Romane & Erzählungen
-Noch kein Titel-

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"-Noch kein Titel-"
Veröffentlicht am 15. Juli 2011, 46 Seiten
Kategorie Romane & Erzählungen
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-Noch kein Titel-

-Noch kein Titel-

Beschreibung

Es wäre toll, wenn es hier ein paar Titelvorschläge geben würde!! Joanne ist hin- und hergerissen. Ihr bester Freund Ray eröffnet ihr, dass er sie liebt. Sie ist auch in ihn verliebt, aber sie will ihre Freundschaft nicht aufs Spiel setzen. Plötzlich scheint die momentane Hitzewelle unerwartete Ausmaße zu erreichen. Und dann sind da noch diese Ungezieferschaaren. Was geht hier vor?

Prolog

Die Sonne brennt auf meiner Haut. Ich bin schon gefühlte drei Stunden unterwegs. Unterwegs in einer aussichtslosen Situation. Der Boden, auf dem ich laufe, ich so trocken, dass keiner meiner Schritte Spuren hinterlässt. Ist vielleicht auch besser so. So können sie mich nicht finden. Mitten auf dem staubigen Boden, der früher mal eine Wiese gewesen war, erkenne ich einen Käfig mit einem Vogel drin. Ich fahre mir mit meiner Hand durch die roten, langen Haare und gehe auf die Elster zu. Doch dann bleibe ich stehen. Elstern kann man nicht essen, rufe ich mir ins Gedächtnis und langsam laufe ich weiter. Ich erblicke einen Wald am Ende des Platzes – mein Zuhause. Ich laufe etwas schneller und gehe auf das improvisierte Baumhaus zu, dass ich als Kind einmal gebaut hatte. Als alles noch normal war. Ray schaut von seinem Buch hoch – das Einzige was ihm von zuhause geblieben ist. Ich schüttele den Kopf. „Es ist zu trocken. Nirgends Wasser, nirgends Tiere“, sage ich so knapp wie möglich und setze mich neben ihn. 
„Was ist mit eurer Farm?“, fragt Ray und legt sein Buch weg. Wieder schüttele ich den Kopf. Er legt eine Hand auf meine Schulter. „Sie leben“, sagt er, bezogen auf meine Eltern und meinen kleinen Bruder James. Ich lächele kurz. Ich stehe wieder auf. Ich will nicht reden. Langsam steige ich die Leiter zum Baumhaus hinauf und setze mich auf das morsche Holz. Von hier oben hat man einen wundervollen Blick gehabt, als noch alles grün und schön war. Früher habe ich viele Stunden hier verbracht um mit meinen Gedanken allein zu sein. Ich schaue kurz runter. Ray hat sich wieder seinem Buch zugewandt und stochert immer zwischendurch in einem kleinen Lagerfeuer rum. Wir müssen vorsichtig sein, denn durch die Trockenheit der Umgebung kann das Lagerfeuer leicht zum Großbrand werden. Ich ziehe meine Beine an und lege den Kopf auf die Knie. So bleibe ich sitzen, starre auf die helle Sonne. Irgendwann lehne ich mich an den großen, alten Baum und schließe die Augen.

1. Kapitel

ich schaute von meinem Buch auf. Es war dunkel in meinem Zimmer und ich konnte nicht viel erkennen. Nur die kleine Nachttischlampe hatte mir beim lesen geholfen. Ich war allein zuhaus und hatte keine Lust gehabt zum Sicherungskasten zu laufen als der Strom ausgefallen war, also hatte ich einfach das kleine Lämpchen angemacht und weiter gelesen. Ich stand auf und lief zum Fenster. Der Regen prasselte laut gegen das Fenster, aber ich hatte ganz deutlich ein klackendes Geräusch gehört. Ich schaute hinaus und sah eine dunkle Person auf dem Hof unserer Farm stehen. Sie hob etwas auf – einen Stein – und war es gegen mein Fenster. Ich öffnete das alte Holzfenster und beugte mich ein wenig in den Regen. „Wer ist da?“, schrie ich, obwohl ich mir schon denken konnte, wer es war. „Ray, wer denn sonst?“, rief er und winkte. Ich nickte. „ich komme sofort runter!“, schrie ich ihm zu und schloss das Fenster ohne auf eine Antwort zu warten. Meine Jacke lag auf meinem Stuhl. Ich zog sie an und rannte die Treppe runter. Im Korridor war es stockdunkel und ich musste mich zur Eingangstür tasten. Ich drehte den Knauf um und die schwere Tür öffnete sich mit einem elenden Quietschen. „Was machst du denn da im Regen?“, sagte ich zu Ray, der schon auf mich zugelaufen kam. Er zuckte mit den Schultern und ich machte ihm Platz, damit er reinkommen konnte. „Plötzlich sind bei euch alle Lichter ausgegangen und ich dachte, dass ich mal nach dir sehe“, er fuhr sich durch die kurzen, nassen Haare. Ich schüttelte den Kopf. „Soll ich ein Handtuch holen?“, fragte ich und musste lächeln. Ich fühlte mich geschmeichelt, weil er sich Sorgen um mich machte. „Mir geht’s super. Ich hatte nur keine Lust in den Keller zu laufen. Mein Buch ist gerade so spannend gewesen“, sagte ich und nahm ihm seinen Anorak ab. Ray ging in die Abstellkammer um sich ein Handtuch zu holen. Er und ich waren schon immer befreundet gewesen. Unsere Mütter sind in die selbe Schule gegangen und waren beste Freundinnen. Ray und ich waren als Babys zusammen im Sandkasten, als Kinder in der gleichen Schule und später in einer Clique gewesen. Er war zwar drei Jahre älter als ich, aber das war uns egal. So lange wir uns verstanden war es schnurz, wie alt wir waren. „Möchtest du einen Tee?“, fragte ich ihn, als er wiederkam und er nickte. „Immer“, meinte er und folgte mir in die große Küche. „ich habe übrigens auch den Strom wieder angestellt, damit du Tee kochen kannst“, sagte er und grinste mich an. Ich lachte über meine eigene Dummheit und kramte meine Lieblingsteekanne aus dem Schrank. „Und...“, fragte ich. „Wie läuft's mit dem Ausbildungsplatz?“. Ich setzte ein wenig Wasser auf und lies mich auf das Sofa fallen. Ray zuckte mit den Schultern. „Na ja. Ich glaube, ich studiere lieber“, meinte er und setzte sich neben mich. Ich schaute ihn stirnrunzelnd an. „Vielleicht findest du einfach nichts, weil du zu wählerisch bist“, meinte ich und lachte. Ray schüttelte den Kopf. „Bist du dir sicher, dass dein Vater keine Leute nimmt?“, wollte er zum 20. mal wissen und ich verdrehte die Augen. Mein Vater war in der Landwirtschaft tätig und meine Mutter führte den dazugehörigen Hofladen. „ich sag dir bescheid, wenn er Hilfe braucht, okay?“, sagte ich und stand auf um das Wasser in Tee zu verwandeln. „Und wie läuft's in der Schule?“, fragte Ray und drehte sich zu mir um. Ich schaute ihn an. „ich hab Sommerferien, Ray, das weißt du doch“, erinnerte ich ihn, aber er grinste nur. „Na ja. Ich wollte wissen, ob du versetzt wurdest“, sagte er und lachte. Ich stemmte beide Hände in die Hüften. „Was soll das denn heißen?“, fragte ich empört. Ray zuckte wieder mit den Schultern. „Stimmt auch wieder“, meinte er. „Du hattest ja Nachhilfe beim Besten im Lande“. Ich schob ein kleines Grisen in mein Gesicht. Im Frühling hatte ich Nachhilfe von Ray bekommen. Wir hatten uns aus Versehen zufällig geküsst und bis jetzt nie darüber gesprochen. Eigentlich war ich mir sicher, dass ich nichts für ihn empfand, nicht mehr als Freundschaft. „Der Tee ist fertig“, sagte ich und nahm den Teebeutel aus der schönen Kanne. Ich füllte zwei Tassen und ging zurück zu Ray. „Bitteschön“, ich gab ihm eine der beiden Tassen und setzte mich wieder neben ihn. Peinliches Schweigen entstand und ich starrte in den Tee. Doch Ray brach das Schweigen, bevor mir ein Thema eingefallen war. „Warum hast du die braune Farbe draußen?“, fragte er. Ich schaute auf und blickte ihn fragend an. Er deutete auf meine Haare. „Ach so“, sagte ich und fuhr mir durch die Haare. „Mir gefiel es nicht mehr. Die Friseurin hat gesagt, dass diese Farbe ungefähr meiner Grundhaarfarbe entspricht“, erklärte ich und schaute eine Strähne an. „Schon komisch, dass du mit knallroten Haaren auf die Welt gekommen bist, oder?“, fragte Ray und nahm auch eine Strähne in die Hand um sie genauer zu betrachten, was bei mir einen kribbeligen Schauer auslöste. „Ja, finde ich auch. Aber ich mag's“, sagte ich und lächelte. „Besser als das orangerot, das manche haben“. Ray hatte mein komisches Gefühl bei seiner Berührung wohl gespürt, denn er lies meine Haare los und lehnte sich im Sofa zurück. Er seufzte. „Ich glaube, ich muss mal wieder nach Hause“, sagte er und stand auf. Ich hatte das Gefühl, dass er noch etwas sagen wollte, also ging ich ihm nach in den Flur. „Wolltest du noch was sagen?“, fragte ich ihn, als er seine Jacke anzog. Ray öffnete die Tür und trat in den Regen hinaus. Langsam drehte er sich nochmal um. Er holte Luft, um etwas zu sagen, also ging ich näher an ihn heran. Was danach passierte kam so schnell, dass ich es nicht verhindern konnte. Ray nahm meinen Kopf in beide Hände, beugte sich zu mir und küsste mich. Ich war zu geschockt um etwas zu tun. Dann lies er mich los und ging in die Dunkelheit. Ich kam wieder zu mir und lief ihm hinterher. Der Regen durchnässte meine Kleidung innerhalb von Sekunden und ich zitterte vor Kälte, aber ich spürte nichts mehr. Ich war wütend. Wütend auf Ray, weil er mich so durcheinanderbrachte. Wütend auf mich, weil ich das mit mir machen lies. „Halt!“, rief ich und Ray drehte sich um. „Bist du wahnsinnig? Es ist arschkalt draußen!“, meinte er, womit er sicherlich Recht hatte. „Was war das da gerade eben?“, fragte ich, was natürlich bescheuert war, weil ich genau wusste, was gerade passiert war. Ray kam auf mich zu. „ich habe dich geküsst.“, erklärte er. Ich kniff die Augen zusammen. „und... warum?“, wollte ich wissen, was auch total dämlich war. Bestimmt hatte er mich geküsst, weil er meine Haare so toll fand! Ray schnaubte. „Warum wohl?“, fragte er gereizt. „bestimmt nicht, weil mir deine neue Haarfarbe gefällt!“. Ich musste geschaut haben wie ein Auto, denn er sagte: „Man, Joanne! Ich liebe dich.“. Ich starrte ihn an. Warum hatte er das gesagt? Er hatte eine 16 Jahre lange Freundschaft mit einem Satz zunichte gemacht. Das war unfassbar. 
„Schon lange..“, er geriet ein wenig ins Stottern. 
„lass es“, flüsterte ich, doch er hörte mich nicht. 
„Seit mindestens drei Jahren...“ 
„lass es“, wiederholte ich etwas lauter – nicht laut genug. 
„und dann im Frühling..“ 
„Du sollst ruhig sein, verdammt noch mal“, schrie ich und gab ihm eine Ohrfeige. Sein Gesicht verzerrte sich vor Schmerz und er hielt sich die Wange. „Warum hast du mir das gesagt?“, wollte ich wissen. Meine Wangen wurden warm, aber nicht vor Wut oder Scham. Ich weinte. In dem Moment erfasste mich die Kälte des Regens und ich begann erneut zu schlottern. Ray schaute mich an. „Ich trage das schon so lange mit mir herum. Ich musste es sagen, verstehst du das nicht?“, fragte er, aber ich hörte ihm gar nicht richtig zu. Wie oft war ich, auch in den letzten Jahren, zu ihm gelaufen, wenn ich nachts allein war und es gewitterte? Wie oft hatte ich mich zu ihm ins Bett gelegt und er hatte mich in den Arm genommen, ohne dass ich mir dabei etwas gedacht hatte? Im Moment erschien mir das ganze ziemlich widerlich. „Joe?“, fragt er und ich schaute ihn an. Langsam fing ich an meinen Kopf zu schütteln. Ich wollte allein sein. Ich drehte mich um und rannte zum einzigen sicheren Ort den es für mich gab: Mein Baumhaus. Ich fühlte mich wieder wie ein Kleinkind, als ich die Leiter hinaufstieg und mich auf die dünnen Holzplatten setzte. Ich hatte vor ein paar Wochen ein Sonnensegel über den Ausguck gespannt, sodass ich jetzt ein wenig vor dem Regen geschützt war. Nach einer Weile merkte ich, wie ich an meinen Nägeln kaute. Eigentlich hatte ich diese grässliche Angewohnheit nicht mehr. Ich zog die Beine an und legte den Kopf auf meine Knie. 
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Jemand rüttelt an meiner Schulter. Ich öffne die Augen und schaue in Ray's Gesicht. „Oh, ich bin wohl eingeschlafen“, sage ich mit einem matten Lächeln und bemerke, dass ich meine Beine fest umklammert halte. „macht nichts“, meint Ray und lächelt. „ich habe ein paar Pilze gefunden, die man essen kann“. Ich schaue an ihm vorbei und suche den Boden hungrig nach Pilzen ab. Dann schaue ich zu ihm zurück. „ich habe keinen Hunger“, lüge ich und rücke ein Stück weiter nach rechts. Für einen kleinen Augenblick sehe ich Enttäuschung in Ray's Blick. Er seufzt. „Okay, sag einfach bescheid, wenn du was brauchst.“, sagt er und klettert wieder nach unten. Ich lächele, als ich an unsere Pilz-Ausflüge denke. Um mich besser an unseren letzten Campingnachmittag zurückdenken zu können, schließe ich wieder die Augen.

2. Kapitel

Jeden Sommer machten Ray und ich einen Camping-Ausflug in die Berge, um Pilze zu sammeln ud dem Alltag zu entfliehen. Ich freute mich jedes Mal auf das letzte Maiwochenende und versetzte alle Menschen um mich herum in eine Art elektrischen Strom. Oft haben meine Freundinnen mich grinsend gefragt, ob denn außer Ray und mir noch jemand mitfahren würde. Immer, wenn ich den Kopf geschüttelt hatte, hatten sie angefangen zu kichern und zu behaupten, dass wir etwas miteinander hätten. Ich hatte mich nie von solchen Bemerkungen aus der Hektik bringen lassen, doch jetzt war es anders. Seit der Sache mit dem Kuss und der Ohrfeige hatte ich Ray nicht mehr gesehen. Am Freitag vor unserem Tripwochenende rief er an. Ich las gerade in einem spannenden Buch – wie immer – als meine Mutter an meine Tür klopfte. „Ja?“, rief ich widerwillig und schaute vom Buch auf. „Es ist Ray. Wegen eurem Campingwochenende“, sagte sie und reichte mir das Telefon. Ich nahm es an und bedeutete ihr mein Zimmer zu verlassen. Als sie die Tür geschlossen hatte, hielt ich den Hörer an mein Ohr und hörte das regelmäßige Atmen des wartenden Rays. „Joanne Summers, wer ist dran?“, fragte ich leise und schloss die Augen. Ich kam mir ziemlich bescheuert vor. Wahrscheinlich hatte Ray sowieso mitbekommen, wie meine Mutter mir den Hörer gegeben hatte. „ich bin's!“, sagte er zu meiner Überraschung. „Ray Hunt“, half er mir auf die Sprünge, was mich wieder zum lächeln brachte. „Oh, hallo Ray. Lange nichts von dir gehört. Ich wollte...“, fing ich an, doch er unterbrach mich. „ich wollte nur wissen, ob das mit dem Wochenende klar geht“, fragte er. Ich runzelte die Stirn. Er wollte das Thema einfach übergehen? Gut, das konnte ich mindestens genauso gut wie er. „Ja klar!“, sagte ich fröhlich. „Wollen wir wieder unsere Angeln mitnehmen?“, fragte ich und stand auf, um den Koffer vom Schrank zu holen. „Ja, natürlich. Aber pass auf, dass du diesmal nicht in den See fällst“, sagte Ray und ich meinte ein kleines Lachen in seiner Stimme zu hören. Ich wusste nicht, ob ich wirklich mit ihm wegfahren wollte. Irgendwohin, wo niemand war. Aber ich kannte ihn schon so lange, ich würde über unseren kleinen Gefühlsunterschied doch locker hinwegsehen können. „Na gut. Ich hole dich dann morgen früh um acht ab. Tschüs“, hörte ich Ray sagen, dann das Besetztzeichen. Ich drückte den roten Hörer und legte das Telefon auf meinen Schreibtisch. Dann öffnete ich den Schrank um mir ein paar Klamotten einzupacken. Ich griff nach meiner Lieblingsjeans. Ich hatte sie letztes Jahr kurz geschnitten. Plötzlich wurde ich unsicher. Konnte ich die Hose anziehen oder war sie zu aufreizend? Ich wischte meine Bedenken weg. Wenn Ray letztes Jahr mit der Hose klargekommen war, würde er das dieses Jahr auch. Ich packte zur Sicherheit noch eine lange Hose dazu und schmiss wahllos ein paar Tops dazu. Nachdem ich fertig war, wusste ich nicht, was ich anfangen sollte, also brachte ich das Telefon nach unten in die Küche. Ich wollte gerade die Treppe wieder hochgehen, als ich spürte, wie mich jemand beobachtete. Ich drehte mich um und sah meine Mutter, die mich besorgt anschaute. „Habt ihr Streit?“, fragte sie und wusste, dass sie zumindest in die richtige Richtung geraten hatte. Ich war ein wenig zusammengezuckt und setzte eine halbwegs gleichgültige Miene auf. „Nö, warum?“, fragte ich und wollte mich wieder umdrehen. „Hat er dir weh getan, Liebes?“, fragte meine Mutter. Ich schaute über meine Schulter. „Warum sollte er, Mum?“, fragte ich verwirrt. Sie zuckte mit den Schultern. „Er ist schließlich schon 19 und du bist schon ziemlich hübsch...“, meinte sie. Ich fuhr herum. „Mum!“, rief ich und schaute ihr lächelnd in die Augen. „Mum, es ist wirklich nichts, okay?“, versicherte ich ihr und umarmte sie kurz. Mum lächelte. „Na gut, ich glaube dir.“, sie schaute auf die Uhr. „Ich muss morgen früh raus“, erklärte sie und gab mir einen Kuss auf die Stirn. „Ich wünsche dir viel Spaß, Liebling“, mit diesen Worten verschwand sie in ihrem Zimmer und schloss die Tür. Kopfschüttelnd ging ich die Treppe hoch in mein Zimmer. Die Lust zu lesen war mir vergangen, also legte ich mich ins Bett und versuchte zu schlafen. Der nächste Morgen begann mit soviel Ironie, dass ich lachen musste. Ich stand auf um mir eine Schale Cornflakes zu machen, als ich ein tropfendes Geräusch vernahm. Ich drehte mich zu meinem Fenster – es regnete. Es gab eine Sache, die ich seit gestern viel Tat: Kopfschütteln. Wieder einmal kopfschüttelnd ging ich in die Küche um zu essen. Nachdem ich mein leckeres Schokomüsli aufgegessen hatte duschte ich und zog mich an. Um genau fünf Minuten vor acht klingelte es an der Tür. Erst wollte ich nicht öffnen, damit Ray endlich lernte, pünktlich zu kommen. Doch ich entschied, dass wir keinen Streit gebrauchen konnten, deshalb öffnete ich die Tür. Lächelnd begrüßte ich ihn. „Hallo. Alles Startklar?“, fragte er und schaute sich in unserem Flur um, als wäre er das erste mal zu Besuch. Ich nickte. „Ja, kann losgehen“, sagte ich und holte meinen Koffer. Die Autofahrt kam mir länger vor, als letztes Mal. Ich hielt sie für einen geeigneten Augenblick, meinem Frust Platz zu machen. „Weißt du Ray...“, begann ich. Doch er schien zu merken, in welche Richtung das Gespräch gehen würde, also würgte er mich wieder ab. „Scheiß Wetter, oder?“, fragte er also. Ich ging nicht auf seinen Themenwechsel ein. „Wirklich, wir müssen mal reden.“, sagte ich ihm. Wir hielten an einer roten Ampel, so dass Ray mich anschauen konnte. „Okay. Schieß los“, forderte er mich auf und schaute wieder zur Ampel. Ich holte tief Luft. „Ich weiß nicht, wie ich anfangen soll“, sagte ich, plötzlich verunsichert. Ray lächelte schwach. „Weißt du,“, sagte er. „Am besten beginnst du am Anfang“. Ich nickte. „ich hab dich immer schon als Freund gesehen“, erklärte ich. „Okay, als besten Freund“, korrigierte ich und lächelte. „Ich konnte dir vertrauen, hab dir alles erzählt. Ich meine“, ich lachte. „Wir haben sogar schon oft zusammen in einem Bett geschlafen. Weißt du, irgendwie hat sich das verändert“, ich wusste nicht, wie ich es sonst ausdrücken konnte. Ray schnaubte wieder – das hieß nichts Gutes! „Ach, hat es das?“, sagte er, seine Stimme triefte nur so vor Sarkasmus. Ich entschied mich, ihm die Wahrheit zu sagen. Über meine Gefühle und nicht-Gefühle. „Fakt ist: ich bin nicht in dich verliebt Ray“, sagte ich klar und deutlich und sah, wie ein Stich durch seinen Blick ging. Aber ich lies mich nicht davon aufhalten. „ich habe gestern sogar überlegt, ob ich in deiner Gegenwart noch in kurzer Hose oder Bikini rum laufen will“, ich fuhr mir mit einer Hand durch die roten Haare. Rote Ampel. Ray sah mich an. „Warum das denn? Meinst du, nur weil ich in dich verliebt bin, falle ich dich an, wenn du nicht vermummt bist?“, er lachte ein bisschen. Ich wusste nicht, ob ich lachen oder weinen sollte. „Du weißt doch genau, wie ich das meine! Ich wusste nicht... ich … ob das für dich okay wäre“, stotterte ich und musste schließlich auch lachen. In einer Weise war ich auch glücklich. Ich dachte, dass dieses Gespräch das Ende unserer Freundschaft bedeuten würde. „Es ist okay für mich.“, sagte Ray dann und wir hörten auf zu lachen. „Gut“, war das Einzige, was ich dazu sagen konnte. 
Am Samstag lief alles gut. Wir taten einfach so, als hätte es nichts gegeben. Keinen Kuss, keine falschen Gefühle. Wir machten abends ein Lagerfeuer und aßen Stockbrot – wie immer. Wir redeten ganz unbeschwert miteinander, erzählten uns alles, was in den Wochen der Funkstille passiert war. Nur als wir schlafen gehen wollten, kam meine Angst wieder. Wir hatten nur ein Zelt. Mir hatte das nie was ausgemacht, Ray auch nicht. Aber jetzt machte es mir was aus. Ray schien zu bemerken, dass ich zögerte, denn er legte seine Isomatte neben das Feuer. Ich sagte nichts dazu und ging ins Zelt. Mitten in der Nacht wurde ich wach. Ich hörte ein komisches Geräusch, das nicht in die Wildnis passte. Ich öffnete das Zelt und das Geräusch verschwand. Ich sah, dass Ray telefonierte. Wahrscheinlich hatte ich den Klingelton seines Handys gehört und war davon aufgewacht. Ich beobachtete, wie er anfing hin- und her zu tigern und sich schließlich wieder hinzusetzen. Aber nicht auf der Isomatte, sondern am See. Ich öffnete das Zelt ganz und lief zu ihm. „Wer war am Telefon?“, fragte ich und Ray zuckte zusammen. „Oh“, ich lachte und setzte mich zu ihm. „ich wollte dich nicht erschrecken.“ Ray lächelte schwach. „Meine Grandma ist gerade gestorben“, sagte er und ich hörte an seiner Stimme, dass er seine Tränen zurückhielt. Ich hatte seine Grandma gekannt. Sie hatte uns früher immer Kekse gebacken. Letztes Jahr kam sie ins Altersheim, aber wir haben sie oft besucht. „Das tut mir leid. Sie war eine tolle Frau, Ray“, sagte ich und legte meine Hand auf seine. „Sie ist gestorben und ich war nicht bei ihr“, sagte er und schaute mich traurig an. „Sie brauchte mich doch“. Aus einem fremden Impuls heraus nahm ich ihn in den Arm. „Das tut mir leid. Es ist meine Schuld, dass wir immer auf den Ausflug gehen“, sagte ich leise und schloss die Augen. Plötzlich erinnerte ich mich an meine erste Achterbahnfahrt auf einem Jahrmarkt. In meinem Bauch hatte es gekribbelt wie verrückt. Genau dieses Gefühl kam jetzt wieder. Ich unterdrückte den Reflex, meinen Kopf zu schütteln, stattdessen öffnete ich die Augen und lies Ray los. „Nein“, diesmal schüttelte er den Kopf. „Ich hab dich doch dazu überredet. Du bist nicht schuld. Ich auch nicht. Für so was kann niemand etwas“ ich musterte Ray. In den letzten Jahren war irgendwie erwachsen geworden. So einen emotionalen Satz hätte ich ihm gar nicht zugetraut. Ich nickte. „Ich dann mal wieder schlafen. Morgen früh fahren wir gleich nach Hause, damit du zu deiner Mum kannst“, sagte ich und ging zurück in mein Zelt. Ich war nicht dumm, ich wusste was dieses Achterbahngefühl bedeutete. Aber ich wollte es nicht wissen. 
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Ich öffne die Augen und schaue auf meine verstaubte Armbanduhr, aber sie ist stehen geblieben. Dem Himmel nach zu urteilen müsste es um neun Uhr abends sein. Ich lasse meine Beine los und schüttele die Hände um sie wach zu bekommen. Ich klettere die Leiter nach unten und sehe Ray, der an einem Baum lehnt und schläft. Neben ihm liegen die Pilze, die er gesammelt hat. An dem Sonntag, dem letzten vor dieser Sache, wollten wir eigentlich Pilze sammeln, aber wir sind nicht dazu gekommen. Schließlich musste Ray sich um seine Mutter kümmern. Ich nehme mir ein paar und setze mich ans Feuer. Ganz langsam fange ich an zu essen. „Hunger bekommen?“, Ray's Stimme lässt mich zusammenzucken. Ich schaue über die Schulter. „Ein bisschen“, sage ich und schaue wieder zum Feuer. „Hast du geschlafen?“, will Ray wissen und setzt sich neben mich. Ich nicke. „ich glaube schon, ja. Ich habe Durst, Ray“, ich schaue ihn gequält an. Er streicht mir über die Wange. „ich weiß. Ich habe auch Durst. Wir fahren morgen in die Berge. Der See muss noch da sein, er ist tief“, sagt Ray und legt einen Arm um mich, so dass ich meinen Kopf auf seine Schulter legen kann. Der brennende Durst macht mich müde, also mache ich die Augen wieder zu.

3. Kapitel

Ich stand an der Tür und winkte meinen Eltern, die in den Urlaub fahren wollten. Seit 16 Jahren war das ihr erster Urlaub ohne ein Kind, ohne Verantwortung. Ich gönnte es ihnen. Vor allem, weil sie nach Sibirien fuhren und ich hier in der Hitze bleiben musste. Nachdem sie weg waren holte ich die Post aus dem Briefkasten und fand einen Brief von Ray. Mit gerunzelter Stirn öffnete ich ihn, aber es war bloß eine Dankeskarte. Vor ein paar Tagen war die Beerdigung seiner Grandma gewesen und ich hatte ihm beim organisieren geholfen. Aber nicht nur ich hatte ihm geholfen, auch ein nettes Mädchen in Rays Alter – Amber. Wenn ich an sie dachte fühlte es sich an wie ein Stich ins Herz. Es war schon beinahe peinlich, wie sie sich an Ray ran gemacht hatte. Aber das Schlimmste war, dass er darauf eingegangen war. Natürlich lies ich mir nichts anmerken, aber es tat weh ihn mit ihr flirten zu sehen. Mittlerweile verstand ich selbst nicht, warum ich ihm gesagt hatte, dass ich nicht in ihn verliebt war. Ich nahm meine langen Haare zu einem Zopf zusammen und wechselte mein T-Shirt in ein Top um. Es war so heiß, wie lange nicht mehr. Ich nahm mir ein Glas Limonade mit Eiswürfeln und setzte mich zum Lesen auf die Terrasse. Doch leider fand ich kein Fleckchen Schatten, so dass ich mich im Wohnzimmer nieder lies. Wir hatten jedes Jahr so eine Hitzewelle, in der es nicht regnete, aber diese dauerte schon sehr lange. Nachdem ich ein paar Seiten gelesen hatte trank ich das Glas lehr und wollte mir etwas neues zu trinken holen. Ich wollte auf Wasser umsteigen, es war gesünder und stillte den Durst. Ich ging also in die Küche und drehte den Wasserhahn auf. Ich legte den Kopf schief. Der Hahn war voll aufgedreht, doch es kam kein Wasser. Wahrscheinlich sollte an unserer Wasserleitung etwas repariert werden und mein Vater hatte das Wasser abgestellt. Da hätte er mich ja auch nicht vorwarnen können! Ich nahm meinen Schlüssel und lief rüber zu Ray, um mir bei ihm Wasser zu leihen. Seine Mutter freute sich mich zu sehen und bat mich, herein zu kommen. „Das ist ja eine tolle Überraschung!“, meinte sie und rief Ray, damit er sich um seinen Gast kümmerte. „Oh, hey, Joe“, begrüßte er mich und schenkte mir ein leichtes Lächeln. „Hallo.“, sagte ich. „ich wollte gerade was trinken, aber Dad hat wohl unsere Wasserleitung lahmgelegt“, ich lachte. „Ich wollte fragen, ob ich ein bisschen Wasser von euch kriegen kann“ Ray runzelte die Stirn. „Tut mir leid“, er schüttelte den Kopf. „Mum!“, rief er und seine Mutter kam aus der Küche. „Das Wasser wurde nicht abgedreht, Joanne sagt, dass sie auch keins hat“, erklärte er. Ich zog die Augenbrauen hoch. „Ihr habt auch kein Wasser?“, fragte ich ungläubig. „Aber es kann doch nicht so warm sein, dass das Wasser in den Leitungen verdunstet, oder?“ Ray's Mum fing an zu lachen. „Kind, Kind.“, meinte sie. „So warm wird es nicht sein!“, versicherte sie mir und schaute Ray dann an. „Vielleicht gab es auf der Straße einen Rohrbruch oder so“, sagte sie beruhigend und verschwand wieder in der Küche. Ich schaute Ray an. „Wir könnten gucken gehen“, sagte ich. „Ich meine, ob auf der Straße ein Rohrbruch ist“. Ray nickte. „Klar, aber ich glaube nicht, dass wir da was finden“, meinte er und zuckte mit den Schultern. Wir machten uns auf den Weg zur Straße und fanden – wie vermutet – nichts. Ich schaute Ray verwirrt an. „Aber warum gibt es dann kein Wasser?“, fragte er, was ich dachte. Ich schüttelte – mal wieder – den Kopf. „Keine Ahnung. Aber wir sollten wieder ins Haus gehen. Sonst gehen wir noch ein“, schlug ich vor und lief los. Ray lief schweigend neben mir her. „Wie geht es deiner Mum?“, fragte ich ihn und er schaute mich ein wenig traurig an. „Sie ist ziemlich traurig.“, war seine stumpfe Antwort. Ich legte eine Hand an seinen Arm und ignorierte das Kribbeln. „Das wird vorbeigehen. Sie war ihre Mum. Natürlich ist sie traurig“, sagte ich und lächelte ein bisschen, um ihn aufzumuntern. Aber Ray schüttelte den Kopf und sah mich an. „Aber ich habe das Gefühl, dass es nicht vorbei geht, Joe“, sagte er und hielt die Tränen zurück. Ich nickte. „Lass ihr Zeit“, riet ich ihm und wir waren am Haus angekommen. Schnell flüchteten wir vor der Hitze in das noch kühle Haus und setzten uns ins Wohnzimmer. Rays Mum kam auf uns zu und lächelte ein wenig gequält. „ich geh eben in die Stadt einkaufen“, sagte sie und gab Ray einen Kuss auf die Stirn woraufhin er ein wenig rot wurde. Ich grinste ihn an und er streckte mir die Zunge raus. Dann ging seine Mutter. Sie würde lange brauchen, die Stadt lag eine halbe Stunde entfernt. Ray stand auf und ging in Richtung Küche. „Was machst du?“, fragte ich und folgte ihm. Ray lachte. „Ich hole uns was zu trinken“, erklärte er. „Deswegen warst du gekommen, schon vergessen?“. Ich lächelte. „Nein. Dankeschön“, er reichte mir ein Glas Cola, welches ich sofort austrank. „Das tut gut“, sagte ich und ging wieder ins Wohnzimmer. Ray schaltete erfolglos den Fernseher ein. Er runzelte die Stirn. „Komisch. Der Strom ist wohl auch abgedreht“, murmelte er. Ich schüttelte den Kopf. „Ach quatsch“, meinte ich. „Das kann doch gar nicht sein!“. Wieder probierte Ray, den Fernseher anzustellen. Aber der gab keinen Murks von sich. „Dann schauen wir halt nicht fern“, sagte ich irgendwann und machte es mir auf der Couch gemütlich. Ray setzte sich mir gegenüber auf einen Sessel und nahm ein Buch in die Hand. „Stört es dich, wenn ich lese?“, fragte er und weckte meine Neugier. „Was ist es denn für ein Buch?“, wollte ich wissen und lächelte. „Liest du mir was vor?“. Ray lachte. „Das hab ich früher oft getan, nicht?“, meinte er und schaute auf die Buchvorderseite als wüsste er nicht, wie der Titel war. „Okay.“, meinte er dann und ich legte mir ein Kissen unter den Kopf. „Aber es ist nur eine langweilige Schullektüre. Die lesen wir im Englischkurs“, erklärte Ray und begann zu lesen. Ich schloss die Augen um mich besser auf seine warme tiefe Stimme konzentrieren zu können. Seine Worte erfüllten den Raum und ich vergaß den Durst und die Hitze, bis ich irgendwann einschlief. 
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Ich wache auf, geweckt von der schrecklichen Hitze. Mein Kopf liegt auf einem Kissen direkt neben einer Feuerstelle. Langsam erhebe ich mich von meinem Lager und schaue mich um. „Ray?“, rufe ich. Ich sehe, wie eine Gestalt im Schatten sich bewegt. Ray kommt auf mich zu und reicht mir eine Schale mit einer Flüssigkeit drin. „Was ist das?“, frage ich ein wenig benommen, als er mir die Schale reicht. Ray lächelt. „Ich war ein paar Stunden unterwegs und habe einen kleinen Bach gefunden.“, erklärt er. Ich nicke und nehme einen Schluck vom kühlen Wasser. Ich atme erleichtert aus. „Danke“, flüstere ich und trinke weiter. Als ich ausgetrunken habe hilft Ray mir auf und wir gehen in den Schatten. „Es ist nicht wirklich kühler hier“, meint er und setzt sich unter einen Baum. „Aber wenigstens bekommt man hier keinen Sonnenbrand“. Ich setze mich neben ihn. „Was machen wir jetzt?“, will ich wissen und schaue in sein fahles Gesicht. Seine Augen sind gerötet und seine Lippen aufgesprungen. Ray zuckt mit den Schultern. „Wenn wir jetzt losgehen würden, würden wir es vor Sonnenuntergang in die Berge schaffen“, erklärt er und lehnt seinen Kopf gegen den Baumstamm. „Aber wir könnten besser in der Nacht gehen. Es wird kühler sein, denke ich“. Ich spüre, dass Ray verzweifelt ist. Seine Mutter ist nicht aus der Stadt zurückgekehrt. Meine Eltern sind hoffnungsvoller weise in Sicherheit. Aber Rays Mum? Sie ist doch alles, was er noch hat – außer mir natürlich. „Gute Idee“, sage ich also und schaue ihn an. „Es geht ihr gut. Das verspreche ich dir“, sage ich leise und warte auf eine Reaktion. Ray dreht seinen Kopf zu mir, sagt aber nichts. Er schüttelt nur ganz langsam den Kopf. Ich rutsche ein wenig nach vorn, dait ich Platz zum hinlegen habe. Auf dem aufgeheizten Boden rolle ich mich zusammen wie eine kleine Katze und beobachte einen Grashüpfer, der kraftlos über den Boden wankt.

4. Kapitel

Ich saß, an die Mauer gelehnt, vor Rays Haus. Ray lief vor mir auf und ab. Wir warteten schon lange. „Ray, du machst mich nervös.“, sagte ich ein bisschen gereizt. „Setz dich endlich hin“. Es war kurz vor Mitternacht und nicht viel kühler als am Tag. Rays Mutter war nicht von ihrem Einkaufstrip zurück gekehrt. „Was, wenn ihr was passiert ist? Wenn sie zusammen gebrochen ist?“, murmelte Ray gerade so laut, dass ich es hören konnte. Ich stand auf und hielt ihn fest, so dass er mich anschauen musste. „Es geht ihr gut, Ray“, versicherte ich ihm. Wie er mich anschaute. Seine Augen waren geweitet und gleichzeitig schwach vor Müdigkeit. In seinen Pupillen spiegelten sich Angst, Nervosität und noch etwas – Wärme. Mein Blick wanderte von seinen Augen zu seinem Mund. Ein paar Sekunden starrte ich ihn einfach nur an. Dann stellte ich mich blitzschnell auf die Zehenspitzen und küsste ihn. Nicht lange, höchstens zehn Sekunden. Aber dabei wurde mir immer abwechselnd heiß und kalt. Heißer als am letzten Tag. Ich ging einen Schritt zurück und schaute auf den Boden. „Okay...“, machte Ray. Als ich aufschaute trafen sich unsere Blicke. „Tut mir leid“, sagte ich und rannte an ihm vorbei zu meinem Haus. Ich riss die Tür auf und stürmte in den Flur. Was hatte ich getan? War ich jetzt völlig durchgedreht? Ich versuchte ruhig zu atmen, aber mein Herz schlug mit aller Kraft gegen meinen Brustkorb – was ich natürlich auf den ungewohnten Sport schob. Ich schloss langsam die Tür und rutschte an ihr herunter auf den Boden. Ich zog die Beine an und legte den Kopf auf die Knie. Es war total still im Haus, so dass ich meinen Atem und den Herzschlag noch lauter hörte. Ich hatte das Gefühl, dass ich nicht mehr wusste, was ich überhaupt wollte. Warum wollte ich eigentlich nicht in Ray verliebt sein? Für einen Moment hielt ich den Atem an. Die Stille umgab mich, mein Herz hatte sich beruhigt. Ich wollte Rays und meine Freundschaft nicht aufs Spiel setzen. Ja, das war der Grund. Ich rief ihn mir immer wieder in Erinnerung, damit ich nicht aufsprang und Ray meine Gefühle gestand. So wie ich dort saß und mit aller Kraft meine Bedürfnisse unterdrücken wollte kam ich mir selbst ein wenig albern vor. Konnten wir nicht einfach beste Freunde sein, die sich eben ab und zu küssten? Nein, natürlich nicht. Ich fühlte mich hilflos. Was half mir dabei immer am besten? Klar, ein leckerer warmer Kakao und mein bester Freund. Da letzteres ja wohl ausschied musste ich mich mit dem Kakao zufrieden geben. Ich stand auf und bewegte mich in Richtung Küche. Die Milch stand noch vom Frühstück auf dem Tresen. Das Kakaopulver stand ganz oben im Schrank. Ich war nie die Größte gewesen, also holte ich mir wie immer einen Stuhl und öffnete die Schranktür. Ich hob den Plastikbehälter hoch, der mit dem braunen Pulver gefüllt war und verzog das Gesicht. Er fühlte sich gefährlich leicht an. Ich zog ihn aus den Tiefen des alten Holzschrankes hervor und fand noch ungefähr zwei Esslöffel Kakaopulver vor. Erleichtert atmete ich aus – wenigstens das blieb mir noch vergönnt. Damit ich in der Stille nicht total durchdrehte, stellte ich das Radio an. Ich schaltete ein wenig durch die Sender, bis ich es schließlich wieder ausstellte. Überall schmalzige Lovesongs! Das war ja nicht zum Aushalten. Ich ging ins Wohnzimmer und nahm ein paar schwere Geschichtsbücher aus dem Schrank. Eines davon – Der kalte Krieg – handelte keinesfalls von der Geschichte Europas. Nein, es hatte ein Din A 5 großes Loch in 300 Seiten – das perfekte Versteck für mein Tagebuch! Ich war ein wenig paranoid, weshalb mein Tagebuch selbst ebenfalls als ganz normales Buch getarnt war. Mein Vater hatte schon sein Jahren nicht mehr in seine dicken Wälzer reingeschaut, deshalb lief ich nicht Gefahr, dass er es finden konnte. Ich ging zurück in die Küche und holte einen Topf aus dem Schrank, den ich mit Milch füllte und auf eine Herdplatte stellte. Während die Milch langsam wärmer wurde kramte ich einen Stift aus der Krimskrams Schublade und fing an, mein Tagebuch mit meinen Problemen vollzuheulen. Plötzlich roch es ziemlich verbrannt – die Milch war übergelaufen. Ich schmiss das Tagebuch von mir und nahm den Topf vom Herd. Dann nahm ich irgendeinen Becher aus der Spülmaschine und füllte die Milch hinein. Ich kippte den Rest Kakaopulver dazu und rührte schön um. Ich schnappte mir die Tasse und ging die Treppe hoch in mein Zimmer. Vielleicht würde ein Buch ja für Ablenkung sorgen. Ich war so vertieft in mein Buch, dass ich nur irgendwann eine leise Hintergrundstimme vernahm. „Joe?“, schien jemand zu flüstern. Doch als ich wieder in die Realität zurück kehrte, war es ein Rufen, kein Flüstern. Ich lies meine Vampire allein und ging die Treppe hinunter. „ja?“, rief ich zögerlich. Ich wusste nicht, wer in meinem Haus war, also nahm ich den Baseballschläger, den mein Vater neben der Tür stehen hatte, und schlich in die Küche. Ich nahm eine Bewegung war, deshalb drückte ich mich schnell an die Wand. Plötzlich stach mir ein Buch ins Auge, dass auf dem Boden lag. The Nighmare hieß es. Ich riss die Augen auf – mein Tagebuch! Und gerade bückte sich jemand, den ich nicht ganz sehen konnte, danach und hob es auf. Ich schloss die Augen und biss mir auf die Lippen. War doch scheißegal, wenn ein Einbrecher wusste, dass ich Rays Gefühle erwiderte! Ich hörte ein paar mal ein Blättern, dann fiel das Buch zu Boden. Der Eindringling musste wohl gemerkt haben, dass es sich um ein Tagebuch handelte. Ich grinste in mich hinein. Ich hörte, wie der Mann hastig auf die Küchentür zuging. Das war meine Chance! Mit einem Schrei trat ich ins Licht und stürmte auf den Einbrecher zu – und knallte prompt mit Ray zusammen. Bevor ich überhaupt wusste, was passiert war, fingen in meinem Gehirn Alarmglocken an zu läuten. Der Einbrecher hatte mein Tagebuch gelesen. Aber, wenn Ray der vermeintliche Einbrecher war, dann hieß das doch, dass... ich konnte den Gedanken nicht zu ende denken, denn Ray stand vor mir und hielt mir das Tagebuch hin. „ich denke, das ist deins“, murmelte er und lies es neben mich fallen. Er wollte gehen, aber ich hielt seinen Fuß fest, was anderes bekam ich nicht zu fassen. „Warte“, ich schrie es fast. Ray schaute mich über seine Schulter hinweg an. „Auf was?“, wollte er wissen. In seiner Stimme schwang ein sarkastischer Ton mit. „Dass du dich entscheidest ob wir uns küssen oder hassen?“ ich schaute betreten zu Boden. Was sollte ich antworten? Er hatte ja Recht. Für ihn sah es so aus, als würde ich ein verdammt fieses Spiel mit ihm spielen. „Du ...“, fing ich an und suchte nach einem Vorwurf, den ich ihm machen konnte. Ich verzog das Gesicht. „Du hättest das nicht lesen dürfen!“, rief ich aus und rappelte mich auf. „Das ist mein Tagebuch“, schrie ich und funkelte ihn an. „Woher sollte ich das denn bitte wissen?“, schrie Ray zurück. „Da steht doch ein ganz normaler Buchtitel drauf!“. Ich schaute nach unten. Da hatte er natürlich Recht. „Ach ja?“, ich schnaubte. „Und Bücher werden neuerdings per Hand geschrieben? Das ist ja interessant!“, fauchte ich. Ray schien keine Antwort zu wissen. Ich sah in seinen Augen, dass er verzweifelt nach einem Widerspruch suchte. Schließlich starrte er auf seine Schuhe. „Ja, okay“, gab er zu und hob die Hände. „Ich habe dein Tagebuch gelesen.“. Ich vergaß meine Wut augenblicklich. Das war mal wieder typisch. Ray war schon immer lieber den leichteren Weg gegangen, deshalb hatten wir nur selten gestritten. „ja, hast du“, wollte ich mit fester Stimme sagen, aber sie kam nur leise und kratzig aus meiner Kehle. „Und es tut mir ehrlich leid“, meinte Ray und schaute mir dabei so fest in die Augen, dass ich fast Angst hatte, weg zu schauen. „Aber als ich meinen Namen las … “, fuhr Ray fort und ein undefinierter Ausdruck trat auf sein Gesicht. „Da hat mich irgendwie die Neugier gepackt.“. Er drehte sich um und ging in den dunklen Flur zurück. Seine Hand lag schon auf der Türklinke, als er sich nochmal umdrehte. „Joe?“, fragte er und sah ein wenig peinlich berührt aus. „Ja?“, fragte ich gedehnt und ging näher zu ihm, als er etwas unverständliches murmelte. „ich versteh dich nicht. Sprich lauter“, forderte ich ihn auf. Er schaute mich an, seine Wangen waren gerötet. Ich musste ein Grinsen unterdrücken. Der sonst so selbstbewusste Ray wurde ja ganz schüchtern! „Stimmt das?“, fragte er, diesmal lauter. Ich runzelte die Stirn. Was stimmte? „Das, was im Tagebuch steht, meine ich. Bist du wirklich in mich verliebt?“, ich meinte so etwas wie Hoffnung in seinen Augen zu erkennen. In meinem Gehirn ratterte es. Sollte ich ihm die Wahrheit sagen? Ich konnte ihm ja schlecht erzählen, dass ich Lügen in mein Tagebuch schreibe. Also nickte ich stumm. Ich spürte einen Klos im Hals und versuchte ihn runter zu schlucken. Ray nahm meine Hand. Ich versuchte, mich aus seinem Griff zu befreien, aber er hielt mich fest. Ich wich nach hinten, doch Ray folgte mir. Aber ich kam sowieso nicht weit. Unser Flur war ziemlich winzig, weshalb ich schnell mit dem Rücken an einer Wand stand. „Was tust du?“, flüsterte ich, als Rays Gesicht sich meinem näherte. „Ich räume deine letzten Zweifel aus“, erklärte er lächelnd und lies meine Hand los. Ich spürte, wie er eine Hand an meine Hüfte legte, während die andere Hand den Weg in meinen Nacken fand. Ich unternahm noch einen letzten Versuch, mich zu wehren. Dann lagen seine warmen Lippen auf meinen. Ich spannte meinen Körper an und drückte mich gegen die Wand, doch Ray lies nicht locker. Scheiß drauf, schoss es mir plötzlich durch den Kopf. Meine Zweifel fielen einfach an mir herunter und ich erwiderte den Kuss. Plötzlich durchströmte mich ein schreckliches Kribbeln und eine Hitze, die nicht abnehmen wollte. Als wir eine kleine Atempause einlegten sah ich, wie Ray lächelte. „Weißt du wie lange ich das schon tun wollte?“, fragte er, aber ich ignorierte die Frage. Mein Gehirn befand sich im kompletten Ausnahmezustand und ich wollte nicht, dass das aufhörte. Also packte ich sein Shirt und zog ihn wieder an mich. Als ich später auf der Terrasse saß und den Tag mit einem seligen Lächeln auf den Lippen noch mal durchging konnte ich mich nicht daran erinnern, wie lang der Kuss gedauert hatte. Mir war immer noch tierisch warm, was nicht nur an der Hitze draußen lag. Ich schaute auf die Uhr. Es war zehn nach drei und immer noch 25 Grad Celsius. Ich hatte beschlossen heute draußen zu schlafen, um mir die Sterne anzuschauen. Also holte ich einfach meine Matratze und schmiss sie auf den Rasen. Ich legte mich hin und kreuzte die Arme hinterm Kopf. 
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Ein lautes Surren reist mich aus dem Schlaf. „Steh auf, schnell!“, höre ich Ray rufen und öffne die Augen. Ray packt wie verrückt unsere Sachen in den großen Picknickkorb, den wir von zuhause mitgenommen haben. „Was ist denn?“, frage ich mit matter Stimme. Ray dreht sich zu mir um und zeigt hinter mich, dann packt er wortlos weiter. Langsam stehe ich auf und drehe mich um. Ich reise die Augen auf. Eine riesige Staubwolke kommt auf uns zu. Doch dann sehe ich, dass es keine Staubwolke ist. „Sie sind wieder da“, sage ich mit kratziger Stimme. „Ach wirklich?“, höre ich Ray murmeln und wundere mich, dass er selbst in dieser Situation noch sarkastisch sein kann. „Kannst du mir vielleicht helfen?“, fragt er ein wenig genervt, also hebe ich ein paar lehre Dosen auf, die mal mit Suppe gefüllt waren. „Wie lange denkst du?“, frage ich und schmeiße die Dosen in einen improvisierten Mülleimer. Ray setzt sein Nachdenkergesicht auf und schaut dann auf die Uhr. „So ungefähr fünf Minuten“, antwortet er dann und schaut mich an. „Wo sollen wir hingehen?“, frage ich und höre die Angst in meiner Stimme. Ray zeigt auf das Auto, was wir von irgendeiner Auffahrt mitgenommen hatten. „In die Berge“, erklärt er und schultert seinen Rucksack. Ich nicke, tue es ihm gleich und laufe in Richtung Auto. Nach ein paar Anläufen springt der Wagen an und wir fahren los.

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