
Es war eine bizarre Situation in der Hütte. Nach der Ankunft unserer  beiden Sternenwächter, genauer gesagt, nach ihrem Aufprall standen Maria  und Josef wie angewurzelt da, trauten sich nicht, sich zu rühren. Auch  Stix und Ferdinand, obwohl sie durch die harte Landung glücklicherweise  keinerlei Blessuren davongetragen hatten, blieben genauso liegen, wie  sie gelandet waren, mitten auf einem Heuhaufen. Mit einer leichten, nur  für Stix zu erkennenden Geste bedeutete sein Meister ihm, um Gottes  willen erst mal ruhig zu bleiben und zu sehen, was passiert. Stix  gehorchte und schloss die Augen, stellte sich schlafend. Ferdinand tat  es ihm gleich. Innerlich zitterten beide vor Angst, aber die zwei  Menschen schienen das nicht zu bemerken. Josef war der erste, der das  Schweigen brach. 
„Oh großer Gott! Maria, du hattest die ganze Zeit Recht! Verzeih mir, dass ich dir nicht geglaubt habe!“
Maria sah ihren Mann verwundert an. „Wovon redest du?“
„Na sieh doch! Diese beiden Zwerge sind soeben vom Himmel gefallen! Das sind Boten Gottes! Sie wollen sicher das Kind holen!“
Entgeistert  und an sich selber zweifelnd sah Maria erschrocken zu dem Heuhaufen  hinüber, auf dem Ferdinands Gewand noch immer hell strahlte. 
„A-a-aber, das kann doch nicht möglich sein…. Ich habe…“
Den Satz sprach Maria lieber nicht zu Ende. Sie beschloss, das Beste aus der Situation zu machen. 
Ja,  mein Lieber, auch das ist bei den Menschen häufig so, in diesem Fall  eher bei den Menschenfrauen. Wenn eine Wahrheit nicht ausgesprochen wird  und nur im Kopf existiert, ist es auch keine Wahrheit. Dann wird die  Unwahrheit billigend in Kauf genommen, aber wehe dem männlichen Wesen,  das sich einer Notlüge bedient… Was? Achso… ja entschuldige…die  Geschichte… also, wo war ich?
Josef näherte sich voller Ehrfurcht und  mit ganz kleinen Schritten den beiden Sternenwächtern. Bei jedem  Schritt, den er näher kam, zuckte Stix merklich zusammen. Was sollten  sie sagen? Wie sollten sie erklären wo sie herkamen, ohne ihr Geheimnis  der Sterne preis zu geben? Er hatte die Augen einen Spalt geöffnet und  sah Hilfe suchend zu Ferdinand und zum ersten Mal, seit er ihn kannte,  sah er auch in seinem Gesicht pure Ratlosigkeit. Josef war nun bei  Ihnen, beugte sich über sie und streckte seine Hände aus. Stix schloss  die Augen, ganz fest. 
Ein lautes Klopfen ließ den Zimmermann inne  halten. Einmal, zweimal, dreimal klopfte es. „Josef, wer kann das sein?“  Marias Stimme zitterte ängstlich. Josef ließ von dem Heuhaufen ab,  wandte sich der Tür zu. Mit einer Mischung aus männlicher  Selbstsicherheit und ängstlicher Verwirrtheit öffnete er und stand nun  drei hochwohlgeborenen Gestalten gegenüber, die ihn freundlich  anschauten. Ihre Kleidung war über und über mit Edelmetallen verziert  und sie trugen königliche Kopfbedeckung. Der Anblick beruhigte ihn und  seine Anspannung wich als der Vordere das Wort an ihn richtete.
„So  seid uns gegrüßt, edle Leute! Wir sind die heiligen drei Könige aus dem  Morgenland. Wir sind einem mächtigen Stern gefolgt, der uns zu euch  gebracht hat um euch frohe Kunde zu überbringen. Euch ist heute der  Heiland geboren!“
Josef sah fragend zu Maria hinüber, die immer noch  kauernd in der Ecke saß. „Der Heiland? Was ist denn bitte ein Heiland?  Er heißt Jesus, benannt nach meinem Urgroßvater, Gott hab ihn selig.“
Melchior stellte innerlich fest, dass er es hier nicht mit den geistig hochentwickeltesten Menschen zu tun hatte. 
„Aber  nein , mein Sohn. Heiland bedeutet so viel wie „Der Sohn Gottes“.  Dieses Kind soll euch und uns alle leiten und auf den rechten Weg  bringen.“
Stix und Ferdinand beobachteten dieses merkwürdige  Schauspiel. Sie waren froh, dass die Aufmerksamkeit für einen Moment von  ihnen abgelenkt war. So konnten sie sich beraten. „Meinst du, er sagt  die Wahrheit, Ferdinand? Wenn das Kind wirklich vom Himmel kommt,  vielleicht weiß es, wie wir zurückkommen.“ Ferdinand sah stirnrunzelnd  zu der Krippe hinüber, in der der kleine Jesus friedlich schlief. „Ich  glaube eher nicht, Stix, ich denke diese Menschen sind nicht ganz  ehrlich. Sieh doch, wie mich der Linke die ganze Zeit ansieht und seinen  Nebenmann an stupst und auf mich zeigt. Ich sage dir, wir müssen uns  etwas einfallen lassen, die Menschen los zu werden. Komm, wir verstecken  uns hinter der Krippe.“ Mit einem Satz zischten die Zwei, als sie für  eine Sekunde unbemerkt waren, vom Heuhaufen hinter den Holztrog. 
„Wir  haben euch und eurem heiligen Kind Gaben mitgebracht. Kommt, lasst uns  zur Krippe gehen, wir möchten sie ihm persönlich darlegen.“
Maria  protestierte: „Ohh Nein, er ist gerade eingeschlafen und ich habe keine  Lust heute Nacht hunderte Male aufzustehen um ihn wieder in den Schlaf  zu wiegen. Mir tun von unserer Reise sämtliche Knochen weh, ich bin müde  und kaputt und außerdem habe ich die schlimmsten Kopfschmerzen, die man  sich denken kann“
„Hier haben wir Gold, Weihrauch und Myrrhe.“  Melchior öffnete den alten Beutel mit der Beute, nahm jeweils etwas der  drei Gaben heraus und legte es zu dem Baby in die Krippe.
„Gold?  Warum habt ihr das denn nicht gleich gesagt, nur zu, legt hinein, was  ihr hineinlegen wollte, edle Herren. Wozu ist eigentlich die Myrrhe?“
Melchior  stotterte: N-nun, es handelt sich um………….. ein heiliges Mittel….. zur  Bekämpfung……. von Läusen bei Kindern……sehr wertvoll…. Und vor allem  teuer.“ 
Bei dem Wort „teuer“ hellte sich Marias Gesicht sichtbar auf und ihre Zweifel schienen augenscheinlich verschwunden. 
Caspar  blickte sich derweil still und heimlich um, bis sein Blick schließlich  auf ein leichtes Glitzern hinter der Krippe fiel. Unsichtbar für die  anderen tippte er Melchior zweimal in die Seite. Das war das verabredete  Zeichen. Melchior verstand, blickte vielsagend zu Balthasar rüber, der  direkt neben der Krippe stand und den kürzesten Weg für einen schnellen  Griff hatte. Dann räusperte er sich laut und trat ein Stück weiter in  die Mitte des Raumes, wo Josef inzwischen seinen Arm um Maria gelegt  hatte. 
„Nun, ehrenwerte Leute, nun wollen wir zu Ehren der Geburt  des Heilandes ein Ständchen bringen, ein Lied, überliefert aus alter  Vorzeit, welches die Geschichte der Natur und eines Ihrer ältesten  Bewohner erzählt.“
Der Gesang legte sich über die Hütte wie ein  starkes Gewitter. Er war nicht sonderlich schön anzuhören, vor allem war  er laut. „Oh Tannenbaum?“ dachte Stix, „was für ein komischer Text.“  Dann sah er eine riesige Hand auf Ferdinand zu  rasen. Sie versuchte ihn  zu greifen. Ferdinand hatte die Situation aber erkannt und wich mit  einem gekonnten Hechtsprung in die Krippe aus. Stix folgte ihm sofort.  Doch die Hand gab nicht auf. Wieder versuchte sie zu greifen, wieder  konnte Ferdinand gerade noch ausweichen. Lange würde das nicht gut  gehen.
Dann geschah etwas, mit dem niemand gerechnet hatte. Das Gold,  der Weihrauch und vor allem die Myrrhe, die zuvor von Melchior in die  Krippe gelegt worden waren, begannen hell zu leuchten. Balthasar wich  erschrocken zurück, die anderen schienen noch nichts bemerkt zu haben.  Sie bemerkten auch nicht, dass die Krippe begann ein Stück über dem  Boden zu schweben. Auch Stix und Ferdinand hatten keine Erklärung dafür,  Ferdinand hatte aber eine Idee. „Stix, sieh, die Myrrhe fängt an sich  über die gesamte Krippe zu verteilen, und schau, wie sie glitzert, sie  formt sich zu einem Schweif. Das muss durch die komischen Töne, die die  Menschen bei ihrem Gesang verursachen, kommen.“
Balthasar hatte  mittlerweile den ersten Schrecken überwunden, machte die anderen mit  einem lauten:“Seht dort oben!“ auf sich aufmerksam. Der Gesang  verstummte abrupt und die Blicke trafen ungläubig auf die schwebende  Krippe. „Jesus! Was passiert hier?“ Maria versuchte, nach ihrem Kind zu  greifen, reichte aber nicht heran. Melchior und Caspar hatte es die  Sprache verschlagen. Das war so nicht geplant gewesen. 
„Und was  jetzt Ferdinand?“, flüsterte Stix leise. „Schau, der Schweif entwickelt  sich zurück und wir sinken wieder zu Boden, dann werden sie uns gefangen  nehmen und zum Frühstück essen oder ähnliches. Scheinbar hattest du  Recht, wir müssen dafür sorgen, dass sie wieder singen. Aber wie?“  Ferdinand überlegte kurz, richtete sich dann auf und stieg auf den Rand  der Krippe. 
Josef erblickte ihn als Erster. „Seht, einer der Götterboten ist erwacht, schaut wie er glitzert! Er will uns was sagen!“
Caspar und Balthasar blickten Melchior wütend an, der zuckte nur verunsichert mit den Schultern. 
„Ja,  meine Freunde, ihr habt Recht! Das hier IST der Sohn Gottes, und wir  sind zu ihm gereist,  um ihn vor dem Bösen zu beschützen!“ Ferdinand gab  sich Mühe seine Stimme möglichst laut und bedrohlich klingen zu lassen.  
„Und das nicht ganz zu Unrecht, wie wir feststellen mussten. Ihr drei dort wolltet stehlen, ist es nicht so?“ 
Wieder sahen Caspar und Balthasar vorwurfsvoll zu Melchior hinüber, der aber brachte nur ein leises Stammeln heraus.
„Nun…äääh…wir…wir wollten….“
„Still,  bevor euch die Wut der Herren trifft! Ihr dort, Maria und Josef, kommt  und nehmt euer Kind. Geht mit ihm hinaus in die Welt und bringt den  Menschen Gutes. Lehrt sie gute Taten, bewahrt sie mit seiner Hilfe vor  dem Bösen! Und sagt den Menschen, dass heute etwas Wichtiges passiert  ist, sie sollen sich für immer an diesen Tag erinnern, an dem euer Sohn  geboren ist!“
Maria trat vorsichtig einen Schritt auf die Krippe zu,  griff hinein und holte ihren kleinen Jesus sanft hinaus. Es war ihr  egal, woher er kam, sie war sich aber sicher, dass er etwas ganz  Besonderes war. Sie schwor sich innerlich auf die Worte des Wesens genau  zu hören.
„Nun wieder zu euch dreien! Zur Strafe für eure Freveltat  werdet ihr wandern, ihr werdet sofort damit beginnen. Ihr wandert von  Haus zu Haus und singt den Menschen frohe Lieder. Wir werden über euch  schweben und euch bewachen. Und ihr werdet das ab sofort jedes Jahr zur  selben Zeit tun. Habt ihr mich verstanden?“ 
Eingeschüchtert  schlichen die drei „Könige“ hinaus auf die Straße. „Da hast du uns ja  was Tolles eingebrockt, Herr Professor Melchior! Die  Sternensänger-Nummer müssen wir machen, hat er gesagt. Dafür gehst du  jetzt voran und singst am lautesten!“
Melchior wusste, dass es keinen  Sinn hatte zu protestieren. Er, obwohl er der hellste Kopf von ihnen  war, hatte keine Erklärung für das was hier passiert ist. Wie sollte er  von seinen Kumpanen erwarten, Verständnis dafür zu haben. Aber  vielleicht war das, was hier passierte auch nicht das Schlechteste. Das  Gaunerleben war nie sehr einträglich gewesen, vielleicht ließ sich ja  mit dem Gesang irgendwo auf der Welt ehrliches Geld verdienen. Mit  diesem Gedanken wich seine Niedergeschlagenheit, auf sie folgte  ehrliche, nie gekannte Motivation. Er öffnete seinen Mund und begann zu  singen. So laut und, zumindest seiner Meinung nach, so schön wie nie  zuvor.   
Stix und Ferdinand schwebten wieder, unter ihnen die  singenden drei Gestalten. Maria und Josef hatten sich überraschend zu  ihnen gesellt und sangen mit, eine Horde Schafhirten war ihnen gefolgt  und hatte ebenfalls mit eingestimmt. Die Kraft des Gesangs hatte die  drei Leuchtmittel in der Krippe zu so einem hellen und langen Schweif  werden lassen, dass sie nun mühelos das Himmelland erreichen konnten. 
„Meinst du, sie werden sich daran halten, Ferdinand?“
„Ich  glaube schon, kleiner Freund. Sie sahen sehr verängstigt aus.“  Ferdinand grinste, nicht ohne eine gehörige Portion Stolz ob seiner  schauspielerischen Darbietung. 
„Aber warum sollen die das nun jedes Jahr machen, hätte heute nicht ausgereicht?“
Wieder  grinste Ferdinand. „Eine reine Vorsichtsmaßnahme, denn du, mein kleiner  Tollpatsch, hast noch drei lange Lehrjahre und danach jeden Menge  Dienstjahre vor dir, wenn du irgendwann meine Stelle übernimmst. Falls  so etwas wieder passiert, wissen wir nun wenigstens, wen wir wann suchen  müssen, um wieder heim zu kommen. 
Stix sagte nichts. Er war stolz. So stolz wie nie zuvor.
„Ist  das dein Ernst? Fliegende Krippen, durch Gesang angetrieben, haben  Weihnachten erfunden? Ich meine, hat dir diese Geschichte schon mal  jemand geglaubt?“
„Aber genau darum geht es ja, mein Freund. Was ist schon Glauben? Ist es die Wahrheit, nur weil man daran glaubt?“ 
„Hohoho…  Weißt du, ich danke dir sehr für deine Gastfreundschaft und für diese  wirklich köstliche Geschichte, aber ich muss nun weiter. Ich hoffe wir  sehen uns irgendwann mal wieder…. Fliegende  Krippen….Gesang…..Großartig!“
„Da fliegt er davon!“
„Hat er dir geglaubt Ferdinand?“
„Ich weiß es nicht Stix, ich denke eher nicht.
„Weiß  er, dass er der Klapperstorch ist und seine Geschichte von den  Menschenkindern, die er angeblich bringt genauso abwegig klingt?“
„Naja, mein kleiner, aber es gibt ihn ja, er war ja eben gerade hier.“
„Glauben die Menschen denn an Ihn?“
„Nur, wenn sie ganz klein sind, vielleicht, weil sie sich noch an den Flug erinnern.“
„Ja, stimmt. Aber was glauben denn die Menschen, wo ihr Nachwuchs herkommt?“
„Das mein lieber Stix, erzähle ich dir, wenn du ein bisschen älter bist, so in ein paar Tausend Jahren.“
                         ENDE
Anmerkung des Autors: Die Namen "Thaddadia" und "Balytora" von zwei der heiligen drei Könige beziehen sich auf eine ältere Namensgebung des 6. Jahrhunderts. Zu den "Königen" wurden sie erst ab dem 8. Jahrhundert, auch ihre noch heute bekannten Namen bekamen sie erst zu diesem Zeitpunkt. Lediglich Melchior trug von Beginn an seinen noch heute bekannten Namen.
| elmanu Re: Ist ... -  Zitat: (Original von Gunda am 17.03.2011 - 21:28 Uhr) ... vielleicht nicht gerade als Märchen für Kinder geeignet, aber ich habe wieder schmunzeln müssen ... Lieben Gruß Gunda Ja ich wusste auch nicht so recht, wo ich das einordnen soll, eher eine Parodie auf ein Märchen.. somit hab ich mit deinem Schmunzeln den Sinn und Zweck erfüllt! ;-)  |