Romane & Erzählungen
Der Besuch

0
"Der Besuch"
Veröffentlicht am 08. März 2008, 6 Seiten
Kategorie Romane & Erzählungen
http://www.mystorys.de
Der Besuch

Der Besuch

Uns Hunden (ich jetzt spreche nur für mich, einem Dalmatiner und meinen Kumpels: einer Dogge, einem Rhodesian Ridgeback und einem Dackel ) lag es ja mehr in der Natur, lieb zu sein, unser Bestes zu geben, um dann auch dementsprechend entlohnt zu werden. Natürlich liebten wir es auch, unsere ganze Kraft und Stimmgewalt in Szene zu setzen - allerdings nur, wenn ein schützender Zaun uns von dem anzukläffenden Objekt beschützte. Katzen sind da ja ganz anders - und mein Cousin, der Kater  Flynn - ganz besonders. Nicht, dass es uns Hunden an Mut gemangelt oder wir nicht den nötigen Stolz gehabt hätten. Das war es nicht. Aber wir verstanden uns doch besser darauf,  die vom Menschen an uns so geschätzten Qualitäten auszuleben. Wir wollten lieb und treu und nett sein, das Stöckchen oder das Bällchen holen und überliessen die Einzelgänger-Nummer und die ‚ich-kann-auch-garstig-sein-Nummer’ lieber den Katzen. Und mein Cousin erfüllte diese Nummern mit Bravur. Wenn wir unter uns waren, ignorierte mein Cousin natürlich die Einzelgänger-Nummer voll und ganz. Er war ein wunderbarer Kamerad, auf den man sich in jeder Situation verlassen konnte, aber sobald einer der Herrschaften in der Nähe war, verhielt er sich so, wie es von ihm erwartet wurde. Schon bald hatte er unter den Herrschaften den Ruf als der ‚besten Wachhund’ erhalten, was uns Hunde natürlich ein wenig kränkte. Aber wir wollten keine Wortklauberei betreiben und gönnten ihm natürlich seinen Ruf. Er war der Zweitälteste in unserem Verbund und so hatte er natürlich - nach meiner Cousine - auch die grösste Erfahrung und Routine. Das grösste aber, was ihn ausmachte, war seine Ignoranz jeglicher Kritik. Er tat das, was er tun oder lassen wollte. Ihm war es egal, ob es dafür Schelte oder Lob der Herrschaften gab. Er lebte sein Leben so, wie es ihm gerade gefiel: er schlief, wenn er schlafen wollte; er ging spazieren, wenn er spazieren gehen wollte; er ärgerte die Herrschaft, wenn er sie ärgern wollte, usw. usw. Wir Hunde mussten ja spazieren gehen, wenn die Herrschaften spazieren wollten - egal, ob es draussen stürmte oder die Sonne schien. Wir konnten auch nicht immer schlafen, wann wir wollten - vom Essen ganz zu schweigen. Sein Futter aber stand Tag- und Nacht für ihn bereit - erhöht auf der Fensterbank, damit unsere Hundebande nicht daran kam. Das mit dem Futter konnten wir ja irgendwo noch ertragen, denn es gab immer Mittel und Wege doch noch an sein Futter zu gelangen: die kleineren sind auf den Stuhl gehopst, der vor der Fensterbank stand und die grösseren kamen, auf den Hinterläufen stehend, auch irgendwie an den Napf. Doch worauf wir wirklich sauer waren, war seine Art sich unseres Essens zu bereichen. Er verstand eine Sprache, der wir irgendwie nicht mächtig waren. Wann immer die Mutter von unserem Frauchen einen Hundenamen aussprach, war mein Cousin noch vor uns da und kassierte ein Leckerchen. Woher wusste er - obwohl er gar nicht gerufen wurde - dass es trotzdem etwas Leckeres gab? Ich habe es bis heute nicht verstanden. Er verstand es auch vorzüglich - wie ich bereits erwähnte - seine Abneigung gegen einige Menschen zu äussern. Er brauchte dazu keine Sprache, noch nicht einmal ein Bellen oder ein Miauen. Einmal hatten die Eltern von meinem Frauchen Besuch und er schnurrte mir einfach nur zu:“ Hast Du den gesehen? Den mag ich nicht. Pass jetzt mal auf!“ Ich verstand gar nicht genau, was er eigentlich meinte. Aber ich beschloss, dass es vielleicht besser wäre, mich in eine sichere Ecke zu verziehen und einfach nur die Szene zu beobachten. Und dann konnte ich beobachten, wie er seine ganze Abneigung gegenüber dem Gast durch einen Spaziergang über den Kaffeetisch, im besonderen über seinen Kuchenteller, demonstrierte. Jedem, der nicht tag-täglich mit unsereins zu tun hatte, verging spätestens hierbei der Appetit an dem herrlich duftenden Kuchen. Aber mein Cousin musste noch eines drauf setzen, denn es schien ihm geradezu einem Vertrat gleich, dass die Familie so tat, als wäre so etwas noch nie vorgekommen. Eigentlich waren sie es doch alle gewohnt und tolerierten dieses etwas spleenige Verhalten. Doch immer wenn Besuch da war, taten sie erstaunt und suchten nach irgendwelchen fadenscheinigen Erklärungen. Das mochte mein Cousin absolut nicht. Er vertrat immer den Standpunkt, dass man zu seinen Taten oder den Taten anderer, die man ansonsten toleriert, auch stehen sollte. Geschah dies nicht und man verleumdete ihn oder seine Taten sogar, dann griff er zum letzten. Das machte ihn allerdings nicht beliebter - weder bei der Familie noch beim Besuch, aber ihm verschaffte es Genugtuung und mit Stolz konnte er das Szenario verlassen: er posierte sich in der Nähe des Gastes, zog durch ein lautes Fauchen noch einmal die gesamte Aufmerksamkeit aller Anwesenden auf sich, hob den gebauschten Schweif und pinkelte im hohen Bogen gegen seinen Stuhl. Na, und um zu erahnen, wie das gestunken hat, braucht man keine Hundenase zu haben! Danach kam es normalerweise zum totalen Chaos. Sätze wie „Was soll denn das?“, „Das hat er noch nie gemacht!“, „Jetzt aber raus!“, „Ich kann mir das gar nicht erklären!“, „Was machst Du denn da?“, flogen durch den Raum. Das Resultat war im Normalfall immer das gleiche: der Gast verabschiedete sich schon recht bald mit irgendeiner fadenscheinigen Ausrede, die Familie fühlte sich ein wenig schuldbewusst und mein Cousin erhielt heftige Schelte, die an ihm abprallten wie Klaviertöne an Beethovens alterndem, tauben Ohr. Begleitet von unserer Anerkennung und lobenden Worten, zog er sich dann hoch erhobenen Hauptes zurück und der Weg für den weiteren Verlauf eines normalen Nachmittags war für uns alle freigegeben.
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_29523.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_29524.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_29525.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_29526.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_29527.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_29528.png
0

Hörbuch

Über den Autor

Somerville

Leser-Statistik
145

Leser
Quelle
Veröffentlicht am

Kommentare
Kommentar schreiben

Senden
Zeige mehr Kommentare
10
0
0
Senden

6485
Impressum / Nutzungsbedingungen / Datenschutzerklärung