Es ist nicht immer einfach als Mißbrauchsopfer sein Leben zu gestalten. Nach Außen hin gab sich die erfolgreiche Personalmanagerin Anna lange als lebensbejahende glückliche Frau. Doch Depressionen, Selbstverletzung, Suizidversuche, Alkohol prägen ihr Leben. Anna wurde ab Säuglingsalter jahrelang mißbraucht. Heute kann sie mit ihrer Vergangenheit leben und integriert ihre Krankheiten gekonnt in ihr Leben mit Kind und Mann.
2010
Ich schreibe. Warum? Weil ich was getrunken habe. Das heißt ich schreibe gerade das was mir in den Sinn kommt und nicht unbedingt einen Roman, der Leser in den Bann zieht.
Eine Flasche Weißwein. Er ist schon etwas sauer, aber ich lasse mich nicht davon abbringen und trinke weiter. Vor einigen Tagen habe ich zum ersten Mal in dieser so wunderbaren Beziehung gelogen. Ich hatte eine Flasche Sekt intus. Und ich hab ihm gesagt, alles sei in Ordnung. Aber ich weiß, dass nichts in Ordnung ist, wenn ich trinke. Wenn ich trinke, fühle ich mich gut. Entspannt, frei, glücklich, sorgenlos. Ich soll nicht trinken. Es ist jedes Mal dasselbe Muster. Ich bin manisch, hyper, ein Flashback, noch immer manisch, kreativ, dann folgt der Alkohol, die Spannung, die Depression, Selbstverletzung. Ich ritze meine Unterarme. Mit einem schäbigen Einwegrasierer. Nicht tief, nur oberflächige Wunden die tierisch bluten. Wenn man sie „frisch“ sieht, würde man meinen ich verblute, so schießt das Blut aus meinen Unterarmen heraus. Aber das tue ich natürlich nicht. Ich will nur sehen wie das Blut kommt, mit jedem Schnitt ist es, als würde ich diese elendige Anspannung wegkatapultieren. Schnitt und weg, Schnitt und weg. Es tut so unendlich gut. Dann spüre ich mich wieder, dann weiß ich wieder, dass ich da bin. Heute wird es wieder so sein. Ich sitze hier, schreibe, bin betrunken und warte bis Markus ins Bett geht. Dann werde ich ins Bad gehen, mir einen neuen Einwegrasierer schnappen und damit 8-12 Ritzer machen. Es wird bluten und ich werde mich besser fühlen. Weg mit dieser Spannung. Weg mit meinen Gedanken, mit dem Ballast den ich seit Jahren in mir trage.
Die Tanztherapie heute hat mir gut getan. Ich bin nicht irre. Ich bin nur anders.
An den heutigen Vormittag kann ich mich kaum erinnern. In der Nacht bin ich schweißgebadet aufgewacht. Bin zum Aquarium gelaufen und habe nachgesehen, ob unsere Fische noch leben. Ich war mir nicht sicher, denn in meiner anderen Welt habe ich sie getötet. Ich habe nicht wirklich geschlafen. Es war eher ein Wachsein, ohne wirklich zu erkennen wo ich bin. Als Markus die Wohnung gegen 6:30 Uhr verlassen hat, bin ich aufgestanden und habe sofort meinen Email Ausgang gecheckt. Ich hatte unendlich Angst diese Drohbriefe wirklich geschrieben zu haben. Gott sei Dank war dem nicht so.
Das hab ich heute unter anderem meiner Tanztherapeutin erzählt. Ich hatte panische Angst, dass sie mich für verrückt hält. Ich bin so froh, dass sie es nicht tut.
Ich kann oft Realität und Traumwelt nicht unterscheiden. Das hat nichts mit den gewohnten Tagträumen zu tun, sondern mit einer Art von Halluzinationen, Traumreisen, die ich nicht steuern kann. Sie verwirren mach, verunsichern mich, weil ich nie weiß was real was „erfunden“ ist.
Meine Tanztherapeutin hat mich wieder auf einen Weg gebracht, den ich vor einigen Jahren verlassen habe. Vielleicht ist es doch ein Weg den ich einschlagen sollte?
Markus sitzt vorm Computer er nervt mich, weil er nicht geht. Ich warte ungeduldig, bis er endlich ins Bett geht, damit ich die restliche Flasche Wein trinken und anschließen die Rasierklinge in die Hand nehmen kann. Er hat was besseres verdient als mich. Jemanden dem er vertrauen kann, jemanden der nicht stänidg mit Suizid und Selbstverletzungsgedanken spielt, der nicht vollgepumpt den Tag „überlebt“. Meine Güte, ich bin wieder neu eingestellt mit Medis. Es wird wieder nicht ändern. Aber daran hab ich mich schon gewöhnt.
Ich möchte die Zeit zurückdrehen.
2009
Ich stehe im Bad vor dem großen, goldumrahmten Spiegel. Was ich sehe ist eine abgrundtief hässliche Fratze. Andreas sitzt noch an der Bar im Europa. Es ist der 22. Dezember 2009. Vor einigen Tagen wurde ich aus der Psychozozialen Klinik entlassen. Nach 9 Wochen Tanz-, Gruppen-, Kunst-, Gesprächstherapie hat man mich in den Alltag zurück geschickt.
Welcher Alltag? Ich wache auf, gehe auf die Toilette, nehme meine Medikamente, rauche im 15 Minutentakt eine Zigartte und warte bis es Nachmittag wird. Sobald die Uhr 13 Uhr zeigt, öffne ich die erste Flasche Bier. Jede halbe Stunde macht es „Zisch“ und das nächste kühle Gerstengebräu rinnt meine Speiseröhre runter. Bis am Abend hab ich einen ziemlichen Pegel. Naja, wie sonst sollte ich den Tag überstehen? Ich habe keine Ahnung was ich sonst machen könnte. Rausgehen kann ich nicht, die Angst vor einem Anfall ist zu groß. Ich fühle mich hilflos, einsam. Am Abend kommt Andreas nachhause, wir trinken nun gemeinsam weiter. Er ist Alkoholiker. Ich auch.
Am 22. Dezember überrede ich ihn mit mir in unser Stammlokal zu gehen. Bei jedem in meinem Familien- oder Freundeskreis würden die Alarmglocken läuten. Mein Mann Andreas ist allerdings sehr angetan von meiner Idee, als wäre es eine „willkommen zurück Party“. Und so verbringen wir Stunden an der Bar und lassen uns volllaufen. Mein Ehemann und ich.
Im Spiegel erahne ich eine kaputte Frau. Ein Wrack, dass sich kam auf Beinen halten kann. Die schwarze Schminke läuft mir den Hals runter, meine Augen sind so angeschwollen, dass ich kaum was sehe. Wie konnte er mich einfach so alleine nachhause gehen lassen? Er muss doch wissen was jetzt passiert.
Mit zittriger Hand öffne ich meinen Badezimmerschrank und nehme alle dort vorrätige Medikamente heraus. Im Bücherzimmer, dass ich extra für mich einricchten durfte, finde ich versteckt hinter einigen Zeitschirften noch etliche Schachteln Xanor und Dominal forte. Zurück im Badezimmer, drücke ich alle Tabletten aus den Alufolien heraus. Ein ziemlicher Haufen baut sich vor mir auf. Das würde für locker 2 Monate reichen. Eine handvoll tabletten, ein riesiger schluck Wasser, noch eine handvoll tabletten, ein Schluck wasser, das wiederholt sich 3, 4 Mal. Ich wanke ins Schlafzimmer. Meine letzten Gedanken:“ Mein Gott, bitte mach dass das jetzt endlich aufhört“.
„Anna! Anna, können Sie mich hören? Anna, ich entferne jetzt ganz langsam die Katheter aus ihrer Harnröhre und aus Ihrem Darm. Es wird ein bisschen unangenehm, aber es ist gleich vorbei.“
Ich öffne langsam meine Augen. Durch einen trüben Schleier kann ich weißes Neonlicht gepaart mit grünen Lichtfetzen wahrnehmen. Plötzlich taucht vor meinen Augen ein verschwommenes Etwas auf. Ein schwarz umrahmter weißer Kreis. Ich bemühe mich genauer hin zu sehen und nach mehrmaligem schmerzhaftem Blinzeln kann ich ein verschwommenes Gesicht erkennen. „Anna, hören Sie mich?“ Eine verzerrte Stimme dringt aus weiter Ferne in meine Ohren. Ich spüre ein langes und unerträgliches Ziehen in meinem Unterleib. Ich will sprechen, sagen dass das aufhören soll. Kein Wort kommt aus meinem Mund. Unfähig auch nur die Lippen zu bewegen, bringe ich ein kurzes schmerzhaftes Röcheln zustande. „Was passiert da mit mir? Wo bin ich?“ Ich kann nur mühsam einen klaren Gedanken fassen. Meine Augen sind unerträglich schwer, jeder kurze Aufschlag meiner Lider schmerzt. Endlich. Das Ziehen in meinem Unterleib hat aufgehört. Ich fühle mich hohl. Mit aller Kraft versuche ich mich zu konzentrieren. „Ich liege irgendwo. Es ist weich, also wahrscheinlich in einem Bett. Neonlicht. Jemand hat mit mir gesprochen. Eine Frau? Ein Mann? Jemanden den ich kenne? Mein Körper. Ich kann mich kaum spüren.“ Wieder will ich sprechen. Fragen, was los ist, wo ich bin. Und wieder höre ich lediglich ein Röcheln. Ich versuche mich auf mein Gesicht zu konzentrieren. Meine Augen sind nur mit großer Anstrengung zu öffnen. Erkennen kann ich außer weißgrünem Schleier nichts. Meine Nase? Ich rieche Plastik. Mein Mund? Ich kann ihn nicht bewegen. Er ist offen, trocken und irgendetwas scheint in ihm zu stecken. Noch einmal startet ich einen Versuch. „Den rechten Arm hochheben“, befehle ich mir. Sinnlos. Ich bin gelähmt.
„Anna, ich werde sie nun extubieren. Sie atmen im Moment mit Hilfe einer Maschine. Haben Sie verstanden? Anna, ich werde jetzt ganz vorsichtig den Schlauch aus ihrem Mund entfernen.“ Wieder eine Stimme aus der Ferne. Zwei weiße Hände nähren sich meinem Gesicht. Die eine umklammert den Gegenstand der aus meinem Mund ragt, die andere schiebt sich behutsam hinter meinen Kopf, der unendlich schwer scheint, und hebt ihn einige Zentimeter hoch. Zeitlupenartig zieht die eine Hand dieses Ding aus mir heraus. Ich merke, dass dieses Etwas nicht nur in meinem Munde steckt. Ein kratzender und drückender Schmerz durchfährt meinen Brustkorb. Als der Gegenstand aus meinem Körper entfernt ist, überkommt mich ein unerträgliches Würgen und Husten. Ich schnappe nach Luft, habe Angst zu ersticken. „Jaja, husten Sie! Und hier hineinspucken, wenn was hochkommt.“ Eine Hand drückt mir ein flauschiges, weißes Tuch sanft auf meinen Mund. „Ja genauso machen Sie da richtig.“ Ich würge und keuche, und langsam füllen sich meine Lungen mit Luft. Noch immer höre ich eine Stimme, und Sätze die immer wieder meinen Namen beinhalten. Ich schließe meine Augen. „Konzentriere dich“, befehle ich mir. Und nach einigen röchelnden Geräuschen kann ich meine Stimme vernehmen. „Wo bin ich? Was ist geschehen?“ lalle ich. Eine warme weiche Hand berührt meine Wangen, streichelte sanft über mein Gesicht. „Anna, versuchen Sie Ihre Augen zu öffnen.“ Die Stimme wird nun klarer. Es ist die Stimme einer Frau. Noch einmal animiert sie mich, meine Augen zu öffnen. Mit Erfolg. Meine Pupillen springen hin und her. Langsam nimmt meine Umgebung Gestalt an. An meiner rechten Seite stehen 3 Menschen in türkisenen Kitteln. An der linken Seite, wie für ein Familienfoto aufgereiht, mein Mann Andreas, meine Eltern und meine zwei besten Freundinnen Nicole und Isi. Ihre Minen sind versteinert.
Mit einem Mal weiß ich es wieder. Eigentlich sollte ich nicht hier liegen. Es ist der 24. Dezember 2009 Ich sollte tot sein.
Ich fühle mich wie der letzte Dreck. Auch die Sachwestern und Ärzte hier behandeln mich so, als sei ich Abschaum. Selbstmörderin eben. Selbstmörderin, die es nicht einmal schafft ihre Tat zu vollenden. Ich bin ein Versager. Die Schwester befiehlt mir aufzustehen und mit ihr zur Toilette zu gehen. Mir ist, als hätte ich keine Beine. Las wären diese wackelnde Gummiteile die ich mit aller Demut darum bitte mich den weg zur Toilette zu leiten. Gehhilfen oder Rollstühle gibt es für Selbstmörder nicht. Auf der Toilette erlebe ich ein Ausgeliefert und Hilflossein. Etwas wovor ich mein ganzes Leben lang Angst habe. Meine Darmfunktion gehorcht mir nicht, so wie gewohnt, Egal wie sehr ich mich bemühe, es gelingt mir nicht meinen Stuhlgang unter Kontrolle zu bringen. Ich schäme mich so sehr. Der gesamte sanitäre Bereich ist voll meinen Exkrementen. Ich kann mich kaum auf den Beinen halten, alles dreht sich, hilflos versuche ich die Toilette mit Papier zu säubern. Sinnlos. Ich schaffe es nicht mal, mir die Hände zu waschen. Gedemütigt drücke ich noch mit der verbliebenen Kraft den roten Knopf, um der Schwester zu signalisieren, dass ich fertig bin. Ich schäme mich so sehr.
Einen Tag später werde ich in eine „normale“ Abteilung verlegt. 2 Tage Beobachtung sind noch nötig, da ich aufgrund der Intubation eine leichte Lungen entründung habe. Die Schwestern auf der Station sind nicht weniger unfreundlich als auf Intensiv. Selbstmordversuch. Menschen 2. Klasse. Mein Mann kommt zu Besuch, wir reden nich viel. Er will nicht wissen warum, will nicht wissen, was jetzt ist. Sein Gesicht ist leer. Am Tag meiner Entlassung habe ich noch ein „Abschlussgespräch“. Ein Herr Psychiater will mich überprüfen, ob ich noch selbstgefährdet bin. Jede seiner Fragen beantworte ich brav mit „nein“. Er macht seine kleinen Kreuze auf dem Fragebogen, nickt zufrieden, gibt mir 2 Visitenkarten mit Notrufnummer, falls es mir wieder einmal schelcht geht, und wünscht mir alles Gute. Das wars. Ich packe meine Sachen, Jeans und T-Shirt und warte, bis mich mein Mann abholt.
Im Auto herrscht gedrückte Stimmung. Zuhause angekommen schleppe ich mich mit aller Kraft ins Bett. Mein Mann steht neben mir. „Wir müssen reden. Ich habe meine Mutter angerufen, sie wird aus Deutschland zu uns kommen und auf dich aufpassen. Ich weiß nicht was ich tun soll, ich schaff das nicht mehr.“ „Ja“, antworte ich hilflos, „ was ist passiert?“ „Ich habe dich am Nachmittag tot aufgefunden. Iris und Nadja haben eine SMS von dir erhalten, dass du in der Nacht geschickt hast. „Ich kann nicht mehr“ hast du geschrieben. Sie haben versucht dich zu erreichen, aber du bist nicht ans Telefon gegangen. Dann ist Nadja zu uns gefehren, in der Hoffnung, dass du die Tür öffnest. Erfolglos. Sie hat mich dann angerufen und ich bin nachhause gefahren. Wir haben dich im Bett gefunden und die Rettung alamiert.
4 Wochen später
„Einen schönen Guten Morgen! Das Frühstück ist fertig“ halt eine monotone weibliche Stimme durch den Lautsprecher. Es ist 7:30 Uhr. Wahrscheinlich Dienstag. Oder Mittwoch. Ein Blick aus dem versperrten Fenster zeigt mir die gleiche Ansicht wie die Tage zuvor. Schneebedeckte Flachdächer, ein trübes trostloses Bild. Ich schlüpfe in meinen violetten Jogger, stopfe Zigaretten, den Schlüssel für den kleinen Kleiderkasten und mein Handy in die Taschen. Eiskaltes Wasser, das ich kraftlos in mein Gesicht spritze, soll mir helfen richtig wach zu werden. Sinnlos. Ich muss schrecklich aussehen. Doch ich weiß es nicht – es gibt hier keine Spiegel.
Zehn Minuten später sitze ich im Aufenthaltsraum, eine Tasse Kaffee vor mir, und zünde mir die erste Pall Mall an. Der frische Rauchgeruch mischt sich mit dem abgestandenen Mief des gestrigen Tages. Auf den niedrigen Holztischen erkennt man verschiedene Mosaiks aus alten Kaffeeflecken, Aschenresten und Saucen der Vortage. Der Aufenthaltsraum füllt sich langsam.
Peter sitzt mir gegenüber. Sein blauer Pyjama ist ihm viel zu klein und lässt seinen behaarten Bauch hervorblitzen. Seine grauen Locken scheinen schon seit Wochen kein Wasser mehr gesehen zu haben. Mit jeder Bewegung rieselt graubrauner Staub in seine Kaffeetasse. Er trägt nur einen Schuh, den anderen scheint er schon wieder verloren zu haben. Ein langer gelbgefärbter Speichelfaden hängt ihm bis zur Brust. „Sie sind schon wieder da! Schnell ich muss in die Straßenbahn. Schnell, sie verfolgen mich!“ Er springt panisch auf und rennt wie hypnotisiert im Raum auf und ab. „Nein Peterl, alles ok. Sie sind schon wieder weg.“ beruhige ich ihn. Völlig erschöpft und schweißgebadet nimmt Peter wieder Platz, greift nach der kleinen Marmeladendose, jeden Tag ein Dose Erdbeermarmelade zum Frühstück, und schleckt mit spitzer Zunge die süße Konfitüre aus dem kleinen Behälter.
Alyna schlurft Richtung Spüle. Sie drückt exakt 14 Mal den Seifenspender und lässt exakt 4 Minuten warmes Wasser über ihre Hände laufen. Anschließend zupft sie exakt 14 Tücher aus dem Papierspender und wickelt ihre Hände in das graue Papier. Zuerst sieben um die linke Hand, anschließend sieben um ihre rechte Hand. Nun kann sie frühstücken. Nun ist sie vor gefährlichen Viren und unheilbaren Krankheiten geschützt.
„Darf ich?“ Claudia schielt auf den Sessel neben mir. Nach kurzem Nicken meinerseits, nimmt sie Platz. Ihre zerschnittenen Arme versteckt sie unter einem blauen billigen Trainingsanzug. „Und? Wie geht’s?“. Eigentlich interessiert mich das Wohlbefinden meiner „Kollegen“ nicht, aber um etwas Leben hier herein zu bringen, bemühe ich mich um oberflächliche Konversation. „Sie haben meine Meds umgestellt. Bekomm jetzt 1200 mg Seroquel. Noch merk ich nix. Ist angeblich auch für Schizos. Was weiß ich. Ist doch alles sinnlos“ antwortet sie mit bebender Stimme und zündet sich eine Zigarette an. Ihre Hände zittern, nervös und angespannt rückt sie am Sessel hin und her. Ich nicke verständnisvoll und blicke in die Runde. Die Mehrheit der hellbraunen Holzsessel ist nun besetzt. Lautes Schmatzen, nervöses Hüsteln und das Klimpern der schneidlosen Buttermesser sind die einzigen Geräusche die an mein Ohr dringen. Es scheinen alle da zu sein. Außer Herta. Wie üblich hört man von Ferne ihre kreischende Stimme. „Hilfe! Hilfe! Ich bin aus dem Bett gefallen. Hilfe! Ihr Arschlöcher, so helft mir doch endlich! Ihr verdammten Hurensöhne!“ Die übliche Prozedere. Meine Zimmernachbarin lässt sich pünktlich um 7:45 Uhr aus dem Bett fallen, brüllt 10 Minuten mit ihrer hysterischen Stimme wütend nach Hilfe und beschließt sich selbst wieder auf die Füße zu stellen, nachdem ihr bewusst wird, dass niemand kommen wird um ihr zu helfen.
Es könnte auch Donnerstag sein.
Langsam füllen sich meine schmerzenden, geschwollenen Augen mit Tränen. Ich sitze im Aufenthaltsraum der Station 57. Geschlossene Akutstation der Psychiatrie.
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hudlhudl Re: Du hast offenbar Talent zum Beschreiben - Zitat: (Original von Boris am 25.10.2011 - 17:16 Uhr) deine Erzählung scheint selbst erlebt (es gibt viele solche Strories) versuche dich doch mal an lebensbejahenden Themen LG Boris Ja, Anna bin ich :-) Was meinst du mit "Beschreiben"? Was sollte ich besser machen? Lebensbejahend ist das Thema - ein steiniger, harter Weg in ein sehr sehr glückliches Leben! |