Fantasy & Horror
Falsch abgebogen

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"Falsch abgebogen"
Veröffentlicht am 18. September 2011, 30 Seiten
Kategorie Fantasy & Horror
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Falsch abgebogen

Falsch abgebogen

 

Thomas folgte dem holprigen Waldweg nun schon geschlagene zwei Stunden. Die Tannen standen so dicht um ihn herum, dass er sich regelrecht umzingelt fühlte.

Der Weg, der scheinbar wenig befahren war, dicke Grasbüschel wuchsen bereits in den Fahrrillen, schlängelte sich durch den Wald wie eine Ringelnatter. Thomas überlegte ernsthaft umzukehren und auf dem Weg zurück sein Navigationssystem in hohen Bogen aus dem Fenster zu werfen. Die freundliche Frauenstimme hatte ihn überhaupt erst abbiegen lassen.

Er hielt den Wagen an und sah sich die Karte auf dem Navi noch einmal genauer an.

Der Punkt, welcher ihn und sein Fahrzeug markierte, blinkte penetrant auf dem Display um seine Position zu markieren. Er war auch das einzige was ein wenig heraus stach, ansonsten zeigte der Bildschirm nichts weiter als eine sich endlos schlängelnde Linie, auf einem grünen Hintergrund. Thomas war in der Stadt aufgewachsen und konnte mit Wäldern im allgemeinen wenig anfangen und so war ihm dieser von vorneherein unsympathisch gewesen.

Das Navigationsgerät hatte ihm diesen Weg als den kürzesten angezeigt und er war der Anweisung blind gefolgt. Wäre er bloß weiterhin auf der Straße geblieben. Das hatte er nun davon. Thomas scrollte die Skalierung des Navis etwas nach oben und nun sah er, das der Waldweg tatsächlich ein Ende hatte. Eine kleines Dorf mit dem skurrilen Namen Rotblut, erwartete ihn am Fuße dieses Pfades.

Er vergrößerte den Maßstab noch etwas und schon tauchte in unmittelbarer Nähe des Dorfes eine Bundesstraße auf. Umdrehen oder weiterfahren? Es kam beides auf das selbe hinaus.

Er war froh, das Sarah jetzt nicht bei ihm war. Sie würde mit Sicherheit darauf bestehen umzukehren, aber erst nachdem sie ihm sämtliche Risiken aufgezählt hätte.

Sie hatte die unausstehliche Gabe auch die harmlosesten Situation so aufzublähen, als hinge ihrer beider Leben nur noch an einem seidenen Faden. Höchstwahrscheinlich würde Sarah sich in Rage reden, er würde etwas verletzendes zu ihr sagen und zum Schluss würden sie beide kein Wort mehr miteinander wechseln. In letzter Zeit hatten sie sich oft gestritten.

Ja, er war wirklich froh das sie nicht dabei war.

Außerdem würde sie laut aussprechen was Thomas sich nicht eingestehen wollte. Der Wald war verdammt gruselig. Und langsam begann es zu dämmern.

 

Erst beim dritten Versuch sprang der Motor wieder an. Die Sonne verschwand allmählich hinter den Bergen und die Kiefern schienen noch ein Stück näher zu rücken. Thomas musste das Licht einschalten. Er hatte versucht das Radio zu benutzen um die gruselige Atmosphäre einwenig aufzulockern, empfing allerdings nur ein kratziges Rauschen. Eine viertel stunde später, war die Sonne ganz verschwunden.

Mittlerweile konnte er sich selbst nichts mehr vormachen. Er hatte Angst. Aber es war eine unbestimmte Angst. Er glaubte nicht, dass hinter der nächsten Biegung ein Verrückter mit einer Axt auf ihn wartete. Oder das eine Hexe, wie in dem Film Blair Witch. So einfach war dass nicht.

Er hatte einfach ein ungutes Gefühl.

Das Licht seiner Scheinwerfer beleuchtete maximal fünf bis zehn Meter vor seinem Auto, der rest lag in undurchdringlicher Dunkelheit. Die Baumreihen warfen unheilvolle Schatten auf den Weg und nun wäre er froh gewesen Sarah bei sich zu haben. Ein Blick auf sein Navigationssystem sagte ihm, das sich noch ein gutes Stück Weg vor ihm befand, ehe er aus dem Wald käme.

Gern wäre er schneller gefahren um möglichst bald aus diesem unheimlichen Wald zu verschwinden, doch der Weg und die Dunkelheit ließen ein höheres Tempo kaum zu.

Und es war still. Bis auf das Geräusch des laufenden Motors und dem gelegentlichen brechen eines Astes, wenn er mit dem Auto darüber fuhr, war es völlig ruhig.

Der Weg stieg leicht an und der Mond, der jetzt hoch am Himmel stand, leuchtete in einem strahlendem Weiß. Thomas lehnte sich etwas über das Lenkrad um einen besseren Blick auf den Nachhimmel zu bekommen. Er wollte wissen ob es Vollmond war. Irgendwie schien ihm das wichtig. Er ließ sich zurück in den Sitz fallen und erschrak fürchterlich. Ein großes Reh stand mitten auf dem Waldweg.

Angeleuchtet von seinen Scheinwerfern, stand es wie in Stein gemeißelt da. Es hatte den Kopf in seine Richtung gedreht und schien ihm direkt in die Augen zu sehen. Instinktiv drückte er zwei mal kurz auf die Hupe um das Tier zu verscheuchen. Es zeigte jedoch keine Reaktion und blickte ihn weiter mit seinen dunklen Knopfaugen an. In folge des heftigen Bremsens war sein Wagen abgesoffen und Thomas musste ihn neu starten. Diesmal brauchte er vier Versuche, bevor das ächzende kreischen der Zündung, in ein schnurrendes Motorgeräusch überging. Das Reh schien von alldem unbeeindruckt und hatte sich keinen Zenitmeter von der Stelle gerührt. Es stand höchstens fünf Meter von seiner Motorhaube entfernt und blieb auch stehen als er bis auf einen Meter herangefahren kam. Aus unmittelbarer Nähe konnte er erkennen wie ungewöhnlich kräftig dieses Reh war, die tierische Kraft war förmlich zu spüren. Ein animalischer Gestank, den er so nur von Löwen und Tigern kannte, die er im Zoo besichtigt hatte, ging von ihm aus. Thomas blickte dem Reh direkt in die dunklen Augen und für einen Moment hatten sie etwas Menschliches an sich.

Dann auf einmal machte das Tier zwei Schritte zur Seite so das Thomas mit dem Auto vorbeifahren konnte.

Bevor es in der Dunkelheit verschwand, konnte er im Rückspiegel erkennen, dass das Reh noch immer an Ort und Stelle stand und ihm nachblickte.

 

Vielleicht war das Reh krank? Tollwut oder irgendetwas ähnliches? Er hatte vor ein paar Tagen von einem Förster gelesen der im Wald von einem Rudel Wildscheine überrascht worden war. Sie hatten ihn durch den halben Wald gejagt bevor sie ihn über den Haufen rannten und mit ihren Hauern schwer verletzten. Eine Wandergruppe hatte ihn drei Tage später tot aufgefunden. In dem Bericht stand das einer der Hauer abgebrochen war und noch in seinem Oberschenkel steckte, als man ihm fand. So einem Rudel Wildschweine wollte er hier nicht begegnen.

Er entschloss sich etwas schneller zu fahren. Er würde das Risiko in Kauf nehmen. Wenn er sich konzentrierte und dabei in den alten Fahrrillen des Weges blieb, müsste es schon gehen. Er beschleunigte den Wagen auf knapp über drei0ig Stundenkilometer. Die vielen Unebenheiten und Schlaglöcher veranlassten ihn jedoch dazu sein Tempo wieder zu drosseln. Zweimal hatte er sich den Kopf an seinem Autodach angeschlagen und auf ein drittes Mal hatte er weiß Gott keine Lust.

Sein Navi flackerte kurz auf. Dann wurde der Bildschirm schwarz. Mit einem mal war es im Wageninneren fast ebenso Dunkel wie außerhalb seines Wagens.

Es ließ sich nicht wieder anschalten. Der Bildschirm blieb schwarz.

Er verfluchte sein Navi und alle technischen Spielereien der Neuzeit. Die Wut die er empfand, kam ihm sehr gelegen den sie lenkte ihn von der anherrschenden Dunkelheit und seiner Angst ab.

Der Weg führte nun schon eine ganze Weile einfach gerade aus, doch nun musste er eine scharfe Linkskurve fahren. Während er um die Kurve fuhr, leuchteten die Scheinwerfer seines Autos für einen Moment zwischen die Baumreihen. Er sah ein Dutzend Rehe dahinter stehen. Dann war er um die Kurve und die Rehe verschwunden. Hatte er das wirklich gerade gesehen? Er warf einen Blick in den Rückspiegel, sah aber nichts weiter als den Teil des Weges den seine Rücklichter beleuchteten.

Ein Stück weiter lag ein großer Ast auf dem Weg. Der Ast war zu groß um einfach darüber hinweg zu fahren. Er musste aussteigen.

Thomas ließ den Motor laufen, riss die Tür auf und stürmte auf den Ast zu. Er wollte die Aktion schnellst möglich über die Bühne bringen.

Nur auf den Ast schauen, ihn wegwuchten und ruck zuck wieder ins Auto.

Der Ast war jedoch schwerer als gedacht. Beim ersten versuch schien er wie angewurzelt.

Er zog noch einmal und hob ihn ein wenig an. Plötzlich fühlte er sich beobachtet.

Ein Bild von einem dutzend groß gewachsener Rehe, die ihm bei der Arbeit zusahen, machte sich in seinem Kopf breit. Lächerlich. Doch ganz so absurd, erschien ihm dieser Gedanke wirklich nicht. Er hatte sich fest vorgenommen seinen Blick nur auf den Ast zu richten, doch nun sah er den Weg vor sich entlang. Er sah zwei Rote Punkte, wie von Autorückleuchten in einiger Entfernung.

Dann waren sie verschwunden. Ein anderes Auto? Thomas wusste nicht ob dieser Gedanke für ihn Trost bedeutete oder ob er ihm noch mehr Angst bereitete, als er ohnehin schon verspürte. Plötzlich erschien ihm der Ast weit weniger schwer als noch einen Augenblick zuvor. Er fand halt in einer Astgabel und zog ihn in einem Zug von der Fahrbahn.

Hinter ihm erstarb der Motor seines Wagens. Das Scheinwerferlicht ging aus und Thomas fand sich in völliger Dunkelheit wieder. Schwärze umfing ihn. So dicht das sie fast spürbar war. Die Hände weit ausgestreckt lief er in die Richtung in der er sein Auto vermutete.

Es wird nicht mehr da sein. Es hat sich einfach in der Dunkelheit aufgelöst.

Dann stieß er mit dem Knie gegen die Kühlerhaube. Er rannte auf die Fahrerseite und riss heftig an Autotür. Sie ließ sich nicht öffnen. Sie klemmte irgendwie. Panik überfiel ihn. Er zog ein zweites mal, ein drittes mal, dann sprang sie plötzlich auf und Thomas hechtete ins innere.

Er schlug die Tür zu und hatte die Ahnung, wenn er noch einen Moment länger draußen in der Dunkelheit gestanden hätte, würde er den Rest seines Lebens in ihr verbringen müssen.

Der Motor wird nicht anspringen. Der Motor sprang beim ersten Versuch an und gleichzeitig bannten sich die Lichter seines Autos ihren weg durch die Dunkelheit.

Was er in ihrem Licht sah, verschlug ihm den Atem. Es mussten mehrere dutzend Rehe sein, die dicht zusammengedrängt rund um sein Auto standen. Jedes Reh glich dem anderen bis hin zur Zeichnung des Fells. Sie alle blickten starr in seine Richtung und kein einziges Tier bewegte sich. Nur das regelmäßige auf und ab ihres Brustkorbes ließ erkennen dass es keine Puppen waren.

 

Wie hatten sie sich so schnell versammeln können? Was wollten sie?

Er fuhr den Wagen an. Langsam, um sie nicht zu provozieren. Die ersten Tiere die dicht gedrängt vor seiner Motorhaube standen, wichen zur Seite aus. Sie bildeten mit den anderen eine Gasse. Hinter seinem Wagen schlossen sich diese Reihen wieder.

Er ließ die Tiere hinter sich und beschleunigte. Er musste sich ermahnen nicht zu stark auf das Gaspedal zu treten. Wie sehr wünschte er sich in diesem Moment aus dem Wald.

Kurze Zeit später geschah das, was nicht hätte passieren dürfen. Der Waldweg teilte sich.

Thomas erinnerte sich, dass die Karte auf seinem Navi nur einen Weg gezeigt hatte, jedoch nicht, dass er noch eine weitere Abzweigung besaß. Er musste sich gut überlegen welchen Weg er wählen würde. Wenn er sich für die falsche Abzweigung entschied, müsste er wohlmöglich die ganze Nacht durch den Wald fahren. Irgendwann hätte er dann kein Benzin mehr und dann würden sie wieder kommen. Er wollte diesen grausigen Rehen nicht noch einmal begegnen.

Als er noch ein Kind war, hatte er einen Reim gekannt, den er immer dann leise aufsagte, wenn es darum ging sich für eine Sache zu entscheiden. Er hatte früher schon einmal daran gedacht, doch nie war ihm der alte Kinderreim wieder eingefallen. Jetzt hatte er gar nicht bewusst daran denken müssen. Der kindliche Reim tanzte förmlich vor seinem inneren Auge auf und ab.

 

Henriette, goldne kette, goldner Schuh, und raus bist du

 

Genauso wie er es früher schon als kleines Kind immer gemacht hatte, so wippte auch jetzt sein rechter Zeigefinger mit den einzelnen Silben mit. Nach links und dann wieder nach rechts. Bei der letzten Silbe zeigte sein Finger auf die rechte Abzweigung. Als er gerade losfahren wollte, sah er auf dem Weg der linken Abzweigung zwei rot scheinende Lichter. Sie leuchten kurz auf und verschwanden wieder.

Das mussten die Rücklichter des Autos sein. Wahrscheinlich kannte sich der Fahrer besser aus als er. Sicher hatte er nicht ebenfalls einen Kinderreim aufgezählt und sich nur aufgrund dessen für den linken Pfad entschieden. Vielleicht könnte er das andere Auto einholen und den Fahrer nach dem Weg fragen. Er spürte ein klein wenig Euphorie in sich aufsteigen. Was für verrückte Sachen hatte er erlebt. Er konnte kaum erwarten Sarah davon zu erzählen.

Also nahm er die linke Abzweigung.

Er fuhr wieder etwas schneller und versuchte vorausschauend zu fahren. Auf keinen Fall wollte er jetzt auf einen umgestürzten Baum, der vielleicht nur zur hälfte auf dem Weg lag, auffahren.

Zu seiner linken und rechten waren die Baumreihen unverändert dicht. Noch sah er keine Anzeichen dafür, dass er langsam den Wald verließ.

Wie lang fuhr er eigentlich schon durch diesen Wald? Er hatte jegliches Zeitgefühl verloren.

Der Weg stieg wieder etwas an. Thomas hoffte vom höchsten Punkt des Hügels aus, vielleicht die ersten Lichter des kleinen Dorfes zu erkennen. Was er dann sah, waren jedoch nicht die Lichter des Dorfes, immerhin aber die roten Rücklichter des anderen Autos. In der Dunkelheit war es schwer die Entfernung bis zu ihnen abzuschätzen, er glaubte aber, dass sie sich nicht weiter bewegten sondern auf einer Stelle verharrten.

War der Fahrer angehalten? Vielleicht musste er nur mal kurz austreten. Thomas hätte sich lieber in die Hose gemacht als in diesem Wald seine Notdurft zu verrichten.

Die Scheinwerfer seines Wagens erfassten plötzlich ein Auto.

Es stand am Rande des Weges und war völlig verrostet. Es war gegen einen Baum gefahren und scheinbar nie von dort entfernt worden. Auf der anderen Seite tauchte ein weiteres auf. Auch dieses Auto war von Wind und Wetter gezeichnet. Eine Tür stand offen. Als er vorbei fuhr sah Thomas das die Windschutzscheibe fehlte.

Die Rücklichter des vor ihm befindlichen Autos kamen näher. Sie hatten sich nicht wieder in Bewegung gesetzt. Er verlangsamte sein Tempo um den Besitzer des anderen Fahrzeugs nicht zu erschrecken. Sicher hatte er bereits seine Scheinwerfer gesehen, jedoch wollte Thomas nicht halb so panisch und verängstigt auf ihn erscheinen, wie er sich momentan fühlte und wenn er zu schnell angerast käme, könnte das eben genauso auf ihn wirken. Also hupte er. Thomas sah es als eine Art freundliches Hallo an und hoffte das der Besitzer des Wagens vor ihm, das ebenfalls so empfand. Die Hupe seines Auto warf ein verzehrtes Echo zu ihm zurück. Und dann erklang ein Geräusch das er noch nie in seinem Leben gehört hatte. Es glich im ersten Moment dem Brummen eines überdimensionierten Bärs, dann mehr dem Fauchen einer Raubkatze. Doch am schlimmsten war, dass es auch wie ein Mensch klang. Wie ein Mensch der vor Schmerzen verrückt geworden war und in einem einzigen wilden Ausruf, sein ganzes Leid zum Ausdruck brachte. Thomas war viel zu geschockt, als das er das Geräusch einzuordnen vermochte. Er bezweifelte, das dass überhaupt ein menschliches Wesen konnte. Zu fremd, zu seltsam war dieser Laut gewesen. Dem Schrei folgte eine Wolke des Gestanks den er zuvor schon von den Rehen kannte. Diesmal nur stärker und viel intensiver. Noch einmal erklang der markerschütternde Schrei. Diesmal spürte er das Lenkrad unter seinen Händen vibrieren.

Dann erhoben sich plötzlich die Rücklichter des anderen Autos in die Höhe.

Keine Rücklichter, es sind Augen. Die Dunkelheit hat Augen bekommen. Leuchtend rote Augen.

Wilde Panik überfiel ihn. Etwa hatte ihn in die Irre gelockt. Er legte den Rückwärtsgang ein und trat mit aller Kraft auf das Gaspedal. Der Wagen schoss nach hinten. Es ging abwärts, dann ein Aufprall. Thomas wurde in den Sitz gedrückt und sofort wieder nach vorne geschleudert. Sein Kopf prallte gegen das Lenkrad und er verlor das Bewusstsein.

 

Er öffnete seine Augen. Was war geschehen? Sein Kopf tat weh und fühlte sich nass an. Thomas fuhr sich mit der Hand über die Stirn, konnte in der Dunkelheit aber nicht erkennen ob es sich um Blut handelte. Die Windschutzscheibe seines Wagens, war auf der Beifahrerseite von einer Astgabel durchschlagen worden. Der Ast hatte sich tief in den Sitz gebohrt. Ein monströser Schrei erklang und Thomas erinnerte sich sofort an alles was bisher geschehen war. Augen in der Dunkelheit.

Er musste gegen die Tür treten damit sie sich öffnen ließ. In der Dunkelheit sah er nicht das sich sein Auto auf einen umgestürzten Baum geschoben hatte. Er fiel aus dem Wagen und landete mit dem Gesicht voran auf dem Waldboden. Trotz heftiger Schmerzen, war Thomas innerhalb von Sekunden wieder auf den Beinen und blickte hektisch um sich. Sein Auto war etwa zehn Meter eine Böschung hinunter gerutscht und von einem umgefallenen Baum aufgehalten worden. Er hatte Glück, dass er nicht schwer verletzt war. Thomas sah den Hang hinauf. Zwar sah er keine roten Augen in der Luft schweben, spürte aber das sie noch in der Nähe waren. Er rannte in den Wald hinein. Das wenige Mondlicht, das es durch die Kronen der Tannen schaffte, war keine große Hilfe für ihn. Immer wieder stieß er mit der Schulter gegen Bäume.

Es war hinter ihm, er spürte es.

Jegliches Denken war ausgeschaltet. Der reine Selbsterhaltungstrieb hatte die Oberhand gewonnen.

Wieder stieß er schmerzhaft mit der Schulter gegen einen Baum. Herunterhängende Äste schnitten ihm ins Gesicht. All das spürte Thomas kaum. Er wollte nur so viel Distanz wie möglich zwischen sich und den roten Augen bringen.

Ein Rascheln. Es erklang ungefähr auf gleicher Höhe und schien mit ihm durch den Wald zu rennen. Vor ihm wurden die Baumreihen langsam dünner. Hatte er den Waldrand erreicht? Thomas legte noch einmal einen Gang zu. Seine Lungen brannten und die Schmerzen, die von der Wunde auf seinem Kopf herrührten, schienen mit jedem Schritt an Intensität zuzunehmen. Doch es war nicht der Waldrand. Es war einen Lichtung in die er nun hinaustrat. Der Mond tauchte das Gras in ein gespenstisches Weiß. Nun konnte er auch sehn was nun schon eine Weile neben ihm durch den Wald lief. Ein einzelnes Reh sprang in einiger Entfernung elegant durch das Gras. Thomas rannte weiterhin mit aller Kraft die noch hatte. Bald hatte er die Lichtung überquert und würde wieder in die Finsternis des Waldes eintauchen müssen. Thomas hatte nur einen kurzen Blick auf das Reh neben sich riskiert, doch jetzt da er wieder das Dunkel des Waldes musste, wollte er wissen ob es noch mit ihm lief. Es war verschunden. War es überhaupt da gewesen?

Urplötzlich stand das Reh mit leuchtend roten Augen mitten in seiner Laufbahn. Seine Glieder verkrampften und er schafften es nicht mehr rechtzeitig abzubremsen. Er stolperte über seine eigenen Beine, wurde nach vorne geworfen und landete hart auf dem Boden. Wieder umfing ihn schwärze.

 

Träumte er? Thomas sah eine Lichtung. Der Mond stand hoch am Himmel und beleuchtete eine Herde Rehe, die friedlich grasend, darauf standen. Ihr Fell, vom Mond angestrahlt, leuchtete Weiß. Dann bemerkten sie seine Anwesenheit und kamen auf ihn zugestürmt.

Thomas öffnete die Augen. Er hob den Kopf und erkannte die Lichtung ,die er bereits in seinem Traum gesehen hatte. Bist du dir sicher das es nur ein Traum war?

Unter Schmerzen richtete er sich auf. Sein Kopf brummte und sein rechtes Knie schien sich in einen Stein verwandelt zu haben. Es war noch immer tiefste Nacht und der Mond hatte sich nur ein kleines Stück weiter bewegt. Er musste weiter. Hier konnte er keine Hilfe erwarten. Erneut trat er in das Dunkel des Waldes. Rennen konnte er nicht mehr. Er humpelte und musste sich an den Stämmen der Bäume abstützen um nicht ein weiteres Mal zu stürzen. Der Wald wurde bald wieder dichter und Thomas verlor die Hoffnung noch in dieser Nacht das Dorf zu erreichen. Immer vorausgesetzt er lief überhaupt in die richtige Richtung. Er hatte einen Stock vom Waldboden aufgehoben und benutze diesen nun als Stütze.

Nebel war aufgezogen, er hing tief zwischen den Bäumen und bedeckte den Waldboden. Thomas sah nun wieder vereinzelt Rehe zwischen den Tannen umher springen, konnte ihnen mit den Augen jedoch nie lange folgen. Zu schnell waren sie wieder zwischen den Bäumen in der Dunkelheit verschwunden. Er bemerkte jedoch, das sie immer ein kleines Stückchen näher heran kamen.

Und es wurden mehr.

Einige Meter vor ihm, war ein Baum umgefallen.

Ein Stein reflektierte das Mondlicht und zog den Blick von Thomas auf sich. Als er näher kam, erkannte Thomas das ihm ein Irrtum unterlaufen war.

Es war kein Stein, sondern der Hinterkopf eines Totenschädels.

Das Skeletts war bereits von einer dünnen Moosschicht überwuchert, doch der größte Teil der Knochen fehlte. Wahrscheinlich hatte ein Fuchs oder ein Marder sie gestohlen um darauf herumzukauen. War das der Besitzer eines der verrosteten Autos, die er im Wald gesehen hatte?

Das brechen eines Zweiges ließ ihn herumfahren. Ein einzelnes Reh stand hinter ihm.

Dieses Reh unterschied sich jedoch von denen, die er bereits im Wald begegnet war. Es sah eindeutig wilder und gefährlicher aus, als die anderen. Sein Fell war struppiger und weniger gepflegt. In seinen Augen glomm ein rötlicher Schimmer.

Blitzschnell schoss es nach vorne und biss Thomas in die linke Hand. Der Biss des Tieres war unglaublich stark. Er spürte wie sich die Zähne des Rehs bis auf seine Knochen hinunter gruben. Thomas schrie auf und schlug mit dem Stock auf den Kopf des Rehs. Sein Schlag war hart und präzise, doch das Tier wollte nicht loslassen. Er schlug ein zweites mal zu, doch noch immer ließ es nicht los. Thomas hatte dem Reh eine tiefe Platzwunde zugefügt, mit Sicherheit eine tödliche Verletzung. Nun fasste er seinen Stock etwas weiter unten an und rammte dem Reh die Spitze mit voller wucht in eines seiner Augen. Eine geleeartige Substanz spritze hervor. Das Reh lockerte den Biss und Thomas konnte seine Hand aus dem Maul herausziehen.

Das Reh war zurückgewichen und hatte angefangen den Kopf wild hin und her zuswerfen.

Blut und Augenmasse spritzte zu allen Seiten. Dabei gab es ein langgezogenes röcheln von sich. Dann fiel es plötzlich auf die Seite und blieb regungslos liegen. Jetzt hatte Thomas Zeit seine Hand zu betrachten. Das Reh hatte ihm den Zeigefinger bis zum ersten Gelenk abgebissen.

Der Mittelfinger war ein einziger roter Klumpen. Seltsamer Weise verspürte er kaum Schmerzen. Nur eine seltsame Traurigkeit überfiel ihn, als er auf seine verstümmelte Hand sah. Dieser eine Finger würde ihm jetzt für immer fehlen. Um die Blutung zu stillen riss er sich ein Stück aus seinem Hemd ab und wickelte es notdürftig um seine Hand.

Er musste weiter. Raus aus diesem Wald. Sie würden wieder kommen.

Er hob seinen Stock vom Boden auf und lief weiter.

Vor ihm huschten wieder einige Rehe durch den Wald. Sie schienen überall zu sein. Vielleicht sollte er versuchen auf einen Baum zu klettern und zu warten bis die Sonne aufging.

Etwas sprang ihn von der Seite an. Es prallte an seine Hüfte und warf ihn zu Boden.

Wegen seiner verletzten Hand konnte Thomas sich nicht abstützen und landete ungebremst auf seinem Brustkorb. Die Luft entwich in einem rutsch seinen Lungen. Und dann war es auf seinem Rücken. Das Reh biss ihm direkt in die Nackenmuskulatur. Er spürte wie ihm sein eigenes Blut, warm und klebrig den Rücken hinunter lief. Thomas versuchte sich aufzurichten, doch das Reh hielt ihn am Boden und verstärkte den Druck auf seine Kiefer noch ein bisschen mehr. Sein Stock war ihm aus der Hand geflogen und so versuchte er mit der unverletzten Hand, das Reh irgendwo zu fassen zu bekommen. Er konnte den Hals erreichen und krallte sich tief ins Fell des Tieres. Nun riss er seinen Arm herum. Gleichzeitig drückte er sich mit dem Ellbogen des anderen Armes von Waldboden ab. Er schaffte es das Tier von seinem Rücken zu wuchten, spürte aber wie das Reh ein Stück Fleisch mit sich riss.

Thomas wusste, dass er nicht viel Zeit hatte. Das Reh würde sich umgehend wieder auf ihn stürzen.

Sein Stock war zum Glück nicht weit gefallen, er griff nach ihm, rammte die eine Seite in den Boden und hielt das andere Ende nach oben gerichtet in die Luft.

Das alles hatte nur wenig Sekunden gedauert und sein Timing war perfekt.

Das Reh sprang in den Stock. Er bohrte sich durch die Bauchdecke und drang neben dem Rückrad wieder hinaus. Blutige Innereien spritzten Thomas ins Gesicht, als das Tier auf ihm landete.

Es kostete ihn weitere Kraft unter dem Tier hervorzurollen.

Sein Nacken blutete stark. Die Wunde, die das Reh gerissen hatte, pulsierte pochend und er spürte wie er von Minute zu Minute schwächer wurde.

Wahrscheinlich hatte er schon eine Menge an Blut verloren. Thomas benutze die letzten Reste seines Hemdes, mittlerweile nur noch ein Fetzen aus losem Stoff, um die Wunde zu verbinden. Dann versuchte er den Stock aus dem Kadaver des Rehs zu ziehen, doch er war bereits zu schwach dazu. Thomas wusste das er einen weiteren Angriff wohl nicht mehr überstehen würde.

Er musste an Sarah denken. Sie hatten sich in dem vergangenen Wochen oft gestritten. Jetzt tat ihm das alles Leid.

Nach einigen Metern ließ Thomas sich mit dem Rücken an einem Baum herab. Seinen letzten Kraftreserven waren aufgebraucht. Ein Reh sprang hinter einem Baum hervor und lief nun langsam auf Thomas zu. Ach schau an ,ein Reh. Es hatte das Maul geöffnet und zeigte ihm seine Zähne. Rasiermesserscharfe Nadeln, angeordnet in tödlichen Reihen. Das Reh schien ihn anzugrinsen.

Ein rascheln zu seiner linken. Ein weiteres Tier tauchte auf. Dahinter noch eins. Immer mehr Rehe kamen hinzu. Sie bildeten einen Kreis um Thomas. Umschlossen ihn. Er erwartete jeden Augenblick, dass sie sich auf ihn stürzten. Doch das taten sie nicht. Die Tiere in der Mitte wichen zur Seite aus. Sie bildeten eine Reihe. Ein Empfangskomitee.

Noch bevor er es sah, hörte er es. Der Schrei war endgültig. Jede Hoffnung, die vielleicht noch tief in seinem Inneren verankert war, wurde nun von einer Welle aus purer Angst und Resignation, hinfort gespült.

Jetzt konnte er sie sehen. Rote Augen umgeben von einem Schwarz, das finsterer war als die Nacht. Es kam um ihn zu holen.

Thomas schloss die Augen. Er erwartete die Nacht. Gerne hätte er noch ein letztes Mal die Sonne gesehen.

Thomas öffnete die Augen und blickte für immer in die Dunkelheit.

 

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