Einblicke in 12 Monaten eines Mannes, der nicht nur gegen seine Kündigung kämpfte.
Schon seit dem Beginn des neuen Jahres, den Anfang der globalen Wirtschaftskrise noch nicht im Ansatz verdaut, kursierten Gerüchte und Thesen durch die gesamte Firma Resonik, teilweise über die firmeninternen Grenzen der Zentrale, die ihren Sitz im Südwesten Deutschlands hat, hinaus.
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Das familiengeführte Unternehmen wurde in den Siebzigern gegründet und ist noch heute in der Hand des Firmengründers und dessen Sohn. Der Vater besetzt seit letztem Jahr die neugeschaffene Position des Präsidenten, da er sich wegen seines Alters langsam zurückziehen möchte.
In den letzten 3 Jahrzehnten wuchs die Firma in allen Bereichen stetig schnell. In der Eletronikbranche machte sie sich nicht nur regional und deutschlandweit, sondern und vor allem im europäischen Ausland einen großen Namen. Maßgeblichen Anteil an der Expansion waren die Gründungen von Niederlassungen in strategisch wichtigen europäischen Ländern wie England, Frankreich, Tschechien oder Italien. Bis heute ist Resonik in über 25 Länder weltweit vor ort tätig. Dies bedeutet für die Kunden Mitarbeiter von Resonik in Landessprache direkt vor der Haustür zu haben. Die bietet einen enormen Wettbewerbsvorteil und Vorsprung gegenüber der Konkurrenz.
Mit diesem Schritt, in den frühen Neunzigern mit Frankreich und Tschechien die ersten Vertriebsniederlassungen zu gründen, legte die Firma einen wichtigen Meilenstein für den späteren europäischen Erfolg. Vom einstigen Einmannbetrieb ist die Firma bis zu diesem Jahr ein über 1.600 Mitarbeiter großes Unternehmen geworden, das jedes Jahr den Gewinn des Vorjahres zu topen wusste.
Nicht nur den Ausbau des Vertriebes, welches sehr wichtig für ein Handelsunternehmen war, haben zu diesem beispiellosen Wachstum geführt, sondern auch die interne Fokussierung in der Logistikabteilung. Im Jahr 1996 wurden in jenem Bereich die ersten Logistikkonzepte für strategisch wichtige Kunden implementiert. Angefangen im ersten Jahr mit 10 Projekten, steht Resonik beim heutigen Tag bei über 400. Die Wichtigkeit der Abteilung Supply Chain Solutions, die die Projekte betreut und neue Projekte implementiert, zeigt sich darin, dass sich im laufe der Zeit der Umsatzanteil Logistik am Konzernumsatz auf ca. die Hälfte erhöhte. Die Projektmanager haben in den vergangen dreizehn Jahren ganze Arbeit geleistet.
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Die Gerüchte und Thesen bei den Mitarbeitern, fingen bei „nur Entlassungen von Mitarbeitern in der Probezeit und Trennung von Zeitarbeitern“ an und hörten bei „Schließung von Abteilung und Niederlassungen“ auf. Das erste Quartal war voller Aufregung und Neugierde auf das kommende.
Kaum einen Flur in egal welchem Gebäude der Firmenzentrale konnte man durchlaufen, ohne das ein Kollege den man kennt nicht fragte, ob man etwas Neues wusste. Es wurde viel getuschelt und Gerüchte in die Welt gesetzt weil viele mitreden wollten ohne dass sie im Ansatz etwas wirklich wussten.
Was aber vom obersten Management nicht zu verhindern war ist, dass Kenntnisse über die Existenz einer geheimen Mitarbeiterliste bis hin zum „kleinen Mann“ durchsickerten.
Die Liste wurde von ganz oben, in der Phase des Jahreswechsels, ins Leben gerufen. Sie bestand aus 3 Rubriken.
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Die so genannte Rote Rubrik war eindeutig. Sie besagte, dass man sich von den Mitarbeitern, die in dieser stehen werden, definitiv trennen möchte. Entsprechende Personen, die darin ihren Platz finden sollen, hatten keine Zukunft mehr in der Firma.
Die Gelbe war für den Mitarbeiter noch relativ human, denn in der sollten  Kolleginnen und Kollegen stehen, mit denen man in einem persönlichen Gespräch mit dem Vorgesetzten nahe bringen soll, dass sie sich in der Grenzregion zu Entlassung befinden.
Zuletzt die grüne Rubrik. Jene Mitarbeiter, die sich darin hätten sehen können, hätten sie zu einem späteren Zeitpunkt Einblick gehabt, sollte es am sanftesten treffen, lies man jene Kolleginnen und Kollegen außer Acht, die in keiner Rubrik zu finden sein sollten. Diese Mitarbeiter sollten unter Beobachtung stehen, denn sie würden aufgrund ihres Verhaltens und ihres Arbeitsergebnisses vom Abteilungsleiter oder Teamleiter genauer unter die Lupe genommen werden.
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Jene Liste mit den drei Gruppierungen bekam zu Beginn des Jahres in erster Linie jeder der 4 Geschäftsführer, die je für die Bereiche IT, Logistik, Vertrieb und kaufmännischer Bereich zuständig waren. In den nächsten Tagen und Wochen sollten Gespräche mit den jeweils unterstellten Bereichsleitern stattfinden, um die Rubriken mit Leben zu erwecken.
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Alle hielten sich daran, bis auf einen…
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Josef König, erst seit Herbstanfang letzten Jahres als Geschäftsführer für den Gesamtbereich Logistik eingesetzt worden, schlug die Hände vors Gesicht. Er wusste nicht was er machen sollte, Mitte Februar kam doch so schnell. Abgabe ist schon morgen früh und er weis, dass er noch nichts gemacht hatte.
Gerade mal vier Wochen ist es her, als die vier Geschäftsführer die undankbare Aufgabe bekommen haben.
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Er lies die ersten 4 Monate seiner Amtszeit als Geschäftsführer nochmals revue  passieren und bemerkten, dass er noch nicht viel erreicht hatte. Der Lagerausbau und Optimierung der Lagerprozesse haben doch einiges mehr seine Aufmerksamkeit und seine Ressourcen gekostet als ursprünglich von ihm angedacht. Der Bereich Lager ist neben dem Projektmanagement, welches für die Implementierung der Projekte zuständig ist, der größte Verantwortungsbereich Königs.
„Was habe ich denn erreicht?“, stellte sich der Geschäftsführer während der kleinen gedanklichen Zeitreise die Frage.
„Was kann man als Aushängeschild, als abgeschlossen vorzeigen?“
Ihm fielen nur Aufgaben ein, die er entweder noch nicht zu Ende brachte oder noch nicht mal angefangen hatte. Ihn belastet die Tatsache sehr, denn in immer kürzeren Zeitabständen kommen Kollegen, vor allem aus der Geschäftsführung, auf ihn zu und fragen den aktuellen Status ab.
„Ja, die Luft wird von Monat zu Monat dünner“, murmelte er.
Vielleicht musste er sich eingestehen, dass die berufliche Herausforderung, die er angenommen hatte, doch zu hoch für ihn sei. Zu schön hatte er es, bevor er Geschäftsführer wurde.
„Ich lüge“, gesteht sich König ein, „die Firmeninhabern und meine Kollegen schon seit Wochen an. Und warum? Doch nur um mir Zeit zu verschaffen, in der Hoffnung, dass sich die Probleme lösen oder vergessen werden.“
Sein Gesicht veränderte sich schlagartig, als hätte er einen Geist gesehen.
„Genau!“, schien er förmlich zu rufen und bemerkte schnell, dass er nicht alleine auf der Etage war.
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Königs Arbeitsplatz ist in einem großen Büro in einem umgebauten zweistöckigen Wohnhaus, in unmittelbarer Nähe zum Hauptgebäude, in der die Firmeninhaber und die kaufmännische Abteilung ihren Sitz haben. Die Zentrale bestand nicht nur aus einem Gebäude. Resonik wuchs im laufe der Jahrzehnte sehr schnell. Der hierfür benötigte Raum wurde mit Aufkauf von Gebäuden in der Nachbarschaft desselben Industriegebiets geschaffen.
Die 1. Etage des Wohnhauses, von der aus er arbeitet, teilt er sich mit seiner Assistenz, die im Vorzimmer residiert und fünf Projektmanagern, die ihren Platz in einem Großraumbüro fanden.
Im Erdgeschoss sitzen, in gleicher räumlichen Anordnung die Bereichsleiterin der Projektmanager, Dr. Juliet Messing, in deren Vorzimmer die Assistenz der Projektmager und im Großraumbüro sieben Projektmanager.Â
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„Das ist es!“, dachte sich König und ärgerte sich, dass er nicht schon früher darauf gekommen war.
Er drehte sein Stuhl um eine halbe Umdrehung und schaute aus dem Fenster. Er blickte auf eine kleine Autowerkstatt, die auf der anderen Straßenseite ansässig ist. Dort schraubten zwei Mechaniker unter freiem Himmel und bei leichtem Schneefall einen Außenspiegel an. Sie schienen sich zu beeilen, denn es war ganz schön kalt. Minus sieben Grad zeigte die Uhr bei der Bank heute früh an, als König noch vor Sonnenaufgang daran vorbeifuhr. Er war froh, im warmen zu sitzen und legte seine Hände auf die Heizung.
„Das tut gut“, dachte sich König und schaute auf die viel befahrene Strasse, die entlang des Wohnhauses verlief.
Direkt vor dem Haus, noch vor dem Gehweg, standen die Firmenwagen der Mitarbeiter, die hier im Haus arbeiteten. Alle in Silber, das ist von der Geschäftsführung von Anfang an beschlossen worden um Einheitlichkeit und Geschlossenheit zu demonstrieren. Zwischen den Autos sah er vier seiner Mitarbeiter des Projektmanagements lachend zu einem der Autos laufen. Er sah auf die flache Armbanduhr, die so gar nicht zu seiner deutlich übergewichtigen Statur passt und seine Gedanken bestätigten sich.
Die eine Tür, die zum Vorzimmer seiner Sekretärin, die zweite nannte er Fluchttür weil sie zum Gang ins Treppenhaus führte, ging auf und ein Rotschopf streckte seinen Kopf zwischen die Tür. Die Haare von Sandra Förster, Assistenz von König, waren, wie jeden Tag, mit Haarspangen zusammengesteckt, die an eine Indianerfrisur erinnerten. Die eine Hand am Türrahmen, die andere an der Türklinke festhaltend und natürlich auch ohne vorher anzuklopfen sagte sie mit gewohnt hochnäsiger Stimme „Mahlzeit Herr König“. Er nickte ihr zu, versuchte zu lächeln. Es fiel ihm so schwer, dass er sich sofort wieder umdrehte und aus dem Fenster schaute. Er hörte, wie die Tür wieder ins Schloss fiel. Wieder in Gedanken versunken, die sich nur um die Liste mit den drei Gruppierungen drehte, sah er, wie Förster das Gebäude verlies und Richtung Hauptgebäude lief.
„Mal wieder eine Mittagspause allein“, dachte er als er sich wieder an den Schreibtisch setzte.
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Er erinnerte sich kurz an die Zeit bevor er Geschäftführer Logistik wurde. Damals war er Leiter Materialwirtschaft, allerdings ohne Personalverantwortung. Zu dieser Zeit hatte er noch zeitliche Freiräume, die er gekonnt zu nutzen wusste, um sich in Besprechungen hinzu zusetzten. Kurz musste er schmunzeln, als er sich erinnerte, wie ihn die Kollegen hinter dem Rücken nannten, „Besprechungsnormade“. Die Methode war jedoch in Vergangenheit sein Erfolg. Mit Hilfe den Besprechungen und die daraus gewonnenen Teilkenntnisse über diverse Themen, die die Firma betrafen, gelangte er an Informationen, die er gekonnt einzusetzen wusste. Mit diesen, erworbenen Teilwissen machte er sich auf dem Weg in Richtung Geschäftsführung. Oftmals ohne Skrupel nahm er Gedanken und Vorschläge anderer Kollegen zu seinem Vorteil und verkaufte sie als die seine. Viele waren ja eingeschüchtert, denn er betonte bei vielen Gelegenheiten seinen guten Draht zum Firmengründer und dessen Sohn, der ebenfalls in der Geschäftsführung sitzt. Nur wenige Mitarbeiten hatten sich bisher getraut, gegen die Vorgehensweise Königs  vorzugehen, jedoch gelang es keinem bis zum Präsidenten vorzudringen, um die Situation wieder gerade zu rücken.
Früher hatte er auch nur sehr wenige, im Gegensatz zu heute, innerbetrieblichen Feinde. Das Telefon, im Gegensatz zu den letzten Wochen, klingelte immer gegen 11 Uhr. Oftmals war ein Bereichsleiter am anderen Ende, der fragte, ob man zusammen Mittag machen möchte. Den Informationsaustauschswegen sagte er stetig zu, denn sein Motto lautete „Wissen ist Macht“.
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Er bemerkte, dass die Zeit als Geschäftsführer ihn langsam veränderte.
Ihm fiel das Sprichwort, dass er zuletzt auf dem Gang gehört hatte, als er mal wieder zu einer Besprechung ging „Gib dem Menschen Macht und du erkennst seinen waren Charakter“.
Er schaute auf den Bildschirm und sah auf die Liste. Jetzt musste er es nur noch richtig formulieren. Er brauchte Zeit. Zeit die er immer schon versuchte raus zuschlagen, wenn er in Situationen kam, in denen er nicht mehr weiter wusste. Vielleicht war das einer der Gründe, warum die früheren internen Freunde mittlerweile größeren Abstand zu ihm hielten.
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Sein Plan war es, die Gründe für das spärlich ausgefüllte Dokument, in der nur vereinzelt Namen eingetragen wurden, auf seine kurze Amtszeit und das Fokussieren auf den Lagerbereich zu schieben.
Er hatte in seiner viermonatigen Amtszeit ja bei jeder Gelegenheit darauf hingewiesen, wie viel Vergangenheitsbewältigung es im Bereich Lager und Versand gibt.
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In Erinnerung kam ihm seine Antrittsansprache bei seinen Mitarbeitern des Projektmanagements im September vergangenen Jahres.Â
Damals habe er ausdrücklich darauf hingewiesen und sich auch dafür entschuldigt, dass er sich das erste halbe Jahr seiner Amtszeit ums Lager kümmern würde. Rückständige Auslieferungen, Fehllieferungen und ein zu hoher Lagerbestand, alle Punkte die für den Lagerbereich gelten, führten die Prio-Eins-Liste des Geschäftsführers an. Aus Königs Sicht ist dies auch eine gute Entscheidung gewesen, denn er sah die Abteilung der Projektmanager, mit denen er das Wohnhaus teilte, als intakt an. Das eingespielte Team, unter der Leitung von Dr. Messing, war im laufe des letzten Jahres gut zusammengewachsen. Die Mitarbeiter haben in ihr eine kompetente Ansprechpartnerin in allen fachlichen Bereichen, das war in der Firma bekannt.
Sie wurde geschätzt wegen ihrer menschlichen Art und ihrer professionellen Mitarbeiterführung. Seine Meinung hat sich beim Jahresreport von Dr. Messing und den Ausblick auf das aktuelle Jahr, das er vor einer Woche bekommen hat, bestätigt. Und wenn es doch mal kritisch werden sollte, so war die Meinung Königs, kann man die kurzen Wege, den das Gebäude ist nicht groß, zur schnellen Entscheidungsfindung nutzten.
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Sein Entschluss stand fest, noch ein wenig Zeit für die Entscheidung die Liste mit Leben zu erwecken raus zuholen. Der Inhalt der Mail, in der er noch um zwei bis drei  Wochen Zeit bat und darauf verwies, dass er sich noch keinen Überblick über den Geschäftsbereich machen konnte, war adressiert an den Präsidenten und dessen Sohn.
Mit einem zögerlichen Klick auf den Sende-Button sendete er die Email. König versank mit sorgenvoller Miene in seinem Stuhl.
Das Telfon klingelte, er sah auf das Display. Was er las, förderte nicht seinen momentanen Gemütszustand.
Der Anruf kam von Dr. Messing.
Der Schneefall hatte am Nachmittag nachgelassen und die Sonne hatte den Kampf am Himmel gewonnen. Der schöne Anblick aus den Bürofenstern des Wohnhauses hinaus auf die Terrasse, auf der im Sonnenschein die Schneekristalle schimmerten, täuschte. Es war noch immer, wie am morgen als König an der Bank vorbei fuhr, kalt und die Luft war klar.
Die Tür des Großraumbüros der Projektmanager im Erdgeschoss ging auf und eine Stimme sagte „Wollen wir noch eine Zigarette rauchen, bevor es losgeht?“
Breites, zustimmendes nicken der Kollegen, auch von denjenigen, die eigentlich gar nicht rauchten.
Es waren nur 3 der insgesamt 12 Projektmanager Raucher, doch an diesem Tag versammelten sich fast alle bei der Raucherpause, um sich auf die kommende Besprechung vorzubereiten und auszutauschen.
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Die Vorzeichen für das bevorstehende Abteilungsmeeting, in der nicht nur die Projektmanager, sondern auch die Dr. Messing und  König teilnehmen sollten, standen nicht gut. Sie hatten sich gegen die Geschäftsführung, sogar gegen die Firma gestellt. Sie fühlten sich hintergangen und ungerecht behandelt. Wie immer sollte es so sein, dass Versäumnisse anderer Abteilungen, die intern höher angesehen werden, auf dem Rücken der Kleinen ausgetragen werden. Sie hatten sich fest vorgenommen, diesmal nicht!
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Der Ursprung war im vergangenen Jahr, als jeder der Projektmanager sein Jahresgespräch hatte. Darin wurde von der Vorgesetzen, Dr. Messing, angekündigt, dass es eine Schulung für alle in der Abteilung geben wird. Dies sollte eine Vertriebsschulung sein mit Hauptinhalt „ Wie ich als Logistik-Projektmanager überzeugend beraten, argumentieren und abschließen kann“.
Mike Lovely, seit Dezember 2008 zum Senior Projektmanager befördert, äußerte damals seine Bedenken. Er selbst hatte im vergangenen Jahr bereits fünf Zertifikate durch diverse Schulungen erhalten, unter anderem mühsame 2 Englischkurse die je 3 Monate in einem Abendkurs fernab der Arbeitszeit angeboten wurden. Ein völlig unnötiges Seminar war das Kommunikationstraining. Dies hatte Lovely wirklich nicht nötig. Auf den Mund gefallen ist er nicht gerade.
Trotz der Bedenken, er schlug im Gegensatz eine Logistikschulung mit Schwerpunkt Versand vor, die Entscheidung über die Schulung aller Projektmanager war gefallen.
Im November erhielt jeder Projektmanager eine Terminliste, in der man sich eintragen konnte. Aufgrund der Vielzahl der Projektmanager war es aus Sicht des Seminarleiters sinnvoll, diese in zwei Gruppen aufzuteilen. Die erste Gruppe war Mitte Februar, in einem Dreitage-Seminar, die zweite, ebenfalls in der Länge, Ende Februar.
Vor drei Wochen, Mitte Januar, kam dann die Wendung, die letztendlich zur heute angesetzten Besprechung führte.
Per Hauspost bekamen alle Seminarteilnehmer ohne vorherige Ankündigung von der Personalabteilung eine Ausbildungsvereinbarung zugeschickt. Der Grund dafür war, dass sämtliche Seminare, die einen bestimmten Betrag übersteigen, zu einer Bindefrist des Mitarbeiters führten. Die Kurskosten je Mitarbeiter für die drei Tage beliefen sich, laut Vereinbarung, auf stolze 1.900.-. Daraus folgte laut Berechnungen der Personalabteilung eine Bindefrist von 12 Monaten.
Mit Unverständnis las jeder der Empfänger das Dokument, welches in zweifacher Ausführung im Briefumschlag lag. Eines sollte unterschrieben zurückgeschickt werden.
„Es war doch eindeutig die Rede von einer Pflichtveranstaltung“, erinnerte sich jeder der Projektmanager beim Lesen der Vereinbarung.
„Wenn es eine von Resonik gewünschte Pflichtveranstaltung ist, wieso soll ich mich dann verpflichten?“, schoss es Lovely beim Lesen des Dokuments in den Kopf. Wenn er vorgehabt hätte, die Firma zu verlassen, müsste er anteilig die Kurskosten zurückbezahlen.
„Und alles deswegen, weil die Personalabteilung verschlafen hat uns das im Vorfeld mitzuteilen?“, Lovely schüttelte verärgert den Kopf, weil er mal wieder die Unprofessionalität der Personalabteilung verspürte.
Oder lag es daran, im Hinblick der Wirtschaftskrise die Mitarbeiter ein weiteres Mal auszubeuten? Den Sinn verstand er noch immer nicht und wollte die Meinung der Kollegen erfragen. Nicht, dass dies sein weiteres Vorhaben beeinflussen würde, denn dafür ist er nicht der Typ, sondern weil er ihneb in Funktion als Senior Projektmanager Hilfe anbieten wollte. Viele seiner Kollegen, hauptsächlich Junioren, lassen alles mit sich machen und merken nicht, vielleicht aus mangelnder Erfahrung, dass sie ausgebeutet werden.
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Resonik war seine dritte, berufliche Station und er wusste mit entsprechenden Situationen, in denen die Geschäftsleitung Druck auf die Mitarbeiter aufbaute, umzugehen. In der Abteilung Projektmanagement war der jüngste 23 und der älteste 38 Jahre alt. Zwei weitere Kollegen waren Senioren, die anderen, aufgrund ihrer fehlenden Kenntnisse und Berufserfahrung, hatten den beruflichen Status Junioren.
Lovely ging zuerst im ersten Obergeschoss, wo auch sein Arbeitsplatz war, und dann im Erdgeschoss von einem Schreibtisch zum anderen und fragte nach deren Meinung. Ob die Kollegen die Unterschrift machten oder nicht, war ihm primär egal, doch trotzdem interessierte es ihn. Alle betonten ihr Unverständnis gegenüber der Vereinbarung und wollten nicht unterschreiben, bis auf einen. Der junge Kollege befand sich noch in der Probezeit und wollte nicht in Ungnade fallen. Lovely verstand dies und unterstützte ihn bei seiner Entscheidung und gab ihm zugleich zu verstehen, dass er sich deswegen keine Sorge machen brauchte.
Als er sich über die Meinung der Kollegen ein Bild gemacht hatte, er war im Erdgeschoss mit seinem Durchlauf fertig, wollte er im gleichen Zuge zu seiner Vorgesetzten gehen. Die Tür zu Dr. Messings Büro war zu, was bedeutet, sie hatte entweder Besuch oder führte ein wichtiges Telefonat. Wenn dies jedoch vorbei wäre, so war es üblich, machte sie die Tür wieder auf.
Er entschloss sich, bei einer Zigarette auf der Terrasse, auf die man vom Großraumbüro im Erdgeschoss gelangte, die geführten Gespräche mit den Kollegen zu verarbeiten.
Beim Anzünden fing er an die Argumentationskette aufzubauen, die er für sein Anliegen hatte. Lovely wollte nicht einfach klein bei geben und unterschreiben. Nein, er wollte die Unterschrift verweigern.
„Gut, dass Dr. Messing die Tür zu hatte“, dachte er, denn er wurde in gewissen Situationen schnell emotional. Die Vorgesetzte schickte ihn ab und an, wenn er mal wieder einen solchen Moment hatte, an die frische Luft, um diplomatischer zu werden.
Beim Ausdrücken der Zigarette, Lovely rauchte sie sehr schnell, denn es war sehr kalt und eine Jacke hatte er nicht an, sah er durchs Fenster ins das von Leuchtstofflampen erhellte Büro. Die Assistentin der Projektmanager, die ihnen beim Tagesgeschäft zuarbeitete, gab ihm durch Zeichensprache zu verstehen, dass Dr. Messing nun frei wäre.
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Zehn Minuten später kam Lovely aus dem Büro seiner Vorgesetzten heraus und konnte einen Teilerfolg verbuchen. Das Ergebnis der kurzen Darstellung und Diskussion war, dass Dr. Messing noch für den Nachmittag eine zeitnahe Abteilungsbesprechung einberufen würde, um mit allen Kollegen gemeinsam darüber zu sprechen.
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Die Zusammenkunft verlief schnell und unkompliziert. Es wurden die Fakten, wie Pflichtseminar durch Resonik und gleichzeitiger Verpflichtung, offen angesprochen. Es folgte eine abschließende Frage der Reihe nach an jeden Kollegen, wie er sich entscheidet. Jeder, bis auf den in Probezeit befindlichen Mitarbeiter, wolle die Unterschrift verweigern.
Lovely verspürte eine angespannte Stimmung im Keller befindlichen Besprechungsraum. Er saß, wie in jeder Besprechung, am hinteren Ende des großen Tisches, an dem mühelos jeder von der Abteilung Platz fand. Er sah in die Gesichter, als jeder abschließen gefragt wurde und stellte fest, dass es zwei Gruppen gab. Die eine stand voll und ganz hinter ihrer Meinung, die andere Gruppe war dazu getrieben, mit der Masse mit zu schwimmen.
„Liegt wohl daran, dass sie noch grün hinter den Ohren sind“, dachte er sich und schüttelte innerlich den Kopf. Er konnte es einfach nicht verstehen, wie man sich nicht eine eigene Meinung bilden kann und diese auch offen vertritt.
Das Ergebnis, alle bis auf einen unterschreiben nicht, hatte Dr. Messing noch am selben Tag an die Personalabteilung mitgeteilt.
Nach ein paar Tagen, die Personalabteilung hat inzwischen gegenüber dem Firmeninhaber ihren Unmut geäußert, erhielt König vom Inhaber Resoniks die Anweisung mit der Abteilung Projektmanagement zu reden. Â
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Dick eingepackt, um die Kälte von sich abzuhalten, standen sie im Halbkreis auf der Terrasse. Drei Kollegen, darunter Lovely zündeten sich eine Zigarette an. Es blieb nicht mehr viel Zeit. Es war fünf vor halb drei und gleich würde das Meeting anfangen. In manchen Gesichtern sah man die Angst vor dieser Zusammenkunft.
„Es macht doch keinen Unterschied, ob Herr König dabei ist.“, sagte Lovely um die Last von den noch jungen, unerfahrenen Mitarbeitern zu nehmen. Ihm ist klar, dass wenn ein Geschäftsführer mit am Tisch sitzt, dies etwas Besonderes für jene Kollegen ist, die noch nicht lange im Berufsleben stehen. Lovely ist schließlich nicht mit Berufs- und Menschenkenntnis geboren worden.
Resonik ist bekannt dafür, dass sie Druck auf die Mitarbeiter aufbaut. Denn nur so ist es möglich, dass die Leichen, die viele aus dem Management im Keller liegen haben da bleiben wo sie sind.
„Es ist eine Minute vor halb“, sagte eine jener jungen Kollegin mit vor Kälte zitternder Stimme, “wir sollten runter ins Besprechungszimmer“.
„Ist Kaffee schon fertig und auch schon unten?“, fragte Lovely, denn es war wie immer vor einer Besprechung seine größte Sorge.
Als er den Hörer abnahm und leise „Ja? König.“ stammelte ahnte er schon schlimmes.
Mit gewohnt fröhlicher, für ihn unerträglicher Stimme sagte Dr. Messing „Herr König, es ist schon kurz nach halb drei, die Kollegen sitzen schon unten und warten!“
„Bin in einer Minute unten“
An die Besprechung hatte er jetzt überhaupt nicht mehr gedacht, zu sehr war er mit der Liste und den drei Rubriken beschäftigt gewesen.
König versuchte seinen Puls, sowie das ausgeschüttete Adrenalin mit geistiger Kraft abzubauen, dass nach dem Lesen des Namens Dr. Messings auf dem Display erhöht bzw. ausgeschüttet wurde.
Die beiden hatten schon immer Differenzen. Das Problem für König war, dass die Bereichsleiterin ihren Vorgesetzten schon ziemlich am Anfang, sie fing vor zwanzig Monaten bei Resonik an, durchschaute. Zum damaligen Zeitpunkt war er noch Leiter der Materialwirtschaft.
Sie verstand es nicht. Wie konnte so ein Mann in einem solchen Konzern zum Geschäftführer aufsteigen. König war berechenbar. Es ist bekannt, dass er sein angeblichen Wissens gerne als Zierde und zur Selbstdarstellung benutzte. Was sich nicht viele trauten war, Dr. Messing verstand es perfekt ein zu setzten, wenn man ihn tiefgründiger in seinem angeblichen Wissen befragt. Es war eine reine Genugtuung, wenn er in Besprechung sich dann rausreden musste.
Reden konnte er, das wussten viele. Sein Plan war es daher stets, er ging sehr oft auf, so lange ums Thema zu reden, bis er auf ein anderes kommt. Somit lenkte er quasi auf ein anderes Thema um. Letztendlich wusste dann keiner, dass König hätte eine Frage beantworten sollen. Dr. Messing, wie auch einige wenige in der Firma wussten, dies zu erkennen und wiederholte die Frage dann noch einmal. Das brachte König innerlich zum kochen, weil er wusste, dass sie ihm in fachlichen Angelegenheiten überlegen war.
König fühlte sich indirekt von Dr. Messing bedroht und hatte Angst, dass sie ihm seinen Posten streitig machen würde, denn das hätte sie durchaus können. Zum einen weil sie fachlich und zum anderen, weil sie ihm rethorisch meilenweit überlegen war. Als Außenstehenden ist dies sehr amüsant mit anzusehen, denn beide werden nicht persönlich. Sie versucht es über die Rhetorik, er über die Position als Geschäftsführer im Unternehmen.
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Auf dem Weg durchs Treppenhaus in den Besprechungsraum im Keller ging König nochmals in Gedanken seine Ansprache durch. Er hatte sich seit gestern Abend, als er vom Präsidenten die Anweisung bekam mit den Projektmanagern zu reden, viele Gedanken gemacht.
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„Im Prinzip hatten die Mitarbeiter ja recht, jedoch würde ich mich dann gegen die Geschäftsführung stellen“, sagte er sich mehrmals am gestrigen Abend.
Im bliebe nichts anderes übrig, sich gegenüber dem Präsidenten und den Geschäftsführerkollegen als Jasager hinzustellen. Wenn er dies nicht tun würde, würde er schlafende Hunde wecken und es käme alles raus, was er mit Lügen und Hinhaltetaktiken in den letzten Monaten aufgebaut hätte.
„Ich muss Druck aufbauen und die Mitarbeiter dadurch vom logischen Denken abzulenken. Durch entsprechende angst einflößende Worte würden sie ihre Meinung schon ändern“, kam König spät in der Nacht zum Entschluss.
Als er den Raum als letzter betrat, die Heizung war deutlich zu weit aufgedreht, sahen ihn die zwölf Projektmanager und die Bereichsleiterin angespannt an.
König legte mit seiner Ansprache los. Es war totenstille.
Wie fest vorgenommen versuchte er, die Anwesenden unter Druck zu setzten, Angst ein zu flößen.
Auch diesmal spekulierte er, dass es ihm gelingt, vom eigentlichen Punkt abzulenken.
Die Verweigerung, so stellte er es dar, war gegen die Firma gerichtet und nicht, wie von den Projektmanagern angedacht, gegen die Verpflichtung.
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Als Lovely während der Rede Königs in die Runde blickte, ahnte er, dass zu dieser Zeit fast alle Kollegen die Unterschrift geleistet hätten, hätte man ihnen die Vereinbarung vorgelegt.
Er erkannt, dass er der Einzige war, der sich zu den Worten die er vernahm, Notizen machte.
Als sich Lovely sein Geschriebenes noch mal ansah, Königs Rede war merklich am Ende, verschlug es ihm die Stimme. Er saß versteinert da, bemerkte nicht, wie sich der Geschäftsführer mit den Worten „Ich erwarte ihre Entscheidung“ verabschiedete.
„Hat er das wirklich gesagt?“, zweifelte er selbst an seinem Gehör.
Das sei ja unfassbar, er schaute wieder durch die Runde. Versteinerte Mienen schauten sich an, bis Dr. Messing das Wort ergriff.
„Ich möchte, dass sie sich morgen früh zusammensetzen und mir im Anschluss das Ergebnis mitteilten.“
Die Besprechung löste sich auf.
Noch immer sprachlos schaute sich Lovely die Notizen in seiner Ledermappe an, die vor ihm ausgebreitet lag.
Das wörtlich von König gesagt war:
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An diesem Abend ging Lovely nicht wie gewohnt mit guter Laune nach Hause, sondern in Gedanken versunken.
Sprach er bei seiner Rede hauptsächlich ihn an? Was bedeutet dies für ihn?
Er wusste, mit seiner Partnerin konnte er auch sehr gut über berufliche Themen reden. Sie kannte seine Arbeit ganz genau und konnte hier wertvolle Tipps geben. Den Vorteil den sie hat war, dass sie nicht emotional reagierte, sondern die Sachlage nüchtern erörtert. So gewann Lovely einen zusätzlichen neutralen, objektiven Einblick in die Situation.
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Am nächsten Morgen war die Situation nicht gelöster im Gegensatz zum Vortag. Als Lovely den Computer hochgefahren und die Emails lesen wollte, las er eine Besprechungseinladung, die vom Senior Projektmanagerkollegen Elmar Schenk verschickt wurde. Betreff: Seminar.
„In einer halben Stunde schon?“, Lovely schaute auf die Uhr.
Er holte sich eine Tasse Kaffee aus der Küche, die wie immer am Morgen sehr dünn von Sekretärin Förster gekocht wurde.
„Man könnte meinen, der Kaffee ist koffeinfrei“, dachte sich Lovely und leerte ihn wieder aus.
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Das Besprechungszimmer war kalt. Eigentlich war heute auch keine Besprechung eingetragen. Vielleicht, in Zeiten der Rezession, ist deshalb die Heizung über Nacht ausgeblieben.
„Gott sei dank ist warmer Kaffee da“, versuchte ein junger Kollege die Situation aufzulockern und schmunzelte dabei.
Dr. Messing, aufgrund der neuen Erkenntnisse doch kurz anwesend, informierte die Teilnehmer, dass sie gerade Kontakt mit dem Sohn des Inhabers hatte.
„Es war nicht im Sinne von Resonik“, gab Dr. Messing die Worte des Herrn wieder, der über den Verlauf der gestrigen Besprechung seinen Unmut äußerte.
„Die Familie des Inhabers trage solche Äußerungen von Herrn König nicht und man wird sich dazu mit ihm noch unterhalten müssen. Es ist ganz klar, dass niemand benachteiligt wird, der die Vereinbarung nicht unterschreibt“, gab Dr. Messing weiter die Worte vom Sohn des Präsidenten wieder.
Danach stand sie auf und verabschiedete sich, in der Hoffnung, diese Information helfe den Mitarbeitern bei der Meinungsfindung.
Schenk übernahm das Wort, rief die gestrige Besprechung und deren Inhalt noch mal in Gedächtnis und wiederholte im Anschluss grob die Worte von Dr. Messing.
Lovely blickte auf und zeigte, als wolle er einhaken auf die handschriftlichen Notizen, die er gestern gemacht hatte und immer noch nicht fassen konnte.
Als hätte Schenk die Situation erahnt sah er ihn an und schüttelte den Kopf. Er gab Lovely zu verstehen, besser nichts zu sagen. Lovely steckte zurück.
Der Seniorkollege beendete seine Ausführungen mit den Worten
„Wir haben gezeigt, dass wir nicht alles mit uns machen lassen. Ich meine hier sollte Schluss sein. Es bleibt jedem selbst überlassen, wie er sich entscheidet, aber ich finde wir sollten als Abteilung Souveränität und Geschlossenheit zeigen. Lasst uns unterschreiben.“
Er fragte reihum, wie die Kollegen die Situation jetzt sehen. Die halbe Reihe war durch, jeder hatte mit „ich unterschreibe“ geantwortet.
Lovely war dran, er zögerte. Sollte er wirklich klein bei geben?
Soll die Unfähigkeit anderer Abteilung wieder vertuscht werden?
Soll König mit seiner Masche, andere unter Druck zu setzten, gewinnen?
„Lovely“, fragte Schenk energisch?
„Ja, bin dabei“, schoss Lovely, wie aus einer Pistole.
Eine Sekunde später bereute er sie Zustimmung und wollte sich innerlich ohrfeigen.
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Erleichterten Ganges schlenderte Schenk in Richtung Büro von Dr. Messing. Alle hatten sich für eine Unterschrift entschieden. Alle, bis auf Nadja Teufel, aber auf die legte in der Abteilung niemand einen Wert. Sie war hochnäsig, arrogant und meinte, mit ihren blonden polangen Haaren jeden um den Finger wickeln zu können.
„Das freut mich“, sagte Dr. Messing „ es scheint, dass das Kapitel nun beendet ist. Ich gebe es Herrn König weiter. Vielen Dank.“
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Was alle nicht ahnten, das Kapitel war nicht beendet, sonder fing erst richtig an.  Â
„Ja, O.K.. Bitte entschuldigen Sie noch mal.“
König legte mit hochrotem Kopf den Hörer auf. Soeben hatte er sich einen Donnerknall am Telefon anhören müssen, wie er ihn selten erlebt hatte.
„Er hatte ja recht“, dachte er sich, „wenn jemand mit meiner Person drohen würde, obwohl ich nicht der Meinung bin, wäre ich auch sauer“.
Der Anschiss von ganz oben saß ihm tief in den Knochen, er wusste keinen klaren Gedanken zu fassen.
Die Tür zum Vorzimmer ging auf und seine Sekretärin mit der Indianerfrisur schlich herein. Sie hatte einen solch arroganten Gang, dass wenn man sie fragte, welche Farbe der Fußboden hat, sie dies nicht beantworten konnte. So weit oben trug sie die Nase.
„Die Besprechung ist fertig“, flüsterte sie „Sie unterschreiben die Vereinbarung.“
Diese Nachricht erhellte spürbar den Gemütszustand Königs.
„Auf Sandra Förster ist eben verlass“, dachte er, als sie wieder das Zimmer verlies. „ Sie ist schon gut erzogen und weis, wem sie die Informationen stecken muss.“
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Förster sah sich nicht als Sekretärin der Geschäftsführung Logistik, sondern als Teil von jener. Mit typischen Sekretärinenaufgaben hat sie schon aufgehört, als sie aus der Probezeit vor knapp 4 Monaten raus war. Jetzt beschränkte sie sich hauptsächlich auf das Aushorchen und Weitergeben von Informationen. Hauptsächlich an König.
Tief in Misskredit kam sie, als sie sich vor nicht all zu langer Zeit bei Dr. Messing beschwerte. Freitags, wie alle vier Wochen, fand die Abteilungsbesprechung der Projektmanager statt. Früher hatte immer die Assistenz der Projektmanager die Protokolle über das Besprochene geschrieben, doch seit kurzer Zeit übernahm dies Förster. Sie hatte sich den Antrag über König genehmigen lassen, mit detektivischem Hintergedanken. So konnte sie den Inhalt und aktuelle Stimmungen in der Abteilung eins zu eins an ihren Vorgesetzten weiter tragen. Dies war König nur all zu Recht.
In jener Besprechung stellte Förster die neue Abteilungspräsentation vor, das ihr zur Aufgabe gemacht wurde. Die vorher in schönem Farbmuster aufgebauten Folien ersetzte sie als Folien in diversen Graustufen. Lovely und Schenk kritisierten in der Runde die nichtfarbliche Zusammensetzung der Präsentation und das es den Kunden langweile.
„Wieso?“, fragte Förster die beiden Kritiker
„Ganz einfach“, konterte Lovely, „die Diagramme in Graustufen und die diversen Ablaufdiagramme in Graustufen auf den Folien nehmen zu große Konzentration der Kunden in Anspruch“
„Wenn man sie von weitem überhaupt richtig erkennen kann!“, fügte Schenk hinzu.
„Da schalten die Kunden doch ab“, schloss Lovely die Kritik ab.
Völlig aufgelöst und emotional erbost stand Förster auf und ging Richtung Tür.
„Na schön, mit euch kann man eben solch Arten von Präsentationen nicht machen“, giftete sie, als sie sich umdrehte.
Leichtes Grinsen machte sich in der Runde breit.
„Austeilen wie ein Weltmeister, aber nichts einstecken können. Erst recht nicht, wenn es der Wahrheit entspricht, sie weis ja nicht, was es ist“, sagte Lovely, als das Abteilungsmeeting beendet war.
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Über das gesamte Wochenende machte sich Förster Gedanken über das in der Besprechung Gesagte. Sie hatte sich immer noch nicht beruhigt.
„Denen zahle ich es heim. Mal sehen, wer am längeren Hebel sitzt. Was bilden die sich überhaupt ein? Wissen die nicht, dass ich in der Geschäftsleitung sitze?“.
Sie schmiedete einen Plan, der am Rande des Erlaubten war.
Voller Überzeugung, dass das Überlegte zum gewünschten Erfolg führte, ging sie montags morgens zu Dr. Messing.
„Wissen Sie schon das Neueste, was die Kollegen Schenk und Lovely alles so treiben? Die machen ja viel, aber das ist der Gipfel“, fing Förster an.
„Nein, was denn?“, fragte Dr. Messing nach.
 „Also, der Lovely mobbt die Lehrerin, bei der er den Englischkurs besucht. Sie wurde jetzt vom Kurs abgezogen und hat ihre Existenz verloren“, fuhr die Sekretärin fort.
Beide sahen sich tief in die Augen.
„Das ist ja ein Ding und der Schenk?“, wollte Dr. Messing wissen.
„Der ist ja ein ganz schlimmer. Der belästigt sexuell die Kolleginnen, vor allem Frau Teufel.“
Die Abteilungsleiterin zog Block und Kugelschreiber aus der Schublade und schrieb sich die Vorwürfe auf.
„O.k. Frau Förster, danke für die Info. Ich werde gleich bei den Kollegen nachfragen“.
Völlig fassungslos rief Dr. Messing Elmar Schenk zu sich, der in unmittelbarer Nähe zu ihr saß. Es stellte sich bei dem Gespräch schnell heraus, auch nach telefonischer Rücksprache mit Teufel, dass die Vorwürfe überhaupt nicht der Wahrheit entsprachen.
Schenk amüsierte sich köstlich darüber, sah aber von weiteren Schritten gegen Förster ab.
„Sie ist doch nur ein kleines Licht, das denkt, die Sonne zu sein.“, waren seine Worte.
Dr. Messing versicherte ihm, dass die Aussage von der Sekretärin keine Rolle spiele und kein Nachspiel für ihn hat.
Zehn Minuten später klingelte das Geschäftshandy. Lovely sah auf das Display, “Dr. Messing ruft an”. Er war gerade auf dem Weg zu einem Kundentermin.
“Hallo Frau Messing”, seine Stimme klang wie immer freundlich.
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Sie kannten sich schon über sechs Jahre, waren aber immer noch per Sie. Lovely arbeitete dreieinhalb Jahre zusammen mit Dr. Messing bei einem Konkurrenzunternehmen von Resonik. In seinem ersten Betrieb war er, seit seiner Ausbildung, im großen Telekommunikationsunternehmen, als Produktionslogistiker tätig. Zuletzt als Ansprechpartner Dr. Messing, bei der er als Firmenvertreter Kunde war..
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„Haben Sie Ihre Englischlehrerin gemobbt?“ fiel Dr. Messing direkt mit der Tür ins Haus.
„Was soll den der Quatsch? Sie kennen mich doch! Im Gegenteil, ich komme sehr gut mit ihr aus, wir haben sehr viel Spaß im Unterricht, dass können die anderen Kursteilnehmer bestätigen“.
„Schon gut“, sie versuchte die Situation zu besänftigen, „Ist die Lehrerin noch da oder ist sie abgezogen worden?“ Das wollte Dr. Messing noch wissen.
„Nein, gestern hatten wir einen Kurs. Da war sie da, lustig wie immer.“
„O.k, wir reden morgen weiter, wenn Sie wieder im Büro sind“ beendete Dr. Messing das Telefonat. Sie glaubte ihm. Nicht nur weil sie ihn schon lange kannte, sondern weil sich die Vorwürfe im Fall Schenk nicht bewahrheiteten.
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Mike Lovely betrat einen Tag später die Räumlichkeiten der Projektmanager. Er hatte verschlafen, hatte eine unruhige Nacht. Die Gedanken über die Mobbingvorwürfe beschäftigten ihn, obwohl sie nicht der Wahrheit entsprachen. Diesmal war Dr. Messing schon da, ihr Auto stand bereits auf ihren Parkplatz vor dem Gebäude. Normalerweise war Lovely schon vor ihr im Büro, sie hatte schließlich einen eine Stunde längeren Anfahrtsweg. Dr. Messing arbeitete abends auch deutlich länger, somit war die Arbeitszeit wieder ausgeglichen.
Ohne seinen Arbeitsplatz zu betreten, ging Lovely direkt ins Büro seiner Vorgesetzten. Er wollte wissen, woher die Behauptungen stammen. Obwohl sie nicht darauf eingehen wollte, verriet Dr. Messing im schließlich den Namen, denn er pochte darauf und wollte unbedingt wissen, wer an seiner Person Rufmord betreibt.
Sie vereinbarten eine Aussprache, wobei die Bereichsleiterin die Einladung für heute Mittag gleich versenden wollte.
Förster, Lovely und Dr. Messing saßen am Schreibtisch der Bereichsleiterin.
Als die Sekretärin von Lovely direkt mit ihren Aussagen konfrontiert wurde sie sichtlich nervös, versuchte es aber in nicht überzeugender Manier zu überspielen.
Sie sagte aus, dass die Anschuldigungen an sie heran getragen wurden und sie nicht selbst dainter steckte.
„Woher stammen die Behauptungen, wenn sie nicht von Ihnen stammten?“, wollte er wissen.
Keine Antwort. Dr. Messing und Lovely schauten ihr tief in die Augen.
„Woher??? Es handelt sich schließlich um ein Vorwurf des Mobbings und das ist kein Kavaliersdelikt! “
„Ich möchte niemand verraten“, Försters Stimme klang kleinlaut und schaute auf die verräterische rechte Seite Richtung Fußboden. Wohl das erste mal.
„Sagen Sie es oder ich zeige Sie bei der Personalabteilung an! Dann werden die sicher auf Sie zugehen und wenn sie nicht aussagen, bekommen Sie einen Eintrag in Ihre Akte“, zog Lovely seinen letzten Joker. Er hätte dies auch gemacht, denn die Spionierereien von Förster gingen ihn auf den Leim. Er musste schließlich an seinem Arbeitsplatz im Obergeschoss auf jedes Wort achten. Neben seinem Schreibtisch saß sie, zwar in einem anderen Raum, die Tür war aber immer offen.
„O.k., Heinz Steven hat es mir gesagt“.
Förster sprang auf und ging völlig aufgelöst aus dem Zimmer.
„Und jetzt lassen sie mich in Ruhe“, waren die letzten Worte der Sekretärin, bevor sie die Tür von außen zumachte.
„Heinz Steven? Dieser kleine Wicht, mit seinem treudoofen Dackelgesicht soll die Gerüchte verbreitet haben?“, fragte Lovely Dr. Messing ungläubig.
„Ist die Sachlage nun für Sie erledigt?“, fragte sie.
„Ja, lassen wir es gut sein“, lies Lovely beim hinauslaufen von sich.
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Für König war nun alles klar. Er dachte noch mal kurz was Förster sagte, dass die Mitarbeiter unterschreiben würden. Im gleichen Zug erinnerte er sich noch an das eben geführte Telefonat mit dem Präsidenten. Er zuckte zusammen, als er seine Worte nochmals hörte.
Für den Logistikteilbereich Lager hatte er bereits vor zwei Wochen die Liste gefüllt.
Bis eben hatte er für das Projektmanagement noch niemand eingetragen. Er tippte in die Liste, Rubrik Gelb und Grün je drei Mitarbeiter, die im spontan einfielen.
„Denen zwei habe ich es zu verdanken, dass ich zurzeit bei den Firmeninhabern schlecht im Kurs stehe. Erschwerend für mich kommt noch hinzu, dass die beiden Vertraute von Dr. Messing sind.“, dachte er, als er die Rubrik Rot öffnete.
Er schmunzelte, denn die zwei Namen für die Rote Rubrik standen nun fest.
„Was ich jetzt für einen Aufwand betreiben muss, um davon abzulenken was mit der blöden Vereinbarung war. Wie gut, dass die da oben nicht wissen, wer die Drahtzieher der Unterschriftenverweigerung waren, da fällt es nicht auf.“
Ein dunkles Lachen zog über sein Gesicht.
Er tippte die beiden Namen in die Liste.
Mike Lovely
Elmar Schenk
Er zog die Datei in das schon vor geschriebene Mail in dem er sich anständig für die zeitliche Verzögerung entschuldigte.
König drückte auf „Senden“.
Zufriedenheit machte sich in seinem Gesicht breit und er lies sich mit einem tiefen Seufzer in seinen Stuhl fallen.
„Wer zuletzt lacht!“, er lachte laut.
Das Lachen blieb ihm im Hals steckten und er hustete.
Er erinnerte sich, was er vor kurzem von Sabine Kellnerle, einer externen Beraterin, erfahren hatte.
„Lovelys Partnerin ist Bereichsleiterin hier im Unternehmen.“
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