Beschreibung
Alfred Koreanov, der Zauber des Montmartre und der Flair von Paris bei Nacht. All dieses und mehr über die Jugendtage des jungen Heinz Ziehm erfahrt ihr im dritten Teil von Wintertinte. Viel Lesevergnügen wünscht Falk Peter Scholz
Wintertinte
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    So in Erinnerungen versunken bemerkte ich gar nicht wie sich Alfred in seinen Sessel zurückgezogen hatte und ein weiteres Pfeifchen rauchte.
Die ganze Atmosphäre der Räumlichkeiten hüllte mich in ein Gewandt von Nostalgie und Bewunderung neuer Erfahrungen.
Wer war dieser Mann fragte ich mich innerlich. Wieso empfand ich eine so starke innerliche Ruhe und wie war es möglich dass Alfred mit so einem berühmten Schriftsteller befreundet war. Unter all diesen Fragen entnahm ich dem einzigen Bücherregal was ich in dieser Wohnung erblicken konnte eines der 24 Bücher von Chavrox und begab mich zu Alfred nach nebenan. Ich setzte mich Alfred zur rechten und er beäugte mich über den eingebrannten Rand seiner Pfeife. Er nickte zustimmend und meinte wohl die Wahl meines Buches welchen den Titel La froideur de ma vie trug und wohl das letzte Werk des Künstlers war. Ich überlegte warum Chavrox dieses Buch -Die Kälte meines Lebens- nannte.
    Da es schon recht spät war und ich Alfreds Gastfreundschaft nicht überanstrengen wollte, nahm ich mir vor nur ganz kurz ins Buch zu schauen, um dann zu Wesen ins Geschäft zurückzukehren. Sicher würde er schon voller Sorge auf mich warten, so dachte ich.   Die ersten Seiten faszinierten mich so sehr, dass ich nicht bemerkte wie die Zeit voran schritt und erst als die alte, reich mit Figuren verzierte Standuhr zur vollen Stunde schlug, bemerkte ich dass wiederum zwei Stunden vergangen waren. Alfred hatte keinerlei Anstalten gemacht mich beim Lesen zu unterbrechen und rauchte, trank Wein und lauschte sanften Klängen im Halbdunkel. Ich verabschiedete mich voller Eile, was er wieder mit einem Kopfnicken erwiderte. Dann bedankte ich mich für mein Geschenk und verließ das Domizil der Ruhe.
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  Wesen erwartete mich schon voller Ungeduld, als ich schon weit nach acht am Laden ankam. Er war gerade damit beschäftigt die beiden zur Mitte hin schließenden Tore zusammen zu schieben. Das war recht ungewöhnlich für diese Tageszeit, da er sonst den Laden bis Mitternacht geöffnet ließ. Das war das erste was er nach der Befreiung der Deutschen wieder eingeführt hatte. „Ich wollte heute was trinken gehen“, begrüßte er mich. Dann schüttelte er sich. „Es ist saukalt heute“, meinte Wesen etwas genervt! „Wie war es bei dir“, fragte er mich während er die schwere Eisenkette um die geschlossenen Tore legte. Ich nickte beiläufig.
„Woher kennst du denn Mann?“, fragte ich interessiert. Wesen schaute mich von der Seite an und bemerkte wohl den ungläubigen Ton in dem ich die Frage an ihn gestellt hatte. Er knöpfte sich seinen beigefarbenen Mantel zu und sagte kein Wort. Kurz nach neun kamen wir dann am Violine Noir an, seinem Stammlokal in dem Wesen die meisten Abende in den letzten Jahren verbracht hatte. Als ich noch kleiner war, liebte ich es wenn Wesen mir von der ungewöhnlichen Atmosphäre berichtete die hier herrschte. Er erzählte voller Inbrunst über dieses Traditionslokal und den Zauber den es versprühte. Das erste mal als Wesen mich mit hier her genommen hatte, war an dem Tag als mir das Buch von Chavrox in die Hände fiel. Damals war es eine ganz neue Welt für mich da ich nur den Laden und das kleine nach hinten angrenzende Appartement kannte, in dem mich Wesen immer mit den Worten: „Mach mir keinen Ärger, ich habe deinem Vater versprochen gut für dich zu sorgen.“, zurück ließ wenn er seine nächtlichen Streifzüge machte.
  Wir klopften unsere Schuhe ab, befreiten die Sohlen vom Schnee und traten ins Violine Noir, wo mich sofort ein bekannter Geruch bestehend aus getränktem Pfeifentabake, das etwas aufdringliche Parfum der -Alten Dame- wie wir sie zu pflegen nannten und der unvergleichliche Geruch des Charmes alter Möbel empfing. Ich ließ meinen Blick über die Runde schweifen während Wesen seinen Mantel auf hing und die anwesenden Nachtschwärmer begrüßte.     So wie das alte verwitterte Eingangsschild schon immer etwas schief und ramponiert herunter hing, schien sich auch im Violine Noir nichts zu ändern. Wie meist saßen der Aristokrat wie ihn Wesen nannte, die alte Dame, Josef der graue Portugiese und der von mir so verehrte Klavierspieler der hier jeden Abend spielte wie immer am selben Platz. Wenn die Zeit irgendwo stehen geblieben war, dann hier am Fuße des Montmartre; im Violine Noir. Ich verschwand direkt zu meinem Stammplatz der sich direkt neben dem Klavier befand an dem Louis spielte. Ich mochte diesen kleinen Mann der einen außerordentlichen Humor besaß.
         Er war zwar sehr klein, hatte nicht mehr ganz volles Haar, doch war ich fasziniert von seinen wachen Augen die mich amüsiert, doch ebenfalls voller Verständnis anblickten. Ich liebte es sehr wenn Louis alte Pariser Chansons spielte und dem Lokal Leben einhauchte.   Wesen war noch mit Gesprächen beschäftigt und so setzte ich mich zu Louis ans Klavier, wo ich im Augenwinkel mitbekam wie Wesen mir eine Portion Schmalzbrote bestellte die es hier all abendlich frisch zubereitet gab. Ich begrüßte den Klavierspieler mit einem höflichen Kopfnicken und zog im Schein der Kerzen Alfreds Geschenk aus der Tasche. Ich hatte mir auf Alfreds Geheiß eines von Chavrox`s Büchern ausgesucht und musste immer noch darüber nachdenken wie man auf den Titel „Die Kälte meines Lebens“, kam.
Was musste jemand erlebt haben der sich einen so deprimierenden Titel ausgedacht hatte.