Kurzgeschichte
Die Evolution des maskulinen Kussverhaltens

Die Evolution des maskulinen Kussverhaltens

Die urzeitliche Prägung des Mannes hat ihn als Jäger und Sammler gelehrt, dass Ausprobieren und Begreifen wichtig ist.
Das ist heute noch so.

Nur in der kindlichen bis pubertären Phase spielen Emotionen und spielerische Kreativität noch eine Rolle.

So probiert der „kleine Mann“ das Küssen erst spielerisch, weil die Umgebung das mit Begeisterung akzeptiert.

Später folgen nahtlos Spiele, in denen „Erwachsen sein“ kopiert wird und innerlich noch wenig abgeht. Der Pubertist, als nächster Schritt, hat da schon andere Probleme. In ihm geschieht etwas. Er will, weil er davon gehört oder gelesen hat, mehr von der Partnerin/Gespielin.

Küssen erscheint ihm als Mittel zum Zweck. Somit prägt das Küssen den erfahrenen Ablauf eine potentielle Libido.

Ein paar Jahre später, nach erfolgter Eheschließung, sind zwei „Küsser“ allein zu Haus. Wenige Jahre, manchmal schon Monate, schaffen eheliche Routine. Alles läuft a Plan, einschließlich des gegenseitigen Begehrens, weil man(n) nichts mehr ausprobieren muss. Man(n) hat es begriffen. Möglich ist ein Intermezzo mit Frau „von irgendwo“, was ihn aufleben lässt. Gleichzeitig kompliziert das sein Lebensbild, weil neue Kussvarianten oder – techniken alles verraten könnten. Also bleibt ihm nur cool sein.

Das Alter, wenn das Verlangen proportional dem Testosteronspiegel nachlässt, bringt die Phase des väterlichen Küssens, das eher an klerikale Riten erinnert.

Man(n) ist abgeklärt.

Keine Statistik berichtet, wie viele Männer dann kussunwillig sind.

Das Spielerische ist rudimentär vorhanden, aber es gibt auch optische Hemmschwellen, denn nicht jeder ist ein Belmondo.

Zurückgezogen, von selbst gemachten Zweifeln zerquält, sitzt der unrasierte Jäger im Jogginganzug in selbst gewähltem Asyl und schmollt.

Der Aufwand sich zu reformieren im Verhältnis zum unkalkulierbaren Erfolg bei „IHR“ ist einfach zu groß.

Die Wenigen, die solch einen Spätaufbruch erleben, behalten das aus guten Gründen für sich, oder sie schreiben Gedichte.

2011-11-16 jfw