Kurzgeschichte
Heulen

Heulen

Draußen plärrt ein Kind.

Es ist der Junge der Nachbarin. Er heißt Enno und ist eigentlich ein echter Sonnenschein. Sein Vater ist mal da und mal weg.

Manchmal kommt es mir so vor, als ob er immer dann stärker nach dem „Papa“ ruft, wenn er wieder mal da ist. Enno ist knapp zwei Jahre und seine Schwester schleppt ihn oft durch die Gegend.

Vielleicht liegt es am „Opa-Alter“, aber es kann auch die aufgebrochene Ruhe sein, wenn mich das Weinen angreift, anrührt und ich umgehend helfen möchte.

Aber das geht nicht.

In mir stellt sich die Erinnerung an meine Kindheit ein.

Wir haben auch geweint!

Meist für uns und unter der Bettdecke.

Öffentlich heulen, oder gar plärren war undenkbar.

Schon wegen der Leute.

Wenn mir was quer lag und ich einen solchen „Zuwendungsballon“ steigen ließ, bekam ich erst eine Schelle und gleich noch eine, weil ich nicht aufhörte.

Außerdem weinen Jungen nicht!

Heute wird geredet, beschwichtigt und besänftigt. Meist drücken die lieben Kleinen dann erst recht auf den Wasserfall.

Neulich dynamisierte so ein Miniterrorist die Wartegemeinschaft bei der IKEA Selbstbedienung. Die Eltern schienen immun zu sein oder gehörlos.

Es lebe die Freiheit der Unbeherrschtheit!

Früher war heulen eher rar.

2011-11-03 jfw