Romane & Erzählungen
So bin ich

0
"So bin ich"
Veröffentlicht am 27. November 2011, 60 Seiten
Kategorie Romane & Erzählungen
http://www.mystorys.de
So bin ich

So bin ich

Beschreibung

Sammy könnte kotzen, wenn alle nur über ihre tollen Freunde reden und sich ihre Freundinnen nur noch über Jungs unterhalten. Sie hasst Jungs! Und vor allem hasst sie Sebastian, den Enkel ihres Nachbarn und besten Freundes Banana Joe. Und er hasst sie. Die beiden sind wie Hund und Katz. Doch wie sagt man so schön: Was sich liebt, das neckt sich... ?

Ich hasse Pärchen, Verliebte und sowieso...


Es ist wieder einmal einer dieser stinklangweiligen Montagvormittage und ich muss mir verzweifelt dessen bewusst werden, dass die Woche noch fünf Tage hat. Fünf unglaublich öde Tage, die sich wieder bis ins Unendliche strecken werden. Die Lehrer meinen alle, sie könnten uns etwas beibringen, doch da haben sie sich geschnitten! Besonders Frau Künzig. Unsere Deutschlehrerin wollte uns irgendeine Lektüre andrehen, die schon so klingt, als wäre sie aus der Steinzeit. „Der blaue Schild“, also bitte, was soll denn das für ein Schrott sein?

Ich schaue aus dem Fenster, doch das Wetter sieht nicht gerade einladend aus. Der Regen prasselte gegen die Scheiben und es zieht ein heftiger Wind. Mann, was soll das? Bald haben wir Pfingstferien und da soll das Wetter gefälligst schön sein! Ich wollte endlich mal wieder etwas mit meinen Freundinnen unternehmen. Wozu hat man denn Ferien?

Unsere Lehrerin steht auf und liest die ersten paar Zeilen aus dem Buch vor. Bla, bla! Du mich auch ...! Warum kann sie uns nicht einfach unsere Ruhe lassen? Sie muss doch sehen, dass kein Schwein aufpasst! Ich lege meinen Kopf auf meine verschränkten Arme und stöhne genervt auf. Ein Blick auf meine Uhr verrät mir, dass ich es bald geschafft habe. Nur noch fünf Minuten! Wow, dann muss ich nur noch die restlichen fünf Stunden totschlagen und dann hab ich es endlich geschafft! ... Komm schon, du blöder Zeiger, beweg deinen faulen Arsch!

Meine beste Freundin Sandra ist heute leider krank. Oder sie macht blau. Das weiß man bei ihr nie. Immerhin wollten wir ja heute in Mathe eine Ex schreiben. Ob das allerdings wahr ist, weiß man bei Herrn Tunkmann nicht. Er macht oft Scherze, die eigentlich keine sind, denn in unserer Klasse ist Mathe nie ein Scherz. Die beste Note ist eine Zwei und die hat Streber Franz, der normalerweise nie schlechter ist als Eins Minus.

 

Schließlich habe ich auch diesen Schultag hinter mich gebracht. Als ich am Nachmittag vor meinem Englisch-Heft sitze und einen Aufsatz zum Thema „My next holidays” schreibe, klingelt mein Handy. Wer ist denn das schon wieder? Gerade hatte ich so eine gute Idee, was ich schreiben soll! „Ja.“, melde ich mich genervt.  - „Hi Sammy, ich bin’s, Hanna.“ – „Hi!“ – „Ich hoffe, ich stör dich nicht, oder so.“ – „Nein. Ich hab grad ein bisschen Musik gehört.“ Na ja, eigentlich nicht. ... Ja, du störst mich bei meinem Gedankenfluss. – „Dann ist ja gut. Weißt du, was Bettina erzählt hat?“ – „Nein.“ Mit mir spricht die doch eh kein Wort, wenn sie nicht unbedingt muss. – „Sie meinte, dass vielleicht nach den Pfingstferien ein neuer Junge in unsere Klasse kommen soll.“ – „Echt? Und woher weiß Bet das?“ – „Angeblich aus zuverlässigen Quellen.“ – „Und die wären?“ – „Frag mich doch nicht. Das hat sie nicht erwähnt!“ – „Okay. Und weiß sie sonst noch etwas über den angeblichen Neuen?“ – „Nur, dass er aus Mittelfranken ist. Er kommt aus der Nähe von Ansbach.“ – „Aha. Und sonst noch was?“ – „Nein. Ich frag sie morgen noch mal.“ – „Ja, mach das.“ Scheiße, jetzt hab ich meine Idee vergessen. ... Dann wird sie hoffentlich nicht so gut gewesen sein. – „Also. Ich muss dann noch den Englisch-Aufsatz schreiben. Hast du den schon?“ Nein. Dank dir noch nicht .. .– „Nö. Aber ich denk, ich mach ihn gleich.“ – „Bis morgen dann. Ciao!“ – „Ciao!“  Was war das Aufsatzthema noch gleich...?

 

Geschafft! Endlich habe ich den zweiseitigen Aufsatz fertig und kann mich wieder meinen allabendlichen Beschäftigungen hingeben. Die wäre: Essen, fernsehen, essen, fernsehen und noch mehr essen. Ach, wie herrlich kann das Leben sein ... Wenn da nicht meine kleinen Zwillingsgeschwister Tom und Anna wären. Jeden Tag derselbe Zirkus! Die beiden geben solange keine Ruhe, bis sie ihre Serie gesehen haben und jeder einen Fruchtjogurt gegessen hat. Anna Kirsche und Tom Erdbeere. Einmal hatte ich ausversehen Toms letzten Erdbeerjogurt gegessen. Da war was los. Er hat geheult wie verrückt und wollte mich beißen.

Wenn aber beide ihre Jogurt bekommen, sind sie zuckersüß und gehen meist ohne Aufforderung nach oben, putzen sich die Zähne und bekommen von Mama eine Gute-Nacht-Geschichte vorgelesen. Und wenn das alles vorbei ist, kann ich entspannt einen 20.15 Uhr-Film anschauen und nebenbei etwas essen. So wie jeden Abend.

 

Bettina lehnt an der Wand und lernt den Hefteintrag in Erdkunde. Da kommt Hanna hinzu. Ich kann nicht hören, was sie sagen, denn ich stehe zu weit entfernt und die herumtobenden Fünftklässler in der Pausenhalle sind zu laut. Draußen regnet es wieder einmal und der Himmel ist düster. Sandra, die neben mir steht, träumt kauend vor sich hin und auch Nora und Carmen scheinen irgendwie abwesend zu sein. Mann, sagt doch gleich, dass es in meiner Gegenwart langweilig ist oder, dass ihr mir nichts erzählen wollt. „Hallo!“, sage ich und wedle Sandra mit einer Hand vor dem Gesicht herum. Sie kneift ihre Augen zusammen und sieht mich verwundert an. „Tut mir Leid. Ich war im Gedanken!“, meint sie. – „Ja. Das sieht man!“ – „Ich hab grad an Thomas gedacht. Er schreibt jetzt Mathe-Klausur oder irgend so einen Scheiß!“ Thomas ist ihr Freund. Er ist an einer anderen Schule und bereits in der Kollegstufe. – „Aha. Irgend so einen Scheiß? Und? Ist dieser Scheiß anstrengend?“ – „Frag mich doch nicht. Wir reden selten über Schule.“ Ja, ist verständlich. Ihr redet nur über Sex oder so. Ich verdrehe meine Augen, denn ich kann diesen ganzen Liebeskram langsam nicht mehr hören. Mein Freund tut dies. Mein Freund tut das. Mein Freund fährt schon Auto. Mein Freund arbeitet im Büro. Sag mal, hat eigentlich jeder in der Klasse einen Freund außer mir? … Und wenn. Müssen sich dann alle immer ohne Rücksicht auf mich über diese Kerle unterhalten? Das kotzt an! Das kotzt echt an!

 

Tja. Das Leben ist schon schön, wenn man sozusagen der Außenseiter der Klasse ist. Die Mädchen unterhalten sich entweder über ihre Freunde oder über Typen mit denen sie vielleicht bald zusammen kommen werden oder über Sachen, die mich nicht interessieren oder von denen ich keine Ahnung habe. Die Jungen verachten mich nicht, wollen aber auch nicht mit mir reden, weil sie nicht wissen, über was sie mit mir reden könnten. Warum, weiß ich auch nicht. Tja. Da bleibt mir wohl nur noch mein einziger, treuer Freund Banana Joe.

Banana Joe ist ein netter, alter Witwer, der gegenüber von uns in einem kleinen, altmodischen, dennoch sehr schönen Häuschen wohnt. Er hat einen frechen Jack Russel Terrier, der immer kläfft, wenn jemand am Zaun vorbeiläuft.

Bob erwartet mich bereits schwanzwedelnd am Türchen und winselt. „Hallo, Bob!“, sage ich und kraule ihn durch die Zaunlatten hindurch hinter den Ohren, wo er es am liebsten hat. Dann öffne ich das Gartentor und trete ein. Rechts und links des Weges, der zur Haustür führt, blühen die schönsten Blumen, deren Namen ich nicht einmal kenne. Bevor Joe in Rente gegangen ist, war er Gärtner und hatte sogar seinen eigenen Laden. Nun hat ihn sein Sohn übernommen. Harald Grüber wohnt mit seiner Familie am Ortsrand von Leier und besucht seinen Vater fast täglich. Joes Frau Francesca ist vor drei Jahren gestorben. Der Mann war untröstlich und ich war es auch, denn ich habe sie sehr gemocht.

Ich drücke auf die Klingel. Bob springt an meinen Beinen hoch und kläfft leicht. Banana Joe öffnet und lächelt. „Hallo Samantha. Wie geht’s?“, fragt er mich. – „Gut. Danke. Und dir?“ – „Mir auch. Komm doch rein. Ich hab mir grad einen Kaffee gekocht. Heike hat mir heute Morgen einen herrlichen Marmorkuchen vorbeigebracht.“ – „Oh, hört sich gut an. Heike ist eine gute Bäckerin!“ – „Ja. Das stimmt. Sie hat mir gesagt, dass sie in einem Backbuch sogar auf einen Bananenkuchen gestoßen ist.“ – „Cool.“ Joe isst Bananen für sein Leben gern. Daher kam auch sein Spitzname. Eigentlich bin ich die Einzige, die ihn so nennt. Sein richtiger Name ist Johannes. Doch Joe mag seinen Spitznamen.

Im Esszimmer steht bereits eine Kanne mit duftendem Kaffee auf dem Tisch. Während ich Platz nehme, holt Joe noch eine Tasse und einen Teller für mich aus der Küche. „Der Kuchen sieht ja echt lecker aus.“, meine ich beim Anschneiden. „Ja. Hoffentlich schmeckt er auch so!“, sagt er und stellt das Geschirr vor mich hin.

„Warum bin ich eigentlich eine Außenseiterin in unserer Klasse?“, frage ich ihn dann. Wie ich darauf gekommen bin, weiß ich auch nicht. Joe schaut mich fragend an: „Du und eine Außenseiterin?“ – „Ja. Alle unterhalten sich immer über ihre Freunde und ich hab bei solchen Sachen nie etwas mitzureden, weil ich schon seit über einem Jahr solo bin.“ – „Ach ja. Da gab’s ja mal diesen ... Wie hieß er doch gleich?“ – „Julian.“ – „Julian! Stimmt. Aber den hast du verlassen.“ – „Ja. Wir haben nicht wirklich zusammen gepasst. ... Nein, aber ich verstehe trotzdem nicht, wieso mich dann die anderen ausschließen.“ – „Die wissen halt einfach nicht, was für ein tolles Mädchen du bist.“ Das ist lieb, Banana Joe, aber wieso glaub ich dir nicht? – „Die nehmen mich ja fast nicht mal wahr!“ – „Hm.“ – „Da bin ich echt lieber mit den Freunden aus dem Dorf zusammen.“ – „Ja. Auf die kannst du dich wenigstens verlassen, oder?“ – „Das stimmt und man kann mit ihnen einfach nur Spaß haben.“ Jetzt setzt Schweigen ein. Joe legt die Kuchengabel auf den Teller. „Ich hatte damals meine erste feste Freundin mit dreizehn.“, meint er. – „Willst du damit etwa sagen, dass ich so etwas wie eine Spätentwicklerin bin?“ Unverschämtheit! – „Nein! Aber eigentlich ist es doch normal, dass man mit sechzehn einen festen Freund hat.“ – „Was ist denn bei mir schon normal?“ Joe grinst vor sich hin. Er denkt wahrscheinlich an die vielen Missgeschicke, die mir schon passiert sind. Das ist nicht witzig, ja? – „Bist du denn im Moment verliebt?“ – „Nö. Die Jungs an meiner Schule sind doof und wenn ich verliebt wäre, dann wären das nicht mehr als Schwärmereien und ich würde den Kerl sowieso nicht bekommen.“ – „Hast du schon einmal daran gedacht, dass du vielleicht mehr an Mädchen interessiert bist?“ Was soll das bitte heißen? – „Willst du andeuten, dass ich vielleicht vom anderen Ufer sein könnte?“ – „Na ja. Kann doch sein. Mein damalig bester Freund war auch schwul und wir waren trotzdem die dicksten Freunde!“ – „Banana Joe, ich bin nicht lesbisch!“ – „Und woher weißt du das?“ – „Weil ich mich kenne.“

Ich schiebe meinen Stuhl nach hinten und stehe auf. „Hab ich etwas Falsches gesagt?“, fragt Joe. Ich schüttle den Kopf, nehme mein Geschirr und trage es in die Küche. „Ich muss gehen. Das ist alles.“, meine ich. – „Okay, versteh schon. Ich hab etwas Falsches gesagt!“ – „Nein, hast du nicht. Ich muss noch meine Hausaufgaben machen.“ – „Na gut. Also, danke, dass du mich besucht hast.“ – „Kein Problem. Wann soll ich mit Bob Gassi gehen?“ – „Morgen muss ich zum Arzt. In der Zeit könntest du ihn holen, damit er nicht so einsam ist.“ – „Okay, geht klar. Bis dann!“ – „Tschüß!“

 

Frau Neuholdt, unsere Klassenlehrerin, hat heute die Vertretung für Herrn Götz, den Geschichtslehrer übernommen, da dieser heute krank ist. Sie spielt ein Quiz mit uns und meine Gruppe liegt im Moment mit einem Punkt vorne. „Wie heißt die Hauptstadt von Italien?“, lautet die nächste Frage für die Jungengruppe. Mann, wir bekommen dann wieder die schweren Fragen! Unfair. „Rom!“, ruft Frederik und Frau Neuholdt notiert einen Punkt an der Tafel. Jetzt haben wir dieselbe Punktzahl. Die nächste Frage müssen wir unbedingt richtig beantworten, sonst gewinnen sie! „Eine letzte Frage nun für die Gruppe eins: Wie heißt der höchste Berg der Alpen?“, meint die Lehrerin. „Das ist die Zugspitze, ganz sicher.“, sagt Bettina leise. Während ich noch mit anhören muss, wie Berge genannt werden, die es gar nicht gibt oder an sich vollkommen anderen Orten befinden, melde ich mich und rufe: „Mont Blanc!“ „Richtig!“, meint Frau Neuholdt, „Somit hat Gruppe eins gewonnen!“ „Wow. Sammy.“, sagt Bettina mit gespielter Anerkennung. Danke, ich weiß selbst, dass ich gut bin. ... So eine blöde Kuh! ...

„Da wir jetzt noch ein paar Minuten Zeit haben, wollte ich euch jetzt endlich die Wahrheit über das Gerücht erzählen, das schon vor ein paar Tagen entstanden ist.“, sagt die Lehrerin und setzt sich ans Pult. Was? Sie sind schwanger? Ich muss lachen. „Sie sind schwanger?“, fragt Markus, der anscheinend Gedanken lesen kann. „Nein. Bin ich nicht!“, verdeutlicht Frau Neuholdt, „Es geht um den neuen Schüler, der nach den Pfingstferien in unsere Klasse kommt. Sein Name ist Sebastian und er zieht von Mittelfranken in ein Dorf hier in der Gegend, von dem ich jetzt leider den Namen vergessen habe.“ „Und? Wie sieht er aus?“, fragt Bettina. War ja wieder mal klar, dass die Frage von dir kommt. ... Ich dachte, du bist vergeben. ... Ach nein, du suchst dir schon mal einen Neuen, damit du einen hast, wenn dich dein jetziger Stecher verlässt. – „Das weiß ich nicht, aber er ist ein Jahr älter als ihr. Er würde sitzen bleiben und ist daher gleich eine Jahrgangsstufe zurück gegangen, dass er sich schon einmal an seine Klasse gewöhnt.“ Ein allgemeines Gemurmel setzt ein und die Versuche von Frau Neuholdt, klarzustellen, dass sie nicht wisse, wie er so „drauf ist“, gehen fast unter. Da läutet es. Endlich Ferien! Ich atme erleichtert auf und kann nicht wahrhaben, dass es soeben geläutet hat. Zwei Wochen frei! ... Oder bin ich schon so durch den Wind, dass ich ganz vergessen habe, dass wir noch eine Woche Schule haben? ... Nein. Sicher nicht! Endlich Ferien!

Jungs machen doch nur alles kaputt...


Ich liege in meinem Zimmer und träume vor mich hin. Heute ist es ungewöhnlich schwül. Ich schwitze sehr und will mir gerade ein luftigeres T-Shirt anziehen, als mein Handy klingelt. „Ja.“, melde ich mich. – „Hi. Ich bin’s, Lina.“ – „Oh, hi. Wie geht’s?“ – „Gut, danke. Ich wollte dich eigentlich fragen, ob wir nicht etwas nach draußen gehen wollen zum Fußballspielen.“ – „Ja. Warum nicht? Ich hab schon seit Ewigkeiten nicht mehr gespielt. Wahrscheinlich treffe ich nicht einmal den Ball.“ – „So schlimm wird’s schon nicht werden.“ – „Ha, bei mir weiß man nie!“ Oder ich falle über meine eigenen Füße… – „Stimmt!“ – „Okay, wann?“ – „Jetzt gleich?“ – „Klar. Dann treffen wir uns in zehn Minuten auf dem Fußballplatz. Nimmst du einen Ball mit?“ – „Ja. Also, bis dann.“ – „Ciao.“ – „Ciao.“ Ich lege auf.

Wie vereinbart treffen wir uns auf dem großen Sportplatz am Ortsrand. Das Gras ist angenehm kühl und der Himmel strahlend blau. Doch irgendetwas sagt mir, dass das nicht mehr lange so bleibt. Es riecht förmlich nach Regen. „Hi, Lina!“, begrüße ich meine Freundin, die schon auf mich wartet. „Hi, Sammy!“, ruft sie und schießt mir den Ball zu. Ich passe nicht auf und er rollt an mir vorbei. „Du triffst ihn ja echt nicht!“, meint Lina und lacht. Ich renne dem Ball hinterher und sehe dann, dass auf der Straße nebenan ein großer Lieferwagen vorbeifährt. „Eger Umzug“, steht darauf. „Ha, da will doch tatsächlich einer in unser kleines Örtchen ziehen.“, scherze ich und passe den Ball zurück.

„Endlich Ferien, hm?“, meint meine brünette Freundin, die meine Bemerkung anscheinend nicht gehört hat, und setzt sich auf den Ball. „Ja, was für eine Wohltat nach all den Wochen!“, sage ich und nehme neben ihr Platz. – „Verreist ihr eigentlich?“ – „Nein, aber ich übernachte wahrscheinlich zwei Nächte bei Banana Joe.“ – „Wow, Urlaub im Nachbarhaus. Was für ein Luxus!“ – „Hey. Banana Joe ist echt cool.“ – „Hm. Wir fliegen in der zweiten Ferienwoche in die Türkei. Dorthin, wo wir schon letztes Jahr waren. Da ist es voll schön!“ – „Du hast’s gut ...!“ – „Ich hätte dich ja gerne mitgenommen, aber ich glaube, dann wären meine Eltern ausgeflippt.“ – „So schlimm bin ich auch wieder nicht!“ – „Tja ...“ Was soll denn das jetzt bitte heißen? Wir lachen los und schießen auf das Tor.

Am Himmel ziehen wie aus dem Nichts graue Wolken auf und es weht plötzlich ein kühler Wind. „Hey Sammy. Lass uns lieber gehen. Ich glaub, da kommt gleich ein Unwetter!“, meint Lina und nimmt den Ball in die Hände. „Hast du schon gehört, dass in der Hauptstraße eine neue Familie einziehen soll?“, fragt sie dann. „Nö. Aber das sind garantiert wieder voll die komischen Leute! ... Nach Leier ziehen doch nie anständige Leute.“, sage ich und stehe ebenfalls auf. – „Meine Mutter meinte, dass die irgendwelche Bekannte oder Verwandte im Dorf haben. Aber wer das genau sein soll, wusste sie nicht.“ – „Aha. ... Na ja, vielleicht sind sie ja gar nicht mal so schlimm oder aber es sind alles wieder einmal nur Gerüchte.“ – „Vielleicht ist auch ein süßer Junge dabei!“ – „Ja. Dann gäbe es wenigstens einen annehmbaren Kerl in ganz Leier.“ – „Das stimmt. Na ja. Lassen wir uns überraschen.“ Ich spüre einen dicken Regentropfen auf meine Nasenspitze platschen. „Lass uns gehen, bevor wir pitschnass sind.“, meine ich, umarme meine Freundin zum Abschied und laufe los. Lina muss in die andere Richtung gehen. „Ciao, Sam!“, ruft sie und winkt mir zu. „Ciao!“, rufe ich und lege einen Schritt zu, denn jetzt zuckt ein greller Blitz am Himmel.

 

Noch ehe ein Wolkenbruch niedergeht, sitze ich schon daheim und starre aus dem Fenster. Banana Joe steht vor seiner Haustür und ruft Bob, der noch draußen ist. Dicke Tropfen prasseln nieder und ich schließe das Rollo, bevor die Scheiben nass werden. Erschöpft setze ich mich auf die Bettkante und betrachte das Foto von mir und Sandra, das auf dem Nachtkästchen steht. Tja, einst waren wir die besten Freundinnen und jetzt, wo du diesen Thomas hast und wir in der neuen Klasse sind, scheinen wir nichts mehr gemeinsam zu haben. Wie schnell sich doch alles ändern kann. Ich greife nach dem Bilderrahmen und nehme das Foto, auf dem wir Arm in Arm vor einem Baum stehen, heraus. Es wurde letztes Jahr auf der Klassenfahrt nach Nürnberg aufgenommen. Anschließend stelle ich den leeren Rahmen zurück auf mein Nachtkästchen und lasse das Foto auf den Boden fallen. Wir konnten uns immer alles sagen. Waren immer für einander da. Du hast mir zugehört und ich dir, doch was ist jetzt? Entweder du tust nur so, als ob du mir zuhören würdest, oder du bist im Gedanken bei deinem ach so tollen Thomas.  

Mir reicht es! Ich drehe die Stereoanlage auf und werfe mich auf mein Bett. Ich könnte heulen. Mir geht es im Moment so dreckig, dass ich Rotz und Wasser heulen könnte. Doch ich reiße mich zusammen, denn erstens wollte ich mir abgewöhnen zu heulen und zweitens heule ich nur, wenn es mir echt mies geht. Ich sehe es nicht ein, dass ich meine kostbaren Tränen für sie verschwende. Würde sie denn für mich heulen? … Wenn sie meint, mich sitzen zu lassen, mit mir nichts mehr zu unternehmen und sich nur noch mit einem Kerl zu treffen, dann bitte. Soll sie doch. Ich kann wunderbar alleine leben. Ich hab tolle andere Freunde und Banana Joe. Was brauche ich mehr? Ich verstehe nicht, wie man so süchtig sein kann nach einem Kerl. Einem Kerl! ... Okay, vielleicht gibt es auch Ausnahmen, aber wenn, dann können die sich ganz gut verstecken, denn mir ist noch keiner begegnet. ... Und wird mir auch wahrscheinlich nie begegnen!

 

 

Streit um Bob

 

 


Als es gegen Abend endlich aufgehört hatte zu regnen, gehe ich zu Banana Joe, um mit Bob spazieren zu gehen. Ich nehme meine Jeansjacke vom Garderobenhaken, verabschiede mich von meinen Eltern und laufe aus dem Haus. Bevor ich die Straße überquere, schaue ich mich um. Schon einmal wäre ich fast überfahren worden. Ich öffne das Gartentürchen und schaue mich um. Nanu, wo ist denn Bob? Normalerweise würde er mir doch schon entgegen gerannt kommen. Banana Joe lässt ihn immer im Garten herumtollen, wenn er, wie heute, weggegangen ist. „Bob!“, rufe ich und gehe zur Haustür. Eigentlich sollte hier Bobs Leine hängen. Joe hängt sie immer an den Türgriff, wenn er weiß, dass ich Bob holen komme. Doch heute ist sie nicht da. „Bob!“, rufe ich erneut und erwarte ein freudiges Antwortbellen. Aber nichts kommt. Ich laufe um das Haus herum. Vielleicht sitzt Bob ja auf der kleinen Holzbank, die auf der Terrasse steht. Joe hat auf ihr eine kleine Decke für den Terrier ausgebreitet. - Nein, Fehlanzeige. Auch hier ist er nicht. „Bob! Bobby!“, schreie ich und da höre ich Schritte auf dem Kiesweg.

Plötzlich steht ein wildfremder etwas älterer Junge vor mir. Er hat schwarze Haare, ist ein Stück größer als ich, schlank, muskulös und trägt normale Straßenkleidung, also glücklicherweise keinen hässlichen Hopper-Look. Er sieht eigentlich ganz in Ordnung aus. Doch was das Unverschämteste ist: Er hat Bob an der Leine!

Ich schaue ihn im Moment wahrscheinlich genauso dumm an, wie er mich. Wer ist das denn? Keiner sagt etwas. Nur Bob läuft auf mich zu und springt an meinem Bein hoch. „Wer bist du?“, frage ich ihn. – „Dasselbe könnte ich dich fragen. Und warum treibst du dich im Garten von meinem Opa herum?“ – „Dein Opa? Du willst mir jetzt aber nicht erzählen, dass Banana, ... äh, ich meine Johannes Grüber dein Opa ist?“ – „Doch. Das ist er. Aber was machst du hier?“ – „Ich bin die Nachbarin und mit Joe befreundet.“ – „Aha. Aber trotzdem, was wolltest du hier?“ – „Ich wollte mit Bob Gassi gehen.“ – „Wie heißt du eigentlich?“ – „Samantha. Samantha Hagen. Und du?“ – „Ich heiße Sebastian Grüber.“ Er zeigt mir seinen Personalausweis, wie ein Polizist seine Marke. Ja, gut, ich glaube dir ja. „Und du wolltest jetzt ebenfalls mit Bob Gassi gehen?“, frage ich verwirrt. – „Ja.“ Hey, was soll die Scheiße? Joe hat mir versprochen, dass ich darf! „Aber Joe hat es mir versprochen!“, bekräftige ich. „Na und? Ich bin sein Enkel. Ich hab das Vorrecht!“, entgegnet er mir. – „Versprochen ist aber versprochen!“ – „Und ich bin sein Enkel!“ – „Aber ich bin ein Mädchen ...!“ – „Ja und? Was hat das bitte damit zu tun?“ – „Na, ein Mädchen bekommt immer das, was es will!“ – „Oh, pardon mademoiselle!“ So ein blöder Angeber! – „Weißt du was? Wir lassen einfach Bob entscheiden!“, schlage ich vor. – „Na schön. Er kommt sowieso zu mir!“ – „Wetten, dass nicht?!“ Ha, der wird noch sein blaues Wunder erleben! Sebastian lässt Bob von der Leine und dann gehen wir beide ein paar Schritte zurück. „Komm Bob!“, rufe ich, doch der Hund bewegt sich nicht von der Stelle. „Bobby, komm mein Junge!“, sagt Sebastian und steckt seine Hand in die Jackentasche. Sofort kommt der Hund gesprungen. „Siehst du, zu wem er will?“, meint der Kerl und lacht. „Das ist mies. Du hast Leckerlis einstecken!“, meine ich und gehe auf ihn zu. „Was? Hab ich gar nicht!“, sagt er abwehrend. – „Ich bin nicht dumm!“ Ich fasse in seine Jackentasche und ziehe einen kleinen Hundekuchen heraus. „Nein. Und was ist das?“, meine ich, „Das ist echt unfair!“ Er zuckt mit den Schultern. Was für ein arroganter Affe! „Okay, lassen wir eine Münze entscheiden!“, meint er und greift in seine hintere Hosentasche. „Kopf oder Zahl?“, fragt er mich. „Zahl!“, sage ich und grinse, denn mit Zahl habe ich fast noch nie verloren. Du wirst noch sehen, Angeber! Da wirft er die Münze hoch und fängt sie gekonnt auf. Nun macht er seine Hand auf und was liegt da? Kopf! ... Kopf? Wie kann das sein? Ich habe fast noch nie verloren. Das kann nicht sein. Da ist irgendetwas faul! „Zeig mal deine Münze!“, fordere ich ihn auf. „Oh, da kann wohl eine nicht verlieren?“, veralbert er mich. – „Ich kann sehr wohl verlieren, aber du wohl nicht, hm?“ Ehe er sich versieht, schnappe ich ihm das Geldstück aus der Hand. „Aha, sieh an. Eine gefälschte Münze, auf der es nur Kopf gibt!“, sage ich froh, ihn ertappt zu haben. Mit einem Mal vergeht ihm sein Siegerlächeln. Tja, keiner verarscht so leicht eine Sam! Blöder Kerl! Ich blecke ihm die Zunge und bücke mich nach der Leine. „Du hast schon zweimal beschissen, also darf ich jetzt Bob ausführen!“, meine ich und lächle überheblich. Da greift Sebastian nach dem Strick und zieht ihn mir aus der Hand. „Boah, du Arsch!“, rufe ich und verfolge ihn. Wir rennen um Joes Haus herum und Bob hinterher. Er hält das ganze wohl für ein lustiges Spielchen.

„Hey, was ist denn da los?“, ruft eine bekannte Stimme auf einmal. Ich bleibe stehen und schaue mich um. Banana Joe steht am Gartentor und blickt uns böse an. Auch Sebastian kommt jetzt auf uns zu. „Hallo!“, begrüßt er seinen Opa. Es ist also wahr. Diese zwei so unterschiedlichen Geschöpfe sind doch miteinander verwandt. Erst jetzt erkenne ich eine gewisse Ähnlichkeit. „Wart ihr schon mit Bob Gassi?“, fragt Joe und streichelt dem Hund den Kopf. „Nein. Wir haben uns darum gestritten, wer gehen darf.“, gebe ich zu, „Du hattest es ja eigentlich mir versprochen ...!“ „Aber zu mir hast du auch gesagt, dass ich gehen darf!“, mischt sich sein Enkel ein. „Ja, ja. Das stimmt schon, aber das war alles Absicht. Ich hatte mir gedacht, dass ihr zusammen gehen könntet.“, meint Joe. Tolle Idee … Wirklich tolle Idee mit dem eingebildeten Affen spazieren zu gehen. Er hatte doch nicht etwa vor, uns miteinander zu verkuppeln? Nur weil ich keinen Freund habe? „Also, was ist jetzt, geht ihr dann, oder nicht?“, fragt Joe und schaut von einem Gesicht zum anderen. Na gut, sonst wären Bob und Joe nur enttäuscht und das will ich nicht. Da nehme ich sogar diesen Kerl in Kauf. „Okay, meinetwegen können wir los.“, sage ich und schaue Sebastian an. Er zuckt mit den Schultern und hängt die Leine an Bobs Halsband.

 

Als wir außer Reichweite von Joe sind, sagen wir gleichzeitig: „Das hab ich nur für Joe gemacht!“ Wir schauen uns böse an, weil wir genau im selben Moment dasselbe gesagt haben. Bob pinkelt an eine Straßenlaterne und scheint glücklich zu sein. „Sag mal, kennst du ein gewisses Richard-Neußer-Gymnasium?“, fragt mich Sebastian plötzlich. – „Nein. Ich tu’ nur so. ... Das ist meine Schule, warum?“ – „Weil ich da nach den Ferien zur Schule gehen werde.“ – „Oh, nein!“ Dann ist er also der Neue! – „Was soll denn das jetzt heißen?“ – „Du kommst in meine Klasse.“ – „Oh, nein!“ – „Und was soll das bitte heißen?“ – „Mit dir in eine Klasse!“ – „Uh, mit dir in eine Klasse!“ – „Horror!“ – „Ja, das stimmt!“ Ich muss lachen. „Was?“, fragt Sebastian. „Das würdest du nicht verstehen!“, meine ich und grinse ihn an. Er verdreht die Augen.

Stadtführung


 

„Was hältst du davon, wenn du Sebastian mal unser Dorf zeigen würdest?“, meint Banana Joe am nächsten Tag zu mir. Eigentlich wollte ich Bob Gassi führen und nicht ihn! Und außerdem… Steht auf meiner Stirn vielleicht zufällig „City-Guide“? Naja, was soll’s.

„Äh, natürlich. Wo wohnt er denn eigentlich?“, frage ich ihn. - „Du kennst doch das Haus neben Meiers. Da wohnte immer eine ältere Frau, bis sie ins Altenheim kam.“ – „Ja. Ist das Haus nicht gelb?“ – „Na ja, so ockergelb.“ – „Ja. Dann weiß ich, welches du meinst.“ – „Bitte. Tu’s für mich. Sebastian ist doch neu hier und er kennt noch niemanden. Er würde sich sicherlich freuen.“ Ich nicke und mache mich schließlich auf den Weg.

Wenig später stehe ich vor einer großen Holztür mit dem Rücken zur Hauptstraße. Auf der Klingel, die ich drücke, steht immer noch „Else Huber“. In meiner Magengegend macht sich ein flaues Gefühl breit, als sich die Haustür öffnet. Eigentlich hätte ich damit gerechnet, dass entweder Sebastian selbst oder seine Eltern aufmachen, aber vor mir steht ein etwa achtjähriger Junge mit dunkelbraunen Haaren. Er sieht Sebastian zum Verwechseln ähnlich. Hallo, Mini-Sebastian! „Hallo.“, sage ich, „Ist dein Bruder auch da?“ Der Kleine nickt schüchtern, schließt die Tür und kurze Zeit später kann man ein lautes Rufen hören: „Sebi, deine Freundin ist da! Sebi!“ Oh, mein Gott, was denkt der von mir. Ich und Sebastians Freundin?! Nie im Leben! Da öffnet sich die Tür wieder. „Er kommt gleich! Er sitzt noch auf dem Klo.“, meint der Junge und schließt die Haustür wieder. So genau wollt’ ich’s eigentlich gar nicht wissen ... Ich setze mich auf die Steinstufen und warte.

Da geht endlich die Tür wieder auf. Ich stehe auf, klopfe mir den Staub von der Hose und drehe mich zu Sebastian um. „Hi.“, grüßen wir uns gleichzeitig. Jetzt, da er eine Stufe weiter oben steht als ich, ist er noch größer, als er sowieso schon ist. Ich schaue ihn von oben bis unten an und meine Blicke bleiben peinlicherweise an seiner Hose hängen. Sein Hosenstall steht weit offen, sodass man seine schwarz-rot-gestreifte Boxershorts sehen kann. Hallöchen… Natürlich bemerkt er, wo ich hinschaue, und zieht verlegen den Reißverschluss hoch. „Sorry.“, meinen wir, wieder auf die Sekunde genau gleichzeitig. „Joe hat mich gebeten, dir das Dorf zu zeigen.“, sage ich. – „Gibt’s hier so viel zu zeigen?“ – „Hm, ... eigentlich nicht, aber Joe meinte, dass ich mit dir etwas Zeit verbringen soll, weil du hier noch keine Freunde hast.“ – „Typisch Joe. Er macht sich immer zu viele Sorgen um die anderen.“ – „Warum, ist doch gut, oder?“ – „Schon. Aber dabei vergisst er meistens sich selbst.“ Ich nicke verständnisvoll, denn ich weiß, von was er spricht. „Also, kommst du dann?“, frage ich. - „Na klar.“

 

Wir laufen erst die Hauptstraße entlang. „Wie kommt es eigentlich, dass ich dich noch nie gesehen habe, obwohl du der Enkel meines Nachbar bist?“, frage ich ihn wenig später. „Du meinst, warum wir ihn nicht irgendwann mal zu Besuch waren?“, erkundigt sich Sebastian. Ich nicke. „Naja… Ich war öfter hier, als ich noch klein war und als Oma noch gelebt hat. Damals warst du aber anscheinend noch nicht so dicke mit ihm. … Tja, irgendwann gab’s dann auch mal einen Streit zwischen Papa und Opa und da wollte keiner der beiden Dickköpfe nachgeben. Somit haben wir ihn dann lange nicht besucht. Erst vor ein paar Monaten haben die beiden den Streit niedergelegt und jetzt ist alles wieder bestens.“, erklärt er mir. Ich nicke nachdenklich.

„Da vorne ist der Friedhof. Da kommst du mal hin, wenn du stirbst.“, meine ich kurz darauf. – „Und was ist, wenn ich nicht sterbe?“ – „Dann hast du Pech gehabt.“ – „Ja, weil ich unsterblich bin.“ Ha, ha, ha. Der Witz des Jahrtausends. Mister Oberschlau und unsterblich… Eher gibt es fliegende Schweine, die mir als Schnitzel gebraten im Mund landen. „Wenn du hier den Feldweg nimmst, dann kommst du irgendwann in Morgengau raus.“, erzähle ich weiter, „Morgengau hat ein Schwimmbad und einen Supermarkt. Das Kaff ist also für Leier überlebenswichtig.“ – „Verstehe. ... Meine Mutter hat schon gefragt, wo es den nächsten Supermarkt gibt.“

Wir drehen um und laufen bis zum anderen Ende des Dorfes. „Also, hier ist der Sportplatz. Da kann man zum Beispiel Fußball spielen.“, meine ich. Oh, Gott! Ich höre mich ja echt wie eine dieser Fremdenführer an, die immer so unheimlich witzig sein wollen. Sebastian schaut mich blöd an: „Man kann aber bestimmt auch ein klasse Picknick hier machen, oder?“ Mitten auf dem Sportplatz?!  – „Sicher.“ Ich verdrehe die Augen.

Wir hätten uns noch weiter verarscht, wenn ich nicht plötzlich gerufen worden wäre. Ich schaue mich verwundert um und sehe dann meine Freundinnen Lina und Alexandra auf mich zukommen. Sie betrachten meinen Begleiter kritisch aus einem Sicherheitsabstand. „Hi!“, rufe ich ihnen entgegen. Mensch, warum müssen sie mich jetzt gerade mit diesem Kerl sehen? „Das ist Sebastian.“, stelle ich ihn vor, „Und das sind Lina und Alexandra.“ Er gibt ihnen höflich die Hand: „Freut mich.“ Meine Freundinnen lächeln ihn an, als ich weitererzähle: „Lina und Alex sind meine Freundinnen. Wir machen so gut wie alles zusammen. Sebastian ist neu hier. Er wohnt im Haus der alten Frau Huber.“ Die beiden nicken. „Gibt es denn in Leier noch mehr zu sehen, als einen Friedhof und einen Sportplatz?“, fragt Sebastian sie. „Äh ... eigentlich nicht.“, meint Lina und wird etwas rot. „Ja, ich wüsste auch nichts mehr.“, sagt Alex und zuckt mit den Schultern. „Ach, bevor ich’s vergesse. Am Freitag ist in Morgengau eine Fete. Wir würden uns freuen, wenn ihr beide auch kommt.“, meint Lina noch. Was? Ich will ihn aber nicht mitnehmen! ... Und ich hatte mich so auf einen „Mädelsabend“ mit meinen Freundinnen gefreut. Sebastian nickt interessiert. „Okay, also wir müssen dann mal weiter!“, sagt Alex dann mit einem Zwinkern, das Basti allerdings nicht mitbekommt, und ehe ich mich verabschieden kann, sind die beiden auch schon weg. Im Weggehen tuscheln die beiden und kichern.

„Sind die immer so?“, fragt mich Sebastian und schaut dabei den Mädchen hinterher. - „Wenn es um Jungs geht, ja!“ Wahrscheinlich finden die beiden ihn süß und es war ihnen etwas peinlich mitten auf dem Fußballplatz mit uns zu reden, da die Leute aus Leier sehr gerne gaffen und so die wildesten Gerüchte entstehen. 

 

„Mensch, Sammy! Warum hast du uns denn nichts von deinem neuen Freund erzählt?“, fragt mich Alex am Abend am Telefon. Bitte was?! „Sebastian ist nicht mein Freund. Er ist Banana Joes Enkel und ich habe ihn gestern erst unfreiwillig kennen gelernt!“, erkläre ich ihr. – „Warum „unfreiwillig“?“ – „Er ist total egoistisch und eingebildet.“ – „Echt? Meinst du wirklich? Am Sportplatz war er doch so nett. ... Aber er sieht doch verdammt gut aus, oder? Er erinnert mich an einen spanischen Fußballspieler.“ Ja, eigentlich sieht er wirklich sehr gut aus, aber nein, er ist und bleibt ein Arsch. - „Findest du?!“ – „Ja, hast du schon einmal seine tollen Augen gesehen? ... Der Traum!“ Aber ansonsten ein Arsch! – „Hm. Hab ich nicht darauf geachtet.“ – „Du willst mir jetzt aber nicht sagen, dass du den halben Tag mit ihm verbracht hast, ohne irgendein Kribbeln im Bauch gespürt zu haben?“ Ja, das will ich damit sagen. – „Findest du ihn denn so scharf?“ – „Aber Hallo?! Schau ihn dir nur an. Ein Traum von Kerl. ... Lina schwärmt auch ganz für ihn.“ – „Ihr seid also beide in den Kerl verknallt?“ – „Verknallt? Was heißt schon „verknallt“? Wir finden ihn halt unglaublich süß!“ Das ist alles?! – „Wenn ihr wollt, kann ich ihn ja mal fragen, wie er euch so findet.“ – „Das würdest du machen?“ – „Logo!“ – „Das wäre cool!“ Ihr seid also tatsächlich verliebt! „Okay, ich frag ihn am Freitag, wenn er besoffen ist, ja?“ – „Ja!“ – „Okay, wir sehen uns. Ciao.“ – „Ciao.“ Ich lege auf. Wie kann man nur in einen Typen wie Sebastian verknallt sein?

In dem Moment platzt meine kleine Schwester Anna ins Zimmer. „Sammy, weißt du, wo meine Barbie ist?“, fragt sie mich und schaut sich im Raum um. Also bei mir sicher nicht! „Nein, aber vielleicht hat Tom sie gesehen.“, meine ich. – „Nö. Was will der mit meiner Puppe?“ Tja, wer weiß… – „Und hast du schon im Sandkasten nachgeschaut? Du hattest sie doch gestern dabei.“ Mit einem Mal schlägt sie die Tür zu und man hört sie die Treppe hinab stampfen. Kleine Geschwister können einen echt manchmal ganz schön in den Wahnsinn treiben! Wieder fällt mir Sebastian ein. Und sein kleiner Bruder. Sehe ich meinen Geschwistern eigentlich auch so ähnlich? 

Ich sagte \"ohne\" ...


 

 

Freitagabend gegen halb neun klingelt es an der Tür. Ich schalte den Fernseher aus und eile nach unten. „Hi, Sammy!“, begrüßen mich Lina und Alex. Mein Vater wird uns später nach Morgengau fahren. „Hi!“, meine ich. „Und, kommt Basti jetzt auch mit?“, fragt Lina aufgeregt. – „Ja. Er wollte eigentlich auch so um Halb da sein.“ In diesem Moment kommt Basti wie auf Befehl hinzu. Wenn man vom Teufel spricht. „Hi.“, sagt er lächelnd und reißt mich aus meinen Tagträumen. „Hi, Basti!“, rufen meine Freundinnen glücklich, doch ich sage nur halblaut „Servus“. „Wie alt bist du eigentlich?“, fragt Lina neugierig. – „18, wieso?“ – „Ja? Aber dann bist du doch schon mindestens zweimal hocken geblieben.“ – „Nö, bin ich nicht.“ – „Hä, aber wie geht das denn sonst?“ – „Ich bin später eingeschult worden.“ – „Wieso?“ – „Weil meine Mama das so wollte…“ Er ist deutlich genervt. „Aber warum wollte das deine Mutter?“, fragt Lina genauer nach. „Sag mal, bist du eigentlich immer so neugierig?“ Wow, das hat gesessen. Lina schaut ihn böse an. „Ja. Ist sie immer!“, meint Alex grinsend, ohne auf Linas Gefühle zu achten.

 

Nach einigen schweigend vorübergegangenen Minuten und ein paar Smalltalks zwischen mir und meinen Freundinnen, die von der angespannten Stimmung ablenken sollten, kommen wir schließlich gegen Neun in Morgengau an. Wie immer sind wir viel zu früh und bis jetzt sind nur komische Leute da. Basti schaut sich vor der Scheune, in der später die Band „Die Spaßkapelle“ spielen wird, um. Wahrscheinlich hatte er sich das Ganze anders vorgestellt. Beim Betreten der Scheune müssen wir drei Euro Eintritt zahlen und bekommen ein rosafarbenes U-18-Bändchen. Basti zeigt stolz seinen Ausweis vor und erhält ein gelbes Ãœ-18-Bändchen, das er uns grinsend entgegen streckt.  Die Bühne ist in der einen Ecke und ein paar Biertischgarnituren in der anderen. Es gibt auch eine Bar, einen Stand für antialkoholische Getränke und einen für Speisen. 

Wir nehmen auf einer Bank Platz und betrachten die Leute, die in den Raum kommen. Zuerst kommt eine dicke Frau mit einem kurzen Rock herein. Sieht das schrecklich aus! Meine Freundinnen müssen sich ein Lachen verkneifen. Da dröhnt plötzlich „Football’s coming home“ durch die Boxen, die am Rand der Bühne aufgestellt sind. Was Alex eben sagen wollte, geht im Lärm unter. Ich nicke, um nur so zu tun, als hätte ich es verstanden. Basti lacht, denn er hat das anscheinend genau mitbekommen. Ich trete ihn gegen sein Bein. „Au!“, jault er und reibt sich sein Schienbein. Tja, dafür bin ich bekannt. Alex steht auf und geht hinaus. Wir folgen ihr. Ah! Wahrscheinlich hat sie gesagt, dass sie mal an die frische Luft will. Draußen stehen einige Jugendliche und rauchen. Pfui, Raucher sind widerlich! Ohne sie zu beachten, laufen wir an ihnen vorbei und setzen uns ein kleines Stückchen weiter auf eine Mauer. Im Minutentakt halten Autos, lassen ein paar junge Leute aussteigen und fahren dann weiter. Nachdem wir eine halbe Stunde ohne ein Wort zueinander zu sagen ruhig dagesessen waren, stehe ich auf und laufe wieder in die Halle. Der Rest folgt mir. Was für eine tolle Stimmung ...! Auf der Bühne stellen die Musiker die Instrumente ein. Währenddessen gehe ich zur Bar und hole mir eine alkoholfreie „Piña Colada”. Wir setzen uns wieder auf eine freie Bank. „Auch mal?!“, frage ich Lina, die neidisch auf meinen Cocktail starrt. „Ja!“, meint sie erfreut und trinkt grinsend. Wieso kaufst du dir nicht selbst einen? Alte Schnorrerin. Anschließend nehme ich wieder einen großen Schluck. Da kommt Basti mit einer Cola zurück an den Tisch. Ich hatte gar nicht bemerkt, dass er gegangen war. „Also, wenn die Band nicht mal gleich anfängt zu spielen, dann werd’ ich echt sauer!“, sagt Alex und klopft mit der Faust auf den Tisch. Ein wenig von Bastis Getränk läuft über den Rand und ein paar Tropfen gehen auch auf seine Hand. „Danke.“, meint er und schaut sie scharf an. „Oh, tut mir Leid. Das wollte ich nicht.“, entschuldigt sich Alexandra mit einem roten Kopf. Basti verdreht die Augen und trinkt einen kleinen Schluck. Dann wischt er sich mit einem Taschentuch ab. Warum ist er nur so abweisend gegenüber meinen Freundinnen. Nur weil er mich nicht mag, muss er das noch lange nicht an meinen Freundinnen auslassen. Ich nippe wieder am Strohhalm meines Cocktails.

„Wow, endlich geht’s los!“, meint Lina ironisch und schaut erwartungsvoll auf die Bühne. Der Sänger und Gitarrist der Band steht in der Mitte vor einem Mikrofonhalter. „Ich möchte im Namen der Band alle hier herzlich begrüßen. Ich hoffe, dass ihr nach einer langen Arbeitswoche alle in Partylaune seid und ordentlich mit uns rockt. Ich wünsche euch einen schönen Abend und gute Unterhaltung mit uns, der „Spaßkapelle“!“ Die Leute klatschen und pfeifen. Ich trinke wieder von meinem Cocktail, der von Mal zu Mal besser schmeckt als er sowieso schon schmeckt. „Hey, Lina, ich hol uns mal was zu trinken. Was hättest du gern?“, fragt Alex. „Ich nehm’ auch so einen Cocktail wie Sammy. Der ist echt lecker. ... Warte, ich komm am besten mit!“, sagt Lina und steht auf. In dem Moment fängt die Band zu spielen an. Das erste Lied ist „We are the champions“, denn wie mir mitgeteilt wurde, ist auch die Morgengauer Fußballmannschaft hier, um auf die Meisterschaft in der Regionalliga oder so anzustoßen. Basti und ich singen beim Refrain kräftig mit, so wie das alle in der Scheune tun. Da kommen meine Freundinnen zurück. Sie schauen uns komisch an, weil Basti seinen Arm um meine Schulter gelegt hat und wir beide mit grölen. Lina sagt etwas zu Alex, woraufhin diese den Mund verzieht, nickt und dann wieder zu uns schaut. Natürlich war es etwas über uns. Anschließend gehen die beiden nach draußen.

„Was ist denn mit denen schon wieder los?“, ruft mir Basti ins Ohr. Ich zucke mit den Schultern und stehe auf. Vor der Scheune ist es schon kühler geworden. Ich schaue mich um, doch von meinen Freundinnen fehlt jede Spur. „Sind die irgendwie sauer auf uns, oder so?“, fragt Sebastian und trinkt etwas von seinem Glas. Tja, keine Ahnung. Ich nehme noch einen großen Schluck von meiner „Piña Colada“, bis das Glas schließlich leer ist. „Ich hol mir einen neuen Cocktail. Wartest du hier?“, meine ich zu dem Jungen. Er nickt.

 

Wenig später komme ich zurück. Basti steht tatsächlich noch genau an derselben Stelle wie vorhin. „Lina und Alex stehen dort drüben bei drei Mädchen.“, sagt er und ich schaue mich um. Tatsächlich ... und es sind nicht nur irgendwelche Mädchen, sondern Viviane Grafenwald, Anne Fröhn und Paula Brunn, die größten Tussis aus der ganzen Gegend. Was wollen die beiden nur bei denen? Auf den Schock muss ich trinken. „Prost!“, meine ich und ziehe kräftig am Strohhalm. Ich dachte sie hassen die Tussis ... „Du magst die nicht sonderlich, oder?“, fragt mich Basti. – „Nicht mögen? Ich hasse sie!“ – „Und warum, wenn ich fragen darf? ... Okay, sie sehen ja schon einmal aus wie Tussis ...!“ – „Die sehen nicht nur so aus! ... Die ficken doch alles, was nicht bei drei auf den Bäumen ist.“ – „Ist da eine neidisch?!“ Er stößt mich mit dem Ellenbogen unsanft in die Seite. – „Nö. Ganz und gar nicht. Die sind doch seit der Grundschule keine Jungfrauen mehr!“ Er schaut mich angewidert an. „Und du?“, fragt er mich. – „Was meinst du?“ – „Bist du noch Jungfrau?“ – „Ja. Und stolz drauf!“ Ich spring doch nicht mit jedem in die Kiste! Was denkt er von mir? „Und du?“, frage ich ihn. „Hehe. Was glaubst du?“, meint er. – „Nein. Ich glaube, du hast deine Unschuld schon lange verloren.“ Er schaut mich zornig an. – „Nein, hab ich nicht! Ich bin … stell dir vor noch Jungfrau!“ – „Oh, tut mir leid.“ Ich trinke wieder von meinem Cocktail. Im Augenwinkel sehe ich, dass meine Freundinnen mit meinen Erzfeindinnen verschwinden. Noch einen Schluck. „Schmeckt’s?“, meint Basti und schaut mich verwirrt an. „Ja. Ausgezeichnet!“, entgegne ich ihm und knabbere an der Ananas, die als Dekoration an den Glasrand gesteckt wurde. „Wieso? Magst du keine Ananas?“, frage ich ihn. – „Na ja. Ich finde, es gibt besseres.“ – „Zum Beispiel Cola?“ – „Zum Beispiel. ... Oder Bananen.“ Wir schauen uns an und dann lachen wir gleichzeitig los. ... Wie Banana Joe! „Aha, das liegt wohl in der Familie!“, meine ich und klopfe ihm auf die Schulter. – „Ja, wahrscheinlich!“

Als ich schließlich meinen zweiten Piña Colada ausgetrunken hatte, fühle ich mich seltsam. Es ist einerseits, als ob mir schlecht ist und ich mich fast übergeben müsste, doch auf der anderen Seite fühle ich mich großartig. Das zuckersüße Getränk bekommt mir wohl nicht so gut … „Hey, Basti. Wie findest du eigentlich Alex und Lina?“, frage ich ihn plötzlich, auch wenn ich weiß, dass dies ein sehr unpassender Moment ist. Er blickt mich merkwürdig an. „Bitte?!“, entgegnet er mir entsetzt. – „Äh ... .“ Was soll ich bloß sagen? – „Du glaubst doch wohl nicht etwa, dass ich in eine von den beiden verknallt bin, oder so?“ Warum nicht?! Mit den beiden kann man wahnsinnig viel Spaß haben und außerdem sind sie doch hübsch! – „Äh ... .“ – „Oh. Ich hab nix gegen sie, aber ich finde sie manchmal etwas kindisch! ... Das kannst du ihnen ausrichten!“ Mist. Er hat mich durchschaut! – „Ich sollte dich auch gar nicht von ihnen aus fragen. ... Das war reine Neugier von mir!“ Fuck ... Er ist schlauer als ich dachte. – „Denkst du, ich bin blöd?“ Äh, ... ja! Ich zucke mit den Schultern und lächle verschmitzt. „Hey! Ich bleib vielleicht hocken, aber ich bin nicht blöd!“, bekräftigt er. Ich sag jetzt nix dazu ... „Sammy. Dein Schweigen sagt mehr als alle Worte!“, meint er, woraufhin ich lächle. Okay, okay ... . Du bist nicht blöd, aber du hast ‘nen Schuss!

„Du bist verrückt!“, sage ich und schaue dann mein leeres Glas auffordernd an. „Ich gebe dir einen aus. ... Zur Feier des Tages!“, sagt er lächelnd. Süßes Grinsen, Rest Arschloch! „Und was willst du bitteschön feiern? ... Die Meisterschaft der Morgengauer?“, frage ich bewusst provokativ. „Pah!“, prustet er los, „Bin ich dumm?“ – „Nein, das haben wir gerade erst geklärt.“ Ein bisschen schleimen ... . – „Eben. ... Nein. Ich feiere, dass du mich heute küsst!“ Äh, was ...?! Er beugt sich schneller zu meinen Lippen als ich reagieren kann und küsst mich. ... Wow! Ein Kuss! ... Wie lange wurde ich schon nicht mehr geküsst? … Hm… denk, mein Holzkasten namens Hirn, denk! … Hihi, naja, egal. Ich drücke mich langsam von ihm weg und sehe mich dann aber blitzschnell um, ob uns jemand gesehen hat. – Nein, zum Glück nicht! Von Lina und Alex fehlt immer noch jede Spur und die anderen Leute kenne ich sowieso nicht und daher ist es mir egal, was sie von mir denken. Die Sache hat aber doch etwas Gutes, denn jetzt weiß ich zwei Dinge: Erstens, er küsst verboten gut (Schande über mich!) und zweitens, er ist verrückt. Sonst hätte er mich nicht geküsst! ... Wer küsst mich schon freiwillig?!

„Ähm, ja ... dein Cocktail ... !“, meint er etwas verlegen und lässt mich dann alleine stehen. ... Toll ... Während ich seinem (süßen) Arsch nachschaue ... Puh, ich hab echt schon ein bisschen zu viel von dem süßen Zeug getrunken … obwohl es ja alkoholfrei ist … Oder haben sie das „alkoholfrei“ überhört und mir einen richtigen gegeben? … kommt ein älterer Junge auf mich zu und fragt, ob ich etwas trinken möchte. Mann, ist der Kerl hässlich ... „Nein, mein Freund holt mir schon etwas!“, sage ich. Bitte?! Was hab ich da eben gesagt? Mein „Freund“?! Wie tief muss man sinken? ... Ich sollte echt weniger trinken! „Ach so ...! Hat ein verdammtes Glück, der Kerl!“, meint er und geht wieder. Gott sei Dank!

Ich setze mich auf eine kleine Mauer, die auf der anderen Straßenseite steht. Sie ist noch leicht warm von der Mittagssonne. In meinem Magen kribbelt es sonderbar. Ich weiß nicht ob der Cocktail daran schuld ist oder Basti, der Kerl, den ich abgrundtief hasse und in dem Moment mit zwei Getränken zu mir gelaufen kommt. Ein Schauer fährt durch meinen Körper und ich fröstle. Was ist nur los mit mir? Was hast du mit mir gemacht, du blöder Kerl?

„Hier.“, sagt er und drückt mir eine Cola in die Hand. „Danke.“, meine ich und stoße mit ihm an. Was hast du mit mir gemacht? Was hast du mit mir gemacht, Basti? Ich schaue in seine Augen, doch ich erkenne nicht viel. Nur, dass seine Pupillen geweitet sind. Es ist einfach schon zu dunkel. „Was denkst du?“, fragt er dann plötzlich. Hä? Fragen das Verliebte nicht immer? Ich kenne mich damit ja nicht aus, aber das fragen doch die Leute in diesen schnulzigen Liebesfilmen manchmal. „Erst dachte ich, dass du sehr viel Ähnlichkeit mit einem spanischen Fußballer hast und dann, na ja dann ... hab ich mich gefragt, warum ich mich so seltsam fühle. ... Oder war es umgekehrt?“, gebe ich zu und lache hysterisch. „Ich sehe doch nicht aus wie ein Spanier!“, meint er scharf. – „Doch!“ – „Nein!“ – „Doch!“ – „Wenn du meinst ...!“

Ich leere mein viertelvolles Glas mit einem Mal. Dann küsse ich ihn. „Du, Basti. Ich glaub, ich bin in dich verliebt.“, meine ich und alles ist mir im Moment egal. Ich fühle mich einfach nur super und die Welt um mich verschwindet. Zum Glück sitze ich. Ich glaube, ich könnte nicht mehr stehen, so weich sind meine Beine. Komisch! Aber … halt … geil! Wir küssen uns weiter. „Du bist so hübsch.“, sagt er leise in mein Ohr. – „Erzähl keinen Scheiß!“ – „Doch. Du siehst wirklich gut aus!“ – „Wenn du meinst.“ – „Ich mag dich auch, meine kleine Sammy.“ Wieder küssen wir uns und er zieht mich näher zu sich. „Lass das bitte.“, meine ich und küsse ihn auf die Wange. – „Gefällt dir das denn nicht?“ Schon, aber es tut weh! Nicht körperlich, sondern seelisch. Ich weiß, dass ich ihn jetzt nur haben kann, weil er anscheinend betrunken ist, vermutlich waren seine Getränke nicht „nur“ Cola. Und wahrscheinlich will ich ihn nur, weil ich betrunken bin. Ich Tussi!!

Um uns herum stehen viele Leute. Einige Gesichter kommen mir bekannt vor, andere sehe ich zum ersten Mal. Basti küsst mich immer noch, doch ich bin abwesend. Ich denke nicht. Leer. Denke an nichts, an niemanden. Nur daran, dass ich einen kleine Tussi bin. Nicht besser als Bettina oder Viviane! Ich entziehe mich seiner Küsse und sage: „Basti, das ist nicht richtig!“. Er denkt über meine Worte nach. Das merkt man. Ich selbst überlege, was ich eben gesagt habe. Ich stehe auf und laufe davon. Auf der Straße fange ich schließlich an zu rennen. Mir ist schwindelig und das Rennen fällt mir schwer, doch ich reiße mich zusammen. Bloß weg von hier! Ich werde immer schneller und versuche schwankend das Gleichgewicht zu halten. Schließlich halte ich mich an einer Mauer fest und lasse mich zu Boden sinken. Basti ist mir gefolgt. „Sammy, was hab ich falsch gemacht?“, will er wissen und setzt sich neben mich. „Nix. Mir ist nur etwas klar geworden.“, meine ich. – „Was?“ – „Dass du ein verdammter Mistkerl bist und ich eine dumme Tussi.“ Genau. – „Äh ... Was erzählst du für eine Scheiße?“ – „Wir sind besoffen. Wir wissen nicht, was wir tun. Und falls wir es morgen noch wissen sollten, werden wir es bereuen!“ – „Ich werde es nicht bereuen! ... Und außerdem bin ich nicht besoffen. Pass auf!“

Er versucht am Gehsteigrand geradeaus zu laufen, doch er schwankt hin und her. „Gib’s auf!“, meine ich und stehe auf. Lina und Alex kommen auf uns zu. Basti jedoch merkt das nicht. Er kommt wieder auf mich zu, nimmt meine Hand und sagt: „Ich liebe dich. Ich liebe dich seit ich dich in Opas Garten gesehen habe. Es war Liebe auf den ersten Blick! ... Der Streit um Bob. ... Mann, das war ein Spaß, du bist einfach genial! Sammy, ich liebe dich!“ Letzteres hat er allerdings gebrüllt, sodass es auch meine Freundinnen gehört haben. Ich schaue sie verzweifelt an. Jetzt blickt auch Sebastian in ihre Richtung. Wie von der Tarantel gestochen, laufen sie davon. Das Bild tut mir in der Seele weh. Sorry, Mädels. Ich weiß doch, dass ihr ihn liebt. „Ach, lass doch die albernen Hühner!“, sagt Basti und schaut mir tief in die Augen. „Basti. Du verstehst es nicht. Du verstehst gar nichts!“, rufe ich, verpasse ihm eine Ohrfeige und laufe ebenfalls weg. Ich will meine Freundinnen einholen, doch ich falle über meine eigenen Füße. Dummheit! Basti kommt zu mir. Doch anstatt mir auf zu helfen, setzt er sich neben mich. „Lach nicht! Ich warne dich. Lach nicht!“, meine ich und blicke in seine treuen, braunen Augen, die im Licht der Straßenlaterne magisch funkeln. – „Ich lach doch nicht meinen kleinen Engel aus! Was denkst du denn von mir?“ ... Tja, so einiges. ...  

http://www.mscdn.de/ms/karten/beschreibung_63069-0.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/beschreibung_63069-1.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_558357.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_558358.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_558359.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_558360.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_558361.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_558362.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_558363.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_558364.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_558365.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_558366.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_558367.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_558368.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_558369.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_558370.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_558371.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_559899.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_559900.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_559901.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_559902.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_559903.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_559904.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_561720.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_561721.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_561722.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_561723.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_561724.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_561725.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_561726.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_561727.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_563637.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_563638.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_563639.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_563640.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_563641.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_563642.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_563643.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_563644.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_563645.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_563646.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_565204.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_565205.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_565206.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_565207.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_565208.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_565209.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_565210.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_565211.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_565212.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_565213.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_565214.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_565215.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_565216.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_565217.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_565218.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_565219.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_565220.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_565221.png
0

Hörbuch

Über den Autor

TeufelsFrettch

Leser-Statistik
59

Leser
Quelle
Veröffentlicht am

Kommentare
Kommentar schreiben

Senden
ulla Herzlich Willkommen in unserer illustren Runde
dein Text ist ganz toll formuliert, man wird förmlich zum Weiterlesen gezwungen, ein ganz normaler Schultag liest sich wie eine Abenteuerstory,
du hast Stil, weiter so
lg
ulla
Vor langer Zeit - Antworten
Zeige mehr Kommentare
10
1
0
Senden

63069
Impressum / Nutzungsbedingungen / Datenschutzerklärung