Hartmut oder Tristesse pur
Immer saß er dort, auch wenn er mal nicht da war.
Hartmut gehört hierher.
Wenn ich in 3 Monaten wieder komm’ werd ich ihn suchen.
Der griechische Imbiss steht am Altmarkt, wo du noch ein Uhr morgens was zu futtern bekommst.
Das Publikum ist gemischt.
Die Bediener sind Russen, teils Hiesige.
Es geht optimal im Geschäft, die Kundschaft kommt aus aller Herren Länder und allen Schichten.
Es wird geflachst, geneckt, geliebt - auch gegessen.
Nur er sitzt in seiner Ecke, wie eine Ikone oder wie ein Denkmal.
Manchmal schläft Hartmut.
Stets hat er was zu lesen dabei.
Ne Zeitung und irgendwelche Schmöker, aber keinen Schund.
Sogar studiert hat er - wahrscheinlich Chemie.
An einem Abend zeigte er mir ein altes Bild mit Vollbart.
In seiner Art, die merkwürdig still doch sicher bestimmt ist erzählt er von seiner Liebe - Birgit.
Sie passt so gar nicht zu ihm.
Er zeigt mir ihr Weihnachtsgeschenk - eine Brieftasche.
All das geht nicht zusammen.
Birgit ist Kellnerin und Hartmut - arbeitslos.
Hartmut, der mit Sicherheit eine Vergangenheit hat, der eben hat keine Zukunft.
Neben dem Glas Retsina steht ein anderes mit ‘ner milchigen Brühe gegen Magensäuern.
Ein Gast entführte Hartmuts Hocker, sofort intervenierte der griechische Bediener, eben weil er Stammgast ist.
Mach mal erscheint er knurrig oder ruppig - er erzählt aber jedem, dass ihn schon 20 Jahre Depressionen plagen.
Warum ich mich an ihn erinnere?
Hartmut ist die Verkörperung der Tristes, die bei näherem Hinsehen einen Backround hat und die so manchen Zeitgenossen anrührt, ohne das er weiß warum.
1997