Journalismus & Glosse
Gläsern ...

„So langsam fühle ich mich gläsern“, brummte meine Tochter und zog missbilligend eine Augenbraue in die Höhe.

„Was ist denn?“ Alles was mit PC-Technik zu tun hat, interessiert mich brennend, zumindest das, was man als „User“ vordergründig davon mitbekommt. Aber auch das, was hinter den Kulissen abläuft, finde ich – auch wenn es mir wohl auf ewig ein unergründbares Mysterium bleiben wird – ausgesprochen faszinierend. Meine Hemmschwelle beim Ausprobieren der einen oder anderen Funktion auf der Benutzeroberfläche der von mir besuchten Blogs und Foren oder meines Schreibprogramms ist gesunken, umgekehrt proportional zu der Erkenntnis, dass man eigentlich nicht allzu viel falsch machen kann, sofern man des Lesens und Denkens mächtig ist. Mit großer Ehrfurcht blicke ich zwar zu jenen Jungspunden auf, die mit völliger Selbstverständlichkeit auf der Tastatur herumtippen, dabei etwas von Gigabyte, Motherboard und Treiberinkompatibilitäten vor sich hin murmeln, bestätigend nicken – oder besser „klicken“ - wenn der PC ihnen via Zahlen-/Buchstabenkombinationsreihen komplizierte Rückfragen stellt, und so in Nullkommanichts meinen Rechner von einem Virenbefall kurieren oder mir eine gewünschte Software installieren. Wenn sie mir aber anschließend wortreich deren Funktion erklären wollen, winke ich meist dankend ab. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass die von mir genutzten Programme und ich besser miteinander harmonieren, wenn wir uns ganz langsam von Grund auf kennen lernen. So mancher Kniff und Trick bliebe mir sonst verborgen. Und immer noch kann ich mich über Aha-Erlebnisse freuen, beispielsweise wenn es mir gelungen ist, die nicht gleich sichtbare Klickfläche für „Kontoeinstellungen“ zu finden, und so selbst zu entscheiden, was ich von mir preisgeben oder welche Informationen ich von anderen erhalten möchte. Einfach die entsprechenden Häkchen setzen – oder auch nicht – und fertig.

Interessiert legte ich jetzt also mein Buch aus der Hand, erhob ich mich aus meinem Sessel und blickte meiner Tochter über die Schulter.

„Nun guck dir das an“, grinste sie. „Ich habe Katharina gute Besserungswünsche wegen ihres Schnupfens geschickt und gefragt, ob sie bereits ihr Ticket für Australien gekauft hat. Jetzt bekomme ich ihre Antwort, und … hier ...“, sie wies mit dem Finger auf den Bildschirm ihres Laptops, „erscheinen in der Mail-Maske Links zu Seiten von Versandapotheken, Seminaren über homöopathische Heilmethoden und Reiseveranstaltern mit Schwerpunkt Down Under.“

„Keyword-Suchfunktion“, warf ich lässig ein. „Da wird deine Mail automatisch nach Worten abgescannt, die Hinweise darauf geben,welche Produkte oder Themen für dich eventuell von Interesse sind. Und dementsprechend werden dann Werbe-Querverweise geschaltet. Diese Funktion kannst du aber abstellen, wenn du hier ...“

„Ma-maaa! Das weiß ich. Ich schätze aber, damit unterbinde ich lediglich die Darstellung der Anzeigen auf dem Bildschirm, nicht aber das Abscannen der Mails an sich.“

Womit sie vermutlich Recht hatte. Ich naschte eine ihrer Pralinen und kehrte zu meiner Lektüre zurück.

An meinem PC hatte ich dieses Phänomen offensichtlich direkt auf mich zugeschnittener Reklame ebenfalls schon bestaunen dürfen. Dass beim Versenden einer Mail diese von einem Programm nach Schlüsselwörtern durchsucht wird und die daraufhin gefundenen Werbelinks direkt auf der Mail-Maske erscheinen – okay, das kann ich irgendwie noch nachvollziehen. Überrascht war ich aber, als ich vor einiger Zeit auf einer Forenseite, die mit nichts weniger zu tun hat als mit Winterreifen und Wanderstiefeln, auf einer sonst von mir unbeachteten Werbefläche Angebote für exakt jene Produkte entdeckte, über die ich mich Tage zuvor im Internet kundig gemacht hatte. Es gibt also offensichtlich ein Programm, welches sich an meine Klicks anhängt und sich „merkt“ - um es mal so laienhaft auszudrücken – welche Produktgruppen für mich von Interesse sind, um mir später an völlig unerwarteter Stelle Sonderangebote von Reifen-ABC oder Schuhdiscount-XY zu unterbreiten. Nun ja, ich habe das Prinzip durchschaut und bin deshalb natürlich völlig unempfänglich für diese Art der Kundenfängerei.

Etwas aber macht mich nachdenklich. Seit einiger Zeit werde ich immer wieder mal – vorzugsweise von gutaussehenden Damen um die 30 – auf dieser besagten Fläche aufgefordert, mir via Mausklick den passenden Partner fürs Leben zu suchen. Ich glaube, ich sollte etwas sorgfältiger überprüfen, wer während meiner Abwesenheit so alles meinen PC benutzt und vor allem, wofür.