Kapitel 7
Kapitel 7
Meine Arme wurden durch hell leuchtende Fäden fest an die Armlehnen des Stuhls gefesselt, während sich der Zauber mit schlangengleichen Bewegungen daran machte meine Beine ruhig zu stellen. So schnell, wie es mir meine müden Gedanken erlaubten, reagierte ich. Wütend öffnete ich mein rechtes Auge und fixierte meinen Blick auf den Fesselzauber. Allerdings waren Schmerzen das Einzige, was es mir brachte. So sehr ich mich anstrengte, so sehr ich versuchte das Schreien meiner Nerven zu verdrängen, es gelang mir nicht hinter die Struktur des Zaubers zu kommen. Noch nicht einmal seinen Rhythmus konnte ich fühlen.
„So so… Das ist also das Auge eines Sehers…“, murmelte die Frau gedankenverloren, während sie mich fasziniert betrachtet, ohne dem Zauber weitere Beachtung zu schenken. Es war mir klar, dass sie eine Weberin sein musste. Und eine mächtige noch dazu. Kein normaler Lichter war fähig solch einen Zauber zu wirken. Dafür hatten sie viel zu wenig Gefühl für die Strömungen der Magie. Aber diese Frau vermochte jene Kraft in eine Form zu bringen, die mein Auge nicht auf Anhieb durchblicken konnte. Zudem verfiel sie nicht in einen meditativen Zustand des Webens, wie es bei den meisten ihrer Art der Fall war. Stattdessen war sie sogar noch in der Lage doofe Kommentare von sich zu geben.
„Was hat das zu bedeuten?“, knurrte ich und funkelte sie hasserfüllt an. Sie kicherte und antwortete in amüsiertem Ton:
„Gefährlich, gefährlich. Ich glaube, ich habe Glück dich gerade nach der Flucht aufgegabelt zu haben.“ Auf meine Frage ging sie erst gar nicht ein… Sie wusste, dass ich nur Zeit schinden wollte. Ich musste die Kontrolle über meinen Körper wiedererlangen, um die erste Phase betreten zu können. Sonst würde ich keine Chance haben ihren Zauber zu durchschauen.
Dann trat sie aber plötzlich näher und beugte sich mit gerümpfter Nase über meine Wunde.
„Du scheinst aber nicht das gleiche Glück gehabt zu haben.“, mit diesen Worten tippte sie mit verspielter Sänfte die verletzte Stelle an. Meine Kiefer mahlten aufeinander, während ich versuchte dem Drang zusammenzuzucken zu wiederstehen. Mein Stolz ließ es nicht zu ihr meine Schmerzen zu zeigen.
Dann kicherte sie wieder und verschwand ohne ein weiteres Wort aus dem Zimmer. Verdattert starrte ich für wenige Augenblicke auf die Tür durch die sie verschwunden war. Dann witterte ich allerdings meine Chance meine Konzentration zurückzuerlangen. Zuerst versuchte ich meine Gedanken vom Schmerz zu befreien, was mir nur durch einen puren Willensakt gelang. Allerdings drang dadurch ein neues Gefühl ans Tageslicht, das alle Hoffnung in mir erstickte. Es war eine unstetige Kälte, die in jedem meiner Muskeln, jedem Knochen und jedem Gedanken saß. Fast so, als würde sie versuchen die letzten Flammen des Lebens, die noch in mir brannten, zu verdrängen. Noch nie hatte ich solch eine Empfindung gehabt. Doch instinktiv wusste ich, was es zu bedeuten hatte. Meine Reserven waren fast aufgebraucht. Der Vorrat an Magie, von der ich zehren konnte, war durch die Flucht fast völlig verschwunden und die paar Beeren, die Soria mir gepflückt hatte würden niemals mehrere Monate ohne einen Bissen ausgleichen können. Die kalte Gewissheit breitete sich in meiner Brust aus. Ich würde sterben.
Doch mein Herz schlug krampfhaft weiter. Als würde es das Ende nicht wahrhaben wollen. Es wusste, dass ich noch etwas zu tun hatte.
Allein ich entscheide wann, wie und wo ich sterbe. Ich erinnerte mich, wie ich es zu Soria gesagt hatte… War ich ein Lügner? Wie würde ich mein Ziel erreichen können, wenn ich einem Mädchen nicht einmal die Wahrheit sagen könnte? Nein. Ich würde es nicht soweit kommen lassen. Ich hatte zwar keine Wahl als Seher geboren zu werden, aber ich hatte die Wahl mein Wort zu halten oder es zu brechen.
Mit neuer Entschlossenheit schloss ich meine Augen und sammelte meine Kräfte. Ich musste einfach durchhalten, bis ich den Zauber in mich aufnehmen konnte.
Ich war bereit. Behutsam und konzentriert leitete ich die letzten Reste meiner Kraft in mein Auge, um die erste Phase zu betreten. Und dann würde ich es dieser verfluchten Lichtweberin zeigen. In Zukunft würde sie sich zwei Mal überlegen mich zu demütigen!
Im nächsten Moment ertönte ein lautes Klatschen und etwas kaltes durchnässte mich völlig. Meine Wunde sandte augenblicklich ein schmerzhaftes Ziehen und Stechen in mein Gehirn, während mir meine Konzentration durch die zitternden Finger glitt. Darauf riss ich überrascht die Augen auf und entdeckte die Frau mit einem großen Wassereimer, der nur noch bis zur Hälfte gefüllt war neben mir stehend. Sie rümpfte stirnrunzelnd die Nase und meinte resignierend: „Schade… Gegen den Gestank hat es dann doch nicht geholfen.“
„Tut mir wirklich leid, aber ich wurde mehrere Monate wie ein Tier in einer Zelle eingesperrt. Dort kann man sich nicht jeden Tag baden.“, presste ich mit wütendem Sarkasmus zwischen den Zähnen hervor. Wie gerne wäre ich aufgesprungen und hätte ihr den Hals umgedreht. Sie zuckte darauf nur mit den Schultern und meinte kichernd: „Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass du riechst, als seist du geradewegs den tiefen eines Komposthaufens entstiegen.“ Mit diesen Worten zog sie einen Stuhl zu sich heran und setzte sich mit noch immer dem gleichen triumphierenden Lächeln neben mich. Ich drehte den Kopf zu ihr und zischte: „Was hast du vor?“ Sie erwiderte meinen Blick nur genervt, worauf sich der Fesselzauber plötzlich erneut regte. Mein Auge verzog sich schmerzhaft, während die Fesseln langsam nach oben wanderten, meinen Nacken erreichten, den Hals hinaufkrochen und schließlich meinen Kopf in eine gerade Position zwangen, sodass ich die Frau nur noch aus den Augenwinkeln beobachten konnte.
„Was hast du vor, Lichte?“, keifte ich. Langsam breitete sich die Verzweiflung in mir aus. Vielleicht würde ich ja doch sterben.
„Du fängst an dich zu wiederholen… Ach und wenn du dich nicht bewegst, werden sich die Schmerzen in Grenzen halten.“, war ihr einziger Kommentar. Ein ungutes Gefühl breitete sich in meinem Magen aus. Es wurde auch nicht besser, als vom Tisch ein beständiges Hämmern herüber schallte. Auch der beißende Geruch, der mir darauf in die Nase stieg und meine zu Tränen brachte, vermochte dieses Gefühl nur verstärken.
Dann hörte das rhythmische Klopfen auf. Ihre nächsten Sätze wurden von den leisen Schritten begleitet, während sie immer näher kam.
„Weißt du mein kleiner gefährlicher Seher eigentlich, dass du unter… uns für erheblichen Aufruhr gesorgt hast? Der Feind der Götter flieht aus Caliatia, während dieses zufällig von der Pest angegriffen wird. Die ganz hohen Zungen sagen sogar, dass Caliatia nur angegriffen wurde, damit du fliehen kannst. Zudem wurde das Teleporternetzwerk beschädigt.“
„Schwachsinn…“, murrte ich, ohne wirklich darüber nachgedacht zu haben. Darauf klatschte sie mir plötzlich von hinten etwas auf meine Wunde, das eine äußerst eklig, schleimige Substanz hatte. Doch das störte mich nicht so sehr, wie das scharfe Brennen, das es auf meiner Wunde erzeugte. Doch bevor ich mich beschweren konnte, tauchte ihr fragendes Gesicht vor meinem auf.
„Was daran entspricht denn nicht der Wahrheit?“, bohrte sie mit einer gehobenen Augenbraue weiter nach. Trocken erwiderte ich:
„Ein Seher würde sich niemals mit solch niederen Geschöpfen einlassen!“, erwiderte ich aufgebracht. Es war offensichtlich. Auch in ihren Augen war ich ein Monster…
Sie kicherte wieder und entzog sich meinem Sichtfeld.
„Sag mein kleiner Seher… Hast du bei deiner Flucht Tarsian nicht rein zufällig eine übergebraten?“, fragte sie fast beiläufig.
„Huh?!“, war meine einzige, perplexe Reaktion auf ihre Frage. Was bei Levro wollte sie?
Sie kam wieder in mein Sichtfeld und setzte sich mir gegenüber auf einen Stuhl.
„Ich möchte wissen, ob du Tarsian seinen arroganten Hut vom Schädel gezogen hast.“, fragte sie erneut in einem seltsamen, fast kleinlauten Tonfall mit unüberhörbarem Ernst.
„Warum willst du das wissen?“
„Wenn du mir eine gute Antwort gibst, bin ich auch ganz sanft zu dir.“
„Das beantwortet meine Frage nicht…“
„Aber es gibt dir einen guten Grund sie zu beantworten.“
„Du… Auch wenn ich ihn gerne in einer Explosion verbrennen gesehen hätte, hab ich ihm leider keine Schmerzen zufügen können… Aber er hat uns durch seinen Fehler die Flucht erst ermöglicht…“
Ihr Lächeln wurde breiter und sie lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück.
„So so… Dann ist sein Ego wohl fürs Erste auf eine klägliche Größe zurechtgestutzt worden. Immerhin etwas… Dafür hast du meinen Dank, mein kleiner Halbgott.“, meinte sie mit spöttischem Unterton, der die letzten Worte begleitete.
„ Vor allem da du eigentlich nichts Besonderes bist. Sonst wärst du mir nicht so blind in die Arme getapst. Aber gleichzeitig ist, dass du hier bist Beweis genug. Du musst irgendeine Art von Macht besitzen, sonst wärst du niemals in der Lage gewesen den Teleporter zu nutzen.“, sinnierte sie vor sich hin, während sie meine nassen Haare zur Seite schob und mein Auge betrachtete.
„Wahrscheinlich bist du nur zu sehr geschwächt, um mir diese Macht zu zeigen, nicht wahr?“, dabei wanderte ihr Blick zu meiner Wunde. Dann stand sie wieder auf und drückte die schleimige Substanz fester auf meinen Kopf, was einen brennenden Schmerz gefolgt von Schwindel auslöste.
„Und wahrscheinlich brauchst du dafür eine gehörige Menge an Konzentration, die du aber dank deinem kleinen Loch im Kopf nicht hast.“, murmelte sie weiter.
„Und wenn schon! Glaub ja nicht, dass du schon gewonnen hast, verfluchte Lichte! Ich bin Tarsian entkommen und aus deinen Klauen werde ich flüchten können!“, brauste ich auf, nicht zuletzt um mir selbst Mut zu machen.
Doch sie antwortete nicht, sondern ging nur einmal um mich herum und setzte sich dann wieder vor mir hin. Ihr Blick war geradewegs auf meinen gerichtet, während sie sich vorbeugte, ihre Ellbogen auf die Knie legte und dann den Kopf auf die Hände legte. So verharrte sie mehrere Augenblicke regungslos, bis ein wütender Blitz aus meinem Auge schoss, der sich allerdings schon auf der Hälfte der Strecke bis zu ihrem Gesicht kümmerlich auflöste.
„Du bist einer der langsamen Sorte. Ich kann noch immer nicht glauben, dass du tatsächlich aus Caliatia entkommen bist.“
Ich schwieg und starrte sie nur weiter unbeugsam an. Worauf wollte sie hinaus?
In diesem Moment kam aus dem Flur ein leises Rumpeln. Soria! Ruckartig versuchte ich meinen Kopf zu drehen, was mir aber durch den Fesselzauber nicht gelang. Gleichzeitig meinte die Frau amüsiert: „Sie sollte es mittlerweile begriffen haben.“. Dann folgte ein Moment der Stille, in der ich kleine, tapsende Schritte hörte. „Komm her Mädchen.“, befahl die Frau und kurz darauf tauchte Sorias kleiner Körper am Rand meines Sichtfelds auf. Doch ich mochte zuerst nicht glauben, was ich sah. Sie trug ein einfaches, aber feines Stoffkleid und die feuchten Haare schmiegten sich zahm um ihr kindliches Gesicht.
So verwirrt wie Soria dreinblickte schaute ich nun auch die Frau an, die mich schon wieder mit diesem triumphierenden Lächeln ansah.
„W-was hat das zu bedeuten?“, fragte ich langsam.
„Du bist wirklich einer der langsamen Sorte… Aber nun gut. Mädchen, Soria war dein Name, nicht wahr? Komm bitte mal her. Die Wunde von deinem missmutigen Beschützer muss dringend behandelt werden und du wirst mir dabei helfen.“
Diese verfluchte Hexe. Sie wickelte Soria mit ihrem Schauspiel um den Finger, um nachher als die Magierin dazustehen, die den unverwundeten Seher besiegt hat. Lichten taten alles, damit die anderen Magier ihre Macht anerkannten und sie in der Hierarchie nach oben klettern konnten. Ich wollte aufbegehren, doch schon der erste Laut erstickte in meiner Kehle. Der Fesselzauber erwachte erneut zu leben. Nur drang er diesmal in mich ein und stahl mir meine Sinne. Die Welt wurde immer dunkler, während ich dagegen ankämpfte das Bewusstsein zu verlieren. Doch es war ein vergeblicher Kampf. Meine Kraft hatte mich schon lange verlassen und glitt ich das zweite Mal an diesem Tag in das Reich der Ohnmacht.