Kurzgeschichte
Tödlicher Schnaps

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"Tödlicher Schnaps"
Veröffentlicht am 29. Dezember 2011, 10 Seiten
Kategorie Kurzgeschichte
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Über den Autor:

Geboren 1962 in Dortmund, Mutter von vier Kindern, gelernte Fremdsprachenkorrespondentin, Übersetzerstudium in Köln, beschäftige mich in meiner Freizeit leidenschaftlich mit Fremdsprachen, bin Yogaanhängerin, ...
Tödlicher Schnaps

Tödlicher Schnaps

Beschreibung

Ein Mann schaut dem letzten Nachtzug nach. Eigentlich hatte er vor seinem Leben ein Ende zu setzen. Aber da gibt es noch jemanden, dem es schlechter geht.

 

 

Tödlicher Schnaps

Fast geräuschlos glitt der letzte Nachtzug aus der Halle. Der Bahnsteig war leer, bis auf einen einzelnen Mann. Er hatte sich eine Zigarette angezündet und starrte dem Zug nach, dessen rote Schlusslichter rasch kleiner wurden. Es sollte seine letzte Zigarette sein, bevor er aus dem Leben scheiden wollte. Der große Mann in schwarzer Kleidung trat die Zigarette aus. Es war eisig kalt als ein Obdachloser in den Bahnhof trat. Er beobachtete ihn lange. Nein, so wollte er nicht enden. Der Obdachlose besaß nicht viel und außerdem nur eine dünne Decke. Draußen war es Heiligabend. Auf dem Bahnhofsvorplatz  stand eine riesengroße Tanne mit elektrischen Weihnachtskerzen, vor der der Obdachlose lange gestanden und sie betrachtet hatte. Sie erinnerte ihn an das Leben, das er einmal gehabt hatte,  bevor er zum Obdachlosen wurde. Damals hatte es Streit gegeben, in seiner Familie, er war arbeitslos geworden und seine Exfrau hatte ihn hinausgeworfen. Alle Bemühungen eine Wohnung zu finden  waren seitdem gescheitert. Nun lebte er auf der Straße. Von der Hand in den Mund sozusagen, oder von dem Gutdünken seiner Mitmenschen.  Sein ganzer Besitz passte in eine Plastiktüte und einen schäbigen Rucksack. Er trank einen Schluck aus seiner Plastikwasserflasche. Auch seine dünne alte Anzugshose und die braune Cordjacke gaben ihm nicht die nötige Wärme. Die Anzugshose hatte er bei der Caritas für einen Euro gekauft, die Cordjacke war aus einem Kleidungscontainer gefischt und seine etwas zu großen abgetragenen Schuhe hatte ihm ein mitleidiger Bürger geschenkt. Er kratzte sich ratlos an seinem drei-Tage-Bart und nahm eine Strähne seines  zu langen fettigen Haares aus seinem Gesicht. Jetzt würde er sich einen Schlafplatz suchen müssen. Der Wartesaal des Bahnhofes war offen und an den Wänden standen einfache Holzbänke und eine Bank war in der Mitte. Eine Lampe an der Decke des Saales spendete flackernd diffuses Licht.

„Wenn ich doch nur eine Flasche Schnaps hätte“, dachte Alfred und suchte sich den besten Platz zum Schlafen aus. Etwas weiter weg von der Tür, durch die es eisig zog und die sich nicht richtig schließen ließ. Er legte sich auf die Bank und fühlte darunter eine Flasche stehen.

„Alkohol“, überlegte Alfred, „den schickt der Himmel.“

Er öffnete die Flasche und trank und trank. Je mehr er die Kälte fühlte, umso mehr schüttete er in sich hinein. Kurz darauf begann er sich übel zu fühlen, sich zu übergeben und spürte, wie sich alles um ihn drehte. Plötzlich fiel er zu Boden und schaute auf schwarze Beine. Ein großer Mann stand vor ihm. Sein Gesicht tanzte vor seinen Augen. Alfred konnte nur wahrnehmen, dass der Mann einen Vollbart hatte. Die Stimme des Mannes hallte und Alfred versuchte zu verstehen, was der fremde Mann sprach. Schließlich probierte er, sich aufzurichten, und nahm dabei alle Kräfte zusammen. Fiel jedoch ermattet zurück. Es dauerte Minuten, dann fühlte er einen Druck auf seinem Magen. Der Fremde hatte anscheinend seinen Fuß in Alfred Magenkuhle gestellt. Alfred s Gedanken kreisten. Was will er? Will er mich töten? Was will er denn nur?

Jemand trat ihm von hinten in den Rücken. Er wird mich töten, dachte Alfred und übergab sich noch einmal. Der Mann hatte ihn so stark gestoßen, dass er nun auf der Seite lag.

Ich bin tot, war Alfred nun überzeugt. Dort ist Gott in Weiß oder sehe ich doppelt. Nein, nein, ganz tot bin ich nun auch noch nicht. Wieder versuchte er sich hochzusetzten. Man half ihm auf. Alles drehte sich, auch die weißen Männer drehten sich um ihn herum.

„Ihr dürft mich nicht töten“, rief Alfred zu Gott, während er spürte dass einer der weißen Götter ihm ein Messer in den Arm rammte. Plötzlich wurde alles dunkel. Er hörte laute Musik. Der Chor der Engel, nun ist es vorbei. Alfred überließ sich seinen Träumen.

Der vermeidlich Sterbende erwachte in einem strahlend weißen Raum.

„Haben die im Himmel auch Zimmer?“ fragte er sich leise.

Seine Stimme funktionierte wieder. Eine hübsche junge Frau mit blonden hochgebundenen Haaren in der weißen Kleidung einer Krankenschwester kam an sein Bett heran.

„Geht es Ihnen wieder besser, mein Herr?“

„Wenn man davon absieht, dass ich gestorben bin?“

“ Sie sind nicht tot. Sie sind in einem Krankenhaus.“

Es klopfte an der Tür und ein großer Mann trat ein. Alfred schaute auf seine Beine und erkannte die Füße, die ihn am Vorabend getreten hatten. Der Mann reichte ihm die Hand und Alfred nahm sie zögernd.

“Sie haben vergifteten Fusel getrunken“, erzählte er, „ich habe Sie gefunden und die Sanitäter gerufen.“

„Sie wollten mich nicht ermorden?“ fragte Alfred erstaunt.

„Nein, ich hatte eigentlich vor, Selbstmord zu begehen. Aber da der letzte Zug aus dem Bahnhof hinausgefahren war und ich mich nicht mehr darunter werfen konnte und Sie Hilfe brauchten, bin ich davon abgekommen.“

„…und was ist so schlimm, dass man Selbstmord machen will.“

Alfred betrachtete den noblen schwarzen Anzug, das blendend weiße Hemd und die silberne Krawatte seines Besuchers.

Der Mann antwortete eine Weile nicht.

„Meine Firma hat die Pforten dicht gemacht. Ich habe versucht, es zu verheimlichen. Aber ich denke meine Frau hat es herausgefunden.“

„Na und?“

„Das ist es nicht. Wir haben jahrelang gut gelebt von dem Geld, was meine Firma erwirtschaftete.“

„Na, dann muss man eben den Gürtel enger schnallen.“

„Ich musste das Haus verkaufen. Im neuen Jahr hätten wir ausziehen müssen.“

„Haben Sie Ihrer Frau das erzählt?“

„Nein, ich habe es immer wieder aufgeschoben. Wir hätten in eine kleine Wohnung ziehen müssen, wo wir doch ein Anwesen und ein riesiges Grundstück gewöhnt waren?“

„Denken Sie, das hätten Sie nicht geschafft?“

„Das ist es nicht.“

„Was ist es dann?“

„Ich wollte sie zu einer letzten Weihnachtsparty in Prunk abholen. Mit dem wenigen Geld, was mir noch geblieben ist, habe ich Geschenke für sie und die Kinder gekauft.“

„Und?“

„Wir waren verabredet. Sie sagte, sie müsse sich noch fertig machen. Ich solle in zwei Stunden kommen.“

„Und?“

„Als ich kam, war sie mit den Kindern weg und auf dem Tisch lag ein Zettel, ich solle sie nie wieder anrufen.“

„Und?“

„Reicht das nicht?“

„Doch“, sagte Alfred und holte seine Karten hervor und sie spielten die halbe Nacht, bis die Krankenschwester seinen neuen Freund hinauswarf

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Hörbuch

Über den Autor

Martine
Geboren 1962 in Dortmund, Mutter von vier Kindern, gelernte Fremdsprachenkorrespondentin, Übersetzerstudium in Köln, beschäftige mich in meiner Freizeit leidenschaftlich mit Fremdsprachen, bin Yogaanhängerin, ...

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Martine Re: Unter Kurzgeschichten entdeckt.... -
Zitat: (Original von Marloh am 13.01.2012 - 16:38 Uhr) Liebe Martine,

Die Geschichte ist gut, mir gefällt auch das Ende sehr gut.

Liebe Grüße
von
MarLoh


Hallo Marloh

vielen Dank für den Kommentar

Grüße

Martine
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