Romane & Erzählungen
Wie in den Filmen Teil 1

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"Wie in den Filmen Teil 1"
Veröffentlicht am 09. Oktober 2011, 32 Seiten
Kategorie Romane & Erzählungen
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Wie in den Filmen Teil 1

Wie in den Filmen Teil 1

Beschreibung

Zwei Brüder werden unfreiwillig Zeugen eines Verbrechens. Sie geraten immer tiefer in einen Strudel aus Angst und Gewalt.

 

„Sei doch still, sonst sehen sie uns noch!“
„Entschuldige“, murmelte Paul seinem großen Bruder zu.
„Komm mit, aber sei leise.“
Frank kroch dicht an den Boden gedrückt ein paar Meter nach vorne. Jetzt konnte er besser durch die Hecke sehen.
„Was sind das für Leute, Frank?“
„Ich weiß nicht, und jetzt sei still, bin gespannt, was die hier machen.“
Vier Männer stiegen aus einem schwarzen Mercedes.
Er hatte vermutet, dass sie dunkle Anzüge und Sonnenbrillen trugen, wie die Gangster aus den Filmen, die er manchmal sah, doch zu seiner Überraschung trug keiner von ihnen einen schwarzen Anzug. Stattdessen hatten sie alltägliche Kleidung an und wirkten wenig bedrohlich.
Immerhin saß dem einen eine Sonnenbrille auf der Nase.
Sie sprachen miteinander.
Dann schwärmten sie aus als suchen sie etwas, oder jemanden.
Einer der Männer war jetzt ganz nahe. Sie konnten seine Schritte bereits hören. Frank sah seinem Bruder streng ins Gesicht und hielt sich den Zeigefinger vor die Lippen.
Dann drückte er sich noch dichter an den Boden und Paul folgte seinem Beispiel.
„Wenn er uns entdeckt, rennst du so schnell du kannst nach Hause, hier stimmt irgendwas nicht“, flüsterte Frank seinem Bruder zu.
Plötzlich erklang eine Stimme hinter dem Mann: „Komm, hier ist niemand.“
Der Mann drehte sich um und ging.
Noch einen Schritt weiter, und er hätte sie entdeckt.
Als er weit genug entfernt war, trauten sich die beiden endlich wieder Luft zu holen.
Paul hatte Tränen in den Augen, auch schien er leicht zu zittern.
Frank versuchte, aufmunternd zu lächeln, und tat so, als wische er sich den Schweiß von der Stirn.
Die Fremden standen wieder dicht beieinander.
Der größte von ihnen öffnete die Hintertür des Wagens und hatte gleich darauf zwei Schaufeln in den Händen.
Er gab die zweite einem seiner Kollegen, dann liefen sie ein paar Meter den Sandhügel hinauf, vor dem sie geparkt hatten.
In diesem Moment wurde Frank klar, dass sie gleich etwas sehen würden, das nicht für ihre Augen bestimmt war.
Er sah seinen Bruder an, der wie gebannt die Szene durch die Hecke beobachtete.
Vielleicht konnten sie noch abhauen? Ihre Fahrräder standen günstig. Sie hatten sie heute ausnahmsweise nicht kurz nach der Schranke, sondern auf der gegenüberliegenden Seite der alten Deponie in die Hecken geschmissen. Aber sie könnten erwischt werden. Paul könnte unvorsichtig sein und auf einen Stock treten oder ausrutschen und den Abhang hinunterschlittern. Man würde sie hören. Also hielt Frank es für das beste, ruhig liegenzubleiben und abzuwarten.
Die Deponie war seit mehr als einem Jahr geschlossen, seit der alte Herbert tot in seinem Wärterhäuschen gefunden worden war.
Die Männer hatten schnell gearbeitet, denn das Loch schien schon tief genug zu sein.
Der Große stand bereits bis zu den Knien darin.
Ein Vogel zwitscherte plötzlich unverschämt laut über Franks Kopf.
„Psst, hau ab!“, flüsterte er. „Verzieh dich!“
Einer der Männer blickte kurz in ihre Richtung, drehte sich aber wieder um, da die anderen drei nun um den geöffneten Kofferraum des Mercedes standen.
Der Leinensack, den sie daraus emporhoben, schien zu leben.
Die drei hatten alle Mühe, ihn zu halten, und schließlich fiel er ihnen zu Boden.
Frank konnte sie lachen hören. Dann hoben sie ihn wieder auf und trugen ihn zu der Grube.
An dessen Kante legten sie nun den Sack ab, und einer von ihnen schien etwas zu sagen.
Dann rollten sie den Sack über die Kante, und in wenigen Augenblicken war das Loch mit Sand gefüllt.
Noch einmal sahen sich die Männer um und stiegen dann in das Fahrzeug.

„Gehen wir jetzt?“, sagte Paul, als das Auto schon eine Weile nicht mehr zu sehen war. Frank sah seinem Bruder an, dass er sich äußerst unwohl fühlte.
„Hey, sie sind weg. Ich glaub nicht, dass die so bald wiederkommen. Bleib du hier, ich schau mir das mal an.“
Er schenkte Paul noch einmal ein Lächeln und trat hinter der Hecke hervor.
Ein verrostetes Auto bot ihm zunächst noch etwas Deckung, wollte er aber den Sandhügel erreichen, so musste er völlig schutzlos in offenes Gelände laufen.
Als er vor dem Hügel stand, zeigte sich, dass seine Vorsichtsmaßnahmen unnötig gewesen waren. Weit und breit war niemand zu sehen. Auch auf der langen geraden Straße war kein Auto zu erkennen. Schon gar kein schwarzes.
Jetzt konnte er sich auf den Sand konzentrieren. Besser gesagt auf das, was darin vergraben lag.
Es war noch keine fünf Minuten her, dass die Männer diesen Ort verlassen hatten.
Wenn das ein Mensch gewesen war, den sie dort vergraben hatten, so war es möglich, dass er noch am Leben war. Wie zur Bestätigung kam plötzlich der Sand vor ihm ins Rutschen. Fast wie bei einer Schneelawine in Miniaturformat löste sich eine kleine Schicht Sand und landete auf seinen Schuhen. Das war sein Zeichen.

Der Sand war noch locker und ließ sich mit den Händen problemlos zur Seite schieben. Immer tiefer gruben sich Franks Hände in den Boden.
Auf einmal berührten seine Hände den Leinensack. Es fühlte sich komisch an.
Vielleicht hatte er soeben eine Leiche berührt. Eine kaum sichtbare Bewegung ging durch das Stück Sack. Sand begann nachzurutschen. Er oder sie lebte noch.
Frank musste das Loch vergrößern, oder die Person würde ersticken. Ein Wunder, dass sie überhaupt noch lebte. Immer schneller grub er jetzt um den Sack herum. Er hatte ihn nochmals berührt, und so glaubte er, ein Bein gespürt zu haben. Also hatte er sich auf die andere Seite konzentriert, um zuerst den Kopf freizubekommen. Der Sand war etwas weiter unten zwar härter und mit bloßen Händen schwerer zu entfernen, aber wenigsten rutschte er so nicht nach.
Keuchend kniete Frank nun vor der Grube, die er ausgehoben hatte. Er hatte eine Meisterleistung vollbracht und den Leinensack fast vollständig freigelegt. Wie lange hatte er dafür gebraucht? Frank konnte es nicht sagen. Fünf, vielleicht zehn Minuten?
Der Sack bewegte sich plötzlich, und ein Stöhnen war zu hören. Frank sah sich um. Was sollte er jetzt tun? Die Polizei rufen? Seine Eltern?
Wieder eine Bewegung, diesmal etwas kräftiger. Ein Husten. Es musste ein Mann sein.
Dort, wo der Sack etwas nach oben stand, stach Frank jetzt vorsichtig mit seinem Taschenmesser durch den Stoff. Er schuf eine kleine Öffnung, in die er hineingreifen konnte.
Mit einem Ruck riss er den Stoff auseinander.
Zuerst meinte Frank, einen einäugigen Zombie zu sehen, der den Mund schon weit aufgerissen hatte, um ihn zu beißen. Dann klärte sich sein Blick, und Frank erkannte das dick geschwollene blaue Auge, welches er ursprünglich für eine leere Augenhöhle gehalten hatte. Der aufgerissene Schlund war nichts weiter als schwarzes Klebeband, das dem Fremden um den Mund gewickelt war.
Er hatte überall kleine Schürfwunden im Gesicht und sah furchtbar aus. Die Miene des Fremden veränderte sich. Sie ging von Benommenheit zu Panik über, als er feststellte, dass er sich in einer Grube befand. Sein gefesselter Körper strampelte wild in dem Sack.
„Hey, bleiben Sie ruhig, Mann“, sagte Frank zu ihm. „Die Typen sind fort.“
Erst jetzt fixierte der einäugige Blick des Mannes Franks Gesicht. Er hörte auf zu strampeln, und der panische wich einem verwirrten, fast schon dümmlichen Gesichtsausdruck.
„Wer ist der Mann?“, sagte eine Stimme hinter ihnen.
Frank und der Fremde zuckten zusammen.
„Mann, Paul, musst du mich so erschrecken? Ich hab doch gesagt, du sollst auf mich warten.“
„Du warst so lang weg, und ich wollte dir helfen.“
„Ist jetzt auch egal. Wenn du schon hier bist, halt Ausschau nach dem Wagen und warne mich sofort, wenn er wiederkommt.“

Frank wendete sich wieder dem Fremden zu.
„Wer sind Sie, warum hat man Sie lebendig begraben?“, wollte er wissen.
Der Mann antwortete nicht, sondern legte den Kopf schief.
Frank glaubte in dem einen Auge einen spöttischen Blick zu erkennen.
Dann wurde ihm klar, warum.
„Oh, Sie haben recht.“
Mit einer schnellen Bewegung zog er dem Unbekannten das Klebeband vom Mund.
„Gottverdammt, du hast mir die halbe Lippe mit abgerissen!“
„Sorry, tut mir leid.“
„Halb so wild. Schnell, binde mich los, Kleiner.“
Seine Stimme klang rau und kratzig, als habe er Tage nichts getrunken.
Vielleicht hatte er auch nur eine Menge Sand geschluckt. Der Mann hatte jetzt die Arme, soweit es ihm möglich war, aus dem Sack gehoben.
„Ich will zuerst wissen, wer Sie sind, wer die anderen Männer waren und warum man Sie lebendig begraben hat.“
„Will ich auch wissen“, sagte Paul von hinten.
„Hab ich dir nicht gesagt, du sollst aufpassen, dass keiner kommt?“, sagte Frank, der sich jetzt aus dem Loch erhoben hatte und Paul böse ansah.
„Ich will aber auch wissen, wer der Mann ist.“
„Ich bin aber dein großer Bruder, und du musst machen, was …“
„Hey, Kinder“, unterbrach ihn der Fremde, „ihr sollt beide erfahren, wer ich bin und warum ich hier drinnen liege, aber nur, wenn ihr jetzt aufhört zu streiten und mich endlich losbindet.“
„Erst erzählen Sie ihre Geschichte!“, sagte Frank in einem Ton, der keinen Widerspruch zuließ.
„Von einer Folter in die nächste“, murmelte der Fremde grimmig.
„Also gut, ihr sollt eure Geschichte bekommen. Aber zieht mir erst einmal diesen Sack vom Leib, ihr könnt mich ja gefesselt lassen, aber der Sack muss weg.“
Nachdem ihn Frank von dem Sack befreit hatte, konnte sich der Unbekannte mit dem Rücken an den Sand lehnen. Seine Klamotten waren zerrissen und passten perfekt zu seinem zerschundenen Gesicht.
„Ihr raucht nicht zufällig, Kinder, oder?“
Keiner antwortete.
„Nein? Ist auch ungesund.“
„Erzählen Sie“, drängte ihn Frank.
„Junge, du bist härter als diese Typen vorhin. Also gut. Mein Name ist …“
Er schien zu überlegen.
„Pierre Littbarski“, fuhr er fort.
„Das war ein Fußballer. Was Besseres ist ihnen nicht eingefallen?“, sagte Frank trocken.
„Wenn Sie uns belügen wollen, bleiben Sie gefesselt.“
„Scheiße“, fluchte der Mann, „von einer Scheiße in die nächste.“ Er atmete heftig, beruhigte sich aber sofort wieder.
„Okay, okay, ihr bekommt die Wahrheit. Verdammt, Junge, du solltest bei denen anfangen, die brauchen so Leute wie dich.“
Er räusperte sich und begann: „Also, ich heiße Tim, von meinem Nachnamen habt ihr nichts, also einfach nur Tim. Ich bin ein Dieb, und ich habe etwas geklaut, was diese Typen haben wollen.“
„Was denn?“, wollte Paul wissen.
„Einen Stein, einen sehr teuren Stein.“
„Einen Diamanten“, stellte Frank fest.
„Richtig, aber keinen normalen Diamanten, sondern den Centenary.“
Stolz schwang in Tims Stimme mit, als er davon erzählte.
„Das ist einer der Größten, müsst ihr wissen."
„Wie haben Sie das geschafft, er muss doch sicherlich wahnsinnig bewacht worden sein.“
„Natürlich war er das. Hier kommen diese Typen ins Spiel. Sie haben ihre Beziehungen spielen lassen und die Leute bestochen, die das Alarmsystem entwickelt hatten. Irgendeiner von denen ist mit einem Entwickler verwandt. Jedenfalls, mit den Plänen in der Hand war es um einiges leichter, den Centenary zu stehlen. Jeder von uns sollte die Hälfte bekommen. In der Nacht vor dem Bruch habe ich aber zwei von den Typen belauschen können. Wisst ihr, ich kann sehr leise sein. Die zwei sprachen darüber, mich nach dem Deal loszuwerden, und du kannst dir sicher vorstellen, was das bedeutet.“
Vielsagend sah er sich in der Grube um, in der sie saßen.
„Also beschloss ich, die Typen ebenfalls zu verarschen. Ich bin schon länger in dem Geschäft, Kinder, hab eine Menge Dinger gedreht und fast alles wieder verloren, aber diesmal wollte ich den Spieß umdrehen. Mein letzter großer Coup. Nach dem Bruch bin ich nicht zu dem vereinbarten Treffpunkt gekommen, sondern hab mich umgehend aus dem Staub gemacht. Ich kenne solche Typen gut genug und weiß, wie sie in solch einem Fall vorgehen. Sie besuchen dich, und wenn sie dich nicht finden, räumen sie deine Bude um. Ich hab also ein gut gemachtes Imitat so versteckt, dass sie suchen mussten, die Fälschung aber finden würden. Das sollte mir ein wenig Zeit verschaffen.
Und dann hab ich einen Fehler gemacht. Ich hab sie unterschätzt. Ich hatte gedacht, mit dem Stein in der Hand ließen sie mich ziehen. Bis sie dann gemerkt hätten, dass es eine Fälschung ist, wäre ich schon längst über alle Berge. Aber die Typen wollten alle Spuren verwischen. Und dazu gehörte vor allen Dingen ich. Am Flughafen haben sie mich gefunden. Mein Flug hatte Verspätung. Diese Verspätung hätte mich fast das Leben gekostet.“
„Man sollte die Mafia nie unterschätzen“, sagte Frank.
„Mafia?“ Tim lachte abgehackt. „Du hast wohl zu viele Filme geschaut, Kleiner. Die sind nicht von der Mafia. Wären sie bestimmt gern. Richard, der Mafiaboss. Nein, das sind keine Profis. Die Mafia hätte mich bestimmt nicht am helllichten Tag hierhergebracht und lebendig begraben. Die hätten mich auch nicht so schnell loswerden wollen wie diese Typen. Sie hätten gewartet, bis sie sich sicher gewesen wären, den echten Stein in den Händen zu halten. Die Witzfiguren von vorhin hatten es viel zu eilig, mich loszuwerden. Habt ihr das Auto gesehen, mit dem sie mich hergebracht haben? Den schwarzen Mercedes?“
Frank nickte. „Ja, schickes Ding.“
„Es würde mich nicht wundern, wenn sie die Karre schon ein paar Tage vor meinem Bruch legal gekauft haben. Die wollten den großen Reibach machen und haben es kaum erwarten können, ihr Geld auszugeben. Vollidioten.“
„Naja, so blöd können sie ja dann doch nicht sein, Sie liegen hier in der Grube, nicht die.“
Tim sah ihn mit einem Funkeln in den Augen an, sagte aber nichts darauf.
„Also haben sie den echten Stein nicht gefunden?“, wollte Frank wissen.
„Nein, sie dachten ja, sie hätten ihn bereits.“
„Das heißt, Sie haben ihn noch?“
„Bind mich jetzt los, ihr habt meine Geschichte gehört“, sagte Tim jetzt etwas gereizt.
„Haben Sie ihn noch?“, beharrte Frank.
„Ja, ich habe ihn noch. Und jetzt bind mich endlich los, verdammt!“
„Ich will ihn sehen.“
„Ich auch!“, rief Paul vom Rand der Grube.
„Was seid ihr eigentlich für Kinder?“ Tim warf den Kopf in den Nacken und etwas Sand rutschte auf seinen Kopf. „Scheiße!“
„Bind mich los, dann zeig ich ihn euch.“
„Sagen Sie mir, wo er ist, dann hol ich ihn.“
Tim lächelte.
„Du bist echt gut, Kleiner. Wie heißt ihr eigentlich?“
„Ich bin Paul, und das ist mein großer Bruder Frank“ antwortete Paul wie aus der Pistole geschossen.
„Also, Frank, ich kann ihn euch nicht zeigen, weil ich ihn nicht am Körper trage.“
„Sie haben ihn irgendwo versteckt? Vergraben vielleicht?“
Tim schüttelte langsam den Kopf.
„Das wäre ja schön blöd. Ich mach mich aus dem Staub und lass den Diamanten irgendwo vergraben zurück.“
„Vielleicht wollten Sie einfach nur Gras über die Sache wachsen lassen.“
„Die Typen hätten mich ewig gejagt. Die hätten freudig auf meine Rückkehr gewartet. Alles zu gefährlich.“
„Das versteh ich nicht. Sie können ihn uns nicht zeigen, haben ihn aber nirgends vergraben oder versteckt?“
„Komm schon, jetzt enttäuscht du mich aber. Was glaubst du, wie ich ihn durch den Zoll bringen wollte?“, sagte Tim nun spöttisch.
„Sie haben ihn verschluckt?“
„Bingo!“
„Und was, glauben Sie, werden diese Typen machen, wenn sie merken, dass ihr Stein nur eine Fälschung ist?“
„Dann kommen sie zurück und buddeln mich wieder aus.“
„Dann sollten Sie machen, dass Sie hier fortkommen.“
„Das werde ich, wenn du mich endlich losbindest. Ich habe die Wahrheit erzählt. Wir haben einen Deal, Frank“, erinnerte ihn Tim.
„Paul, wenn er mich angreift, lauf zu deinem Fahrrad und hol die Polizei.“
„Okay, Frank.“
Er sah Tim noch einmal abschätzend an, dann zerschnitt Frank vorsichtig zuerst die Stricke an den Beinen und dann die um Tims Hände.
Schnell sprang er aus der Grube und blickte Tim von deren Rand aus an.
„Danke, Frank. Hab schon gedacht, die fallen gleich ab.“ Er rieb sich die Hände und klatschte zweimal laut.
„Muss das Blut wieder zum Fließen bringen“, sagte er mit einem schiefen Lächeln an Paul gewandt.
Er versuchte aufzustehen, fiel aber gleich wieder zurück. „Auch in den Beinen.“
Nach ein paar Minuten, in denen er abwechselnd Hände und Beine massierte hatte, schaffte es Tim endlich, aufzustehen, stand aber noch immer in der Grube.
„Mann, wo bin ich denn hier gelandet. Das ist ja ein Schrottplatz“, sagte er angewidert, während er sich umsah.
„Komm, hilf mir rauf.“

Er streckte Frank die Hand entgegen und dieser griff danach.
Tim wuchtete sich aus der Grube und zog Frank dafür in das Sandloch.
Frank hatte nicht einmal Zeit zu schreien. Er landete auf dem weichen Sand und blickte entgeistert zu Tim hinauf.
„Jetzt weißt du, wie sich das anfühlt, in der Grube zu liegen. Und jetzt komm.“
Nun streckte Tim Frank die Hand entgegen.

Als Frank neben Tim stand, wischte er sich schnell die Tränen aus den Augenwinkeln, die ihm in der Sekunde in die Augen geschossen waren, als er gedacht hatte, Tim würde ihn bei lebendigem Leib begraben.
„Hey, Kleiner, alles in Ordnung!“, rief Tim Paul hinterher.
Als Paul gesehen hatte, wie Frank in die Grube fiel, war er augenblicklich losgerannt.
Paul drehte sich um und blieb stehen, als er Frank wieder neben Tim stehen sah.
„Ja, ja, alles in Ordnung, kannst zurück kommen“, rief jetzt auch Frank in Pauls Richtung.
Er drehte um und lief langsam, aber sichtlich beruhigt, zu den beiden zurück.
„Sie sehen schrecklich aus“, sagte Frank zu Tim, der sich wieder auf den Boden gesetzt hatte.
„Und so fühle ich mich auch.“
Er betastete vorsichtig die Schwellung um sein rechtes Auge.
„So kann ich mich nirgends sehen lassen. Ich bin auffälliger als ein bunter Hund.
Nur so nebenbei, hat einer von euch was zum Trinken dabei? Ich hab das Gefühl, meine Zunge hat sich in Schmirgelpapier verwandelt."
„Paul, kannst du nach Hause fahren und etwas zu essen und zu trinken mitbringen?
„Ach, Mann“, sagte Paul mit traurigem Gesicht.
„Bitte, Paul. Hast was gut bei mir.“
„Darf ich dann mit der X Box spielen?“, rief Paul begeistert.
„Ja, darfst du.“
„Yeah!“
“Kennst du Papas alte Jacke, die im Keller hängt? Die mit den braunen Streifen, bring sie auch mit. Und Paul?“
„Ja?“
„Sag niemandem was hiervon. Wenn Mama fragt, sag einfach, wir haben Hunger bekommen.“
„Okay, bis später.“
Paul rannte zu seinem Fahrrad, und kurz darauf sahen sie ihn auf der langen Zufahrtsstraße immer kleiner werden.

„Danke. Wie lang wird er brauchen?“, wollte Tim wissen.
„Mindestens eine Stunde. Die Deponie ist ziemlich abgelegen.“
„Komm, lass uns von dem Loch verschwinden.“
Tim stand auf und lief humpelnd zu dem verrosteten Auto hinüber. Er ließ sich auf dem Beifahrersitz nieder und schloss die Augen.
„Bist ein guter Bruder“, sagte er mit noch immer geschlossenen Augen.
„Hatte auch mal einen kleinen Bruder, war alles für mich. Ist bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen. Hat mir das Herz gebrochen.“
Frank antwortete nicht darauf.
„Wie alt bist du, Frank?“
„Dreizehn, naja, fast vierzehn. Hab in zwei Tagen Geburtstag.“
„Bist ein kluges Kerlchen. Wenn du mein Sohn wärst, würde ich dich zu einem Meisterdieb erziehen.“

Tim drehte den Kopf und sah ihn herausfordernd an.
„Ähm, nein danke“, antwortete Frank, obwohl die Vorstellung einen gewissen Reiz auf ihn ausübte, „ich bleib lieber ehrlich.“

Sie schwiegen eine ganze Weile, und Frank dachte schon, Tim wäre eingeschlafen.
Dann stand Tim plötzlich auf.
„Ich muss mal.“
Er lief um das Auto und verschwand hinter den Hecken. Frank beobachtete jeden seiner Schritte, bis er ihn nicht mehr sehen konnte.
Fünf Minuten später stand Tim wieder neben ihm.
„He, da kommt dein Bruder.“
Frank folgte Tims ausgestreckten Arm und sah in einiger Entfernung eine Person auf einem Fahrrad fahren. Noch konnte man nicht erkennen, ob es sich wirklich um Paul oder um eine andere Person handelte.
„Ich hab so einen Durst, das glaubst du gar nicht.
Ich hoffe er bringt ...“, Tim beendete den Satz nicht, denn ein schwarzes Auto erschien hinter dem Radfahrer.
„Scheiße! Hätte nicht gedacht, dass sie’s so schnell herausfinden.“
„Scheiße!“, stimmte Frank zu.
Der Wagen hielt neben dem Radfahrer, und Franks Herz setzte einen Schlag aus. Was würden sie machen? Sie konnten nicht wissen, dass Paul schon vorher dagewesen war, alles gesehen hatte und eine Gefahr für sie darstellte.
Dann fuhr der Wagen weiter und der Radfahrer in die entgegengesetzte Richtung.
Scheinbar hatten sie ihm nur zu verstehen gegeben, er solle umdrehen, und Paul, wenn er es denn war, aber wer sollte es denn sonst sein, war so schlau, den Rat zu befolgen.
„Wir müssen uns verstecken“, flüsterte Tim, obwohl das Auto noch ein gutes Stück entfernt war.
Sie liefen zwischen die Hecken, welche den Platz umgaben, und sahen sich nach einer guten Versteckmöglichkeit um. Tim entschied sich, hinter einem toten Baum Schutz zu suchen, der zusätzlich noch von einem dichten Gebüsch umwuchert war.
Als sich Frank neben ihn legte, fuhr ihn Tim an: „Nicht neben mich, du hast damit nichts zu tun, wenn sie mich entdecken, bist du auch dran. Verschwinde von hier, renn weg. Ich kann nicht, kann ja kaum laufen.“
Das war einleuchtend. Er war nur durch Zufall hier und diesen Zufall wollte er nicht mit dem Leben bezahlen. Frank hörte den Motor des Autos aufheulen, sie waren gleich da.
Er musste sich ebenfalls verstecken. Wenn sie jetzt ausstiegen und er sich durchs Unterholz kämpfte, würden sie ihn mit Sicherheit hören. Schnell lief er zu dem Gebüsch hinüber, hinter dem er und Paul die Männer zum ersten Mal beobachtet hatten.
Sein Herz schlug so laut in seiner Brust, dass er Angst hatte, es würde seine Position verraten.
Er konnte das Quietschen der Bremsen hören. Der Wagen hielt.
Noch hatte er sich nicht getraut, den Kopf zu heben. Er hörte die Türen schlagen und ihre Schritte. Erst jetzt blickte er auf.
Die Männer liefen zu dem Sandhügel und blieben davor stehen. Zuerst schien es so, als wären alle urplötzlich zu Salzsäulen erstarrt. Sie blickten regungslos in das Loch vor ihnen.
Einer der Männer löste sich aus seiner Erstarrung und bückte sich. Frank konnte erkennen, wie er nach den durchtrennten Stricken griff, sie kurz betrachtete und dann an seine drei Kumpane weiterreichte. Dann blickten alle vier plötzlich auf den Boden und schienen nach etwas zu suchen.
Sie wirkten nervös. Einer von ihnen stemmte die Arme in die Hüften, dabei rutschte sein Jackett ein Stück nach oben und Frank konnte die Waffe darunter erkennen.
Er war nicht einmal geschockt. Was hatte er denn anderes erwarten sollen? Natürlich hatten sie Waffen. Dann trennten sie sich. Jeder ging in eine andere Richtung. Schon wieder.
Mit einem Mal wurde Frank klar, was sie gesucht und letztendlich wohl auch gefunden hatten: Ihre Fußspuren.
Sie mussten sich überdeutlich auf dem Sand abzeichnen. Zum Glück endeten die Spuren, wo der Sandhügel auf den Schotterweg überging. Sie würden sie also nicht direkt zu ihm führen. Allerdings wussten sie jetzt, dass Tim nicht alleine aus seinem Grab gestiegen war, und natürlich mussten sie auch erkannt haben, dass es sich bei den Fußspuren um die von Kindern handelte.
Paul war neun und hatte Schuhgröße 36. Auch er hatte für sein Alter verhältnismäßig kleine Füße.
Mit Schrecken sah Frank einen der Männer in den Wagen steigen. Mit quietschenden Reifen fuhr er an und war verschwunden.
Dem Jungen hinterher, dem sie unterwegs begegnet waren, dachte Frank.
Frank betete, dass Paul bereits zu Hause war oder sich sehr gut versteckte.
Aber jetzt musste er sich erst einmal darauf konzentrieren, seine eigene Haut zu retten.
Einer der Fremden war seinem Versteck bereits gefährlich nahe.
Der Busch war zwar sehr dicht und verbarg fast seinen kompletten Körper, aber sobald man genauer hinsah, musste er entdeckt werden. Vielleicht hätte er sich ein besseres Versteck suchen sollen, jetzt war es zu spät. Der Mann ,der auf ihn zukam, hatte sich anscheinend auf die dichten Kronen der Bäume über ihm konzentriert. Er trug eine dunkle Kordhose und wirkte auf Frank nicht sonderlich intelligent. Sein Blick wanderte von Baum zu Baum. Wahrscheinlich dachte er, Kinder klettern gerne auf Bäume. Der Mann war nur noch wenige Schritte von ihm entfernt. Sein Blick streifte kurz den Busch, in dem er sich versteckt hatte, und richtete sich dann wieder auf die Wipfel der Bäume.
Hatte er ihn bereits gesehen und tat jetzt nur so, als hätte er ihn nicht bemerkt? Vielleicht war er doch schlauer, als er aussah.
Franks Glieder verkrampften sich und ihm wurde übel. Er zitterte und hatte das Gefühl, seine Bewegungen übertragen sich auf den Busch. Der Mann stand jetzt direkt vor ihm. Wenn er jetzt die Hand ausstreckten würde, könnte er seine Fersen berühren.
Der Fremde sah wieder angestrengt in die Bäume, dabei trat er mit einem seiner Füße in den Busch. Genau auf Franks Fingerspitzen.
Er wollte schreien, wollte nach Hause, wollte zu seiner Mutter, doch irgendwie schaffte er es, nicht zu schreien.
Jemand anderes schrie für ihn. Dann erklang ein Schuss.

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