Kapitel 7
Es  war mittlerweile dunkel geworden, glücklicherweise aber war Vollmond,  so dass auch die Tiere, die nicht von Natur aus bei Nacht sehen konnten,  ihre Arbeit schnell und sicher erledigten. Und sie arbeiteten allesamt  fieberhaft, gaben ihre letzten Kräfte. Die Bäume und Sträucher hatten  alles an Holz und Ästen gegeben, was sie konnten, waren komplett kahl  geschoren, hatten lediglich ihre bewegbaren Zweige und Äste behalten.  Ein Opfer, das sie einfach bringen mussten, das wussten sie alle. Der  Anblick des Waldes war allerdings beängstigend. Nicht auszudenken wenn  dieses Opfer umsonst gewesen sein sollte. Eine riesige Kolonne an den  verschiedensten Bewohnern des Tals machte sich auf in die Berge. Die  Äste und Stämme hatten sie, wie aufgetragen ausgehöhlt und mit kleinen,  dünnen Zweigen seitlich zusammengebunden, so dass das Wasser viel Platz  hatte hindurch zu fließen. Unmengen von Pferden, Eseln und Zebras hatten  sich bereit erklärt die Unmengen an Leitungsteilen auf ihren Rücken zu  transportieren. Gogon, Herr der Affen, hatte bei einem Besuch im Tal der  Menschen einmal beobachtet, wie diese eben jenen Tieren große Lasten  auf den Rücken luden und diese ebenfalls mit dünnen Zweigen und Seilen  festbanden, damit nichts verloren ging. Die ideale Transportmöglichkeit  für diese Aufgabe hatte er sich gedacht. Seine große Familie war sehr  geschickt, machte sich also daran, die fertigen Bauteile zusammen zu  binden und zu verladen, ganz sachte und vorsichtig, sollte man die  Quelle tatsächlich finden brauchte man das Bindematerial noch, um die  Leitungen zusammen zu setzen, damit nichts von dem lebenserhaltenden  Nass auf dem Weg zum Tal verloren ging. Mittlerweile hatte sich der  Trupp fertig beladen auf den Weg gemacht und durchquerte nun das am Fuß  des Gebirges angrenzende Waldstück. Auch hier waren an jedem Baum nur  noch zwei Äste zu sehen, so dass auch diese große Mengen an Lebewesen  dieses Gebiet, welches normalerweise sehr dicht und bewachsen war,  problemlos durchqueren konnte. Die Stimmung war, zum ersten Mal seit  langer Zeit, durchweg positiv, es herrschte Hoffnung und Zuversicht  unter allen Bewohnern des Tals. Gogon und die Affen gingen voran,  gefolgt von den Lastentieren. Mihula hatte sich auf Gogons Schulter  gesetzt, sie war völlig erschöpft. Und sie hatte leise Zweifel. „Meinst  du das Holz reicht bis ins Tal?“ flüsterte sie in das Ohr des  Affenkönigs. „Das wird sich zeigen Mihula, das werden wir erst sehen,  wenn wir die Quelle gefunden haben. Sicher bin ich aber nicht, denn wir  müssen das Wasser direkt in den ausgetrockneten Fluss umleiten.“ 
 „Der liegt aber ganz am Ende des Tals.“
 „Ich weiß, Mihula, aber wenn wir das Wasser einfach über den Waldboden  fließen lassen, hat es in kurzer Zeit so viel Kraft erlangt, dass es  alles Leben mit sich reißen wird. Es gibt keine andere Möglichkeit!“
 Besorgt blickte Mihula sich um. Sie hegte Zweifel, starke Zweifel. Als  sie sich wieder umdrehte verspürte sie einen heftigen Schlag, der sie  aus dem Gleichgewicht brachte und unsanft auf den Waldboden beförderte.  Bevor sie von unaufmerksamen Affen oder Pferden zertrampelt werden  konnte, hatte sie Gogon allerdings behutsam wieder aufgehoben und auf  seine Schulter gesetzt. Verwirrt sah sie sich um, alle Tiere waren  mittlerweile stehen geblieben, auch sie hatten leichte Schläge  getroffen, aber es war zu dunkel um auf Anhieb zu erkennen, woher sie  kamen. Dann sah sie plötzlich einen Ast auf sich zufliegen, blitzartig  duckte sie sich und sah diesen an ihr vorbeifliegen Richtung Boden. Sie  breitete ihre Flügel aus, erhob sich ein paar Meter, um bessere Sicht zu  haben und sah, dass alle Bäume ihre Äste auf den Waldboden gleiten  ließen und sie eifrig hin und her bewegten. Die Tiere blickten gebannt  auf dieses merkwürdige Geschehen. Dann verstanden sie. Die Bäume  schaufeln einen Graben durch den das Wasser fließen kann. Mihula wusste  sofort, dass dies nur Ben`s Idee gewesen sein konnte. Das war die  Lösung. Sie drehte sich zu Gogon um, auch der hatte mittlerweile  geschaltet, drehte sich um und versammelte alle Tiere um sich. „Die  Bäume haben einen guten Einfall gehabt! Wir müssen einen Graben bauen,  gemeinsam mit ihnen, um das Wasser sicher durch den ganzen Wald zu  leiten. Wir teilen uns auf, alle Tiere, die graben können helfen den  Bäumen beim graben. Achtet darauf, dass jeder Teil des Waldes, indem  sich Pflanzen befinden mit so einem Graben versehen wird, das Wasser  muss da durch fließen und später dann im Fluss münden. Wir gehen weiter  und suchen das Wasser, das leiten wir dann genau hier in den Graben, von  dort wird es sich seinen Weg durch den Wald bahnen. Los, verliert keine  Zeit!“ Er hatte diese Worte noch nicht zu Ende gesprochen, da machten  sich auch schon alle Tiere, die sich diese Aufgabe zutrauten, auf den  Weg, verteilten sich in alle Richtungen. Zurück blieben nur einige  Vögel, die Lastentiere, die Affen und Mihula, die sich von dem Schlag  erholt hatte. Ohne ein weiteres Wort setzte sich die Gruppe in Bewegung.  Die Berge waren nicht mehr weit, in der Ferne sah Mihula bereits die  zahlreichen Gipfel. Doch was war das? Am Himmel bewegte sich etwas, flog  im Kreis. Ein Vogel? Und nicht nur einer,  je dichter sie kamen, desto  mehr ihrer Artgenossen entdeckte sie. Sie flogen wild durcheinander,  kreischten laut, ganz aufgeregt. Sofort stieß sie sich mit ihren Beinen  von der Schulter des Affen, breitete ihre Flügel aus. Der erste Vogel,  den sie in der Luft ausmachen konnte, war ein Adler. Auch dieser hatte  sie mittlerweile entdeckt und machte sich umgehend auf den Weg zu ihr.  „Mihula! Gott sei Dank! Ihr lebt noch!“ krächzte er noch im Sturzflug. „  Was ist passiert? Warum seid ihr so aufgeregt?“ 
 „Wir suchen euch. Es gibt Neuigkeiten!“ 
 „Sagt nicht, ihr habt…..“
 „Genau das, Mihula! Cula hat die Quelle gefunden. Geht immer geradeaus  bis ihr am Fuß des größten Berges seid. Von da aus sperrt eure Augen  auf, die Rufe der Tiere werden euch leiten. Haltet durch, es ist nicht  mehr weit.“
 Mihula war wie gelähmt. Aber nur für einen kurzen Moment, dann machte  sie kehrt und flog im Sturzflug auf Gogon zu. Der war stehen geblieben,  hatte von unten alles mit an gesehen. 
 „Gogon… wir sind fast da… Wir haben die Quelle! Sag den Tieren, sie  sollen so schnell marschieren, wie sie können! Vielleicht,“  diesen Satz  sagte sie etwas leiser, mehr für sich selber, „vielleicht können wir  Ben noch retten!“
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 Für Chorm war die Lage aussichtslos. Er war geschlagen, es gab keine  Rettung mehr. Er hing mit den Hinterbeinen über dem tiefen Abgrund,  seine Vorderbeine hatten gerade noch genug Kraft das Gleichgewicht so zu  halten, dass er nicht abstürzte. Er wusste nicht, wie lange seine Kraft  noch reichen würde, sich zu halten, das war aber auch nicht wichtig,  denn er sah, wie Neo sich vom Höhleneingang den Felsen herunter schwang.  Er würde ihn entweder den Abgrund hinunter stoßen, oder er würde ihn  retten, und ihn danach fressen. Von Cula und einer eventuellen Rettung  war weit und breit nichts zu sehen. Chorm musste sich seinem Schicksal  ergeben. Er blickte dem Panther in die Augen, die voller Hass und Wut  auf ihn starrten. Jeden Moment würde er ihn anfallen. Die ganze  Situation wirkte so surreal, die Zeit schien zu schleichen. Es  überraschte den Wolf selber, dass seine Gedanken nicht mit seinem  Schicksal haderten, viel mehr war er betrübt über das Verhalten seines  Bruders. Er hatte ihn immer geliebt, wenn es auch nicht ganz einfach  gewesen war. Sein eigener Tod bereitete ihm keine Angst, er hatte  lediglich Angst um Palos. Der Weg den er eingeschlagen hatte, der Wolf,  der ihn verraten hatte, das war nicht sein wirklicher Charakter gewesen.  Irgendwas oder irgendwer hatte ihn blind gemacht, ihm den Sinn für die  Realität geraubt. Doch Chorm war sich sicher, im Inneren war sein Bruder  nicht böse. Und er war betrübt, dass er ihm nicht mehr helfen konnte,  seine wahre Bestimmung zu finden. Er blickte noch einmal auf, sah wie  der Panther zum Sprung ansetzte. Dann schloss er die Augen. Es war  vorbei. Er ergab sich. 
 Ein lautes Brüllen ließ den Wolf aufschrecken. Das kam nicht von Neo,  auch der war vor Schreck wie erstarrt und blickte sich fragend um. Das  Brüllen wiederholte sich und der Panther zuckte merklich zusammen. Dann  sah Chorm, wie sich Cula aufgeregt den Weg durch den schmalen Pfad  bahnte, dicht gefolgt von Rasul, dem Löwen. Das war die Rettung. Der  mächtige Löwe stellte sich auch sofort dem Panther in den Weg. Beide  standen sich nun gegenüber, starrten sich an. Die Nackenhaare standen zu  Berge, die Krallen waren ausgefahren. Beide waren bereit für den  vielleicht letzten Kampf ihres Lebens.