Journalismus & Glosse
Schon lange bin ich stumm

Schon lange bin ich stumm

Ja, schon lange hab ich nichts mehr geschrieben, keine Glosse, kein Gedicht, keinen Satz, nicht ein einziges Wort. Da liegt noch ein begonnener Roman, eine ebenso unvollendete Novelle und, schon seit vielen Jahren, ein Versepos, das einer Überarbeitung harrt.

Was macht mich so stumm? Ich beobachte doch weiterhin die Welt, die Menschen, die Politik und ihre Protagonisten. Ich sehe doch, dass Millionen verhungern, dass Milliarden in immer neue und alte Kriege fließen.

Ich höre Spendenaufrufe um Geld gegen Hunger und Elend zu sammeln. Ich lese von immensen Summen, die Kabinette bewilligen, um Kriegsführung in aller Herren Länder effektiver zu machen.

Und ich frage: Warum machen wir es nicht umgekehrt?

Ich ernte – ein Lächeln! Manchmal nachdenklich, manchmal hilflos, meist jedoch ungläubig, oft von oben herab.

Dann wiederum höre, sehe, lese ich von Jahres- und Geburtstagen. An manche erinnere ich mich auch, obwohl ich nichts von ihnen lese, sehe oder höre.

Da war der dreizehnte August, der fünfzigste Jahrestag der Errichtung der Berliner Mauer.

Beim besten Willen, man konnte nicht an ihm vorbei! Was war das für ein Trommelfeuer einseitiger Propaganda. Nichts, aber auch gar nichts, was eine Ursache auch im anderen deutschen Staat, der neunzehn fünfziger Jahre, und seiner Politik fand, dass aus Sicht des anderen nur diesen Schritt übrig ließ.

Heute sucht Deutschland gut ausgebildete Fachkräfte in aller Welt. Damals kaufte sie die BRD einfach in der DDR ein. Heute kaufen Deutsche in Polen und Tschechien billig ein. Damals fuhr man in die „Zone“, um subventionierte Waren zu kaufen, oder dort einfach billig zu wohnen. Heute bombardiert man die Industrie oder Infrastruktur eines Gegners mit weittragenden Präzisionswaffen. Damals schickte man einfach Saboteure und Brandstifter über offene Grenzen. Und schließlich standen Arbeiter, Familienväter, einfaches Volk dort, um diese Mauer zu bauen oder den Bau zu sichern, mit Waffen!

Warum haben sie diese Waffen damals nicht umgedreht?

Und noch eines dazu! Es ist geradezu unglaubwürdig, wenn der Hauptredner einer Gedenkveranstaltung in Potsdam ausgerechnet der Ehrenbürger Halles ist, der erst sein kostenfreies Studium in der von Ihm schon immer so verhassten kommunistischen Diktatur abschloss, ehe er eine Karriere im Westen machte. Genauso unglaubwürdig wie eine Pastorentochter, die sogar den höchsten akademischen Grad in der DDR ablegte, und doch schon immer gegen deren Regime kämpfte, weil sie sich sosehr unterdrückt fühlte.

Ein Mann hatte Geburtstag. Ein alter Mann. Einer, der in seinem Leben vieles gewagt, Mut bewiesen, vieles richtig aber auch vieles falsch gemacht hat. So wie viele Große, die vieles richtig machten, ebenso Fehler begingen, sogar Menschen töten ließen, oder Kriege vorbereiteten und vom Zaun brachen. Fidel Castro! Noch immer verehrt auf Kuba! Manch ein westlicher Politiker, Präsident oder Kanzler wäre froh eine solche Zustimmung im eigenen Lande zu haben. Doch diese scheinen es nicht nötig zu haben, denn sie haben ja das Votum der Demokratie. Er nur das seines Volkes!

Doch was heißt Demokratie eigentlich?

Da werden Gratulanten von der Presse, von politischen Gegnern und sogar von den eigenen Genossen zerfleischt, als gehe es den Kubanern nur wegen Fidel schlecht, und nicht auch wegen des westlichen Embargos, als wären das beste Gesundheitssystem, das beste Bildungssystem Amerikas nicht Errungenschaften der Kubanischen Revolution.

Weiß eigentlich jemand, wie demokratisch Batista war und sein Regime, das weder vom demokratischen Westen boykottiert, noch entmachtet wurde?

Fidel und seine Getreuen haben dies mit ihrem Schweiß, ihrem Blut vollbracht!

Zumindest dafür darf man doch gratulieren?

Dann ein Tag, an den ich mich selbst erinnern musste. Der erste September!

Ist es unwichtig oder gar peinlich, daran zu erinnern?

Es ist der Tag, als Deutschland den größten Krieg der Menschheitsgeschichte vom Zaune brach! Fünfzig Millionen Tote, weniger Soldaten als Zivilisten! Das Kriegsverbrechen wurde zum legitimen Mittel der Kriegsführung, auf allen Seiten.

Hat man Angst vor einer Diskussion, die aufdeckt, dass auch die westlichen Demokratien versagten, als sie deutsche Städte über Gebühr bombardierten. Will man weiter über Vertreibung, Vergewaltigung durch die Russen diskutieren, ohne die Ursachen dieser Verrohung aufdecken zu müssen, eigene Gräuel, nicht nur ausgeführt durch die SS, sondern auch durch die Wehrmacht und sogar die Neuansiedler im Osten, weiter verschweigen?

Das wäre ein Tag wirklichen Gedenkens, Erinnerns und Auswertens! Gerade in einer Zeit, wo die Deutsche Bundeswehr uns schon wieder fern der Heimat verteidigen will.

Außerdem ist dieser Tag, neunzehn neununddreißig, wohl auch Auslöser für all das gewesen, was in Deutschland von neunzehn fünfundvierzig bis neunzig geschah, getrieben von den Siegern und deren Ideologien, Spielball politischer und wirtschaftlicher Interessen.

Und das wird so bleiben, wenn wir uns nicht selbst erinnern, uns wichtige und unwichtige Jahrestage oder auch nur Geburtstage vorschreiben lassen!

Natürlich hab ich über all diese Dinge geredet, mit Menschen die interessiert waren oder schienen. Doch hab ich keine eigenen Meinungen, Wertungen oder ähnliches gehört.

Nur dieses Lächeln hab ich gesehen. Manchmal nachdenklich, manchmal hilflos, …

Warum also, soll ich darüber schreiben?

PeKa