
Ja, mein Freund, du schaust  zurecht etwas verängstigt drein. Durch Stix Schusseligkeit, oder eben  durch seine Höhenangst, die er in dem Moment wohl vergessen hatte,  stellten sich den beiden in diesem Moment gleich 3 Probleme. Erstens:  Sie stürzten auf die Erde zu, ungebremst, da der Treibstoff noch nicht  eingefüllt worden war. Zweitens: Auch der Leuchtstoff befand sich noch  nicht im Sternentank, Was prinzipiell gut war, denn so sahen die  Menschen den Stern nicht, allerdings konnte der goldene Schweif den  Sturz so auch nicht bremsen und in die richtige Bahn lenken. Drittens:  Selbst, wenn alles gut ginge, wie sollten sie zurück ins Himmelland  gelangen? Ferdinand beschloss, sich diesem Problem etwas später zu  widmen, er hatte zum Glück den Behälter mit dem Treibstoff und dem  Leuchtmittel noch dabei. Auch Stix hielt den Schlauch immer noch  krampfhaft in den Händen, so als könne der irgendetwas an der Tatsache  des nahenden Aufpralls ändern. 
„Stix! Wirf den Schlauch zu mir  herüber, ich muss den Tank befüllen!“ Stix sah seinen neuen Meister  entgeistert an, der Fahrtwind war so stark, das würde niemals gut gehen.  Dennoch versuchte er den Schlauch mit einer Hand zu Ferdinand zu  werfen. Mit einer blitzschnellen Handbewegung hatte der ihn tatsächlich  gefangen. Stix war einmal mehr beeindruckt, Ferdinand war offenbar nicht  nur gut zu Fuss, sondern auch sehr reaktionsstark, beachtlich für ein  Wesen, das aussah, als wäre es bereits Zeuge des Urknalls gewesen.  Irgendwie gelang ihm es sogar, sich mit einer Hand festzuhalten, mit  einer den Schlauch zu halten, mit einer den Behälter mit der Tankfüllung  zu öffnen und mit einer vierten und fünften Hand den Tank zu füllen. 
Nein,  natürlich hatte der Sternenwächter nicht wirklich fünf Hände, es wirkte  nur so, weil er so geschickt war und unter großer Anspannung stand. Das  ist wie bei dir. Ich habe auch den Eindruck, du hättest 5 Schnäbel,  weil du mich immer wieder unterbrichst. Darf ich nun weiter erzählen?  Gut. 
Sobald Ferdinand seine Arbeit ausgeführt hatte, begann die  große Kugel umgehend hell zu strahlen. Auch der Flug verlangsamte sich.  Ferdinand und Stix atmeten tief durch, konnten ihre bereits schmerzenden  und wunden Hände von den Felsen und Steinen lösen. Der Fahrtwind war  nun erträglich. Stix war der erste, der das Wort ergriff. 
„Es tut mir leid, Ferdinand, mir wurde plötzlich etwas komisch!“
Ferdinand tanzte eine vorwurfsvolle Falte über die Stirn. 
„Dir  ist aber schon bewusst, dass wir im Himmelland, einem Land das komplett  aus Wolken besteht, leben und dass dir selbst bei einem Sturz aus  dieser Höhe von der Leiter nichts passiert wäre?“ 
Stix wurde rot. Irgendwie hatte er nicht daran gedacht. 
„Nun mach dir keine Vorwürfe, zumindest nicht jetzt, wir leben ja noch.“ 
„Fliegen wir nun an den Bestimmungsort?`“
„Leider  nein, mein kleiner Schussel, ich war noch nicht dazu gekommen, die  Koordinaten in den Sternencomputer einzugeben. Wir fliegen solange, bis  und der Leuchtstoff ausgeht. Da wir aber nur eine Tankfüllung haben und  man eigentlich für einen längeren Flug drei davon benötigt, werden wir  wohl auf der Erde notlanden müssen. Wir können nur hoffen, dass die  Myrrhe das bewirkt, was wir vermutet haben und die Menschen uns nicht  sehen können.“
Stix sagte nichts darauf, blickte nur mit sorgenvoller  Miene über den Rand der Kugel hinweg und sah wie die noch viel größere  blaue Kugel rasant immer näher kam. 
Man sollte meinen, die Zeit  verläuft immer gleich. Die Minuten und Sekunden verstreichen stetig in  der selben Geschwindigkeit. Es ist aber nicht nur bei den Menschen so,  dass in gewissen Situationen der Eindruck entsteht, dass eine  unsichtbare Hand die Zeiger der Uhr irgendwie immer wieder verlangsamt  oder sogar ganz anhält. Bei unliebsamen Arbeiten zum Beispiel, bei  Wartezeit auf die Menschenfrau oder ein Transportmittel. Auch für Stix  und Ferdinand verstrich die Zeit unerträglich langsam. So langsam, dass  wir uns in der Zwischenzeit einmal der Erde widmen und unsere  Aufmerksamkeit drei merkwürdigen Gestalten schenken, die sich dort unten  gerade den Weg durch ein menschenleeres Gebiet bahnten. Man hatte den  Eindruck die drei hätten sich verlaufen. Sie waren sehr prunkvoll  gekleidet, trugen über und verzierte Gewänder, sowie ebenso wertvoll  wirkenden Kopfschmuck. Kam man den Gestalten allerdings näher, stellte  man fest, dass diese Verzierungen nicht etwa aus Silber und Diamanten  bestanden, sondern mehr aus Blech und Metall, dass sie nur mit ein paar  Hilfsmitteln sehr blank und glänzend poliert hatten. Auch die  Gemeinschaft, die die drei durch einen Gleichschritt signalisierten,  schien nur gespielt, denn ganz offensichtlich stritten sie sich. Und das  ziemlich lautstark. 
Melchior, der mittlere, schimpfte leise, aber für die anderen beiden durchaus hörbar vor sich hin.
„Lasst  uns zur Volkszählung gehen, haben sie gesagt. Dort werden wir viel  verdienen, haben sie gesagt. Ich kenne den Weg, haben sie gesagt…“
„Nun  hör auf zu nörgeln, Melchior, hättest du die Karte richtig herum  gehalten, wären wir schon lange dort. Stattdessen irren wir hier ziellos  durch die Wälder. Mir ist kalt und ich hab Hunger. Und kein Kunde weit  und breit.“
Melchior runzelte die Stirn:. 
„Mein lieber Thaddadia,  zum einen brauchst du  nicht von Kunden zu sprechen, wenn kein Mensch  in der Nähe ist. Sag es ruhig. Wir brauchen ein Opfer! Zum anderen,  hättest DU mit Balytora gestern abend nicht so viel Wein getrunken,  wären wir womöglich schon lange dort bei dieser Volkszählung, wo sich  angeblich Tausende von Menschen versammeln, auch die Reichen, die wir  dann ausgiebig um ihr Hab und Gut erleichtern können.“ 
Die beiden  anderen Gestalten blieben entrüstet stehen. Der linke, den Melchior wohl  mit „Balytora“ gemeint hatte, hob die rechte Hand, streckte den  Zeigefinger mahnend in die Luft und protestierte mit breiter Brust: „Nun  aber Schluss Melchior! Du hast mitgetrunken und mit der Magd des  Gasthauses auf dem Tisch getanzt. Ausserdem, ist es nicht klug, in der  Öffentlichkeit von Opfern zu sprechen, die Augen des Gesetzes sind  überall, auch unsere richtigen Namen erwähne gefälligst nicht. Er heisst  „Caspar“ und ICH heisse „Balthasar“, nur weil DU es nicht für nötig  hälst, dir einen Decknamen zuzulegen, musst du uns ja nicht in Gefahr  bringen!“
Beide standen sich nun Nase an Nase, machten den Eindruck  als wollten sie sich prügeln, offensichtlich nicht das erste Mal. Der  linke, Caspar, ging dazwischen.
„Nun hört auf mit dem Kindergarten!  Wir müssen weiter, es ist bereits dunkel, der Sack mit der Beute von  gestern ist ziemlich schwer und ich bin hundemüde. Wir müssen die Stadt  finden, Bethlehem, die muss hier doch irgendwo sein.“
Widerwillig und  mit einem jeweils äußerst bösen Blick wandten sich die zwei Streithähne  voneinander ab. „Nun gut, lasst uns weitergehen. Wir brauchen dringend  einen Schlafplatz und etwas zum essen. Was ist noch im Beutel?“ Caspar  öffnete einen alten zerlumpten Sack, den er die ganze Zeit auf dem  Rücken getragen hatte und sah hinein. „Ein wenig Gold, Weihrauch und  jede Menge Myrrhe. Wer ist bloss auf die Idee gekommen, dieses komische  Zeug mitzunehmen? Niemand von uns hat eine Ahnung, wozu man es  gebrauchen kann.“ Balthasar antwortete entrüstet: „Aber wir wissen genau  so wenig, wozu man es NICHT gebrauchen kann. Es lag bei unserem letzten  Einbruch halt so herum in dieser alten Hütte. Besser als nichts dachte  ich mir.“ „Naja, das wird sich noch herausstellen.“ Caspar blickte  seinen Kumpanen spöttisch an. „Fang du nicht auch noch Streit an. Ich….“
„Hört auf! Seht! Dort!“ 
Caspar  und Balthasar sahen verwirrt zu Melchior, der mit weit aufgerissenen  Augen auf den sternenklaren Nachthimmel starrte. „Was ist mir dir?“  Caspar kicherte. „Hast du den Mann im Mond entdeckt?“ 
„Halt den Mund und schau, was dort oben am Himmel ist. Gold!“ 
„Nun  ist er völlig verrückt geworden.“ Wollte Balthasar antworten, während  er seinen Blick langsam und widerwillig gen Himmel gleiten ließ, doch  die Worte blieben ihm zur Hälfte im Halse stecken, denn nun sah er sie  auch. Eine riesige, glänzende Lichtkugel mit einem langen goldenen  Schweif. Sie bewegte sich rasant auf die Erde zu. Ihr Licht war so hell  und warm, dass es einige Momente dauerte, bis die drei ihren Blick  abwenden konnten. „Was… was ist das?“ Caspars Stimme zitterte. „Ein Bote  Gottes, um uns zu bestrafen?“ „Red keinen Unsinn! Das ist pures Gold,  vom Himmel gesandt, um uns reich zu machen!“ Melchior war, wie üblich,  der erste, der die Situation überblickt, analysiert und einen Plan  aufgestellt hatte. Kommt, er fliegt nach Norden, wir folgen ihm, der  goldene Schweif ist unser, wem auch immer er eigentlich gelten sollte.“ 
So  machten sich die drei Gestalten schnellen Schrittes auf den Weg. Ihren  Hunger und ihre Müdigkeit hatten sie nun vollkommen vergessen. Das geht  den Menschen übrigens häufig so, dass Dinge, über die sie sich vorher  beschwert hatten, und die sie als „unaushaltbar“ beschrieben haben, sich  wie von Geisterhand in Luft auflösen, sobald etwas auftaucht, was ihnen  einen Vorteil oder etwas Bequemlichkeit verschaffen könnte. Ja, die  Menschen sind schon ein komisches Volk. Aber lasst uns nun schauen, was  Stix und Ferdinand in der Zwischenzeit so getrieben haben. Eins steht  fest, sie haben nicht bemerkt, dass man SIE bemerkt hatte.  Möglicherweise haben sie mit dem Gedanken gespielt, aber sie hatten  derzeit weiss Gott andere Sorgen. Der Treibstoff ging nämlich zu Ende,  bis zur Erde waren es noch einige Meilen und sie hatten keine Ahnung,  wie und wo sie landen sollten. Nur langsam bewegte sich der Boden, die  unzähligen Bäume und Felder, die Wiesen und das Licht der Hütten und  Feuerstellen auf sie zu. Ferdinand grübelte. Eine dicke Falte hatte sich  über seiner Stirn gebildet. Stix sass einfach nur da, fassungslos vom  Anblick, der sich ihm bot. Nie hatte er die Erde gesehen, und wenn es  nach ihm ginge, könnte er auch jetzt getrost darauf verzichten. Dennoch  war er der erste, der nach langer Zeit das Schweigen brach. „Ferdinand,  wie sollen wir den Stern verlangsamen? Wird es nicht ziemlich weh tun,  wenn wir ungebremst notlanden? Ich meine der Boden dort unten sieht so  anders aus. Gar keine Wolken. Merkwürdig.“ Ferdinand antwortete zwar,  sein Blick bewegte sich aber keinen Millimeter, er sass immer noch wie  angewurzelt an der selben Stelle. Wäre er nicht nach wie vor über und  über mit Glitzerstaub bedeckt gewesen, Stix wäre sich sehr einsam  vorgekommen, denn es hatte den Anschein, als wäre er allein. „Glaub mir,  kleiner Angsthase, ich mache mir gerade darüber Gedanken. Eine Lösung  ist mir aber noch nicht eingefallen. Vielleicht haben wir ja auch Glück  und der Treibstoff reicht bis zur Erde. In diesem Tempo wird uns nichts  passieren und wir können in einem Wald notlanden, wo uns niemand sieht.“  „Und wenn nicht?“ „Sei nicht so negativ, manchmal muss man einfach  blind von einem positiven Ende eines Problems ausgehen und alle Zweifel  schlicht ignorieren!“ „Und das hilft?“ Nein, eigentlich nicht, aber man  fühlt sich besser! Und nun lass mich weiter nachdenken, ich…..“  Ferdinand hatte den Satz noch nicht beendet, das ging ein Grollen durch  den Stern. Dann wurde es langsam dunkel. Der Treibstoff war leer. Der  Stern war erloschen. In wenigen Sekunden würde er in freiem Fall direkt  auf die Erde stürzen. Stix sah Ferdinand erschrocken an. „Und was  jetzt?“ „Festhalten, Stix! Und ein bisschen Schreien kann auch nicht  schaden. Wir werden in wenigen Momenten landen!“ Dann nahm die große  Kugel langsam Geschwindigkeit auf. Stix blickte nach unten, um erkennen  zu können, wo sie aufschlagen würden und sah mit Schrecken, dass der Weg  sie nicht wie gehofft in einen Wald oder auf ein Feld führen würde,  dort unten waren jede Menge Häuser und Hütten, alle waren beleuchtet und  strahlten hell. Das war eine Stadt und sie hatten keine Möglichkeit  mehr ihr auszuweichen“