Fantasy & Horror
Erblindendes Blut

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"Erblindendes Blut"
Veröffentlicht am 10. September 2011, 58 Seiten
Kategorie Fantasy & Horror
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Erblindendes Blut

Erblindendes Blut

Chapter 3

Erschrocken schlug Andrael die Augen auf – ein leises Surren hatte ihn aus dem Schlaf geweckt. So schnell wie möglich rollte er sich zur Seite, stoppte aber nach einem Überschlag knapp vor dem sogenannten Klingengras der goldenen Ebene. Beinahe hätte er sich selbst scharfe Schnittwunden zugefügt, indem er in das Gras hinein ausgewichen wäre. Knapp hinter ihm jagte ein Pfeil schräg in den trockenen Boden der Straße und wackelte noch kurz durch den Aufschlag.

„Puh...“, machte Andrael und richtete seinen Blick gen Himmel. „Ich wusste ja, sie finden mich.“

Zwei übergroße Adler kreisten in der Luft über ihm, auf ihnen saß jeweils ein Leonide – menschenähnliche Löwen – in einem Sattel. Einer von beiden Stand in seinem Sattel, den Langbogen auf Ansatz haltend und feuerte gerade einen weiteren Pfeil auf Andrael. Das dürfte ein jüngerer Schütze sein. Normalerweise treffen sie solche Schüsse, auch wenn sie länger zum erneuten Anlegen brauchen.

In gewohnter Manier rollte sich Andrael wieder davon, diesmal aber weg vom Straßenrand und richtete sich nach ein paar Überschlägen auf. Der Pfeil schlug dort ein, wo er gerade eben noch am Boden gekauert hatte. Wieder blickte der Mensch nach oben, zu seinen zwei ungewollten Gegnern hinauf. Der zweite Reiter bedeutete dem Schützen, etwas weiter nach unten zu fliegen – er war scheinbar der Lehrer des Bogenschützen. Ein kurzer Zug an den Zügeln der Vögel und sie ließen sich etwas weiter nach unten gleiten und zogen dort ihre Kreise über dem Boden.

Wieder flog ein Pfeil auf Andrael zu, dem er nur mit einem knappen Sprung zur Seite ausweichen konnte. Gekonnt rollte er sich ab und stand wieder auf. „Dämliche Pfeile. Von hier kann ich ja nichts dagegen ausrichten!“, grummelte er und blickte nach oben. Blitzschnell zog er seine Jitte aus dem Gürtel ritzte eine winzige Rune in die Haut seines rechten Unterarms. Daraufhin vollzog er eine schnelle Geste mit der Jitte in der Luft, ein wenig Blut spritzte von der Waffe auf den Boden. Andrael ließ ein leicht schmerzverzerrtes Lächeln sehen und blickte wieder zu den zwei Leoniden.

Schon war der nächste Pfeil im Anflug, doch diesmal rührte sich der Mensch keinen Schritt vom Fleck. Die Leoniden zeigten etwas Verwunderung, bedeuteten das aber wohl eher als Geste ihres Feindes, dass er sterben wolle. Doch der Pfeil blieb etwa eine Armlänge vor Andrael in der Luft stecken und rührte sich kein bisschen mehr. Langsam wie ein aufziehender Nebel erschien eine dünne Wand aus pechschwarzen Dornenranken um den Menschen herum. Blut tropfte von einigen der Stacheln zu Boden. Langsam färbte sich der Boden rund um Andrael herum rot. Noch ein weiterer Pfeil blieb in der Rankenmauer stecken.

„Also so schafft ihr das sicher nicht!“, rief der Mensch zu seinen zwei Widersachern hinauf, rührte sich aber kein Stück von der Stelle – das wäre ihm auch nicht gelungen, da ihn die Ranken einkreisten, um einen Schutz gegen alle Seiten darzustellen. Einer der beiden Leoniden ließ ein verärgertes Brüllen zu hören.

Plötzlich schoss etwas langes durch die Ranken hindurch und versenkte sich in der rechten Brust des Menschen. Andrael stolperte einen Schritt zurück, die Rankenwand zerfiel zu schwarzem Staub. Das Ende eines Speers ragte aus seiner Brust hervor, die Spitze steckte hinter ihm im Boden. Er konnte sich nur mit Mühe auf den Beinen halten, um nicht zurück zu sinken.

„Bei den Göttern... Warum habe ich ihre Ausrüstung nicht besser studiert...“, stammelte Andrael und fasste sich mit der rechten Hand an die Wunde, spürte den warmen Lebenssaft, der langsam aus der Wunde heraus rann. Mit zitternder Hand riss er seine schwarze Lederjacke auf, um seine Brust etwas freizulegen. Danach zeichnete er mit blutigen Fingern rund um die Wunde herum ein kunstvolles Muster. Langsam ging er in die Knie und sank dabei etwas nach hinten, da er noch vom Speer am Boden gehalten wurde. Mit aller Kraft zog er die Waffe aus dem Boden und vorsichtig aus seinem Körper heraus. Hustend spuckte er Blut auf den Boden und ließ den Speer fallen. Ein stechender Schmerz durchfuhr Andrael, der selbst die Schmerzen der Wunde übertönte. Die offene Wunde schloss sich mit einer schwarzen, dünnen Schicht auf beiden Seiten des Oberkörpers, damit kein Blut mehr verloren ging. Danach kippte er zur Seite um. Wenigstens rettet mich meine Magie vor dem Tod. Außer die beiden bringen mich jetzt um.

Andraels Augen verloren schlagartig ihren Glanz und wurden langsam trübe, was ihn schlechter sehen ließ. Schemenhaft senkten sich vor ihm die zwei Vögel zu Boden und landeten schließlich. Erschöpft schloss Andrael seine Augen, er hielt es nicht aus mit diesen Schmerzen auch noch so schlecht zu sehen. Er konzentrierte seine letzte Kraft auf sein Gehör, um wenigstens so wahrzunehmen, was um ihn herum passierte.

Ein kurzes Kreischen von einem der beiden Vögel klang schrill durch die Luft. Die beiden Leoniden sprangen nacheinander aus ihren Satteln zu Boden, was Andrael an den beiden dumpfen Aufschlägen erkannte. Langsame, aber schwere Schritte kamen auf ihn zu. Einer der beiden drehte ihn von der Seite auf den Rücken und schien ihn kurz zu betrachten.

„Er lebt noch.“, stellte der Leonid in seiner Nähe fest.

„Natürlich. Er ist ein Magier, die sterben nicht so schnell. Sieht mir allerdings nicht weiter feindselig aus, sicher kein Spion.“, antwortete eine rauere, dunkle Stimme etwas weiter weg. Das war sicher die Stimme des älteren Leoniden.

„Meinst du? Dann sollten wir ihn wohl mitnehmen.“

„Korrekt. Wir nehmen ihn mit, Landria wird ihn versorgen. Dann sehen wir weiter“

Andrael wurde an der Hüfte mit kräftigen Pranken gepackt und in die Luft gehievt. Nach der Atmung des Löwenmenschen zu urteilen hatte er keine Probleme, ihn hochzuheben. Flügelschläge erklangen und der Wind zerrte heftiger an Andraels Kleidung – sie stiegen in den Himmel auf und flogen wohl in die Stadt der Leoniden. Die dünne Luft und die Schmerzen in der Brust überwältigten den Menschen und er fiel in Ohnmacht.

 

Aus seinem Schlaf geweckt, blinzelte Andrael vorsichtig, sich noch an das helle Licht gewöhnend. Als er sich aufsetzen wollte, wurde er sanft an den Schultern zurück gedrückt. „Nicht bewegen, bitte. Du gefährdest sonst die Heilung“, wisperte ihm eine sanfte, weibliche Stimme ins Ohr.

Finger strichen vorsichtig über die Wunde an der Brust und fuhren die Ränder der schwarzen Ersatzhaut nach. Die weichen Finger blieben kurz ruhen und schienen die Kontakt mit der Haut aufnehmen zu wollen. Danach fuhren sie das Muster aus Blut nach. „Es ist keine sonderlich gute Idee, eine Wunde so zu verschließen.“

„Aber …“

„Kein Aber.“, unterbrach die Stimme ihn, “Wenn du dich retten willst, solltest du es anders versuchen. Die beiden Wächter haben mir erzählt, was du vermagst. Ich kenne mich nicht sonderlich gut mit der Art von Magie aus, aber ich bin mir sicher, es gibt andere Wege.“ Andrael konnte die Sprecherin nicht genau sehen, da ihn das Licht blendete, das von der Decke auf ihn herab strahlte. Er konnte nur die Schemen der Leonidin ausmachen.

„Es... Gibt garantiert andere Wege. Ich bin nur nicht so... Sehr damit bewandert, wie andere meinen würden.“, murmelte Andrael und musste immer wieder Atempausen einlegen, da der Speerwurf seine Lunge beschädigt hatte. Ein kurzes Röcheln und er musste Blut spucken. Da geht er dahin, der wertvolle Lebenssaft.

„Ich verstehe. Aber was macht jemand wie du so fern der Heimat?“, fragte die Löwin nach und strich wieder vorsichtig über seinen Oberkörper. Die Finger glühten förmlich und schienen ein eigenes, helles Licht abzugeben. Andraels Körper wurde mit wohliger Wärme durchzogen, die Schmerzen schwanden langsam und machten einem angenehmen Gefühl der Geborgenheit Platz.

„Ein... Auftrag. Die... Göttliche Esse, die Waffen...“, mehr brachte Andrael nicht heraus, bevor er wieder ins Husten kam und kein Wort mehr mit der Zunge formen konnte. Es wirkte, als würde ihm langsam die Luft ausgehen.

„Göttliche Esse. Das klingt stark nach einer Legende.“

„Ist es. Trotzdem... Muss ich die legendären Waffen finden, damit das Böse nicht die Oberhand gewinnt!“

„Du klingst überzeugt. Ich muss dich warnen, du wirst jetzt für ein paar Sekunden tot sein, damit ich deine Lunge wieder besser in Stande bringen kann.“, flüsterte die Leonidin und legte ihm eine Hand auf die Wunde. Die wohlige Wärme und das Gefühl der Geborgenheit wichen mit einem Schlag, die Wärme wurde zu unerträglicher Hitze, die im ganzen Körper strahlte. Das Gefühl wich Schmerzen, schlimmen Erinnerungen. Andrael konnte spüren, wie sein Herz mit einem Mal aufhörte zu schlagen. Sein Augenlicht schwand und zurück blieb nur ein greller Lichtpunkt in der Mitte seines Sichtfeldes. Der Körper fühlte sich schwach, leblos an. Die Hitze wallte in immer wiederkehrenden Wellen hindurch, trieben den Schmerz dazu an, stärker zu werden.

Ein eiskalter Stich fuhr durch Andraels Kopf, alles war vorbei, die Hitze abgekühlt, der Schmerz überwunden. Das Gefühl der Geborgenheit breitete sich wieder aus, er fühlte sich wie daheim. Langsam fing das Herz wieder an zu pumpen, das Sichtfeld normalisierte sich wieder, die Augen gewöhnten sich langsam wieder an das Licht. Die Finger der Leonidin strichen wieder vorsichtig über die Brust des Mannes. „Tut mir Leid“, murmelte sie in einem leicht wehleidigen Ton. Sie sprach ein paar Worte in der eigenen Sprache ihres Volkes und ließ von Andrael ab. Das Licht im Raum wurde etwas abgeschwächt, sodass er wieder etwas mehr erkennen konnte.

Vorsichtig setzte sich Andrael auf und blickte sich erst einmal neugierig um. Er befand sich in einem kleinen Raum mit hoher Decke, an der vier grelle Lichtpunkte in einem Kreis zu tanzen schienen. Fasziniert beobachtete der Mann die Punkte.

„Ich bin übrigens Landria. Freut mich, dich kennen zu lernen“, riss die Stimme der Leonidin Andrael aus seiner Faszination. Er blickte neben sich, wo die Löwin stand. Sie hatte eine zierliche Gestalt, war deutlich kleiner als die Krieger, die er zuvor gesehen hatte. Eine einfache, weiße Robe, die an der Hüfte mit ein paar goldenen Schnüren zusammengebunden war, genügte als Bekleidung. Ihr goldgelbes Fell schien bestens gepflegt zu sein. Landria deutete eine kurze Verbeugung an.

Andrael nickte ihr kurz zu: „Andrael mein Name. Danke für die Hilfe, Allerwerteste.“

„Es ist meine Berufung, anderen zu helfen, die in Not sind. Wir lassen nur unsere wahren Feinde sterben, den anderen bieten wir eine sichere Heimat“, antwortete Landria und verbeugte sich nochmals kurz. „Alle äußerlichen Wunden sind verheilt, nur deine Lunge wird noch einige Zeit in Anspruch nehmen, um vollkommen zu heilen. Das kann ich weder beeinflussen, noch beschleunigen. Aber es wird nicht mehr allzu lange dauern, bis du wieder deine Reise fortsetzen kannst.“, während die Leonidin redete, machte sie sich an einem kleinen Pult hinter sich zu schaffen, kramte in ein paar Laden, bis sie eine Schriftrolle in Händen hielt. Das Papier schien alt und nahe dem Zerfall zu sein. Vorsichtig blies Landria den Staub von dem Schriftstück und hüllte die Luft vor sich in eine Staubwolke. Langsam entrollte sie die Rolle und überflog den Text sorgfältig, Zeile für Zeile.

Die Zeit nutzte Andrael, um sich selbst kurz zu begutachten. Er tastete an die Stelle, wo der Speer seine Brust durchbohrt hatte. Nichts, keine Narbe, kein getrocknetes Blut, rein gar nichts. Als hätte er nie eine Verletzung erlitten. Der Magier nickte kurz zufrieden und sah sich nochmals um. Er saß auf einem steinernen Sockel inmitten des Raumes. Durch die dunkelblau getönten Fensterscheiben fiel dunkel das Licht ein, wirkte aber nicht als Lichtquelle.

„Du bist also einer derjenigen, die aus dem Wald lebend und in... Sagen wir normalem Zustand heraus kamen? Normalerweise kommen die Reisenden nicht lebend oder komplett verrückt zurück, die sich dort hinein wagen.“

„Ich bin nie hinein gegangen...“, murmelte Andrael zur Antwort und wendete seine Aufmerksamkeit wieder der Heilerin zu. Die Löwin legte ihren Kopf leicht schief um ihre Verwunderung zur Schau zu stellen. Sie stemmte eine Hand in die Hüfte und seufzte.

„Dann stimmt es also. Du bist tatsächlich auf der Suche nach den Waffen, die aus der goldenen Esse geschmiedet wurden. Ich habe hier ein Schriftstück, das dir den Weg zu deinem ersten Ziel zeigen wird.“, sie hielt die Schriftrolle hoch und ließ ein kurzes Grinsen blicken. „Trotzdem werde ich dich noch nicht ziehen lassen, deine Lunge würde einen derartigen Weg nicht schaffen.“

„Also werde ich auch noch gleich bemuttert?“

Die Löwin lachte kurz auf, schüttelte dann aber kurz den Kopf. „Nein, das nicht. Du wirst dich hier wohlfühlen. Außerdem wird unser König dich sehen wollen, er wollte denjenigen kennenlernen, der die Zukunft des Landes in Händen hält. Er wartet schon lange auf diesen Zeitpunkt“, erklärte Landria und setzte sich in einen Sessel aus geflochtenem Stroh, der neben dem Pult stand. Der Stuhl knarrte leise unter dem Gewicht.

Andrael nickte kurz. Er wusste eines über Leoniden ganz sicher: Sie konnten sich überall wohl fühlen, überall eine neue Heimat erbauen. Egal, wie lange er hierbleiben musste, er würde sich so wohlfühlen, als wäre er in der eigenen Heimat.

„Jetzt ruh dich ein wenig aus, morgen werde ich dich in den Palast geleiten.“, meinte Landria in einem leicht befehlenden Tonfall und warf ihm eine Decke aus weichem Stoff zu. Andrael seufzte kurz, nickte und breitete die Decke auf dem Stein unter sich aus, um halbwegs weich zu liegen. Danach legte er sich auf den Rücken und starrte hinauf zu den tanzenden Lichtpunkten. Nach kurzer Zeit übermannten ihn die Strapazen der Verletzung und der darauf folgenden Heilung.

 

Andrael wanderte im Traum eine Allee aus blühenden Kirschbäumen entlang, die weiche Wiese unter seinen nackten Füßen spürend. Die laue Brise strich ihm durch die Haare und brachte ihm den süßlichen Duft verschiedenster Blüten, die abseits des Weges ihre Blütezeit hatten. Vereinzelte Kirschblütenblätter wehten im Wind durch die Luft. Die Sonne ging am fernen Horizont unter und hüllte die komplette Atmosphäre in orange-rotes Licht. Der Anblick war atemberaubend. Andrael lächelte verträumt und verliebte sich insgeheim in die malerische Landschaft.

Plötzlich färbte sich die Sonne schwarz, umrandet von einem dunkelroten Schimmer. Mit einem Schlag verloren die Bäume ihre Blätter, die Äste neigten sich träge Richtung Boden. Die Blumen verdorrten, verloren jegliche Farben. Das Gras färbte sich zu einem fahlen Grau und zerfiel an manchen Stellen zu Staub. Es wurde windstill, der Himmel verfärbte sich in ein dunkles Grau, ab und zu hörte man ein Donnern.

„Verschwinde...“

„Nimm deine Erinnerungen mit ins Grab...“

„Sieh den Toten in die Augen und stürze dich in den Tod...“

„Du bist hier nicht erwünscht...“

Stimmen wisperten aus verschiedenen Richtungen zu Andrael, der nun am ganzen Leib zitterte. Seine Augen wurden wieder trüb, alles war nur mehr leicht verschwommen zu erkennen. Ein dunkler Schatten mit grellroten Augen erhob sich aus der schwarzen Sonne und schritt langsam auf den erstarrten Menschen zu.

„Lasse von deinem Vorhaben ab, kleiner Mensch. Du wirst scheitern, dein Leben wird in tausend Splitter zerbrechen und vergehen. Und niemand wird sich an dich erinnern.“, die Stimme der Gestalt hallte durch Andraels Kopf, hämmerte sich in seine Gedanken und ließen seinen Atem stocken. „Das Grauen, das dir bevorsteht, wirst du nicht überstehen. Lass es bleiben, lebe dein Leben, solange du noch die Möglichkeit dafür hast!“

Andrael ging in die Knie und hielt sich verkrampft den Kopf. Blut rann aus seinen Augenwinkeln, bahnte sich einen Weg zum Kinn und tropfte dort zu Boden. Das Geräusch der aufkommenden Tropfen hallte in einer unheimlichen Lautstärke zu Andraels Ohren. Das Blut schimmerte grell in seinen Augen, beinahe schon schmerzhaft war der Anblick des roten Lebenssaftes.

„Verschwinde...“

„Lass uns in Frieden...“

Wieder wisperten verschiedene Stimmen zu Andrael. Ihm wurde schwarz vor Augen. Selbst im Traum wurde er ohnmächtig.

Chapter 4

„Ich hoffe, das wird eine ruhige Nacht. Keine Lust, wieder einen Streit zu schlichten und Betrunkene zu beruhigen...“

„Das Schicksal einer Nachtwache....“, murmelte Keisas und brachte damit seinen Kollegen zum Lachen. Die beiden saßen zusammen an einem Tisch in der Kaserne und trunken Wasser aus ihren Bierkrügen. Alkohol war so kurz vor ihrem Schichtbeginn absolut verboten, war aber sowieso nicht im Sinne der beiden Krieger. Sie beide hielten nicht viel von Alkohol, obwohl viele der Wachen sich gerne einen hinter die Binde hoben.

Ein dunkler Gong hallte durch die Halle. Keisas stand auf, nickte seinem Gegenüber kurz zu und marschierte auf den Ausgang zu. Sein Partner folgte ihm in ein paar Schritt Abstand. Die beiden Leoniden packten im Vorbeigehen ihre Ausrüstung von einem Tisch und legten die leichte Lederrüstung an, schnallten sich den Waffengürtel um und setzten den eisernen Helm auf. Danach ging es durch die Tür hinaus in die kühle Nachtluft.

Keisas blickte leicht verträumt zu den Sternen empor, die über ihnen funkelten und richtete geistesabwesend seinen Gürtel zurecht. Mit einem Finger tippte er sich an die Vorderseite seines Helmes und marschierte los. Das wird garantiert eine angenehme Nacht.

„Schöne Nacht, muss ich wirklich zugeben. Was meinst du, Keisas?“

„Muss ich dir Recht geben, mein Lieber Harsas. Eine schöne Nacht.“, antwortete der Angesprochene und sog die kühle Nachtluft durch die Nase ein. Langsam schritten die beiden Krieger nebeneinander über den kühlen Steinboden, bei jedem zweiten Schritt tönte das leise Klacken des Speeres beim Aufsetzen durch die Gassen. Laternen beleuchteten in regelmäßigem Abstand die Straßen der Stadt. Das leicht rötliche Farbe des Lichtes wandelte die nächtliche Streife in einen romantischen Spaziergang, der Sternenhimmel tat sein übriges.

„Um ganz ehrlich zu sein, ich wäre gerade lieber mit meiner Frau hier, anstatt mit dir, Harsas.“, meinte Keisas und grinste seinen Kollegen an. Dieser boxte ihn freundschaftlich gegen die Schulter und lachte los. Das Klacken der Speere wurde unregelmäßiger, dafür erfüllte das Gelächter der beiden die Luft.

Auf einmal schlug ein Schrei die freundschaftliche Atmosphäre in Scherben, die zwei Wachen blickten sich erschrocken um. Ihre Ohren drehten sich in die Richtung, aus der der Schrei kam und sie rannten so schnell es ging los. Leichtfüßig durchquerten sie ein paar Gassen, bis sie vor einer kauernden Gestalt zum Stillstand kamen.

„Alles in Ordnung?“, fragte Keisas vorsichtig.

Die Nackenhaare der jungen Leonidin stellte sich abrupt auf und sie ließ ein kurzes Fauchen hören, hielt das Gesicht aber weiterhin in den Händen ruhen. „Nein, nein. Gar nichts ist in Ordnung!“, wimmerte sie. Tränen rannen zwischen den Fingern hinab und tropften dann zu Boden. Erst auf den zweiten Blick erkannte Keisas, dass es keine normalen Tränen waren. Es war Blut, das auf den gepflasterten Boden tropfte und dort eine kleine Pfütze bildete.

„Ach du...“, murmelte Keisas und blickte fassungslos zu ihr hinab. Er wusste nicht, was er tun sollte und erstarrte in seiner Haltung, blickte entsetzt auf die Leonidin. „Wer... Wer war das?“, fragte er vorsichtig nach.

Die Frau ließ die Hände sinken und blickte in seine Richtung. Mit zwei genauen Stichen waren die beiden Augäpfel verletzt worden, sie würde wohl nie wieder sehen können. Das Blut rann ihre Wangen hinab. Das wohl einst sehr hübsche Gesicht war für Keisas für immer entstellt. Mit geschlossenen Augen schickte er ein leises Gebet für die Leonidin zu den Göttern.

„Ein... Ein Mann... Er sah aus wie ein Mensch, war aber keiner... Ich weiß nicht mehr genau...“, stammelte die Leonidin und fasste sich vorsichtig auf die Augen. Harsas riss derweilen einen Streifen von seinem Hemd ab, um ihr die Augen zu verbinden. Nur widerwillig ließ sich die Löwin von ihm helfen.

„Er kann noch nicht weit sein. Lass uns sofort gehen, Harsas! Wir müssen diesen Durchgeknallten stellen, bevor er hier noch länger sein Unwesen treibt!“, bemerkte Keisas harsch und sah sich augenblicklich um. Seine Ohren zuckten kurz, als sie einen vorsichtigen Schritt in einer Nebengasse hörten. „Da lang!“, brüllte er und rannte los. Im Rennen zog er sein Kurzschwert und ließ den Schwertarm gelassen hängen, während er mit der freien Hand seinen Lauf besser ausbalancierte.

Eine Gestalt huschte aus einem Schatten hervor und rannte so gut es ging vor Keisas weg. Jedoch schien sie nicht besonders schnell laufen können, stolperte immer wieder und schien leicht zu hinken. Für den Leoniden war es ein leichtes, die Gestalt einzuholen. Mit der freien Hand packte er den Mann an der Schulter und riss ihn herum, wodurch der Mantel an der Stelle abriss. Sein Schwertarm holte im selben Moment aus und versetzte seinem Gegenüber einen Schwerthieb, der genug Kraft inne hatte, um sämtliche Knochen zu durchtrennen.

Etwas blitzte kurz auf und Metall traf auf Metall. Der Mann hatte sich umgedreht und parierte den Schwerthieb seinerseits mit einem Kurzschwert. Funken stoben auf, als die beiden erneut die Waffen aneinander prallen ließen. Erst jetzt erkannte Keisas, dass sein Gegner haargenau dieselbe Waffe trug, wie er auch. Woher hat er die Waffe eines Wächters?

Ein weiterer Hieb mit dem Schwert und der großgewachsene Mann musste nach hinten ausweichen. Mit einem Ruck riss er sich den Mantel vom Leib, ohne sich großartig zu bewegen. Darunter trug er nur eine Hose, der Oberkörper war bis auf zwei diagonal geschnallte Gürtel frei. Unzählige, blutrote Narben zierten den Oberkörper und die Arme auf bizarre Art und Weise. Sie bildeten seltsame Muster, als wären sie mit Absicht so angeordnet worden.

Mit dunkler Stimme redete der Unbekannte auf den Nachtwächter ein, schien aber nicht auf viel Verständnis zu stoßen, da der Leonide ihn nicht im Geringsten verstand. Nach einem kurzem Lachen wechselte er in die hiesige Sprache: „Darf ich mich vorstellen? Ich bin Hierum, der Hinkende. Ich werde deinen Untergang und damit dein Leben besiegeln!“

Leicht verärgert sah Keisas den Mann an, seine freie Hand ballte sich zur Faust. Mit einem Brüllen, das kein anderes Tier derartig von sich geben konnte, stürmte der Leonide auf seinen Gegenüber zu und schlug mit dem Schwert immer und immer wieder zu. Hierum parierte jeden der Schläge gekonnt, wich dabei aber jedes Mal ein Stück weiter zurück. Bei jedem Schritt setzte Keisas wieder nach, um seinem Gegner keine Pause zu gönnen. Wenn er wollte, konnte er lange so weiter machen, seine Ausdauer war bei Weitem größer als die des Menschen.

Irgendwann stieß Hierum mit dem Rücken gegen eine Häuserwand und schien keinen Ausweg zu wissen. Trotzdem begann er zu grinsen, was kurzerhand in ein grauenvolles Lachen umkippte. Die roten Linien auf seinem Körper – es waren keine Narben, wie Keisas auf die Entfernung feststellen musste – begannen sich langsam zu bewegen. Dicke und dünne Linien, spitze oder runde Enden, sie bündelten sich langsam zu zwei dicken Strängen. Die Stränge schlängelten sich die Arme hinab, bis zu den Händen.

Mit einem kraftvollen Hieb stieß der Mann den Löwen von sich weg und ließ sein Schwert zu Boden fallen. Klirrend landete das Metall auf dem harten Stein. Hierum stolperte einen Schritt nach vorne und streckte beide Hände nach vorne, auf Keisas gerichtet. Der Löwe blickte ihn verwirrt an, konnte sich aber nicht weiter bewegen. Langsam züngelten die roten Linien auf Hierums Körper zu den Fingerspitzen, wo sie dann austraten. Wie vorsichtige Fühler schienen sich die Linien durch die Luft zu tasten, bis sie bei ihrem Opfer waren. Blitzschnell stachen zwei der Spitzen in Keisas Augen und ließen ihn erblinden. Der Rest schlängelte sich auf dem Körper hin zum Herzen, wo sie dann mit lautem Krachen durch den Brustkorb stießen und das Herz durchbohrten. Mit einem Mal verblassten die Linien in der Luft und der Leonide kippte nach hinten um, landete auf dem harten Boden in einer Lache aus seinem eigenen Blut.

„Keine Angst, ich werde nicht mehr viele Opfer deine Volkes opfern müssen...“, murmelte die Stimme Hierums leise, bevor der Leonide endgültig ins Reich der Toten überging.

 

 

*

 

 

„Was... Was ist denn... Was ist denn hier geschehen?“, stammelte Harsas, als er zusammen mit der blinden Leonidin auf dem Schauplatz des Kampfes ankam. Vor ihm zeichnete sich ein Blutbad sondergleichen ab, so etwas hatte er noch nie in seinem Leben gesehen. Die Sackgasse, in der sie sich befanden, schien wie von einem verrückten Maler rot angemalt worden zu sein. An allen Wänden klebte Blut, teils durch vereinzelte Spritzer, teils waren ganze Wände rot gefärbt. Bizarre Muster in allen nur erdenklichen Formen bildeten sich am Boden durch das Blut. In der Mitte des Platzes lag ein verstümmelter Leonid, der unzählige Schnitt- und Stichwunden hatte. Seine Augen schienen genauso zerstochen worden zu sein, wie die der Löwin hinter Harsas.

Der Wächter hörte, wie diese sich hinter ihm erbrach – es stank bestialisch, obwohl die Verwesung noch nicht einmal begonnen haben konnte. Rund um Keisas Leichnam herum waren rote Kreise auf dem Boden gezeichnet worden, die von zackigen Linien verbunden wurden. Fremde Schriftzeichen prangten an manchen der Hauswände.

„Das Volk der Ton-Tietra ist gekommen, um sich zu rächen. 'Die von Dämonen besessenen' werden wir von euch genannt, wurden ausgebeutet und niedergemetzelt. Doch jetzt ist die Zeit gekommen, sich zu rächen.“, sprach eine laute, schrille Stimme und hallte von den Wänden wieder, was ein unheimliches Echo erzeugte. Ein paar Blutstropfen rieselten vom Himmel herab und färbten die beiden Leoniden leicht rötlich.

„Ich muss... Das... Den anderen berichten...“, murmelte Harsas.

Chapter 1

Wo genau bin ich hier? Andrael wanderte einen staubigen Weg entlang und blickte sich immer wieder flüchtig um. Seine linke Hand ruhte auf dem Griff seiner Jitte, was ihn deutlich beruhigte. Die dunkelbraunen Augen wurden immer wieder alle paar Momente trübe und wandelten sich nur Sekunden später wieder zum normalen um. In diesen kurzen Phasen wurde Andraels Sicht deutlich gemindert – einer der „Flüche“, die auf ihm lagen. Rund um ihn herum standen in gleichmäßiger Abfolge dürre Arkanienbäume – dürre Stämme und Äste, aber ungeheuerlich viel Blattwerk thronte in der Baumkrone. Das Gras abseits des Weges wuchs etwa auf Knielänge hinauf, schien aber relativ ausgetrocknet zu sein. Sicherlich kein gutes Viehfutter.

Als Andrael weiter seine Umgebung im Gehen auskundschaftete, hörte er plötzlich einen schweren Schritt vor sich auf dem staubigen Boden. Ein kurzes Sirren in der Luft sagte ihm, dass eine Klinge auf ihn zuraste. Blitzschnell duckte er sich unter dem Axthieb hinweg, vollführte eine Rolle zur Seite und zog im Aufrichten seine Jitte. Vor ihm stand ein Ork, wie aus dem Nichts erschienen. Das Vieh grunzte ihn unfreundlich und laut an, verbreitete dabei einen bestialischen Gestank. Mit zwei weiteren Schritten verkürzte die Bestie den Abstand zwischen sich und dem Menschen und holte erneut zu einem vor Kraft strotzendem Hieb aus. Der senkrecht vollführte Angriff endete in der Mitte der zwei spitzen Enden Andraels Jitte, der mit aller Kraft dagegen halten musste, um nicht zu Boden gedrückt zu werden. Der ekelerregende Atem des Orks wurde ihm ins Gesicht gestoßen.

„Ich bin mir sicher, du kannst mit deinem Mundgeruch Feinde vertreiben!“, knurrte der Mensch seinem Gegenüber zu, trat dem Vieh gegen das linke Knie und machte einen Ausfallschritt nach hinten. Der Ork grunzte etwas in der eigenen Sprache und knickte seitwärts ein, das nun gebrochene Knie mit einer Pranke haltend. Den Schmerz ignorierend sprang er wieder auf die Beine, schwankte kurz und rannte dann doch wieder seine Axt schwingend auf Andrael zu.

„Na na, nicht so voreilig.“, murmelte Andrael und wirbelte seine Jitte zwischen den Fingern herum. Ein kurzer Schritt auf die Seite, um der Axt zu entgehen, reichte, dass der Ork aus dem Gleichgewicht kam und durch den eigenen Schwung nach vorne stolperte. Mit einer kurzen Handbewegung jagte Andrael die Spitze seiner Waffe durch den dicken Knochen direkt in die Stirn der Bestie. Der Ork verdrehte seltsam die Augen, ließ ein lautes Aufheulen hören und klappte dann tot in sich zusammen. Der Mensch musste seine Waffe loslassen, um nicht durch das Gewicht mit zu Boden gezogen zu werden.

Vorsichtig trat Andrael gegen den leblosen Körper des Orks, um sich zu vergewissern, dass er tot ist. Ein kurzes Grinsen huschte über seine Lippen. Rasch zog er die Jitte aus dem Kopf des Toten, was ein leises Schmatzgeräusch verursachte. Leicht angewidert wischte Andrael das grünliche Blut auf seiner Waffe an den Lederfetzen des toten Körpers ab, bis sie wieder glänzte. Woher kam das Vieh so schnell? Ich kann doch noch nicht so schlecht sehen, dass ich direkt vor mir eine derartig hässliche Kreatur übersehe!

Leicht misstrauisch blickte sich Andrael um, entdeckte aber weder andere Orks, noch Fußabdrücke hinter dem ersten Schritt, den er von der Kreatur gehört hatte. Verwirrt schüttelte er den Kopf und ging zu der Stelle, an der der Ork seinen ersten Schritt tat. Mit der rechten strich er vorsichtig vor sich durch den staubigen Boden, konnte aber nichts entdecken. Da kam ihm ein leises Sirren zu Ohren und er blickte auf.

Vor ihm schimmerte die Luft leicht, alles dahinter schien leicht verzerrt zu sein und vor ihm weichen zu wollen. „Was in Arkanias Namen...?“, murmelte Andrael und fasste vorsichtig in den Schleier aus flimmernder Luft vor sich. Die Luft wich vor seiner Hand zurück wie ein Vorhang im Wind. Kleine Funken stoben in alle Richtungen weg, als er durch den „Schimmervorhang“ griff und verbrannten leicht die Haut des Menschen. Erschrocken zog Andrael seine Hand zurück und hob eine Augenbraue um seine Verwirrung zu verdeutlichen. „Was ist...“, weiter kam er nicht. Ein lautes Donnern unterbrach ihn mitten im Satz.

Innerhalb von Augenblicken zog sich die komplette Umgebung mitsamt des Orks zusammen und konzentrierte sich in einer leuchtenden Kugel vor Andraels Augen. Die Kugel war etwa so groß wie seine Handfläche und wirkte zerbrechlich wie Glas. Bei genauerem Hinsehen konnte man Teile der vorigen Umgebung erkennen, ab und zu schwirrte darin der Ork vorbei, da sich die Kugel langsam drehte.

Fassungslos blickte sich Andrael um – und sah nichts. Alles war schwarz um ihn herum, ausgenommen der leicht leuchtenden Kugel vor sich. Kein Geräusch, rein gar nichts war um ihn herum. Was ist hier los?

Ein lautes Schnippen von Fingern war zu hören und hallte von unsichtbaren Wänden wieder, was die Lautstärke wieder erhöhte. Urplötzlich verschwand sowohl die Kugel, als auch die Finsternis um ihn herum und gaben graue, rau behauene Wände preis. An vereinzelten Stellen brannten Fackeln, die in metallenen, aber einfachen Halterungen saßen. Kühle Luft schlug dem Kämpfer entgegen und trieb ihm kurzfristig den Sauerstoff aus der Lunge. Andrael musste kurz husten, bevor er wieder normal atmen konnte.

Misstrauisch blickte er in die Runde. Hinter ihm stand ein Mann mit ungekämmtem, dunkelblondem Haar. Seine Kleidung schien zwar aus edlen Stoffen zu bestehen, bewies aber keineswegs Geschmack, noch gute Farbwahl. Ein hellgrünes Stirnband umgab den Kopf des Mannes, an der Stirnseite prangten verschiedene kleine Runen, die Andrael rein gar nichts sagten. Der Mantel war in ein dunkelroten Tönen gehalten, die Ärmel in einem hellen Blau. Sein schwarzer Umhang flatterte leise im Wind, der kühl durch das einzige Fenster im Raum zog.

„Gut gemacht. Ich wollte zwar noch mehr sehen, aber Tior hatte schon nach der kurzen Vorstellung Gewissheit.“, meinte der junge Blondschopf mit einem breiten Grinsen auf den Lippen. Seine Stimme war hell wie die eines Jungen vor seinem Stimmbruch. „Wir werden schon sehen, wie du dich schlägst“, die Stimme wandelte sich zu einem dunklen, kräftigen Ton, der Andrael einen Schauer über den Rücken jagte.

„Wer bist...“

„Unwichtig wer ich bin und was ich will. Tior wird dir alles erklären!“, unterbrach er ihn, wieder mit der hohen Stimme sprechend. Der entweder geschmacklose oder farbenblinde Mann bedeutete Andrael mit einer kurzen Geste, ihm zu folgen und ging durch die offene Tür hinter ihm hinaus. Durch den im Wind leicht wogenden Mantel sah es mehr so aus, als würde er über den Boden schweben.

Andrael blickte sich nochmals in dem Raum um – er konnte sich nicht daran erinnern, jemals hier gewesen zu sein. Kopfschüttelnd verließ er ebenfalls die Zelle. In der Mitte des Ganges, der sich vor ihm befand, war ein langer, dunkelroter Teppich bis zur nächsten Tür ausgebreitet. Goldene Verzierungen waren an den Rand des Stoffstückes gestickt worden und gaben ihm einen eigenen Reiz. An den dunklen Steinwänden hingen verschiedenste Portraits scheinbar verstorbener Menschen und Elben. Keine besonders gute Kunst, trotzdem hatte sich der Maler große Mühe gegeben, wie es aussah. Die Rahmen allein waren durch ihre Vergoldung garantiert viel Wert. Zwischen den Gemälden prangten wieder Fackeln, die den Gang zwar erhellten, ihn aber trotzdem in ein leicht düsteres Licht tauchte.

Langsam schritt Andrael hinter dem Mann her und prägte sich jede Einzelheit der Gemälde, als auch des Mannes vor ihm so gut es ging ein. „Was genau...“

„Du wirst es gleich erfahren.“, wieder wurde Andrael von dem seltsamen Kerl mitten im Satz unterbrochen. Dieser öffnete die schwere Holztür vor sich und gab den Weg in eine große Halle frei. In regelmäßigen Abständen stützten runde Säulen die Decke. An beiden waren wundervolle Verzierungen in den Stein gehauen worden. Wieder führte ein Teppich von der Tür weg zum anderen Ende der Halle. Fackeln saßen in eigenen verzierten Halterungen an den Säulen und Wänden und hüllten den Saal in ein flackerndes, düsteres Licht. Direkt am anderen Ende des Raumes führten ein paar Stufen hinauf zu einem großen, hölzernen Thron, auf dem ein Mensch saß.

„Aaaah, gut, da haben wir unseren besten Kandidaten!“, flog die freundliche Stimme des Mannes durch die Halle und warf leise Echos von den Wänden zurück. Er erhob sich, strich die schwarze Robe zurecht und kam den beiden Ankömmlingen entgegen. Vor Andrael und seinem Begleiter verneigte er sich kurz, wobei er sich die kleine Krone auf seinem kahlen Haupt festhielt.

„Ich bin Tior, Herrscher über dieses Gemach und das Reich Tiordan.“

„Kenn ich nicht...“, murmelte Andrael leise, aber scheinbar laut genug, um von seinem Gegenüber gehört zu werden.

„Wundert mich eigentlich nicht sonderlich. Aber das tut auch nichts zur Sache. Ich habe einen Auftrag für dich, junger Kämpfer.“, antwortete Tior in einem machthaberischen Ton und rümpfte leicht die Nase.

„Jung... Jung war ich mal!“

„Egal, im Vergleich zu mir bist du noch sehr jung.“

Leicht verwundert über diese Aussage, hob Andrael eine Augenbraue. Für ihn wirkte sein Gegenüber vielleicht ein paar Jahre älter als er, aber so wie er den Satz eben betont hatte, schien er sich für viele Jahrzehnte älter zu halten.

„Kommt zu Eurem Auftrag, Herr.“, wies ihn der Begleiter Andraels zurück auf das eigentliche Thema.

„Ahja, der Auftrag. Du, mein Lieber, wirst für mich Waffen suchen und auch finden. Sieben Stück davon sind innerhalb des uns bekannten Landes verstreut. Wo genau sie zu finden sind, das weiß selbst ich nicht. Aber ich kann dir sagen, sie bestehen allesamt aus der göttlichen Esse, falls dir das etwas sagt.“, erklärte Tior mit ausgebreiteten Armen, um seine kurze Rede zu beschwichtigen.

„Die göttliche Esse? DIE göttliche Esse? Ich dachte, das sei nur eine Legende.“, fragte Andrael erstaunt nach. Früher wurde ihm die Geschichte um die göttliche Esse immer wieder als Kind vorgetragen. Es handelte sich um die Esse des Schmiede- und Kriegsgottes Nia-Kaan. Einst, vor unzähligen von Jahren, schmiedete er daraus Waffen, um sie den Völkern von Sanktourum, dem geheiligten Land, zu geben. Sie sollten sich damit gegen die Übermacht des Bösen wehren, um das Land zu schützen. Die sieben Helden führten eine verbündete Armee gegen das Böse und alle anderen Übel an und gewannen den Krieg mit Hilfe der Götter.

„Ja, genau diese. Ich benötige die sieben Waffen – beziehungsweise benötigen wir sie alle wohl bald. Ein Krieg steht unserem Land bevor, das Böse ist wieder dabei, aufzumarschieren. Du hast bestimmt schon von verschiedensten Angriffen auf größere Städte gehört, die in letzter Zeit vorgefallen waren. Das waren kleine Leckerbissen, die uns unsere Feinde gaben, um uns Angst vor dem Untergang zu machen.“, erklärte Tior mit einem Grinsen im Gesicht, aber todernster Stimme. So unglaublich diese kurze Geschichte auch für Andrael war, irgendetwas Wahres musste darin liegen. Keiner konnte so überzeugt von einer Lüge sein. Außerdem war seine Neugierde geweckt worden – ihn hatten die alten Legenden schon immer interessiert.

„Und was springt für mich dabei raus?“, fragte Andrael nach – auch wenn er eigentlich keinen Grund mehr brauchte, um wirklich nach den Waffen zu suchen. Ihn hielt sowieso nirgends wirklich etwas und somit hätte er ein neues Ziel vor Augen. Zudem waren derartige Legenden für ihn Gold wert.

„Hm, lass mich überlegen... Du könntest Schätze finden, aber du siehst mir nicht sehr geldgierig aus. Wahrscheinlich genügt dir, dass du die uns bekannte Welt retten kannst! Auch wenn das dann doch sehr banal klingt, da es nicht nach Gefahr riecht.“

„Wahre Worte. Aber ich schätze, das genügt mir.“, brummte Andrael und nickte Tior kurz zu. „Ich werde die Waffen finden, sollten sie existieren.“

„Das reicht. Bring ihn raus, Koro!“

Ein kräftiger Schlag auf den Hinterkopf ließen für Andrael die Lichter ausgehen und er fiel hart zu Boden.

„Mein Zauber wirkt noch so gut wie früher. Er wird es tatsächlich tun und Erfolg haben. Hoffen wir das Beste“, hörte Andrael Tior sagen, tat sich aber immer schwerer, noch etwas zu hören, bevor er endgültig der Ohnmacht verfiel.

Chapter 2

„Aufwachen!“

Ein nicht allzu fester Tritt in die Seite holte Andrael aus seinem Schlaf. Ein leises Grummeln war von ihm zu hören, bevor er noch einen Tritt in die Seite bekam und sich aufrichtete. Leicht sauer blickte er zu Koro, der neben ihm stand und gerade zum dritten Tritt ausholte.

„Ah, du bist endlich wach.“, meinte dieser und grinste ihn frech an.

„Ging es nicht eine Spur sanfter oder netter? Musstest du mich gleich treten?“, fragte Andrael, während er sich wegen dem ungewohnten Sonnenlicht blinzelnd umsah. Er saß inmitten einer Lichtung in einem Wald. Der Wind blies sanft durch das knöchelhohe Gras und brachte das Laub der Bäume zum Rascheln. Vor ihm lag ein Weg, der sich durch den dichten Wald schlängelte, aber scheinbar wirklich in dieser Lichtung begann.

„Ist viel wirkungsvoller so!“

„Ach, schon gut...“, brummte Andrael und betastete seinen Kopf. Ein Verband war ihm um den Kopf gebunden worden, um scheinbar die Platzwunde auf seinem Hinterkopf zu bedecken. Kopfschüttelnd ließ er einen tiefen Seufzer hören und stand langsam auf, den Blick ständig auf Koro gewandt. „Und der Schlag auf den Kopf musste sein?“

„Ja. So bekommst du nicht mit, wie du raus aus dem Reich meines Herrn kommst. Ist besser so, glaub mir. Die Wunde verheilt dafür auch sehr schnell, Proviant und ähnliches habe ich dir auch zusammengepackt. Dein Weg führt dich wohl erst einmal raus aus diesem Wald und von dort an einige Meilen nach Norden. Dort wirst du dann eine Stadt finden, in welcher ein Verwandter von mir lebt. Der wird dir dann ein paar Einzelheiten über dein Ziel verraten können.“, erklärte Koro, deutete erst auf einen Rucksack, der neben Andrael auf dem Boden lag, und dann auf den Weg vor ihm. Andrael nickte kurz und schulterte den Rucksack mühelos.

„Apropos wirst du auf deinem Weg ein Irrlicht des Tages treffen, ein Wegesführer, den wir dir bereitstellen. Er wird dir sicher noch ab und zu behilflich sein.“, meinte Koro und lächelte seinen Gegenüber freundlich an. Vorsichtig strich er über den feinen Mantel, der leicht im Wind wehte. „Mehr musst du noch nicht wissen. Ich hoffe allerdings, dass du eine erfolgreiche Reise haben wirst. Viel Glück noch, ich muss wieder los. Noch einiges zu tun.“, Koro nickte Andrael kurz zu, ließ seine makellos weißen Zähne bei einem breiten Grinsen aufblitzen und schnippte kurz mit den Fingern. Ein leises Sirren ging durch die Luft und der Körper des Mannes löste sich langsam wie eine Nebelwand auf, bis er endgültig von der Bildfläche verschwand.

„Seltsamer Kerl...“, murmelte Andrael und richtete den Blick auf den Weg vor ihm. Er prüfte nochmal kurz, ob er alles hatte, was er brauchte. Die Kleidung saß perfekt, sein Jitte hing im Gürtel. Alles da, passt. Also kann es ja losgehen.

Gemütlich schritt er los, den schmalen Weg zwischen den Bäumen hindurch. Ab und zu hörte er verschiedenste Vogelgesänge, die er aber nicht zuordnen konnte. Er war andere Tiere aus seiner Heimat gewohnt, diese würde er allerdings hier nicht so schnell finden. Eine leichte Brise zog zwischen den Bäumen hindurch und gewährten trotz der feuchten Hitze eine leichte Abkühlung. Die wenigen Sonnenstrahlen, die durch das Blattwerk hindurch drangen, brannten heiß auf der Haut und blendeten Andrael immer wieder aufs Neue. Hoffentlich gewöhne ich mich bald an diese Helligkeit. Hat schon große Nachteile, meine Heimat...

Während seinem Fußmarsch durch den Wald zog er seine handliche Waffe und übte mit ihr ein paar Luftübungen. Es konnte nie schaden, in der Übung zu bleiben, auch wenn man keine wirklichen Gegner vor sich hatte. Behände schwang Andrael seine Jitte durch die Luft, wehrte Angriffe seiner Phantomgegner ab und stach wiederum blitzschnell zu, vollführte Drehungen, duckte sich unter Attacken und ließ imaginäre Gegner blutend am Wegesrand hinter sich zurück. Am Ende seiner Übungen steckte er seine Waffe wieder zurück an ihren Platz in seinem Gürtel und nickte zufrieden.

Danach wanderte sein Blick auf seinen rechten Unterarm. Der Ärmel war knapp über dem Ellbogen abgerissen, um die blanke, helle Haut des Unterarmes zu zeigen. Verschiedenste Arten von Narben, tiefe, leichte, alte und neue sammelten sich dort, allesamt in Form von unterschiedlichen Runen, die für Andrael allesamt eine gewisse Bedeutung hatten. Helle, rosa Striche prangten überall auf der fast weißlichen Haut.

Irgendwann brauch ich einen neuen Arm. Oder ich muss auf einen Rechtshänder umlernen.

Der Kämpfer musste kurz grinsen und lenkte seinen Blick wieder zurück auf den Weg vor sich. Der Wald schien nicht enden zu wollen, dafür aber kam dem Menschen eine Weggabelung entgegen. Oder umgekehrt, er kam ihr entgegen, aber das spielte wohl keine Rolle. Ein hölzernes, mit Ranken überzogenes Schild stand zwischen den beiden neuen Wegen und schien wohl irgendwann einmal die richtige Richtung gedeutet zu haben. Nun aber war es so verfallen und der Rest mit Pflanzen überwuchert, dass man es nicht mehr lesen konnte.

„Na toll, das hilft mir ja sehr weiter.“, brummte Andrael zu sich selbst, als er den Wegweiser genauer betrachtete.

„Der falsche Weg bedeutet hier immer einen Gang in das Reich der Illusionen, aus dem man nicht mehr entkommt. Verworrene Phrasen, verwirrende Feinde und verdorbene Landschaften. Das wartet dort.“, war eine Stimme zu hören.

Andrael sah sich verwundert um und suchte nach dem Sprecher, konnte aber niemanden entdecken.

„Der richtige Weg hingegen führt jeden seinem Ziel entgegen, hin zu Glück, Reichtum und Liebe, hin zu Ruhm und Ehre. Liebliche Landschaften, erfreuliche Bekanntschaften, aber trotzdem prüfende Begegnungen warten.“

Die Stimme schien nun aus einer anderen Richtung in mitten des dichten Gestrüpps zu kommen, war aber trotzdem nicht genau auszumachen. Ein leichter Hall kam von den Bäumen rund um Andrael zurück.

„Ich bin hier, um dich auf deinen Weg zu geleiten. Deinem Ziel entgegen.“

Etwas huschte durchs Dickicht und kam vor Andrael auf den Weg gehüpft. Auf dem runden Kopf waren zwei große, schwarze Augen und ein gezackter Mund aufgemalt und ein spitzer Hut saß auf dem strohigen Haar. Die Jacke war aus verschiedensten Stoffen zusammengeflickt worden und wurden durch kleine Glöckchen an den Knöpfen verziert. Die Hose war in der selben Art hergestellt worden. Die Narrenschuhe hatten ebenfalls kleine, goldene Glöckchen an den Spitzen, die schon bei der kleinsten Bewegung klimperten. Andrael war verwundert, dass er sie bis eben nicht gehört hatte. Auf dem Rücken waren zwei Holzpfähle so miteinander verbunden worden, dass sie wie ein Kreuz da hingen. Die Ellbogen waren an den Enden des Querpfahles befestigt worden, sodass er die Unterarme noch bewegen konnte.

„Es freut mich, dich kennenzulernen, Wanderer!“, meinte die seltsame Gestalt zu Andrael und verzog beim Sprechen keine Miene.

„Eine... Vogelscheuche?“, murmelte Andrael leicht verwundert und hob eine Augenbraue.

„Nicht ganz. Ich bin ein Irrlicht des Tages. Nicht tot, aber auch nicht lebendig, nicht immer hilfreich, aber doch der beste Wegesführer. Ich bin Noel“, stellte sich die Vogelscheuche vor, nickte seinem Gegenüber kurz zu und zupfte sich mit den Fingern die Jacke zurecht. Bei jeder kleinen Bewegung ließen die Glöckchen ein leises Klimpern vernehmen. Irgendwie leicht unruhig hüpfte Noel im Stand von einem Bein auf das andere, als wollte er sofort in irgendeine Richtung los rennen.

„Gut, also würdest du mir freundlicherweise den richtigen Weg sagen? Bitte?“, bat Andrael das Irrlicht und blickte noch einmal kurz beide Wege entlang. Nichts deutete darauf hin, wo er lang gehen musste, also musste er wohl auf das Irrlicht vertrauen – auch wenn man normalerweise nichts Gutes von ihnen aus Legenden hörte.

„Du traust also mir, obwohl du weißt, was ich bin?“, hakte Noel nach und schwang wild mit den Unterarmen umher, als wollte er eine Biene verscheuchen. Irgendetwas störte ihn an der momentanen Umgebung, auch wenn Andrael nicht wusste, was genau es war.

„Ich muss. Außerdem wurde mir gesagt, du hilfst mir.“

„Ach, dann wurdest du von Koro geschickt? Toll! Dann führe ich dich natürlich so weit es mir möglich ist“, bemerkte Noel und ließ ein schrilles Lachen hören, das wohl weit durch den Wald zu hören war. Wie ein Pendel begann die Vogelscheuche ihre Unterarme hin und her zu schwingen. Kurz darauf erschien eine kleine Rauchwolke vor ihm und gab die Sicht auf eine kleine, metallene Laterne frei, in der eine kleine Kerze in hellblauem Licht brannte. Wachs floss den Rand der Kerze hinab zum Boden der Laterne, wo es sich dann verhärtete. Trotzdem schien sie nicht im geringsten zu schrumpfen und behielt standhaft ihre Größe bei. Noel hüpfte mehr als er ging den linken Pfad entlang und schien gar nicht darauf zu warten, dass man ihm folgte. Die Glöckchen erklangen in hohen Tönen.

Das fängt ja gut an. Ich muss einer schrägen, lebenden Vogelscheuche folgen, die sich selbst Irrlicht des Tages nennt. Solche Dinge führen einen doch normalerweise in die Irre.

Etwas trotzig folgte Andrael seinem Wegesführer und beobachtete jeden kleinen Hopser seines Vordermannes. Das Kreuz auf dem Rücken des Irrlichts wankte in regelmäßigem Takt hin und her. Erst jetzt konnte Andrael erkennen, dass ein paar ihm unbekannte Zeichen in die Holzpfähle eingeritzt waren. An Oberarmen, Ellbogen und an der Taille waren sie mit rauen Seilen am Körper befestigt. Trotzdem waren einige dicke Nägel durch das Holz – wahrscheinlich auch in den Körper – getrieben worden.

Andrael hatte ab und zu ordentlich Mühe, dem Gehopse des Irrlichts nachzukommen, wurde aber nie komplett abgehängt. Hin und wieder verfiel er in seine Tagträume, malte sich verschiedene Szenarien aus, die auf in warten konnten und machte sich Gedanken über das Geschehene und Zukünftige.

 

Nach ein paar Stunden Gehzeit rannte Andrael gegen seinen Führer und stolperte etwas zur Seite, bis er sein Gleichgewicht wieder gefunden hatte. Er war so in Gedanken versunken, dass er nicht bemerkt hatte, wie Noel vor ihm stehen geblieben war. Dieser starrte etwas abwesend nach vorne, wo sich der Wald lichtete und der Weg zu einer breiteren Straße wurde. Am Horizont färbten sich einige Wolken leicht rötlich, da sie von der untergehenden Sonne bestrahlt wurden.

„Du solltest bei nächster Gelegenheit ein Nachtlager aufschlagen. Hier in der Nacht zu reisen kann sehr ungesund enden, glaub mir. Außerdem muss ich dich jetzt verlassen – sonst wäre das sicher kein Problem gewesen.“, meinte Noel und drehte sich zu seinem Begleiter um. Das Irrlicht deutete eine Verbeugung an, da sich eine wirkliche wohl mit dem Kreuz auf dem Rücken nie richtig geglückt wäre. „Ich wünsche dir noch viel Glück auf deiner Reise. Wir werden sicher noch ein paar Mal das Vergnügen haben!“

Die Laterne verpuffte in einer weißen Rauchwolke vor dem Irrlicht. Damit hopste Noel wieder zurück ins Dickicht, ohne auch nur den geringsten Laut zu machen. Im Schatten der Bäume verschwand er schnell außer Sichtweite. Das leise Zwitschern der Vögel war wieder zu hören – jetzt erst fiel Andrael auf, dass es ausgesetzt hatte, als er auf die Vogelscheuche gestoßen war.

Seltsame Gestalt, wirklich. Die Welt hat doch sehr viel zu bieten, muss ich zugeben.

Andrael marschierte den Weg weiter, bis er auf der weiten Ebene stand. Dort sah er sich erst einmal gründlich um, gleich Ausschau nach einem guten Rastplatz haltend. Goldenes Gras wiegte leicht im Wind, ein paar dürre Bäume neigten sich zur Seite. Vor ihm breitete sich die goldene Ebene aus, eine Grasebene, die gefährlich war, auch wenn sie für das Auge des Betrachters wundervoll aussah. Raubtiere errichteten unterirdische Bauten und verbargen sich praktisch unsichtbar im kniehohen Gras. Das Gras selbst war scharf wie eine Rasierklinge und spitz wie eine Nadel. Als normaler Mensch durfte man nicht vom Weg abkommen, sonst konnte man schnell am nächsten Tag tot von der Bildfläche verschwunden sein.

„Na sehr gut, warum bin ich gerade hier. Die goldene Ebene.“, murmelte Andrael und biss sich wütend auf die Unterlippe, bis es blutete. Leicht schmatzend schmeckte er das Blut und ließ ein leichtes Lächeln sehen.

Grummelnd ging er noch einige Meter die Straße entlang, auf der vielleicht zwei Ochsenkarren nebeneinander gepasst hätten, um sich dann an den Rand hinzuhocken. Den Rucksack stellte er neben sich auf den Boden und öffnete ihn vorsichtig. Darin befanden sich ein paar Wegzehrungen wie Brot, eine Pastete und ein paar Wasserschläuche. Andrael brach sich ein kleines Stück Brot ab und kaute abwesend darauf herum.

Am besten ich lass das Feuer sein, das lockt womöglich noch Tiere an. Das wäre sicher nicht die beste Idee.

Der Mann ließ einen tiefen Seufzer hören und legte sich auf den Boden, den Rucksack als Kopfpolster nutzend. Der laue Frühlingswind strich durch die Gräser und schaffte ein wenig Abkühlung. Im Sommer wurde diese Umgebung unerträglich, das Gras reflektierte die Sonnenstrahlen und blendete jeden Reisenden, die Sonne brannte unerträglich heiß herab und der Boden kühlte nicht einmal in der tiefsten Nacht ab. Andrael war froh, dass es erst Frühling war, das bedeutete ein angenehmes Reiseklima.

Es dauerte nicht lange, bis er einschlief, die Sterne hielten über ihm am Himmel Wache.

 

 

*

 

 

„Herr, wieso glaubt ihr, gerade er sei der beste für diese Aufgabe? Die anderen Männer haben wesentlich besser gekämpft und sich als tapferer erwiesen!“

„Du hast nicht gesehen, was ich gesehen habe, Koro. Seine Augen. Diese Trübung, die manchmal in seinen Augen erscheint. Er ist einer der Gesegneten, auch wenn er es als Fluch ansieht. Er kann Dinge sehen, die nur wenige Sterbliche wahrnehmen, auch wenn er nichts davon weiß. Glaub mir, er kann wesentlich mehr, als wir von ihm gesehen haben.“, erklärte Tior, der gemütlich auf seinem Thron saß, ein Glas Rotwein in der einen Hand schwenkend.

„Wie ihr meint, Herr. Trotzdem müssen wir darauf hoffen, dass er seine Aufgabe meistert.“, murmelte Koro, der an der nächsten Säule lehnte und die Daumen drehte. Er war sichtlich gelangweilt.

„Er wird es schaffen. Er muss.“

„Ich könnte ihm behilflich...“

„Nein! Du wirst hier bleiben. Nur im Notfall darfst du eingreifen, Koro, mein Lieber!“, unterbrach ihn sein Herr in einem forschen Tonfall. Tior starrte seinen Untergebenen mit einem wütenden Blick an, entspannte sich aber schnell wieder. Genüsslich trank er einen Schluck des teuren Rotweins und begann zu lächeln. „Ich bin gespannt, wie das alles enden wird. Wir werden sicher einiges zu sehen bekommen. Dinge, die selbst wir noch nicht kennen oder einschätzen können!“

„Ich bin schon gespannt, mein Herr. Ich lerne gerne neue Dinge, was aber in letzter Zeit immer seltener wird.“

„Wir leben schon zu lange, mein Guter.“

„Wahre Worte...“

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theatralik

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theatralik Re: Toll! - Hallo,

es freut mich sehr, dass dir meine Geschichte so weit gefällt. Um genauer zu sein freut es mich sogar, dass sie überhaupt gelesen wird ;) Also gleich mal vielen Dank für die Mühe.
Ich werde die Story natürlich noch weiterschreiben, da kommt noch vieles - allerdings immer dann, wenn ich Lust, Laune und Inspiration hab :)
Andrael... Ich muss gestehen, ich weiß nicht mehr, woher ich den Namen habe, aber er hat mir selbst gefallen.

Vielen Dank und schöne Grüße
theatralik
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