Romane & Erzählungen
Nie. Wieder.

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"Nie. Wieder."
Veröffentlicht am 01. Juli 2011, 32 Seiten
Kategorie Romane & Erzählungen
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Nie. Wieder.

Nie. Wieder.

„Ich werde nie, nie, nie wieder…“, sich schluchzte und schniefte, „nie, nie, nie wieder jemanden so lieben!“ Olivia knüllte das Taschentuch zusammen, faltete es wieder auf, was ihrer Freundin Micha ein Nasenrümpfen entlockte. Sonst zeigte sie keine Reaktion. Jedenfalls nicht auf das, was Olivia da vor sich hinschnüffelte. Der Typ unten am Steg war wesentlich interessanter.

„Ich habe ihm alles gegeben!“, schluchzte Olivia theatralisch, „mein Herz, meine Seele – alles!“

„Hast du mit ihm geschlafen?“, mischte sich Carmen nun ein. Micha sah kurz hinüber zu ihr und grinste. Carmens Augen waren fest auf den Typen unten am Steg gerichtet.

„Nein!“, rief Olivia entsetzt.

„Na dann. Hast ihm nicht alles gegeben.“

„Aber…“, sie heulte auf, „mein Heeeerz!“

„Ach komm Oli!“, gab nun auch Micha ihren Kommentar ab, „wir sind grad mal knapp 16! Weißt du wie oft wir uns noch…“

„Du hast keine Ahnung Micha! Du hattest noch nie einen Freund! Du warst noch nie verliebt! Woher, WOHER also willst ausgerechnet DU das wissen?“

„Huowwww“, machte Carmen.

Micha zuckte mit der Schulter. „Okey. Ich weiss gar nichts. Heul weiter. Ich geh mit Carmen runter zum Steg… der Typ scheint dich interessant zu finden“, sagte sie an Carmen gewandt.

„Ich dachte eher, er meint dich?“

„Nö. Mich meint der bestimmt nicht!“, Micha grinste. „Wer will MICH denn schon!“, ein Seitenblick zu Olivia. Diese schniefte deutlich, erhob sich und ging. „Mich nimmt auch keine Sau ernst!“, brummelte sie. Micha und Carmen sahen sich an.

„Wie lang war sie mit ihm zusammen?“

„Keine Ahnung. Ich glaube drei Wochen und vier Tage oder so.“

„Ich hab ihm alles gegeben!“, äffte Micha ihre Freundin nach. „Also weißt du, die kann mir ganz schön auf die Nerven gehen mit ihren Jungs!“

„Ja. Mir auch.“ Carmen schwieg einen Moment. „Geh ich dir auch auf die Nerven mit meinem Freund?“

Micha sah ihre Freundin überrascht an. „Wie kommst du denn darauf?“

„Na ja“, Carmen zögerte, „ich meine… du hast keinen und Sven… ich weiss halt nicht…“, sie hielt inne, sah Micha an, „so hilf mir doch. Du weißt genau, was ich meine!“

„Also, mein Schatz!“, Micha zog Carmen in die Arme, „erstens mag ich Sven total gerne, er ist mein Bro – schon vergessen? Zweitens liebe ich dich über alles, du bist mein Schatz! Und drittens… du weißt doch… da ist noch Dominic…!“ Sie liess Carmen wieder los und sah ihr in die Augen. „Und vor allem… ihr seid schon lange zusammen. Was sind es jetzt?“

„Phhhuuu keine Ahnung… ich glaube etwas mehr als sechs Monate… aber ich hab nie so genau mitgezählt!“

„Siehst du… das ist schon ein Grund. Du zählst die Tage nicht, du geniesst sie mit ihm. Wann kommt er eigentlich zurück?“

„Morgen. Endlich! Die drei Wochen waren verdammt lang! Hoch lebe das Internet!“

„Komm… lass uns runter gehen. Jetzt sind seine Kumpels auch hier! Und guck mal… da ist Ivo! Haha… so können wir den anderen kennen lernen!“, Micha sprang auf, packte Carmens Hand und zog sie die Treppe hinunter.

„Hey! Warte mal!“, rief Carmen, „Ich will da nicht runter. Ivo ist ja nett und so, aber… ich würde lieber nach Olivia sehen!“

Micha liess die Hand los. Zuckte mit der Schulter. „Okey“, machte sie, „aber dich stört es nicht, wenn ich…“

„Neee. Geh nur!“

Micha grinste, winkte und ein paar Sekunden später sprang sie Ivo auf den Rücken. Carmen setzte sich noch einmal hin und sah zu, wie Micha als einziges Mädchen in einem ordentlichen Haufen Jungs verschwand. Wie alle zusammen kurze Zeit im Wasser waren und sich balgten. Micha konnte sich wehren und die Jungs mochten das an ihr. Wie immer. Auf Micha musste man nicht aufpassen. Die kam schon klar. Aber Olivia? Das zerbrechliche Elfenwesen – Carmen erhob sich und lief hinüber zum anderen Weiher. Olivia hatte sich sicher hier her zurückgezogen.

 

Acht Jahre später.

„Ich werde nie, nie, nie wieder…“

„Oh mein Gott!“, fiel Micha ihrer Freundin Olivia ins Wort. Sie sassen bei ihrem Lieblingsitaliener, Olivia, Micha und Carmen. Olivia wurde gerade wieder einmal verlassen, und war sich wieder einmal sicher, dass sie nie, nie wieder jemanden so sehr lieben könnte wie – wie hiess er doch gleich?

„Wie lange wart ihr zusammen?“, fragte sie ein bisschen giftiger als beabsichtigt.

„Neun Monate!“

„Phhhaaa, genug, um ein Bab…“ – „Halt die Klappe Micha!“, fuhr Carmen dazwischen. „Du bist wirklich unmöglich!“ Sie blitzte ihre Freundin böse an.

„Ach komm, Süsse!“, lenkte Micha ein, „es ist doch jedes Mal dasselbe! Sie liebt nie, nie, nie wieder und morgen ist da einer, den sie mehr liebt als alle anderen zuvor – sorry, ich kanns einfach nicht mehr hören!“

„Du hast ja auch Glück oder? Hast deinen Dominic geheiratet, hast zwei süsse Kinder von ihm – du bist versorgt!“

„Du hast Haus – Garten – Hund vergessen!“, Micha kratzte den Käse von der Pizza, „ah… und das Boot!“. Carmen sah sie von der Seite an. Schwieg aber.

„Ja. Du hast alles. Und ich hab nichts!“

„Du hast nichts?“, Micha blieb der Mund offen stehen. „Du hast – nichts? Du spinnst ja! Geld wie Heu, freie Wochenenden, keine Windeln keine Flaschen, kein Gekreische. Du hast ja nicht mal so was wie Alltag! Mensch Olivia! Sieh dich doch an. Du siehst gut aus. Sehr gut um genau zu sein. Du schnippst mit dem Finger und sie fliegen auf dich! Du kannst wegfahren wann du willst, wohin du willst, mit wem du willst!“

„Ausser mit dir!“

„Du hast einen tollen Job, du….“, Micha schwieg und starrte Olivia an, als wäre diese verrückt geworden.

„Verstehst du mich Carmen?“ Olivia sah ihre Freundin flehend an. „Sag mir, dass du mich verstehst!“

„Ich versteh dich, Olivia! Aber weißt du, ich versteh auch Micha. Micha… ich weiss nicht, ich glaube, Micha hatte noch nie Liebeskummer. Sie weiss nicht, was das ist.“

„Vielleicht, weil sie noch nie jemanden so geliebt hat wie ich Otto!“

„Ja. Wahrscheinlich!“, brummte Micha.

„Und du Carmen… erinnerst du dich an die Trennung von Sven? Und die von Mario?“

„Ja. Ich erinnere mich. Aber das ging vorbei – und jetzt bin ich eben mit meinem Fast-Ehemann glücklich. Mit ihm will ich alt werden…“

„Die Haus-Garten-Kinder-Hund-Boot-Geschichte“, brummte Micha wieder vor sich hin. Carmen runzelte die Stirn.

„Ist bei dir alles in Ordnung?“, fragte sie.

„Ja. Klar doch. Alles in bester Ordnung.“, sie warf einen Blick auf die Uhr. „Ich sollte dann auch mal langsam… können wir zum Ende kommen?“

Die anderen beiden sahen sie ein bisschen schockiert an. „Du willst schon gehen?“

„Oh. Ja. Zeit für… ihr wisst schon. Dominic ist nicht da, und ich will das Mädchen das heute auf die Kleinen aufpasst nicht überstrapazieren.“ Sie hob das Glas an ihre Lippen, nahm einen kleinen Schluck. Olivia erhob sich. „Muss mal für kleine Olivchen“, säuselte sie. Carmen sah sich alarmiert um. „Auf neun Uhr. Opfer!“, kicherte sie, als Olivia weg war. Dann sah sie Micha wieder an. „Ist wirklich alles in Ordnung?“, fragte sie leise. Micha nickte. „Klar. Ich will einfach nach Hause. Ich hab dem Mädchen gesagt, dass es später wird, und dass sie bei uns schlafen kann. Aber… ich will einfach nach Hause!“

„Micha? Was ist los?“

„Nichts. Gar nichts. Lass mich okey? Wenn ich reden will, komme ich zu dir. Das weißt du.“

„Ja. Klar.“ Carmen hob eine Augenbraue. Micha kam ja immer. Micha hatte ja immer etwas zu reden. So war es eben nicht. Micha – Micha konnte immer alles, sie wurde nicht verlassen sondern sie verliess, ihr wurde nie gekündigt, sie kündigte. Und so weiter und so weiter. Bei Micha lief immer alles wie am Schnürchen. Nicht mal ihre Kinder waren speziell anstrengend. Während Carmen Micha ansah, erinnerte sich daran, wie sie das Haus gebaut hatten. Dominic und Micha. Und wie andere Freundinnen, Bekannte und Verwandte Häuser bauten. Bei Micha ging das erstens schnell und zweitens ohne irgendwelche seltsamen Vorkommnisse. Sie wusste was sie wollte, sagte was sie wollte und so wurde es gemacht. Und so war es immer. Micha brauchte eigentlich keine Freundin zum quatschen.

„Du brauchst eigentlich nur Freundinnen um zu zuhören, oder?“

„Nein. Und ja. Ich – ich… ich brauche euch, um irgendwie Geschichten erzählen zu können.“

Carmen schwieg.

„Traurig. Nicht wahr? Ich brauche Olivias Ausbrüche, Ausschweifungen – sogar ihr Aussehen um Geschichten schreiben zu können. Meine kann man nicht erzählen.“

„Warum eigentlich nicht?“

„Weil sie so einfach ist. So… keine Ahnung. Ohne Reiz eben.“

Carmen winkte der Bedienung, Micha rutschte schon ungeduldig auf dem Stuhl herum. Sie wirkte nervös, unruhig – und plötzlich fiel Carmen auf, dass Michas Augen von einem sehr hellen Braun waren. Sie runzelte die Stirn. „Nein, die sind sonst dunkler“, dachte sie und sah noch einmal genauer hin. Micha zog eine Augenbraue hoch. „Was?“, fragte sie.

„Ich – deine Augen sind so hell.“, antwortete Carmen.

„Na und?“, fragte Micha.

„Nur so. Ich dachte, ich…“, Carmen hielt inne, überlegte, „dass deine Augenfarbe mehr in Richtung Hazeleyes geht.“

„Und jetzt?“

„Keine Ahnung, eher wie Bernstein oder so.“

„Hmmm. Keine Ahnung.“, Micha zuckte die Schultern, die Bedienung trat an den Tisch und Carmen wurde abgelenkt mit dem Bezahlen der Rechnung. Als die junge Frau wieder weg ging, meinte Micha: „Was denkst du, sollen wir auf Oli warten oder sollen wir gehen?“

„Wo ist sie überhaupt?“

„Sie steht beim Opfer.“ Micha rümpfte die Nase leicht.

„Lass uns abhauen. Ein Glas Rotwein? Bei dir?“

„Ja, von mir aus. Mein Wintergarten ist fertig.“

„Echt jetzt?“, Carmen war überrascht. Micha hatte ihr erst vor ein paar Tagen von ihren Plänen erzählt und war schon fertig damit? Micha nickte.

„Ja, ging ganz locker von der Hand.“, meinte sie. Carmen nickte. Eine andere Reaktion hätte gar nicht gepasst. Sie winkten Olivia, die sie nicht bemerkte und verliessen die Pizzeria. Schlugen den Weg zu Micha ein. Nach ein paar Schritten hakte sich Carmen bei ihrer Freundin unter. Schweigend gingen sie weiter, bis sie mit einem Glas Wein in der Hand im Wintergarten sassen. Carmen sah sich um.

„Wow!“, machte sie, „Sieht wirklich gut aus! Du hattest recht, es wirkt viel grösser und heller!“ Micha grinste breit. „Joah, gefällt mir auch sehr gut. Vor allem mit dem Licht – ach, es ist einfach schön!“

„Micha?“, Carmen sah sie über den Rand ihres Glases an.

„Hmmmm?“, machte diese und langte gleichzeitig nach ihrem Handy, das gerade vibriert hatte. Sie tippte darauf herum, las die Nachricht und Carmen hatte kurz den Eindruck, dass Micha es am Liebsten an die nächste Wand geworfen hätte. Stattdessen legte sie es wieder auf den Tisch zurück und wandte sich an ihre Freundin. „Hmmmm?“, machte sie nochmal. Carmen wusste nicht, was sie eigentlich sagen wollte. Oder hätte sagen können. Es war nur ein Gefühl in der Magengegend, ein Gedanke irgendwo in ihrem Kopf.

„Ach. Nichts. Ich habs vergessen. Kann wohl nicht so wichtig gewesen sein“, lachte sie. Dachte aber, dass sie ihre Freundin in nächster Zeit ein bisschen beobachten wollte. Irgendetwas stimmte einfach nicht.

 

Ein Jahr später

„Waaaaas?“, rief Micha aus. „Sie will heiraten?“, sie klang entsetzt. Carmen hielt den Hörer einen Moment weit von ihrem Ohr weg, dann nahm sie ihn grinsend wieder heran.

„Ja. Sie will ihn tatsächlich heiraten. Sie sind schliesslich ein Jahr zusammen. Also wird es Zeit… und wir sollen die Brautjungfern sein.“

„Wir? Also bitte. Wir sind keine Jungfern mehr! Also ich sicher nicht… wie das bei dir aussieht… weiss ich nicht wirklich!“, Carmen hörte wie Micha grinste. Sie musste auch lachen.

„Ach komm. Das wird lustig!“

„Ja. Das wird lustig. Sag mal, kennst du den Film „Die Braut die sich nicht traut?“ – meinst du wirklich Oli heiratet ihn? So ganz richtig und bis zum Ende?“

„Ich kenne den Film. Und ja. Ich denke, sie zieht das Ding durch.“

„Aber warum? Ich meine…“, Micha schwieg.

„Ja?“, machte Carmen.

„Ich meine – sie hat alles. Freiheit, Geld, Status und so weiter und so weiter und sie will heiraten und Kinder kriegen? Sie will echt das Haus-Garten-Hund-Boot-Ding? Ist sie verrückt?“

„Ich will das auch.“, sagte Carmen leicht säuerlich.

„Ja. Ich versteh auch dich nicht, um ehrlich zu sein. Reicht es nicht mir dabei zu zusehen?“

„Nein. Das weißt du, wir haben das durch. Ich will selbst Kinder haben und du sollst von meiner ersten Tochter die Patentante sein. Himmel Micha! Dein Leben ist doch in Ordnung!“

„Habe ich etwas anderes gesagt?“, fragte sie zurück.

„Nein. Aber du tust so!“

„Tu ich das?“, fragte sie mit ihrem sarkastischen Ton. „Wenn du meinst… wann ist die Hochzeit?“

„In zwei Monaten.“ Carmen schwieg ein paar Sekunden, dann sagte sie vorsichtig, „auf der Insel…“ Sie hörte wie Micha nach Luft schnappte.

„Dann bin ich wohl eher nicht dabei, nicht wahr?“, stellte sie die Frage, die Carmen erwartet hatte.

„Doch. Sie bezahlen alles. Den Flug, das Hotel…“

„Für die ganze Familie?“

„Nein. Nur für dich. Olivia möchte, dass du alleine kommst. Und sie hat Fabian eingeladen.“

Micha schwieg. Lange.

„Bist du noch dran?“, fragte sie leise.

„Ja. Aber ich leg auf. Okey. Ich muss nachdenken!“ schon drang das nervtötende Tuten an Carmens Ohr. Sie dachte nach, worüber ihre Freundin nachdenken musste. Ãœber die Tatsache, dass Fabian auch dort sein würde oder die Tatsache, dass Micha ohne ihre Familie nach Malta fliegen sollte. Sie hätte so gern nachgefragt. Doch sie wusste, dass Micha ihr keine Antwort geben würde. Micha beantwortete keine Fragen, schon gar nicht solche dieser Natur.

Carmen legte das Telefon beiseite und kümmerte sich wieder um das Sudoku das vor ihr lag. Aber es wollte ihr nicht gelingen, es war einfach zu schwer – zu schwer, nicht über Micha nachzudenken. Und Fabian. Sie wusste, dass da etwas vorging. Aber sie wusste nicht was.

„Hey, Fabian!“, Carmen hatte ihr Sudoku weggelegt und ihn angerufen.

„Hey Carmen!“, sagte er, „Schön dass du anrufst! Ich habe eben die Einladung geöffnet.“

Carmen runzelte die Stirn. „Du hast eine Einladung bekommen?“, fragte sie.

„Ja. Heute mit der Post. Warum?“

„Weil Micha noch keine hat.“

„Bist du sicher?“

„Ja. Ich hab sie vorher angerufen und sie wusste noch gar nichts.“

„Hmmm. Ich weiss nicht. Vielleicht hat sie sie übersehen?“

„Oder Olivia hat ihr keine Geschickt. Aber warum?“ Carmen war verwirrt. „Ich werde Micha nochmal anrufen. Hey. Wie geht es dir?“

„Mir geht es prima, danke. Ich habe gerade den Vertrag unterschrieben! Nachher werde ich mit den Kumpels noch ein bisschen um die Häuser ziehen.“

„Wow! Gratuliere! Das wird sicher eine gute Party!“, lachte sie.

„Komm doch auch!“ gab er zurück.

„Ach nein, Fabian. Ich bin zu alt um mit euch um die Häuser zu ziehen.“

„Schade.“, er klang echt enttäuscht.

„Ich wäre nur eine Spassbremse“, sagte sie, „vor allem würde ich mich unwohl fühlen unter all den hübschen, jungen Männern. Ein bisschen einsam vermutlich.“ Sie lachte.

„Nimm doch Micha mit?“, schlug er vor. War da Hoffnung in seiner Stimme? Carmen schnippte die Asche von ihrem Bein.

„Ich weiss nicht…“, sagte sie.

„Du wolltest sie sowieso nochmal anrufen. Kannst sie ja fragen.“

„Ja. Könnte ich. Mach ich vielleicht. Ich hätte schon grosse Lust wieder mal mit dir zu feiern.“

„Dann ruf sie an und kommt zusammen. Bitte!“

„Sie wird nein sagen. Du kennst sie doch.“

„Bitte. Carmen. Bitte!“

Sie sprachen noch ein paar Minuten über den Vertrag und andere Dinge, dann verabschiedeten sie sich. Sie wollte Micha anrufen. Doch diese ging nicht ans Telefon. So schrieb sie ihr eine SMS.

„Wo bist du? Kommst du heute mit feiern? Fabian hat den Vertrag unterschrieben.“

Ein paar Minuten später bekam sie Antwort.

„Ich bin im Kletterkurs mit Yannik. Und nein.“

Carmen starrte auf das Display. Und plötzlich ging ihr das Licht auf. Sie schlug sich mit der Hand an die Stirn. „Wie konnte ich so etwas übersehen!“, sagte sie laut. „Wie blind war ich denn?“ Es fügten sich Satzfragmente mit Erinnerungen an gewisse Situationen zusammen wie ein Puzzle, an dem sie schon so lange sass und einfach das Bild nicht hinbekam.

Fabian und Micha. Micha und Fabian. Es war so logisch! Carmen erhob sich um das Nachtessen vorzubereiten. Gleich würde ihr Verlobter kommen und bestimmt Hunger haben. Sie lächelte vor sich hin. Gab sich ganz den Gedanken an ihren Zukünftigen hin und vergass für eine Weile ihre Freundinnen.

 

Einen Monat später

„Ich werde nie wieder so sehr lieben!“, sagte Olivia und putze sich ihre Nase. „Er hat mich einfach sitzen lassen! Drei Wochen vor der Hochzeit!“

„Zum Glück habe ich das Kleid noch nicht gekauft“, meinte Micha. Sie rührte in ihrem Cocktail, streckte die Beine in die Sonne und grinste. Sie schien als einzige total erleichtert zu sein, dass die Hochzeit nicht stattfand. Dass sie trotzdem nach Malta fliegen würden, aber einfach um Ferien zu machen, schien ihre Laune hoch zu halten.

„Fabian kommt auch mit!“, sagte Carmen vorsichtig.

Micha liess ihr Glas sinken, zog die Beine an und sah ihre Freundin an.

„Aber warum?“, fragte sie sichtlich schockiert, „Er – er… was bitte will er mit uns auf Malta? Um Himmelswillen – was will er da?“

„Er meinte, dass er nun schon Ferien auf Malta geplant hätte und das Ticket und alles. Dass er dann auch hinfliegen wolle.“

„Ach so.“ Micha schwieg. Olivia sah sie alarmiert an. „Jetzt schnallt auch Olivia etwas“, dachte Carmen. Aus welchem Grund auch immer, Olivias Blick beunruhigte sie.

„Komm. Kipp das Zeug runter. Ich mach gleich neue“, sagte Olivia. Ihre Augen waren trocken, Carmen fragte sich einen Moment wo die Tränen hin gegangen waren und sah dann entsetzt zu, wie Micha den ganzen Drink unter einmal hinunter kippte.

„Braves Mädchen“, sagte Olivia und nahm das Glas entgegen.

Zwei Stunden später war Micha betrunken wie noch selten. Carmen und Olivia hingegen nur leicht angetrunken.

„Ich werde nie wieder so lieben“, sagte Olivia leise. „Und sagt jetzt nichts, ich weiss, was ihr denkt. Aber ich – ich habe ihn wirklich geliebt. Wirklich, wirklich!“

Micha schniefte leise. „Kannst du überhaupt so sehr lieben?“, fragte sie leise. Carmen runzelte die Stirn. Die Frage erstaunte sie ein wenig.

„Ja.“, gab Olivia schlicht zurück. „Dich. Micha. Ich liebe dich.“

Micha hob den Kopf. Sah erst Olivia an, dann Carmen.

„Ich liebe dich auch“, flüsterte Carmen, „und ich mache mir Sorgen um dich.“

„Ich auch, Micha. Ich auch.“, sagte Olivia. „Wann willst du uns erzählen, was zwischen Fabian und dir war und ist?“

Micha liess den Kopf hängen. Sie gab keine Antwort – die beiden anderen Frauen warteten geduldig. Als sie ihren Kopf wieder hob, spiegelte sich das Kerzenlicht tausendfach auf ihrem nassen Gesicht.

„Es ist nichts.“, sagte sie. „Nichts, was ich euch erzählen könnte oder wollte. Es ist – es ist…“, sie liess den Rest ungesagt. Alle drei Frauen schwiegen. Nach einer Weile erhob sich Micha, stolperte ins Wohnzimmer, legte sich auf das Sofa und war Minuten später eingeschlafen.

„Weißt du etwas?“, fragte Olivia.

„Nein. Aber ich ahne etwas.“

„Was denn?“, wollte Olivia wissen. „Etwa dasselbe wie ich?“

„Was ahnst du denn?“

„Dass wir Micha nicht so gut kennen, wie wir glauben?“

„Ja. Das auch. Und da ist etwas mit Fabian.“

„Oh ja. Da ist allerdings etwas mit Fabian. Der reagiert nämlich auch jedes Mal so sonderbar…“

„Was?“

„Ja. Ich sehe ihn ja regelmässig. Und wir reden oft. Aber nur rund um das Thema Micha herum. Nie direkt über sie oder von ihr. Ich glaube, sie haben sich seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen.“

„Was denkst du, wann das letzte Mal?“

„Ich glaube das war im letzten November.“

„Echt? War er an Ostern nicht dabei?“

„Nein. Sie hatte ihn nicht eingeladen.“

„Oh.“

„Ja. Oh. Weißt du noch, als sie wieder mit dem Training anfing?“

„Das war im Oktober. Das weiss ich, weil es gerade nach meinem Geburtstag war.“

„Genau. Seit da trainiert sie vier bis fünfmal in der Woche. Ich ging im Dezember mal mit. Glaub mir, ich dachte, ich müsste sterben. Sie gibt richtig Gas! Mir tat am nächsten Tag alles weh. Und vor zwei Wochen machte ich den Fehler und ging wieder mal mit. Sie quält sich, verlangt alles von ihrem Körper. Ich sag dir, das ist nicht mehr gesund und schon gar nicht mehr normal.“

„Und sie wird immer dünner.“

„Ja. Ich dachte, es wäre wegen dem Training. Aber das kann gar nicht sein. Ich hab dann mal mit Dominic gesprochen. Und er sagte mir, dass sie sehr wenig isst.“

„Du erstaunst mich immer wieder Olivia. Manchmal denke ich, dass du ein Wesen mit zwei Gesichtern bist!“, sagte Carmen perplex.

„Ich weiss.“, grinste Olivia spitzbübisch. „Ach ja. Noch etwas. Micha spricht unterdessen drei Fremdsprachen fliessend und sie wird in den nächsten Wochen ein Fernstudium abschliessen.“

„Was?“, nun fühlte sich Carmen doch hintergangen. Verletzt. Sie wusste von all dem nichts.

„Keine Sorge Carmen. Ich wusste auch nichts davon. Es war Yannik, der mir das erzählte. Ich war bei ihnen und er machte Hausaufgaben. Ich konnte ihm nicht helfen, da meinte er, es wäre kein Problem, Micha würde ihm morgen vor der Schule schnell ein Auge drauf werfen. Ich wollte wissen, wie Micha ihm helfen könne – ich kann mich erinnern, wie schwer sie sich in der Schule mit Französisch tat. Und jetzt kann sie ihm helfen? Er meinte dann so, „Tante Oli! Weißt du denn nicht, dass sie fliessend Französisch spricht? Und Italienisch? Und Englisch?“ – Ich sag dir, ich hab ihn angesehen als wäre er ein Gespenst. Er hat nur gelacht und meinte dann noch so: „und pass auf – sie kann Gesichter lesen!“ – ich wollte natürlich wissen, was und wie und so. Da erzählte er mir von dem Studium, das sie bald abschliessen würde. Dafür muss sie in zwei Wochen nach Berlin. Um den praktischen Teil zu machen.“

Carmen schluckte. Sie wusste nicht, was sie dazu sagen sollte.

„Wer ist diese Frau?“, fragte sie und zeigte mit dem Daumen über ihre Schulter. „Ich dachte, sie ist unsere Freundin!“

„Sagtest du nicht einmal vor ein paar Jahren, dass sie uns braucht, damit sie ihre Geschichten hat?“

„Ja.“

„Siehst du. Sie hat nie etwas erzählt. Noch nie. Auch damals in der Schule nicht. Sie ist so. Schon immer.“

„Aber… das kann doch nicht sein!“, meinte Carmen. „Ich meine…“, sie schwieg. Olivia und sie sahen sich an.

„Wir werden nie wissen, was zwischen Fabian und ihr lief oder läuft. Beide schweigen wie ein Grab. Aber da war oder ist etwas.“

„Weißt du, Olivia…“, die beiden fuhren erschrocken herum. Micha stand in der Tür und sah auf sie hinunter, „ich werde es euch wirklich nie erzählen. Aber ich werde euch etwas sagen… vor allem dir Olivia. Ich werde nie, nie, nie wieder – versteht ihr, nie wieder, jemanden so nahe an mich heran lassen und so sehr lieben! Nie. Wieder.“

Damit drehte sie sich um, schnappte sich den Autoschlüssel vom Möbel und verliess das Haus. Der Motor heulte auf und in dem Moment schossen Carmen und Olivia aus ihren Stühlen.

„Sie darf nicht fahren!“, schrie Carmen und hetzte durch das Haus. Olivia rannte durch den Garten – Sekunden später hörten sie die Reifen um die Kurve quitschen und das Motorengeräusch verlang in der Nacht. Die beiden Frauen standen auf der Strasse und sahen nur noch die Rücklichter von Michas Wagen.

„Kein gutes Gefühl!“, murmelte Carmen.

„Nein. Gar kein gutes Gefühl!“

„Sie wird sich doch nichts antun oder?“

„Ich bin mir da nicht so sicher, wenn ich ehrlich bin“, sinnierte Olivia nach einem kurzen Schweigen. „Ich bin mir nicht einmal mehr sicher, ob ich diese Frau wirklich kenne!“

„Ich bin mir auch nicht mehr sicher.“

„Sollen wir Fabian anrufen?“, Olivia drehte sich zu ihrer Freundin um. „Vielleicht…“

Carmen nickte. „Er soll hier her kommen.“

„Es ist mitten in der Nacht!“

„Er soll kommen. Er soll uns erzählen was da los ist. Bevor jemand anruft um zu sagen, dass Micha…“ sie liess den Rest ungesagt. Olivia nickte und bewegte sich auf das Haus zu.

„Habt ihr immer noch die Abmachung, dass ihr einander schreibt, wenn ihr zu Hause seid?“, fragte sie über die Schulter. Carmen nickte und tastete nach ihrem Handy. Diese lag im Garten auf dem Tisch. „Es wäre Zeit für die SMS bei dem Tempo das sie hatte“, meinte Olivia und ging ins Haus. Carmen ging dieses Mal durch den Garten, nahm ihr Handy. Nichts. Sie hörte Olivia im Wohnzimmer telefonieren.

„Er kommt gleich. Sieht zuerst nach, ob Micha zu Hause ist.“

Carmen behielt das Handy in der Hand. Wartend sassen sie in Olivias Garten. Eine Stunde verstrich. Eine zweite verstrich. Kein Wort von Micha und Fabian tauchte nicht auf.

„Vielleicht sind sie zusammen?“, fragte sich Olivia laut. Carmen nickte. „Ja. Vielleicht.“

Es war kurz vor vier Uhr morgens, die beiden Frauen sassen immer noch im Garten und sprachen leise über die nicht stattfindende Hochzeit, lenkten geschickt vom eigentlichen Thema ab und warteten.

„Mädels!“, rief Fabian leise, bevor er den Garten betrat. „Seid ihr noch da?“

Die beiden Frauen sprangen auf. „Ja. Hier!“, rief Olivia leise.

Fabian trat ins Licht. Sein Gesicht war fahl und seine Augen waren gerötet, seine vollen Lippen zu einem dünnen Strich zusammen gepresst.

Carmen liess sich sinken. Olivia erhob sich und trat ihm entgegen. Sie nahm ihn in die Arme.

„Was ist los?“, fragte sie. Fabian schüttelte den Kopf.

„Nun sag schon“, flüsterte Carmen mit angstvoll aufgerissenen Augen. „Ist mit Micha alles in Ordnung?“

Er schüttelte den Kopf, dann nickte er.

„Ist sie zu Hause?“, er nickte.

„Ist sie bei Dominic?“, er schüttelte den Kopf.

„Sie ist im richtigen zu Hause“, sagte er, „da wo sie schon so lange hinwollte. Seit dem Tag an dem ich…“, er schluchzte auf und sank auf den Boden.

„Seit dem Tag an dem?“, fragte Olivia leicht verunsichert.

„Seit dem Tag an dem ich…“, sein Körper wurde von wilden Schluchzern geschüttelt, „Gott hilf mir!“ schrie er plötzlich auf, fuchtelte mit den Armen wild um sich, als suchte er nach etwas, was er festhalten könnte, „seit dem Tag an dem ich ihr sagte, dass ich sie nicht liebe. Nicht genug liebe!“, stiess er hervor. Carmen und Olivia starrten sich einen Moment lang an.

„Nicht genug wozu lieben?“, fragte Olivia vorsichtig.

„Um noch länger mit ihr zusammen zu sein!“, flüsterte er. „Dabei sagte ich das doch nur, um sie nicht noch mehr in Gefahr zu bringen!“

„Gefahr?“, fragte nun Carmen.

„Dass man uns entdeckt!“

„Entdeckt?“, Olivia.

„Oh mein Gott!“, rief Carmen. „Oh mein Gott!“

Fabian sah sie an. „Ja. Oh mein Gott!“

„Hattet ihr… du weißt schon… hattet ihr…?“

„Ja.“

„Oh. Nun… nun verstehe ich…“, murmelte Olivia. Sie sah zu Carmen. „Ich glaube… ich glaube, ich habe wirklich noch nie so sehr geliebt“, flüsterte sie. Carmen liefen die Tränen über das Gesicht. „Und ich fühle mich hilflos! Ich fühle mich wie ein Versager! Warum haben wir… warum… wie…“

„Ich habe sie mehr geliebt als alles auf der Welt. Und Malta… Neuanfang… vorbei…“ seine Worte verebbten irgendwo im Nichts. „Ich werde nie mehr jemanden so lieben können wie Micha“, flüsterte er rau. „Nie. Wieder.“

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bloodredmoon

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shirley Bis zum Ende spannend. Zwei kleine Fehler fielen mir auf:
erste Seite- sich=sie
neunte Seite: ...erinnerte sie sich... ( 'sie' fehlt)
Und am Ende verstehe ich nicht, wieso er von Gefahr spricht.
Sonst eine tolle Story.
Vor langer Zeit - Antworten
bloodredmoon Re: -
Zitat: (Original von MikDenter am 01.07.2011 - 23:11 Uhr) Ich hab die ganze Zeit irgendwelche Filmszenen vor Augen.. :-) Schöne Momentaufnahmen.



Das ist doch ein Kompliment! *like it* - DANKE!

lg bloodredmoon
Vor langer Zeit - Antworten
MikDenter Ich hab die ganze Zeit irgendwelche Filmszenen vor Augen.. :-) Schöne Momentaufnahmen.
Vor langer Zeit - Antworten
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