruch des Todes gelesen, und da Herr Müller nie zu sehen war … Vielleicht hatte sie ihn ja doch vergiftet und wusste nur nicht wohin mit seiner Leiche! Dieser Geruch erinnerte ihn jedenfalls auch noch an das Schlafzimmer seiner Oma. Es hatte dort genauso gerochen, als Peter mit seinen Eltern wegen Omas Beerdigung zu ihr aufs Land rausgefahren war und einige Tage da bleiben musste. Als er sein Rad verstaute, lag ihm noch immer diese besondere, süß-saure Duftnote der Müller in der Nase. Er schüttelte sich angewidert und merkte, wie sich einige seiner Nackenhaare aufstellten. Aus irgendeinem Grund erinnerte Peter sich jetzt daran, dass die Müller bei ihrem Einzug zu seiner Mutter gesagt hatte: „Ei, ei, ei, wen haben wir denn da? Der ist ja entzückend, der Kleine.

Kommt aber ganz nach seiner Mutter, ganz wie die Mutter.“ Diesen blöden Spruch konnte er schon überhaupt nicht leiden und er dachte bei sich, dass wirklich nur, nur Erwachsene so etwas Blödes sagen konnten! Wenn die Müller wüsste, dass seine richtige, leibliche Mutter gleich nach seiner Geburt gestorben war? Seine „neue“ Mutter sorgte schon fast sein ganzes Leben lang für ihn und er liebte sie so, wie er wahrscheinlich seine eigene geliebt hätte. Peter grinste. Was die Müller wohl gesagt hätte, wenn sein Vater und seine Mutter an seiner statt mit Gabriel vor ihrer Tür aufgekreuzt wären, um sich ihr als neue Mitmieter vorzustellen? Er dachte noch immer darüber nach, als er im zweiten Stock die Wohnungstür aufschloss. Sein Vater kam ihm im Flur entgegen.

„Mann, Junge, wo warst du denn nur?“, rief er aufgebracht und Peters Mutter kam aus der Küche gelaufen und rief zornig:

„Peter, wo hast du denn nun schon wieder gesteckt?!“ Der Vater sah ihn ernst an und stemmte die Hände in die Hüften.

„Deine Mutter hat sich wirklich die allergrößten Sorgen gemacht, junger Mann!“ Peter war zwar völlig überrascht und trotzdem wunderte er sich, warum sich wohl nur seine Mutter um ihn gesorgt hatte. Aber diesen Gedanken schob er zunächst in eine andere Schublade seines Gehirns und suchte fieberhaft nach einer passenden Antwort. Am besten mit der Tür ins Haus fallen, dachte er dann.

„Ja, Mutti, ich, ich hatte dir doch gesagt, dass ich mit dem Rad unterwegs bin“, verteidigte er sich, bückte sich und zog seine Straßenschuhe aus.

„Siehst du, ich habe dir doch gesagt, dass alles in Ordnung ist“, frohlockte Peters Vater und meinte damit seine Frau. Dann wandte er sich aber noch mal an Peter und er wirkte dabei etwas verwundert. „Wie siehst du überhaupt aus, Peter? Und du warst wirklich nur Radfahren?“, fragte er skeptisch und runzelte die Stirn. Peter richtete sich auf.

„Na ja, hauptsächlich“, erklärte er vorsichtig. „Habe mich auch mit einem neuen Freund getroffen“, ergänzte er dann und zuckte die Schultern. Er hörte sich nicht so an, als wenn er noch etwas zu verbergen hätte, sondern eher, als würde er die ganze Aufregung sowieso nicht verstehen. Jetzt grinste sein Vater und blickte triumphierend auf seine Ehefrau.

„Na, siehst du. Ist nicht entführt worden, hat keinen Blödsinn gemacht und hat einen neuen Freund gefunden! Ja, wenn das nicht gute Neuigkeiten sind.“ Zufrieden drehte er sich um und verschwand im Wohnzimmer. Peter schlüpfte unterdessen in seine bequemen Hausschuhe hinein. Der Mutter, die ihn die ganze Zeit über kritisch beobachtet hatte, schienen seine Antworten so nicht zu genügen.

„Und überhaupt, was ist mit deinen Schulaufgaben?“ Er war jetzt wirklich überrascht und antwortete prompt und ohne Ausflüchte:

„Habe ich vorher komplett erledigt und habe ich dir auch gesagt.

Ich habe sogar noch eine Extra-Seite in Bio gemacht.“

„Peter, du weißt genau, dass du mir sagen sollst, wenn du die Gegend um das Haus herum verlässt! Es passiert heutzutage so viel und …“

„Ja, Mutter, das weiß ich doch und überall wird eingebrochen!“, unterbrach er sie genervt. Er „übertönte“ damit, dass er eigentlich ein ziemlich schlechtes Gewissen hatte. Sein Plan schien sogar aufzugehen, denn jetzt seufzte die Mutter resigniert, dann drehte sie sich um und klatschte tatkräftig in die Hände.

„Na ja, also dann. Männer: In fünf Minuten gibt’s Abendessen!“ Mit diesen Worten eilte sie an Peter vorbei und zurück in die Küche, während er sich ins Bad begab. ‚Noch mal Glück gehabt‘, dachte er und fühlte sich dabei nicht besonders wohl.

Dann drehte er den Wasserhahn auf und ließ zuerst das eiskalte Wasser über beide Handgelenke laufen. Es tat sehr gut. Sein Magen knurrte und er verspürte starken Durst. Als er den Blick hob und in den Spiegel sah, blickte ihn sein schmutziges Spiegelbild nachdenklich an. Und Peter wunderte sich jetzt erst recht, dass es bei diesem Anblick nicht doch noch viel mehr Ärger gegeben hatte. Keiner sah so aus, wenn er nur Rad gefahren wäre!

 

 

HUT

 

Frank und Theo hatten sich noch fast eine Stunde lang mit den Unterlagen beschäftigt. Ihr Einsatzplan war von Spezialisten der Einheit bis ins letzte Detail durchgeplant worden. Alles war lückenlos niedergeschrieben, und trotzdem die beiden hin und her überlegten, was wäre, wenn …, konnten sie keine größeren Schwachstellen im Gesamtplan erkennen. Er musste einfach gelingen!

Den Vertretern der Behörden waren offiziell die Hände gebunden.

Trotz jahrelanger Versuche auf diplomatischem Weg und selbst unter Androhung von Sanktionen hatten sie nichts gegen Hannes von Eberdingen und seine Handlanger unternehmen können. Seine Beziehungen zur Regierung dieses kleinen mittelafrikanischen Staates, von dem aus er in aller Ruhe und völlig ungestört seinen illegalen Operationen nachging, waren einfach zu stark. Hannes von Eberdingen genoss den persönlichen Schutz des amtierenden Machthabers und Diktators Buthopa von Nambesia und dessen Gefolge. Seit fast dreißig Jahren hielt Buthopa mit brutaler Macht und Waffengewalt das arme, hungernde Volk unter Kontrolle, das in ständiger Angst vor seiner Willkür lebend sich bis heute nicht zur Wehr setzen konnte.

Buthopa sorgte dafür, dass er und seine drei Söhne die wichtigsten Funktionen im Staat bekleideten. Er selbst aber stand als Oberhaupt an der Spitze des Staates und war zugleich Oberbefehlshaber der nambesianischen Streitkräfte. Während sein eigenes Volk an Hunger litt, raubte Buthopa gnadenlos die kostbaren Bodenschätze dieses herrlichen Landes aus, damit sein eigenes Privatvermögen ins schier Unermessliche anstieg. Und die ganze Welt tat nichts und schaute stattdessen lieber weg. Es war kein Geheimnis, dass Buthopas Armeen mit Waffen aus Westeuropa ausgestatten waren. Besser, der demokratische Westen machte selbst das dicke Geschäft als der kommunistische Osten, da war man sich ausnahmsweise schnell einig.

Von Eberdingen musste für Buthopas Unterstützung ein kleines Vermögen bezahlen, aber es schien sich gelohnt zu haben, denn mit legalen Mitteln war an ihn einfach nicht heranzukommen.

In Nambesia galt er als der einflussreichste, angesehenste Geschäftsmann und als persönlicher Freund Buthopas, der in der Bevölkerung Angst und Schrecken verbreitete und dessen Name nur leise und angstvoll geflüstert wurde. Es waren schon viele Nambesianer, die es gewagt hatten, den Diktator nur laut zu kritisieren, für immer spurlos verschwunden! Überall in Europa aber galt Hannes von Eberdingen als ganz gewöhnlicher Verbrecher, der für immer hinter Gitter gehörte.

Nachdem auch der Letzte endlich ein Einsehen hatte, dass in diesem besonderen Fall, im Fall des von Eberdingen, alle Diplomatie nicht weiterhalf, wandte man sich endlich vertrauensvoll an die Militärs. Aus einer Bitte wurde eine verdeckt ausgeführte Operation: die Operation HUT! Nur wenige Auserwähl57 te wussten überhaupt darüber Bescheid und von dem, was sich in Kürze in Nambesia abspielen würde, durfte auf gar keinen Fall etwas nach „draußen“ durchsickern. Frank und Theo wären ganz allein nur auf sich gestellt und selbst ihre Vorgesetzten, ja, sogar das gesamte Land, würden bei Misslingen der Operation aus politischen Gründen leugnen, dass sie überhaupt darüber informiert gewesen wären. Für die meisten mochte das, wegen der extremen Geheimhaltung, sogar zutreffen. Und für den unwahrscheinlichen Fall, dass irgendetwas gründlich misslingen sollte, war man gewappnet und hatte schon eine Notlüge parat:

Frank und Theo, zwei der besten Mitglieder der Spezialeinheit des Geschwaders „Eagle One“ wären wegen totaler Überanspannung, dem „Burn Out“-Syndrom durchgedreht! Wären nicht mehr Herr ihrer Sinne gewesen und hätten, bei einer ganz normalen, internationalen Übung in Nigeria, einen der kostbarsten Hubschrauber der Einheit gekapert. Sie wären abgedreht (im wahrsten Sinne des Wortes) und nach Nambesia geflohen, um dort Zuflucht zu finden … und dann hätten sie dort erst so richtig viel Bockmist gemacht (je nachdem, was gerade schiefgelaufen war).

So lautete der Plan und weder Frank noch Theo kannten die dazugehörenden Unterlagen, denn sie fehlten natürlich in der Version, die man Frank gegeben hatte. Der Kommodore war selbstverständlich umfassend informiert und in dieser Nacht öffnete er noch einige Male den Globus in seinem Büro und marschierte unruhig auf und ab, den Kopf voller Horrorszenarien einer total missglückten Operation HUT. Frank und Theo würden am Morgen des kommenden Tages mit einer regulären Maschine vom Flughafen Westäntstadt zu ihrem Einsatz nach Afrika aufbrechen.

 

 

Ein schwarzer Junge

 

Beim gemeinsamen Abendessen hatten Peters Eltern ihn dann doch noch einmal genauer befragt, wie und wo er den Tag verbracht hatte. Peter, der es nicht gewohnt war, sie zu belügen, war es gelungen, ihnen durch geschickte Ausflüchte die meisten Geheimnisse vorzuenthalten. So wussten sie zum Beispiel nur, dass er sich mit einem Jungen getroffen hatte und sie zusammen auf dem Schrottplatz an der Hasenkaul gewesen waren.

Dort, beim Suchen nach „Dingen“, die man vielleicht noch gebrauchen könnte, hätte er eine tolle Hütte entdeckt und dort wären sie noch eine ganze Weile geblieben. Den wirklich interessanten und aufregenden Teil seiner Geschichte behielt er aber lieber komplett für sich, ohne genau sagen zu können, warum.

Er dachte noch eine ganze Zeit darüber nach und so ganz ging ihm diese Frage an diesem Abend nicht mehr aus dem Kopf.

Als er fast drei Stunden später im Bett lag, dachte er erneut darüber nach und kam zu folgendem Schluss: Er hatte ihnen nicht alles erzählen wollen, weil alle Erwachsenen nun einmal anders dachten als Kinder. Und das galt auch für seinen Vater, mit dem Peter schon so manche Sachen unternommen hatte, die „offiziell“, wie der Vater sich auszudrücken pflegte, eigentlich verboten wären. Manche Verbote leuchteten echt ein, andere überhaupt nicht, und so ahnte Peter, dass das, was er auf dem Schrottplatz entdeckt hatte und wie er dort hineingekommen war, ihm mit Sicherheit etliche Verbote für die Zukunft einbringen würde, obwohl er nichts Schlimmes angestellt und sich zu keiner Zeit in Gefahr begeben hatte. Genau das war eben der Grund, weshalb er den Rest lieber erst gar nicht erwähnt hatte. Er wollte auf keinen Fall daran gehindert werden, mehr zu erfahren von dem, was da auf dem Schrottplatz geschah.

Und so schlief er ein und wachte erst wieder auf, als ihn sein Radiowecker am Morgen pünktlich weckte, der dafür einen kräftigen Schlag auf den AUS-Knopf bekam. Aber Peters Mutter stand schon wenige Minuten später im Zimmer und weckte ihn noch einmal richtig auf:

„Aufstehen! Guten Morgen, mein Schatz, aufstehen! Die Schule ruft, Peter!“

„Och, nur noch fünf Minuten, Mama“, antwortete er, reckte sich und gähnte.

„Nein, nein, mein Lieber, das geht leider nicht, die Zeit drängt“, antwortete sie lachend und zog die Rollläden hoch. Sie war fix und fertig angezogen und gestylt. Peter, den Kopf auf den Arm gestützt, schielte verschlafen zu ihr hoch und stellte zufrieden fest, dass er eine wirkliche hübsche Mutter besaß. Ganz anders als die meisten Mütter seiner Mitschüler, dachte er und stand auf. Er sah sich um, fand auf dem Stuhl frische Wäsche für die Schule, die seine Mutter ihm schon herausgesucht hatte, und schlurfte damit wie ein alter Mann ins Bad.

Für mehr als eine Schale Haferflocken mit warmer Milch und Kakaopulver zum Frühstück reichte die Zeit kaum noch, weil Peter an diesem Morgen ziemlich herumtrödelte, obwohl ihn seine Mutter immer wieder zur Eile antrieb. Jedes Mal, wenn ihr Weg sie an Bad oder Esszimmer vorbeiführte, rief sie ihm zu, er solle voran machen, sonst kämen sie doch noch zu spät. Peters Vater hatte die Wohnung schon viel früher verlassen und war, wie gewöhnlich, mit seinem Fahrrad zur nahegelegenen Arbeit ins Büro gefahren. Ihm fiel es deswegen nicht schwer, den einzigen Wagen der Familie Kollin zuhause in der Garage stehen zu lassen und somit stand das Auto Peters Mutter praktischerweise rund um die Uhr zur Verfügung. Heute wollte sie möglichst früh noch einiges in der Stadt erledigen.

Sie setzte Peter vor der Schule ab und er hob zum Abschied einmal eine Hand lässig grüßend in die Höhe, bevor der Wagen wieder in den dichten, morgendlichen Straßenverkehr eintauchte und seinen Blicken entschwand. Eigentlich hätte er sich schon gerne richtig von seiner Mutter verabschiedet, aber das würden die anderen Jungs vielleicht mitbekommen und ihn dafür auslachen. Für so etwas konnte man sogar richtig Prügel einstecken und das galt sowohl für Jungs als auch für Mädchen!

Gabriel hatte Peter auf dem Hinweg zur Schule nicht gesehen und der Zugang im Zaun schien so versperrt (sofern sich das aus dem Wageninneren überhaupt erkennen ließ), wie die Jungs ihn am Abend zuvor verlassen hatten. ‚Was er wohl gerade macht?‘, fragte sich Peter, der von Gabriel erfahren hatte, dass er auf die benachbarte Hauptschule ging.

Heute war Freitag. Ein Freitag war generell immer ein guter Tag. Er hatte viel früher schulfrei und auch sein Vater kam meistens deutlich früher von der Arbeit nach Hause und war dabei meistens in allerbester Laune. Außerdem hatte er freitags ganz passable Unterrichtsstunden und Peter war fest davon überzeugt, dass sich das nahende Wochenende als eine Art positive Kraft auf seine Lehrer auswirkte, die ihm freitags merklich entspannter und geduldiger vorkamen als beispielsweise zu Beginn der Woche. So war es auch nicht verwunderlich, dass der letzte Schultag der Woche so schnell verging, dass Peter fast nicht mitbekam, wie der Gong mit einer kurzen Melodie laut dröhnend das Ende der Schulwoche einläutete. Er packte seine Schulsachen hastig zusammen und eilte mit den anderen Jungs die Gänge hinunter zum Schulausgang. Am Hintereingang wartete seine Mutter wie gewöhnlich, um ihn abzuholen. Kaum dass er im Auto saß, quasselte er auch schon wild drauf los und vergaß dabei sogar ganz, ein Stückchen weiter nach dem geheimen Zugang im Zaun zu schauen und redete und redete.

Erst als die beiden oben in der Wohnung anlangten, kam die Mutter selbst richtig zu Wort.

„Jetzt wasch dir doch erst mal die Hände, Peter, und dann kommst du bitte in die Küche und isst eine Kleinigkeit. Hast du denn viele Hausaufgaben auf, mein Schatz?“

„Nein, nein“, antwortete er schon aus dem Bad heraus, „das geht schon. Ist nicht viel.“ Er würde sie gleich nach dem Essen erledigen und müsste sich dann am Samstag oder Sonntag nicht mehr damit herumärgern. Meistens fiel der Mutter nämlich ein, dass er noch etwas für die Schule zu erledigen hätte, wenn er gerade mitten in irgendeinem Spiel steckte. Oder, und das war auch schon öfter der Fall gewesen, wenn er sie quasi wirklich auf den letzten Drücker machen musste, kam ausgerechnet dann natürlich ein echt cooler Film im Fernsehen.

Also setzte er sich nach dem Essen gleich an seinen Schreibtisch und war schon nach einer Stunde so gut wie fertig, als seine Mutter den Kopf in sein Zimmer hineinsteckte und ihn verwundert ansprach:

„Sag mal, mein Schatz, da unten steht ein schwarzer Junge und schreit sich die Seele aus dem Leib, und wenn ich mich nicht allzu sehr täusche, ruft er tatsächlich nach dir. Ich glaube, du solltest am besten selbst mal nachschauen, mein Lieber.“

„Äh, ja, wo denn? Das ist bestimmt der Gabriel, mein neuer …“, antwortete er völlig perplex, doch seine Mutter war schon wieder verschwunden und schien ihn auch nicht mehr gehört zu haben. Peter sprang vom Stuhl und spähte aus dem Fenster. Hier, hinter dem Haus, war von einem Jungen weit und breit nichts zu sehen oder zu hören. Demnach musste die Mutter ihn vor und nicht hinter dem Haus entdeckt haben. Er lief schnell ins Wohnzimmer, öffnete die Balkontür, trat hinaus und entdeckte Gabriel, der sich vor Peters Haus auf dem Bürgersteig aufgepflanzt hatte und gebannt nach oben zu ihm hinaufstarrte.

„Hey du, Gabriel, was machst du denn hier?“, rief Peter erfreut zu ihm hinunter.

„Kommst du jetzt runter?“, schrie der wiederum aus Leibeskräften nach oben zurück und winkte ihn zu sich. Peter glaubte zu hören, wie unter ihm eine Balkontür zugeschlagen wurde.

‚Bestimmt fühlt sich die olle Müller wieder belästigt‘, dachte er und antwortete deutlich leiser:

„Ja, ja, ich komme sofort! Bleib unten und warte bitte auf mich.

Dauert nicht lange.“ Er wandte sich um, kehrte in sein Zimmer zurück und zog sich in Windeseile für draußen um. Im Flur, im Vorüberlaufen, rief er der Mutter, von der er nicht genau wusste, in welchem Zimmer sie sich gerade befand, noch laut zu:

„Bin draußen, Mum! Bin am Schrottplatz mit Gabriel, bis nachher …“ Er hörte nicht mehr das verwunderte: „Am Schrottplatz?“ seiner Mutter, die zu spät aus dem Bad herausschaute und nur noch ratlos zusah, wie die Kette der Haustürsicherung ein paar Mal hin und herpendelte. Dann grinste sie, denn sie hörte Peter mit polternden Sprüngen die Treppen hinunterspurten.

Er würde sich mit seinem neuen Freund treffen und die beiden würden bestimmt viel Spaß haben: gemeinsam. Gabriel hatte sich mittlerweile gegenüber von Peters Haus auf ein Mauergeländer gesetzt und ließ gelangweilt seine Beine baumeln, als Peter endlich auftauchte.

„Schneller ging es leider nicht“, entschuldigte er sich auch gleich schuldbewusst. „Und? Was machst du denn hier, Gabriel?“, fragte er ihn.

„Wir waren doch verabredet! Du hast gesagt: Wir treffen uns heute. Bist aber nicht gekommen, und da du mir erzählt hast, wo du wohnst, wusste ich zumindest in welchem Haus … Nur deinen Namen, den kenne ich nicht“, stellte sein neuer Freund fest und seufzte dabei auf, als wenn es ihm unendliche Mühe gemacht hätte, ihn auch ohne seinen Nachnamen zu kennen aufzuspüren.

„Ach deshalb hast du so laut gerufen? Hätte aber schwören können, dass ich dir auch meinen Nachnamen genannt habe, als wir uns im Silo die Hände schüttelten.“ Gabriel grinste und erhob sich mit Schwung von der Mauer.

„Ja, kann schon sein. Hat ja auf jeden Fall super geklappt. Alle Nachbarn haben aus den Fenstern gesehen.“ Er kicherte und beide machten sich dabei automatisch auf den Weg in Richtung Schrottplatz. „Hat schon gedauert, bis dann der Richtige erschien“, fügte er noch hinzu, und bevor er das nachher wieder vergessen würde, nannte Peter ihm vorsichtshalber jetzt gleich noch einmal seinen Familiennamen.

„Du, übrigens steht Kollin auf unserer Klingel.“

„Nambota“, antwortete Gabriel.

„Ist mir neu“, meinte Peter.

Zu Fuß zog sich der Weg zum Schrottplatz ganz schön in die Länge. Mit dem Rad wären sie viel schneller gewesen und aus diesem Grund fragte Peter Gabriel, ob er nicht nächstes Mal mit dem Fahrrad kommen könne, doch zu seinem Erstaunen gestand der, dass er gar keines besaß.

„Ja, aber wir könnten doch dem Schrottplatzmann eins abkaufen und wieder fit machen?“, schlug Peter vor.

„Geht leider nicht. Ich habe kein Geld für ein Rad und auch nicht für neue Mäntel, Lampe und so ein Zeug“, erklärte Gabriel und Peter schwieg für eine Weile.

„Hast du denn kein Taschengeld?“, wandte er sich dann wieder an Gabriel.

„Nö! Wenn meine Mutter mal etwas Geld übrig hat, dann kriege ich was ab. Aber meistens haben wir nicht genug.“ Das war für Peter echt schwer zu glauben und noch schwerer fiel es ihm, sich vorzustellen, er selbst bekäme kein Taschengeld mehr.

Nicht auszudenken, wenn er kein regelmäßiges „Einkommen“ mehr besaß! Er musterte Gabriel beim Weitergehen unauffällig aus den Augenwinkeln. Arm sah er ja nicht gerade aus. Aber woran genau erkannte man jemanden, der echt arm war? Gabriel war spindeldürr. Vielleicht bekam er ja nicht genug zu essen.

Er überlegte, ob sie noch beim Metzgerladen reinschauen sollten. Er wusste, dass er einen Euro in seiner rechten Hosentasche hatte und dafür bekam man dort bestimmt ein belegtes Brötchen. Vielleicht auch nur ein halbes, aber das müsste dann erst einmal gegen den schlimmsten Hunger genügen, damit Gabriel die nächsten Stunden über die Runden käme.

„Willst du ein Brötchen?“, fragte er ihn und zeigte auf den Laden gegenüber. Erstaunt antwortete sein Freund:

„Nee. Hab’ überhaupt keinen Hunger, du denn?“

„Eigentlich nicht“, erwiderte Peter und so gingen sie einfach weiter. Hunger hatte Gabriel also nicht, aber er war trotzdem sehr dünn. Seine Klamotten schienen soweit okay, aber Geld hatte er keins. ‚Ob er wohl so einer war, der in Geschäften steh65 len musste, um satt zu werden?‘, überlegte Peter und formulierte daraus eine ganz, ganz vorsichtige Frage:

„Sag mal, Gabriel, hast du schon mal was geklaut?“

„Nö“, kam prompt die Antwort und eine Sekunde später: „Na ja, doch, einmal schon, im Supermarkt.“ ‚Wusste ich es doch‘, freute sich Peter in Gedanken. Gabriel bekam also nicht genug zu essen zu Hause und hatte aus Hunger geklaut. „Wollte meiner Mutter zum letzten Geburtstag was schenken und hatte nix!“ Peter staunte und schwieg. Mit der Antwort hatte er nicht gerechnet! Und Gabriel fuhr fort, doch er klang jetzt ein kleines bisschen trotzig: „So ein Parfüm halt! Und an der Kasse hat man mich … Und du?“

„Ich?“, fragte Peter erstaunt und antwortete ganz entrüstet:

„Nein, natürlich nicht!“

„Aha“, entgegnete Gabriel mit einem merkwürdigen Unterton in der Stimme, „hätte ich mir ja denken können!“

„Was meinst du denn mit: hätte ich mir ja denken können?“

„Ich habe mir schon gedacht, dass du echt reich bist“, antwortete Gabriel trotzig. Peter war nun völlig verblüfft.

„Äh, das stimmt aber nicht. Ich bin nur vielleicht nicht so arm wie du.“ Und er bereute sofort, was er da gesagt hatte, doch es war zu spät. Gesagt ist nun einmal gesagt! Gabriels Gesicht nahm einen verbissenen Ausdruck an. Er erhöhte sein vorher eher gemütliches Tempo auf fast schon ein schnelles Walking und presste dabei seine Lippen fest aufeinander. Er musste wirklich sauer sein und es wurde jetzt höchste Zeit, irgendeine Entschuldigung vorzubringen. „Es, äh, es tut mir leid, Gabriel!“ Peter suchte verzweifelt nach den richtigen Worten, um sich zu entschuldigen, ohne nicht schon wieder etwas Falsches zu sagen, doch Gabriel kam ihm zuvor. „Ich habe dir gesagt, wir kommen schon klar. Das heißt nicht, dass wir arm sind, aber für manches haben wir halt nun mal kein Geld!“

„Ich, äh, ich habe es wirklich nicht so gemeint, wie du glaubst, ganz ehrlich“, wandte Peter ein und bemerkte, dass Gabriels Schritttempo langsam aber stetig abnahm. „Ich habe nur überlegt, wegen einem Fahrrad und so. Es tut mir leid.“ Am Ende blieb Gabriel gänzlich stehen. Dann versperrte er Peter mit dem Arm den Weg und sah ihm ernst ins Gesicht.

„Mir auch“, sagte er plötzlich und grinste. Wenn er grinste, dann strahlte sein ganzes Gesicht und die dunklen, großen Augen leuchteten wie die Knopfaugen eines Teddys. Es war echt ansteckend, dieses fröhliche Grinsen. Gabriel zog den Arm wieder zurück und klopfte Peter freundschaftlich auf die Schulter, bevor sie sich beide wieder versöhnlich in Bewegung setzten.

„Du brauchst dir um mich keine Sorgen zu machen: Ich klaue bestimmt nicht mehr! Meine Mutter war so etwas von traurig, weil ich das gemacht habe. Ich hätte ihr besser einen Blumenstrauß von irgendeiner Wiese pflücken oder ein schönes Bild malen sollen.“ Beide hingen eine Weile ihren eigenen Gedanken nach und kamen so auch endlich am Schrottplatz an, dessen großes Tor schon fest verschlossen war. Heute würde hier wohl niemand mehr rein- oder rausfahren, und selbst von dort, wo normalerweise Hochbetrieb herrschte, würde für die Jungs heute wohl keine Gefahr ausgehen, entdeckt zu werden. Die beiden folgten dem Lattenzaun bis zu ihrer geheimen Stelle, wo Gabriel Peter zuerst den Vortritt überließ und zum Schluss den Eingang wieder sorgfältig hinter sich versperrte.

„Lass uns gleich mal nachschauen, was die bei den Containern machen, ja?“, fragte Peter und Gabriel nickte. „Ja, abgemacht. Hast du eigentlich deinen Eltern etwas von dem hier verraten?“, fragte er und sah Peter misstrauisch von der Seite her an.

„Natürlich nicht, ist doch unser beider Geheimnis!“, antwortete Peter entrüstet. „Was glaubst du eigentlich, was das für Leute sind, Gabriel?“

„Keine Ahnung, aber sie sehen nicht aus wie gefährliche Menschen, die man gefangen halten muss“, erwiderte Gabriel und Peter pflichtete ihm bei:

„Und schon gar nicht die Kinder und Frauen!“ Sie nahmen denselben Weg wie am Tag zuvor und schließlich spähten sie wieder vorsichtig über den Rand des kleinen Hügels hinunter auf das Containerdorf.

„Wo ist der Hund?“, fragte Peter flüsternd. Er hatte sich schon am Lattenzaun gewundert, wo der wohl steckte, denn er war weder zu ihrer Begrüßung gekommen noch war von irgendwoher sein Gebell zu hören gewesen. Und hier hinter und auch vor dem Gefängniszaun war ebenfalls keine Spur von ihm zu sehen.

„Keine Ahnung. Vielleicht hat ihn der Chef vom Schrottplatz mitgenommen zu sich nach Hause“, antwortete Gabriel leise.

Peter nickte stumm und dachte: ‚ganz im Gegensatz zu den beiden Wachen‘. Die zwei standen dort unten vor dem Container am Tor. Sie rauchten, unterhielten sich laut und beide waren mit Gewehren bewaffnet, die ihnen locker über den Schultern hingen. Der eine war dick, der andere das krasse Gegenteil und zusätzlich zu seiner hageren Hässlichkeit war er auch noch gänzlich kahl auf seinem hautbespannten Totenschädel. Peter schauderte es und er sah sich noch einmal das ganze Gelände genauer an. Jetzt achtete er auf deutlich mehr Details als tags zuvor. Er beobachtete ganz genau, wie und wohin die Signal68 drähte an den Zäunen verliefen, wie das Tor verschlossen war, vor dem die Wachen standen, prägte sich die Platzierung der Container ein und beobachtete eine ganze Weile lang, wie die Menschen dort unten wieder genauso ihren Beschäftigungen nachgingen wie am Vortag. Das alles nahm er ganz genau in Augenschein, bis er schließlich zufrieden schien und Gabriel mit der Hand ein Zeichen gab, sich zurückzuziehen. Die beiden robbten ein paar Meter den Hügel hinab, bevor sie sich gefahrlos nebeneinander setzen konnten. Hier konnte man sie vom Lager aus nicht erspähen und sich in vernünftiger Lautstärke unterhalten, ohne gehört zu werden. Gabriel sah Peter gespannt an.

„Und warum hast du dir das alles jetzt so genau angeschaut?“, fragte er ihn neugierig.

„Ich würde da gerne mal reingehen, und du?“, fragte Peter seinerseits.

Gabriel nickte bedächtig und kaute auf einem Strohhalm.

Klar wollte er und wie, aber das schien ihm völlig unmöglich, allein schon wegen der Wachen und dann noch wegen des versperrten Tors. „Wir könnten die ablenken und vielleicht kann da unten einer von uns durch, wo der Hund sich schon durchgebuddelt hat“, schlug Peter vor, doch Gabriel winkte ab.

„Völlig unmöglich, ist viel zu schmal, sonst wären doch die anderen Kinder schon lange getürmt“, meinte er und wirkte enttäuscht.

„Nicht unbedingt“, warf Peter nachdenklich ein. „Ist gut möglich, dass die Eltern ihnen verboten haben, das Gelände zu verlassen, und falls das Loch unter dem Zaun nicht groß genug ist, könnten wir ja zu mir nach Hause gehen, Werkzeug holen und es einfach größer machen.“

„Na, du machst mir vielleicht Spaß“, sagte Gabriel und lachte.

„Ich glaube, du hast wohl ganz vergessen, wo wir hier eigentlich sind.“ Er stand voller Elan auf und zog Peter mit hoch. „Hier gibt es alles! Komm, lass uns gehen. In meinem Versteck habe ich auch eine alte Schaufel und eine Geheimwaffe.“

 

Rein und auch wieder raus

 

Die Geheimwaffe entpuppte sich dann im Schein der LEDLampe, die das Innere des alten Silos nur kärglich ausleuchtete, als selbstgebastelte Steinschleuder.

„Nicht schlecht“, meinte Peter und blinzelte, als Gabriel die Lkw-Plane vom Eingang ruckartig beiseite zog und festklemmte, sodass fast schlagartig gleißendes Sonnenlicht in den Silo hineinfiel. Gabriel suchte dann in all dem Gerümpel, das links und rechts der Metallwände aufgestapelt war, noch nach einer brauchbaren Schaufel. Er kramte hier, er kramte dort und zog zu guter Letzt freudestrahlend einen kleinen, verrosteten Spaten von der Bundeswehr aus all dem anderen Zeug heraus. Zufrieden mit seinem Fund kehrte er zu Peter an den Tisch zurück.

„Und? Wie findest du die Steinschleuder?“, fragte er ihn.

„Finde ich super! Genau an so etwas habe ich gedacht. Damit kannst du die Wachen ablenken, während ich unter dem Zaun durchkrieche.“

„Nix da!“, entrüstete sich Gabriel. „Du lenkst ab und ich krieche durch.“

„Okay“, willigte Peter ein, „dann kriechst du halt durch und versuchst herauszubekommen, wer diese Leute sind und ob sie Hilfe brauchen. Und wenn dich jemand entdeckt, kriegst du von mir noch zusätzlich Ärger!“, drohte er ihm mit ernster Miene. Gabriel grinste. „Also machst du dir Sorgen um mich? Komm, sag schon, du sorgst dich tatsächlich um mich?“

„Mmh“, antwortete Peter, grummelte, griff sich die Steinschleuder und eilte über allerlei Krempel und der Luke im Boden nach draußen hinaus. Gabriel folgte ihm und strahlte wie ein Honigkuchen.

Während sie sich auf dem Pfad zum Hügel noch genau überlegten, wie sie gleich vorgehen würden, bückte sich Peter ab und zu, um besonders gut geeignete, glatte und runde Kieselsteine, in der Größe von Glasmurmeln, in der Hostentasche zu verstauen.

Dann teilte sich ihr Weg und Peter schlich sich rechts vom Hügel ins dichte Gestrüpp, während Gabriel links um den Hügel herumlief und im hohen Gras schnell seinen Blicken entschwand.

Bis auf etwa acht oder zehn Meter kam Peter unbemerkt und gut geschützt an den Bauwagen heran, vor dem noch immer die zwei Männer standen und in eine angeregte Unterhaltung vertieft waren. Sich ohne jegliche Deckung aber noch weiter heranzuwagen, wäre selbstmörderisch, und das traute sich Peter nicht. Hinter einem großen Findling ganz gut verborgen, hockte er sich ins Gras und kramte einige der kleinen Kiesel aus der Tasche. Er legte alle, bis auf einen, zwischen die Gräser auf den Boden, lud die Gummilasche und spannte die Steinschleuder mit aller Kraft. Dann zielte er genau auf die blecherne Seitenwand des Bauwagens und feuerte aus seinem Versteck heraus.

Der aufprallende Kieselstein verursachte ein so lautes schussähnliches Geräusch, dass selbst Peter erschrak und die Männer mitten im Gespräch erschrocken zusammenfuhren und nach ihren Gewehren griffen. Peter presste sich sofort dicht an die Erde. Er wagte kaum noch zu atmen, lauschte angestrengt und traute sich noch nicht einmal, den Kopf auch nur ein ganz klei71 nes bisschen anzuheben. Dabei hörte er aber, wie die Männer sich gegenseitig etwas zuriefen, und ahnte, dass sie jetzt mit vorgehaltenen Waffen um den Bauwagen herumschleichen würden, um nachzuschauen, woher das Geräusch gekommen war. Er wartete noch immer, ohne sich zu bewegen, doch dann, nach einer halben Ewigkeit, hob er seinen Kopf. Millimeter für Millimeter, bis er endlich am Findling vorbeispähen und den Bauwagen sehen konnte. Die beiden Männer kamen gerade von ihrer Patrouille zurück. Sie gestikulierten in alle möglichen Richtungen und hatten ihre Gewehre wieder lässig geschultert. Es sah so aus, als hätten sie wohl eine völlig banale Erklärung für das laute Geräusch gefunden, denn sie lachten. Der mit dem fehlenden Daumen klopfte seinem hageren Kumpel kräftig auf den Rücken, dass er schwankte, und schob ihn gleichzeitig vor sich in den Bauwagen hinein. Er schloss aber nicht die Tür hinter sich, sondern vergewisserte sich mit einem letzten, skeptischen Blick in die Runde, dass sie auch ja nicht beobachtet wurden, bevor er den Kopf einzog und im Wagen verschwand.

Die beiden schienen nicht so schnell wieder vor die Tür treten zu wollen und Peter hörte von drinnen Gläser klirren. ‚Hoffentlich besaufen die sich richtig auf den Schreck‘, dachte er und blieb im Schutz seiner Deckung. Solange die dort drinnen saßen, konnte Gabriel ungehindert ins Lager und auch wieder hinaus. Er lehnte sich mit dem Rücken gegen den großen Stein und wählte dann einen weiteren runden Kiesel aus seinem Munitionsvorrat aus, den er schon mal vorsichtshalber in die Steinschleuder einlegte. Falls sich eine der Wachen vorzeitig draußen blicken ließ, würde er sofort eine weitere Ablenkung starten.

Aus der Bauhütte drang fröhliches Gelächter zu ihm herüber und ein neuerliches Gläserklirren. Offensichtlich war der Schrecken der beiden Säufer doch um einiges größer als angenom72 men, und um sich davon anständig zu erholen, musste entsprechend mehr gezecht werden. Peter grinste zufrieden und schaute instinktiv zu dem kleinen Hügel hinüber, um zu sehen, ob Gabriel dort schon aufgetaucht war. Und genau so war es. Gabriel stand mitten auf dem höchsten Punkt und winkte von dort wie ein Wilder mit dem Spaten. ‚Wenn jetzt jemand aus der Hütte kommen würde‘, dachte Peter und beeilte sich, ihm zu zeigen, dass er nur ja verschwinden sollte. Dann steckte er die Steinschleuder hinten in den Hosenbund und robbte denselben Weg zurück, den er auch gekommen war, so schnell es nur ging. Erst einige Meter weiter und gut verdeckt durch etliches Gestrüpp wagte er es, endlich wieder ganz aufzustehen und den Rest zum Hügel geduckt zurückzulaufen.

Dort, am Fuß, wartete Gabriel mit einem Lachen, das von einem Ohr bis zum anderen reichte.

„Hat super geklappt, Peter“, freute er sich. „Hast du auch super gemacht. Der Knall war bis zu mir zu hören.“

„Und, was hast du erreicht?“ Peter war schon ganz ungeduldig und Gabriel begann ihm ausführlich zu berichten, was sich im Containerlager ereignet hatte.

Es war ihm tatsächlich gelungen, mit dem Spaten das Loch, das der Hund gebuddelt hatte, so zu erweitern, dass auch er sich unter dem Zaun durchzwängen konnte. Auf der anderen Seite, so berichtete er ganz aufgeregt, wären ihm dann im Schutz eines Containers, der glücklicherweise nahe an dieser Stelle stand, zahlreiche kleine Hände zu Hilfe gekommen. Es waren die Kinder, die sich ganz entgegen ihrer sonstigen Gewohnheit, irgendwo laut zu spielen, plötzlich mucksmäuschenstill verhielten und ihn vorsichtig zu sich auf die andere Seite zogen. Gabriel sah dann, dass die Wachen, von dem lauten Knall aufgeschreckt, hinter dem Bauwagen verschwanden. Das nutzte er wiederum, um seelenruhig und so selbstverständlich, als gehöre er schon immer zu der Gruppe Eingesperrter, zu den Männern hinüber zu schlendern, die wie gewöhnlich ihrem merkwürdigen Steinspiel nachkamen. Er setzte sich neben den erstbesten in die Hocke und zupfte ihn am Ärmel, bevor er ihn leise ansprach.

„Und was hast du gesagt?“, fragte Peter ungeduldig, als sein Freund an dieser Stelle eine Pause einlegte, um ordentlich Luft zu holen.

„Hallo, wie geht’s?“

„Was, das hast du gesagt?!“ Peter war völlig perplex, doch Gabriel nickte und fuhr weiter fort in seiner Erzählung. Der Mann, der bis dahin gebannt das Steinspiel verfolgte, erkannte erst, als er sich zu Gabriel umdrehte, dass dieser keins der anderen Kinder war. Dann sprang er auf und rief den anderen Männern etwas zu, die augenblicklich in ihrem spielerischen Treiben innehielten und sich um Gabriel herum versammelten.

„War schon ein verdammt komisches Gefühl“, sagte er. Sie drängten sich um ihn herum, sprachen in einer fremden Sprache zu ihm und fassten ihn an, als käme er direkt vom Mond.

Aber Gabriel verstand leider niemanden und keiner der Männer verstand ihn!

„Du konntest aber schon noch ein bisschen verstehen?“, hakte Peter hoffnungsvoll nach.

„Nein, leider nicht, nicht das Geringste. Ich habe alles versucht“, antwortete Gabriel, der Peters Bestürzung bemerkte.

„Ich fragte, wo sie herkämen, warum sie eingesperrt wären, was sie hier wollten … nichts! Hab’s sogar mit Englisch versucht.“ Doch statt eine Antwort zu bekommen, traf Gabriel nur auf Unverständnis und die Männer schienen nicht so recht zu wissen, was man mit dem fremden Jungen anfangen sollte, den keiner verstand. Schließlich sah Gabriel ein, dass das alles nichts brachte und er stattdessen nur Zeit vergeudete, denn das Risiko stieg mit jeder Sekunde, doch noch erwischt zu werden. Er spähte zu den Wachen hinüber, doch die waren zwischenzeitlich im Bauwagen verschwunden. Daraufhin löste er sich behutsam mit einem freundlichen Grinsen und jeder Menge beruhigender Gesten aus dem kleinen Grüppchen staunender Fremder, die ihn unbehelligt passieren ließen. Inmitten der kleinen Kinderschar eilte er dann wieder zurück zum Zaun und zwängte sich unten drunter hindurch. „Ich habe sogar noch mit dem Spaten das Loch mit Erde so zugeschüttet, dass nur noch der Hund hindurchkriechen kann, damit keiner Verdacht schöpft“, sagte er stolz. Dann war er zum Hügel gelaufen, um nach Peter Ausschau zu halten, der einfach nicht zu ihm hochsehen wollte. Das war eigentlich alles und Gabriel endete seine Erzählung mit leuchtenden Augen. Peter aber war sichtlich enttäuscht.

Eigentlich waren sie überhaupt nicht weitergekommen und genau das sagte er ihm nun auch. Doch Gabriel sah ihn mit seinen großen, dunklen Augen erstaunt an.

„Echt, Peter? So siehst du das?“

„Ja! Ich finde schon, dass wir wirklich Pech gehabt haben“, meinte der.

„Oh“, warf Gabriel ein, „das sehe ich aber ganz anders, Peter.

Immerhin war ich unbemerkt da drinnen im Lager, wir haben auf der anderen Seite Freunde, die uns nicht verraten haben.

Und das Beste kommt noch: Wir können jederzeit wieder rein zu ihnen und auch wieder raus. Das ist doch super.“

5

Aufbruch

 

Um Punkt Sechshundert am nächsten Morgen fand im Stabsgebäude die letzte Einsatzbesprechung vor der Operation HUT statt. Zu Franks großer Verwunderung waren außer ihm, Theo und dem Kommodore noch zwei weitere Männer zugegen sowie Tom Meissner, ihr gemeinsamer Kumpel. Im Raum 9 waren die Tische und Stühle ovalförmig angeordnet, sodass sich alle gegenseitig gut sehen konnten. Frank hatte seine Akte mitgebracht und ihm wurde gleich mitgeteilt, dass er sie nach dem Meeting nicht mehr mitnehmen dürfte. An einer Wand befand sich eine Leinwand und der Deckenbeamer zeigte darauf den Kartenausschnitt einer Stadt, einer felsigen Wüstenlandschaft und eine Luftaufnahme der Villa, die Frank und Theo schon aus den Akten kannten. Man wusste, dass sich der Menschenschlepper Hannes von Eberdingen mit seiner kleinen Söldnertruppe dort aufhielt. Nachdem der Kommodore alle Männer begrüßt und jeden einzelnen vorgestellt hatte, kam er ohne Umwege gleich zur Sache:

„Ich möchte euch beide jetzt sofort bitten, eure Taschen zu leeren und eure Erkennungsmarken abzugeben!“, wandte er sich an Frank und Theo, denen es fast die Sprache verschlug.

Sie schwiegen beharrlich, blickten sich einmal gegenseitig kurz an, Frank nickte unmerklich und daraufhin erhoben sie sich, um ihre Taschen zu entleeren und alles auf den Tisch zu legen. Der Kommodore fuhr weiter fort und erklärte: „Ja, es tut mir wirklich sehr leid, Jungs, aber es geht nun mal nicht anders. Alles, was auch nur im Entferntesten auf eure Herkunft hindeutet, muss hier bleiben!“ Der Mann, den der Oberst als Nachrichtenoffizier Müller vorgestellt hatte, stand auf und ging zum Tisch hinüber, auf dem die beiden Freunde bei ihrem Eintref76 fen ihre Jacken und Seesäcke mit Overalls und Kampfanzügen ablegen sollten. Jetzt war auch klar, warum, denn er machte sich gleich daran zu schaffen, während er mit Argusaugen von Theo und Frank beobachtet wurde. „Er hat nur die Aufgabe, eure Namensschilder und Abzeichen zu entfernen“, erklärte der Kommodore, doch die beiden ließen ihn nicht aus den Augen.

Mit einer Schere bewaffnet löste Müller grinsend und scheinbar mit wahrer Wonne die Sticker.

„Tut mir echt leid, aber das muss sein!“, entschuldigte er sich, doch sein Gesichtsausdruck passte nicht recht zu dem, was er sagte.

„Tun Sie, was Sie nicht lassen können!“, antwortete Frank und schaute weiter dabei zu, wie er die Sticker von seinem Fliegeroverall herunterriss, an Ärmel und Brust. Der Mann wiederholte die Prozedur bei Theos Klamotten, doch als er das „Eagle One“-Symbol auf seiner Fliegerjacke entfernte, wäre Theo fast explodiert vor Wut. Frank legte schnell seine Hand auf dessen Arm und das genügte, um ihn zu beruhigen. Er zog sie wieder weg.

„Müller wird jetzt noch eure anderen Sachen untersuchen und alles rauslegen, was auf keinen Fall mitgenommen werden darf.

Ich gehe davon aus, dass ihr alle Sachen jetzt hier auf den Tisch gelegt habt, die ihr am Körper tragt oder in eurer Kleidung hattet, nicht wahr, Männer?“, fragte der Oberst jetzt noch einmal nachdrücklich und sah auf den Tisch, wo sich mittlerweile die Erkennungsmarken, die dazugehörigen Halsketten, zwei Brieftaschen, zwei Handys und ein Foto von Franks Frau und Sohn befanden. Frank und Theo nickten stumm und setzten sich.

„Dann bitte noch Ihren Ehering, Herr Berge!“, meldete sich jetzt der zweite Nachrichtenoffizier zu Wort, der neben dem Kommodore saß und bisher beharrlich geschwiegen hatte.

Während Frank den Ring abzog, der wie angewachsen schien, wandte sich Martinsen wieder selbst an die beiden:

„Für die Operation HUT ist ein Misslingen vollkommen ausgeschlossen!“ Er erhob sich seufzend und stellte sich neben die Leinwand. „Aber dennoch nicht unmöglich. Hannes von Eberdingen befindet sich genau hier.“ Er wies mit dem Zeigefinger auf ein größeres Gebäude am Rand der Stadt. „Das ist Ihr Ziel, meine Herren: Georgia in Nambesia in Afrika. Und dies ist von Eberdingens Villa. Im Erdgeschoss befinden sich die Mannschaftsunterkünfte seiner Söldner und er selbst bewohnt die oberen Stockwerke. Sein Schlafzimmer ist exakt hier.“ Er zeigte auf eine bestimmte Stelle. „Normalerweise schläft er eigentlich nie allein, aber das ist zurzeit nicht der Fall.“ Der Kommodore grinste schelmisch. „Weil, sagen wir mal so, wir dafür gesorgt haben, dass er momentan untenrum an einer etwas peinlichen Krankheit leidet. Bei den vielen Damen, die ihn normalerweise besuchen, heißt es, er wäre etwas unpässlich.“ Die Männer lachten, und als es wieder still wurde, fuhr Martinsen weiter fort:

„Sie werden ihn also im Schlaf erwischen: allein!“ Er wies jetzt auf den Kartenausschnitt der Wüstenregion. „Sie landen genau hier und lassen Ihren Hubschrauber zwischen den Bergen alleine zurück.“ Der Beamer zeigte jetzt das vergrößerte Bild einer öden Steinwüste und einem Tal zwischen zwei Bergketten. Der Kommodore tippte auf einen rot eingekreisten Bereich. Dann sprach er weiter: „Meine Herren, die Operation startet mitten in der Nacht. Sie erhalten rund um die Uhr Funkunterstützung.

Aus der Luft observieren wir das gesamte Gelände vom Landeplatz bis ins Haus hinein. Das gesamte Grundstück wird mittels normaler und spezieller Infrarotkameras ständig überwacht und somit können wir Sie jederzeit exakt an den Wachen vorbei delegieren.“ Er zeigte auf Theo. „Sie bilden die Deckung, und Sie“, er zeigte auf Frank, „übernehmen die Führung, aber geleitet wird die gesamte Operation von hier! Die Leitung übernimmt Müller, der mit Ihnen Kontakt hält!“

„Von hier?“, fragte Frank ungläubig.

„Jawohl, mein Junge, von hier! Ihm stehen eine Heerschar an Spezialisten und eine millionenschwere Ausrüstung zur Seite, um auf euch aufzupassen. Er wird euch anleiten.“ Frank blickte nachdenklich zu dem Mann hinüber, der noch immer mit ihren Seesäcken beschäftigt war und seine und Theos persönlichen Dinge in zwei graue Verwahrboxen legte. Er sollte also einem Bürotypen, den er noch nicht einmal kannte und der damit beschäftigt war, seine persönlichen Sachen zu durchwühlen, sein Leben anvertrauen? Und dem nicht genug, auch noch das seines besten Freundes?! Frank drehte sich um und sein Blick traf für eine Sekunde den von Theo. Er erkannte, dass Theo genau dasselbe dachte wie er, bevor sie sich wieder dem Kommodore zuwandten.

„Und was bitte schön macht Thomas Meissner hier, Herr Oberst?“ Martinsen grinste.

„Meissner hat gleich mehrere Aufgaben. Er bleibt während der gesamten Operation mit euch in Funkkontakt, außer während der angeordneten Funkverbote in der Nähe der Grenze zu Nambesia. Das steht in Ihren Unterlagen, prägen Sie sich das bitte genau ein! Und Meissner hat weiterhin die Aufgabe, Ihnen Ihre Ausrüstung anzuvertrauen. Wenn wir die Einzelheiten der Operation besprochen haben, folgen Sie ihm bitte in unsere ‚Waffenkammer‘“.

Doch es dauerte noch fast eine ganze Stunde, bis es endlich so weit war. Es gab noch unzählige Fragen und ebenso viele Er79 klärungen, bis Frank und Theo endlich zufrieden schwiegen und der Kommodore sich sicher war, dass sie ihren Einsatzplan wie aus dem Effeff draufhatten. Ihre persönlichen Habseligkeiten waren jetzt alle eingesammelt und in den beiden Plastikboxen gelandet, die der zweite Nachrichtenoffizier nun verschloss und davon trug. Er verließ als Erster den Raum 9. Die Anderen blieben noch und Frank und Theo studierten erneut die Unterlagen, weil sie keine mitnehmen durften, bis auf ein paar absolut notwendige Karten, ohne die es einfach nicht gehen würde.

Aber auch auf diesen befanden sich keine Notizen, keine Vermerke, nichts!

Dann erhob sich der Kommodore endlich zum Aufbruch. Er verabschiedete sich, wobei er den beiden Freunden einzeln die Hand schüttelte und Frank noch freundschaftlich auf die Schulter klopfte.

„Und denken Sie mir nur ja an Ihr Versprechen, mein Junge!“, flüsterte er ihm zu, drehte sich um und verließ zusammen mit dem wortkargen Müller den Raum. Thomas Meissner wartete aber schon auf die beiden. Er wirkte etwas befangen.

„Tja Leute, eure Sachen kommen unter Verschluss und euer Gepäck wird zu einem Wagen gebracht, der euch gleich zum Flugplatz bringt, damit ihr nicht aus Versehen doch noch irgendetwas Falsches einpackt“, erklärte er und grinste verschämt.

Dabei zog er Frank etwas beiseite, der sich am Ausgang schon wieder seinen Seesack greifen wollte. Frank sah ihn erstaunt an.

„Mann, Tom, ich wusste ja gar nicht, dass du …“ Der Freund unterbrach ihn energisch:

„Solltest du ja auch nicht, Frank! Ich darf mit niemandem über meine Arbeit hier sprechen, sonst kann ich meinen Hut nehmen und ich meine nicht diesen komischen Decknamen. Kommt, folgt mir jetzt!“, endete er vorerst und ging voraus zu den Fahrstühlen, die nach unten führten.

Sieben Etagen tiefer traten sie wieder aus dem Aufzug heraus und folgten dem gemeinsamen Freund die vielen Flure und Abzweigungen entlang, bis er irgendwann stehen blieb, eine Chipkarte aus seiner Jackentasche fischte und damit die Tür öffnete, die leise surrend aufsprang.

„Hereinspaziert! Darf ich bitten: unsere Waffenkammer!“, stellte er lachend fest und trat einen Schritt beiseite. Erwartungsvoll gingen Frank und Theo weiter in den Raum hinein, während Tom hinter ihnen automatisch die Türe verschließen ließ. Der gesamte Raum war von oben bis unten weiß gefliest. Verschiedene Regale mit durchsichtigen Plexiglasboxen und Metallkoffern standen an den Wänden, und was nicht in die Regale passte, war auf dem Boden daneben gestapelt. Fein säuberlich sortiert befand sich hier in diesem unscheinbaren, sterilen Raum eine umfassende Sammlung unterschiedlichster Waffen, die nicht nur kriminelle Herzen höher schlagen lassen würde, sondern für jeden Waffenfan ein Paradies wäre. Es gab leichte, kurzläufige Handfeuerwaffen, Wurfmesser, Klappmesser, Tauchermesser, Ninjasterne, Handgranaten, mehrläufige, einläufige, halbautomatische und vollautomatische Gewehre und Pistolen, Schalldämpfer unterschiedlichster Größen …, und hier und dort hingen besonders futuristisch anmutende Gewehre in matter, grauer Färbung an speziellen Halterungen an den Wänden.

Selbst Blasrohre, Bögen und Armbrüste, die nichts mehr mit den „alten“ Waffen von früher gemeinsam hatten, sondern echte Hightechprodukte waren, gab es hier zu bestaunen. In diversen Schränken am Ende des Raums schien sich noch viel, viel mehr zu verbergen und es befanden sich weiter hinten offenbar noch mehr Räume. Tom bemerkte Franks Blick, als dieser an ihm vorrüberging, seine Augen auf den nächsten Raum gerichtet.

„Ja, ja“, kam er ihm zuvor, „ganz recht! Dort kommen noch die schwereren Waffen und dahinter befindet sich der Schießstand, um all die schönen Dinge auch gleich ausprobieren zu können“, erklärte er stolz, „zumindest die ganz kleinen“, fügte er noch hinzu. Frank stand jetzt vor einem Tisch in der Raummitte, auf dem eine kleine Auswahl Waffen lagen und sich ein paar Ausrüstungsgegenstände befanden. Tom stellte sich neben ihn und erklärte: „Das sind alles Gegenstände und Waffen, die ihr mitnehmen sollt.“ Er wies auf zwei längliche, große Aluminiumkoffer neben dem Tisch. „Wir werden gleich alles da hinein verpacken. Die Koffer gehen nicht durch die normale Zollkontrolle am Flughafen, sondern“, er grinste, „als Diplomatengepäck ungeöffnet direkt in den Frachtraum der Maschine, zusammen mit eurem anderen Gepäck.“ Tom winkte jetzt nach Theo, der staunend vor einem an der Wand drapierten Gewehr stand, das aussah, als stamme es direkt aus der Requisite eines Sciencefiction-Films, sodass er kaum den Blick davon abwenden konnte.

„Los, Theo, jetzt komm endlich rüber zu uns! Das Ding ist sowieso noch in der Erprobungsphase! Ist ein Prototyp einer ESWW, einer Elektroschockwellenwaffe, die bis zu 100 Meter Reichweite haben soll, oder besser gesagt, haben sollte“, erklärte er und lachte. „Tut sie aber nicht! Wird wohl noch ein paar Jährchen dauern. Aber das hier sind eure Sachen für die Operation HUT. Ich erkläre euch jetzt genau, wie sie funktionieren“, sagte er und griff nach einem merkwürdig geformten, geschwärzten Aluminiumgestell, das man offensichtlich auseinanderziehen konnte. Die beiden staunten nicht schlecht und allmählich wurde Frank wirklich bewusst, wie wichtig ihre Mission tatsächlich war! Tom erklärte ihnen geduldig die verschiedenen Geräte und Frank schob sich eines der kleinen, handlichen Nachtsichtgeräte über die Augen, um es zu testen. Geblendet schloss er sofort wieder seine Augen und Tom lachte:

„Ja, das ist klar. Sobald Licht in der Nähe ist, glaubt man, man sähe direkt in die Sonne. Überlegt euch also gut, wann ihr sie einsetzt.“ Sie packten die ganze Ausrüstung gemeinsam zusammen in die beiden Koffer, doch Theo zögerte noch mit einer Pistole. Er wog sie nachdenklich in seiner Hand, dann zog er schnell am Lauf, die Mechanik klickte und er sah nach, ob sie auch nicht geladen war.

„Ganz ehrlich, Leute“, wandte er sich dann an die beiden Freunde, „das hier ist mir immer noch der liebste Begleiter außer dir, Frank“, erklärte er mit todernster Miene und legte die Pistole fast zärtlich zu Schalldämpfer und Magazin mit in die Kiste hinein. Zu guter Letzt kamen noch zwei pechschwarze Rucksäcke, schwarze Skimasken und zwei Paar dünne Handschuhe obendrauf, bevor Tom die Riegel zuschnappen ließ.

„Das war’s!“, sagte er.

Der Kommodore hatte dafür gesorgt, dass alle Vorbereitungen wie am Schnürchen klappten. Frank und Theo würden nach ihrer Ankunft in Lagos, in Nigeria, einen der beiden Spezialkampfhubschrauber des Geschwaders für ihren Einsatz vorfinden.

Vor fünf Tagen hatte bereits ein Schiff der Marine mit dem Stealth-Hubschrauber an Deck in Wilhelmshaven abgelegt, war in See gestochen und bereits vor wenigen Stunden in Lagos vor Anker gegangen. Der Hubschrauber wartete nun in einem Hangar des zivilen Flughafenbereichs von Lagos auf seine bei83 den Piloten: streng bewacht von eigenen Leuten ihres Stützpunkts, die mit einigen Mechanikern zusammen mit dem Hubschrauber auf dem Seeweg mitgereist waren.

Franks und Theos Mission würde in Lagos beginnen. Ihre Route sollte ohne Zwischenlandung und ohne Nachbetankung vom Golf von Guinea zunächst nach Westen führen. Dann nach Norden und gegen Ende der Reise in die Berge nach Süd-Ost- Nambesia, fast direkt an den südlichen Stadtrand von Georgia.

Es waren genau 964 km und sie würden dazu 3 ¾ Stunden benötigen.

Die Reichweite ihres Helis betrug (umgerüstet für Langstrecken) unter günstigen Bedingungen, mit wenig Zuladung und ohne Gegenwind gerade mal 1.200 km. Das war knapp, verdammt knapp, aber immer noch weit mehr als bei den meisten Kampfhubschraubern, deren Reichweite bei ca.

800 km lag. Und man durfte nicht vergessen, dass der Hubschrauber beim Rückflug nochmals deutlich schwerer werden sollte! Aber das würde funktionieren, denn auf ihrer Rückreise würden sie direkt hinter der Grenze von Südnambesia in Nigeria auftanken. Hier befand sich nämlich ein streng geheim gehaltener, vor der Öffentlichkeit perfekt verborgener, Außenposten der US-Streitkräfte, wo sie landen, auftanken und sich etwas ausruhen könnten. Von dort aus sollte es mitten in der Nacht dann wieder weitergehen, zurück nach Lagos.

Außerhalb der Hauptstadt Georgia, unmittelbar hinter den südlich gelegenen Bergen, würden Frank und Theo den Hubschrauber zurücklassen und sich dann zu Fuß weiter aufmachen.

Ihr Kampfhubschrauber war einer der beiden ganz speziellen seiner Gattung, die dem Geschwader erst seit neuestem zusätzlich zu den anderen Luftfahrzeugen zur Verfügung standen.

Die beiden Hightechmaschinen stammten aus den USA, waren ein wahres Wunder der Technik und den deutschen Helikoptern zumindest in Punkto Tarnung und Reichweite weit überlegen. Sie verfügten beide über die neueste Stealth- Technologie und waren außerdem mit modernsten Waffen und besonderer Technik ausgestattet, wie sie sonst nur die Soldaten des Kommandos Spezialkräfte nutzten. Nur zu besonderen Einsätzen wurden diese beiden Hubschrauber eingesetzt und bald war es wieder so weit!

Unterdessen verabschiedeten sich die Männer mit einem kräftigen Händedruck von ihrem gemeinsamen Freund Tom Meissner, der sie bis nach oben und nach draußen geleitete und dann dort allein zurücklassen musste.

„Freunde, kommt mir nur ja wieder heil zurück nach Hause!“, rief er ihnen hinterher, drehte sich an der Tür um und kehrte schnell zurück ins Stabsgebäude. Ein Wagen, dessen Fahrer schon ungeduldig hinter dem Lenkrad wartete, parkte mit offenem Kofferraum vor dem Gebäude. Frank und Theo verstauten ihre Alukoffer, in denen sich die Waffen, Munition und die restliche Ausrüstung befand, hinten im Kofferraum und sahen, dass ihre beiden Seesäcke schon drin lagen. Dann stiegen sie in den Fond und gaben dem Fahrer Bescheid abzufahren. 86

 

Noch Fragen?

 

Gabriel und Peter hatten sich zunächst zum Silo zurückgezogen, um in Ruhe zu überlegen, was sie als nächstes unternehmen könnten, um endlich hinter das Rätsel des Containerdorfs zu kommen. Im Gerümpel beider Seiten des Silos fand Gabriel noch einen zweiten, altersschwachen Klappstuhl, den er neben Peters wackligen stellte, und die Jungs setzten sich grübelnd an den Tisch. Das Problem war ganz eindeutig die Sprache, das war den beiden Jungs schon klar, aber wie könnte man diese Barriere wohl überwinden? Gabriel schlug vor, ein paar Zeichnungen zu machen mit Symbolen, doch Peters Blick und eine steil nach oben gezogene Augenbraue sprachen Bände und somit führte er doch nicht weiter aus, wie er sich das genau vorstellte und schwieg vorsichtshalber.

„Und was ist, wenn wir am Computer etwas vorbereiten?“, frohlockte Peter, der sich vor lauter Konzentration schon fast die Unterlippe blutig gebissen hatte.

„Das ist eine tolle Idee!“, antwortete sein Freund. „Lass uns gleich zu dir nach Hause gehen, Peter, und dann machen wir das!“

„Machen wir was und an welchem Rechner, bitte sehr?“, fragte Peter und sah Gabriel abwartend an. „Ich habe nämlich keinen.“ Unter der schlechten Beleuchtung sah Gabriel noch enttäuschter aus, als er sich jetzt anhörte.

„Nee, echt nicht?“ Peter konnte nicht anders, weil Gabriel ihn so ehrlich und unschuldig ansah, als ihm schnell zu erklären:

„Doch, doch, nur reingelegt!“ Er grinste dann. „Ich habe aber wirklich keinen, denn mein Vater hat uns beiden zusammen einen Computer spendiert. Hin und wieder mache ich daran auch schon etwas für die Schule und manchmal, ganz selten, spiele ich auch im Internet damit“, erklärte er stolz und Gabriel war richtig beeindruckt.

„Ja, nicht schlecht. Dann lass uns jetzt endlich hier abhauen und zu dir nach Hause gehen.“ Er sprang erwartungsvoll auf.

„Nun warte mal“, Peter erhob sich langsam, „du weißt ja nicht, was wir am Rechner überhaupt machen wollen.“ Gabriel schüttelte den Kopf, und so fuhr er fort: „Wir werden im Internet einfach einen Text in alle möglichen Sprachen übersetzen lassen.“

„Und das geht? Dann ist das eine Super-Idee, jetzt komm endlich!“, antwortete Gabriel und stürmte ungeduldig nach draußen.

Peter folgte ihm gemächlich und in Gedanken ging er schon den Text durch, den er automatisch übersetzen lassen würde.

Als er zu Hause die Wohnungstür aufschloss, merkte er gleich, dass seine Eltern nicht da waren, weil die Tür doppelt abgesperrt war. Seitdem seine Eltern von den Einbrüchen gehört hatten, schlossen sie sorgfältiger ab als früher und hatten Peter mehrmals ermahnt, genauso zu verfahren. Im Flur kamen ihnen deshalb weder Peters Mutter noch sein Vater entgegen. Gewöhnlich wäre der um diese Zeit, an einem Freitag, eigentlich auch schon zu Hause gewesen und so schloss Peter daraus, dass die beiden wahrscheinlich zusammen einkaufen waren. Und weil Peter und Gabriel sich beim Herumkriechen auf der Erde beim Schrottplatz schmutzige Schuhe zugezogen hatten, bat er auch seinen Freund, ebenfalls zuerst aus den Schuhen zu schlüpfen. Die Strümpfe der beiden sahen aber auch nicht gerade besser aus! Dann zog es Peter magisch zum Kühlschrank, dicht gefolgt von Gabriel, den genauso der Durst quälte wie Peter. Anschließend ging es zu einem kurzen Abstecher ins Bad, um im Vorübergehen die schmutzigen Hände mit ein paar Tropfen Wasser zu benetzen und an dem bis dahin sauberen Handtuch abzutrocknen. Auch in diesem Punkt war er also den Wünschen seiner Eltern (erst Schuhe aus, dann Händewaschen!) mehr oder weniger korrekt nachgekommen und jetzt delegierte Peter Gabriel ins Gästezimmer, wo sich auch der Rechner befand. Er stellte für Gabriel extra einen zweiten Klappstuhl neben seinen und schon nach kurzer Zeit tippte er munter drauflos und Gabriel diktierte ihm, so gut er konnte:

„… komen sie här unt woh hinn geen sie?“ Das wurde Peter dann doch zu bunt.

„Mann, Gabriel“, fluchte er, „fast jedes verdammte Wort ist rot!“

„Na und? Ist doch schön“, freute sich der und wippte zufrieden mit dem Stuhl auf und ab. Dabei strahlte er glücklich, sodass Peter gleich ein schlechtes Gewissen bekam. Resigniert ließ er es bleiben und erklärte ihm lieber ein anderes Mal, was es mit der automatischen Rechtschreibprüfung auf sich hat. Stattdessen tippte er einfach weiter, was ihm gerade in den Sinn kam.

Es wurde weniger rot.

Am Ende war eine beeindruckende Liste aus Fragen und Antworten zustande gekommen.

„Jetzt lasse ich die im Internet übersetzen und dann drucken wir das alles aus“, erklärte Peter und Gabriel rutschte näher, um besser mitzubekommen, was als nächstes geschah. Als nächstes öffnete sich aber zuerst die Tür und Frau Kollin steckte den Kopf herein.

„Ach hallo, hier steckt ihr also!“, stellte sie fest und trat ein, um Gabriel zu begrüßen. Sie streckte ihm ihre Hand entgegen und Peters Freund stand sogar extra auf. „Guten Tag, Frau Kollin, ich bin Gabriel“, stellte er sich vor und Peter fügte hinzu:

„Mombasa.“

„Nein, Quatsch“, verbesserte Gabriel ihn und lachte, „doch nicht soooo! Mein Name ist natürlich Gabriel Nambota. So heiße ich doch.“ Die Mutter lachte vergnügt und fragte Gabriel, wo er denn herkäme. Er setzte sich wieder, sah zu ihr hoch und antwortete ganz ernst: „Aus der Kaiserstraße.“ Frau Kollin stutzte zuerst für einen kleinen Moment, dann verzogen sich ihre Lippen zu einem breiten Lächeln und sie schüttelte belustigt ihren Kopf.

„Gute Antwort, Gabriel, sehr gute Antwort!“ Noch immer kopfschüttelnd, drehte sie sich um und war schon halb durch die Tür, als sie sich noch einmal an Gabriel wandte: „Hat mich sehr gefreut, ‚natürlich‘ Gabriel Nambota. War mir ein echtes Vergnügen. Ich freue mich, dass du Peters Freund bist“, und schwupps, war sie durch die Tür, noch ehe Peter protestieren konnte.

„Mama!“, rief er ihr in einem strafenden Tonfall hinterher, denn ihm war das echt peinlich. Gabriel aber war allerbester Laune und er und Peter konzentrierten sich nun wieder auf ihre Übersetzungen.

Sie wählten verschiedene afrikanische Sprachen aus, die das System automatisch für sie übersetzte. Am Ende hatten sie fast acht unterschiedliche Seiten zusammen, die Peter ausdruckte.

In weiser Voraussicht schrieb er dann auf die übersetzten Textseiten noch jeweils das entsprechende Land mit Bleistift daneben. Dann las er den deutschen Text ein letztes Mal laut vor und Gabriel lehnte sich dabei zurück und lauschte gespannt. „Woher kommen Sie? Was wollen Sie hier? Was machen Sie hier? Wo wollen Sie hin? Kann ich Ihnen helfen? Dürfen Sie hier raus? Hält man Sie hier gefangen? Haben Sie etwas verbrochen? Warum laufen Sie nicht weg?“ An dieser Stelle unterbrach er und schaute, ob Gabriel irgendeine Reaktion zeigte, doch der winkte nur ab und meinte:

„Ist doch alles super!“

„Ach so!“, regte Peter sich jetzt auf. „Dir ist also überhaupt nicht aufgefallen, dass die gar nicht weg können, wenn das Tor verschlossen ist und dort zwei Wachen mit Gewehren herumlaufen?“

„Doch, schon“, entgegnete Gabriel vergnügt, dem der bissige Unterton gar nicht aufzufallen schien, „aber das ist schon okay, denn sie könnten ja auch unter dem Zaun durch, wie ich!“ ‚Stimmt auch wieder‘, dachte Peter missmutig und las einfach weiter: „Brauchen Sie Hilfe? Woher bekommen Sie Essen und Trinken? Gehören Sie alle zusammen? Sind die Wachen auch in der Nacht da? Wo ist der Hund? Wir kommen in Frieden!“ Die letzten Worte hatte er einmal im Fernsehen aufgeschnappt und für so toll befunden, dass er sich schon lange wünschte, sie irgendwann selbst einmal anwenden zu können. Allerdings hatte er dabei an eine ganz andere Situation gedacht. Trotzdem könnte man sie auch hier, bei dieser Gelegenheit, gleich mit an den Mann bringen. Es schien schon eine passende Gelegenheit und er grinste zufrieden, als er weiter fortfuhr:

„Wie ist Ihr Name? Mein Freund wartet draußen.

Wir wohnen in der Nähe.“ Die Liste war hiermit zu Ende, und obwohl Gabriel damit rundherum zufrieden schien, fragte sich Peter jetzt ernsthaft, ob man nicht gut die Hälfte aller Fragen wieder hätte streichen sollen, doch er schwieg und faltete die Blätter sorgsam zusammen. „Gehen wir jetzt?“, fragte Gabriel unruhig und stand bereits auf. Es war höchste Zeit, zum Schrottplatz zurückzukehren und endlich herauszufinden, was es mit all diesen armen Menschen auf sich hatte.

 

 

Zum Ziel

 

Genau nach Plan, um Punkt 09:30 Uhr waren Frank und Theo mit einem ganz gewöhnlichen Linienflugzeug in Westäntstadt abgeflogen und es hatte wie angekündigt keinerlei Probleme oder gar Verzögerungen mit ihrem speziellen Gepäck gegeben.

Sie legten 75 Minuten später in Amsterdam einen Zwischenstopp ein. Beide waren wirklich heilfroh, den wahrscheinlich kürzesten Linienflug von Frankfurt nach Lagos überhaupt bekommen zu haben, denn insgesamt wären sie nur 9 ¼ Stunden unterwegs, wovon sie allein 70 Minuten dieser Zeit in Amsterdam auf dem Flughafengelände verbrachten.

Bis es dort endlich weiterging, blieb genügend Zeit, sich die Füße zu vertreten. Frank und Theo setzten sich auf die unbequemen Barhocker an der Theke eines kleinen Cafés innerhalb des Sicherheitsbereichs und tranken jeder einen großen Pott Kaffee. Die beiden Freunde unterhielten sich dabei über ganz banale Dinge und währenddessen fiel Frank auf, dass sie beide, sowohl er als auch sein Freund Theo, immer wieder von einigen der mitreisenden Damen neugierig beobachtet wurden. Sie schienen sich offenbar genauso zu langweilen wie sie und warfen ihnen, lustlos in ihren Zeitschriften blätternd, immer wieder neugierige Blicke zu. Natürlich nur wegen der Dienstuniform, die aus irgendwelchen Gründen immer die Fantasien der Damen beflügelten. Trotzdem wurden die beiden, auch wenn sie gemeinsam in Seilingen unterwegs waren, so gut wie nie angesprochen.

Irgendwann begannen Frank und Theo im abgesperrten Bereich des Airports langsam auf und ab zu schlendern und das taten sie, bis alle Passagiere des Flugs über Lautsprecher aufgefordert wurden, in ihre Maschine zurückzukehren.

Bald darauf erfolgte die Startfreigabe nach Lagos zum Murtala Muhammed Airport: nonstop!

Der Flug zog sich hin wie Kaugummi, doch dann, als hätte der Wettergott mit ihnen ein Einsehen, riss die Wolkendecke über Ceuta plötzlich vollständig auf und ließ den Blick frei auf den sagenhaften „schwarzen Kontinent“. Die grandiose Sicht fesselte Frank derart, dass er alles um sich herum vergaß, begeistert aus dem Fenster sah und Theo wirklich sehr dankbar war, dass er mit ihm den Platz getauscht hatte. Diese ersten Eindrücke und die freudige Erwartung, bald selbst den Kontinent betreten zu können, um den sich so viele Abenteuergeschichten rankten und so viele Tränen und Blut vergossen wurden, verursachten bei Frank definitiv ein aufregendes Gefühl in der Magengegend und bei Theo ein leichtes Hungergefühl in dessen Magengegend.

Er meldete sich gleich bei der hübschen Stewardess, die ihn an das Musterexemplar einer afrikanischen Gazelle erinnerte:

lange schlanke Beine, lange Wimpern, große dunkle Augen, eine Haut wie reinste Vollmilchschokolade ohne jeden Makel (soweit er das bisher beurteilen konnte) und ein extrem apartes, hübsches Gesicht, dessen Anblick er sich kaum entziehen konnte.

Vor der Landung in Lagos hatte die dunkelhaarige Stewardess (Mildred, wie Theo inzwischen wusste) die beiden Militärpiloten Frank und Theo freundlich gebeten, als letzte Gäste auszu94 steigen, denn sie würden extra abgeholt. Frank fiel ein Stein vom Herzen, denn er hatte sich schon seit einiger Zeit gefragt, ob jemand bei der Planung diesen Teil der Operation HUT vergessen hatte: nämlich wie sie, ohne irgendwelche Papiere dabeizuhaben, überhaupt durch die Kontrollen kommen sollten.

Dass sie beide abgeholt würden, beruhigte ihn enorm.

Beim Aussteigen traf sie die Hitze, wie ein Schlag mit einem heißen Lappen, mitten ins Gesicht und weder Frank noch Theo waren darauf gefasst.

Am Fuß der Rolltreppe wurden alle Passagiere zu einem Bus delegiert und im Gänsemarsch bewegte sich diese Schlange nach rechts. Links aber wartete ein geschlossener Jeep mit Bundeswehrkennzeichen und Blaulicht obendrauf und Frank musste zweimal hinschauen und kurz überlegen, bevor er begriff, dass die beiden MP-Kameraden, die dort lässig am Auto lehnten, wahrscheinlich vom Marineschiff abkommandiert waren, um ihnen beim Ausschecken behilflich zu sein.

Sie waren schon von der Rolltreppe aus an ihren dunklen Armbinden und den weißen Buchstaben MP (Military Police) als solche gut zu erkennen. Die beiden MPs nahmen sofort korrekte Haltung an, als Frank und Theo sich vor ihnen aufbauten und ordnungsgemäß grüßten. Dann musste Frank aber doch grinsen, denn die Kameraden waren so wahnsinnig jung, dass sie ihn an seine eigene Anfangszeit erinnerten, als er sich bei der Freiwilligenannahmestelle in Düsseldorf beworben hatte, vor einer Ewigkeit … Der eine der beiden Militärpolizisten, mit kahlrasiertem Kopf, dessen Haut wegen eines frischen Sonnenbrands stark an eine Tomate erinnerte, führte die beiden zum Jeep, wies ihnen höflich an, hinten im Fond Platz zu nehmen und bat um etwas Geduld, weil sich sein Kamerad unterdessen um ihr Gepäck kümmern würde.

Die Minuten vergingen, die Klimaanlage im Wagen machte das Warten in der glühenden Sonne halbwegs erträglich und da, endlich tauchte der Soldat mit zwei Flughafenarbeitern auf der Rückseite der Maschine auf und jeder von ihnen trug jeweils einen der schweren Alukoffer und der MP die beiden Seesäcke von Frank und Theo.

Sie verließen erst gar nicht das Flughafengelände, sondern wurden direkt zu einem Hangar am Rand des Flughafens hinübergefahren, dessen Tore fest verschlossen waren. Erst bei ihrem Eintreffen öffnete sich ein Flügel, aber nur so weit, dass der Jeep bequem hindurchfahren konnte, und schloss sich auch sofort wieder hinter ihnen.

„Ist ja fast wie bei Area 51 (USA, Nevada, militärisches Sperrgebiet, angeblich beherbergt der Stützpunkt ein abgestürztes UFO und Leichen von Alien)“, witzelte Theo und sah im selben Moment im Hintergrund, im dunklen Teil der Halle, ihren Kampfhubschrauber stehen. Trotz der gewaltigen Ausmaße des Hangars, dessen gewölbtes Dach weit und hoch über ihren Köpfen verlief, wirkte er in der gähnend leeren Halle nicht klein und unbedeutend, sondern mit seinen Zusatztanks, einem zylindrischen Behälter auf der einen Seite, bestückt mit Raketen auf der anderen und der insgesamt kantigen, eckigen Form, gefährlich und beeindruckend.

Der Jeep hielt im Inneren der Halle an einem eingeschossigen Gebäude mit Flachdach, das einen Teil der Außenwand bildete und vor langer Zeit einmal richtige Büroräume beherbergte.

Dann wandte sich die „Tomate“ an seine Fahrgäste:

„Sie können sich hier ein paar Stunden ausruhen. Wir haben zwei Feldbetten für Sie vorbereiten lassen und reichlich Essen und Trinken. Aber Sie dürfen diesen Bereich bis zu Ihrem Abflug auf gar keinen Fall verlassen: unter keinen Umständen!“ Sie nickten und alle Mann stiegen aus.

„Es sei denn, die Hütte brennt“, spöttelte Theo flüsternd an Frank gewandt.

Zwei Luftfahrzeugmechaniker vom Fliegerhorst Seilingen, die sie gleich erkannten, kamen fröhlich grinsend aus dem Flachbau heraus und begrüßten die beiden Neuankömmlinge. Inzwischen luden die zwei MPs deren Gepäck aus und verabschiedeten sich dann von Frank und Theo.

Sie wollten gleich zu ihrem Hubschrauber, um den Inhalt aus den Alukisten umzupacken und bis auf ihre Seesäcke, die sie später noch brauchten, schon die restliche Ausrüstung verstauen.

Ihre Kameraden begleiteten sie und halfen ihnen beim Gepäck, während sich der ältere der beiden Männer an Frank wandte:

„Also, wir sind zwar seit gestern schon hier, aber mir ging es so mies von der Seefahrt, dass wir uns erst heute Morgen ans Werk gemacht haben. Es ist alles bereit. Maschine ist vollgetankt, alle Waffensysteme sind vollbestückt und …“, er grinste verschmitzt, „… sie haben auf der rechten Seite den neuen Spezialbehälter statt der PARS-Raketen an ihren ‚Kufen‘ montiert.“ Natürlich hatte Frank den Behälter unter dem Geräteträger längst bemerkt, der ihnen als zusätzliche Transportbox dienen würde und auf ihrem Rückweg noch mal um die 85 kg schwerer sein würde als jetzt.

„Ja, äh, vielen Dank.“ Frank lächelte zwar dankbar, aber er freute sich nicht wirklich, wenn er daran dachte, dass sie wegen dieses „Dings“ die Hälfte ihrer „Fire-and-forget-Raketen“ zurücklassen mussten. Trotzdem hob er anerkennend den Daumen, denn die Konstruktion und Montage des Behälters, statt der üblichen Raketen unter dem Geräteträger, war mit Sicherheit wohl nicht so einfach gewesen.

Nach dem Umpacken und Einräumen trugen Frank und Theo die beiden sperrigen Aluminiumkisten in den Flachbau. Dort könnten sie bleiben, bis zu ihrer Rückkehr. Die beiden Luftfahrzeugmechaniker zeigten ihren Kameraden die notdürftigen Räumlichkeiten, woraufhin sich Frank und Theo zunächst auf ihre provisorischen Quartiere begaben, um sich zum Abendessen etwas Bequemes anzuziehen. Jeder bekam eines der ehemaligen Büros einer kleinen, bankrotten Privatairline.

Danach aßen sie alle zusammen in gemütlicher Runde und räumten nachher noch gemeinsam die Küche auf. Frank und Hermann, der Ältere, erledigten den Abwasch. Zuletzt setzten sich alle vier vor die Halle auf alte Campingstühle, die dort im Schatten standen, und plauderten noch eine ganze Weile, bevor sich irgendwann die beiden Kameraden entschuldigten und auf ihre Bürozimmer verschwanden. Nur wenig später läuteten Frank und Theo ebenfalls den „Rückzug“ ein. Es war schwül, heiß und stickig in ihrer Bude, und obwohl sie sich hier bei den Kameraden gut versorgt und sicher behütet wussten, schafften er und Theo es nicht, ihre müden Augen zu schließen, einfach nur abzuschalten und einzuschlafen. Aber sie mussten trotzdem hier bleiben und abwarten, bis sie in der Nacht aufbrechen durften, denn so verlangte es der Plan. Und deshalb lagen Frank und Theo, jeder für sich, hellwach auf ihren Feldbetten und grübelten beide unabhängig voneinander vor sich hin.

Frank versuchte zwar ein wenig zu schlafen, doch dann stand er zum dritten Mal innerhalb einer Stunde auf, um sich frisches, kühles Wasser aus dem Waschbecken im Bad nebenan ins Gesicht zu schaufeln. Man hatte zwar das Flachdachgebäude bis auf eine lange Seite in die Halle integriert, aber dennoch war auch hier die Hitze unerträglich, und das trotz Klimaanlage.

Die beiden Freunde hatten ihre Armbanduhren abgeglichen und zum Wecken auf Null-Fünfzehn gestellt, aber trotzdem waren die Fliegeruhren weder bei Frank noch bei Theo tatsächlich bis zu ihrem Weckton gekommen. Beide Männer wachten ohne ihren Wecker auf und schalteten schon vor der Zeit die Weckfunktion wieder ab. Während Theo in dem winzigen Bad noch ausgiebig duschte, schlüpfte Frank bereits frisch gewaschen in seine Fliegerkombi hinein. Am Fenster zog er den Vorhang beiseite und blickte scharf nach rechts, hinüber zu den Nachbarfenstern. Alles war dunkel, die beiden Kameraden in den anderen Büros schliefen noch tief und fest, dachte er, doch da, links von seinem Fenster drang ein vereinzelter, schwacher Lichtschein durch die Vorhänge nach draußen. Er grinste.

Theo, dieser Langschläfer, war also doch schon auf den Beinen.

Mit einem Ruck schloss er den Reißverschluss seines Overalls und überprüfte noch einmal den Inhalt seiner Gesäß- und Brusttaschen. Dann griff er nach seinem Seesack und verließ leise das Büro mit einem letzten prüfenden Blick durchs Zimmer, ob er auch nichts vergessen hatte. Ein Blick auf die Armbanduhr.

Er würde bei Theo vorbeischauen, ihn abholen und dann gemeinsam mit ihm zum Hubschrauber gehen und versuchen, den Heli selbst mit einem Fahrzeug dort herauszuziehen.

Doch zu seiner großen Verwunderung stand der Hangar weit auf und der Hubschrauber startbereit (von hier nur vage zu sehen), schon in Startposition weiter draußen auf dem Betonplateau vor dem Hangar. Die beiden Luftfahrzeugmechaniker kamen ihm entgegen.

„Mann, Hermann, ich dachte, ihr pennt noch?“, wurden sie von Frank begrüßt, doch die beiden schüttelten müde die Köpfe. „Nee, nee. Wir haben für euch schon alles vorbereitet. Es kann jetzt losgehen. Wo hast du denn den jungen Spund gelassen?“, fragte der Ältere und staunte, dass Frank alleine kam, doch im selben Moment trat Theo mit Seesack und in voller Fliegermontur aus dem Bürogebäude. Er hatte Hermann noch hören können, grinste und beeilte sich, schleunigst aufzuholen.

„Nur keine Hektik, alter Mann“, konterte er, „ohne mich läuft hier gar nichts!“ Es war eine sternenklare Nacht, die sie draußen umfing, und erstaunlich kalt. Eben noch hatten sie sich in den kleinen Büros einen abgeschwitzt und jetzt wären sie wahrscheinlich echt am Frieren, wenn sie nicht in ihren Fliegeroveralls steckten, deren geniales Material die körpereigene Wärme im Inneren hielt und gleichzeitig aber das Schwitzwasser nach außen transportierte (transportieren sollte!). Ihre zwei Mechaniker begleiteten sie noch bis zur Startposition, zirka fünfzehn Meter vom Hangar entfernt, wo ihr Hubschrauber, schwarz mit grauen Streifen, wie ein außerirdisches, riesiges Insekt auf dem Präsentierteller ruhte. Theo verstaute zuerst ihre beiden Seesäcke im Laderaum.

Dann verabschiedeten sich er und Frank von den beiden Kameraden und stiegen in ihre Maschine.

In diesem Hightech-Heli saßen Pilot und Copilot hintereinander.

Der Copilot aber hatte bei diesem Kampfhubschrauber eindeutig eher die Funktion eines Bordschützen als den eines Piloten. Frank saß weit vorne und relativ tief, sodass er schon fast unter der durchsichtigen Nase am Rumpf „festklebte“.

Dessen Copilot Theo und gleichzeitiger Bordschütze saß hinter ihm, aber deutlich höher, fast vollständig hinter einer dicken Plexiglasscheibe, und war rundherum umgeben von Konsolen, Schaltern, Joysticks und Monitoren für die Steuerung allerlei Waffen und diverser Einrichtungen zur Abwehr und Gegenwehr.

„Den Instrumentencheck machen wir aber ausnahmsweise im Schnelldurchlauf, okay?“, rief Frank nach hinten zu Theo und betätigte dabei etliche Schalter. Zwei Sekunden später meldete sich Theo über Funk und gab ihm scherzhaft zur Antwort:

„Aye aye, Sir! Das gilt dann aber auch für den Waffencheck!“ Surrend schloss sich die Plexiglaskuppel über den beiden und sie begannen mit den routinemäßigen Sicherheitsüberprüfungen aller Systeme, die sie wie am Fließband herunterrasselten. Es dauerte fast zehn Minuten, bis alle Systeme wenigstens halbherzig durchgecheckt waren. Theo hatte unterdessen den Kontakt zur Kommandozentrale hergestellt und daraufhin erhielt Frank nur wenige Augenblicke später über Sprechfunk die Startfreigabe direkt vom Airport Tower, der sich weit vor ihnen am Rand des Flugfelds befand. Während des Systemchecks hatte Frank die schwere und dennoch extrem wendige Maschine allmählich „heiß“ laufen lassen und ließ den Heli jetzt sanft abheben. Er erinnerte sich natürlich genau an die Vorschriften, wie er diesen Flugplatz verlassen sollte, und zog den Hubschrauber zunächst erst langsam höher und dann leicht nach vorne in westliche Richtung. Hier draußen gab es im Gegensatz zum Fliegerhorst Seilingen keine direkten Nachbarn, die jetzt wach werden würden.

Aber trotzdem hörten die beiden Mechaniker am Boden erstaunlich wenig und auch das Pfeifen und „Flapp-Flapp- Flapp“ war ruck zuck vorbei und der Hubschrauber schnell im Nachthimmel verschwunden.

Erst dort oben durften sie ordentlich Gas geben und der Hubschrauber stieß brüllend wie ein Ungeheuer nach vorne und in die Nacht hinein. Ihre voraussichtliche Flugzeit würde bei einer durchschnittlichen Geschwindigkeit von zirka 280 km/h zirka 3 ½ Stunden betragen und dabei würden sie eine Strecke von knapp 980 km zurücklegen.

Und so rasten sie weiter in Richtung Cotonou in Benin, auf einer ungefähren Höhe von zirka 2.000 ft.

An der Grenze zu Benin verließen sie die schnurgerade Route nach Westen und Frank zog die Maschine jetzt auf einen Kurs nach Norden. Aus politischen Gründen ging es von nun an haarscharf weiter am Grenzverlauf zwischen Benin und Algerien.

Kurz vor Nambesia würden sie dann einen leichten Bogen einschlagen und nach Nord-Osten abdrehen, direkt nach Georgia in Nambesia.

Zirka drei Stunden später meldete sich Theo in Franks Kopfhörer:

„Frank, ich schalte jetzt sämtliche externen Navigationshilfen aus, okay?!“

„Roger, Abschalten aller externen Navis, verstanden, over!“, antwortete er. Unterdessen rückte er mit der linken Hand die Kladde mit dem vergrößerten Kartenausschnitt vom Landeplatz zwischen den Bergen Südnambesias näher zu sich heran.

Von nun an wurde nur noch nach Kompass geflogen, um den Abhöranlagen und Radargeräten des nambesianischen Regimes bloß keine Ortung zu ermöglichen. Die millionenteure Stealth- Technologie würde durch selbsterzeugte Signale komplett null und nichtig! Frank dachte daran, dass es gut gewesen war, dass dieser Müller, dieser Nachrichtenoffizier, der ihr Gepäck durchsucht hatte, ihnen ebenso wie andere Dinge auch die Mitnahme ihrer Handys verwehrt hatte. Er konnte ihn zwar von Anfang an nicht leiden, aber es wäre nicht auszudenken, wenn sie vergessen würden, ihre Handys abzuschalten! Nichts wäre einfa102 cher, als die einzigen beiden Handysignale im gesamten Umkreis aufzuspüren.

Er konzentrierte sich jetzt mehr als zuvor und überprüfte noch einmal ihre exakte Position. Jetzt galt es, die Geschwindigkeit erheblich zu reduzieren und in einer Minimalhöhe mit einer maximal möglichen Geschwindigkeit durch eine Schlucht hindurch zu fliegen, die nun vor ihnen auftauchte. Frank drückte den Steuerknüppel nach vorn, der Hubschrauber folgte seiner Bewegung, als wäre sein Arm ein Teil der Maschine, und stieß hinunter. Auf dem größeren Monitor, direkt vor Frank in der Mitte des Cockpits, war jetzt auf Knopfdruck das vor ihnen liegende Gelände in Form eines dreidimensionalen Gittermusters zu sehen, das wie eine grünschimmernde, leuchtendhelle Kopie des Originals wirkte: für den Laien gewöhnungsbedürftig.

Frank steuerte den Hubschrauber jetzt „blind“ und orientierte sich dabei nur noch nach dem Bild auf dem Monitor und anderen Instrumenten.

Nach einer anstrengenden Weile höchster Konzentration erreichten sie endlich die Stelle, an der sie landen sollten. Die Schlucht war hier außergewöhnlich breit und es war für Frank überhaupt kein Problem, dort zu landen, obwohl der aufwirbelnde Staub keinerlei Sicht nach draußen erlaubte. Er setzte die Maschine butterweich auf, betätigte eilig alle möglichen Schalter und allmählich erstarben die Geräusche der Maschine.

Sie waren ohne Zwischenfall am ersten Zielpunkt angelangt.

Jetzt ging es zu Fuß weiter nach Georgia.

 

6

Ein anderer Junge

 

Dieses Mal kamen die beiden Jungen viel schneller voran als noch wenige Stunden zuvor und erreichten den Schrottplatz jetzt etwa in der Hälfte der Zeit. Wahrscheinlich lag es an ihrer Aufregung und sie waren beide sehr gespannt. Gabriel hatte die ganze Zeit während des Hinwegs geredet und geredet: wie ein Wasserfall! Und Peter war heilfroh, als sie am Lattenzaun ankamen und Gabriel damit erst einmal genügend abgelenkt war.

Nachdem er sich zuerst durch ihren Geheimeingang hindurchgezwängt hatte, richtete er sich auf und fühlte dabei noch einmal nach den Blättern in seiner Gesäßtasche: nach denen mit der Übersetzung. Von ihnen hing jetzt alles ab und Peter wagte erst gar nicht darüber nachzudenken, was wohl wäre, wenn niemand der Leute aus dem Containerdorf lesen könnte! Gabriel und er beeilten sich, denn sie mussten zuerst noch schnell beim Silo vorbei, um die Steinschleuder nebst der aufgesammelten Munition zu holen, die Peter dort auf dem kleinen Tischchen zurückgelassen hatte.

„Hättest du ja auch vorhin schon mitnehmen können!“, beklagte sich Gabriel und Peter nickte, während er die Steine in die vordere Hosentasche steckte und die Steinschleuder vom Tisch zog.

„Ja, hätte ich, hast recht. Habe ich aber überhaupt nicht dran gedacht.“ Sie beeilten sich jetzt, verließen wieder den höhlenartigen Silo und liefen dann den Pfad entlang, der zu der kleinen Erhebung führte, hinter der das „Gefängnis“ lag. Wieder wunderte sich Peter, wo wohl der Wachhund Bello blieb, von dem keine Spur zu sehen und auch nicht das Geringste zu hören war.

„Was denkst du, Gabriel, wo der Bello ist?“, fragte er. „Was weiß denn ich?“, antwortete Gabriel. „Ich habe doch schon gesagt, dass er manchmal mit nach Hause genommen wird.“ Er blickte Peter kurz ins Gesicht, dann musste er sich unter dem großen, quer im Weg liegenden Ausleger von dem Kran hindurch bücken, und als er wieder aufsah, las Peter ungläubiges Staunen in seiner Mimik. „Oder glaubst du etwa, dass die ihn gegessen haben?“, fragte er zögerlich, doch Peter lachte und antwortete:

„Ach Quatsch, Gabriel! Ich habe überhaupt nicht an so etwas gedacht. Ich mag den Bello und wollte ja auch schon immer einen eigenen Hund. Der von meiner Tante Moni ist schon älter und spielt überhaupt nicht mehr so gerne. Aber manchmal kommen die beiden zu Besuch …“

„Pssst!“, zischte Gabriel. Sie waren am Hügel angelangt und hier mussten sie sich unbedingt ruhig verhalten, um auf gar keinen Fall gehört zu werden. Die letzten Meter robbten die Jungs hinauf und lugten dann vorsichtig zum Lager hinunter, durch die Gräser hindurch, die sie vor möglichen Blicken von unten schützten. Peter konnte keinen der Wachposten entdecken, doch auch die Tür des Bauwagens war verschlossen. Im Lager selber sah alles ganz normal aus, es war nichts Ungewöhnliches zu sehen. Irgendwie wirkte das Lager aber weniger voll als bei ihrem letzten Besuch. Peter glaubte deutlich weniger Männer zu sehen und auch das Grüppchen der mit den Steinen spielenden Männer schien mindestens auf die Hälfte geschrumpft zu sein.

Merkwürdig, wunderte er sich. Er stupste Gabriel am Arm, zeigte ihm, dass sie sich einen Meter zurückziehen sollten, und sprach dann leise auf ihn ein:

„Wo sind denn die zwei Wachen? Hast du sie gesehen?“ Sein Freund zuckte mit den Schultern.

„Nein, habe ich auch nicht.“ „Mmh, dann werden sie wahrscheinlich im Bauwagen stecken und saufen“, schlussfolgerte er.

„Wir könnten das wunderbar mit der Steinschleuder testen“, bemerkte Gabriel und Peter nickte.

„Das ist eine gute Idee, so brauchen wir nicht nahe heran“, lobte er ihn. „Komm, lass uns das gleich machen.“ Und schon zog er ihn mit hoch. Er fischte den kleinsten Kiesel aus seiner Tasche, spannte, zielte ziemlich hoch in Richtung Bauwagendach und ließ das Gummi losflutschen. Im selben Moment knallte es, viel früher, als der Stein gegen das Blechdach prallen konnte, und dann schepperte es dort drüben. Der Stein traf das Dach, prallte ab, schepperte, kullerte herunter und landete im Gras.

Die Jungs versteckten sich augenblicklich hinter ihrer Deckung und verharrten bewegungslos. Peter flüsterte Gabriel leise ins Ohr:

„Das war doch gerade eben ein Schuss, oder nicht?“

„Ja, aber viel, viel weiter weg“, meinte Gabriel.

Nach einer halben Ewigkeit robbten sie wieder etwas höher den Wall hinauf und spähten gespannt nach unten. Wieder war von den beiden Wachen nichts zu sehen und die Tür unverändert verschlossen. Ein paar der weiblichen Lagerinsassen blickten kurz zu ihnen auf, bevor sie wieder ihren Tätigkeiten nachkamen, und schienen sich überhaupt nicht daran zu stören, dass die Kinder hinter dem Hügel waren, und sich auch nicht besonders darüber zu wundern. Peter flüsterte enttäuscht:

„So ein Mist! Wir können doch nicht einfach riskieren, dass du da unten reingehst, wenn wir nicht wissen, wo diese Kerle stecken!“

„Ist doch eigentlich egal, weil man mich von dort, wo die immer rumlaufen, sowieso nicht sieht“, flüsterte Gabriel. Generell hatte er da gar nicht so unrecht und deshalb überlegte Peter es sich doch noch einmal anders.

„Okay, Gabriel, dann gehst du eben rein.“ Er zog die Blätter aus der Tasche und reichte sie ihm. „Und sobald ich jemanden sehe, lenke ich ihn mit der Steinschleuder ab. Pass aber trotzdem bloß gut auf dich auf, ja?“

„Ja klar doch“, antwortete Gabriel, grinste verschmitzt und rutschte dann ein Stückchen zurück, bevor er sich aufrappelte und um den Hügel herum zu der Kuhle unter dem Zaun schlich. Peter legte sich die Steinschleuder parat und sah schon einen kurzen Augenblick später, wie Gabriel unter dem Zaun durchkrabbelte und wie beim ersten Mal sofort von ein paar Kindern begrüßt wurde.

Von den Wachen war noch immer nichts zu sehen. ‚Wenn jetzt einer käme‘, dachte Peter mit mulmigem Gefühl, doch es kam niemand. Gabriel, umringt von der Schar Kinder, war auf die erstbeste Frau zugegangen, die neben der Rückwand eines Containers in einer großen Plastikwanne mehrere Kleidungsstücke wusch und diese mit ihren Händen ordentlich schrubbte. Peter konnte sehen, wie sie ihre Arbeit unterbrach und Gabriel ihr die Blätter entgegenstreckte. Doch bald winkte sie ungeduldig ab und Gabriel verstand, dass die Frau nicht lesen konnte. Er nahm die Papiere wieder an sich und schaute sich suchend um.

Peter hatte das alles von oben sehr gut verfolgen können und dachte sich seinen Teil. ‚So ein Mist, genau das habe ich befürchtet:

Die können gar nicht lesen‘, dachte er, doch Gabriel gab noch lange nicht auf. Er ging, mit den Blättern bewaffnet, von einer Frau zur nächsten, um sein Glück zu versuchen, doch überall winkte man ab. Es war wie verhext, er hatte nirgends Erfolg. Dann kam er bei der Runde der Männer an, die wie immer ihrem merkwürdigen Steinspiel nachgingen und sogleich mitten in ihrer Beschäftigung innehielten, um zu sehen, was der Neuling wohl von ihnen wollte. Nach ein paar Augenblicken war klar, dass Gabriel auch hier keinen Erfolg hatte. Er hob einmal beide Arme in die Höhe und ließ sie dann resigniert wieder sinken, sodass Peter das gut von oben aus sehen konnte.

Er wusste sofort, was das zu bedeuten hatte und seine Enttäuschung wurde noch größer, als er sah, dass Gabriel jetzt mit hängenden Schultern auf die Kuhle unter dem Zaun zusteuerte.

Die Kinder, die ihn wieder umringten, schienen sich über ihren Gast aufrichtig zu freuen und redeten unaufhörlich alle durcheinander auf Gabriel ein. Offensichtlich war sein Besuch eine willkommene Abwechslung. An der Stelle, wo Gabriel das Containerlager wieder verlassen würde, bückte er sich und wollte sich gerade unter dem Zaun durchzwängen, als er erschrocken bemerkte, dass irgendwer ihn zurückhielt und dabei mit sanfter Gewalt an seinem T-Shirt zog. Erstaunt drehte er sich um und bemerkte einen Jungen, den er zuvor noch nicht gesehen hatte.

Und er erkannte zu seiner Erleichterung, dass der wohl nichts Böses von ihm wollte, denn er strahlte ihn an und half ihm jetzt wieder aufzustehen. Dabei redete er ununterbrochen in irgendeiner fremden Sprache auf Gabriel ein und wies auf die Blätter in dessen Hand. Er gab sie ihm zögernd und der Junge blätterte sie neugierig durch. Peter hatte von seinem Posten aus nur sehen können, dass Gabriel, anstatt den Rückzug anzutreten, wieder aufgestanden war. Er und das Grüppchen Kinder wurden dummerweise von einem Container verdeckt, der sich genau in seinem Blickfeld befand, sodass er von all den weiteren Vorgängen nichts mehr mitbekam. Er wurde allmählich ziemlich nervös und hielt besorgt Ausschau nach den Wachleuten.

Der Junge reichte Gabriel fast alle Blätter zurück, doch eines behielt er und Gabriel traute seinen Augen kaum er schien zu lesen, denn seine Lippen bewegten sich. Er beobachtete den anderen Jungen genauer und sah deutlich, dass dessen Augen Zeile für Zeile den Worten folgten und er zwischendurch grinste.

Dann blickte er endlich wieder auf und lächelte dabei glücklich und zufrieden. Er nahm Gabriel vorsichtig am Arm, verscheuchte mit ein paar lauten Worten und Gesten mit der freien Hand die anderen Kinder, die daraufhin in alle Richtungen wegstoben, und zog ihn mit sich, hinüber zu einem der Container.

Vor dem Eingang zögerte Gabriel, also ging der Junge vor und als Erster hinein. Er winkte Gabriel von drinnen, ihm zu folgen, und Gabriel staunte nicht schlecht. Der Container sah von außen völlig vergammelt aus, aber im Innenraum war alles in Ordnung und sauber. An der linken Wand befanden sich zwei Betten übereinander sowie zwei hintereinander, der Länge nach, also insgesamt vier Schlafplätze, die alle ordentlich gemacht waren, und ihnen gegenüber standen mehrere schmale Schränkchen. Gleich neben der Tür, an der rechten Seite beim Fenster, stand ein Tisch mit zwei Stühlen. Und dort befand sich das einzige, mickrige Fensterchen, das kaum Licht und Luft hineinließ. Es roch nach Schweiß und unbekannten Düften.

Der Junge hatte sich schon auf einem der beiden Stühle niedergelassen und wies Gabriel an, sich neben ihn zu setzen. Dann kramte er in einer Schublade unter dem Tisch nach einem Bleistift und wurde auch bald fündig. Es schien ihm sehr schwerzufallen, aber dennoch bemühte er sich und begann sorgfältig hinter die einzelnen Fragen, Buchstabe für Buchstabe, Antworten aufzuschreiben, gespannt verfolgt von Gabriels Blicken, der sich über jeden Buchstaben freute, der neu hinzukam.

Lesen konnte er jedes Wort und er verstand es. Nein, er verstand natürlich nicht die Übersetzung, die hinter den Worten lag, aber er verstand, dass sie, er und Peter, die richtige Sprache mit ausgedruckt hatten, und wenn sie das in Peters Rechner eingeben würden, dass der ihnen die richtige Übersetzung dazu liefern würde.

Die beiden saßen so einige Minuten nebeneinander, während von draußen nur die Stimmen der anderen Kinder zu hören waren. Von hier aus hatte Gabriel keine Sicht auf Peters Hügel und auch nicht auf das Tor oder den Bauwagen.

Peter hatte gesehen, wie Gabriel mit einem Jungen in dem Container verschwand und wurde bald wahnsinnig vor Sorge um ihn. Von den Wachen war noch immer nichts zu sehen und das machte ihm mehr zu schaffen, als wenn er ganz genau gewusst hätte, dass sie beispielsweise im Bauwagen saßen und dort tranken:

aber so! ‚Hoffentlich kommt er bald wieder raus, denn so viel Glück kann nicht ewig anhalten‘, dachte er besorgt und genau in diesem Moment hörte er das Motorgeräusch eines nahenden Autos!

 

 

In der Villa

 

Sie hatten ihren Hubschrauber in den Bergen allein zurückgelassen, doch das sollte in dieser gottverlassenen, öden Gegend unkritisch sein, da es gewöhnlich niemanden hierhin zog. Außerdem war die Maschine mit einer speziellen, simplen, aber sehr effektiven Schutzvorrichtung versehen. Jeder, der es wagte, irgendein Teil des Hubschraubers ohne Gummihandschuhe zu berühren, würde sofort von einem mehr als zehntausend Volt starken Stromschlag gelähmt und nur Frank und Theo verfügten jeder über die entsprechend notwendige Fernbedienung, um den Selbstschutz aus der Ferne jederzeit abschalten zu können.

Die beiden Männer hatten sich Tarnanzüge in Wüstenfarben übergezogen, jeder einen Helm aufgesetzt und noch diverse Ausrüstungsgegenstände vervollständigt, bevor sie bis an die Zähne bewaffnet aufbrachen.

Sie befanden sich nun schon seit fast einer Stunde auf dem Weg nach Georgia und hatten das Tal, in dem ihr Hubschrauber stand, und die felsigen Berge durch einen Schlängelpfad, der mitten hindurch führte, bereits weit hinter sich zurückgelassen.

Am südlichen Rand der Stadt, in einer gut bewachten Villa, sollte sich Hannes von Eberdingen zurzeit aufhalten. Im Moment bildete Theo die Vorhut und die beiden Freunde hatten ihre Nachtsichtgeräte eingeschaltet. Die ganze Umgebung war durch ihre Brillen in ein magisches, grünes Licht getaucht und zeichnete sich klar und deutlich vor ihnen ab. Theo beendete gerade eine Funkverbindung mit ihrer Einsatzzentrale.

„… okay, werden uns vom Objekt aus noch einmal melden, over and out!“ Sie waren jetzt eine Zeit lang auf sich allein angewiesen und mussten noch eine ganze Strecke marschieren.

Vor ihnen lag nun die direkte Zufahrtsstraße nach Georgia, die aus dem Süden in die Stadt hineinführte. Die beiden hielten an, duckten sich hinter ein paar Steinen als Deckung und von dort aus observierte Frank mit seinem Infrarotfernglas zuerst einmal die ganze Gegend. Jegliche Müdigkeit war bei ihnen wie weggeflogen.

Frank konnte keine Menschenseele entdecken. Die ganze Gegend war öde und leer. In der Ferne waren erste, vereinzelte Häuser auszumachen, die sich nur als dunkle Umrisse vor dem helleren Nachthimmel abzeichneten.

„Los geht’s, Theo!“, flüsterte er und Theo musste instinktiv grinsen, was Frank nicht sehen konnte, denn hier, in dieser gottverlassenen Gegend, gab es weit und breit niemanden, der ihn hätte hören können. Trotzdem mussten sie sich von nun an vorsichtiger bewegen, da es am Rand dieser unbefestigten Straße kaum Möglichkeiten gab, sich richtig zu verstecken. Nur ab und zu lagen ein paar größere Felsbrocken abseits der Straße im Sand und trotzdem mussten sie nun einmal den direkten Weg nehmen.

Sie beeilten sich und kamen dafür viel schneller voran als zuvor auf dem steinigen, verschlungenen Pfad. Frank keuchte und atmete schwer ein und aus. Der Schweiß rann ihm über Gesicht und Hals. Er hatte extra darauf geachtet, dass er und Theo nur ein Minimum an Gepäck und Waffen dabei hatten. Trotzdem kam es ihm vor, als zöge ihn sogar das Gewicht seiner schweißgetränkten Uniform nach unten, und das, obwohl die Overalls darunter ja angeblich so toll sein sollten. Theo schien es aber genauso zu gehen wie ihm, stellte Frank mit einem kurzen Blick fest. Das beruhigte ihn ein wenig, denn zuerst hatte er geglaubt, es läge vielleicht an seiner deutlich schlechteren Kondition, wegen des Alters, aber das war zum Glück wohl doch nicht der Fall.

Plötzlich erreichte die beiden ein Funkspruch, der leise, aber glasklar aus ihren winzigen Ohrhörerstöpseln drang und dessen Sprecher beiden nicht unbekannt war. Sie bogen sofort von der Straße ab und kauerten sich an den Rand.

„Hier Alpha“, meldete sich Frank, „kommen!“ Es war Tom Meissner, ihr gemeinsamer Freund, dessen Stimme sie hörten:

„Ich wiederhole: Objekt gesichtet zirka dreihundert Meter hinter euch, over!“

„Verstanden, over!“ Frank zog Theo wortlos mit sich hoch und die beiden begannen, so schnell sie konnten, auf eine Senke im Boden zuzulaufen, die sich ein Stück weiter weg neben der Straße befand. Sie warfen sich dort direkt zu Boden und robbten an den Rand, die Straße fest im Blick. Beide zogen ihre Nachtsichtgeräte runter und Frank legte sein Scharfschützengewehr an. Er beobachtete die Straße ein Stück weiter zurück durch das Zielfernrohr. Dort war noch nichts zu sehen. Theo überprüfte noch ein letztes Mal das Magazin seiner Maschinenpistole und rückte sich dann schussbereit in Position. Sie warteten geduldig und dann hörten sie endlich einen schweren Motor nahen. In der Ferne blitzten gleichzeitig zwei Scheinwerfer auf, die stetig heller wurden. Ein Lastwagen nahte und fuhr dann wenige Augenblicke später mit lautem Gepolter und Geklapper an ihnen vorüber, ohne dass der Fahrer auch nur im Geringsten ahnte, wer oder was sich nur ein paar Meter weiter neben ihm am Straßenrand befand. Die beiden Freunde grinsten sich zufrieden an und rappelten sich wieder auf. Dann rückten sie ihr Gepäck zurecht.

„Weiter geht’s!“, meinte Frank und Theo nickte. „Wir haben es zum Glück ja nicht mehr so weit.“

„Ja, zum Glück“, wiederholte Theo, stöhnte und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Der vermischte sich mit dem Staub, was ihn noch verwegener aussehen ließ, als er sowieso schon wirkte mit seiner ganzen Ausrüstung. Tom meldete sich noch einmal über Funk und gab eine Entwarnung durch. Der Luftüberwachung waren für den Moment keine weiteren Gefahren bekannt. Frank schaute in den Himmel, doch dort war nichts außer Sternen zu sehen. Er war davon überzeugt, dass sie zusätzlich zur Satellitenüberwachung auch Drohnen einsetzten, die hoch über ihren Köpfen die ganze Zeit über Bilder zur Kommandozentrale funkten. Die Straße war jetzt wieder frei und so kamen sie zügig voran.

Georgia war nach westlichen Maßstäben eigentlich keine richtige Stadt, sondern eher eine gewaltige Ansammlung ärmlicher Hütten und Häuser. Nachdem sie die ersten Blechhütten am Rand der Stadt ohne irgendwelche Vorfälle passierten, bogen sie von der Hauptstraße ab. Frank genügte ein kurzer Blick auf die Karte, dann wies er Theo den Weg. Sie bewegten sich jetzt zwischen Häusern und Blechhütten auf einer schlecht befestigten Straße. Dummerweise kamen sie so immer nur wenige Meter voran, weil sie von Deckung zu Deckung laufen mussten und immer wieder die Umgebung absicherten, bevor sie weiter konnten. Plötzlich kreuzte ein Mann genau ihren Weg. Für einen kurzen Moment blieb er mitten auf der Straße stehen, als die beiden Soldaten an ihm vorüberhetzten, mit schussbereiten Waffen in ihren Händen, dann fiel ihm die glimmende Zigarette aus dem vor Entsetzen weit offenstehenden Mund und er lief panisch davon.

„Die haben hier so viel Angst vor Buthopas Soldaten, dass sie sich nicht wagen werden, irgendwen zu informieren!“, sagte Frank und keuchte. Theo hatte sich dicht neben ihn an die Hauswand gepresst und in einer Hand hielt er jetzt eine Pistole mit Schalldämpfer. Er zielte vorsichtshalber noch auf den Mann, um sicherzugehen, dass der nur ja keinen Wirbel wegen ihnen veranstalten würde, doch es blieb weiterhin alles ruhig und der Fremde verschwand in einem der benachbarten Häuser, ohne Alarm zu schlagen. Jetzt übernahm Theo die Nachhut.

Die Pistole steckte er zurück in seinen Schulterhalfter und sicherte von nun an immer wieder, über seine Schulter zurückblickend, mit der Maschinenpistole ihren Weg. In manchen der Häuser brannte Licht und Frank bemerkte, dass man sie auch aus dunklen Fenstern heraus beobachtete, weil sich die Gardinen bewegten, wenn er sein Gewehr und seinen Blick auf solche Fenster lenkte. Die paar Menschen, die sie hinter den Fenstern sahen, wirkten allesamt verängstigt und so hoffte Frank inbrünstig, dass von ihnen keine Gefahr ausgehen würde. Jetzt wurde es langsam wirklich brenzlig! Sie bogen erneut nach links ab und laut Franks Karte, die unter einer Folie auf seinem Unterarm befestigt war, wären es nur noch etwa zwanzig Meter Luftlinie bis zur Grundstücksgrenze von Hannes von Eberdingen.

Sie mussten nun besonders vorsichtig sein und Frank sah zu, dass sie schleunigst von der Straße herunterkamen, die ihnen überhaupt keine Deckung mehr bot. Hier an der Straßenecke gab es sogar eine der wenigen funktionierenden Straßenlaternen, die durch ihre Nachtsichtgläser wirkte wie eine explodierende Sonne. Beide kniffen geblendet ihre Augen zusammen und rissen sich instinktiv die Geräte von den Augen.

„Verdammt, aber mit diesen Geräten kommen wir jetzt nicht mehr weiter!“, meinte Frank enttäuscht. Theo, dessen Gerät auch schon lose an seinem Hals baumelte, antwortete flüsternd:

„Ja, allerdings!“ Unterdessen spähte er mit zusammengekniffenen Augen zu den umliegenden oberen Stockwerken der Häuser ringsherum hinüber. Dann meinte er leise: „Okay, Frank, lass uns im Schutz dieser Häuser links, in der nächsten Straße weitergehen und dort vorne“, er wies auf das letzte Gebäude vor der Villa, „könnten wir dann versuchen, durch den Hof oder Garten an die Seite der Villa zu gelangen. Was meinst du?“ Es war ein guter Plan, denn so würden sie nicht über die hell beleuchtete Straße geradewegs auf das Einfahrtstor zulaufen müssen, das mit Sicherheit aufmerksam bewacht würde.

„Ja, genauso machen wir das!“, pflichtete Frank ihm bei und gab mit der Hand das Zeichen zum Aufbruch. Sie stürmten auf volles Risiko ohne Deckung um die Hausecke herum und hechteten dann in den erstbesten Hauseingang hinein. Hier befanden sie sich nun in einer unbeleuchteten Seitengasse, die parallel zu der anderen Straße verlief und direkt vor der hohen Mauer, die die Villa eingrenzte, abbog. Nichts zu sehen. Es war nie115 mand in ihrer Nähe. Die Straße weiter hoch und runter barg scheinbar keine Gefahr. Also nickten sich die beiden zu und liefen los, von Deckung zu Deckung, Frank zuerst und dann Theo, der ihm Rückendeckung gab. An dem letzten Häuschen vor der Mauer zur Villa pressten sie sich wieder in einen Hauseingang hinein. Frank wandte sich an seinen Freund und ließ dabei die Straße nicht aus den Augen. „Okay, Theo. Ich gebe jetzt einen Lagebericht ab und will mal hören, was uns unser Freund so zu berichten hat.“ Er meldete sich über Funk und erhielt augenblicklich Antwort. Nachdem Frank kurz und knapp mit leiser Stimme über ihre momentane Situation berichtet hatte, wartete er gespannt auf mehr Informationen von der Luftüberwachung.

Theo behielt währenddessen hochkonzentriert die gesamte Umgebung im Blick und Frank sah, dass er in einer Hand sein Nahkampfmesser hielt, das er sonst immer am Bein trug. Thomas Meissners Stimme meldete sich wieder über Funk:

„Also Jungs! Wir haben euch genau auf unseren Monitoren und die Wärmebilder, die wir sehen, zeigen, dass sich vier Wachen draußen vor der Villa aufhalten. Der Rest der Truppe schläft im Gesindehaus, auf der anderen Seite des Parks, und ein paar Soldaten im Erdgeschoss, aber nach vorne raus. Zwei Personen stehen direkt hinter dem Zufahrtstor, eine auf der Rückseite des Gebäudes, etwa mittig, und eine Person links vor der Mauer, etwa auf der Höhe der Straße, wo ihr euch gerade verschanzt habt.“

„Mmh“, meldete sich Frank, „könnt ihr auch sehen, ob sich der Typ hinter der Mauer bewegt oder seine Position beibehält? Over!“ Die Stimme von Tom meldete sich noch einmal:

„Er behält seine Position nicht bei, sondern geht auf das Haus zu und … ist jetzt durch eine Seitentür nach drinnen ver116 schwunden. Ihr könntet jetzt loslegen!“ Frank zögerte nicht eine Sekunde. Er gab Theo ein Zeichen, und während er fast lautlos loseilte, schulterte er sein Gewehr, um beide Hände frei zu haben. Theo tat es ihm gleich, steckte zuvor noch geschwind das Messer zurück und schob die Maschinenpistole in eine Halterung unterhalb seines Rucksacks hinein.

An der Mauer angelangt, die ihnen jetzt viel, viel höher vorkam als auf den Fotos, die sie bei ihrer Einsatzbesprechung mit dem Kommodore gesichtet hatten, drehte sich Theo sofort mit dem Rücken zur Mauer. Er verschränkte die Hände vor dem Bauch und hielt sie eisern zusammen. Frank nahm etwas Schwung, federte vom Boden ab, stützte sich auf Theos Hände, dann auf die linke Schulter, Theo stand fest wie ein Baum, und dann schaffte Frank es gerade eben so, sich auf die Oberkante der Mauer hochzuziehen. Sie wussten aus der Akte HUT, dass Hannes von Eberdingen auf Alarmanlagen gänzlich verzichtet hatte. ‚Zum Glück‘, dachte Frank und legte sich bewegungslos der Länge nach auf die Mauer, um erst einmal nach Umgebungsgeräuschen zu lauschen. Außer seinen eigenen, heftigen Atemgeräuschen war alles ruhig und deshalb drückte er den winzigen Ohrmuschelhörer seines Funkgerätes wieder zurück in sein Ohr. Dann reichte er Theo seinen Arm hinunter und registrierte, dass gerade wieder neue Informationen des Hauptquartiers per Funk hereinkamen:

„Zugang frei! Position klar, Zielpersonen am gleichen Standort, over!“ Theo wartete noch immer. Frank zog ihn mit einem kräftigen Ruck zu sich herauf, doch zum Verschnaufen blieb keine Zeit. Kaum dass er oben neben ihm hockte, nickten sie sich stumm zu und Frank hangelte sich auf der anderen Seite wieder vorsichtig hinab. Dabei ließ er sich das letzte Stückchen fallen und landete auf weichem Boden, sodass er sich gut abfe117 dern konnte. Noch in der Hocke, aufmerksam um sich spähend, zog er langsam sein eigenes Messer aus der Scheide.

Rechts von ihm befand sich ein dichter Busch. Er verzog sich dort hinein, steckte das Messer zurück und legte stattdessen sein Gewehr an.

„Zugang frei! Position klar, Zielpersonen am gleichen Standort, over!“, drang es wieder aus den Ohrstöpseln und die leise, ganz sachliche Stimme ihres Freundes Tom, seine ruhigen, glasklaren Worte hatten etwas enorm Beruhigendes an sich.

„Platz ist gesichert, Theo, over!“, meldete sich Frank und sah, dass sein Freund sich aufrappelte und einen Moment wie ein großes, unförmiges Ungetüm auf der Mauer hockte, bevor er sich vorsichtig hinabhangelte und sich dann auch fallen ließ. Er landete ebenfalls sacht in der Hocke. Frank zog ihn näher zu sich heran. Theo hielt wieder seine Maschinenpistole schussbereit in der Hand. „Steck das lieber weg“, flüsterte Frank, „wir schalten die Wachen besser lautlos aus.“ Er selbst schob sein Gewehr tief in den Busch hinein, dann löste er den Kinnriemen seines Stahlhelms, stülpte ihn ab und bat Theo flüsternd um dessen Helm, woraufhin er die beiden ins dichte Gebüsch hineinlegte.

Ihre hochmodernen, aber erstaunlich kleinen Nachtsichtgeräte und die Pistolen in ihren Halftern nebst Schalldämpfern behielten sie bei sich. Frank zog seinen eigenen Rucksack aus und schob ihn auch noch in den Busch hinein. Dann wandte er sich leise an seinen Freund: „Umdrehen, Theo, ich muss an deinen Rucksack.“ Er zog zuerst zwei schwarze Strumpfmasken daraus hervor und warf eine davon Theo über die Schulter, der sie geschickt auffing. Es folgten noch dünne, schwarze Handschuhe und mit den Masken, ganz in Schwarz, sahen die beiden Männer noch mal um einiges gefährlicher aus.

Frank gab Theo jetzt ein Zeichen, sich zu ducken, um ein letz118 tes Mal gründlich die Umgebung zu beobachten. Hochkonzentriert und stumm spähten die beiden einen Moment lang aus ihrem Versteck heraus auf die Villa, die keine zehn Meter weiter direkt vor ihnen im Halbdunkel lag. Im Erdgeschoss brannte Licht, das schwach durch die Fensterläden nach draußen drang.

Die Freunde entdeckten beide die Tür, durch die eine der Wachen vor wenigen Minuten verschwunden war. Alles war weiterhin ruhig. Es musste sich um eine Nebeneingangstür handeln und Frank erinnerte sich jetzt, dass dieser Müller ihm gesagt hatte, dort befände sich die Küche. Sie würden von hier aus in die Villa eindringen. Er erhob sich und Theo folgte ihm augenblicklich.

„Ich laufe jetzt los, Theo. Ich zuerst, dann du“, flüsterte er und Theo nickte stumm. Die zwei blickten sich eine Sekunde fest durch die Sehschlitze der Masken hindurch in die Augen, dann schob sich Frank an Theo vorbei und spurtete los.

Er rannte geduckt über den Rasen und presste sich neben der Tür mit dem Rücken dicht an die Hauswand. Einen Augenblick verharrte er so, sein Messer stoßbereit in der Hand haltend, den Arm leicht erhoben. Dann winkte er nach Theo, der sofort loslief und sich kurz darauf auch dicht neben ihm mit dem Rucksack an die Wand drückte. Stumm nickten sie sich zu und Frank tastete nach der Klinke.

In diesem Moment kam ein neuer Funkspruch aus den Ohrhörern und gleichzeitig merkte Frank, wie die Türklinke unter seiner Hand nachgab, obwohl er sie kaum berührte, denn sie wurde von innen heruntergedrückt. Ohne zu zögern, sprang er schnell vor und riss im selben Moment die Tür ruckartig auf. Der Soldat, der im hellen Lichtschein wie auf einem Präsentierteller vor ihm stand, war völlig überrumpelt und total perplex. Er hatte nicht die geringste Chance. Noch während die Tür ganz nach außen aufflog, stieß Frank ihm auch schon sein Messer bis zum Heft in die Brust und zog es gleich wieder heraus. Das Maschinengewehr entglitt den Händen des Mannes und anstelle ungläubigen Staunens trat jetzt der Ausdruck schmerzvoller Erkenntnis in sein Gesicht, dass sein Leben nun ein jähes Ende hätte. Doch da riss Frank ihn auch schon mit aller Kraft zu sich nach vorne und ließ ihn über sein Bein schwungvoll nach draußen stolpern. Der Soldat brach schon im Sturz tot zusammen. Theo bückte sich nach ihm und hielt dabei sein eigenes Messer zur tödlichen Waffe gezückt über den Kopf. Er drehte den Mann am Kragen um und sah sofort, dass er tot war. Vorsichtshalber streifte er sich trotzdem einen Handschuh ab und fühlte mit zwei Fingern an der Halsschlagader nach einem Puls: nichts! Frank spähte unterdessen in die Runde und lauschte dabei nach den leisen Funksprüchen aus seinen Kopfhörern.

„… okay! Alle Objekte sind auf ihren Positionen, over!“ Zufrieden steckte er sein Messer weg und nahm stattdessen das Maschinengewehr des toten Soldaten an sich. Er prüfte die Waffe, entsicherte sie und hielt sie dann schussbereit vor sich.

Unterdessen zerrte Theo den Toten neben die Tür und lehnte ihn sitzend mit dem Rücken gegen die Hauswand.

„Okay, weiter!“, flüsterte Frank. Er betrat als Erster das Haus, dicht gefolgt von Theo, der hinter ihnen die Türe abschloss und den Schlüssel einsteckte. Toms angenehme, leise Stimme drang erneut zu den beiden, so klar und so nah, als spräche er direkt aus ihren Köpfen:

„Wärmebilder zeigen, dass ihr jetzt im Inneren seid, im Erdgeschoss. Der Weg nach oben ist frei. Zielperson ist im 1. OG, ist eingefroren. Ich wiederhole: …“ Frank brauchte nicht zu überlegen, was „eingefroren“ zu bedeuten hatte, denn er wusste bereits, dass dies der Code für „bewegungslos“ war.

‚Wahrscheinlich‘, so dachte er grimmig, ‚schlief dieser Hannes von Eberdingen tief und fest, als hätte er ein astreines Gewissen, ausgerechnet dieser Verbrecher!‘ Sie schlichen leise weiter vor und gelangten durch den Flur in die hell beleuchtete Küche.

Frank spähte vorsichtig um die Ecke, doch dieser Raum war leer. Es roch nach dem kalten Rauch einer kürzlich entzündeten Zigarette. Er huschte hinein und sah dabei, dass die Fensterläden fest verschlossen waren. Von außen waren sie also nicht zu sehen, das war gut. Theo blieb an der Ecke zurück und gab Frank ein Zeichen, dass er weiter vorrücken sollte. Also eilte er möglichst geräuschlos weiter, quer durch die große Küche bis zum nächsten Flur. Dort wartete er, bis Theo wieder nachrückte und ihm den Rücken deckte. Er hielt in einer Hand das Messer und in der anderen die Pistole mit aufgesetztem Schalldämpfer. Während sie den Flur so entlangschlichen, Rücken an Rücken, dachte Frank darüber nach, wie wahnsinnig das hier eigentlich war, denn es gab überhaupt keinen Schutz! Endlich gelangten sie an die Treppe, die nach oben führte. Theo blieb am Fuß zurück und sicherte den Flur, während Frank langsam die Marmorstufen hinaufstieg, da folgte ein weiterer Funkspruch:

„Alles okay, alle Objekte an ihren Positionen, Zielperson ist eingefroren, over!“ Das erste Obergeschoss lag zum Glück im Dunkeln und alles war ruhig. Jetzt kam Frank das laute Ticken einer Standuhr, im Treppenhaus unter ihm, so laut vor, als wären es regelmäßige Hammerschläge einer Schmiede. Das Geräusch irritierte ihn mit einem Mal und er begann Standuhren zu hassen. ‚Gut, dass ich Theo bei mir habe‘, dachte er und winkte ihn zu sich hoch. Theo kam zügig nach und presste sich dicht neben Frank an die Wand. Er sah irgendwie besorgt aus, soweit sich das bei diesen schlechten Lichtverhältnissen und der spärlichen Sicht wegen seiner Maske überhaupt beurteilen ließ.

‚Ich werde echt zu alt für diesen Mist‘, dachte Frank und hob den Daumen, um Theo zu zeigen, dass alles okay wäre, aber sein Puls stieg heftig an.

Er raste regelrecht und Thomas Meissner, zigtausend Kilometer entfernt und doch so nah in diesem Moment, sah besorgt nach den Pulssignalen, die die kleinen Messsonden von Franks und Theos Overall brav über Satellit bis zu Toms zweitem Monitor sendeten. Müller, der gewöhnlich unruhig auf und ab lief, beugte sich gerade über Tom, um besser sehen zu können, was die Wärmebilder auf dem ersten Schirm zeigten. Tom wies mit dem Kugelschreiber auf das rote Signal am zweiten Monitor, über dem „Alpha“ stand, als Codename für Frank Berge. Dessen Herzrhythmus lag mittlerweile am obersten Level.

„Er hat mehr Adrenalin als ein Stier in der Kampfarena! Ich mache mir ernsthaft Sorgen um ihn!“, bemerkte er. Müller zog seinen Kopf zurück und begann wieder auf und ab zu gehen.

„Ach Papperlapapp! Sie stehen jetzt kurz vor dem Zugriff, da ist das durchaus nichts Ungewöhnliches! Weitermachen, Meissner, wie gehabt!“

„Jawohl!“, antwortete er und drückte den Knopf am Mikro:

„Zugriff, ich wiederhole: Zugriff!“ Frank zupfte Theo am Ärmel und flüsterte ihm zu:

„Nachtsichtgerät auf, Theo! Es geht los!“ Er lehnte das Maschinengewehr an die Wand rechts neben sich und zog stattdessen sein Messer. Dann drückten sich die beiden von der Wand ab und huschten von Tür zu Tür, bis zu derjenigen, hinter der, wie sie wussten, sich die Zielperson Hannes von Eberdingen aufhielt. Jeweils einer links, einer rechts blieben sie einen kurzen Augenblick seitlich dieser Tür stehen, um sich zu sammeln und zu lauschen. Frank legte jetzt eine Hand sacht auf die Türklinke und spürte durch den dünnen Handschuh die Kälte des Mes122 sings. Schweißperlen liefen über seine Stirn. Millimeter für Millimeter drückte er die Klinke ganz, ganz langsam herunter.

 

 

Bahia Bumbi Kiwi Sepptro (oder so ähnlich)?

 

Es war aber doch kein gewöhnliches Auto, das Peter gehört hatte. Als der Wagen endlich vor dem Tor anhielt und sein Motor erstarb, wagte Peter es, der sich bei dessen Nahen wieder schleunigst hinter den Hügel auf den Boden geworfen hatte, vorsichtig durch ein paar Gräser hindurch nach unten zu spähen.

Es war ein alter Bus, den er schon einmal bei einem seiner früheren „offiziellen“ Schrottplatzbesuche gesehen hatte, der jetzt dort unten stand. Die zwei Wachen, die er auch schon kannte, stiegen gerade aus. Der Dünne verließ den Bus auf der Fahrerseite und er trug neuerdings einen weißen Verband an seinem linken Bein, was Peter wegen dessen kurzbeiniger Hose deutlich sehen konnte. Auf der anderen Seite stieg als zweiter der Dicke mit dem fehlenden Daumen aus. Peter sah, dass sich einige Männer aus dem Lager hinter dem Tor versammelt hatten und mit grimmigen Mienen zu ihren Bewachern hinüberschauten.

Es waren überwiegend die älteren und gebrechlichen Männer, die sich hier versammelt hatten, und Peter wunderte sich sehr, dass sich Frauen und Kinder offenbar versteckt hielten. Er suchte Gabriel vergeblich unter den Männern.

Der Dicke schloss jetzt das Tor auf und schob es so weit vor, dass ein ausgewachsener Mann gerade hindurchpasste. Dann stellten sich die beiden Männer mit ihren Gewehren im Anschlag daneben breitbeinig auf und schrien mit barschem Befehlston irgendetwas zu der Bustür hinüber. Zuerst noch zögerlich erschien ein dunkelhäutiger Mann an der Tür und trat dann langsam ganz nach draußen. Er wirkte erschöpft, seine Kleidung war ziemlich verschmutzt und Peter sah deutlich, dass er grauen Staub in seinen Haaren hatte. Ein weiterer Mann folgte und noch einer und noch einer und … Der Dicke stieß dem Vorderen jetzt unsanft seinen Gewehrlauf in die Seite, woraufhin der Dünne wie irre zu kichern begann und sich nur allmählich wieder beruhigte. Hinter dem Zaun raunten die Versammelten und einige hoben zornig ihre Fäuste.

Trotzdem drängte der Dicke die Gefangenen weiterhin laut fluchend durch das Tor hindurch ins Lager zu den anderen. 125 Gabriel hatte gerade eben noch seine Blätter einsammeln können, da sprang der andere Junge auch schon von seinem Stuhl auf, eilte um den Tisch herum und zog ihn aufgebracht am Arm zum Fenster hinüber. Erst jetzt fiel ihm auf, dass er von irgendwo draußen einen Motor hörte! Und im selben Moment stürmten zwei kleinere Kinder in den Wohncontainer hinein und rannten gleich neugierig zu Gabriel ans Fenster. Ihnen folgten eilig zwei Frauen, die Gabriel und den anderen Jungen überhaupt nicht beachteten, sondern sich auf die beiden unteren Betten setzten und ungeduldig nach ihren Kindern riefen.

Gabriel und der andere Junge blickten nach draußen, aber viel war dort leider nicht zu sehen. Trotzdem wunderte er sich, als er sah, dass die Männer ihren kreisrunden Platz verlassen hatten und in Richtung Tor eilten. ‚Was da wohl los ist?‘, fragte er sich und wollte am liebsten raus und selbst nachsehen. Doch zu seiner Verblüffung hielt ihn der Junge mit sorgenvoller Miene am Arm zurück, als wenn er seine Absicht geahnt hätte. Er redete dabei eindringlich auf Gabriel ein und dem schwante, dass er besser dort bleiben sollte, wo er augenblicklich war. Also klopfte er seinem neuen Freund dankbar auf den Arm und grinste freundlich.

„Iiich bleibeee hiiier!“, sagte er zu ihm und zeigte mit dem Finger auf sich, dann auf den Boden, wieder auf sich und dann wieder auf den Boden. Das tat seine Wirkung, denn der Junge lächelte zufrieden und ließ sichtlich beruhigt Gabriels Arm los.

Die beiden Frauen, die ihre Kinder mittlerweile eng an sich drückten, starrten Gabriel nur wortlos an und er fühlte sich irgendwie unwohl dabei. „Iiich geeehe jeeetzt zur Tüüür, mal nachsehen. Nuuur mal nachsehen“, erklärte er ernst und mit einem Ton, als hätte er es mit einem hochgradig Schwachsinnigen zu tun. Der Andere hörte ihm aufmerksam zu, als könne er tatsächlich jedes Wort verstehen. Deshalb bewegte Gabriel sich nun langsam auf die Tür zu, doch jetzt begriff der andere Junge, sprang hinzu und fasste wieder nach seinem Arm. Diesmal hielt er ihn aber nicht auf, sondern schloss sich ihm an und begleitete ihn bis zu der Tür, wo er ihn dann doch wieder zurückhielt, entschlossen, ihn nicht nach draußen gehen zu lassen. Gabriel steckte vorsichtig den Kopf aus dem Türrahmen und spähte soweit es ging um die Ecke und dort sah er mehr, als er erhofft hatte! Das Grüppchen Männer hatte sich direkt hinter dem Tor versammelt, das ein Stück geöffnet war. Aus einem alten, klapprigen Bus stiegen gerade ein paar Männer aus, die offenbar zum Lager gehörten. Die zwei Wachen passten vor dem Tor darauf auf, dass niemand floh. Er hatte genug gesehen und zog den Kopf schnell wieder ein. ‚Was hat das alles nur zu bedeuten?‘, fragte er sich. Der Andere sah ihn ernst an, dann nickte er ihm freundlich zu und wies auf die Blätter, die zusammengeknüllt in Gabriels vorderer Hosentasche steckten. Er sagte etwas und Gabriel ahnte, dass er ihm etwas Nettes sagen wollte. Also antwortete er:

„Ich heiße Gaaabrieeel.“ Er tippte sich mit dem Finger auf die Brust. „Heiße Gaaabrieeel“, betonte er noch einmal extra langsam und der Andere grinste.

„Heiße Gabriel“, wiederholte er mit glücklichem Lächeln und tippte nun seinerseits auf seine eigene Brust. Dazu sagte er irgendetwas, was Gabriel beim besten Willen nicht verstand, geschweige denn vollständig wiedergeben konnte. Der Junge ließ endlich seinen Arm los und wiederholte noch einmal langsam die Worte, doch wieder verstand Gabriel zu wenig und konnte sich nur ein paar Laute merken.

„Okay“, sagte er deshalb ungeduldig. „Ich mache mich dann mal lieber vom Acker.“ Der Andere zuckte mit den Schultern. Gabriel drückte ihm kurz die Hand, zeigte zu seinem Fluchtweg am Zaun und trat entschlossen aus der Tür. Er bog gleich nach rechts ab, lief um den Container herum zu der Stelle am Zaun, an der sich die Kuhle befand, und blickte sich noch einmal um.

Der andere Junge befand sich direkt hinter ihm und strahlte ihn an. Und knapp an ihm vorbei konnte Gabriel weiter hinten erkennen, dass sich gerade das Tor schloss und sich die kleine Menschenmenge im Lager verteilte. Noch war es nicht zu spät, hier zu verschwinden! Er bückte sich schnell und zwängte sich unter dem Zaun hindurch. Eine Hand tastete nach ihm, Gabriel ergriff sie und drückte sie fest, bevor er sie wieder losließ, sich aufrappelte und auf der anderen Seite des Zauns schnell ins hohe Gras flüchtete. Die Wachen schienen nichts von seiner Flucht bemerkt zu haben und Peter, der Gabriels Rückzug gespannt verfolgte, fiel ein Stein vom Herzen.

Er empfing ihn ungeduldig am Fuß des kleinen Hügels und legte sofort los:

„Was war denn da los? Was hast du dir eigentlich dabei gedacht, im Container zu verschwinden, während ich hier draußen auf dich warten muss?“, fragte er ihn empört, doch Gabriel antwortete ganz unbekümmert:

„Ja, ja, Peter. Stell dir vor“, er zog die Blätter aus der Hosentasche, setzte sich auf den Boden und strich sie auf seinem Oberschenkel glatt, „ich habe, was wir brauchen.“ Er schaute frohlockend zu ihm hoch und reichte die zwei mit Bleistift beschriebenen Ausdrucke zu Peter hinauf. Der steckte die Steinschleuder in die Hosentasche und nahm dann die Papiere entgegen.

Er ließ sich langsam neben ihm nieder.

„Das ist ja ein Ding!“ Er überflog die beiden Seiten. Auf dem hinteren Blatt stand die Bleistiftnotiz der Landessprache, in die der Computer den deutschen Text übersetzt hatte: „Nambesia“.

„Das ist Nambesianisch, Gabriel!“

„Ja, ist das nicht toll?“ Gabriel grinste ihn an und Peter nickte zufrieden.

„Das heißt, unsere Leute aus dem Containerdorf sind wahrscheinlich alle aus Nambesia“, stellte er fest und verscheuchte eine lästige Fliege mit den beiden Blättern.

„Ist mitten in Afrika, glaube ich“, sagte Gabriel ehrfurchtsvoll.

„Dort gibt es unendliche Schätze und Reichtümer, wie sie sich niemand vorstellen kann! Und das Land ist so FURCHTBAR wie das Paradies …“, fuhr er in übertrieben schwärmerischem Ton weiter fort, doch Peter stupste ihn unsanft in die Seite und unterbrach ihn:

„Jetzt erzähl doch keinen Mist! Das ist doch Blödsinn! Außerdem heißt das FRUCHTBAR und nicht FURCHTBAR!“ Gabriel kicherte.

„Na und? Aber du hast natürlich recht. Ist alles nur Quatsch.

Meine Mutter hat mir oft, als ich noch klein war, Märchen aus Tausend-und-einer-Nacht vorgelesen und in einem hieß es genauso“, er zögerte, „oder so ähnlich.“ Peter blickte ihn nachdenklich an.

„Na toll, Gabriel!“ Dann fuhr er in genervtem Ton weiter fort:

„Könnten wir jetzt vielleicht mal endlich nach Hause gehen?!

Ich würde jetzt wirklich gerne mal wissen, was der Computer dazu zu sagen hat.“ Er wedelte mit den Blättern provozierend vor Gabriels Nase herum und der stand lachend auf. Dabei stopfte er sich die übrigen, unbenutzten Übersetzungen wieder in seine Hosentasche und sah Peter dabei zu, wie er die beiden wichtigen Blätter ordentlich zusammenfaltete, bevor sie in dessen Gesäßtasche verschwanden. Die beiden machten sich auf den Rückweg und währenddessen erzählte Gabriel seinen Teil der Geschichte von der „anderen Seite“ und von dem „anderen Jungen“, der ihm die Antworten angefertigt hatte. Peter informierte ihn seinerseits über die Ankunft des Busses. Es dämmerte schon, als die beiden bei Peters Zuhause eintrafen und besorgt blickte er im Hausflur auf seine Armbanduhr.

„Willst du zum Abendessen bleiben, Gabriel?“, fragte er.

„Nö“, antwortete sein Freund, „aber ich möchte unbedingt noch wissen, was auf den Blättern steht.“ Peters Eltern waren in der Wohnung, als die beiden eintrafen, und nachdem sie „brav“ ihre Schuhe abgestriffen hatten, delegierte Peter Gabriel zuerst ins Bad, wo sich beide diesmal ordentlich die Hände wuschen. Peter musste dann doch grinsen, als er sah, wie von Gabriels dunkelbraunen Händen, die allerdings normalerweise an den Innenseiten viel heller waren, genauso eine schwarze, schmutzige Brühe runterlief wie von seinen eigenen.

„Wenn ich du wäre, würde ich mich kaum noch waschen, weil das doch eh keiner merkt“, sagte er grinsend.

„Hast du eine Ahnung!“, antwortete Gabriel. Peter reichte ihm das Handtuch weiter. „Meine Mutter sieht das ganz genau und die sieht sogar in meinem Gesicht, wenn ich nicht die Wahrheit sage! Und krank machen kann ich auch nicht, ohne wirklich krank zu sein, weil sie immer sagt, ich wäre weiß wie eine Wand, wenn ich tatsächlich krank bin“, jammerte er. „Also bringt mir das überhaupt nichts.“

„Ja, das ist wirklich schade“, antwortete Peter, aber in Gedanken war er schon wieder bei den fehlenden Übersetzungen und konnte es kaum abwarten, den Rechner zu starten. Dabei fiel Peter auf, dass ihm Gabriel gar nicht den Namen des Jungen genannt hatte und fragte ihn nun danach.

„Ja, äh, er heißt …“, er nuschelte plötzlich und wurde deutlich leiser, „… Bahia Bumbi Kiwi Sepptro“, eine winzige Pause, „oder so ähnlich.“ Gabriel zuckte ratlos mit den Achseln und schien mit seiner eigenen Antwort nicht ganz glücklich.

„Bahia Bumbi, klingt, äh, klingt sehr interessant“, meinte Peter und entschied, nicht noch einmal zu fragen, aber seinem Gesichtsausdruck nach war klar zu erkennen, wie er darüber dachte.

Es war eine große Anstrengung, die vielen Antworten des Jungen aus dem Lager online in das Übersetzungsprogram einzutragen.

Da beide Jungs mit den für sie sehr schwierigen nambesianischen Worten so ihre Schwierigkeiten hatten, einigten sie sich darauf, dass Gabriel Buchstabe für Buchstabe vorlas und Peter mit einem Finger suchend auf der Tastatur Buchstabe für Buchstabe in den Rechner eintippte. Das ging in einem so „rasanten“ Tempo, dass die Mutter, bis zur Vollendung, zweimal den Kopf ins Zimmer steckte und zweimal nachfragte, ob sie ihnen außer etwas zu trinken vielleicht das Abendessen hereinbringen sollte: ausnahmsweise, wenn es denn so wichtig wäre, was sie noch zu erledigen hätten, aber die beiden winkten ganz entschieden ab.

Am Ende ächzte Peter erleichtert auf.

„Geschafft!“ Und Gabriel meinte, dass er in seinem ganzen Leben noch nie so viel gelesen hätte. Er fuhr mit toternster Miene fort, dass er glaube, seine Lippen wären von diesem enormen Verschleiß schon halb taub.

„Meinst du denn, dass das wieder wird?“, fragte er Peter besorgt.

Der sah ihn an, als wäre er nicht ganz richtig und wandte sich schleunigst wieder, irgendetwas leise vor sich hin mur131 melnd, seiner Arbeit zu. Er kopierte jeweils den übersetzten Text und fügte ihn dann unter den Fragesätzen wieder ein: das dauerte!

Schlussendlich klickte er zuerst (vorsichtshalber) auf „Speichern“ und dann auf „Drucken“, woraufhin das Gerät die neu überarbeiteten Seiten ausdruckte. Es war noch so viel Platz auf den Seiten frei gewesen, dass der Drucker jetzt auch wieder nur zwei Seiten ausdruckte. Peter nahm sie heraus und begann feierlich vorzulesen:

„Woher kommen Sie? Aus die Georgia in Nambesia.“ Peter stieß einen langgezogenen Pfiff aus:

„Also kommt er sogar aus der Hauptstadt!“ Er hatte im Fernsehen erst kürzlich einen Bericht über den Diktator und seinen riesigen Palast im Herzen von Georgia gesehen. „Echt krass!“, meinte er und las weiter:

„Was wollen Sie hier? Wohnen hier bei gut Mensch.

Was machen Sie hier? Warten nach gehen Arbeit.

Wo wollen Sie hin? Wollen eigenes Haus und Auto, egal.

Kann ich Ihnen helfen? Weiß nicht. Dürfen Sie hier raus? Nein, nicht gehen raus!“ Gabriel hatte Peter nicht unterbrechen wollen und warf jetzt ein:

„Das sind aber komische Antworten!“, bemerkte er enttäuscht.

„Das ist aber oft so. Mein Vater hat mir das genau erklärt. Leider funktionieren ganze Sätze nicht so gut, weil diese Programme zuerst nur Wort für Wort übersetzen, ohne den Sinn des ganzen Satzes zu kennen. Nur wenn es gute Programme sind, fügen sie sie in der anderen Sprache wieder entsprechend neu zusammen: sinngemäß.“

„Verstehe ich nicht“, antwortete Gabriel.

„Mann, Gabriel, das ist doch ganz einfach! Stell dir doch mal vor, der Computer sollte für dich Wort für Wort übersetzen:

DA KRIEGE ICH EINEN FÖN! Man könnte auch sagen:

einen Affen!“ Gabriel zuckte betont gelangweilt mit den Achseln.

„Ja, und?“ Langsam wurde es Peter zu bunt:

„Mann, Gabriel, denk doch mal mit! Also zuallererst einmal hat das Programm ein Problem mit ‚Kriege‘: Das könnte ja auch von ‚Krieg‘ kommen und nicht nur von ‚bekommen‘. Und wenn es das richtig hinbekommen hat, wird das Programm versuchen, einen Satz daraus zu machen, in dem in der anderen Sprache steht: Ich bekomme einen Fön! Klingelt es bei dir?“ Er sah seinen Freund erwartungsvoll an und kaute dabei nervös auf seinem Bleistift herum.

„Ja!“ Gabriel grinste siegessicher: „Du hast nasse Haare!“ Peter klatschte sich mit der Hand vor die Stirn.

„Oh Mann! Ich lese jetzt lieber weiter, ja?“ Gabriel grinste noch immer. „Ja, Peter, mach das. Sonst kriege ich noch einen Fön!“ ‚Dass er mich aber auch immer so foppen muss‘, dachte Peter verärgert und begann:

„Hält man Sie hier gefangen? Nein, nur Schutz andere Leute.

Haben Sie etwas verbrochen? Nein, alle hier gesund, nicht krank.

Warum laufen Sie nicht weg? Warum laufen? Wohnen in Dorf für afrikanische Leute.

Brauchen Sie Hilfe? Lange warten Erlaubnis, nicht helfen.

Woher bekommen Sie Essen und Trinken? Männer arbeiten viel.

Gehören Sie alle zusammen? Immer Mann, Frau, manchmal Kind.

Sind die Wachen auch in der Nacht da? Alle schlafen in der Nacht.

Wo ist der Hund? Weiß nicht, weg, Schuss gehört!

Wir kommen in Frieden!

Weiß nicht. Wie ist Ihr Name? Mein Name ist Baakir Burahimu Kiwanika Sebuturo.“ Peter blickte kurz auf und sah Gabriel mit einer hochgezogenen Augenbraue fragend an. Für diesen Blick hatte er lange geübt und er verfehlte nie seine Wirkung! Gabriel blickte weg und inspizierte ausgiebig einen kleinen Kratzer am linken Unterarm.

Also fuhr Peter fort:

„Baakir Burahimu Kiwanika Sebuturo“, betonte er extra laut.

„Mein Freund wartet draußen.

Ja, ich bin drinnen, mein Freund.

Wir wohnen in der Nähe.

Weiß nicht.“ Das war’s. Peter war insgesamt mindestens genauso enttäuscht wie Gabriel. Er legte die beiden Blätter auf den Tisch.

„Tja, ich muss dann mal“, meldete sich Gabriel und klatschte in die Hände. „Ich muss jetzt wirklich schnell nach Hause, bevor sich meine Mutter doch noch sorgt. Sehen wir uns morgen wieder, Peter?“ Was für eine Frage, natürlich würden sie sich morgen wiedersehen.

„Soll ich mal bei dir vorbeikommen?“, fragte er Gabriel, der gar nicht schnell genug abwinken konnte.

„Nein, nein! Auf gar keinen Fall!“, beeilte er sich mit der Antwort.

„Bei uns würde es dir wirklich nicht gefallen, da bin ich mir ganz sicher.“ Er lächelte etwas unglücklich und Peter verstand. „Okay, ein anderes Mal.“ Sie verabredeten sich für den nächsten Morgen um 10.00 Uhr und Peter begleitete seinen Freund noch bis zur Haustür, wo sie sich mit Handschlag verabschiedeten.

Er hatte mittlerweile ordentlichen Hunger und war heilfroh, endlich zu Abendessen zu können. Danach würde er noch einmal die beiden Ausdrucke überarbeiten und schauen, ob man nicht mehr rausholen konnte aus den übersetzten Antworten.

 

7

 

Höchste Zeit

 

Die beiden Elitesoldaten waren absolut geräuschlos in das Schlafzimmer ihrer Zielperson eingedrungen. Frank und Theo hatten zuvor noch ihre Funkgeräte abgeschaltet und waren dann behutsam in das Zimmer hineingeschlichen. Theo blieb direkt hinter der Tür, an der Wand zurück und schien mit dieser regelrecht zu verschmelzen. Frank schlich langsam weiter, Zentimeter für Zentimeter wagte er sich näher an das Bett heran, das mittig im Zimmer stand. Dank des Nachtsichtgeräts bewegte er sich so geschmeidig im Raum wie eine Katze und beugte sich lautlos über den Schlafenden. Er schob vorsichtig das Moskitonetz beiseite. Franks Puls hatte sich wieder vollkommen normalisiert. Er war wieder ganz der eiskalte Profi. Der ahnungslose Schläfer lag laut schnarchend auf dem Rücken. Es war so weit. Frank warf sich über ihn, presste eine Hand auf seinen Mund und hielt ihm mit der anderen das Messer fest an die Kehle. Gleichzeitig stemmte er sein Knie auf dessen Oberkörper und drückte mit seinem ganzen Körpergewicht nach.

Der Mann wachte blitzartig auf. Er rang zunächst verzweifelt nach Luft und versuchte, mit den Händen den Mund frei zu bekommen. Dabei zappelte er wie ein Aal um sein Leben. In der Dunkelheit konnte er im Gegensatz zu Frank kaum etwas erkennen und seine Hände versuchten immer wieder, verzweifelt nach ihm zu schlagen. Dann schien er den zunehmenden Druck an seiner Kehle zu bemerken und wurde schlagartig ruhiger.

Frank lockerte nun den Druck auf seinem Mund. Heftig atmend, keuchend, hörte der Mann auf, nach seinem Angreifer zu schlagen, aber das Messer an seiner Kehle blieb genau da, wo es war. Frank flüsterte:

„Einen Mucks, nur den geringsten Laut und ich bringe dich um!

Wenn du mich verstanden hast, schließt du einmal langsam deine Augen und öffnest sie wieder: jetzt!“ Die Augen seines Opfers schlossen sich und öffneten sich langsam. „Schön, dass wir uns so gut verstehen, mein Freund. Bist du Hannes von Eberdingen? Wenn ja, Augen zu, Augen auf!“ Wieder schlossen sie sich und öffneten sich. „Ich werde dich jetzt fesseln! Wenn du folgst, passiert dir nichts. Zwei meiner Leute zielen mit Gewehren auf die Stelle, wo dein Gehirn sitzen sollte, also keinen Mucks, verstanden!“ Er wartete gar nicht erst ab, ob sich die Augen schlossen oder nicht, zog das Messer langsam zurück und schob es in die Scheide. Stattdessen zückte er mit geübtem Handgriff blitzschnell wie ein Revolverheld seine Automatikpistole aus dem Schulterhalfter und drückte den Lauf genau auf die Stirn von von Eberdingen, der bei dieser Berührung noch tiefer in sein Kissen einsank.

„Einen Mucks, nur einen, und es wird mir eine Freude sein!“, zischte Frank. Dann drückte er seinem Opfer, das sich nur widerwillig auf den Bauch drehen wollte, kräftig in die Seite, um der Sache etwas Nachdruck zu verleihen, woraufhin er endlich gehorchte und sogar beide Hände nach hinten ausstreckte. Frank fesselte ihm mit zwei über Kreuz stramm zugezogenen Kabelbindern die Hände zusammen und zerrte probeweise an den Ar137 men, sodass der Gefesselte wehklagend aufstöhnte. Zufrieden schob er seine Waffe zurück in den Halfter und zog wieder sein Messer aus der Scheide. Dann schlitzte er zwei breite Streifen Stoff aus dem Bettlaken. Er knüllte einen zusammen und noch ehe von Eberdingen so recht merkte, wie ihm geschah, stopfte Frank ihm diesen auch schon als Knebel in den Mund und schlang den anderen Streifen um Mund und Kopf, wobei er ihn hinten noch fest zusammenknotete. „Umdrehen!“, kommandierte er, trat ein Stückchen zurück, steckte sein Messer weg und zückte wieder die Pistole. Jetzt schaltete er sein Funkgerät wieder ein und gab Theo, der nach wie vor reglos auf seinem Posten verharrte, ein Zeichen, seins auch einzuschalten.

„… Position! Ich wiederhole: alle Objekte auf Position!“, kam klar und deutlich aus seinen Ohrstöpseln. Es wurde höchste Zeit, Tom zu benachrichtigen.

„Paket verschnürt, over!“ Frank wandte sich mit leiser Stimme an Hannes von Eberdingen: „Nun zu dir, mein Freund. Wenn alles nach Plan läuft, wird dir nichts geschehen. Machst du Zicken, versuchst du zu fliehen oder rufst du auch nur um Hilfe, bist du ein toter Mann! Hast du das verstanden?“ Er hatte verstanden.

„Gut! Also machen wir uns jetzt auf zum Rückzug und vergiss nicht: eine falsche Bewegung, einen Mucks, und du bist tot!“ Er half ihm auf. Hannes von Eberdingen war lediglich mit T-Shirt und Shorts bekleidet. ‚Daran hat keiner gedacht und mir kann es auch egal sein‘, dachte Frank. ‚Auf dieser Party gibt es keine Kleidervorschriften, soll er ruhig halb nackt bleiben und sich was abfrieren!‘ Draußen musste es mittlerweile unangenehm kühl sein, zumindest außerhalb der Stadt. Er schob ihn im Dunkeln vor sich her und steuerte auf die Tür zu. Theo löste sich von der Wand. Der Gefesselte erschrak und zuckte zu138 sammen. Dann öffnete Theo vorsichtig die Tür und spähte in den Flur hinaus. Alles war ruhig und dunkel.

„Alle Objekte auf Position!“, drang es beruhigend aus den Stöpseln.

„Okay, los!“, flüsterte Theo und Frank stieß seinen Gefangenen voran. Sie eilten jetzt so schnell es nur ging den Flur entlang bis zum Treppenhaus, wo sie an der Ecke erst einmal anhielten und sich mit Hannes von Eberdingen in ihrer Mitte dicht an die Wand pressten. „Nachtsichtgerät runter, Theo!“, flüsterte Frank und passte auf, dass sich Theo außerdem noch das Maschinengewehr des toten Soldaten griff, das er an der Wand zurückgelassen hatte. Tom verkündete über Funk, dass der Weg frei wäre, und kaum hatte er das ausgesprochen, stieß Frank den Gefangenen auch schon zur Eile an. Sie kamen ohne Zwischenfall die Treppe herunter und konnten unbehelligt den ganzen hell ausgeleuchteten Flur entlanglaufen, bis zur Küchentür. Dann eilten sie einmal quer durch die Küche und hier stieß der Gefangene plötzlich gegen ein Regal, dessen Inhalt laut schepperte.

Die Männer verharrten wie versteinert auf der Stelle und von Eberdingen wagte noch nicht einmal mit der Wimper zu zucken, weil Frank seine Waffe direkt an dessen Stirn hielt. Doch im Haus bleib es weiterhin ruhig. „Los!“, zischte Frank wütend und trieb seinen Gefangenen vor sich her, den letzten Flur entlang bis zu der rückwärtigen Tür. Die ganze Operation klappte viel besser, als Frank es sich gedacht hatte. Theo, mit dem Maschinengewehr des toten Soldaten im Anschlag, kramte mit der freien Hand in seiner Brusttasche nach dem Schlüssel und öffnete vorsichtig die Tür nach draußen. Wieder konnten Toms Funkdurchsagen die beiden Freunde beruhigen. Nach einer kurzen Pause stürmten Frank und sein Gefangener zuerst hinaus und so schnell es nur ging über das offene Terrain hinüber zu der Stelle an der Mauer, an der Frank und Theo zuvor drübergeklettert waren. Er schubste seinen Gefangenen hinter den Busch und kauerte sich neben ihn. Die Pistole hielt er ihm jetzt direkt ans Ohr. Frank war davon überzeugt, dass sein Gefangener sich hier noch einmal zur Wehr setzen würde, weil er glauben musste, dass dies vielleicht seine allerletzte Chance zur Flucht wäre. Es galt, nun noch einmal besonders wachsam zu sein!

Endlich traf Theo ein und Frank zerrte von Eberdingen aus seinem Versteck heraus.

„So“, flüsterte er ihm ins Ohr, „ich werde zuerst über die Mauer klettern, dann folgst du! Der da“, er wies auf Theo, der gerade das Magazin aus dem Maschinengewehr entfernte und es in ein nahes Blumenbeet warf, „wird solange auf dich achtgeben, und dann ich, von der anderen Seite! Du weißt Bescheid: ein Mucks und aus ist es mit dir, was es mir persönlich wesentlich leichter machen würde!“, endete er und dachte: ‚Im wahrsten Sinne des Wortes!‘ Theo legte das Maschinengewehr in den Busch zu den anderen Sachen, die sie hier zurückgelassen hatten.

Eigentlich hatte er es mit Schwung irgendwohin werfen wollen, doch das wäre viel zu laut gewesen.

Bevor sich Frank wieder mit Hannes von Eberdingen beschäftigte, hielt er plötzlich sein Messer in der Hand, sodass der Gefangene es sehen konnte. Er zuckte zurück.

„So, ich werde dich jetzt zuerst von den Kabelbindern befreien und dir dann sofort wieder die Arme vorne zusammenbinden.

Hast du das verstanden?“ Der Andere nickte und Frank drehte ihn so, dass er besser an die Kabelbinder herankam. Sein Messer durchtrennte den Kunststoff wie Papier und Hannes von Eberdingen bemerkte im selben Augenblick, als ihm die Klinge ein wenig in die Haut einschnitt, den unangenehmen Druck eines Pistolenlaufs im Genick. Er zuckte wieder merklich zusammen, aber er blieb auch genau da, wo er war, und streckte brav seine Hände nach vorn. Kaum waren die neuen Kabelbinder wieder drum, zwang Frank ihn, sich erneut mit dem Gesicht zur Mauer umzudrehen und schlug ihn mit einem kräftigen Hieb des Pistolengriffs knapp über dem Ohr gegen den Schädel.

Wie ein gefällter Baum stürzte von Eberdingen zu Boden und blieb bewegungslos liegen.

„Tut mir ja echt leid“, entschuldigte sich Frank leise flüsternd bei dem Bewusstlosen, „aber ich habe gelogen! Der Plan wurde zu unserer Sicherheit kurzfristig abgeändert.“ Theo neben ihm meldete sich auch zu Wort:

„Mir tut’s nicht leid, nicht ein bisschen!“

„Ach komm schon, Theo“, antwortete Frank und vergaß nicht, weiterhin auf den Bewusstlosen zu zielen. „Bitte schnapp dir jetzt die Leiter aus meinem Rucksack.“ Theo griff tief in den Busch hinein und zog den Rucksack von Frank heraus. Er öffnete den Reißverschluss und entnahm ihm ein schwarz lackiertes Aluminiumteleskopgestell.

Mit wenigen Handgriffen baute er daraus die Leiter zusammen und lehnte sie anschließend an die Mauer. Die Konstruktion war immerhin 1,80 m lang und sollte laut Hersteller bis zu 170 kg tragen. ‚Das wird ziemlich knapp‘, überlegte Frank und kletterte als Erster nach oben. Theo reichte ihm seinen Rucksack hinauf. Es folgte noch der eigene, dann die beiden Helme, Franks Scharfschützengewehr und zuletzt hob er ihm auch noch seine eigene Maschinenpistole entgegen. Das entladene Maschinengewehr des toten Soldaten ließen sie zurück. Dann hievte er unter leisem Fluchen den Bewusstlosen hoch. Es war ein gewaltiger Kraftakt, aber es gelang ihm, zwischen den Armen von Hannes von Eberdingen durchzutauchen und ihn sich wie einen nassen Sack über den Rücken zu hängen. Und jetzt war auch klar, warum Frank ihm die Arme nach vorne zusammengebunden hatte.

Theo wagte sich vorsichtig an den Aufstieg. Frank sicherte mit gezückter Pistole die Umgebung. Die Leiter schrabbte an der Mauer, es schaute zunächst so aus, als rutsche sie seitlich ab und die Sprossen bogen sich gefährlich weit durch, doch dann gelang es Theo, Stückchen für Stückchen weiter hinaufzukommen. Und kaum dass Frank den Bewusstlosen mit den Händen erreichen konnte, steckte er seine Pistole weg und packte kräftig mit an.

So ging es deutlich besser. Nach einer weiteren, gewaltigen Anstrengung, bei der irgendetwas leise knackte, landete Hannes von Eberdingen mehr oder weniger unsanft hinter der Mauer auf der Straße neben dem ganzen Gepäck. Frank wischte sich den Schweiß von der Stirn und dann folgte er ihm durch einen gewagten Sprung in die Tiefe. Unten rollte er sich perfekt ab, hockte sich schnell neben von Eberdingen und spähte die Straße rauf und runter, die Pistole hielt er schussbereit in der Hand.

Unterdessen holte Theo, oben auf der Mauer, zunächst noch die Leiter ein und ließ sie auf der anderen Seite wieder vorsichtig herunter. Dann kletterte er in aller Ruhe und gemütlich nach unten. Es wurde allmählich hell. Wie viel Uhr es wohl war? Frank blickte auf seine Armbanduhr und sah bestürzt, dass deren Glas zerbrochen war und die Zeiger verbogen waren.

Wahrscheinlich war das beim Runterlassen seines Gefangenen passiert, eingeklemmt zwischen dem Körper von von Eberdingen und dem Gestein der Mauer. Er beugte sich näher herab zu der auffällig großen, geradezu klobig wirkenden Uhr des Bewusstlosen, dessen Augen noch immer geschlossen waren. Irgendetwas störte ihn, doch er vermochte nicht zu sagen, was es war. Theo gesellte sich jetzt zu ihm und bot ihm einen Schluck Iso-Drink aus einer Aluflasche an.

„Danke, mein Freund.“ In aller Hast stürzte er das herrlich erfrischend wirkende Getränk herunter und streckte ihm dann dankend die Flasche entgegen. Theo verstaute sie gleich wieder in seinen Rucksack und holte bei der Gelegenheit noch zwei breite Spanngurte aus Franks Rucksack. Die beiden erhoben sich leise ächzend, besprachen sich mit ein paar Worten und legten dann die Leiter längs auf den Boden. Sie schoben die beiden Spanngurte darunter und zogen dann erst einmal ihre Masken aus, die sie in den Taschen ihrer Uniformen verstauten.

Dann schulterten sie ihre Rucksäcke und setzten sich wieder ihre Stahlhelme auf. Theo hängte sich seine Maschinenpistole quer vor die Brust und Frank sein Scharfschützengewehr über die Schulter. Dann hoben sie gemeinsam von Eberdingen hoch, der noch immer keinen einzigen Finger rührte, und legten ihn der Länge nach auf die Leiter. Höchst zufrieden mit dessen äußerst unbequemen Lage grinste Theo, dachte vergnügt an die vielen blauen Flecke, die sich der Eberdingen noch während ihrer Reise zuziehen würde und machte sich daran, die zwei Spanngurte um Brust und Leiter und Oberschenkel und Leiter zu spannen. Jetzt aber kam der Clou der ganzen Operation!

Frank wandte Theo den Rücken zu, damit er besser an seinen Rucksack herankam und der kramte daraufhin nach zwei weißen Armbinden und zwei größeren, selbsthaftenden Exemplaren für den Rücken. Er warf Frank eine der Armbinden zu und legte sich seine um den linken Oberarm, sodass das große rote Kreuz gut zu sehen war.

Frank brauchte etwas länger, um die eigene Binde anzulegen, die ihn damit unverwechselbar als Sanitäter markierte, und merkte gar nicht, dass Theo ihm schon eines der beiden Rü143 ckenteile auf den Rucksack hinten drauf pappte, um die Täuschung vollkommen zu machen. Dann drückte ihm Theo sein Exemplar in die Hand und drehte sich um.

„Mach mal bitte auf meinen Rucksack drauf, ja?“, bat er ihn.

„Soll ich ihm denn noch schnell eins auf die Nase hauen, damit es wirklich echt aussieht?“, flüsterte Theo voll Vorfreude, doch Frank schüttelte ganz entschieden den Kopf und zeigte ihm mit dem Finger ein Vögelchen.

„Jetzt reicht’s aber, Theo! Los, heb ihn hoch!“ Enttäuscht wandte er sich wieder um, bückte sich und die beiden hoben ihren Gefangenen hoch, der fest verschnürt auf der improvisierten Trage lag. Nur der Knebel wirkte etwas deplatziert.

Sie brachen jetzt endlich auf. Es wurde allerhöchste Zeit und daran erinnerte sie auch Toms Stimme, der über Funk durchgab, dass die kleine Stadt allmählich aus ihrem nächtlichen Schlaf erwachte.

 

 

Der Schrei

 

Peter hatte sich gleich nach dem Abendessen wieder an den Computer gesetzt und die Blätter noch einmal intensiv studiert.

Die Antworten, so überlegte er, konnten an für sich nicht gänzlich falsch sein. Wenn man einmal die Grammatik vergaß und alles im großen Zusammenhang sah … Er brütete fast noch eine ganze Stunde über den Fragen und Antworten nach, doch am Ende war er so weit und schrieb seine Bleistiftnotizen noch einmal ins Reine und druckte die beiden Seiten neu aus. ‚Ich bin mal gespannt, was Gabriel morgen davon halten wird‘, freute er sich, legte die Blätter neben die Tastatur und schaltete den Computer ab. Im Wohnzimmer schauten Vater und Mutter einträchtig Arm in Arm Fernsehen und Peter setzte sich noch ein paar Minuten dazu. Es liefen gerade die regionalen Nachrichten und der Vater schaltete den Ton etwas herunter.

„Und wie war dein Tag heute so, Sohn?“, fragte er ihn und gähnte.

„Och, ganz okay.“

„Das ist gut. Ich freue mich, dass du einen neuen Freund hast, Peter.“ Die Mutter mischte sich ein:

„Wenn du magst, kannst du ihn für das nächste Wochenende fragen, ob er Lust hat, bei dir zu übernachten.“

„Danke, Mutti. Das ist eine gute Idee. Ich werde ihn gleich morgen fragen. Ich geh dann mal rüber in mein Zimmer.“ Er stand auf und die Mutter rief ihm noch hinterher:

„Aber nicht mehr so lange, ja!?“

„Jawohl!“, rief Peter zurück. Er war ziemlich erschöpft von dem aufregenden Tag, zog sich schon aus und schlüpfte in seinen Schlafanzug hinein. Dann ging er ins Bad, wusch sich und putzte sich die Zähne.

Als die Mutter irgendwann nach ihm sah, lag er im Bett und las in einem Comic.

„Schlaf gut, mein Schatz“, wünschte sie ihm und schaltete das große Zimmerlicht aus.

Peter kam nicht mehr sehr weit, denn schon nach ein paar Seiten knipste er todmüde sein Leselicht aus, um zu schlafen.

Am nächsten Morgen schlief Peter, bis die ersten Sonnenstrahlen seitlich durch die Jalousien auf sein Gesicht fielen. Erschrocken griff er nach seinem Wecker und sah im Display, dass es schon 10.30 Uhr war. So spät stand er gewöhnlich nicht auf, auch nicht an einem Samstag oder Sonntag. Er beeilte sich und stand fünf Minuten später komplett angezogen in der Küche, wo seine Mutter schon alles bereitgestellt hatte für ein Frühstück. Doch Peter griff sich nur hastig eins der Brötchen und schnappte sich einen Kakaopack aus dem Kühlschrank.

„Mutti!“, rief er laut, doch es meldete sich niemand. „Pappi!“ Wieder nichts. Also waren beide unterwegs. Er trank noch einmal hastig, biss in das letzte Stück Brötchen und stellte die fast leere Kakaoverpackung zurück auf den Tisch. Dann eilte er zum Computer, griff nach den beiden Ausdrucken und steckte sie in die rechte, hintere Tasche, denn in der linken steckte noch immer die Steinschleuder, wie er bei dieser Gelegenheit überrascht feststellte.

Und schon hetzte er zurück in den Flur, wo er in Windeseile in seine Schuhe stieg und vor lauter Hektik noch gar nicht ganz fertig war, als er auch schon die Wohnungstür zuzog. Dennoch vergaß er nicht, sie abzuschließen.

Gabriel wartete nicht auf ihn. Gleich, als er mit dem Fahrrad in die Hasenkaul einbog, stellte er das enttäuscht fest. Schon von Weitem sah er, dass beim Lattenzaun niemand herumstand und auf ihn wartete. Ausgepumpt und verschwitzt befestigte er sein Rad an der Laterne und kroch dann durch den Geheimeingang.

Er rannte den Pfad entlang zum Silotransporter, riss die Lkw- Plane beiseite, doch auch hier war keine Spur von seinem Freund zu entdecken. Nur die kleine LED-Laterne glomm schwach und einsam vor sich hin.

„So ein Mist!“, entfuhr es ihm, und er glaubte eine Art böse Vorahnung zu haben. Enttäuscht ließ er die Plane zurückfallen, drehte sich um und rannte den Pfad zum Hügel entlang. Und wieder fragte er sich, wo eigentlich der Bello abgeblieben war, der ihn sonst immer so freundlich begrüßte. Ob da wirklich etwas Schlimmes mit ihm passiert war? Dann kam er auch schon bei der kleinen Erhebung an und konnte gar nicht schnell genug hinauf, um nachzusehen, ob Gabriel sich eventuell unten im Lager aufhielt. Er riskierte einen vorsichtigen Blick durch die Grashalme hindurch nach unten. Im Lager selbst schien alles ruhig, alles vollkommen in Ordnung. Dort unten sah Peter ein paar spielende Kinder, die Männer gingen wie immer ihrem Steinspiel nach und ein paar Frauen waren wie gewöhnlich mit verschiedenen Aufgaben beschäftigt. Nichts deutete darauf hin, dass irgendetwas nicht stimmte, oder doch? Er hörte eines der Kinder rufen und mit heller Stimme laut auflachen und dachte sich, ob das vielleicht Baakir ist? Er kroch noch etwas höher, um ein kleines bisschen besser durch die Gräser hindurch nach unten ins Lager spähen zu können, doch so sehr er auch suchte: von Gabriel war absolut nichts zu sehen! Mutlos ließ er sich ein Stückchen zurückrutschen und setzte sich, um erst einmal in Ruhe nachzudenken. ‚Wenn Gabriel nicht dort unten …‘ Ein Schrei ließ ihn hochschrecken und aufhorchen. Das war der Schrei eines Jungen, und zwar nicht irgendeines Jungen! Das war die Stimme seines Freundes, da gab es kein Vertun! Peter hangelte sich wieder höher hinauf, um über die Kuppe nach unten sehen zu können und jetzt traf ihn fast der Schlag! Gabriel war überhaupt nicht im Lager, sondern sein Freund befand sich vor dem Lager! Bei den Wachleuten am Bauwagen sah er ihn, und das, was Peter dort beobachtete, sah nicht gerade so aus, als wäre Gabriel besonders glücklich über seinen augenblicklichen Aufenthalt.

Der Dicke mit dem fehlenden Daumen hielt ihn am TShirt fest und zerrte ihn ohne langes Federlesen gnadenlos in die Hütte hinein. Währenddessen wehrte sich Gabriel mit Fußtritten, Händen und Armen, wie ein kleiner Löwe, doch es nutzte alles nichts. Und dann, einen winzig kurzen Moment schien er Peter zu sehen. Ihre Blicke trafen sich und Peter spürte, wie er ihn stumm um Hilfe anrief. Dann waren die beiden im Bauwagen verschwunden und der Dünne mit der Bandage am Bein schloss hinter ihnen die Tür.

Was war da geschehen? Peter ließ sich resigniert ein Stückchen zurückrutschen, um von unten nicht gesehen zu werden. Er musste Gabriel dort rausholen. Aber wie und was hatten sie mit ihm vor? Peter biss sich auf die Unterlippe, riss sich zusammen und versuchte verzweifelt, sich zu konzentrieren. Er dachte fieberhaft nach. Zunächst musste er irgendwie feststellen, um was es hier überhaupt ging, warum man Gabriel festhielt! Also stand er auf, zog die Steinschleuder aus seiner Hosentasche und prüfte, ob er noch über genügend Munition verfügte. Erst dann machte er sich auf und eilte in einem großen Bogen um das Lager herum. Auf der Rückseite kam er, gut versteckt zwischen Gestrüpp, Büschen und hohen Gräsern, vorbei an der Stelle, wo bisher die Kuhle unter dem Zaun gewesen war. Aber stattdessen sah er, dass dort jetzt frische Erde verteilt war und nichts mehr darauf hinwies, dass man hier vor Kurzem noch drunter durchkriechen konnte. Peter beeilte sich, und so schnell es die Vorsicht zuließ, lief er geduckt weiter durch die Wiese, parallel am Zaun entlang und um die nächste Ecke herum. Sein Herz pochte wie wild. Man hatte seinen Freund dabei erwischt, wie er in das Lager eindringen wollte und dann gefangengenommen, um ihn zu verhören. So musste es gewesen sein. Und sie würden mit Gewalt versuchen, alles aus ihm herauszuquetschen!

Wahrscheinlich würden sie ihn sogar foltern!

Er würde bestimmt eine ganze Zeit lang aushalten, das traute er Gabriel schon zu, aber wenn die Schmerzen zu groß wären …, ja, so würde es kommen! Er gelangte endlich an die Rückseite des Bauwagens, wo er von nun an langsam und vorsichtig weiterschlich.

Direkt vor der rückwärtigen Blechwand richtete er sich auf, trat vorsichtig noch näher heran und presste dann sein Ohr an das verrostete, alte Metall. Es war heiß, von der morgendlichen Sonne schon ordentlich erhitzt, doch der Schmerz war im Moment zweitrangig. Ein paar Gesprächsfetzen konnte er verstehen, und das, was er hörte, klang gar nicht gut. Die Hand, die noch immer die Steinschleuder fest umklammert hielt, war nassgeschwitzt, so stark drückte er sie. Es gab zu dieser Seite hin kein einziges Fenster, durch das er einen Blick nach drinnen hätte riskieren können. Es hatte alles keinen Sinn, er musste nach Hause laufen und Hilfe holen! Noch einmal presste er sein Ohr an das Blech und wieder waren Stimmen zu hören und jetzt konnte er deutlich den mit dem fehlenden Daumen heraushören.

„… und du wirst uns jetzt gleich sagen, wer dir geholfen hat!“

„Gar nichts werde ich!“, hörte er Gabriel antworten und darauf folgte höhnisches Gelächter der beiden Männer. ‚Es hat wirklich keinen Sinn‘, dachte Peter entsetzt. Noch war er unentdeckt und noch war es nicht zu spät, Hilfe zu holen. Er steckte die Schleuder in die Tasche und stahl sich langsam, rückwärts zurück ins Gestrüpp, bis er nach einigen Metern die Beine in die Hand nahm und auf dem gleichen Weg wie zuvor zurückrannte, so schnell ihn die Füße trugen.

Völlig egal, ob ihn jetzt noch jemand sah, dachte Peter und atmete wild ein und aus, während er mit Vollgas durchs hohe Gras hetzte. Er wäre sowieso schneller als alle anderen! Den kleinen Hügel ließ er links liegen, rannte weiter den ausgetretenen Pfad entlang, der zum Silo und zum Geheimausgang führte, schlidderte in vollem Lauf unter dem Kranausleger drunter durch, rappelte sich auf der anderen Seite wieder auf, obwohl er sich arg an der Hüfte gestoßen hatte, und rannte weiter, bis er mit starkem Seitenstechen endlich am rettenden Lattenzaun ankam. Total groggy, aber glücklich, es bis hierhin ohne Zwi149 schenfall geschafft zu haben, schob er das lose Brett zur Seite und spähte vorsichtig auf die Straße hinaus, ob die Luft rein wäre, und: Sie war es. Mit zittrigen Händen versperrte er wieder den Zugang, stand auf und machte sich daran, sein Fahrrad von der Laterne zu lösen, doch dabei versagten ihm seine Hände und es gelang ihm zunächst nicht. ‚Beruhige dich‘, dachte er, ‚du musst dich beruhigen, es ist alles in Ordnung, beruhige dich, Gabriel wird schon nichts passieren!‘ Das kleine Schloss klappte plötzlich wie von selbst auf. Er lachte erleichtert, stülpte rasch das Fahrradschloss über den Lenker, sprang auf und fuhr so schnell es nur ging, so schnell er konnte, einfach drauf los.

Wo es hinging, hatte sich Peter bisher noch gar nicht überlegen können, weil ihm die Zeit dazu fehlte. Zu sehr hatte er sich auf seinen Rückzug konzentrieren müssen und deswegen fiel ihm auf die Schnelle nichts Besseres ein, als schnurstracks nach Hause zu fahren. Er fuhr jetzt am Zufahrtstor zum Schrottplatz vorbei, doch das war fest versperrt und zu seiner unendlichen Erleichterung lauerte da auch niemand auf ihn. Der Hund! ‚Wo mag der Hund nur sein?‘, fragte er sich und war im selben Moment total verwundert, dass er sich ausgerechnet jetzt um den blöden Hund sorgte. Hier ging es um seinen Freund, um Gabriel!

Endlich kam die Straße, in der er wohnte. Er raste in die Hauseinfahrt hinein, erhob sich, noch während das Rad ausrollte, vom Sattel und schwang schon ein Bein über die Stange, bevor er quietschend bremste. Trotz all seiner Eile vergaß er nicht, sein Rad abzuschließen, und rannte, gleich mehrere Treppenstufen auf einmal nehmend nach oben. Der Vater machte ihm auf, kaum dass er mit den Fingerknöcheln gegen die Wohnungstür klopfte, und sein Geschichtsausdruck verriet, dass er sich aufs äußerste wunderte. „Was um Himmels willen …“ Peter unterbrach ihn, er kämpfte mit den Tränen und vergaß die Schuhe auszuziehen. Die Mutter eilte aus der Küche herbei. Sie hatte noch die Schürze von der Hausarbeit um und drückte ihn fest an sich. Nur einen ganz, ganz kurzen Augenblick ließ Peter das gerne geschehen und er schluckte tapfer die Tränen herunter. Er genoss die tröstende Wärme seiner Mutter, ihren Schutz, die Geborgenheit, die allein schon ihrer körperlichen Nähe entströmte, doch dann siegte der junge Mann in ihm und er löste sich aus ihrer Umarmung.

„Mutti, Pappi! Die haben den Gabriel entführt. Der ohne Daumen hat ihn gefangen und jetzt foltern sie ihn!“, brach es überstürzt aus ihm heraus.

„Moment mal, Peter, immer mit der Ruhe!“, gebot ihm sein Vater und drückte ihm sacht auf die Schulter. Dann schob er ihn, trotz schmutziger Schuhe, Hände, Gesicht und Hose, ins Wohnzimmer hinein und steuerte auf die Couch zu. Er ließ sich neben ihm in die weichen Polster sinken und Peters Mutter setzte sich gespannt auf die Armlehne. „So, mein lieber Sohn, jetzt erzähl doch mal bitte ganz von Anfang an.“

 

Nur scheinbar krank

 

Der Trick mit der Rot-Kreuz-Tarnung schien aufzugehen, und da Frank und Theo keine Lust auf irgendwelche, wie auch immer gearteten Kampfhandlungen verspürten, hatten weder der eine noch der andere moralische Bedenken, sich unter dem Schutz dieser weltweit geachteten „Flagge“ zurückzuziehen.

Trotzdem blieb es nun einmal ein Verstoß gegen die Genfer Konvention und Theo war mit diesem „Missbrauch“ zuerst überhaupt nicht einverstanden. Frank war davon sehr über151 rascht gewesen, denn für gewöhnlich nahm sein Freund es mit Regeln nicht immer ganz so genau.

„Ich finde das unbedingt gerechtfertigt, dass wir diesen Trick anwenden, Theo“, erklärte er, um dessen letzte Bedenken auszuräumen.

Sie sprachen während der Einsatzplanung von HUT darüber, ob es moralisch vertretbar wäre, sich mittels eines so „feigen“ Tricks aus der Affäre zu ziehen. „Wenn wir damit wirklich ungeschoren davonkommen, Theo, retten wir allein dadurch schon Leben …“

„Wie denn das bitte? Meinst wohl unsere eigenen?!“, unterbrach ihn sein Freund ungläubig staunend über dessen Ansicht.

„Mein lieber Theo, wenn wir mit dieser Nummer unbehelligt davonkommen, musst du dir nicht erst den Weg freischießen durch unzählige unschuldige Soldaten, die uns wahrscheinlich am liebsten dabei helfen würden, diesen von Eberdingen dranzukriegen, wenn sie könnten, wie sie wollten. So kann man das nämlich auch sehen“, hatte Frank ihm erklärt und Theo grinste daraufhin zufrieden. Mit einem solch raffinierten Argument konnte er persönlich wunderbar leben: Er würde sogar noch Leben retten! Das klang wirklich nicht schlecht und Theo dachte in diesem Augenblick, die Trage mit Hannes von Eberdingen hinter sich herschleppend, trotz der Anstrengung belustigt, was Frank wohl alles erreicht hätte, wenn er in die Politik gegangen wäre, anstatt etwas „Anständiges“ zu machen. Er hatte etwas Sand im Mundwinkel und spuckte einmal kräftig aus.

Die Funksprüche von Tom, die in kurzen Abständen immer wieder eintrafen, waren noch nicht besorgniserregend, doch den beiden Freunden war schon selbst aufgefallen, dass die Stadt ganz allmählich wieder zum Leben erwachte. Hannes von Eberdingen im Übrigen auch! Schon vor geraumer Zeit hatte er wieder seine extrem kalt wirkenden, tiefblauen Augen aufge152 schlagen. Wenn Theo das gesehen hätte, hätte er wahrscheinlich wieder eins auf die „Rübe“ bekommen, doch Frank behielt es zunächst für sich. Irgendwann hielten sie am Straßenrand an und machten eine kurze Rast. Im schwachen Licht der fast schon vergangenen Nacht sah Theo sofort, dass von Eberdingen bei vollem Bewusstsein war und seine Hand suchte automatisch nach dem Messer, doch Frank legte ihm eine Hand auf den Arm.

„Schon gut, Theo. Der bekommt schon noch seine gerechte Strafe. Du weißt doch: Gottes Mühlen mahlen langsam aber stet!“

„Darf ich ihm denn vielleicht nur ein kleines bisschen wehtun?“, fragte sein Freund und achtete darauf, dass von Eberdingen ihn gut verstehen, aber nicht ins Gesicht sehen konnte, denn er zwinkerte Frank mit einem Auge zu. Frank, gerade dabei, einen kräftigen Schluck aus der Aluflasche zu nehmen, hustete und konnte sich ein Grinsen nicht mehr ganz verkneifen.

„Nein, Theo, jetzt nicht!“, antwortete er betont ernst und sah, dass Hannes von Eberdingen sie mit großen Augen beobachtete.

Er verstand Theos offene und ehrliche Abneigung gegen den Mann, einen Mann, der vielen Anderen Unglück und Verderben gebracht hatte, aber er wusste auch, dass Theo in Wahrheit eine viel zu hohe Moral besaß, um sich an einem Wehrlosen zu vergehen, egal, um was für einen Abschaum es sich dabei auch handeln mochte. Trotzdem konnte es aber nicht schaden, ihn ein wenig zu ärgern. „Möchten Sie auch einen Schluck trinken?“ Er hielt die Flasche nahe an das Gesicht seines Gefangenen, doch durch den Knebel konnte der nur Unverständliches murmeln. „Ah so, Sie wollen also nicht!? Das ist wirklich schade, ja dann!“ Direkt vor der Nase seines Gefangenen drehte er die Flasche um, die restliche Flüssigkeit ergoss sich glu153 ckernd auf den sandigen Boden und versickerte augenblicklich.

Dann schraubte er den Verschluss wieder zu und steckte die Flasche weg. „Auf geht’s, Theo!“ Auf Franks Kommando hoben die beiden gleichzeitig die Trage an und Theo drehte sich noch einmal nach Frank um.

„Wusste gar nicht, dass du das genauso gut kannst wie ich“, bemerkte er und grinste.

Sie kamen zwar ausgezeichnet voran, aber das Schleppen der Trage entwickelte sich zu mehr als nur einer anstrengenden Plackerei.

Je weiter sie kamen, desto kraftloser fühlten sie sich und Frank hatte unter seinen Handschuhen mehrere offene Blasen, die höllisch schmerzten. Mittlerweile war um sie herum allerhand Trubel. Es rasten Autos an ihnen vorbei, sogar ein paar Eselkarren kreuzten ihren Weg, Fahrradfahrer mit unglaublichen Lasten zu wackligen Türmen hoch aufgestapelt klingelten sich den Weg frei und hier und dort eilten Menschen hektisch an ihnen vorbei, ohne sich auch nur im geringsten von ihrem Anblick stören zu lassen.

Und so verließen sie mit ihrer kostbaren Fracht im Schlepptau die Stadt Georgia im morgendlichen, dämmerigen Licht eines neu anbrechenden Tages. Toms Funksprüche wurden seltener.

Nur noch hin und wieder meldete er sich kurz, um ihnen mitzuteilen, wenn mehrere, hintereinander fahrende, größere Fahrzeuge auf sie zufuhren, denn dann musste man immer damit rechnen, dass es sich möglicherweise um einen Militärtransport oder eine Militärstreife handelte. Flüchten oder sich gar zu verstecken, war nun, wo sie die Stadt verlassen hatten und sich auf ebenem Gelände befanden, mit dem Gefangenen sowieso nicht mehr möglich. Die Luftüberwachung der Villa ergab, dass dort bis jetzt keine größeren Aktivitäten stattfanden. Zwar waren die ersten Soldaten der kleinen Privatarmee von Hannes von Eber154 dingen schon auf, aber ihn selbst schien noch niemand zu vermissen.

Frank bat Theo noch einmal kurz anzuhalten, um die Trage absenken zu können. Dann setzte er sich erschöpft an den Straßenrand und zog vorsichtig die beiden Handschuhe aus.

Theo ließ sich neben ihm nieder.

„Das sieht nicht gut aus!“, bemerkt er und mit schmerzverzerrter Stimme zupfte er die eigenen Handschuhe von den Fingern. Sie klebten genau wie bei Frank am Wundwasser der Blasen, die längst aufgescheuert und blutig waren. Von Eberdingen hatte den Kopf bis zum Anschlag zurückgebogen und man sah trotz des Knebels die hämische Schadenfreude in seinen Augen. Theo kam nicht umhin, eine Bemerkung dazu fallen zu lassen:

„Und, wie geht’s dem werten Hinterteil, mein Freund? Schon blutig geschubbert auf der harten Leiter, oder geht’s noch?“ Der Blick änderte sich schlagartig und Theo wandte sich voller Genugtuung an Frank, der aus einem winzigen Erste-Hilfe- Verbandskasten eine Wundsalbe hervorkramte und sich vorsichtig die empfindlichen Stellen eincremte. „Ich bitte auch gleich um etwas Linderung“, meinte Theo lächelnd, woraufhin Frank die Tube an ihn weiterreichte und sich dann aus einer kleinen, unscheinbaren Dose etwas über beide Innenflächen seiner Hände sprühte. Zunächst schäumte dieses übel stinkende Zeug nur kurz auf und knisterte dabei ganz merkwürdig, so als würde man Erdnussflips im Mund aufweichen. Er rümpfte angewidert die Nase, doch dann, innerhalb weniger Sekunden trocknete dieser Brei und verwandelte sich in eine ledrige, hautähnliche Substanz. Theo, der sich gerade auch damit einsprühte, war sichtlich beeindruckt von dem Ergebnis auf Franks Handflächen.

„Das wird bestimmt eine Zeit lang halten“, brummte er zufrieden. Frank stellte fest, dass die künstliche Haut auch noch wunderbar kühlte und schaute auf Theos Handflächen, die er ausgestreckt vor sich hielt. Sein Blick streifte dessen Uhr und er beeilte sich aufzustehen. Es wurde wirklich höchste Zeit, sonst lief ihr Zeitplan aus dem Ruder.

Als sie endlich ihren Hubschrauber erreichten, waren beide Männer am Ende ihrer körperlichen Kräfte und die Sonne brannte trotz der frühen Stunden erbarmungslos auf sie nieder.

Per Funk schaltete Theo den Selbstverteidigungsmechanismus ihres Hubschraubers ab, was dieser mit einem „gnädigen“, kurzen Piepton bestätigte. Dann schnallten sie ihren Gefangenen ab und Theo zog ihm endlich den Knebel vom Mund. Frank half Hannes von Eberdingen, der noch keinen Ton von sich gegeben hatte, vorsichtig von der Leiter aufzustehen, doch er musste ihn stark stützen, sonst wäre der Mann in den Sand gestürzt.

Sein weißes T-Shirt war an den Stellen, wo ihm die Sprossen ins Kreuz gedrückt hatten, nass geschwitzt und der Stoff deutlich beansprucht, aber Frank sah bei dieser oberflächlichen Betrachtung keine Anzeichen einer echten Verletzung.

Klar, er würde üble Striemen am Rücken davontragen, aber das ließ sich im Gefängnis wunderbar auskurieren, dachte er. Auch an der kurzen Shorts waren zwei weitere Querstreifen als Abdrücke zu sehen. Ihr Gefangener, dessen Hände noch immer fest zusammengebunden waren, ließ sich langsam im Sand nieder, stöhnte gequält auf und sein Gesicht war schmerzverzerrt.

Ohne zu zögern, warf Frank ihm jetzt eine Aluflasche zu, die er trotz der gefesselten Hände problemlos aufschraubte und an die Lippen führte. Er trank sie gierig leer und ließ die Flasche dann erschöpft aus seinen Händen in den Sand gleiten. Unterdessen war Theo nicht untätig gewesen. Er verstaute zunächst einen Teil ihrer Ausrüstung und warf Frank noch mal ganz nebenbei eine weitere, randvolle Trinkflasche zu. Danach betätigte er den Verschluss des Cockpits, das leise surrend, elektronisch gesteuert, abhob, sich teilte und nach vorne zurückglitt. Theo kletterte zu seinem Sitz hinauf und betätigte den blauen Schalter am zweiten, kleineren Joystick, mit dem normalerweise die Waffen abgefeuert wurden, während der andere, deutlich größere ausschließlich der Hubschraubersteuerung diente. Es öffnete sich der Länge nach der zylindrische, klobige Behälter, den Hermann, der Luftfahrzeugmechaniker in Lagos, rechts unter den Geräteträger, der sogenannten „Under Wing Weapon Station“, montiert hatte. Theo sprang wieder runter in den Sand und warf seinen Stahlhelm mit Schwung in den Laderaum hinein.

Zufrieden grinsend wandte er sich an Frank:

„Alles klar, Chef, von mir aus können wir!“ Doch er schien noch auf irgendetwas zu warten.

„Okay!“, antwortete Frank, hob den Lauf seiner Pistole, mit der er bisher eher unauffällig den Gefangenen bewacht hatte, und zog sein Messer. Für den winzigen Bruchteil einer Sekunde sah er so etwas wie Angst in den Augen von Hannes von Eberdingen aufflammen, dann durchschnitt er auch schon die Kabelbinder an seinen Händen und hob den Mann am Arm in die Höhe. Theo war hinzugekommen und griff schnell nach dem anderen, doch jetzt begann sich der Gefangene zu wehren. Er legte zunächst scheinbar willig die Hände übereinander und verdeckte damit kurz seine Uhr, dann stieß er beide Ellbogen weit nach außen und trat mit aller Kraft nach Frank, den er mit dem nackten Fuß genau in der Magengrube traf. Er klappte zusammen, fluchte und torkelte ein Stück zurück und von Eberdingen wollte diese Sekunde ausnutzen, um sich mit einem Faustschlag von Theo zu befreien, der genau auf diesen Moment gewartet hatte. Mit der freien Hand und dem Griff seiner eigenen Waffe landete er einen Volltreffer gegen die Schläfe des Angreifers.

„Gute Nacht dann!“, murmelte Theo und das war das Letzte, was von Eberdingen für eine Weile hörte.

Frank brauchte einen kurzen Moment, um sich zu erholen und er ärgerte sich maßlos, dass er von Eberdingen so sehr unterschätzt hatte.

„Ist ja kein Beinbruch!“, meinte Theo und half ihm auf die Beine.

„Ja, hätte mir aber einfach nicht passieren dürfen. Lass ihn uns jetzt trotzdem transportfertig machen, damit wir hier endlich wegkommen, ja?!“, fragte Frank und rieb sich dabei den schmerzenden Bauch. Er und Theo hoben den Bewusstlosen auf und schleppten ihn die zwei bis drei Meter zu dem Behälter am Hubschrauber, wo sie ihn noch einmal etwas anheben mussten, um ihn vorsichtig hineinzulegen.

„Das hätten wir sowieso niemals hinbekommen, ohne ihm vorher eins zu verpassen, so wie der sich aufgeführt hat!“, meinte Theo kopfschüttelnd und überprüfte dabei die Geräte im Inneren des Zylinders. Die Funkverbindung zum Cockpit funktionierte einwandfrei, für den Notfall gab es eine Sauerstoffmaske, zwei Flaschen zu trinken lagen auch parat. Temperaturanzeige und Innendruckmesser schienen okay. Theo war zufrieden und gab Frank ein Zeichen. Der stand oben vor Theos Pilotensitz, beugte sich jetzt vor und betätigte den blauen Knopf des kleineren Joysticks. Von dort oben sah er zu, wie sich der Zylinder zischend über Hannes von Eberdingen schloss. In diesem Gefängnis würde er während des Flugs mit allem Lebensnotwendigen versorgt. Der Behälter war elektronisch beheizt, passte den erforderlichen Luftdruck automatisch an und versorgte seinen Insassen zuverlässig mit Sauerstoff. ‚Außerdem‘, so überlegte Frank und musste bei diesem Gedanken grinsen, ‚ist im Gegensatz zu seinem vorherigen Transportmittel dieses Hightechbett schön weich gepolstert.‘

 

Massig Hilfe

 

Die Geschichte, die Peter seinen Eltern erzählte, klang zu verrückt, um sie sich ausgedacht zu haben, und je mehr er erzählte, desto mehr verfinsterte sich der Gesichtsausdruck seines Vaters, der ihn kein einziges Mal unterbrach. Frau Kollin aber war während seiner Erzählung aufgestanden und wenig später mit einem großen Glas Pfirsicheistee wieder zurückgekommen, das Peter in einem Zug leerte und ihr dankbar zunickte, bevor er weiter fortfuhr.

Er endete mit seiner erfolgreichen Flucht und wartete dann ungeduldig auf das, was sein Vater unternehmen würde, doch der hielt sich zunächst zurück, denn ihn interessierte noch eine wichtige Sache:

„Peter, hast du eigentlich noch die beiden Ausdrucke, die du überarbeitet hast?“, fragte er ihn nachdenklich und Peter fühlte vorsichtshalber in der Gesäßtasche nach.

„Ja, habe ich hier bei mir“, antworte er dann.

„Ausgezeichnet! Darf ich mal sehen?“

„Ach Papa! Muss das denn wirklich jetzt sein?“

„Unbedingt! Ich möchte mir selbst erst ganz sicher sein.“ Peter zögerte nun nicht mehr und reichte seinem Vater die zusammengefalteten Papiere, die hinten in der Hosentasche arg gelitten hatten. Der Vater nickte dankbar, strich sie auf dem Wohnzimmertisch glatt und begann leise zu lesen: „Woher kommen Sie? Aus die Georgia in Nambesia.“ Aus der Hauptstadt Georgia in Nambesia.

Was wollen Sie hier? Wohnen hier bei gut Mensch.

Die lügen uns an und tun so, als wären sie gut zu uns.

Was machen Sie hier? Warten nach gehen Arbeit.

Wir warten auf eine Genehmigung, um arbeiten zu dürfen.

Wo wollen Sie hin? Wollen eigenes Haus und Auto, egal.

Wir wollen auch nur arbeiten für ein eigenes Haus, Auto … Kann ich Ihnen helfen? Weiß nicht.

Nicht verstanden!

Dürfen Sie hier raus? Nein, nicht gehen raus!

Nein, wir dürfen das Lager nicht verlassen!

Hält man Sie hier gefangen? Nein, nur Schutz andere Leute.

Ja! Die lügen, es wäre zu ihrem Schutz!

Haben Sie etwas verbrochen? Nein, alle hier gesund, nicht krank.

Nein, vielleicht nicht verstanden! Warum laufen Sie nicht weg? Warum laufen? Wohnen in Dorf für afrikanische Leute.

Wir wüssten nicht, wohin wir sonst könnten.

Brauchen Sie Hilfe? Lange warten Erlaubnis, nicht helfen.

Nein, wir warten lieber auf die Genehmigung.

Woher bekommen Sie Essen und Trinken? Männer arbeiten viel.

Die Männer verdienen etwas Geld (Bus???) Gehören Sie alle zusammen? Immer Mann, Frau, manchmal Kind.

Es sind Familien!

Sind die Wachen auch in der Nacht da? Alle schlafen in der Nacht.

Nein, das Lager ist nachts unbewacht!

Wo ist der Hund? Weiß nicht, weg, Schuss gehört!

Keiner weiß, wo der Hund ist, wahrscheinlich ist er erschossen worden von den Wachen! Wahrscheinlich hat er den Dünnen ins Bein gebissen!“ Peters Vater stutzte irritiert, dann musste er grinsen und las trotzdem weiter:

„Wir kommen in Frieden!

Weiß nicht.

Leider nicht verstanden, schade!!! Wie ist Ihr Name? Mein Name ist Baakir Burahimu Kiwanika Sebuturo.

Mein Freund wartet draußen.

Ja, ich bin drinnen, mein Freund.

Nicht verstanden! (war auch doof!!!) Wir wohnen in der Nähe.

Weiß nicht.

Nicht verstanden! (auch doof!!!)“ Der Vater war jetzt fertig und klopfte Peter anerkennend auf die Schulter.

„Das hast du ziemlich gut gemacht, mein Sohn!“, meinte er und wiederholte für sich: „Wir kommen in Frieden!“ Er schmunzelte wieder, dann stand er abrupt auf und eilte an seiner erstaunten Frau vorbei zum Telefon. Schon mitten im Wählen rief er den beiden schnell zu: „Polizei!“ und wartete geduldig auf eine Verbindung.

„Kollin hier, guten Tag. Ich möchte eine mögliche Entführung melden, Kindesentführung und Kindesmisshandlung und …“ Er wurde barsch unterbrochen:

„Kindesentführung?! Bitte bleiben Sie dran, ich verbinde mit dem Kommissariat!“ Und noch ehe er dazu kam, irgendetwas zu antworten, hörte er den Rufton einer Weiterleitung und nur ein, zwei Sekunden später eine kräftige Männerstimme.

„Kriminalkommissariat Brandendom, Hautman am Apparat, was kann ich für Sie tun?“

„Äh, ja, äh, Kollin hier! Herr Hauptmann, ich …“ „Hautman mit ohne P und nur mit einem M, wenn’s recht ist!“, verbesserte ihn die Stimme mit einem sanften, schulmäßigen Unterton.

„Oha ja, natürlich, Entschuldigung! Also Herr Hautman, die Kinder, also mein Sohn und sein Freund haben eine ganz und gar ungeheure Entdeckung gemacht, hier gleich in der Nähe, auf dem Schrottplatz an der Hasenkaul. Seinen Freund hält man dort jetzt gefangen. Die Jungs sind …“ Er wurde unterbrochen:

„Kinder? Sagten Sie Kinder?“

„Ja, das sagte ich auch schon Ihrem Kollegen …“

„Ja, wenn es um Kinder geht! Ist der Freund Ihres Sohnes denn in unmittelbarer Lebensgefahr?“ Peters Vater verneinte, und obwohl der Kommissar das unmöglich sehen konnte, schüttelte er dazu den Kopf. „Herr Kollin, ist es Ihnen denn möglich, mit Ihrem Sohn gleich zu mir zu kommen oder soll ich besser eine Streife schicken, wegen einer Anzeige?“

„Also mir wäre es ehrlich gesagt lieber, wir führen erst einmal gemeinsam zum Schrottplatz! Der ist übrigens geschlossen heute!“

„Wie kamen die Kinder denn dann dort rein? Über den Zaun? Mit diesem scharfen Wachhund am Bein?“ Der Kommissar schien das für einen lustigen Gedanken zu halten und lachte ungehemmt, doch Peters Vater sah das ganz anders und unterbrach schnell dessen aufkeimende Fröhlichkeit.

„Nein, nein, Herr Kommissar! Die Jungs haben natürlich einen anderen Zugang gefunden und mit dem Hund haben sie sich schon lange angefreundet.“ Peter nickte und warf ein, dass er den Hund schon seit Tagen nicht mehr gesehen hätte, sein Vater nickte ihm dankbar zu und hob den Finger. „Und außerdem höre ich gerade, dass der Hund im Moment gar nicht auf dem Gelände ist.“ Er erzählte dem Kommissar, der ihn jetzt nicht mehr unterbrach, mit möglichst wenigen Worten, dass Gabriel von zwei bewaffneten Männern in einem Bauwagen auf dem Schrottplatzgelände an der Hasenkaul festgehalten würde. Er erzählte ebenso, dass es dort ein verstecktes Lager möglicherweise illegaler Einwanderer gäbe und dass diese vermutlich gegen ihren Willen gefangen gehalten würden. Und als er dann noch betonte, dass die beiden Männer die Tür hinter sich zugezogen hätten, als sie sich Gabriel geschnappt hatten, schien es dem Kommissar endgültig zu genügen.

„Okay!“, unterbrach er ihn jetzt doch. „Ich habe verstanden, es genügt! Ich werde meine zart besaitete Persönlichkeit in mein enges Wägelchen schwingen und gleich mal losspurten. Am besten treffen wir uns mit ein paar Kollegen von der Streife gleich vor dem Schrottplatz. Sie sagten: an der Hasenkaul, nicht wahr?“ Peters Vater bestätigte das. „Ja, dann ist das tatsächlich der Schrottplatz mit dem bissigen Köter, sehr merkwürdig! Also bis gleich, Herr Kollin, ich fahre sofort los!“ Sie verabschiedeten sich mit knappen Worten und der Vater erklärte Peter und seiner Frau noch schnell, was sie besprochen hatten, dann griff er sich die Schlüssel und schob Peter vor sich her in den Flur.

„Mutter, wir kommen bald wieder!“, rief er fröhlich, zog sich die Hausschuhe aus und stattdessen seine Wanderschuhe an.

„Das wird ein Abenteuer!“, freute er sich, doch Peter war viel zu besorgt um Gabriel, um sich mit ihm freuen zu können.

Ihm ging das Ganze nicht schnell genug und selbst als sie endlich vor dem Schrottplatztor anhielten und neben einem Polizeiwagen parkten, war ihm nicht nach Freude zumute. Der Kommissar hatte die beiden Beamten schon vor deren Eintreffen über alles, was er selbst wusste, informiert. Sie hatten sich natürlich nicht über Funk ausgetauscht, sondern mit dem Kommissar mittels Handy telefoniert und kamen eilfertig auf Peter und seinen Vater zu. Der ältere der beiden sprach sie an:

„Guten Tag. Also hier kommen wir nicht rein! Wir haben schon mehrfach laut gegen das Tor gebollert, aber da macht einfach keiner auf! Kollegen von uns versuchen den Eigentümer telefonisch zu erreichen, aber das ist ihnen bisher leider auch nicht gelungen.“ Der Jüngere warf noch ein, dass der Hund tatsächlich nirgends zu hören und auch nicht zu sehen sei. „Und jetzt müssen wir erst mal warten, bis der Hautman hier ist“, meinte wiederum der ältere Polizist und hatte kaum zu Ende gesprochen, als ein roter Wagen vorfuhr und neben dem Auto der Kollins hielt. „Wenn man vom Teufel spricht!“, rief der Ältere und kam dem Kommissar entgegen.

„Hallo Jungs“, grüßte der, als er seine massige, große Gestalt aus dem Auto zwängte. Dann wandte er sich an Peter und dessen Vater, schüttelte Herrn Kollin die Hand, die in seiner Pranke fast vollkommen verschwand, und sprach mit tiefer Bassstimme:

„Also Peter, was jetzt?“ Überrascht erwiderte Peter seinen Blick, dann schaute er ratlos seinen Vater an, der mit den Achseln zuckte. Beide verstanden nicht, was der Kommissar von Peter wollte, doch der schien gar nichts zu erwarten, denn er fuhr einfach fort: „Ohne Gerichtsbeschluss kommen wir hier nicht rein und den kriegen wir erst frühestens morgen. Und die Erlaubnis vom Schrottplatzbesitzer haben wir auch nicht bekommen können. Da kann man eigentlich nichts machen“, schloss er enttäuscht und klatschte dabei einmal kräftig in seine gewaltigen Hände.

„Und ‚eigentlich‘ heißt was genau, Herr Hautman?“, hakte Peters Vater nach, dem ein gewisser Unterton in der Stimme des Kommissars nicht entgangen war. Der brummte zufrieden wie ein Bär, bevor er ihm antwortete: „Also wenn natürlich unmittelbare Gefahr in Verzug ist und das Leben eines Kindes …“ Peter unterbrach ihn aufgeregt:

„Unbedingt, Herr Kommissar! Gabriel ist unbedingt in Lebensgefahr!“

„Ja, also dann“, fuhr der Kommissar schmunzelnd fort und verschränkte seine Arme hinter dem Rücken, „wenn Gabriels Leben in Gefahr ist und eventuell auch noch eine andere, nicht unbedeutende Straftat verschleiert werden sollte, falls wir nicht jetzt sofort eingreifen …“ Peter glaubte, bald wahnsinnig zu werden, so nervös war er, und wagte es sogar ein zweites Mal, den Kommissar zu unterbrechen:

„Herr Kommissar, das Containerlager ist bestimmt eine ganz bedeutende Straftat!“

„Genau, mein lieber Junge! Wenn hier auf dem Gelände tatsächlich illegale Einwanderer festgehalten werden, ja dann denke ich, dass das eigentlich absoluten Vorrang hat!“ Erleichtert atmete Peter tief aus und auch sein Vater hatte merklich die Luft angehalten. Die beiden Polizisten hinter ihnen grinsten sich gegenseitig zu. Sie kannten das schon. Für diese unkonventionelle Vorgehensweise war ihr „Bud Spencer-Kommissar- Verschnitt“ bestens bekannt. Hautman wandte sich jetzt an die beiden und diskutierte mit ihnen die verschiedenen Optionen, wie sie auf das Gelände gelangen könnten, doch ihm passte keine der genannten Möglichkeiten. „Wie seid ihr doch gleich noch auf den Schrottplatz gekommen?“, fragte er Peter.

„Dort hinten, um die Ecke rum, bei einer Stelle im Holzzaun“, erklärte er eifrig.

„Okay, Peter. Aber da passe ich wohl eher nicht durch, oder?“

„Äh, ich glaube nicht, dass das der Zaun aushalten würde, Herr Kommissar“, antwortete Peter und Hautman lachte schallend auf. „Das macht nichts, mein Freund. Die beiden Polizisten hier kommen auch ganz gut ohne mich zurecht und einer muss ja auch aufpassen, dass das Loch wieder verstopft wird, damit der Vogel nicht ausfliegt, nicht wahr?“ Sie machten sich allesamt auf, nach rechts rum in die Hasenkaul, und folgten Peter bis zu dessen Geheimeingang. Hier hielt das kleine Grüppchen an und Peter bückte sich, um den Zugang freizumachen. Er schlüpfte zuerst durch die Lücke hindurch, dann folgten ihm hintereinander die beiden Polizisten und zu guter Letzt kam Peters Vater an die Reihe. Der Kommissar blieb alleine zurück und nickte den Männern und Peter noch ein letztes Mal zu.

„Viel Erfolg, Leute, ich halte hier die Stellung und verschließe derweil wieder den Eingang, damit nicht noch andere hier herumlungern.“ Er winkte ihnen ungeduldig zu. „Jetzt los, los, beeilt euch, Männer!“ Die kleine Gruppe auf der anderen Seite des Zauns wandte sich ab und folgte Peter auf dem Pfad Richtung Hügel.

 

8

Setze alles auf Rot

 

Wenn er einmal auf richtiger Höhe und Kurs war, konnte man ihn fast sich selbst überlassen und dem Autopiloten weitgehend vertrauen. Doch bevor Frank das riskieren konnte, musste er den Stealth-Hubschrauber erst noch in einem waghalsigen Manöver zig Kilometer durch Schluchten und Täler hindurchsteuern, um möglichen, sensiblen Abhöranlagen auszuweichen.

Die Funkverbindung zum Hauptquartier war abgeschaltet und nur die Kommunikation an Bord zwischen Frank und Theo und ihrer lebenden Fracht blieb aufrechterhalten. Frank war hochkonzentriert. Im Gegensatz zu ihrem Hinflug konnte er jetzt am helllichten Tag nach Sicht manövrieren und flog in einer noch geringeren Höhe mit einer noch höheren Geschwindigkeit. Plötzlich piepste ein akustisches Warnsignal und beide, Frank wie auch Theo, sahen auf ihren Radarmonitoren eine Gruppe Signale aus dem Norden direkt auf sich zukommen. „Fünf Helis auf Elfhundert!“, bemerkte Theo und betätigte einige Schalter an seiner Konsole. „Alles klar, gefechtsbereit!“, meldete er sich dann.

„Roger!“, antwortete Frank, wobei er fast gleichzeitig die Maschine steil nach oben zog, deren Motor laut aufbrüllte wie ein Stier und in den Himmel stieß. Er musste so schnell es ging an Höhe gewinnen, um genügend „Luft“ für Ausweichmanöver unter sich zu haben. Mögliche Abhör- und Radaranlagen spielten ab jetzt keine Rolle mehr! Das Katz- und Mausspiel mit Buthopas Geheimdienst war vorbei. Sie wussten offensichtlich Bescheid und nun ging es nur noch ums nackte Überleben.

Jetzt konnte ihr Kampfhubschrauber zeigen, ob er sein Geld wert war, dachte Frank und brachte ihn wieder in die Horizontale.

„Noch immer auf Elfhundert! Entfernung fünf Kilometer, aktiviere vier Raketen! Habe ich Feuererlaubnis?“

„Abschussgenehmigung erteilt! Hol die runter, Theo!“, antwortete Frank. „Feuer!“ Vier PARS-Raketen lösten sich und schossen an ihnen vorbei, gleichzeitig meldete sich Theo:

„Raketen aus Elfhundert, Ausweichmanöver einleiten!“ Er hatte noch nicht ganz zu Ende gesprochen, da stieß der Hubschrauber auch schon senkrecht nach unten und in eine enge Kurve zurück in die Felsenschlucht, aus der sie gerade gekommen waren.

„Aktiviere zwei ‚Flares‘! Feure zwei Täuschkörper in drei, zwei, eins, Abschuss!“ Es folgte unmittelbar hinter ihrem Hubschrauber eine Explosion, die wiederum ein wahres Feuerwerk von weit verstreuten, grellweiß explodierenden, weiteren Täuschkörpern auslöste. Die Hitze, die sie dabei abstrahlten, würde den Infrarotkopf einer Rakete auf sich lenken und somit von ihrem Hubschrauber als Wärmequelle ablenken. Frank steuerte die Maschine in einem unglaublichen Tempo durch die Kurven der Schlucht. Hinter ihnen folgten noch einige Explosionen der Raketen ihrer Verfolger, die diesem Manöver nicht folgen konnten und an den steilen Felswänden dicht hinter ihnen explodierten, ohne Schaden an ihrem Helikopter anzurichten.

Plötzlich zog Frank den Hubschrauber wieder ganz steil nach oben, ließ ihn sich dabei komplett drehen und brachte ihn in umgekehrter Flugrichtung wieder in die richtige Lage und in eine horizontale Flugbahn. Drei von fünf Objekten blieben von ihren Radarmonitoren verschwunden und wieder konnten die verbliebenen Hubschrauber ihrem letzten Manöver nicht folgen.

„Aufgepasst, Theo!“, meldete sich Frank. „Ich setze mich jetzt direkt hinter die beiden!“

„Zwei PARS abschussbereit“, antwortete Theo und Frank zog den Hubschrauber zunächst noch einmal deutlich hoch. Dann ließ er ihn wie ein dunkles Ungeheuer steil nach unten fallen, fast vertikal.

In zwei gewaltigen Feuerbällen zerbarsten die beiden Hubschrauber vor ihnen und große und kleine Einzelteile stoben in alle Richtungen wie Granatsplitter davon, während Frank schon längst wieder abdrehte und den Hubschrauber auf große Höhe brachte.

„Alles klar, Theo!“, meldete er sich dann über Funk bei seinem Freund und der wiederum bedankte sich bei ihm auf seine ganz eigene Art:

„Nicht schlecht, Frank! Keinen einzigen Kratzer hat das Baby abbekommen!“ Doch statt sich zu freuen, machte Frank sich Sorgen. ‚Woher konnten die gewusst haben, dass sie hier lang flogen?‘, fragte er sich und bat Theo, seine Messgeräte doch einmal nach unbekannten Signalen scannen zu lassen. Und er lag genau richtig mit seiner Vermutung.

„Kommt direkt von uns!“, meldete sich Theo nach einer Weile.

Der Signalscanner ließ ein regelmäßiges Piepen ertönen. „Es gibt einen Sender bei uns an Bord, einen Peilsender!“

„Mir ist auch schon ziemlich klar, wo das herkommt!“, meldete sich Frank und im selben Augenblick hörten sie lautes Lachen von Hannes von Eberdingen in ihren Kopfhörern.

„Jawohl, ihr Schwachköpfe, genau! Könnt ihr mich hören?“ Frank antwortete ihm grimmig:

„Ja, leider!“

„Habt ihr wirklich geglaubt, dass ihr so einfach davonkommt? Ich habe in meiner Uhr einen Sender, den ich vor dem Start aktiviert habe!“, frohlockte er.

„Und damit riskiert, von Ihren eigenen Leute mit abgeschossen zu werden?“, wollte Frank wissen.

„Ach, diese Idioten! Um die kümmere ich mich, wenn ich euch überlebt habe!“, antwortete von Eberdingen gehässig. „Ich rate euch, sofort zu landen! Noch ist nichts zu spät! Mein Freund Butopha wird euer Leben verschonen …“ Theo lachte laut auf und unterbrach ihn damit.

„Das ist echt ein guter Witz! Du wirst von meinem Freund schön zu uns nach Hause geflogen und dort wird man dir einen anständigen Prozess machen! Wenn du Glück hast, kommst du mit 120 Jahren wieder raus aus dem Bau!“ In diesem Moment bemerkten die beiden Freunde fast gleichzeitig zwei neue Punkte auf ihren Monitoren.

„Genau auf Zwölfhundert!“, meldete sich Theo. „Kampfjets, Frank!“

„Alles klar!“, antwortete er und zog den Hubschrauber wieder steil nach unten. „Wir sind kurz vor der Grenze zu Nigeria. Das werden die nicht wagen, uns dorthin zu folgen und eine interna171 tionale Krise heraufzubeschwören! Bis dahin müssen wir es schaffen, Theo!“ Sie schafften es zwar, aber nicht ganz ohne Blessuren! Beim ersten Angriff bekam ihr Hubschrauber einen leichten Treffer am Heck und bei der Explosion der Rakete wurden sie fast an eine Felswand geschleudert. Dank Franks genialem fliegerischem Können gelang es ihnen, noch einmal davonzukommen. Jetzt erforderte es seine allerhöchste Konzentration, den Hubschrauber überhaupt noch bei Laune zu halten, denn der ließ sich kaum noch normal steuern. Und Theo blieb nichts weiter übrig, als alle technischen Gegenmaßnahmen einzusetzen, die sie an Bord hatten. Den Raketen der Jets würden sie aber ohne große Luftakrobatik kaum entkommen können. An einen eigenen Angriff war nun überhaupt nicht mehr zu denken, sondern jetzt ging es lediglich darum, die nackte Haut zu retten!

Während der rasanten Ausweichmanöver von Frank war von Hannes von Eberdingen auch nicht der leiseste Ton zu hören.

Entweder war er durch die enormen Beschleunigungsverhältnisse ohnmächtig geworden oder bisher einfach nicht mehr in der Lage gewesen, sprechen zu können, überlegte Theo und rief ihn über Bordfunk:

„Von Eberdingen, melden!“ Gelächter drang aus dem Kopfhörer, hämisches Gelächter, die pure Schadenfreude und dann:

„Wollen wir nicht doch besser landen, ihr Idioten?“ Theo sah, wie die beiden Jets wieder auf seinem Monitor auftauchten. Sie kamen nochmals frontal auf sie zu.

„Frank, auf Zwölfhundert!“, meldete er ihm die beiden Angreifer über Bordfunk und fragte nach dem Abschuss zweier PARS-Raketen. Ihnen blieben nur ein paar Sekunden, um zu handeln, und Frank, der genau wusste, dass sie nur noch eine einzige Rakete unter dem linken Geräteträger hatten, wunderte sich. „Würde gerne ZWEI Raketen abfeuern! Bitte um Erlaubnis, ZWEI Raketen abfeuern zu dürfen!“ Frank dachte fieberhaft nach. Er war sicher, dass sie nur noch über eine PARS verfügten und solange der Peilsender jederzeit immer wieder aufs Neue ihre Position verriet, hatten sie eigentlich keine Chance … dann dämmerte es ihm! Er grinste, trotz ihrer prekären Situation.

„Sofortige Freigabe zum Abschuss ZWEIER Raketen erteilt!

Feuererlaubnis erteilt!“ Theo betätigte den linken roten Knopf an seinem Joystick und dann den roten rechts neben dem blauen:

ohne eine Sekunde zu zögern!

Die letzte Infrarotsensorrakete auf der linken Seite zündete, klinkte sich aus der Verankerung aus und schoss links an ihnen vorbei, während Frank den Hubschrauber mit der Nase plötzlich nach oben zog und seine Geschwindigkeit dadurch so heftig reduzierte, dass es fast so schien, als brächte er ihn über Grund zum Stehen, was natürlich nicht ganz der Fall war.

Trotzdem genügte dieses Manöver. Die beiden Jets und deren abgefeuerte Raketen rasten haarscharf an ihnen vorbei und unter ihnen zerschellte ein zylindrischer Behälter, irgendwo im südlichen Gebirge, an der Grenze von Nambesia zu Nigeria!

„Upps“, meldete sich Theo, „hab ich wohl den falschen Knopf gedrückt!“ Das nervtötende Piepen, das den gescannten Peilsender hörbar machte, verstummte schlagartig und die beiden Punkte der Jets auf ihren Radarmonitoren entfernten sich mehr und mehr.

 

Ohne Daumen

 

Gabriel hatte dem Dicken ohne Daumen nicht alle seine Fragen beantwortet. Nachdem er ihm ein paar ziemlich allgemein gehaltene, unwichtige Informationen gegeben hatte, die Peter auf keinen Fall schaden konnten, entschied er sich, einfach nicht mehr zu antworten, am besten gar nicht mehr zu reden. Bisher hatte ihm weder der ohne Daumen noch der Dünne echte Schmerzen zugefügt, doch wer konnte schon sagen, was die beiden noch alles ausheckten? Obwohl er sich vorhin wie ein Löwe verteidigt hatte, hatte am Ende doch der Dicke gesiegt und ihn weg von der Tür in den Bauwagen hineingezerrt. Das ärgerte Gabriel noch immer, dem offenbar nicht richtig bewusst war, in was für einer Lage er sich tatsächlich befand und dass die beiden nicht grundlos über richtige Waffen verfügten! Der Dünne hatte hinter ihnen die Tür zugeworfen und abgesperrt:

zweimal! Sein Schlüssel war an einer Kette am Hosenbund verschwunden und Gabriel blieb nur die Hoffnung, dass Peter bald mit Hilfe zurückkommen würde. Sie hatten ihn gemeinsam grob am Arm zu einem Stuhl an der Wand hinübergedrängt und dort hatte der Dicke ihn barsch angefahren:

„Setz dich hier hin und mach mir bloß keinen Stress, du!“ Der Mann roch schlecht aus dem Mund, faulig, fand Gabriel und ekelte sich vor ihm.

Er beobachtete nun die beiden Männer und sah sich dabei unauffällig um. Der Dicke hatte sich zunächst hinter einem alten, vergammelten Schreibtisch niedergelassen und sein Stuhl hatte einen ächzenden, gequälten Laut von sich gegeben, als er die ganze Last zu tragen bekam. Der Dünne hantierte jetzt routiniert in den Fächern eines halbhohen Schränkchens herum. Der Bauwagen war optisch das reinste Wrack, aber dennoch kom174 plett wie ein kleines Büro eingerichtet. Die ganze Einrichtung war schmuddelig und es roch unangenehm, nach Kotze und Urin, dachte Gabriel und trotz der Hitze in diesem Bauwagen fröstelte es ihn mit einem Mal. Der Dünne war endlich fündig geworden und stapelte zwei kleine Gläser auf den Schrank.

Dann öffnete er den Kühlschrank, aus dem Gabriel noch nicht einmal mehr etwas in Folie Eingeschweißtes gegessen hätte, und stellte eine Flasche Wodka neben die Gläser. Er beugte sich noch einmal zum Kühlschrank hinunter, dabei rutschte der Trageriemen seines Gewehrs von der Schulter und die Waffe polterte laut gegen den Kühlschrank.

„Was, verdammter Mist …“ Er entledigte sich laut fluchend seiner Waffe und lehnte das Gewehr dabei an die Wand neben den Kühlschrank. Noch einmal riss er die Kühlschranktür ganz auf und schien die unzähligen schwarzen Pünktchen und Flecken, die sich überall darin breit gemacht hatten, überhaupt nicht zu bemerken. Enttäuscht richtete er sich wieder auf, rieb sich das Bein mit dem Verband und schuppste dann mit dem Schuh die Tür zu. „Nix zu trinken da für dich, Junge! Hab’ leider auch keine Kokosnuss für dich zum Ausschlürfen!“ Lachend wandte er sich an Gabriel und der sah dabei schwarze Zahnstummel in dessen Mund und keinen einzigen richtigen Zahn. „Musst wohl mit uns ’ne Runde Wodka trinken, was dir bestimmt die Zunge lockert!“ Gabriel sah ihn entsetzt an. „Du mich verstehen?“, hakte der Dünne nochmals nach und sein hässliches Gesicht näherte sich. Gabriel biss sich tapfer auf die Lippe. Er nickte vage.

„Du Blödmann!“, warf der ohne Daumen ein und blickte finster zum Dünnen. „Das wissen wir doch schon, dass der unsere Sprache spricht!“ Er tippte sich mit dem Zeigefinger der unvollständigen Hand ein paar Mal an die Stirn. „Du bist aber trotzdem keiner von denen da, oder?“, fragte er dann und wies mit dem fehlenden Gliedmaß in Richtung Lager. Gabriel schüttelte den Kopf. Lügen hatte keinen Sinn, denn die aus dem Lager konnten alle überhaupt kein Deutsch und er wusste, dass er mit einer plötzlichen „Ich-nix-verstehen-Nummer“ hier nicht mehr landen würde. Dann hätte er schon ganz anders beginnen müssen.

„Wo ist eigentlich der Bello?“, fragte er und betrachtete den Dünnen mit unschuldiger Miene, um zu sehen, ob er irgendeine verräterische Reaktion zeigen würde, doch der antwortete stattdessen ganz offen und ehrlich.

„Hab’ ich abgeknallt und verbuddelt, das blöde Vieh!“ Gabriel entgleiste fast die Kinnlade und er vergaß ganz, dass er sich eigentlich vorgenommen hatte zu schweigen, überwiegend, meistens.

„Aber warum? Haben Sie das von ihm, mit dem Bein?“

„Genau, dieses dreckige Mistvieh! Habe nur leicht nach ihm getreten und dann …!“

„Hälst du jetzt hier ein Schwätzchen oder schenkst du uns endlich ein, Mann, oder muss ich hier erst verdursten!?“, fauchte der Dicke seinen Kumpel ungeduldig an. Der wollte sich gerade an den Rand der Tischkante setzen, direkt neben Gabriel, dem schon ganz schlecht wurde bei dem Gedanken, in seiner Nähe sitzen zu müssen. Trotzdem riss er sich zusammen und verfolgte gespannt, wie der Dicke seine Waffe nun ebenfalls weglegte.

Bis jetzt hatte er sie quer über seinen Beinen liegen und sie schien ihn anscheinend doch zu sehr zu stören. Der Dünne stellte beide Gläser auf den Tisch und füllte sie bis knapp unter den Rand, wobei er die Flasche mit beiden Händen steuerte, um die Gläser bloß nicht zu verfehlen. „Ja dann!“ Er hob sein Glas, schien mit seiner kellnerischen Leistung äußerst zufrieden, grinste und knapp vor dem Ziel zitterte dann seine Hand doch noch so stark, dass ein Großteil der klaren Flüssigkeit auf den Boden schwappte. „Prost!“ Der Dicke hob an und stürzte den Alkohol in einem Zug hinunter.

Gabriel wäre nicht verwundert gewesen, wenn er das kleine Glas direkt noch mit runtergespült hätte, doch das knallte er dann mit Wucht auf den Tisch.

„Mehr!“, kommandierte er den Dünnen, der brav die Flasche nahm und ihm und sich selbst noch einmal nachschenkte. „Wir müssen jetzt den Boss anrufen!“, bemerkte der ohne Daumen, nickte gnädig, zog sein Glas weg und stürzte die Flüssigkeit wieder wie Wasser hinunter. „Aaaah, das tut gut!“, verkündete er daraufhin und setzte sein Glas etwas sanfter ab als zuvor.

Der Dünne verschüttete wieder die Hälfte, bevor sein Glas den Weg zu seinen Lippen fand, und schlürfte dann genussvoll am Wodka. Allein schon den Geruch des Alkohols fand Gabriel widerlich, er rümpfte angeekelt die Nase, aber verfolgte dabei gespannt jede Bewegung, die die beiden machten.

„Ist der denn im Moment überhaupt hier?“, fragte der Dünne und der Dicke glotzte ihn verständnislos an.

„Hier im Land?“, fragte er zurück. Der Dünne nickte ihm zu.

„Ja, was weiß ich?!“ Der Dicke schien angestrengt nachzudenken, denn seine Stirn legte sich in viele Falten und er rieb sich das Kinn, bevor er antwortete.

„Vielleicht ja, vielleicht nein! Ich hab nur die eine Nummer aus diesem afrikanischen Kaff, wo ich anrufen soll, wenn irgendwas ist! Müsste wissen, was wir mit dieser schwarzen Ratte hier machen sollen!“ Wäre er ein Junge und dann noch etwa in seinem Alter, hätte er von Gabriel die Faust auf die Nase bekommen, aber so verkniff dieser sich lieber jede Regung, blieb still sitzen und beobachtete weiter.

„Dann mach!“, forderte der Dünne ihn auf. Der Dicke stöhnte, als wäre Telefonieren eine anstrengende Sache, und zückte seine Brieftasche. Er fischte einen kleinen schmierigen Zettel heraus und griff nach dem Telefonhörer auf seinem Schreibtisch.

Dann lehnte er sich im Stuhl noch weiter nach hinten zurück, hob beide Beine und legte die Füße mit schmutzigen Schuhen auf die Tischplatte. Gabriel hörte bis zu seinem Platz, dass es regelmäßig tutete, aber am anderen Ende schien gar keiner dranzugehen.

„Scheint nicht da zu sein, dieser ‚von Dingsbums‘!“ Mit dem Hörer unter dem fetten Doppelkinn goss er sich selbst noch mal ordentlich ein und leerte wieder in einem Zug das ganze Glas. Dann warf er fluchend den Hörer auf die Gabel.

„Der von Eberdingen ist wohl echt nicht da, wa?“, fragte der Dünne und grinste ihn blöde an. Der Dicke kochte innerlich vor Wut über so viel Dummheit. Er winkelte mit einer für seine Körpermaße erstaunlichen Wendigkeit und Geschwindigkeit, die Gabriel ihm niemals zugetraut hätte, sein Bein an und trat dann mit aller Kraft nach dem Hintern des Dünnen. Dessen knöchernes Gesäß hatte halb auf der Schreibtischkante gehangen und er schrie wütend auf: „Au! Warum …“, während er fast an die gegenüberliegende Wand stieß.

Und in diesem Moment schlug mit einem lauten Krach die Tür des Bauwagens nach innen auf. Ein Polizist stürzte herein und warf sich ohne zu zögern gegen den Dünnen, während ein zweiter sofort nachdrängte, um sich mit gezückter Waffe dem Dicken zu stellen, der vor lauter Schreck hintenüber vom Stuhl fiel. Gabriel saß einfach nur da, beobachtete das alles und fühlte sich so, als wäre er gar nicht wirklich dabei.

 

Mit heiler Haut

 

Theo konnte ihr Glück noch immer nicht fassen und sah für eine lange Zeit immer wieder ungläubig auf seinen Monitor, ob die beiden Kampfjets auch wirklich fernblieben, doch sie kamen tatsächlich nicht wieder zurück. Und als Frank ihm zum zweiten Mal erklärte, dass sie schon lange aus Nambesia heraus wären und die Jets nur wegen des Peilsenders gekommen waren, gab er es endlich auf und verließ sich auf Franks Instinkt.

Bis auf den Bordfunk waren noch immer alle externen Signalquellen abgeschaltet. Das war wegen einer möglichen Ortung durch Buthopas Spionageschüsseln jetzt zwar völlig egal, aber man konnte die ganze Operation noch immer vor der Weltöffentlichkeit abstreiten, wenn der Hubschrauber nicht von Ortungssystemen anderer Nationen bemerkt wurde.

Sie befanden sich jetzt laut Karte fast genau am nächsten Zielpunkt.

Frank, der trotz der schwierigen Steuerung so gut wie möglich dem Geländeverlauf immer möglichst dicht gefolgt war, brachte ihren Hubschrauber nun wieder in eine waagerechte Position. Dann endlich fing er den Leitstrahl der Amerikaner auf seinem Monitor ein und konnte ihm jetzt zur exakten Position des Stützpunktes folgen. Obwohl dieser Punkt nun unmittelbar vor ihnen lag, entzog er sich trotzdem ihren aufmerksamen Blicken, selbst als sie noch näher herankamen. Ohne den Leitstrahl und die GPS-Orientierung wären sie mit Sicherheit vorübergeflogen. Der unsichtbare Strahl war plötzlich wieder spurlos vom Monitor verschwunden. Normalerweise hasste es Frank, sich 100%ig auf Technik verlassen zu müssen, aber als die Rotoren zum Stillstand kamen und der aufgewirbelte Wüstenstaub sich allmählich legte, musste er sich eingestehen, dass er das hier niemals ohne zusätzliche Navigationshilfen gefunden hätte. Hier, inmitten einer unbewohnten, kargen, felsigen Wüstenregion, versteckt vor der Öffentlichkeit, lag unter gut getarnten, wüstenfarbigen Schutzanstrichen und eng an eine Felsformation herangepresst eine geheime Militärbasis der Amerikaner.

Von hier aus wurden sämtliche Operationen in Mittelafrika koordiniert.

Sie wurden von mehreren schwerbewaffneten Soldaten erwartet, deren Aufgabe es eigentlich gewesen wäre, Hannes von Eberdingen in Empfang zu nehmen und vorübergehend in eine Gefangenenunterkunft zu eskortieren. Sie konnten es natürlich nicht besser wissen, denn wegen des Funkverbots hatten Frank und Theo noch immer nicht ihr Hauptquartier über den letzten Stand der Operation HUT informiert. Frank Berge rechnete aber fest damit, dass sie ständig überwacht wurden und dass die Führungsspitze der Mission schon lange Bescheid wusste, folglich auch, dass sie hier ohne ihre Fracht eintrafen.

Den jungen Offizier, der gleich auf sie zutrat, kaum dass sie den Hubschrauber verließen, musste er leider enttäuschen und über den „schmerzlichen“ Verlust ihres Zylinders informieren. Sichtlich enttäuscht schickte er seine bewaffneten Kameraden mit einem kurzen, knappen Befehl zurück und blieb als Geleit für die beiden Gäste.

„Sir, darf ich Sie denn dann zu Ihren Quartieren begleiten?“, fragte er eifrig, doch Frank nahm ihn beiseite und wies auf das lädierte Heck des Stealth-Hubschraubers.

„Ich bedaure wirklich sehr, aber bevor wir uns eine Dusche gönnen und uns vielleicht auch noch etwas erholen dürfen, sollten wir uns zuallererst noch um die ‚alte Lady‘ hier kümmern!“ Gemeinsam mit Theo umkreisten sie einmal den Hubschrauber und blieben am Heck stehen, um den Schaden näher zu begut180 achten. „Wir haben ganz schön was abgekriegt!“, meinte Frank und staunte nicht schlecht.

„Ein kleines Stück weiter und wir hätten einen richtigen Abflug gemacht!“, bemerkte Theo und pfiff leise durch die Zähne. Jetzt war auch klar, warum Frank so große Schwierigkeiten hatte, nach dem Treffer den Heli halbwegs vernünftig zu steuern.

Knapp neben dem Heckrotor fehlte ein Stück des Leitwerks.

Außerdem konnte man unter einem Stück der fehlenden Blechverkleidung einen angesengten Kabelstrang sehen und Aluminiumstreben, die an der Trefferstelle ziemlich verbogen waren.

„Okay!“, meldete sich ihr Begleiter zu Wort. „Ich werde meine Leute bitten, sich das anzusehen, und wenn Sie es wünschen, sich gleich an die Arbeit zu machen. Ich denke, das kriegen die Jungs schon wieder hin. Die Frage ist nur, wie viel Zeit haben sie dafür? Was glauben Sie, wie lange werden Sie bei uns bleiben?“ Ratlos sah Frank Theo an, doch der zuckte ahnungslos mit den Schultern.

„Ich denke, ich sollte jetzt möglichst schnell Kontakt zum Hauptquartier herstellen und dann sehen wir mal weiter!“, entschied er kurzentschlossen und der Soldat nickte ihm zu. Sie erledigten das vom Cockpit aus und setzten sich dafür extra noch einmal beide auf ihre Flugpositionen. Erst nachdem sich die Plexiglaskanzel ganz über ihren Köpfen geschlossen hatte, stellte Frank die Funkverbindung zur Kommandozentrale des Geschwaders her. Er hob seinen Daumen und signalisierte dem Offizier, der brav an der Seite des Hubschraubers auf die beiden Piloten wartete, dass die Verbindung stand. Er nickte zufrieden.

Diesmal sprachen sie direkt mit Müller, dessen Ton leicht gereizt klang: „… sind Sie ja endlich! Wurde auch langsam Zeit! Wir haben uns schon die allergrößten Sorgen gemacht, wo Sie wohl stecken!“

„Ich freue mich auch, von Ihnen zu hören!“, meldete sich Frank übertrieben freundlich, obwohl er sich über eine solche Begrüßung sehr wunderte. „Schneller ging es leider nicht, aber ich bin sicher, Sie haben jeden unserer Schritte genauestens verfolgt!

Wie Ihnen inzwischen also auch bekannt sein dürfte, sind wir hier ohne unseren Gefangen gelandet!“ – Schweigen – Theo verkniff sich mühevoll, nicht laut loszulachen. In der Kommandozentrale rückte Müller das Mikrofon näher zu sich heran und ließ sich direkt neben Thomas Meissner in den freien Sessel sinken. Tom wandte sich schnell ab, damit er nicht sein Grinsen zu sehen bekam.

„Hören Sie mal, Sie! Wegen dieser Sache werde ich Sie noch persönlich zur Rechenschaft ziehen!“

„Ach, ich bitte Sie, Müller. Ich habe mir nichts vorzuwerfen!“

„Trotzdem“, wandte Müller sich noch eindringlicher an ihn, „haben Sie die ganze Operation durch Ihr Verhalten null und nichtig gemacht! Es war alles umsonst!“ Seine Stimme hatte bei den letzten Worten einen ziemlich anklagenden, fast schon gehässigen Klang angenommen und Frank überlegte, ob er weiter darauf eingehen sollte oder nicht. Dann entschied er sich, ausnahmsweise nicht auf Konfrontationskurs zu gehen.

„Okay, Müller. Wie dem auch sei, wir möchten uns hier ein paar Stunden erholen, duschen, essen und trinken, etwas schlafen und würden uns dann wieder weiter auf den Rückweg machen, wenn das in Ordnung ist?“

„In Ordnung? Ausruhen können Sie sich noch mehr als genug, hinter Ihrem neuen Schreibtisch hundert Stockwerke unter der Erde, und dann gefälligst Ihre Version dieser unglücklichen Vorfälle auf einer alten Schreibmaschine …“, kam die bissige Antwort prompt zurück, doch Frank rieb sich nur müde über die Augen und unterbrach ihn ganz gelassen:

„Okay, kein Problem! Aber wie Sie vielleicht nicht wissen, haben wir einen leichten Treffer abbekommen und den müssen wir leider zunächst von den Jungs hier provisorisch flicken lassen!“ Obwohl Müller innerlich kochte vor Wut, musste er wohl oder übel hinnehmen, dass die beiden nicht gleich nach Lagos zurückfliegen würden. Laut den Planungsunterlagen der Operation HUT waren die beiden Piloten, bis auf eine halbe Stunde, die sie während der Angriffe verloren hatten, noch immer ganz gut im Zeitplan und das bedeutete streng genommen, dass sie erst im Schutz der nächtlichen Dunkelheit weiterfliegen sollten.

Verärgert stieß er seinen Stuhl ruckartig zurück und erhob sich, um in sein eigenes Büro zu gehen. Dabei warf er Meissner einen bösen Seitenblick zu, weil der ihm nach seinem Geschmack etwas zu fröhlich erschien. Als sich die Tür hinter ihm schloss und er allein im Korridor stand, fluchte er laut. Trotzdem, dachte er wütend, trotzdem würde der Oberst stinksauer wegen der geplatzten Operation sein und ihm das womöglich in die Schuhe schieben! Immer ihm! Er eilte den Gang hinunter, dann rechts um die Ecke und wäre fast mit einem Kollegen kollidiert.

Am liebsten hätte er ihm dafür kräftig eine gelangt, so geladen war er, aber der Mann entschuldigte sich stammelnd, obwohl ihn eigentlich keine Schuld traf, und so riss Müller sich mit aller Kraft zusammen und ging wortlos weiter. Er fühlte sich schon jetzt unfair behandelt. Aber diesem Berge würde er schon noch zeigen, dass er nicht so einfach davonkam: Ein Befehl ist ein Befehl und es war nicht geplant, dass er den Gefangenen eigenmächtig liquidiert! Unterdessen waren Frank und Theo wieder aus ihren Cockpits herausgeklettert und schnappten sich aus der Ladeluke ihre Rucksäcke. Ihr Begleiter hatte inzwischen ein paar Luftfahrzeugmechaniker auf ihren Hubschrauber angesetzt und zeigte ihnen kurz die Schäden.

Als sie sich wenig später geschlossen zum Hauptgebäude aufmachten, musste Frank sich doch noch einmal umdrehen, um zu sehen, wie ihr Kampfhubschrauber mitsamt der ganzen Landeplattform nach unten verschwand: auf spektakuläre Weise, quasi mitten im Wüstensand in einem Bunker unter der Erde!

Dann wandte er sich ab und überlegte, ob er und Theo wohl wirklich ein paar Stunden schlafen sollten.

Der Soldat schwieg, während er Frank und Theo schnellen Schritts vorauseilte und sie durch mehrere Gebäudetrakte führte, bis sie endlich stoppten. Ihr Begleiter wandte sich jetzt mit einer knappen, zackigen Geste auf die beiden Türen an Frank:

„Sir, Ihre Zimmer! Eine Sache noch, bitte: Laut unseren Informationen sollen Sie um Punkt Zwanzighundert geweckt werden, ist das richtig, Sir?“, fragte er ihn erwartungsvoll. Theo nickte seinem Freund zur Bestätigung kurz zu und Frank antwortete:

„Jawohl, das ist richtig!“

„Okay, Sir, dann wünsche ich Ihnen jetzt einen angenehmen Aufenthalt! Speisen und Getränke warten auf Ihren Zimmern!

Ich möchte Sie bitten, auf Ihren Quartieren zu bleiben, und wenn Sie etwas benötigen, finden Sie ein Telefon mit einer Rufnummernliste gleich neben Ihren Betten! Schönen Tag noch, Sir!“ Der Soldat drehte sich auf der Stelle ruckartig um und verschwand zielstrebig in die Richtung, aus der sie zuvor gekommen waren. Frank schaffte es kaum noch, „Danke!“ hinterher zu rufen, da war er auch schon abgebogen. „Mann, der ist aber auf Zack!“, staunte Theo.

„Ja, nicht schlecht. Und das trotz dieser Hitze hier drinnen“, antwortete Frank. „Theo, sei mir nicht böse, aber ich haue mich jetzt etwas aufs Ohr.“

„Oh ja, natürlich“, antwortete er, öffnete seine eigene Tür, rief Frank noch ein „Bis nachher!“ zu und verschwand in seinem Zimmer. Bis auf die Shorts zog Frank sich komplett aus und erst danach bediente er sich an den Getränken und verzehrte einen großen Teil der leckeren Happen, die man auf einem Tischchen serviert hatte. So bald würde es wohl nichts mehr zu essen geben, dachte er und warf sich satt und zufrieden aufs Bett.

Um Punkt 20:00 Uhr klopfte es an beiden Türen, und erst als Frank und Theo sich laut und deutlich „bin wach!“ meldeten, hörte das nervige Klopfen auf. Wenige Minuten später, im Prinzip noch müder als bei ihrer Ankunft und trotzdem in aller Hast schnell gewaschen und gekämmt, trafen Frank und Theo zufällig zeitgleich vor ihren Zimmern aufeinander. Sie begrüßten sich mit einem festen Handschlag und beschlossen, direkt zu ihrem Hubschrauber zu gehen. Jetzt lösten sich zwei Soldaten, die offensichtlich ihretwegen an der gegenüberliegenden Wand gewartet hatten, aus dem Schatten, grüßten und traten vor. Sie baten Frank und Theo um ihre Seesäcke und führten ihre beiden Gäste die ellenlangen, verwinkelten Flure hinaus nach draußen. Gleich würden sie durchstarten bis nach Lagos und dort den nächtlichen Linienflug nehmen, zurück nach Hause, wo sie etwa gegen Mittag eintreffen könnten. Frank freute sich schon jetzt auf seine Familie. Gleich morgen nach seiner Ankunft würde er sich vom Fliegerhorst aus melden.

 

Wer?

 

Die beiden Polizisten fackelten nicht lange, und noch ehe sich die verdutzten Wachen, der Dicke und der Dünne, richtig besonnen, hatten sie auch schon die Handschellen um und wurden aus dem Bauwagen geführt. Der ältere der zwei Beamten besprach sich unterdessen per Handy mit dem Kommissar. Er würde zum Haupteingang gehen und dort auf sie warten, denn der Dünne besaß an seiner Schlüsselkette am Hosenbund auch einen für das Zufahrtstor zum Schrottplatz, wie er bereitwillig erzählte. Der ohne Daumen warf seinem Kumpel vernichtende Blicke zu und der Dünne war heilfroh, dass dieser gewalttätige, rohe Mensch Handschellen trug. Gabriel war im Übrigen, gleich nachdem „Dick“ und „Dünn“ abgeführt wurden, aus seiner anfänglichen Starre erwacht, und während die zwei Beamten ihre Gefangenen zum Schrottplatzausgang brachten, beeilte er sich, Peter und dessen Vater, die noch immer hinter dem Hügel warteten, entgegenzulaufen. Nur unter Protest war Peter bei seinem Vater dort in Sicherheit zurückgeblieben, aber er hatte es versprechen müssen und nicht gebrochen, obwohl er alles dafür gegeben hätte, Gabriel mit befreien zu dürfen. Als Gabriel und Peter sich jetzt sahen, strahlten die beiden und fielen sich in die Arme. Die Freude war wirklich groß und Peters Vater lächelte ebenfalls glücklich. Gabriel begann gleich seine Geschichte zu erzählen und jetzt redete er und redete, dass es den beiden schon fast wieder zu viel wurde. Sie waren froh, als sie endlich am Eingang zum Schrottplatz ankamen. Kommissar Hautman saß hinter der offenstehenden Fahrertür lässig im Wagen, im Schatten hinter dem Tor, wo er geduldig auf sie wartete.

Kaum dass er sie sah, erhob er sich, winkte und Peter bemerkte, dass sich sein Wagen nach ein paar schwingenden Be186 wegungen tatsächlich mehrere Zentimeter aufrichtete, befreit von seiner Last.

„Und? Sind der ohne Daumen und der andere Mann in Sicherheit?“, fragte Gabriel ängstlich und der Kommissar nickte mit dem Kopf. Dann zeigte er mit dem Finger auf ihn:

„Und du bist also der Gabriel, nicht wahr?“ Gabriel nickte heftig.

„Wenn du mit deiner Frage meinst, ob wir die beiden sicher verwahrt haben, kann ich dich beruhigen. Die sind bei uns gut aufgehoben, ja! Brauchst keine Angst zu haben, Junge, die sind mit Handschellen davongefahren worden und schon lange im Revier!“

„Und kommen nicht wieder zurück?“

„Nein, ganz bestimmt nicht!“, antwortete der Kommissar und lachte. Peter lag die ganze Zeit schon eine Frage auf der Seele und jetzt rückte er damit heraus:

„Warum hast du eigentlich nicht auf mich gewartet?“

„Ich weiß auch nicht“, Gabriel zuckte traurig mit den Schultern, „hätte ich doch nur! Die haben mir erzählt, dass sie mich schon gestern gesehen haben, als ich mich auf dem Rückweg befand, und heute einfach hinter dem Zaun, hinter einem der Container auf mich gewartet!“ Mit Empörung in der Stimme fuhr er fort:

„Die haben mich gezwungen, das Loch wieder zuzuschaufeln, und mich dann mitgenommen zu dem Bauwagen. Und den Bello hat der dünne Mann erschossen …“ Peter unterbrach ihn, er war entsetzt und konnte es nicht glauben:

„Wirklich erschossen?“ Gabriel nickte.

„Ja, richtig! Erschossen und dann irgendwo verbuddelt! Das war übrigens der Schuss, den wir gehört haben, als du mit der Steinschleuder …“

„Ja, ja, ich erinnere mich!“, unterbrach ihn Peter schon wieder.

Das waren keine guten Nachrichten! Er war jetzt wirklich trau187 rig und schwieg, in eigene Gedanken versunken. Doch Gabriel fiel noch etwas sehr Wichtiges ein und er wandte sich wieder an Hautman:

„Herr Kommissar, dann müssen wir jetzt noch die Leute dort drüben im Lager befreien!“

„Na ja, nicht unbedingt!“ Der Beamte schüttelte langsam seinen massigen Kopf.

„Warum nicht?“, hakte Gabriel neugierig nach.

„Alles immer schön der Reihe nach, Junge. Eins nach dem anderen! Im Moment geht es denen ja gar nicht so schlecht und es muss erst einmal geklärt werden, wo wir überhaupt so viele Menschen vernünftig unterbringen können. Aber zunächst müssen wir noch denjenigen finden, der für das alles hier …“, er wies mit einer weit ausholenden Bewegung über das ganze Gelände, „… zuständig ist. Wir wissen noch nicht einmal genau, wer hier überhaupt der tatsächliche Besitzer ist.“ Peters Vater warf ein, dass die Baufirma, bei der er angestellt war, einen Teil des Schrottplatzes mitnutzte.

„Ich weiß, dass unsere Firma hier ihren kompletten Fuhrpark und das Material gelagert hat. Vom Lkw bis zum Kran, vom Kanalrohr bis zum Baugerüst ist hier alles gelagert.“ Doch, so fuhr er bedauernd fort, wisse er nicht, ob dieser Teil des Schrottplatzes nur angemietet wäre oder der Firma selbst gehöre.

Er hätte sein Büro ja in der Stadt und wäre bis heute auch noch nie hier gewesen.

„Das macht ja nichts, Herr Kollin“, erklärte Hautman. „Meine Leute haben das schon überprüft und es scheint tatsächlich so, als stecke hinter dem Schrottplatzbesitzer ein Bauunternehmer mit Sitz im Ausland. Wenn das tatsächlich gleichzeitig auch der Betreiber dieses Flüchtlingslagers ist und dem dann auch noch diese Firma gehört, dann ich will Sie ja nicht unbedingt beun188 ruhigen , aber dann landet Ihr Chef demnächst hinter Gittern.

Aber darum sollten Sie sich jetzt wirklich keine Sorgen machen“, meinte er beruhigend und lächelte freundlich in die Runde, bevor er weiter fortfuhr: „Für heute sind die Menschen dort im Lager immer noch am besten aufgehoben und ein paar meiner Leute werden nachher noch mal mit Getränken und Essen vorbeifahren und nach dem Rechten sehen. Vielleicht haben wir bis dahin einen Dolmetscher gefunden, der mitfährt und den Menschen hier alles erklärt. Für dich“, er wandte sich an Gabriel, „heißt es jetzt aber erst einmal ab nach Hause! Soll ich dich fahren oder nimmt dich Herr …“ Gabriel unterbrach den Kommissar hastig:

„Nein, nein, auf gar keinen Fall, meine Mutter bekommt sonst eine Herzattacke!“ Sie lachten, der Kommissar, Peters Vater, Peter, und so konnte auch Gabriel nicht umhin, sich ihnen anzuschließen.

Leider war die Fröhlichkeit nur von kurzer Dauer, denn das Handy des Kommissars holte sie alle wieder auf den Boden der Tatsachen zurück. Es war ein Kollege des Kommissars. Noch immer war es ihnen nicht gelungen herauszubekommen, wer der geheimnisvolle Betreiber dieses Flüchtlingscamps war. Der Dicke und der Dünne schwiegen verbissen. Erst als man sie mit Details über die nambesianischen Flüchtlinge konfrontierte, aufgrund der Informationen, die Peter und Gabriel von Baakir erhalten hatten, bekamen sie allmählich kalte Füße, flüchteten sich in Ausreden und verrannten sich schon bald in Widersprüche.

Doch sie verrieten immer noch nicht, wer hinter all dem steckte! Jetzt war wirklich die Anwesenheit des Kommissars von Nöten. „Ich muss leider zurück ins Büro, Leute! Wir haben noch nicht viel herausbekommen! Wenn wir wenigstens einen Namen hätten oder eine Telefonnummer!“ Gabriel meldete sich aufgebracht:

„Ich habe zugehört, wie die sich über den ‚Boss‘ unterhalten haben und die haben versucht, ihn vom Bauwagen aus zu erreichen.

Der ohne Daumen hat einen Zettel mit der Telefonnummer in der Brieftasche und ich kenne sogar den Namen!“

„Nicht im Ernst!?“, staunte Peter.

„Doch!“ Er nickte eifrig. „Der Dünne sagte, der Boss hieße von Eberding…“

„Von Eberdingen, Hannes von Eberdingen! So heißt der Geschäftsführer meiner Firma!“, unterbrach ihn Peters Vater schockiert. „Angeblich haben meine Kollegen ihn noch nie zu Gesicht bekommen, aber genau der Name steht in unseren Geschäftspapieren!“

„Na, das nenne ich doch mal einen echten Durchbruch!“, freute sich Hautman und strahlte sie der Reihe nach an.

Weil es heute schon zu spät war, bat er Peters Vater, dass er am nächsten Tag noch einmal mit Peter auf die Wache kommen sollte, damit sie ihre Aussagen protokollieren könnten.

„Und du natürlich auch, Gabriel! Und wehe, du bringst mir nicht auch deine Mutter mit, Junge! Egal was auch immer sie normalerweise macht, dafür bekommt sie morgen frei, von mir persönlich, sag ihr das bitte, versprochen?“ Gabriel nickte und der Kommissar brummte zufrieden. „Gut dann! Ohne Eltern geht das nämlich gar nicht! So, meine Herrschaften, ich fahre dann jetzt. Wir sehen uns morgen bei mir im Büro, irgendwann im Lauf des Vormittags, wenn’s passt. Auf Wiedersehen.“ Er beugte sich in sein Auto hinein und quälte sich umständlich auf den für seine Verhältnisse winzigen Fahrersitz. Dann winkte er noch einmal, setzte zurück und machte sich auf den Weg zurück in die Stadt.

 

 

Nichts Gutes

 

Als Frank und Theo am frühen Abend aufbrachen und den versteckten Außenposten der hilfsbereiten Amerikaner verließen, fühlten sie sich in deren Schuld für die hervorragende Unterstützung und überaus gastfreundliche Aufnahme, die ihnen dort von allen entgegengebracht wurde.

Die Mechaniker hatten sich richtig viel Mühe gegeben, und während Frank und Theo fest schliefen, noch immer fleißig an ihrer Maschine gearbeitet. Als die beiden starteten, war der Lack an den ausgebesserten Schäden am Heck noch immer nicht ganz getrocknet, aber Frank merkte sofort, dass der Heli sich wieder genauso gutmütig steuern ließ, wie er es immer von ihm gewohnt war.

Der weitere Flug verlief völlig unproblematisch. Sie folgten derselben Route wie auf ihrem Hinflug und landeten nach gut 2 ¾ Stunden wieder auf dem Murtala Muhammed Airport in Lagos, exakt an derselben Stelle vor dem Hangar, wo die beiden Luftfahrzeugmechaniker und zwei MPs schon auf sie warteten.

Selbst nach dem Aus- und Umräumen ihrer Ausrüstung blieb ihnen noch etwas Zeit, sich bis zum Abflug ihrer Linienmaschine die Füße zu vertreten, und so schlenderten sie gemütlich über diesen verlassenen Teil des Airports, währenddessen ihre Kameraden schon den Hubschrauber klar machten für den Rücktransport nach Deutschland. Sie gelangten zu einem winzigen Imbissbüdchen für das Airportpersonal, das allerdings geschlossen hatte. Die beiden MPs, zwei wortkarge Männer, waren ihnen still gefolgt. Frank hatte sich vergeblich bemüht, freundschaftlichen Kontakt zu dem Älteren der beiden herzustellen, doch da das nicht auf Gegenliebe traf, kümmerte er sich nicht mehr um die beiden. Er setzte sich an eines der kleinen Tischchen, die dort vor der Theke aufgestellt waren, und bat Theo, sich neben ihn zu setzen. Doch der machte sich an einem der Automaten, die gleich neben dem Büdchen standen, zu schaffen. Er kam mit zwei dick belegten Sandwiches in Frischhaltefolie zurück und strahlte glücklich.

„Hier, Meister, ein echtes afrikanisches Sandwich für dich. Bitte schön. Genau so, wie du es am liebsten magst: dick mit Schinken und Käse belegt.“

„Oh Mann, Theo, das ist echt nett von dir. Vielen Dank“, freute sich Frank. „Wo hast du eigentlich die Kohle her?“, fragte er dann neugierig und wickelte sein Sandwich aus. Theo grinste.

„Von Mildred, auf dem Hinflug. Habe sie vorne neben den Toiletten gleich auf die Art angebaggert und zwanzig Euro in Naira umgetauscht, aber auch vorsichtshalber. Und ich habe sogar ihre Telefonnummer bekommen“, sagte er stolz und biss in sein Sandwich.

„Gut, dann gib mir bitte auch etwas Kleingeld, dann hole ich uns dort noch zwei Kaffee dazu.“ Ihnen blieb noch genügend Zeit, denn ohne das normalerweise notwendige Einchecken an den Schaltern konnten sie kurz vor dem Start in ihr Flugzeug einsteigen. Von der Bude aus hatte man nur einen Blick auf die hässliche, graue Betonrückseite eines Hangars. Deshalb beeilten sich die beiden mit den Sandwiches und nahmen den heißen Kaffee mit auf den Weg zurück in Richtung Hangar. Die beiden MPs folgten ihnen mit Abstand.

Jetzt zog eine leichte Brise auf und Frank bildete sich ein, das Meer zu riechen, den Golf von Guinea, der nur ein paar Kilometer entfernt war. Die beiden schlürften ihr dampfendes Gebräu im Gehen und waren für den Moment tief in eigene Gedanken versunken. Es war mittlerweile ungewöhnlich kalt und Frank fröstelte es leicht, trotz des vielgelobten Hightechmaterials seines Overalls. Er blies in seinen heißen Kaffee hinein und beobachtete, wie die kleine Dampfwolke vor dem Hintergrund des Airports auseinanderstob und sich verflüchtigte.

Fünfunddreißig Minuten später befanden sich Frank und Theo endlich in ihrem Flugzeug und Theo war sichtlich enttäuscht, denn er hatte gehofft, dass Mildred mitflog, was leider nicht der Fall war.

„Die beiden sind aber auch nicht gerade von schlechten Eltern“, meinte Frank, um ihn zu trösten, und wies mit dem Kopf zu den Stewardessen hinüber. Die beiden Damen vollzogen gerade die Sicherheitsunterweisungen. Unterdessen kümmerten sich die beiden wortkargen MPs draußen vor dem Flieger um ihr Gepäck. Sie hatten sich nur zum Abschied kurz an Frank gewandt:

„Wir kümmern uns um alles. Sie brauchen nur einzusteigen.

Auf Wiedersehen!“ Erst Stunden später, Frank war gerade eingedöst, weckte ihn eine Stewardess.

„Bitte wachen Sie auf, Herr Berge“, flüsterte sie, weit über Theo gebeugt, der laut schnarchte, und rüttelte Frank dabei sanft an der Schulter. Er schlug seine Augen auf.

„Ja, bitte?“

„Sie werden am Telefon verlangt. Es ist wichtig, kommen Sie bitte mit!“ Frank kletterte verschlafen über Theo und folgte dann der Stewardess nach vorne, wo gleich hinter dem Cockpit ein Bordtelefon an der Wand hing.

„Für Sie, Herr Berge!“ Die zweite Stewardess reichte den Hörer an ihn weiter. „Eine Verbindung zum Fliegerhorst Seilingen!“, erklärte sie leise. Es war ein Anruf direkt aus der Kommandozentrale „Eagle One“. Und dieser würde Franks ganzes Leben für immer verändern!

„Hallo Frank, Tom hier, bitte melde dich!“ Das war ein ziemlich ungewöhnlicher Beginn für ein offizielles dienstliches Telefonat und Frank war gespannt. Theo erschien neben ihm:

schlaftrunken. Er war also doch wach und Frank flüsterte ihm schnell zu:

„Ist Tom!“ Dabei hielt er den Hörer so an sein Ohr, dass Theo mithören konnte. „Schieß los, Tom, ich bin am Apparat. Was hast du auf dem Herzen? Was gibt’s?“

„Also, ich weiß gar nicht …, also Frank, äh, es ist ja nicht so, dass, äh, sie sind beide, Mist, verdammt, ich weiß nicht, wie ich es dir sagen …“

„Tom, beruhige dich! Was um Himmels willen willst du mir eigentlich sagen? Ist es irgendetwas mit meinem Jungen oder wie?“ Thomas Meissner war entweder reichlich verwirrt, dachte er, oder (um sein Herz legte sich in diesem Augenblick eine eisige Klammer und drückte immer fester zu) es musste zu Hause etwas sehr, sehr Ernstes passiert sein, was Tom so hilflos stammeln ließ! Theo hielt den Atem an. Er ahnte auch, genau wie Frank, dass sich hier eine unfassbare Katastrohe anbahnte.

Tom meldete sich erneut:

„Also Frank, ich, ich, äh, ich mache es jetzt ganz kurz: Maria und Ralf hatten einen Autounfall und sind im Kranken…“ Frank unterbrach ihn. Theo merkte im selben Moment ganz deutlich, dass Frank den Hörer unbewusst drückte, denn er knackste und die Adern an seiner Hand traten stärker hervor.

„Nein, das ist doch nicht dein Ernst, Tom, nein!“ rief er verzweifelt.

Natürlich wusste er, dass das, was Tom gesagt hatte, die Wahrheit war, aber ein Teil seines Bewusstseins wollte es nicht hören, konnte es einfach nicht akzeptieren und schon gar nicht verstehen!

„Nun mach dich um Gottes willen nicht verrückt, Frank, sie sind beide im Krankenhaus und man kümmert sich um sie. Nur leider wissen wir noch nicht mehr“, meldete sich Tom, doch Frank antwortete nicht mehr. Er hatte den Hörer auf die Gabel gelegt und starrte den Apparat an. Theo fühlte sich selbst wie erstarrt. Sicherlich hätte er jetzt etwas sagen sollen, irgendetwas, doch er konnte nicht. Seine Kehle war wie zugeschnürt. Auch Tom war mit dieser Situation überfordert und schien nicht zu wissen, was die richtigen Worte wären, und so hielt er den Hörer noch eine Weile am Ohr und lauschte den leisen Störgeräuschen, wobei er sorgenvoll ins Leere blickte. Noch stand die Leitung zum Flugzeug. Unterdessen lief Franks Gehirn auf Hochtouren: Was war passiert, wie ging es den beiden wirklich, wie schwer waren ihre Verletzungen? ‚Vermutlich ist es nur eine Kleinigkeit und Tom hat maßlos übertrieben‘, redete er sich ein.

‚Es wird beim Ausparken passiert sein, ein Blechschaden, bei dem sie sich nur ein paar Blessuren zugezogen haben, eben nichts Ernstes, mehr nicht!‘ Er riss sich zusammen und hob noch einmal den Hörer ab.

„Tom?“

„Ja? Bin immer noch dran.“

„ Unsere Ankunftszeit ist voraussichtlich Zwölfhundertdreißig.

In welchem Krankenhaus sind die beiden?“ „Im Samariterkrankenhaus in Seilingen“, antwortete Tom automatisch.

„Bitte sorge dafür, dass mich ein Wagen gleich nach Seilingen bringt, sobald ich den Flieger verlassen habe. Ohne diesen ganzen Kram drum herum mit Auschecken und so, ja? Ich möchte gleich in die Klinik fahren!“

„Natürlich, geht klar!“, meldete sich Tom. „Und dass du mir nur ja viele Grüße und gute Besserung bestellst!“ Theo hatte angeboten, sich nach ihrer Landung selbst um ihr Gepäck zu kümmern und auch erst einmal um alles andere auf dem Stützpunkt, sodass Frank gleich, nachdem die Rolltreppe rangefahren war, als Erster aus dem Flugzeug ausstieg. Tom hatte er zu verdanken, dass am Fuß tatsächlich schon ein Kamerad vom Fliegerhorst auf ihn wartete, der ihn zu einem von zwei Bundeswehrwagen eskortierte, die hintereinander parkten.

Im hinteren Wagen saß ein Fahrer. Er öffnete den Kofferraum des hinteren Fahrzeugs und holte eine Plastikbox heraus, in die der Müller Franks persönliche Gegenstände hinein verstaut hatte.

„Mit besten Grüßen von Thomas Meissner. Nehmen Sie sich bitte Ihre Sachen heraus!“ Er streckte ihm die Box entgegen und schlug für ihn den Deckel auf, sodass er nur noch hineingreifen musste. „Wenn Sie möchten, habe ich den Auftrag, den Rest auf Ihre Stube zu bringen!“ Frank bedankte sich und griff mit beiden Händen nach Brieftasche, Handy und Schlüsselbund.

„Hier sind die Wagenschlüssel!“ Der Soldat reichte sie ihm und Frank griff gierig danach. Er bedankte und entschuldigte sich fast im selben Augenblick, dann stürzte er los zum vorderen Wagen. Eilig stieg er ein und fuhr los in Richtung Ausfahrt: „Nur für Angestellte“. An der Schranke zur Ausfahrt schienen die beiden Sicherheitskräfte schon über Franks außergewöhnliche Situation informiert zu sein. Kaum dass die beiden seinen Wagen herannahen sahen, öffneten sie die Schranke und winkten ihn einfach durch.

Er winkte dankbar zurück und gab ordentlich Gas.

Als er im Krankenhaus eintraf, waren seine Frau Maria und sein Sohn Ralf bereits gestorben.

Sie wären beide, auch wenn er deutlich früher dort eingetroffen wäre, nicht mehr ansprechbar gewesen.

Nachdem die Feuerwehr die beiden Verletzten aus ihrem völlig verbeulten und verkeilten Fahrzeug herausgeschnitten hatte und sich die Sanitäter um sie bemühten, stand bereits fest, dass beide an schweren inneren Blutungen litten. Auf dem Weg in die städtische Klinik war schon klar, dass sie es wahrscheinlich nicht mehr schaffen würden, obwohl die Ärzte verzweifelt um ihr Leben kämpften. Sie hatten zusätzlich zu ihren inneren Verletzungen auch äußerlich so furchtbare Wunden, dass man Frank, trotz seines großen Schmerzes bat, sie in diesem Zustand nicht mehr aufzusuchen. Der Chefarzt selbst kam zu ihm ins Wartezimmer, wo er ungeduldig auf- und ablief, und sprach ihn an:

„Herr Berge?“

„Ja!“ Frank hielt mitten im Lauf inne und drehte sich zu dem Doktor herum.

„Herr Berge, bitte setzen Sie sich einmal. Ich habe sehr, sehr schlechte Nachrichten für Sie“, begann er, woraufhin Frank, weiß wie eine Wand, auf einen der Stühle sackte. Der Arzt setzte sich neben ihn und legte eine Hand behutsam auf seinen Arm. „Sie sind beide ganz friedlich eingeschlafen, ohne Schmerzen.“ Frank schrie in einem Anfall von Schmerz laut auf und schüttelte die Hand ab.

„Nein, nein, nein …“, fuhr er dann leise jammernd fort, „nein, nein, nein …“

„Herr Berge. Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie leid mir das tut. Aber ich möchte Sie wirklich dringend bitten, sich in dem Zustand, in dem sich Ihre Frau und Ihr Sohn jetzt befinden, nicht von den beiden zu verabschieden.“ Frank jammerte noch einmal laut auf, verdeckte sein Gesicht in den Händen und begann bitterlich zu weinen. „Herr Berge, ich bitte Sie“, sprach der Arzt besorgt weiter, „behalten Sie Ihre Familie so in Erinnerung, wie Sie sie jetzt im Gedächtnis haben.“ Er legte seine Hand wieder auf seinen Arm, doch im selben Moment zuckte Frank zusammen, fuhr vom Stuhl hoch und rannte wortlos zum Ausgang und hinaus auf den Parkplatz.

Er stieg hektisch in den Wagen ein, rangierte mit quietschenden Reifen und fuhr mit Vollgas vom Krankenhausgelände herunter, einfach nur los, weg, raus aus der Stadt, hinaus in die weite Ebene.

Irgendwann hielt er am Seitenstreifen an, stützte seine Stirn gegen das Lenkrad und begann bitterlich zu weinen.

Von da an fuhr Frank fast täglich gegen Abend in die Stadt, um seinen Schmerz vorübergehend mit Alkohol zu betäuben.

Der Kommodore Oberst Martinsen, Franks beste Freunde und ein paar Kameraden wussten von seinem furchtbaren Schicksalsschlag und die dramatische Geschichte machte schnell die Runde.

Auf dem Heimweg von der Schule nach Hause war es passiert, dort hatte das Unglück seinen Lauf genommen. Franks kleine Familie hatte sich schon fast zu Hause befunden, da war ihr Wagen von einem Lkw in voller Fahrt seitlich gerammt und gegen den Betonpfeiler einer Brücke gedrückt worden. Seine Frau hatte keine Schuld an dem Unfall, denn sie war bei Grün weitergefahren, der Lkw bei Rot mit überhöhter Geschwindigkeit über die Ampel hinweggefegt, als wäre sie gar nicht vorhanden gewesen! Der Fahrer war bei diesem Unfall vorne aus seinem Führerhaus herausgeschleudert worden und auf der Stelle tot. Später, bei der Unfalluntersuchung durch die Staatsanwaltschaft, die automatisch den Unfallhergang ermitteln ließ, hatte man in seinem Blut eine hohe Alkoholkonzentration gefunden.

Für Frank brach von heute auf morgen seine ganze Welt auseinander.

Er verlor jeden Halt, jeden Mut, jede Freude, jede Orientierung und fand für lange Zeit kein Zurück mehr zur Normalität.

Selbst Theo, sein bester Kumpel, sein Freund, der ihn etliche Nächte in der Stadt abholte und zum Stützpunkt Seilingen zurückfuhr, weil er selbst dazu nicht mehr in der Lage gewesen wäre, konnte ihn nicht mehr motivieren, zu einer „normalen“ Lebensweise zurückzukehren.

Als es gar nicht mehr ging, einigte man sich mit Frank auf einen vorgezogenen Ruhestand und er erhielt eine recht hohe Einmalzahlung als Ablösung aus dem militärischen Dienst. An einem frühen Morgen im Herbst verließ er mit seinem Sportwagen den Stützpunkt und kam nie wieder dorthin zurück.

9

Das ENDE vom ANFANG

 

Hannes von Eberdingen war tatsächlich der Drahtzieher des illegalen Flüchtlingslagers auf dem Schrottplatz in Brandendom gewesen. Außerdem fand Kommissar Hautman wenige Tage später heraus, dass er auch zugleich der eigentliche Eigentümer des Schrottplatzes war und tatsächlich auch noch der Geschäftsführer der größten Baufirma der Region, bei der auch Peters Vater angestellt war. Der Kreis um die dubiosen Geschäfte dieses Mannes schloss sich somit.

Die armen Nambesianer aus dem Lager hatten teuer für ihre Reise nach Deutschland bezahlt. Ein Teil von ihnen war niemals in Brandendom angekommen und hinter all dem steckte Hannes von Eberdingen. Wer sich beklagte wegen den unmenschlichen Bedingungen, unter denen sie aus Afrika herausgeschmuggelt wurden, oder es sogar wagte zu drohen, sich zu beschweren und das Ganze auffliegen zu lassen, ward nie wieder gesehen! Nachdem der Kommissar alles Notwendige in die Wege geleitet hatte, wurden in den nächsten Tagen die unglückseligen Bewohner des Lagers befragt. Dabei stellte sich heraus, dass Hannes von Eberdingen die gesunden Männer des Lagers illegal als Schwarzarbeiter auf seinen Baustellen arbeiten ließ und ihnen als einzigen Lohn Essen und Trinken für alle im Lager „bezahlte“. Er hatte nie vorgehabt, die Nambesianer und ihre Familien jemals gehen zu lassen!

Nachdem der Dicke ohne Daumen und der dünne Zittrige endlich auspackten, erfuhr der Kommissar außerdem, dass die beiden sich zusätzliches Geld verdient hatten, indem sie einen Teil der Männer zwangen, für sie Einbrüche in der Gegend zu begehen. Nachdem das Lager aufgelöst war, hörten die Einbrüche in der Gegend fast vollständig auf: von heute auf morgen. Die einzelnen Familien aus dem Lager verteilte man über ganz Deutschland auf mehrere Auffanglager für Flüchtlinge aus aller Welt. Der Kommissar hatte kein gutes Gefühl dabei, denn er wusste, dass die meisten nach einiger Zeit wieder zurückgeschickt würden nach Afrika. Das lag nun einmal nicht in seiner Macht.

Auf seine Anfragen bei Interpol, den Verbrecher international zu suchen, erhielt der Kommissar kaum eine Stunde nach seiner Mitteilung einen merkwürdigen Anruf direkt aus dem deutschen Außenministerium: Seine Suche hätte hiermit ein Ende, denn Hannes von Eberdingen wäre vor wenigen Tagen bei einem seiner gefährlichen Flüchtlingstransporte zwischen Nambesia und Nigeria auf bisher ungeklärte Weise ums Leben gekommen. Da der Verbrecher keine Erben hinterließ, fiel das Grundstück „An der Hasenkaul“ zurück in den Besitz der Stadt.

Nun stellte man fest, dass von Eberdingens Baufirma eigentlich schon lange pleite gewesen wäre, wenn der Besitzer nicht selbst immer wieder hohe Beträge aus seinen anderen Geschäften in die Firma hineingesteckt hätte. Das Unternehmen wurde jetzt so bald wie möglich aufgelöst.

Peters Vater und eine Vielzahl seiner Kollegen durften noch eine Weile bleiben, bis die letzte angefangene Baustelle fertiggestellt war. Bis zum ihrem letzten Arbeitstag erhielten sie zum Glück auch noch alle ihre Löhne und Gehälter von einem Insolvenzverwalter.

In der Zwischenzeit suchte die Familie Kollin eine neue Arbeitsstelle für den Vater und eine neue Bleibe für die Familie. In Seilingen, einer Kleinstadt, die etwa hundert Kilometer von Brandendom entfernt lag, wurden sie fündig. Dort suchte ein großer Industriekonzern einen festangestellten Architekten.

Man würde demnächst damit beginnen, neue Gebäudetrakte zu bauen und die alten mussten dringend saniert werden. Bis dahin blieb der Familie noch reichlich Zeit, sodass Peters Vater dort sogar noch einen anderen, vorübergehenden Job annehmen könnte, den seine Frau in der Seilinger Morgenpost entdeckt hatte:

Suche Architekten zum Umgestalten einer ehemaligen Flugzeughalle bei Ordwohn. Bei Interesse bitte melden. Frank Berge … „Dieses Ordwohn liegt direkt bei Seilingen. Lasst uns doch mal am Wochenende einen Ausflug dorthin machen. Vielleicht finden wir da ja sogar ein kleines Häuschen für uns.“





… und als nächstes:

„PK & F – Das Geheimnis des Toten“

im Internet, in Ihrer Buchhandlung vorrätig, oder versandkostenfrei direkt beim Wagner Verlag zu bestellen! 
Anmerkung: Leider ist es mir nicht gelungen die Bilder hier mit reinzuholen. Ich bitte um Entschuldigung, Martin Gilles.

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Gast sehr gut geschriebn udn enthält in der tat ein interessantes Thema!
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