Fantasy & Horror
Die Wächterin von Reilong (7) - Kapitel 31 - 35

0
"Die Wächterin von Reilong (7) - Kapitel 31 - 35"
Veröffentlicht am 31. Januar 2012, 98 Seiten
Kategorie Fantasy & Horror
http://www.mystorys.de

Über den Autor:

Tjaaa.. eigentlich ich bin mehr eine Einzelgängerin und eine komlette Tagträumerin dazu xD Aber ab und an bin ich auch gerne unter Leuten, wobei es mir etwas an Gesprächsstoff fehlt, es sei denn es geht ums Schreiben und meine Geschichten. Da kann ich tagelang drüber reden :P Allerdings möchte ich hier auch mal zu meinen Geschichten anmerken, dass sie wirklich lange Stories sind, die sich über einen längeren Zeitraum erst richtig entwickeln und ...
Die Wächterin von Reilong (7) - Kapitel 31 - 35

Die Wächterin von Reilong (7) - Kapitel 31 - 35

Beschreibung

Von den ehemals vier Wächterinnen ist nur noch Samantha übrig. Doch auch wenn der Verlust ihrer Freundinnen schmerzt, ist sie entschlossen das fliegende Reich Reilong zu beschützen. Zusammen mit Prinzessin Elisabeth und ihren vier Bildschönen Leibwächtern will sie gegen Reilongs Schicksal ankämpfen und diesen seit Jahrhunderten andauernden Teufelskreis beenden. Dabei hat sie jedoch immer noch im Hinterkopf, dass es da auch noch die Geheimnisse um die Nemesis gibt. Woher stammt ihre Ähnlichkeit mit den Rei und warum greifen sie Reilong an? Und wer ist Father und was sind seine Absichten? Enthält: Kapitel 31: die alles entscheidende Schlacht Kapitel 32: Wind gegen Wasser Kapitel 33: der Kampf im Inneren Kapitel 34: die Allianz Kapitel 35: Rei und Nemesis

Kapitel 31: die alles entscheidende Schlacht

Die Luft war erfüllt von dem Klang aufeinanderschlagenden Metalls. Wo ich auch hinsah, überall waren schwarzgeflügelte Nemesis und irgendwo dazwischen verloren sich die zwanzig Haupttruppen der Rei. Die Schlacht glich einem wahren Alptraum, aus dem es jedoch kein Erwachen gab.

Zu Beginn, als die bestimmt tausend Mann starke Truppe der Nemesis noch in einer Formation gewesen war, war der Kampf ja noch übersichtlich gewesen, doch nun sah ich praktisch nur noch schwarz. Auf einem Befehl von einem der Hauptkommandeure der Nemesis hatte deren Streitmacht die Formation einfach aufgelöst und sich wie eine dunkle Welle auf die Rei gestürzt, die ohnehin schon in der Unterzahl waren. Es gab kein Entrinnen, der Ausgang des Kampfes schien bereits vorherbestimmt zu sein.

„KÄMPFT!“, brüllte Mikhail mitten über das Kampfgeschehen hinweg.

„Lasst euch ja nicht unterkriegen!“, rief Ravi gleich hinterher, „Ihr seid die zwanzig Haupttruppen der Prinzessin, also wagt es ja nicht zu verlieren!“

Die Schlacht schien beinahe aussichtslos, doch aufgeben tat trotzdem keiner.

„Erste Einheit formieren!“, schrie Vincent über das Getümmel hinweg.

„Dritte Truppe vollen Angriff!“, brüllte Belphegor und schwang seine beiden Degen gefährlich durch die Luft.

Das war der Kampfgeist der Rei, die trotz allem nicht vorhatten unterzugehen. Ich hätte nie gedacht, dass ich einmal so etwas wie Ehre empfinden würde, wenn ich mit solch starken Kriegern Seite an Seite kämpfte, doch es war wirklich ein unbeschreibliches Gefühl. Ich kannte nichts Vergleichbares und ich würde alles dafür tun, dass dieser Einsatz belohnt werden würde.

„Hyaaaaa!“ Einer der Nemesis kam mit hoch erhobenem Schwert von hinten angeflogen, doch noch ehe er sich versah, war er in meinen Ketten gefangen und kräftig in die Mangel genommen. Dieses Mal führte ich sogar drei lange, eiserne Ketten mit dolchartigen, spitzen Kegeln an den Enden. Eine davon würgte meinen Angreifer bis fast zur Bewusstlosigkeit, bevor ich ihn quer durch die Luft einem seiner Kumpanen in die Arme schleuderte. Töten kam für mich zwar noch immer nicht in Frage, aber es gab viele Alternativen die Nemesis kampfunfähig zu machen. Auch wenn das natürlich schwerer war als sie einfach umzubringen, aber bisher funktionierte es.

Die Rei hatten bereits viel eingesteckt, doch auch die wie immer schwarzen Klamotten der Nemesis waren nicht mehr sauber und nicht wenige hatten sich zurückziehen müssen oder waren gar gefallen. Besonders die zwanzig Führer der Truppen Reilongs wurden alsbald zum Schrecken der Nemesis, denn ihnen folgte wirklich eine Spur aus Toten und Schwerverletzten. Kaum ein Nemesis überlebte eine Begegnung mit ihnen, obwohl sie sich vielfach sogar mit mehreren auf die alten Krieger der Rei stürzten.

Die jüngeren Mitglieder der zwanzig Truppen ließen sich die Butter aber auch nicht vom Brot nehmen und schlugen sich wie ihre Anführer mit viel Geschick durch die feindlichen Truppen. Selbst mit teilweise schon schweren Verletzungen dachten sie nicht mal ans Aufgeben, sondern kämpften tapfer weiter. Ich zollte ihnen ein hohes Maß an Respekt und bewunderte sie dafür sogar.

Die Schlacht zog sich aber unweigerlich in die Länge und so gut wie alle hatten mittlerweile einiges an Verletzungen eingesteckt. Selbst Mikhail, Ravi, Luke und Tinto wiesen bereits einiges an Kratzern und anderen leichten Verletzungen auf. Tintos leichte Narbe über die rechte Wange und seinen Nasenrücken, die er von dem Gefecht mit Belphegor davongetragen hatte, war wieder aufgegangen und blutete. Luke hatte einen tiefen Einschnitt in der Magengegend, ließ sich seine Schmerzen jedoch nicht anmerken und zielte weiterhin mit Pfeil und Bogen auf die Nemesis. Ravi war mit Schnitten und blauen Flecken nur so übersät, rauschte aber weiterhin wie ein Mähdrescher durch die Reihen der Nemesis und machte den zwanzig Truppenführern wahrhaft Konkurrenz. Mikhail war am rechten Bein verletzt und seine Linke schien nicht mehr ganz so schnell zu sein wie am Anfang, doch auch er ließ sich nicht aufhalten.

Dank meiner drei Ketten und der Windkontrolle war ich bisher noch unverletzt, doch ich rechnete nicht damit, dass das so bleiben würde. Gerade da ich immer wieder Ausschau nach dem Anführer der Nemesis Ausschau hielt. Father, oder besser gesagt eigentlich Xavier, der sich mit Sicherheit auch noch blicken ließ. Und sobald er auftauchte, würde ich ihn besiegen und vor allem Yasmine wieder zurückholen. Dass er meine Freundin so hinters Licht geführt, Nemu ihre Kräfte verloren hatte und Caroline sogar gestorben war, würde ich ihm nie verzeihen. Niemals. Er war die erste und einzige Person, bei der ich den Drang verspürte sie zu töten. Selbst wenn ich damit die größte Sünde auf Erden beging, war es mir gleich.

„Na Kleine.“

Ich drehte mich ruckartig um und erblickte wie erwartet den fünften Kommandeur der Nemesishauptstreitmacht, Raven. Ein Langschwert mit schwarzer Klinge lag in seiner Hand und seine kurzen, braunen Haare waren ein wenig durcheinander, doch seine schwarzen Augen sprachen wie immer seine Lust zum Töten aus.

Ich verzog ein wenig das Gesicht und wehrte kurz noch einen anderen Nemesis ab, was allerdings keine große Schwierigkeit war.

„Was siehst du mich so an?“, fragte Raven grinsend, „Willst du einen Kampf?“

Mir war klar, dass er einer der besten unter den Nemesis sein musste, gerade weil er ein Kommandeur war und meines Wissens den einzigen unter den Schwarzgeflügelten darstellte, der Mikhail das Wasser reichen konnte. Aber auch mit diesem Wissen im Hinterkopf hielt ich es für eine gute Gelegenheit mich für die vielen Male zu revanchieren, bei denen er mich beinahe getötet hatte.

Die drei eisernen Ketten klirrten leise, als sie sich ausrichteten und in Position brachten, um den Nemesis knapp fünf Meter vor mir zu attackieren.

„Schöne Antwort“, stellte mein Gegner zufrieden fest und blickte zu einem Nemesis, der gerade Kurs auf mich genommen hatte, „Hey! Die Kleine gehört mir! Mischt euch ja nicht ein!“

Der Nemesis bremste und zog ein verwirrtes Gesicht, wandte sich dann aber enttäuscht ab und suchte nach einem neuen Opfer. Am liebsten hätte ich ihm eine meiner Ketten nachgeschickt, doch das erschein mir bei meinem Gegenüber unklug. Hier würde ich alles brauchen, was ich hatte.

„Was ist eigentlich mit deiner Fähigkeit passiert?“, fragte Raven nun, hob seine Waffe auf Schulterhöhe und zielte mit der Spitze auf mich, „Hast du keine Lust mehr und bist deswegen auf diese Dinger umgestiegen oder was?“

„Das geht Sie nichts an“, erwiderte ich und versuchte abzuschätzen, was er vorhatte. Dass mich meine Fähigkeit in einen längeren Kampf zu viel Kraft kosten würde, musste ich meinem Feind ja nicht gerade unter die Nase reiben.

„Mir auch recht.“ In seinen dunklen Augen glänzte die Vorfreude, fast so wie bei Ravi. „Hauptsache das hier wird ein guter Kampf…“

Er schoss wie ein Pfeil zielgenau auf mich zu und versuchte mir Kehle durchzuschneiden. Ich hatte das jedoch schon geahnt und mit den Ketten ein kleines Gitter gesponnen. Als er versuchte hindurchzukommen, wickelte sich eine der Ketten um die schwarze Klinge seines Schwertes und entriss sie ihm glatt. Damit war die erste Hürde genommen und ich wagte es näher heranzukommen, um ihm den letzten Schlag zu verpassen.

„Sehr gut, Kleine.“ Plötzlich sah Raven grinsend auf. „Aber noch nicht gut genug!“

Auf einmal zückte er einen Dolch und hieb zu. Nur sehr knapp konnte ich ihn mit einer der anderen Ketten ablenken, doch da griff der fünfte Kommandeur nach oben und fing sein Schwert wieder auf. Es war als wäre es brav zu seinem Meister zurückgekehrt, selbst nachdem ich ihn eigentlich entwaffnet hatte. Scheinbar würde diese Taktik nicht viel bringen, das war ein Problem.

„Na komm schon, das ist doch nicht alles, was du kannst“, sagte Raven ernst und packte eine der Ketten, „Kämpf gefälligst ernsthaft und versuch mich zu töten! Sonst brauchen wir gar nicht erst zu kämpfen!“

Ich starrte ihn entgeistert an.

Da zog er auch schon an der Kette und mir entglitt die Kontrolle. Sie fiel einfach in die Tiefe und verschwand zwischen den langsam immer dunkler und dichter werdenden Wolken. Dabei wurde mir auch klar, dass er Recht hatte. Auch Mikhail und die anderen schafften es nur so stark zu kämpfen, weil sie nicht versuchten das Leben ihrer Feinde zu verschonen und sich damit zurückhielten. Für jemanden wie mich war es unmöglich ihn zu besiegen.

„Zeit dem hier ein Ende zu bereiten“, murmelte der fünfte Kommandeur und sauste mit erhobenem Schwert auf mich zu, ganz in dem Willen mich zu töten.

„Verflucht!“ Ich flog kurz entschlossen auf ihn zu und schoss nur ein Stück neben ihm vorbei. „So leicht lass ich mich nicht umbringen!“

Die zwei verbliebenen Ketten hatte ich nur zur Hälfte mitgenommen, jetzt wickelten sie sich mit etwas Abstand um den noch leicht überraschten Nemesis. Allerdings lächelte er und drehte sich zu mir um, so als wenn er sich freute, dass ich noch nicht aufgab. Dann lenkte ich die spitzen Enden der Kette jedoch auf ihn zu und gab mir dieses Mal keine Mühe darauf zu achten keine vitalen Punkte zu treffen. Bei ihm half sowieso nichts mehr, er war ein Kämpfer durch und durch, der sich wahrscheinlich sogar halb tot noch nicht geschlagen geben würde.

Genau diesen Willen erkannte ich noch deutlicher, als er es tatsächlich fertig brachte alle vier Enden mit einem Streich abzuwehren. Daraufhin lenkte ich die Kettenteile einzeln und attackierte ihn von unterschiedlichen Seiten und zu verschiedenen Zeitpunkten immer wieder, doch egal wie sehr ich das Tempo erhöhte, er schaffte es jedes Mal wieder sie abzuwehren. Es war echt beängstigend, doch ich kannte dieses sture Durchhaltevermögen noch von jemand anderem. Mikhail. Und auch wenn es mir widerstrebte das anzuerkennen, er war ein verdammt guter Krieger. Nur kämpfte er leider auf der anderen Seite.

„Was denn? Was denn? Ist das schon alles!?“, fragte er mit richtigem Enthusiasmus in der Stimme und schlug klirrend wieder eine meiner Ketten zurück.

Ich knurrte leise, probierte aber gleich das nächste. Während ich drei der Kettenenden ihn noch stärker einkreisen und angreifen ließ, formte ich mit dem vierten und einem Teil der dazugehörigen Kette eine Art Hammer. Im nächsten Moment schon stieß ich mit allen vier Ketten zu, wobei ich den geformten Hammer aus dem toten Winkel kommen und Raven direkt auf den Kopf schlagen ließ. Dieses Mal traf ich ihn auch endlich und er sackte ein ganzes Stück tiefer, wobei ich die Ketten trotzdem noch um ihn herum schweben ließ. Bei dem Kerl wusste man nie.

„So so, scheinbar bin ich jetzt an der Reihe.“ Als Raven aufblickte, traf mich ein derart drohender und vernichtender Blick, dass ich unwillkürlich ein Stück zurückwich. Jedoch hatte sein mörderischer Blick – den der Hohn und die Kampffreude verlassen hatten, genau wie zu dem Zeitpunkt als Reilong beinahe abgestürzt war – mich bereits erfasst. Seine schwarzen Flügel spannten sich und mit einem Mal kam er wie ein geölter Blitz auf mich zugeschossen. Auch die Ketten direkt vor seiner Nase hielten ihn nicht auf, er zuckte nicht mal mit der Wimper als er einfach durch sie hindurchschoss und hinter sich ließ.

„Verda…“ Er hatte meine Verteidigung einfach so hinter sich gelassen, als wäre es nichts. Seine Klinge bohrte sich beinahe schon in meine Brust, doch es gelang mir irgendwie mich zur Seite zu rollen und ganz knapp dem tödlichen Hieb zu entrinnen. Mir blieb jedoch keinerlei Zeit mich zu erholen, denn Raven kam wie magisch angezogen hinterher und holte bereits zum nächsten Schlag aus. Ich ließ eine der beiden Ketten vor mir schweben und spannte sie direkt auf Höhe des Schwertes an, damit die Klinge daran abprallte. Wider Erwarten aber schlug er so heftig dagegen, dass die getroffenen Glieder glatt zersplitterten und die Kette in zwei Teile gerissen wurde. Meine Verteidigung war dahin.

Dann war er auch schon direkt vor mir und seine Klinge sauste wie ein schwarzer Blitz auf mich herab. Es regnete jedoch auf einmal Funken, als sich eine dünne Degenklinge der Schwarzen in den Weg stellte.

„Sagte ich nicht, dass ich nicht mehr als ein Auge auf dich haben werde?“ Tinto verzog angestrengt das Gesicht und trat dem fünften Kommandeur kräftig in den Magen, was ihn ein Stück zurückwarf. „Also was zum Teufel mache ich hier eigentlich?“

Ich sah ihn nur verblüfft an. Erstens hatte ich bei der Übermacht an Nemesis sowieso nicht damit gerechnet, dass mir irgendwer helfen würde, aber dass dann ausgerechnet er kam, erstaunte mich zutiefst.

„Du musstest dich natürlich auch gleich mit diesem Kerl anlegen“, murmelte er resigniert, „Was Besseres ist dir wohl nicht eingefallen?“

Bei seiner Stimme klang das wie eine Beleidigung. „Ich mache halt keine halben Sachen“, erwiderte ich, verschränkte die Arme vor der Brust und sah zur Seite, „Und ich hab dich auch nicht darum gebeten, also komm nicht auf die Idee deinen Unmut an mir auszulassen.“

„Oh doch, das werde ich“, konterte der Zweitälteste prompt, „Und zwar nach Herzenslust, sollten wir hier lebend rauskommen, du kleine Nervensäge.“

In der Zwischenzeit hatte sich Raven wieder gefangen und seinem berechnenden Blick nach zu urteilen auch bereits die Situation erkannt. Seinem schwarzen Schwert schien es egal zu sein, ob es ein oder zwei Opfer hatte. Im Gegenteil, seine Mordlust jagte mir bald einen Schauer über den Rücken, so deutlich war sie zu spüren.

„Scheint als würde ich so nicht gegen ihn ankommen“, stellte Tinto frustriert fest und griff nach seiner Brille, „Pass gut darauf auf und komm mir bloß nicht in die Quere!“

Er drückte mir sein sportliches, graues Brillengestell in die Hand und schoss noch im selben Atemzug auf Raven zu, als wollte er so verhindern, dass seine düstere Seite sich auf irgendwen anders stürzte als auf ihn. Der Nemesis riss sein Schwert hoch und parierte den Schlag, doch Tinto tauchte schon im nächsten Moment plötzlich hinter ihm auf und Raven fuhr herum, aber da war der zweite Leibwächter der Prinzessin schon wieder verschwunden. Daraufhin erhöhte aber auch Raven sein Tempo und schon nach kurzer Zeit konnte ich den beiden mit den Augen kaum folgen, so schnell schwangen sie ihre Waffen durch die Luft und bewegten sich von einem Punkt zum Nächsten.

Dabei bemerkte ich einen sich anschleichenden Nemesis, doch mit der verbliebenen Kette schlug ich ihn gleich wieder zurück und blickte zu Tinto und Raven, die sich da einem Kampf lieferten, wie man ihn nur selten sah.

Eine Weile lang sah ich den beiden einfach nur wie gebannt zu, bis mir die inzwischen deutliche Verdunklung der Umgebung auffiel. Düstere Regen- und Gewitterwolken waren aufgezogen und umrahmten das Schlachtfeld hier hoch oben in der Luft. Der Wind wehte nun stärker und ich bemerkte weiter oben eine riesige Ansammlung schwarzer Wolken, in denen die Blitze wild tobten und der Donner ein großes Konzert veranstaltete. Die Anordnung der Gewitterwolken erinnerte mich beinahe an die Barriere von Reilong.

„Moment mal, das…“ Gerade als es mir klar wurde, zog sich die düstere Wolkenwand wie ein monströser Vorhang zur Seite und gab den Blick frei auf eine fliegende Insel, die nur etwas kleiner war als Reilong. Allerdings erkannte ich bereits auf den ersten Blick, dass das Land beinahe ausgestorben war und in der Mitte nur ein riesiger, pechschwarzer Palast mit vielen spitzen Türmen thronte. Bedrohlich ragte das schwarze Königreich von Xavier und den Nemesis vor uns auf und flößte einem schon durch seine bloße Erscheinung Angst ein.

Ich hörte die lauten, verblüfften und erschrockenen Rufe der Rei und wie sie gleich darauf von ihren Angreifern wieder erstickt wurden. Auch ich löste meinen Blick von dem schwarzen Ungetüm und blickte wieder zu Tinto und Raven, die sich mittlerweile gegenseitig ganz schön zugesetzt hatten. Nicht mehr lange und die würden sich gegenseitig in Stücke hauen!

„Ich muss sie stoppen“, murmelte ich. Sonst würde Tintos düstere Seite wirklich noch bis zu seinem Tod kämpfen. Bloß wie sollte ich die beiden aufhalten? Und selbst wenn ich Tinto wieder beruhigen konnte, war da immer noch Raven, der uns in dem Fall bestimmt beide einfach umbringen würde.

Auf einmal hörte ich ein leises Zischen und konnte gerade noch den Kopf einziehen. Schnell blickte ich zur Seite und entdeckte ein Stück entfernt die Absenderin des Dolches, der sich beinahe in meinen Schädel gebohrt hätte. Ich erkannte das Mädchen mit den schwarzen Locken, sie hatte bei dem Absturz von Reilong auch Raven eingesammelt und davor noch hatten sie und ein jüngerer anderer Nemesis bei meiner ersten Ankunft in dieser Welt versucht mich und Yasmine umzubringen.

„Du schon wieder“, zischte sie, blickte aber kurz runter zu Raven, „Verdammter Idiot.“

„Was ist mit ihm?“, fragte ich nach kurzem Überlegen einfach, „Es sieht ja fast so aus als hätte er ebenfalls eine gespaltene Persönlichkeit.“

„Ebenfalls gespaltene.. Ach deshalb ist eure Brillenschlange heute so stark“, stellte das Mädchen fest, ehe ihm etwas aufzufallen schien, „Halt die Klappe und kümmere dich um deinen eigenen Kram, du verfluchte Rei!“

Sie zückte erneut mehrere Dolche, doch bevor sie werfen konnte, hob ich die Hände. „Wollen wir uns nicht auf einen kurzen Waffenstillstand einigen?“, fragte ich auf eine Vermutung hin, „Wenn wir die zwei da nicht gleich aufhalten, bringen sie sich wirklich um.“

„Und wenn schon! Außerdem wird Kommandeur Raven niemals gegen so eine Kröte wie den zweiten Schoßhund der Prinzessin verlieren!“, keifte sie.

„Sie werden wahrscheinlich beide sterben“, erwiderte ich, „Aber du kannst Raven stoppen und ich Tinto. Dieser verrückte Kommandeur bedeutet dir doch einiges, nicht wahr?“

Nicht alle, aber viele der Nemesis hatten nicht vollkommen ihre menschliche – okay, der Ausdruck war ein wenig unpassend, aber schien mir am geeignetsten – Art eingebüßt. Ich hatte bereits einige davon kennengelernt und auch wenn wir uns nicht direkt verstanden hatten, glaubte ich, dass dies nicht völlig unmöglich war. Tiya hatte mir dies bewiesen.

„Kämpfen können wir später noch, helf mir jetzt“, forderte ich und flog auf Tinto zu. Wenn ich ihm die Brille aufsetzen wollte, musste ich gut aufpassen und den richten Zeitpunkt abpassen, bei dem Tempo keine leichte Aufgabe.

Das Nemesismädchen erschien nur wenige Sekunden später auf der anderen Seite und schien genau wie ich den richtigen Moment abzuwarten. Ein wenig erstaunt war ich schon, dass sie tatsächlich mitmachte, doch das gab mir nur noch mehr Bestätigung. Sie blickte zu mir und verzog ein wenig angewidert das Gesicht, hielt dann aber die Hand hoch.

Tinto und Raven bewegten sich gerade mit fliegenden Klingen zwischen uns längs und schienen gar nicht mitzubekommen, dass wir mit etwas Abstand neben ihnen warteten. Sie waren vollauf darauf konzentriert sich gegenseitig umzubringen, ihre düsteren Auren gaben echt kein schönes Gefühl und diese tödlichen Blicke konnten kaum finsterer sein.

Das Mädchen zeigte mit den Fingern erst drei, dann zwei und schließlich eins an. In dem Augenblick schossen wir beide los, gerade als Tinto auf meiner und Raven auf ihrer Seite war. Sie nahm Raven erstmal in den Schwitzkasten und zog ihn ein Stück von uns weg, ehe sie aufgebracht auf ihn einredete und ihm einen kräftigen Schlag auf den Kopf verpasste. Ob man es glaubte oder nicht, daraufhin liefen mir bei seinem Anblick keine Schauer mehr über den Rücken. Er schimpfte nur und verzog wegen seiner ganzen Schnitte das Gesicht, während das Nemesismädchen erleichtert aufatmete.

Ich hatte Tinto einfach am Oberarm herumgedreht und wollte ihm seine Brille wieder auf die Nase setzen, doch unerwarteterweise sauste mir der Degen entgegen und ich konnte mich nur ganz knapp nach hinten lehnen, um der dünnen Klinge zu entkommen. Schnell beendete ich den Flickflack und sah den Zweitältesten aber bereits wieder auf mich zukommen.

„Tinto!“, rief ich nur entsetzt, als die Spitze seines Degens auf mein Herz zuraste. Jedoch stoppte es unmittelbar vor meiner Brust, im wirklich allerletzten Moment.

Ich keuchte erschrocken und sah von der Waffe auf. Tinto starrte mich wie vom Donner gerührt an und atmete noch schwerer als ich, aber er schien er selbst zu sein. Obwohl ich seine Brille immer noch in der Hand hielt.

Kapitel 32: Wind gegen Wasser

Schließlich ließ er den Degen sinken und seufzte herzhaft. „Ich hab dir doch gesagt, dass du mir nicht in den Weg kommen sollst“, bemerkte er leise, wobei der Schreck ihm noch ziemlich im Nacken zu sitzen schien, „Meine andere Persönlichkeit schreckt auch nicht vor Kameraden zurück, das solltest du doch wissen.“

Ich lächelte schief. „Eigentlich wollte ich dir ja auch vorher die Brille aufsetzen, aber du warst schneller als ich.“

Ein Stöhnen war alles, was als Erwiderung darauf kam.

„Aber du bist ja trotzdem wieder du selbst geworden“, stellte ich fest, „Also Glück gehabt.“

Er sah mich resigniert an. „Glaub ja nicht, dass Glück dich immer rettet.“

„Apropos, tun die eigentlich nicht weh?“ Mein Blick war auf die unzähligen Verletzungen gefallen, mit denen fast sein ganzer Körper übersät war.

Prompt verzog der Arme vor Schmerz das Gesicht und war kurz davor sich zu krümmen. „Daran hättest du mich nun wirklich nicht erinnern müssen“, stöhnte er, als ihm auch das Blut aus der Narbe über die Wange lief.

„Tut mir leid“, sagte ich etwas zerknirscht und holte ein Stofftaschentuch aus meiner Tasche. Damit tupfte ich vorsichtig das Blut von seiner Wange, wobei er mich allerdings etwas verdattert ansah.

„Hey! Du Rei-Tante!“

Ich sah über meine Schulter und erblickte das Nemesismädchen von eben neben Raven, der es mit vor der Brust verschränkten Armen resigniert ansah. Als hätte sie ihn zu irgendwas verdonnert, was ihm nicht ganz passte. Da fragte ich mich, wer eigentlich der Kommandeur war.

Mir schwante jedoch, was sie wollte und ich flog ein Stück nach vorne. Wir hatten die beiden Männer auseinander bekommen, von daher war der Waffenstillstand beendet und sie konnte jederzeit angreifen. Auch wenn ich nur ungern gegen sie kämpfen wollte.

Das Mädchen musterte mich eine Weile lang abschätzend, ehe es eine Augenbraue hob. „Du bist echt komisch“, stellte es fest.

Ich erwiderte leicht verwirrt seinen Blick. „Wird mir öfter gesagt, wieso?“

Auf einmal flog die Nemesis auf mich zu und hielt erst direkt vor mir. Da hatte Tinto jedoch schon seinen Degen erhoben und schien sie von einem Angriff abhalten zu wollen, aber Raven parierte die Waffe mit seinem Schwert, bevor das Mädchen getroffen werden konnte. Allerdings verzogen beide Männer augenblicklich das Gesicht. Offensichtlich hatten sie sich gegenseitig ganz schön zugerichtet und konnten sich kaum mehr bewegen, ohne dabei Schmerzen zu haben.

„Wie man es auch dreht und wendet, du bist echt seltsam“, wiederholte das Mädchen und musterte mich nun eingehend von Nahem. Ihr ziemlich skeptischer Blick sah irgendwie schräg aus.

„Ääh.. und was soll mir das sagen?“, fragte ich zögerlich.

„Wie heißt du?“ Statt zu antworten, schien das Mädchen mich lieber selbst mit Fragen zu bombardieren.

„S-Samantha“, antwortete ich stockend, „Und du?“

Kurz zweifelte ich daran, dass sie antworten würde, doch dann sagte sie knapp: „Nina.“

„Und was hast du jetzt vor?“, fragte Tinto misstrauisch, der sich den linken Arm hielt und für mich nicht so aussah, als ob er noch großartig kämpfen konnte.

Die Nemesis namens Nina beachtete ihn gar nicht. „Ich hatte eine Freundin, auch wenn wir die meiste Zeit nur über Gedanken Kontakt hatten. Diese ist vor kurzem wegen dir gestorben.“

Ich sah sie irritiert an, ehe mir eine Ahnung kam. „Tiya…“

Ninas Blick wurde ernst. „Cires hat mir erzählt, Tiya hätte sich zwischen ihn und dich geworfen, um dich zu beschützen.“

Kurz musste ich überlegen, doch Cires schien der Nemesis zu sein, der mich zu dem Zeitpunkt angegriffen hatte. Wie Tiya den Hieb eingesteckt und dann langsam zerbrochen war, hatte ich immer noch live vor Augen. Ich senkte den Blick und nickte.

„Wegen mir ist sie gestorben“, wiederholte ich mit betrübter Stimme, „Auch wenn ich selbst nicht glauben kann, dass sie das wirklich getan hat. Am Anfang haben wir uns nicht gerade gut verstanden, aber irgendwie.. sie war auch für mich eine Freundin geworden…“

Nina sah mich eine ganze Weile lang kritisch an und schien nach irgendetwas zu suchen. Vielleicht nach Anzeichen dafür, dass ich log. „Ich verstehe zwar nicht, warum sie ihr Leben für jemanden wie dich weggeworfen hat, aber du scheinst nicht wie diese anderen, barbarischen Rei zu sein.“

„Barbarisch?!“ Tinto schien die Bezeichnung ganz und gar nicht zu passen.

„Und Cires sagte, dass Tiya noch etwas Seltsames gesagt haben soll“, fügte die junge Nemesis hinzu, die wohl etwa in meinem Alter war, „Etwas wie, dass du vielleicht die Einzige bist, die je in der Lage sein wird das Ganze zu beenden, ohne dass eine Seite von uns sterben muss.“

Es dauerte einen Augenblick, aber ich erinnerte mich an diese Worte, die auch mir komisch vorgekommen waren. „Sie hat so etwas gesagt, aber ehrlich gesagt weiß ich auch nicht, was sie damit gemeint hat“, gestand ich leicht zerknirscht.

Wieder herrschte einige Sekunden lang Schweigen.

„Mann! Das ist ja echt nervig!“, stellte Nina dann aufgebracht fest, „Eigentlich wollte ich dich töten, aber so wie du drauf bist.. Verdammt! Bei dir kriegt man ja glatt das Gefühl, dass Nemesis und Rei miteinander auskommen könnten!“

„Na ja…“, sagte ich zaghaft, „Meiner Meinung nach sind wir ja eigentlich gar nicht so verschieden, nur…“

Später konnte ich nicht genau sagen wieso, aber ich spürte etwas kommen und stieß Tinto und Nina schnell zur Seite, Raven wurde durch das Nemesismädchen ebenfalls mitgerissen. Im nächsten Moment fand ich mich zwischen lauter schwebendem Wasser wieder, in dem ich auch so einige spitze Eissplitter ausmachen konnte. Einen Angriff, den ich nur allzu gut kannte, wie ich mit Schrecken feststellte.

„Sollt ihr nicht alle Rei vernichten?“, fragte Yasmine mit kalter Stimme, die auf einmal von ein Stück weiter oben her angeflogen kam. Ihre blauen Flügel waren dunkler geworden und sie trug schwarze Kleidung, ganz wie die Nemesis. Dazu zählte ein – im Gegensatz zu den weiblichen Nemesis, die kurze Röcke mit Hosen darunter trugen – langes, pechschwarzes Kleid mit zwei hüfthohen Schlitzen an den Seiten, durch die es etwas leichter war sich zu bewegen. Es war ein kunstvolles Kleid mit kleinen goldenen Verzierungen, aber meiner Meinung nach viel zu dunkel für ihre früher so fröhliche Persönlichkeit. Ihre langen, dunkelblonden Haare hatte sie mit einer dünnen, schwarzen Schleife zu einem einfachen Pferdeschwanz nach oben gebunden. Als ich sie ansah, sah ich eine dunkle Kriegerin der Nemesis vor mir, aber nicht meine Freundin. Es war als wäre ihr Geist verschwunden, obwohl ihr Körper vor mir war.

„Wa…“ Nina sah sie mit einer Mischung aus Empörung und Bestürzung an, wobei auch Raven neben ihr misstrauisch wirkte. Ganz als mochte er das Mädchen nicht.

„Das soll unsere erste Wächterin sein?“ Tinto starrte sie genauso ungläubig an wie ich und konnte eindeutig nicht fassen, was er sah.

„Yasmine“, hauchte ich.

Diese sah mich an, mit einem so düsteren Blick, dass ich beinahe eine Gänsehaut bekam. „Ah ja, meine ehemalige Freundin Samantha“, stellte sie teilnahmslos fest, „Du hast entweder die Möglichkeit dich freiwillig zurückzuziehen und aus dem Kampf zwischen Nemesis und Rei rauszuhalten, oder ich töte dich.“

Diese Worte hauten rein. Niemals hätte ich gedacht, dass ich ihr, meiner Freundin, einmal gegenüberstehen würde. Zwar hatte ich damit gerechnet, dass sie auf Xaviers Seite stand und vermutlich nicht gerade gut auf mich zu sprechen war, aber dass sie ernsthaft drohen würde mich umzubringen, war wie ein Messerstich ins Herz. Es tat furchtbar weh.

„Hey! Samantha!“, rief Tinto in dem Moment.

Als ich aufblickte, sah ich Yasmine mit einem langen, dünnen Eissplitter direkt vor mir. Ausgeholt hatte sie bereits, um ihn mir scheinbar direkt ins Herz zu rammen. Es grenzte an ein Wunder, dass ich es geistesgegenwärtig schaffte gerade so weit zur Seite zu hechten, dass der dolchartige Eissplitter nur meinen linken Oberarm streifte. Schnell flatterte ich noch ein Stück weiter und drehte mich dann zu ihr um.

„Was soll das, Yes?“, fragte ich beinahe fassungslos und fasste nach der verletzten Stelle, die unangenehm brannte.

„Ich habe dir doch gesagt, dass ich dich umbringen werde, wenn du dich uns in den Weg stellst“, erwiderte sie kalt, „Wenn du dich nicht augenblicklich zurückziehst, sehe ich dich als Verbündete der Rei und werde dich töten. Also verschwinde oder stirb.“

Ich starrte sie ungläubig an, fasste mich aber wieder. „Bitte Yasmine, hör mir zu“, sagte ich eindringlich, „Dieser Xavier hat dich reingelegt. Ich bin mir sicher, deine ganzen Visionen stammen von ihm, er muss es irgendwie geschafft haben…“

„Hör auf so zu tun als wüsstest du alles!“, schrie das Mädchen auf einmal wütend und schoss auf mich zu, „DU bist diejenige, die hier keine Ahnung von irgendwas hat! Von dem, was die Rei Father angetan haben!“

Auf einmal war ich komplett von Wasser umgeben, in einer großen Kugel mit wie immer duzenden Eissplittern im Wasser. Damit hatte sie mich gefangen und brauchte nur noch das Wasser über mich hereinbrechen zu lassen, um mich zu ertränken und dabei noch schön mit den Splittern zu verletzen. Ein grausamer Tod, den sie sich da für mich hatte einfallen lassen.

Ich war kurz davor völlig zu verzweifeln, doch als ich mich wie wild nach einem Ausweg umsah, hörte ich auf einmal ein ganz leises Läuten. Wie das einer kleinen Glocke. Es war zwar echt ganz schön bescheuert, wie ich hinterher dachte, aber ich musste an dieses angebliche Halsband denken, von dem Mikhail behauptete es mir verpasst zu haben. Wieso genau konnte ich nicht sagen, aber irgendwie war ich ein wenig erleichtert und fühlte mich nicht mehr ganz so hilflos, auch wenn mir wirklich zum Heulen zu mute war. Denn mir wurde klar, dass ich keine Wahl hatte. Es gab nur eine Sache, die ich tun konnte.

In dem Augenblick fiel mein Gefängnis in sich zusammen und die Fluten drohten mich mitzureißen, doch mit einem kräftigen Windstoß wurde das Wasser einfach nach außen fortgeschleudert.

„Fein, scheinbar bleibt mir nichts anderes übrig, als gegen dich zu kämpfen“, stellte ich ernst fest und breitete meine weißen Schwingen aus, „Aber wenn ich dich besiege, wirst du mir gefälligst zuhören und mal deinen sturen Dickschädel zum Mitdenken benutzen.“

Ein düsteres Lächeln stahl sich auf ihr Gesicht. „Na schön, meinetwegen. Du wirst das sowieso nicht überleben.“

„Das werden wir ja sehen.“ Ich warf meine langen, kastanienbraunen Haare über die Schulter, aus denen sich das Zopfband gelöst hatte, mit dem ich sie eigentlich nach hinten gebunden hatte. Seltsamerweise hatte Elisabeth mir ein langes, blütenweißes Kleid verpasst, das dem von Yasmine gar nicht mal so unähnlich war. Allerdings hatte meines nur einen Schlitz an der linken Seite, der nur bis zur Mitte meiner Oberschenkel reichte. Des Weiteren hatte das Kleid zwei dünne Röcke übereinander, wobei der Obere ein wenig kürzer war als der Untere, und wurde mit einem schmalen, goldenen Gürtel an der Taille gerafft. Der obere Teil war schlicht und die leichten Trompetenärmel waren nur dreiviertellang, auch wenn es genau wie Yasmines überall kleine, goldene Verzierungen hatte.

Ein Wasserstrahl schoss auf mich zu und ich streckte eine Hand aus, woraufhin ein Windstoß die blauen Fluten zurückschlug.

„Verschwindet von hier!“, rief ich unseren drei noch etwas verdatterten Zuschauern zu.

Tinto war gerade dabei gewesen irgendwelche komischen Zeichen in die Luft zu geben und sah mich nun leicht überrascht an. Da packte Raven den Guten aber schon am Oberarm, auch wenn beide dabei die Gesichter verzogen, und zog den protestieren Zweitältesten einfach mit sich mit.

Nina sah kurz zwischen uns hin und her und knurrte dann wütend. „Wag es ja nicht zu sterben, ich hab noch ein Hühnchen mit dir zu rupfen!“, rief sie und sauste den beiden Männern hinterher.

Ich sah sie kurz leicht verblüfft an, dann sah bemerkte ich vor mir die große, sich auftürmende Welle und hielt es für besser, mich auf meine Gegnerin zu konzentrieren. Eingehüllt in eine runde Windbarriere war es jedoch zum Glück nicht sehr schwierig der Flutwelle standzuhalten. Bloß dass diese mit solch einer Wucht zuschlug, dass mir der Schild aus Wind beinahe zerbrach. Ich musste wirklich höllisch aufpassen, immerhin war sie von uns vier Wächterinnen wahrscheinlich die Begabteste.

Nun musste ich gleich mehreren Wasserstrahlen ausweichen und fand mich anschließend plötzlich inmitten hunderter schlanker Eissplitter wieder. Bevor ich mir überlegen konnte, wie ich da raus kam, schossen diese auch schon wie Pfeile auf mich zu und ich war zu so einigen derben Verrenkungen gezwungen. Zwar konnte ich bei weitem nicht allen ausweichen, doch ich konnte verhindern direkt und an lebensbedrohlichen Stellen getroffen zu werden. Einzig meine Flügel hatte es schlimmer erwischt, doch auch wenn es nicht gerade angenehm war, konnte ich immer noch fliegen.

Daraufhin hatte ich allerdings genug davon mich ständig angreifen zu lassen und schwang meine Hand einmal quer durch die Luft. Eine scharfe, sogar sichtbare Windböe schoss auf Yasmine zu, der es jedoch locker gelang auszuweichen. Das war aber zu erwarten gewesen und ich schickte nun mehrere messerscharfe Böen auf einmal los, ohne dabei meine Hand zu verwenden. Es sah jedoch fast so aus als würde Yes tanzen, während sie meinen Angriffen auswich und anschließend ein Stück nach oben flog.

Bevor sie zu einem neuen Angriff ansetzen konnte, schickte ich ihr aber meine letzte, eiserne Kette hinterher, die ich die ganze Zeit über etwas unterhalb von uns außerhalb ihrer Sichtweite gehalten hatte. Sie wickelte sich wie eine Schlange um das Mädchen, zwang Yasmines Flügel zusammen und ließ ihr keinerlei Bewegungsfreiheit. Damit hatte ich sie.

„Yes“, sagte ich und flog möglichst nahe an sie heran, „Du musst mir glauben, wir sind keine Feinde. Mag sein, dass wir vielleicht nicht die Gründe von diesem Xavier kennen, aber das, was er tut, ist falsch. Es kann nie und nimmer richtig sein ein ganzes Volk auslöschen zu wollen, gleich welche Gründe er hat. Ich bitte dich, wir sind vielleicht erst seit einem Jahr Freunde, aber…“

„Pass auf!!“, schrie Nina von weiter oben.

Daraufhin nahm ich auch das Zischen hinter mir war und ließ mich schnell fallen, da ich mir nicht sicher war, was da von hinten kam. Als ich mich im Fall ein Stück drehte, sah ich einen dicken, spitz zulaufenden Eiszapfen an der Stelle, an der ich zuvor gewesen war. Ich schluckte und bemerkte im nächsten Moment auch noch, wie die Glieder meiner Kette auf einmal weiß anliefen. Frost überzog sie und kroch durch die gesamte Kette, bis Yasmine sie ganz einfach sprengen konnte. Ihr kalter Blick richtete sich augenblicklich auf mich.

Ich zuckte zurück und biss die Zähne zusammen.

Gerade als meine Gegnerin zu einem erneuten Angriff ansetzte, entdeckten wir alle zwischen den düsteren Gewitterwolken überall um uns herum plötzlich einzelne, schneeweiße Schäfchenwolken. Es sah wirklich seltsam aus, wie sie sich auf einmal von Westen heranschoben und ihre düsteren Artgenossen nach Osten zurückdrängten, wo diese herkamen. Eigentlich erschienen sie völlig fehl am Platz, doch auf einmal begriff ich.

Völlig verdattert blickte ich gen Westen und entdeckte ein Stück weiter oben schließlich die riesige, weiße Wolkenwand, die ich gesucht hatte. Die weißen Schwaden an der Front zogen sich in dem Augenblick wie Gardinen zurück und gaben den Blick auf das zweite fliegende Reich frei.

„Reilong…“ Ich war echt vollkommen verdattert. „Lisa!“ Was machte die Prinzessin hier?! Und auch noch mit dem gesamten Reich!?

Jedoch sah ich aus den Augenwinkeln heraus eine Bewegung und wollte noch ausweichen, aber es war zu spät. Auf einen Schlag war ich den dunklen Fluten gefangen und die starke Strömung machte ein Entkommen unmöglich. Vor Schreck atmete ich beinahe sämtlichen Sauerstoff aus und klappte schnell den Mund zu, bevor ich noch das Wasser schluckte, das nun überall um mich herum war. Dabei wurde mir allerdings bewusst, dass es nicht mehr lange dauern würde, bis ich das unfreiwillig tat.

Ich wollte gerade den Wind bündeln, da schlug die Strömung auf einmal um und ich wurde zum Spielball der kalten Fluten. Vergeblich versuchte ich mich daraus zu befreien, die Welt drehte sich in einem wilden Wirrwarr aus aufs und abs, hin und hers und vor und zurücks. Ich trudelte wie ein Stück Treibholz durch das kalte Nass, unfähig etwas dagegen zu unternehmen. Irgendwo dazwischen entwich der letzte Rest Sauerstoff aus meinen Lungen und mir wurde langsam schwarz vor Augen, die Ohnmacht hatte ihre eisigen Finger bereits nach mir ausgestreckt.

„Samantha!!“

Ich riss die Augen auf, als ich plötzlich Elisabeths Stimme in meinem Kopf hörte. In einer letzten, verzweifelten Anstrengung biss ich die Zähne zusammen und bündelte alle Kraft, die ich aufbringen konnte, zu einem einzigen, heftigen Windstoß nach allen Seiten hin. Mit einem Mal war das Wasser fort und ich schnappte gierig nach Luft, um die Bewusstlosigkeit wieder fortzustoßen und nicht noch in die Tiefe zu stürzen. Trotzdem fiel ich erstmal ein ganzes Stück, ehe es mir gelang meine müden Flügel auszubreiten und immerhin auf der Höhe zu verharren, auf der ich nun war.

Yasmine weiter oben verzog das Gesicht und klappte die Flügel ein, um beinahe im Sturzflug auf mich zuzuschießen.

Irgendwie kam es mir dabei so vor, als würde die Zeit auf einmal nur noch in Zeitlupe verlaufen. Zu sehen wie meine eigene Freundin mit der Absicht mich zu töten auf mich zugesaust kam, zerbrach mir fast das Herz.

Als mein Blick dann mehr zufällig kurz an ihr vorbei ging, erblickte ich aber auch die anderen. Zu Tinto waren inzwischen auch Ravi und Luke dazugestoßen, wobei der Jüngste damit beschäftigt war einige aufdringliche Nemesis in die Schranken zu weisen. Luke und Tinto jedoch starrten mich erschrocken an und kamen bereits in meine Richtung, als wollten sie versuchen den Angriff von Yasmine zu stoppen.

Zu meiner großen Überraschung waren es aber nicht nur die beiden, die so entgeistert drein blickten. Auch Nina wirkte schockiert und folgte den beiden jungen Männern in dem Augenblick. Ravens Blick wusste ich nicht ganz zu deuten, aber es schien mir nicht so als wollte er, dass Yasmines Angriff mit dem langen, schwertgleichen Eissplitter in ihrer Hand mich erwischte – irgendwie hatte ich mehr das Gefühl, dass er mich wenn denn selbst erledigen wollte.

Gerade, als ich hin und her gerissen nach einem Ausweg suchte, entdeckte ich weiter oben auf einmal Mikhail. Und obwohl wir bestimmt über dreißig Meter auseinander waren, begegnete ich seinem Blick. Es war als wollte er sagen, dass ich gefälligst nicht einfach nur da schweben sondern etwas unternehmen sollte. Seine Lippen formten einige Worte, die ich nicht verstehen konnte. Nur wusste ich irgendwie trotzdem, was er sagte: Kämpf um dein Leben, du dumme Göre!

Und auf diesen Befehl hin wallte auf einmal ein Gefühl in mir auf, mit dem ich nun gar nicht gerechnet hatte. Wut. Blanke Wut darüber, dass Yasmine einfach so versuchte mich umzubringen, bloß weil dieser verdammte Anführer der Nemesis ihr irgendwelche Lügen aufgetischt hatte. Vertraute sie diesem finsteren Kerl mehr als mir, die sie selbst meist als Besonnenste und Vernünftigste von uns vier Freundinnen bezeichnet hatte?

Obwohl ich fix und fertig war, spürte ich neue Kraft in mir aufleben und mit einer kurzen Windböe entriss ich einem Nemesis unweit entfernt einfach sein Schwert, bevor er es einem Rei in den Rücken rammen konnte. Im nächsten Augenblick hielt ich den Schwertgriff in der Hand und kam Yasmine mit einem wütenden Brüllen von unten entgegen.

„Wach endlich auf, du dreimalverdammter Schwachkopf!!!“, schrie ich und hieb zu.

Entgegen allen meiner Erwartungen aber zögerte das Mädchen plötzlich für einen winzigen Moment. Dieser reichte, um mit meinem Schwert an ihrer Waffe vorbei zu kommen und es ihr durch ihren eigenen Schwung knapp unterhalb des Herzens in die Brust zu rammen. Obwohl ich das gar nicht gewollt hatte!

Ich starrte sie nur völlig fassungslos an, als sie direkt über mir war und mich auf einmal mit einem gepressten Lächeln ansah.

„Damals hast du mich auch.. Schwachkopf genannt“, flüsterte sie mit schwacher Stimme, „Als wir uns das erste Mal.. getroffen haben und.. Caro und ich uns.. gestritten haben…“

„Yes…“, hauchte ich entsetzt und mir stiegen Tränen in die Augen. Was hatte ich getan? „Yes halt durch!“

„Es.. tut mir.. leid…“, presste sie hervor und ihre Augen wurden bereits kleiner, während sie immer schwerer auf mir lag und ihr Blut das schwarze Kleid durchtränkte, „Ich.. war echt.. ein.. Schwach-.. kopf…“ Ihre Augen fielen zu und jegliche Kraft schien aus ihr zu weichen. Sie rutschte seitlich von mir und ich versuchte noch sie festzuhalten, doch ich bekam nur den Eissplitter zu fassen. Das Mädchen selbst fiel ungebremst in die Tiefe und wurde von den Wolken verschluckt, genau wie Caro damals.

Ich starrte ihr fassungslos hinterher und presste unter Tränen das Eis an mich. Ein ungeheurer Schmerz erwachte in meiner Brust, während der letzte Rest von Yasmines Kräften in mir verschwand. Dunkelheit entflammte in mir, hemmte meine Sicht und ich schrie vor Trauer und Schmerz auf.

Kapitel 33: der Kampf im Inneren

Plötzlich schossen messerscharfe, dunkle Windböen von mir aus in alle vier Himmelsrichtungen und oben und unten. Luke und Tinto mussten erschrocken bremsen und stießen bei ihrem Ausweichmanöver auch Nina zur Seite. Raven wich ebenfalls einigen der Böen aus und schob dabei auch zwei andere Nemesis schnell aus dem Weg, die sonst von dem scharfen Wind erwischt worden wären.

Innerhalb von wenigen Sekunden hatte sich ein dunkler Wirbelsturm um mich herum gebildet, über den ich jedoch keinerlei Kontrolle hatte. Die hatte jemand anderes.

„So, das hier ist jetzt mein Körper, also verzieh dich!“, verlangte eine weibliche Stimme und versuchte meinen Geist in den Hintergrund zu stoßen.

Ich versuchte natürlich dagegen anzukämpfen, doch das Entsetzen darüber, dass Yes jetzt tot war – dass ich sie selbst getötet hatte! – raubte mir sämtliche Kraft. Ich war nicht mehr fähig mich gegen die andere Persönlichkeit, die Nemesis, in meinem Inneren zu wehren. Nur noch flüchtig spürte ich, wie mir endgültig die Kontrolle über meinen Körper entglitt und ich langsam aber sicher im Nichts verschwand, aus dem es kein Zurück mehr gab.

„SAM!“ Auf einmal tauchte beinahe unmittelbar vor mir Mikhail auf. Er sah ganz schön zerschrammt und arg durchgepustet aus, doch er packte mit seiner freien rechten Hand meinen Arm und sah mir in die Augen. „Bleib gefälligst hier, du dumme Göre!“ Es war fast als wüsste er, was mit mir geschah.

Bloß war ich nicht in der Lage ihm zu antworten.

„Hah! Die Kleine siehst du nie mehr wieder“, grinste die Nemesis, die nun die Macht über meinen Körper hatte, „Verabschiede dich von ihr, solange sie noch nicht vollkommen verschwunden ist. Wobei das nur noch eine Frage von Sekunden ist.“

Sie lachte und wollte den Leibwächter der Prinzessin mit einer Windböe fortstoßen, doch dieser beugte sich plötzlich vor und verpasste ihr – und damit auch mir – eine satte Kopfnuss.

„Wag es ja nicht zu verschwinden!“, brüllte er, „SAMANTHA!“

Die Verzweiflung über Yasmines Tod – den Verlust meiner dritten Freundin – war kaum auszuhalten, doch mir wurde klar, dass gleich alles vorbei war, wenn ich nichts unternahm.

„Scher dich zum Teufel!“, rief die Nemesis in dem Augenblick und verpasste Mikhail einen Faustschlag in die Magengegend. Dadurch konnte er sich nicht mehr gegen den Wind des kleinen Tornados um mich stemmen und wurde fortgeweht.

„Das Gleiche könnte ich sagen“, schnaubte ich und kehrte vom Rande des Nichts zurück, „Das hier ist mein Körper und ich werde ihn dir nicht überlassen, damit du meine Freunde umbringst!“

„Ach, willst du das lieber selber tun?“, erwiderte meine uneingeladene Besucherin.

Der Kommentar trieb es jedoch zu weit und ich drängte sie mit aller Macht zurück und verpasste ihr gedanklich eine satte Ohrfeige.

„Ich werde keinen von meinen Freunden mehr sterben lassen, das verspreche ich!“, grollte ich und keuchte angestrengt.

„Und ich werde nicht dulden, dass du dich an meinen Artgenossen vergreifst!“, konterte die Nemesis und zog mich erneut zurück.

„Gib endlich auf!“, erwiderte ich zornig und versuchte sie abzuschütteln, doch sie krallte sich an mir fest.

„Das hättest du wohl gerne!“, konterte sie und riss mir gedanklich an den Haaren, „Ich werde Fathers Auftrag ausführen und dich vernichten, damit ihr Rei endlich für eure Taten büßt und wir die wahren Rei werden!“

„Samantha!“, rief Ravi, der mit Luke und Tinto zusammen ein Stück entfernt in der Luft schwebte. Die drei sahen mit zunehmenden Entsetzen, wie sich meine Flügel immer wieder von weiß in schwarz umfärbten und zurück. Der tosende Wind in bestimmt zwanzig Metern Radius um mich herum machte es jedoch schier unmöglich zu mir zu gelangen, die Böen schleuderten jeden fort, der versuchte sich zu nähern.

„Was ist da los?“, fragte Tinto verwirrt.

„Eine Nemesis“, sagte Nina plötzlich, die mit Raven zusammen unweit von den drei Leibwächtern in der Luft hing und das Geschehen beobachtete, während die anderen Rei und Nemesis sich immer noch eine Schlacht auf Leben und Tod lieferten.

„Wie bitte?“ Tinto starrte sie ungläubig an.

Nina schüttelte nur den Kopf und startete einen Versuch näher zu kommen, doch der Wind trieb sie augenblicklich ab und sie kehrte zu Raven zurück. „Es ist Sylia…“

Währenddessen waren die Nemesis und ich dabei uns um die Kontrolle über meinen Körper zu streiten, weshalb meine Fähigkeit der Windkontrolle wohl gerade auch ein wenig verrücktspielte.

„Was meinst du damit?“, fragte ich verwirrt und verhinderte mit knapper Mühe, dass sie den Radius des Tornados noch weiter ausweitete.

„Das, was ich sage!“, fauchte sie, „Ich werde nicht zulassen, dass die Nemesis untergehen! Wir werden niemals gegen die Rei verlieren!“

„Und wir werden uns nicht einfach von euch umbringen lassen!“, schrie ich innerlich. Dabei fiel mir jedoch etwas auf, was mich verwirrte. „Wieso wollt ihr uns eigentlich vernichten?“, fragte ich daraufhin.

Die weibliche Nemesis, die eindeutig geplant hatte mir sonst was an den Kopf zu werfen, stockte leicht überrascht. Dann fing sie sich aber sofort wieder. „Natürlich weil Father es so will und ihr uns sonst umbringen würdet!“

„Es lag nie in unserer Absicht euch zu töten…“, erwiderte ich irritiert, „Ihr zwingt uns dazu, weil ihr uns angreift.“

„Hah?!“ Jetzt schien auch sie die Stirn zu runzeln, schüttelte aber sofort den Kopf. „Alles Lügen! Jemand anderes kannst du vielleicht damit reinlegen, aber nicht mich!“

„Wenn ich das wollte, würde ich mir bessere Lügen einfallen lassen!“, entgegnete ich aufgebracht, „Wieso zum Teufel muss es immer das eine oder das andere sein?! Keiner von uns will sterben, also warum legen wir nicht einfach erst mal einen Waffenstillstand ein?!“

„Waffenstillstand? Zwischen Rei und Nemesis?“, wiederholte sie ungläubig.

„Ja.“ Wieso war ich eigentlich nicht schon früher darauf gekommen? Na ja, war ich im Prinzip schon, bloß hatten wir festgestellt, dass die Nemesis uns wohl kaum zuhören würden, ohne dass ein Wunder geschah. Aber vielleicht gab es trotz allem eine Chance.

„Bist du blöd? Oder einfach nur verrückt?“, erwiderte meine ungebetene Mitbewohnerin, von der ich noch nicht mal wusste, woher genau sie kam und wieso sie plötzlich in mir war.

„Wahrscheinlich beides“, antwortete ich resigniert, „Aber auch wenn es unmöglich erscheint, ist es vielleicht doch machbar, wenn wir zusammenarbeiten.“

„Zusammenarbeiten? Ich mit einer Rei? Das soll doch wohl ein Scherz sein!“

„Nein, oder höre ich mich so an?“, entgegnete ich, „Von mir aus sieh dir meine Gedanken und Gefühle an, ich meine es ernst. Ich will diesen Krieg beenden und wenn es möglich ist, ohne dass eine Seite von uns komplett ausradiert werden muss.“ Gerade weil sich Rei und Nemesis so ähnlich waren, wollte ich es schaffen, die Nemesis davon zu überzeugen, mit den Angriffen aufzuhören und Frieden mit uns zu schließen.

„Du hast eine ganz schön große Klappe“, bemerkte die Nemesis unfreundlich, „Und mit deinem Angebot wäre ich vorsichtig, wenn du mir Zugriff auf deinen Geist gibst, könnte ich dich auch ohne weiteres ins Nichts stürzen. Du hättest keinerlei Verteidigung mehr gegen mich.“

„Wenn ich dir dafür klarmachen kann, dass ich es ernst meine, nehme ich das Risiko gerne in Kauf“, sagte ich entschlossen, „Ich will nicht noch jemanden verlieren und das ist nur zu erreichen, wenn dieser Kampf ein für alle Mal beendet wird, ohne dass weiteres Blut fließt.“

Einige Sekunden lang schwieg die Nemesis und schien zu überlegen. „Na schön, du verrückte Wächterin“, sagte sie dann auf einmal ein wenig argwöhnisch, „Aber mach dich darauf gefasst, dass ich mir alles ansehen werde. Du musst gar nicht erst versuchen etwas vor mir zu verbergen, ich finde alles.“

Ich ließ die Barrikaden, die zwischen meinem und ihrem Geist errichtet waren, sinken und merkte augenblicklich den direkten Kontakt mit ihrer Seele. Genau wie bei Tiya war da diese überwältigende Verzweiflung, von der alle Nemesis ergriffen zu sein schienen, auch wenn man es ihnen äußerlich nicht anmerkte. Diese düstere Verzweiflung überwältigte nun auch mich und drang in meine Gedanken, Gefühle und Erinnerungen ein. Es war ein höchst seltsames Gefühl und ich drohte ständig in ihrem starken Geist zu versinken, doch ich hatte nicht die Absicht zu verschwinden. Ich würde nicht zulassen, dass Caros, Nemus und Yasmines Opfer umsonst gewesen waren.

„Wir müssen ihr helfen!“, rief Tinto und verzog aber gleichzeitig vor Schmerz das Gesicht.

„Und was willst du in deinem Zustand tun?“, fragte Raven missbilligend und verschränkte die Arme vor der Brust, „Ob die Kleine überlebt oder nicht, hängt alleine von ihrer Willenskraft ab. Wir können nur abwarten, wer von beiden am Ende überlebt und wer verschwindet.“

„Was meinst du, mit ‚wer von beiden‘?“, fragte Luke ernst, „Hat eine Nemesis von ihr Besitz ergriffen?“

„Ihr wisst echt gar nichts über uns“, stellte Nina ungerührt fest, „Und trotzdem versucht ihr uns umzubringen.“

„Weil ihr versucht uns zu töten!“, erwiderte Tinto sofort zornig.

Die vier sahen sich feindselig an.

„Hey! Seht mal, wen ich aufgegabelt habe!“, rief Ravi stolz und kam mit Mikhail im Schlepptau angeflogen.

„Du lebst noch“, stellte Luke fest.

„Hast du etwas dagegen?“, erwiderte der Älteste mit einer hochgezogenen Augenbraue, ehe er ernst wurde, „Wir können nur beten, dass die Göre nicht gegen die Nemesis verliert.“

„Da braucht sie aber noch eine gewaltige Menge Glück“, bemerkte Nina, „Sylia ist eine der Stärksten Kriegerinnen von uns und wird alles daran setzen, sie zu vernichten.“

„Nemesis…“ Mikhail schienen sie erst jetzt aufzufallen. „Was…?“

„Frag mich nicht, aber scheinbar hat die kleine Nervensäge da unten sogar schon unter den Feinden Freunde gefunden“, stöhnte Tinto.

„Ich hab mit ihr lediglich noch ein ordentliches Hühnchen zu rupfen“, warf Nina ein, „Euch alle vier kann ich definitiv nicht leiden, ihr Schoßhündchen eurer Prinzessin.“

„Vielen Dank für das Kompliment, werte Marionette von Xavier“, erwiderte Mikhail, bevor Tinto sich über den Kommentar auslassen konnte.

Nina sah ihn daraufhin wütend – aber auch ein wenig irritiert – an und wollte etwas erwidern, bloß bemerkte Mikhail in dem Moment den zweiten Nemesis, der sich weiter außen gehalten hatte.

„Du…“ Es war deutlich zu erkennen, wie sich seine Gesichtszüge verfinsterten und er nach seinen beiden Schwertern griff.

„Hey hey, ich würde nur zu gerne mit dir kämpfen, aber wie du siehst, hat mich dein kleines Brüderchen schon ziemlich auf dem Kika gehabt“, bemerkte Raven trocken, „Wäre doch langweilig, wenn du deine Rache nicht voll ausleben könntest.“

Mikhail schien drauf und dran zu sein auf ihn loszugehen, doch Tinto streckte den Arm aus und versperrte ihm damit den Weg.

„Wir haben andere Sorgen“, sagte der Zweitälteste ernst und sah seinem großen Bruder in die Augen, „Außerdem ist es schwer zu sagen, aber im Augenblick haben wir fast so etwas wie einen vorrübergehenden Waffenstillstand mit den beiden.“

Der Älteste sah ihn ungläubig an. Er schien etwas erwidern zu wollen, doch in dem Augenblick bemerkten sie, wie sich meine Haare auf einmal weiß färbten, im Gegensatz zu meinen Flügeln, die nun auf einen Schlag pechschwarz wurden. Der Wind ließ ebenfalls etwas nach, doch noch war er nicht vollständig abgeklungen.

„Also ist es entschieden“, stellte Raven fest, „Sylia hat anscheinend den stärkeren Willen gehabt.“

Dier vier Brüder starrten ihn entgeistert an und blickten dann beinahe fassungslos nach unten zu mir.

 

Kapitel 34: die Allianz

„Du bist wirklich eine seltsame Rei, Samantha“, stellte die Nemesis namens Sylia fest, „Die Seltsamste, die mir je in meinem Leben begegnet ist.“

„Und das soll mir sagen?“, fragte ich ein wenig müde und errichtete wieder die Barriere zwischen unseren beiden Seelen.

„Dass du eine verflucht naive, dumme Rei bist“, antwortete meine Mitbewohnerin, „Aber irgendwie gefällt mir deine Vorstellung von dem Beenden dieser sinnlosen Schlacht besser als die von Father. Auch wenn ich es trotzdem nur schwer mit meinem Gewissen vereinbaren kann.“

„Wieso?“, erwiderte ich, „Er ist derjenige, der uns erst alle in diesen Krieg gestürzt hat. Und so wie ich ihn einschätze, wird er nicht eher Ruhe geben, ehe er sein Ziel erreicht und sämtliche existierenden Rei vernichtet hat. Er hat doch Spaß an dem ganzen Leid und genießt es förmlich. Zumindest erscheint er mir so.“

Die junge Nemesis, die wie Nina nur wenig älter als ich war, ließ in Gedanken den Kopf hängen. „Im Grunde.. muss ich dir zustimmen. Aber hast du eine Ahnung, wie schwer es ist, wenn sich plötzlich alles Richtige als Falsch herausstellt und andersherum?“

„Ich kann es mir gut vorstellen.“

Der Wind flaute nun endgültig ab, wobei die Schlacht um uns herum aber nach wie vor andauerte und noch kein Ende in Sicht kommen ließ.

„Das kann nicht sein“, sagte Mikhail schließlich und sah die beiden Nemesis entschlossen an, „Sie würde nicht verlieren.“

„Es sieht aber ganz so aus“, widersprach Raven, „Sieh es ein, deine kleine Geliebte hatte gegen Sylia keine Chance. Ihr Körper nimmt bereits Sylias Erscheinung an und stellt sich um…“ Die Spitze einer Lanze war nur wenige Zentimeter von seinem Hals entfernt.

„Noch ist nichts entschieden“, widersprach Ravi mit einem jedoch ungewohnt ernsten Grinsen, „Sam hat uns bereits so manches Mal überrascht. Sie ist nicht der Typ Mädchen, der so einfach untergeht.“

„Bitte, überzeugt euch selbst“, seufzte Raven und deutete nach unten auf meine Gestalt. Silberweiße Haare wehten im seichten, natürlichen Wind, die schwarzen Flügel waren ausgestreckt und mein Blick war nach Westen gerichtet, wo sich Reilong noch ein ganzes Stück weiter oben in der Luft befand. Es war allerdings trotz der Entfernung zu erkennen, dass meine Augen – ohne dass ich es gemerkt hatte – nicht mehr goldbraun sondern leuchtend rot waren. „Das sieht mir nicht mehr nach eurem kleinen Mädchen aus.“

Die vier Leibwächter verzogen die Gesichter.

„Aber irgendetwas ist merkwürdig“, bemerkte Nina auf einmal, „Es sieht Sylia gar nicht ähnlich noch zu zögern, wo sie die Kontrolle hat. Eigentlich müsste sie schon längst auf dem Weg zu eurem hübschen Reich sein und dabei jeden Rei kurz und klein schlagen, der sich auch nur annähernd in ihrer Bahn befindet.“

„Also was ist dein Plan?“, fragte Sylia ein wenig unwirsch. „Ich fasse es immer noch nicht, dass ich tatsächlich mit einer Rei zusammen arbeite“, murmelte sie noch leise hinterher.

„Ist es denn so schlimm mit mir?“, fragte ich stirnrunzelnd.

Sie zögerte, bevor sie antwortete. „Kaum auszuhalten“, schnauzte sie dann.

Ich musste schmunzeln und sammelte meine Kräfte wieder zusammen. „Gut, dann heißt es jetzt volle Breitseite gegen Xavier.“

Es dauerte noch gut zwei Sekunden, doch dann grinste auch meine Partnerin. „Der wird Augen machen, wenn wir bei ihm reinschneien“, prophezeite sie freudig.

Wir schlossen die Augen und konzentrierten uns beide, denn unser kleiner Plan beinhaltete etwas, was wahrscheinlich noch keiner vor uns ausprobiert hatte, und dafür mussten wir unsere Gedanken und alles andere in Einklang bringen. Dabei senkte ich auch erneut die Barriere zwischen unseren beiden Seelen und wir gingen eine leichte Verbindung ein, die uns das Handeln hoffentlich etwas erleichterte. Es war schließlich nicht ganz einfach mit zwei Seelen einen Körper zu koordinieren, gerade wenn wir unser beider Fähigkeiten nutzen wollten.

„Da hast du Recht“, stellte Raven ein wenig argwöhnisch fest, „Vielleicht hat sie mit der Fähigkeit des Mädchens noch leichte Schwierigkeiten…“

„Das sah vorhin aber nicht danach aus“, erwiderte Nina, „Es kommt mir mehr so vor, als ob…“

„Was…?“ Auch die vier Leibwächter bemerkten, wie sich meine Flügel auf einmal wieder blütenweiß färbten und dazu sogar noch etwas wuchsen. Unter ihnen erschien jedoch noch ein weiteres Paar Schwingen, die von schwarzer Farbe waren. Auch meine Haare färbten sich vom Ansatz an wieder kastanienbraun, bis etwa zur Mitte hin, wo sie bis zu den Spitzen weiß blieben.

„Häh?!“ Nina wirkte völlig verwirrt, genau wie die meisten anderen auch. „Was ist denn jetzt…?“

Ich spürte, wie der Schleier über dem verborgenen Wissen in mir wieder in Bewegung geriet und mir Zugang gewährte auf das, was an Wissen in den letzten Generationen zusammengekommen war. Auf etwas, was uns womöglich die Macht gab diesen jahrhundertelangen Krieg ein für alle Mal zu beenden.

Mein und Sylias Blick wanderte nach Osten zum Land der Nemesis und richtete sich auf den schwarzen Palast, in dem Xavier hausen sollte. Wir streckten alle vier Flügel aus und schlugen kräftig mit ihnen, weshalb wir innerhalb kürzester Zeit auf eine Wahnsinns Geschwindigkeit kamen und immer nur Sekundenbruchteile hatten, um den Rei und Nemesis auf unserem Weg auszuweichen. Dabei stockten nicht wenige verwirrt und blickten uns nach, wie wir mit einem Affenzahn an Höhe gewannen und bald ein Stück über dem Reich der Nemesis schwebten.

„Bereit?“, fragte ich und schloss die Augen.

„Bereit“, antwortete die Nemesis in mir und wir begannen gleichzeitig einige Worte in der alten Sprache der Rei zu murmeln. Durch unsere Verbindung hatte auch Sylia Zugriff auf dieses Wissen und wusste genau, welche Worte wir brauchten.

Vor unserer ausgestreckten Hand begann der Wind langsam immer stärker zu zirkulieren und ein kleines, weißes Licht fing an zu leuchten. Anfangs flackerte es leicht, wie eine Kerzenflamme, doch es wurde zunehmend stetiger und wuchs immer weiter, bis es beinahe die Größe eines Fußballs hatte. Der Wind um mich herum toste und floss immer weiter in diese geballte Energiekugel, in der sich allmählich ein schwarzer Kern bildete. Er leuchtete ebenso stark wie das weiße Licht um ihn herum und mit dem letzten Wort der alten Formel schoss die Energiekugel wie ein Meteor direkt auf Xaviers Schloss herab.

Es gab ein ohrenbetäubendes Krachen und eine gewaltige Explosion. Schwarzes Gestein flog in alle Himmelsrichtungen und die Explosionswelle wehte die näheren Rei und Nemesis ein ganzes Stück fort. Als alle die riesige, schwarze Rauchwolke sahen, erstarb das Kampfgeschehen dann endgültig und alle starrten hoch zu uns, die wir auf die Trümmer des Schlosses herabblickten und nach Anzeichen dafür suchten, dass Xavier noch lebte.

Auf einmal hörten wir aber ein ganz leises Geräusch. Es klang so ähnlich wie wenn ein Düsenjet mit Höchstgeschwindigkeit zu tief durch die Luft sauste, doch bevor wir uns darüber wundern konnten, schoss plötzlich ein geballter, violetter Energiestrahl auf uns zu. Wir rissen erschrocken die Augen auf und warfen uns zur Seite. Der Angriff verfehlte uns um Haaresbreite und wir streckten die Flügel aus, um nicht noch weiter abzusinken.

„Es ist wirklich nicht sehr freundlich, das Eigentum anderer kaputt zu machen“, stellte plötzlich eine uns bekannte Stimme fest und wir blickten überrascht nach oben. Dort schwebte Xavier, der seine eher unpraktischen Gewänder heute wohl gegen eine schwarze Hose und ein elegantes, tief dunkellilanes Hemd im Frackstil getauscht hatte, das hinten mit einigen breiten Bändern gerafft war, vorne statt Knöpfe viele kleine, schwarze Schnallen und dazu einen hohen Kragen hatte. Dabei kam es mir so vor, als hätte er sich diesen Look von einigen Gothic-Hemden aus meiner Welt abgeschaut, was mich ein wenig irritierte, aber irgendwie auch passend war.

„Tse.“ Sylia und ich verzogen das Gesicht. Xavier war verdammt schnell, wenn er innerhalb von noch nicht mal drei Sekunden von dort unten auf seinem Land aus unvermittelt über uns auftauchen konnte.

„Sylia, mein Kind“, sagte der Anführer der Nemesis dann auf einmal, „Solltest du nicht allmählich mal die Seele der kleinen Wächterin vernichten? Es scheint, als hättest du sie nicht ganz unter Kontrolle.“

„Hmpf.“ Die Nemesis grinste. „Es tut mir sehr leid, ehrenwerter Xavier“, sagte sie und verbeugte sich knapp, „Aber mir ist nicht der Sinn danach dieses Mädchen auszuradieren. Im Gegenteil, ich finde ihre Sicht der Dinge sehr interessant. Vielleicht solltet Ihr sie auch einmal anhören.“

Ein kaltes Lächeln schlich sich auf seine schmalen Lippen. „Es scheint als hätte sie es tatsächlich geschafft deinen Geist zu verwirren, Sylia. Willst du deine Entscheidung nicht noch einmal überdenken, bevor du dich gegen deinen Anführer stellst?“

„Danke, aber ich verzichte“, antwortete das Nemesismädchen prompt und unsere Augen wurden schmal, „Ich habe keine Lust mehr blind nach Eurem Willen zu tanzen.“

„Törichtes Mädchen“, erwiderte Father mit düsterer Stimme und seine Augen wurden kalt, bevor er mit laut hallender Stimme befahl: „Ihr zehn Kommandeure meiner Streitmacht und die besten Krieger sollen diese Verwirrte ihrer gerechten Strafe unterziehen! Sylia ist ab heute eine Verräterin unserer Art, die sich mit den Rei verbündet hat! Tötet sie und die Wächterin, bevor sie noch weitere von uns hinters Licht führen kann!“

Die Verwirrung saß deutlich in den Köpfen aller hier Anwesenden, doch die Angesprochenen fassten sich schnell wieder und näherten sich mir und Sylia, die wir alsbald von allen Seiten her mit einigem Abstand eingekreist waren.

„Das sieht nicht gut aus“, stellte ich zähneknirschend fest, „Ich hatte gehofft, dass der erste Angriff wenigstens etwas Schaden bei ihm anrichtet.“

„Nicht nur du“, bemerkte meine Partnerin und ließ mich wieder direkt neben sie.

Wir sahen uns argwöhnisch um und blickten in die noch leicht irritierten, aber trotzdem entschiedenen Gesichter von bestimmt zwanzig Nemesis. Wobei uns beiden allerdings auffiel, dass einer der Kommandeure fehlte.

„Glaubt ja nicht, dass ich zulasse, dass ihr diese dumme Göre einfach umbringt!“ Auf einmal tauchte nun Mikhail mit erhobenen Schwertern beinahe direkt vor uns auf. Sein dunkelblaues Hemd war an vielen Stellen zerrissen, ähnlich wie seine dunkle Hose, doch mit seiner entschlossenen Haltung hatte er nichts von seiner Würde verloren.

„Vergiss uns nicht“, bemerkte Ravi, der auf einmal hinter mir erschien und drohend seine Lanze schwang. Den vollkommen zerzausten, roten Haaren nach zu urteilen hatte er heute bereits einiges zu tun gehabt.

„Denk nicht, dass wir dir den ganzen Spaß alleine überlassen“, fügte Tinto mit einem leicht verbissenen Lächeln hinzu und erhob seinen Degen links von mir. So demoliert, wie er war, wunderte es mich, dass er sich überhaupt noch bewegen konnte.

„Wir werden sie ebenfalls beschützen“, sagte Luke und spannte seinen Bogen. Auch er wies einige zusätzliche Schrammen zu seiner tiefen Verletzung in der Magengegend, plante aber eindeutig meine rechte Seite zu decken.

„Hoh, die Schoßhunde der Prinzessin“, stellte Xavier weiter oben höhnisch fest, „Wollt ihr eure letzte Wächterin etwa mit eurem Leben beschützen? Solltet ihr dies nicht nur für eure holde Elisabeth wegwerfen?“

Mikhail lächelte. „Diese würde uns persönlich hängen, wenn wir nicht das tun würden, was wir für richtig halten.“

„Und wir wollen unsere Freundin beschützen“, bekräftigte Ravi grinsend.

„Selbst wenn wir damit auch eine Nemesis verteidigen“, fügte Tinto hinzu, wobei er allerdings selbst nicht ganz überzeugt davon klang.

„Ihr seid wirklich ein paar komische Vögel“, stellte Sylia fest und verschränkte die Arme vor unserer Brust. Da ihre Stimme ein wenig anders klang als meine, war natürlich sofort zu erkennen, wer von uns gerade sprach.

„Gib uns Sam zurück“, forderte Luke ernst und blickte über seine Schulter.

„Tse.“ Sie seufzte. „Ihr scheint ja wirklich sehr an diesem naiven Mädchen zu hängen.“

„Hey, Sylia“, sagte ich ein wenig beleidigt, „Du musst mich nicht jedes Mal wieder naiv nennen, nur weil ich Frieden zwischen Rei und Nemesis erreichen will.“

„Genau das ist aber naiv“, erwiderte meine Mitbewohnerin.

„Das ist mir klar, aber musst du es unbedingt immer aussprechen?“

„Ja“, konterte sie prompt, „Aber wie schon gesagt gefällt mir deine naive Denkweise besser als Fathers Plan sämtliche Rei zu vernichten, also ertrag es.“

Ich schmollte kurz, während die vier Leibwächter und auch die Nemesis um uns mich und Sylia ein wenig ungläubig ansahen.

„Na wenn selbst Sylia auf ihrer Seite ist, kann die kleine Wächterin ja nicht so verkehrt sein“, stellte Nina plötzlich fest, die in dem Augenblick ein Stück über mir erschien und zwei ihrer Dolche zückte, „Friede zwischen Nemesis und Rei, das klingt doch mal nach was.“

Unter uns war ein Stöhnen zu hören und wir entdeckten Raven, der bloß den Kopf schüttelte. „Eigentlich liebe ich schön blutige Kämpfe, bei denen ich mich so richtig austoben kann, aber vielleicht ist es an der Zeit mal etwas Neues auszuprobieren. Außerdem haben die Kleine und ich noch einen offenen Kampf, und den lasse ich mir nicht nehmen, bis ich mich von dem Kampf mit der Brillenschlange erholt habe.“

„Hey!“, rief Tinto etwas empört.

„Das war ein Kompliment“, konterte Raven nüchtern.

„Pfff.“ Tintos Blick sagte alles.

Mikhail sah den fünften Kommandeur der Nemesishauptstreitmacht misstrauisch an, als dieser auch schon zu ihm blickte.

„Keine Sorge, dich vergesse ich schon nicht“, fügte Raven mit einem freudigen Grinsen hinzu, „Aber den Kampf heben wir uns auch für nach dieser Schlacht auf. Oder willst du deine Kleine da nicht beschützen?“

Kurz wirkte es so als könnte sich Mikhail nicht entscheiden, was er davon halten sollte, doch dann schüttelte er bloß den Kopf und blickte wieder in die Richtung unserer Gegner.

„Eine rührende Einstellung, die ihr da habt“, stellte Xavier plötzlich mit kalter Stimme fest, „Auch wenn es mich ein wenig traurig stimmt, dass noch zwei weitere meiner Kinder mich verraten haben, aber dann sterbt eben alle gemeinsam. Meine treuen Nemesis, vernichtet diese Rei und die Verräter!“

Erneut schien es so, als würden die angesprochenen Nemesis mit sich ringen und sich nicht ganz sicher sein, doch schließlich brüllte der Erste entschieden auf und schoss mit erhobenem Morgenstern auf uns zu. Darauf folgten auch die anderen um uns und noch einige Weitere vom Schlachtfeld, die ebenfalls Fathers Befehl folgen wollten. Wie eine dunkle Welle kamen sie von allen Seiten auf uns zu, mit der eindeutigen Absicht uns wie schon andere Rei zuvor einfach zu töten.

Kapitel 35: Rei und Nemesis

„Nicht wenn ich es verhindern kann!“, erschallte plötzlich eine andere Stimme quer über das weite Feld und auf einmal fanden wir Rei uns westlich von den Streitkräften der Nemesis wieder. Wir waren alle samt teleportiert worden, wobei mir auffiel, dass sich auch Nina und Raven etwas verwirrt auf unserer Seite über und unter mir wiederfanden.

„Lisa!“, rief ich überrascht, als ich die ein Stück weiter oben in der Luft schwebende Prinzessin erblickte. Sie trug das rot-goldene Kleid, das sie auch getragen hatte, als ich ihr das erste Mal begegnet war, und ihre bis kurz unter die Schultern reichenden, dunkelblonden Haare wehten im Wind.

Ihre leuchtenden, peridotgrünen Augen richteten sich allerdings schlagartig auf mich. „Nenn mich gefälligst nicht immer Lisa!“, rief sie aufgebracht und stampfte mit dem Fuß auf, „Gewöhn dir das endlich mal ab!“

So gut wie alle sahen sie daraufhin erstmal ein wenig verdattert an – anscheinend kannten sie diese Seite ihrer Prinzessin noch gar nicht. Bis Sylia schließlich laut auflachte.

„Oh Mann, ich kann echt nicht glauben, dass wir so lange gegen einen solchen Haufen wie euch gekämpft haben“, kicherte die Nemesis und schüttelte den Kopf, „Ihr seid echt süß, wenn Ihr euch aufregt, euer Hoheit!“ Sie gackerte jedoch weiter, weshalb die Ansprache irgendwie ein wenig sarkastisch klang – obwohl sie ernst gemeint war, wie ich wusste.

Elisabeth sah sie daraufhin resigniert an. „Die Nemesis in Samantha, freut mich auch dich kennenzulernen.“ Es klang allerdings nicht wirklich danach.

„Wisst Ihr was, Ihr seid mir sympathisch“, bemerkte Sylia nun und grinste, „Xaviers kleine Horrorgeschichten über euch sind ein echter Witz, wenn man Euch in Person kennt.“

„Danke sehr.“ Die Prinzessin schien nicht ganz zu wissen, ob sie das als Kompliment oder Beleidigung auffassen sollte, und seufzte nur. „Aber allmählich verstehe ich, was Samantha immer damit gemeint hat, dass sich Rei und Nemesis sehr ähneln.“ Damit blickte sie auch zu Nina und Raven. „Ich kann nicht leugnen, dass ihr genauso gut Rei sein könntet, wenn eure schwarzen Flügel nicht wären.“

„Pff.. Scheint als hättet selbst Ihr keine Ahnung“, stellte Nina leicht pikiert fest, „Aber damit eines klar ist, wir sind immer noch Nemesis. Die einzige Rei, mit der ich verbündet bin, ist die da unten mit Sylia. Euch traue ich nicht so ganz.“

Elisabeth lächelte leicht. „Ich bin schon froh, dass ihr Samantha geholfen habt.“

„Solltet Ihr nicht lieber aufpassen, dass wir euch nicht in einem unaufmerksamen Moment attackieren?“, warf Raven ein, „Was, wenn das die ganze Zeit unser Plan war?“

„Dann werde ich mich wohl in Acht nehmen müssen“, gab die junge Prinzessin zurück und blickte nun rüber zur anderen Seite, wo Xavier genau wie sie über seiner Streitmacht schwebte, mit seinem Reich mit dem zerstörten Schloss im Hintergrund, „Jedoch hätte ich von dir allmählich mal gerne eine Erklärung, Anführer der Nemesis! Wer zum Teufel bist du und warum versuchst du seit nun mehr einundzwanzig Generationen die Rei zu vernichten?!“

„Also hast du es immer noch nicht bemerkt, Elisabeth Thur Del Lur Bellathiér“, stellte Father mit einem düsteren Lächeln fest, „Vielleicht klingelt es ja bei dir, wenn du den Namen Xavier Thur Del Lur Artemiér hörst.“

Es dauerte einen kurzen Augenblick, doch dann bemerkte ich, wie Elisabeth aschfahl im Gesicht wurde und ihn entgeistert anstarrte. „Du.. bist der Xavier? Ehemaliger König von Armenia, dem fünften fliegenden Reich, der wegen der Ermordung seiner Gemahlin von den anderen Königen der Reiche einstimmig verbannt wurde?“

Seine eiskalten Augen leuchteten finster. „Du hast dich also letztlich doch erinnert, kleine Elisabeth.“

„Wie könnte ich so etwas vergessen?“, erwiderte die Prinzessin zornig, „Du hast die arme Freya so schlimm zugerichtet, dass man sie kaum noch erkennen konnte. Sie war eine meiner engsten Freundinnen gewesen!“

„Stimmt, ich erinnere mich, dass ihr euch häufig getroffen habt“, sagte Xavier gelangweilt, „Ihr beide habt mir und deinem Verlobten gerne die Arbeit überlassen und euch stattdessen lieber amüsiert.“

„Wir haben auch über ernste Angelegenheiten gesprochen!“, fauchte Elisabeth und ballte die Hände zu Fäusten, „Vor allem hat sie immer davon gesprochen, dass du gelegentlich seltsame Anwandlungen hast und nicht selten auch mal einen Bediensteten getötet hast, wenn er nur das falsche Frühstücksservice geholt hatte!“

Die Rei wie auch die Nemesis blickten unschlüssig und reichlich verwirrt zwischen den beiden hin und her und begriffen erst langsam, worum es eigentlich ging. Das galt allerdings auch für mich, die drei Nemesis auf unserer Seite und auch die vier Leibwächter um mich.

„Sie war eine lästige Frau, genau wie du“, erwiderte Father kalt, „Weil sie ihre Nase in meine Angelegenheiten gesteckt hat, musste sie sterben. Das passiert nun mal mit Leuten, die zu neugierig sind.“

„Du verdammter…“ Elisabeth schien sich kaum im Zaum halten zu können und biss die Zähne zusammen.

„Genau wie dein Verlobter“, fügte Xavier noch mit einem hämischen Grinsen hinzu, „Kiran Tu Soleil.“

Die Prinzessin hatte eindeutig etwas erwidern wollen, stockte bei dem Namen jedoch. Mir kam der Nachname von ihrem Verlobten allerdings auch bekannt vor, aber erst als mein Blick die völlig verdatterten vier Brüder um mich streifte, bemerkte ich es. Die vier hießen ebenfalls ‚Tu Soleil‘ mit Nachnamen. Und so wie sie dreinblickten, war das kein Zufall.

„Was.. hat das zu bedeuten?“, fragte Mikhail die Prinzessin, der man deutlich ansah, dass sie das nicht laut gesagt haben wollte.

Schließlich seufzte sie aber traurig und senkte den Kopf. „Wir Herrscher der fliegenden Reiche sind durch einen uralten Zauber praktisch unsterblich und werden immer wieder neugeboren, solange wir eines natürlichen Todes sterben und nicht umgebracht werden. Damals habe ich natürlich auch bereits existiert. Da es meistens Herrscherpaare gab, wurde auch ich einem Prinzen von einem der anderen Reiche versprochen.. Kiran Tu Soleil, der auch euer Vater ist.“

Die vier starrten sie ziemlich schockiert an, ganz offensichtlich hatten sie nichts davon gewusst, wer und was ihr Vater gewesen war. Ich selbst war ebenfalls ganz schön verblüfft, wobei ich versuchte es mir nicht allzu sehr anmerken zu lassen.

„Als der Krieg mit den Nemesis losging, wurden alle Herrscher einer nach dem anderen gezielt umgebracht – heute begreife ich auch, wie das mit solch einem Geschick von statten gehen konnte, wenn der Anführer der Gruppe selbst ein ehemaliger König war“, fuhr das junge Mädchen fort, „Sie haben auch Kiran erwischt.“

Xavier grinste triumphierend.

„Zumindest glaubten sie das“, bemerkte sie und sah ihn ihrerseits kurz finster an, „In Wirklichkeit hat er sich unter das Volk von Reilong gemischt und es mir überlassen, dieses Land mit allen Mitteln zu verteidigen. Er selbst wollte sich nur als König zu erkennen geben, sollte es den Nemesis gelingen auch mich zu töten – auch wenn er immer gesagt hat, dass dafür ein Wunder nötig wäre.“ Sie lächelte matt. „Ich war mir da zwar nicht so sicher, aber irgendwie habe ich es geschafft heute immer noch zu leben. Was er die ganze Zeit über gemacht hat, weiß ich nicht.“

„Aber…“ Tinto, Luke, Mikhail und selbst Ravi schienen immer noch nicht begreifen zu können, was sie da hörten.

„Vor einigen Jahren ist Kiran dann auf einmal wieder im Palast aufgetaucht“, sagte sie und ich bemerkte den unterdrückten Schmerz und die Sehnsucht in ihrer Stimme, „Er wollte, dass ich ihn in die andere Welt schicke. Seine Gründe dafür hat er mir nicht verraten, aber ich habe ihm den Wunsch erfüllt. Dass er vier Söhne hatte, habe ich erst viel später herausgefunden.“

„Die Arme“, murmelte Sylia betroffen, „Scheint als hätte er für sie nicht die gleichen Gefühle gehabt, wie sie für ihn. Ein herzloser Mann.“

Elisabeth sah die vier Brüder an. „Ich habe euch nach und nach in den Palast geholt und zu Soldaten ausbilden lassen, damit ihr nicht auf der Straße leben müsst und wenigstens etwas Ordentliches zu Essen in den Magen bekommt. Es kann gut sein, dass ich das getan habe, weil ihr seine Söhne seid. Aber lasst euch trotzdem gesagt sein, dass ihr euren heutigen Status nicht habt, weil ihr die Kinder von meinem Geliebten seid, sondern weil eure Fähigkeiten euch dazu befähigen. Auch wenn ich zugeben muss, dass da wohl auch ein wenig von seinem Blut dran schuld ist, denn er war auch ein erstklassiger Kämpfer.“

Es herrschte eine ganze Weile lang Schweigen, während dem sich die vier verwirrt ansahen. Das war eindeutig ganz schön viel auf einmal, was sie da zu verkraften hatten.

„Moment mal“, sagte Raven jedoch auf einmal mit einem schiefen Gesichtsausdruck, „Heißt das, die vier da sollen Prinzen sein?“

Das fiel auch mir gerade auf und ich staunte nicht schlecht, wobei ich da nicht die Einzige war. Selbst Sylia konnte ihre leichte Verblüffung nicht ganz verbergen.

Elisabeth nickte, wobei ihr Blick jedoch betrübt war. „Sind sie, auch wenn ich mir gut vorstellen kann, dass sie so bald nichts mehr vom Königshaus wissen wollen.. Es tut mir leid, dass ich es euch die ganze Zeit über verschwiegen habe. Es lag wahrscheinlich auch an meiner eigenen Trauer darüber, dass Kiran derart intime Beziehungen mit anderen Frauen hatte, dass ich es nicht fertig gebracht habe, euch die Wahrheit zu sagen. Es tut mir leid.“

Ich bemerkte, wie ihr eine einzelne, kleine Träne über Wange rann. Der Schmerz über das Tun ihres Geliebten schien erst jetzt, wo sie alles offenlegen musste, richtig aufzuflammen. Zusammen mit der Reue darüber, dass sie den vier Brüdern das alles immer verschwiegen hatte. Mir stiegen ebenfalls Tränen in die Augen, als ich daran dachte, wie viel sie wirklich durchgemacht hatte. Dafür, dass sie trotz all dem immer noch für Reilong und dessen Fortbestehen kämpfte, bewunderte ich sie.

„Sie ist wirklich stark“, musste sogar Sylia einräumen, „So viel Leid hält kaum jemand auf die Dauer aus, ich zolle ihr wirklich Respekt.“

„Lisa…“, murmelte ich leise, blickte dann aber zu den vier Brüdern, die immer noch kein Wort gesagt hatten.

„Dieses Arsch…“, sagte Tinto dann plötzlich und sein linkes Auge zuckte, „Wenn ich ihn sehe, bringe ich ihn ernsthaft um.“

„Hmmm, ich glaube, ich helfe dir sogar“, bemerkte Ravi nachdenklich und verschränkte die Hände hinter dem Kopf, wobei seine Lanze einfach über seinen Schultern lag.

Mikhail dagegen stöhnte leise. „Denkt nicht immer gleich ans Töten, ihr zwei.“

„Was hältst du denn davon?“, fragte Luke im Gegenzug.

„Tja, ich finde jedenfalls, dass wir uns zu Kriegern besser eignen als zu Prinzen“, antwortete er lächelnd und blickte zu Elisabeth hoch, „Glaubt Ihr etwa, das reicht aus, um uns loszuwerden?“

Die Prinzessin sah ihn überrascht an.

„Wenn das so wäre, wären wir heute nicht hier“, bemerkte Tinto, „Wir sind und bleiben Eure Leibwache, Eure Hoheit.“

„Immerhin wart Ihr auch diejenige, die es uns ermöglicht hat das zu werden, was wir heute sind“, fügte Ravi grinsend hinzu.

Die Prinzessin sah sie mehrere Sekunden lang ungläubig an. Dann schüttelte sie nur den Kopf und fasste sich mit einer Hand an die Stirn. „Ihr seid mir echt ein paar Jungs, wisst ihr das? Ihr ähnelt Kiran von Tag zu Tag mehr…“

„Soll das eine Beleidigung sein?“, fragte Luke wenig begeistert.

„Um Gottes Willen, nein“, erwiderte Elisabeth und sah die vier mit Tränen in den Augen, aber einem Lächeln auf den Lippen an, „Ich weiß einfach nicht, was ich ohne euch machen würde.“

 Ich musste lächeln und hätte sie am liebsten in den Arm genommen, doch das erschien mir ein wenig unpassend.

„Wirklich rührend, wie ihr aneinander hängt“, sagte Xavier auf einmal kalt, „Dann wird es euch bestimmt nichts ausmachen, gemeinsam zu sterben.“

Plötzlich kam die gesamte Nemesisstreitmacht mit erhobenen Waffen auf uns zu und die überraschten Rufe der Rei gingen im entschlossenen Gebrüll der Nemesis unter.

„Ich bin noch nicht fertig mit dir!“, rief Elisabeth in dem Augenblick jedoch und die vorderen Nemesis prallten alle miteinander gegen einen riesigen Schild vor den Rei, „Dass dein Ziel Rache ist, habe ich mittlerweile verstanden – auch wenn ich nicht plane dir das durchgehen zu lassen. Aber eines will ich noch wissen: Wieso sind die Nemesis den Rei so ähnlich?“

Ich war froh und staunte auch ein wenig, dass die Prinzessin sich scheinbar wieder gefangen hatte. Die Antwort auf diese Frage interessierte mich allerdings genauso.

„Die Antwort solltest du bereits kennen“, bemerkte Sylia auf einmal und ich runzelte verwirrt die Stirn.

„Wie meinst du das?“

„Dein Verstand scheint ja über die Jahre doch ganz schön nachgelassen zu haben“, sagte der Anführer der Nemesis in einer Mischung aus Abfälligkeit und Belustigung, „Aber na schön, da das hier eh euer Ende werden wird, werde ich es dir verraten – obwohl du es mir sowieso nicht glauben wirst, aber das ist nicht mein Problem. Die Antwort ist ganz einfach. Wir Nemesis sind Rei.“

Das sorgte erstmal für vollkommen verdattertes Schweigen.

„Wobei man sagen sollte, dass wir jene Rei sind, die in der Verzweiflung versunken sind, was auch der Grund für unsere Flügelfarbe ist“, fügte er hinzu, „Na ja, ich muss auch hinzufügen, dass es unter uns nicht mehr viele reine Nemesis gibt. Die meisten sind gefangene Rei, denen wir einfach etwas reines Nemesisblut gegeben haben, weshalb auch sie der Verzweiflung verfallen und nun auf unserer Seite sind. Die Verzweiflung ist der Kern unserer Stärke und Persönlichkeit und im Gegensatz zu euch können wir reinen Nemesis auch eine gewisse Zeit lang ohne Körper leben. Ein großer Vorteil, findet ihr nicht?“

Es dauerte einen Augenblick, doch dann fragte Elisabeth: „Also bildet sich aus völliger Verzweiflung heraus ein Kern samt Persönlichkeit, der den eigentlichen Inhaber des Körpers so lange ins Nichts drängt, bis er verschwindet und nur noch der Nemesis übrig bleibt?“

„Ganz genau, deine kleine Wächterin da trägt ebenfalls eine reine, aus Verzweiflung entstandene Nemesis in sich, auch wenn es nicht üblich ist, dass die ursprüngliche Persönlichkeit am Leben bleibt“, bemerkte Xavier grinsend, „Oder sie wird durch das Blut einer reinen Nemesis hervorgerufen, wie bei der Wächterin mit der Wasserkontrolle.“

„Yasmine…“ Ich starrte ihn entgeistert an.

„Ja, ihr hatte ich von einem meiner Kinder ein wenig Nemesisblut verabreichen lassen, als sie noch gar nicht wusste, dass die einmal eine Wächterin sein würde“, sagte er, „Damit war es ein leichtes sie zu beobachten und manipulieren. Genial, nicht?“

Ich starrte ihn wütend an und hätte am liebsten augenblicklich einen Angriff gestartet, doch Sylia hielt mich vernünftigerweise davon ab.

„Na, was sagt Ihr jetzt, Prinzessin?“, fragte Nina und verschränkte die Arme vor der Brust.

Elisabeth schloss für einen Moment die Augen und schien in sich zu gehen, bevor sie die Nemesis schräg über mir entschlossen ansah. „Das nur umso mehr ein Grund, diesen Krieg zu beenden“, sagte sie ernst, „Ohne dass weitere Rei oder Nemesis sterben müssen.“

Nina sah sie daraufhin leicht verblüfft an und auch die anderen Nemesis wirkten erstaunt über die Worte der Prinzessin der Rei.

„Als ob wir auf so etwas reinfallen würden“, erwiderte Xavier jedoch, „Ich werde euch niemals vergeben, also wird dieser Kampf erst enden, wenn auch der letzte Rei vernichtet ist!“

„Hört ihr das, Nemesis?!“, rief nun ich und flog hoch neben die Prinzessin, „Dieser Mann will euch einfach nur ausnutzen, um uns zu vernichten! Es interessiert ihn kein Bisschen, wenn dabei einige oder sogar mehrere von euch sterben! Ihr seid für ihn bloß Werkzeuge! Wollt ihr wirklich weiter seinen Befehlen gehorchen?!“

Die Schwarzgeflügelten wirkten ein wenig irritiert und flüsterten unschlüssig miteinander.

Xavier blickte daraufhin mit eiskalten Augen nach unten zu seinen Leuten. „Wenn ihr es wagen solltet, euch auf deren Seite zu stellen, werdet ihr ebenfalls mit vernichtet!“, rief er zornig, „Ich bin euer Anführer! Für Zweifelnde habe ich keine Verwendung, also entscheidet euch!“

Die murmelnden Stimmen der Nemesis wurden lauter, viele blickten beunruhigt drein, doch noch bewegte sich keiner von ihnen.

„Wollt ihr wirklich weiterhin die Befehle eines Anführers ausführen, der euch damit droht euch zu töten, wenn ihr ihm nicht gehorcht?“, fragte nun Sylia und blickte entschieden in die Reihen der Nemesis, „Ich habe mir den Geist dieses Mädchens angesehen und kann mit Sicherheit sagen, dass sie es mit dem Frieden zwischen uns ernst meint. Und so wie ich die Prinzessin hier neben mir einschätze, können wir ihr vertrauen. Wir müssen nicht mehr kämpfen! Der Einzige, der kämpfen will, ist der, den wir seit Jahrhunderten als unseren Anführer ansehen und der uns dieses ganze Leid überhaupt erst auferlegt hat! Er ist der einzige Feind, den wir bekämpfen sollten!“ Sie zeigte mit dem ausgestreckten Zeigefinger auf Xavier, der mit verschränkten Armen da schwebte und mit zunehmend düsterer werdender Miene ihren Worten zuhörte.

„Ganz schön vorlaut, dafür dass du nur eine kleine Kriegerin bist, Sylia“, sagte er nun mit drohender Stimme, „Ich kann mich nicht daran erinnern, dich dazu erzogen zu haben.“

„Tja, das hat auch nichts mit Erziehung zu tun, sondern damit, dass ich dank diesem Mädchen hier endlich mal meinen eigenen Kopf benutzt habe“, erwiderte die Nemesis in mir, „Dank ihr bin ich endlich aufgewacht!“

Xaviers Augen wurden schmal. „Genau das wird dein Untergang werden, du kleines Miststück.“

„Ho ho, jetzt zeigt der Wolf endlich seine Fänge“, erwiderte Sylia jedoch unverfroren und lächelte, „Ich diene nur mir selbst oder wenn es sein muss so einem aufrichtigen Mädchen wie dem da neben mir, aber bestimmt nicht einem Kerl wie dir. Und wenn ihr schlau seid, meine schwarzgeflügelten Freunde, dann tut ihr es mir gleich.“

Es herrschte klar und deutlich Ratlosigkeit in den Reihen der Nemesis, doch Sylia und ich bemerkten beide, wie immer mehr zu Elisabeth hochblickten. Auch wenn sie noch bei ihrem Führer waren, schienen sie innerlich langsam aber sicher zu unserer Prinzessin zu halten.

Unvermittelt begann Xavier dann auf einmal zu lachen. Es war laut, aber kein erfreutes Lachen, sondern es fühlte sich eiskalt an. „Scheint als müsste ich letztlich doch alles selber machen“, sagte er schließlich und pechschwarze Flügel streckten sich aus seinem Rücken. Es waren allerdings nicht zwei, wie bei normalen Rei und Nemesis, und auch nicht vier, wie bei Sylia und mir, sondern sechs große Schwingen. Ein Zeichen von höchster Macht, wie ich durch das alte Wissen in mir wusste. „Das wird euer aller Untergang.“

 

http://www.mscdn.de/ms/karten/beschreibung_66460-0.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/beschreibung_66460-1.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_612260.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_612261.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_612262.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_612263.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_612264.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_612265.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_612266.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_612267.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_612268.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_612269.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_612270.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_612271.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_612272.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_612273.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_612274.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_612275.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_612276.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_612277.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_612278.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_612279.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_612280.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_612281.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_612282.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_612283.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_612284.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_612285.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_612286.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_612287.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_612288.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_612289.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_612290.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_612291.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_612292.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_612293.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_612294.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_612295.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_612296.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_612297.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_612298.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_612299.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_612300.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_612301.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_612302.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_612303.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_612304.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_612305.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_612306.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_612307.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_612308.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_612309.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_612310.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_612311.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_612312.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_612313.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_612314.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_612315.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_612316.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_612317.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_612318.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_612319.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_612320.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_612321.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_612322.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_612323.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_612324.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_612325.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_612326.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_612327.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_612328.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_612329.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_612330.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_612331.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_612332.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_612333.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_612334.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_612335.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_612345.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_612346.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_612347.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_612348.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_612349.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_612350.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_612351.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_612352.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_612353.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_612354.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_612355.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_612356.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_612357.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_612358.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_612359.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_612360.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_612361.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_612362.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_612363.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_612364.png
0

Hörbuch

Über den Autor

SilverRose
Tjaaa.. eigentlich ich bin mehr eine Einzelgängerin und eine komlette Tagträumerin dazu xD
Aber ab und an bin ich auch gerne unter Leuten, wobei es mir etwas an Gesprächsstoff fehlt, es sei denn es geht ums Schreiben und meine Geschichten. Da kann ich tagelang drüber reden :P
Allerdings möchte ich hier auch mal zu meinen Geschichten anmerken, dass sie wirklich lange Stories sind, die sich über einen längeren Zeitraum erst richtig entwickeln und daher auch gut und gerne zwischen zwanzig bis vierzig Kapitel mit unterschiedlichen Längen varieren. Sie sind nichts für Leute, die nur gerne kurze Happen lesen, sondern mehr für die, die auch im normalen Buchladen gerne mal zu einem drei - bis vierhundert-Seiten-Wältzer greifen. Sorry, aber kurz schreiben ist nicht gerade meine Stärke. Wenn ich das versuche, werden sie am Ende nur umso länger xD
(Auch wenn ich ja mittlerweile auch wenigstens ein paar Kurzgeschichten zum Reinschnuppern in meinen Schreibstil habe :P)
Und (der Ordnung halber) die erste Interviewfrage hier oben: Welche Geschichten hast du bisher schon verfasst?
Hm, das sind mittlerweile so einige...meine abgeschlossenen sind der Reihenfolge nach:
Meine abgeschlossenen Manuskripte sind der Reihenfolge nach:
1.1) Das Geheimnis der Federn: Die Wächterinnen der Federn;
1.2) Das Geheimnis der Federn: Der Kampf gegen die Finsternis;
2) Kyra: Die Wahl zwischen Licht und Finsternis;
3) Scarlett und das Geheimnis von Avalon;
4.1) Kampf der Geister: Vertrag;
4.1) Kampf der Geister: Geschwister der Dunkelheit;
5) Das verlorene Buch;
6) Silver Rose: Das Gesetz der Killer;
7) Der Schlüssel zum Tor der Feuergeister;
8) Reinblut & Halbblut;
9) Die Wächterin von Reilong;
10) Die letzte Zauberin;
11.1) Juwelenritter: Das vergessene Jahr des Blutes;
11.2) Juwelenritter: Die sieben Höllenfürsten;

Meine noch laufenden Geschichten (auch wenn ich nicht weiß, ob und wann ich es schaffe sie zu beenden) sind:
11.3) Juwelenritter: Dämonenherz (aktiv)
12) Bund mit dem Tod (neu - auf Standby)

Leser-Statistik
11

Leser
Quelle
Veröffentlicht am

Kommentare
Kommentar schreiben

Senden
Zeige mehr Kommentare
10
0
0
Senden

66460
Impressum / Nutzungsbedingungen / Datenschutzerklärung