
Stix war überrascht, mit welcher Geschwindigkeit Ferdinand die  unzähligen Stufen hinauf ins Turmzimmer bewältigte. Er selber hatte  große Mühe, ihm zu folgen, die Stufen, eine nicht enden wollende  Wendeltreppe, hörten einfach nicht auf. So riesengroß war ihm der Turm  von aussen gar nicht vorgekommen. Er schnappte nach Luft, musste immer  wieder stehen bleiben, um zu verschnaufen. „Nun mach schon, kleiner  Wicht, wir haben viel zu tun!“, hörte er Ferdinand rufen, sehen konnte  er ihn nicht mehr, denn der Sternenwächter war zwei Etagen über ihm  durch eine Eisentür verschwunden. Stix nahm seine Kräfte zusammen und  spurtete schnellen Schrittes die letzten Stufen hinauf. Vor der  geöffneten Türe blieb er stehen und schaute vorsichtig hindurch in den  Raum des Sternenwächters. Das musste das Arbeitszimmer sein, das  wichtigste Zimmer des Hauses. Überall waren merkwürdige Gebilde zu  erkennen mit vielen bunten Knöpfen und Hebeln. Mehrere Transportbänder,  die sich stetig bewegten, transportierten ebenso merkwürdige Dinge von  einer Maschine in die andere. Materialien der verschiedensten Formen und  Farben, eines hatten sie jedoch alle gemeinsam, sie leuchteten und  strahlten so hell, dass eine weitere Beleuchtung des Raumes überflüssig  geworden war. Hier war Tag, auch wenn es draussen Nacht war. „Da staunst  du, was?“ Die Stimme Ferdinands riss Stix aus seiner Ehrfurcht. Er  stand immer noch mit weit aufgerissenen Augen im Türrahmen, traute sich  kaum hinein. „Nun komm schon hinein, mein Junge, ich beisse nicht, und  meine Maschinen erst recht nicht.“ Ferdinand lachte wieder. Er schien  ein sehr fröhlicher und freundlicher Geselle zu sein, wenn man ihn nicht  gerade auslacht. Stix trat langsam und vorsichtig ein, er versuchte die  Augen so zu drehen, dass er den ganzen Raum im Blick hatte, so  aufregend war das alles. Das gelang ihm natürlich nicht, lediglich ein  sehr merkwürdiges Schielen funkelte so über sein Gesicht. Wieder begann  Ferdinand schallend zu lachen. „Mach dir keine Sorgen, Stix, so  bescheuert schauen alle Neuen aus, wenn sie das Turmzimmer das erste Mal  betreten!“ Nun hatte der Sternenwächter endlich Stix`s Aufmerksamkeit  erlangt. „Was ist das hier alles?“ fragte er, ohne den Blick auch nur  für einen Augenschlag von den Maschinen abzuwenden. Stolz drehte sich  Ferdinand um, breitete die Arme aus, so als wolle er auf alle Maschinen  gleichzeitig zeigen. „Das, mein kleiner Freund, das hier ist die  Sternenwacht. Hier wird das Gleichgewicht der Sterne gesteuert.“ Auf  diesen Satz hatte Stix gewartet. „Was bedeutet das „Gleichgewicht?“  Ferdinand winkte ab. „Diese Frage stellen sie ebenfalls alle zuerst.  Nun, das Gleichgewicht der Sterne bedeutet, dass die Konstellation der  Sterne auf der Erde, die man bei Nacht von unten aus beobachten kann,  stets die selbe sein muss. Kein Stern darf erlöschen, keiner darf sich  verschieben, sie müssen stets die Sternenbilder, wie den „großen Wagen“  bilden.“ Stix war verwundert. „Aber die Sterne haben sich doch seit  Ewigkeiten nicht bewegt. Sie stehen immer an der selben Stelle, auch  ohne Sternenwacht.“ Wieder ein schallendes Gelächter. „Mein lieber Stix,  was glaubst du, warum das so ist, oder zumindest so scheint? Sterne  stehen nicht einfach so am Himmel, sie strahlen und strahlen und  irgendwann hören sie auf damit. Wenn das passiert und sämtliche  Leuchtmittel ausgehen, sind wir hier oben dafür verantwortlich, an  gleicher Stelle neue, leuchtende Sterne zu produzieren, und zwar so,  dass niemand bemerkt, dass es sich um einen neuen Stern handelt.“
„Und dafür sind all die Maschinen hier gedacht?“ 
„Sehr richtig, mein Kleiner. Sie produzieren den gesamten Tag, entweder Leuchtmittel oder eben Sterne.“
„Was sind diese Leuchtmittel, woraus bestehen sie?“ 
Ferdinand runzelte die Stirn. 
„Unglücklicherweise  aus Materialien, die es nur auf der Erde zu finden gibt. Daher ist das  unbemerkte Sammeln dieser Rohstoffe auch jedes Mal ziemlich gefährlich.  Denn gerade das Material, was die Menschen „Gold“ nennen, ist sehr  selten und auch bei den Menschen so begehrt, dass sie sich selber oft  darum streiten und gegenseitig mit Stöckern und ähnlichen Dingen  verprügeln. Weihrauch und Myrrhe sind da schon einfacher zu bekommen.“
Stix stutze. „Gold, Weihrauch und Myrrhe? Was bewirken diese Materialien? Und warum kann man sie nicht selber herstellen?“
„Wenn  ich das wüsste, das Rezept stammt aus einer uralten Überlieferung mit  dem dringenden Hinweis, wirklich nur diese drei Mittel zur Herstellung  zu verwenden. Gold für den glänzenden Schweif, Weihrauch als Treibstoff  und Myrrhe…. Naja und Myrrhe halt.“
„Du hast keine Ahnung, wozu du Myrrhe brauchst und was es bewirkt?“
„Nicht  die Leiseste, aber ohne funktioniert es nicht. Wenn ein Stern fertig  gestellt wurde, muss er blitzschnell an seinen Bestimmungsort gelangen,  so schnell, dass die Menschen sein Verschwinden nicht bemerken.  Möglicherweise bewirkt es, dass die Menschen nicht sehen können, wie er  sich bewegt. Sicher weiss ich es aber nicht, wie dem auch sein, du  neugieriger Schlaumeier, das war erstmal alles, was du wissen musst.  Komm, ich zeige dir, was du tun kannst. Siehst du die Luke dort drüben?  Dort steht ein großer, neuer Stern kurz vor der Fertigstellung. Meinen  Berechnungen zufolge müsste der Stern X-221 im Sektor A-S-23 heute Nacht  erlöschen. Wir müssen diesen also reisefertig machen.“
Stix starrte  auf die weit geöffnete Luke und sah, wie ein Transportband langsam eine  gigantische Kugel zum Vorschein brachte. So sieht also ein Stern aus,  kugelrund. Wenn er ehrlich war, hatte er sich die Sterne immer ganz  anders vorgestellt. Trotzdem war er beeindruckt, schon alleine wegen der  Größe dieses Exemplars. 
„Dort oben, Stix, befindet sich eine  Öffnung, in die wir die Leuchtmittel und den Treibstoff einfüllen  müssen. Wir zwei werden dort hoch klettern. Ich gehe voran, du nimmst  den Schlauch dort zwischen die Arme und folgst mir.“ 
Euphorie machte  sich in dem kleinen Nachwuchs-Sternenwächter breit. Endlich, seine  erste Aufgabe, dafür hatte er all die Jahre so hart gearbeitet. Nachdem  Ferdinand einige Sprossen der angelehnten Leiter erklommen hatte, tat  Stix es ihm gleich, den Schlauch unter den Arm geklemmt. Diesmal spürte  er keinerlei Erschöpfung, obgleich der Weg nach oben nicht viel kürzer  war, als der in das Turmzimmer. Er sah, wie Ferdinand beinahe oben  angekommen war, voller Tatendrang kletterte er immer schneller und  schneller, bis er auch die letzten Stufen der Leiter erreicht hatte.  Unbewusst und ganz beiläufig drehte er sich um und schaute nach unten.  Die Maschinen, die ihm vorher so groß und mächtig vorgekommen waren,  wirkten nun wie kleine Spielzeuge. Sein Mut wich einem plötzlichen  Schwindelgefühl. Er taumelte, seine Beine begannen zu zittern, sein  Hände waren innerhalb von Sekunden so feucht vom Angstschweiss, dass er  Mühe hatte, sich zu halten. Dann passierte es, seine rechte Hand rutsche  ab, er verlor das Gleichgewicht und die Leiter kippte langsam nach  hinten. Stix schloss die Augen. Das würde böse ausgehen. Im letzten  Momente merkte er aber, wie Ferdinand gerade noch seinen linken Arm  griff und ihn mit aller Kraft zu sich nach oben zog. Das war gerade noch  gut gegangen. Stix hatte die Augen noch immer geschlossen, merkte aber,  dass er festen Boden unter seinen Füssen hatte. Auch der Schlauch war,  wie durch ein Wunder noch immer unter seinem Arm geklemmt. Eine große  Erleichterung überkam ihn , bis ein lautes „Neeeeiiiin!!“ ihn wieder in  die Gegenwart zurück holte. Er öffnete Augen und sah wie Ferdinand  verzweifelt versucht hatte, die Leiter festzuhalten. Es war ihm nicht  gelungen, sie kippte zu Boden. Ihre Spitze traf beim Aufprall eine der  Maschinen, kam auf einem großen roten Knopf auf, über dem ein großes  Schild mit der Aufschrift „Nicht drücken!“ zu lesen war. Das hatte die  Leiter wohl nicht gelesen, denn der Knopf war gedrückt und im selben  Augenblick wich die Gelassenheit und Fröhlichkeit aus dem Gesicht  Ferdinands. Er war kreidebleich geworden. Für einen kleinen Moment  fassungslos, sammelte er sich aber schnell wieder, drehte sich zu Stix  um, rief aufgeregt: „Halt dich gut fest, Stix! Das war der Start-Knopf!  Der Stern wird zu seinem Bestimmungsort geschickt und wir mit ihm!“  Blitzschnell ergriff Stix einen großen, verwinkelten Stein und klammerte  sich daran fest. Dann sah er mit weit aufgerissenen Augen, wie sich vor  ihnen ein gigantisches Tor öffnete, ehe er noch irgendwas denken konnte  wurden sie mit einer brachialen Wucht hinausgeschleudert und stürzten  mit einer unglaublichen Geschwindigkeit auf die Erde zu.