Romane & Erzählungen
China Cat- das unmögliche Restaurant am Rande der - Welt

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"China Cat- das unmögliche Restaurant am Rande der - Welt"
Veröffentlicht am 26. Dezember 2010, 16 Seiten
Kategorie Romane & Erzählungen
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Über den Autor:

und er hat einen so normalen Beruf- aber das zählt ja nicht.
China Cat- das unmögliche Restaurant am Rande der - Welt

China Cat- das unmögliche Restaurant am Rande der - Welt

 

Meine Oma war immer meine liebste Ahnin gewesen. Ihre Geschichten handelten von Piraten, Seeungeheuern und dem Tierfang für Hagenbecks Tierpark in Hamburg. Immer prahlte sie mit ihrem Holzbein, das man ihr nach einer Enterung der spanischen Schatzgaleone verpassen musste. Das Holzbein, das ihr später so gute Dienste leistete, weil in dem Ding eine Schrotflinte mit trompeten-förmigem Laufende verborgen war. Wenn sie dann uns Bengels mal wieder eine Lügengeschichte erzählte, war das Schönste, wenn sie unter den Rock griff, mit einem Ruck das Holzbein rauszog und damit auf uns zielte.

Ha, damit hatten die Kerle nicht gerechnet! Bumm, bumm – und schon hatten wir den Engländer erobert!“ Ob Engländer, Norweger, Franzose, Schweizer, Mongole, Oma war da nicht kleinlich.

Ein wenig hatte dieses Talent natürlich auf mich abgefärbt. Jedenfalls füllten mich meine Gäste im Restaurant manchmal absichtlich mit Arrak und Whisky ab, um Geschichten zu hören. Am liebsten die von Oma Voss.

Erzähl noch mal, wie Oma Voss sich völlig pleite in Havanna in der Spelunke mit dem Fuß am Boden fest-genagelt hat, um die Zeche einzuwetten!“

Die Geschichte war einfach: Die zart besaiteten Seeräuber kotzten los, als Oma den Nagel durch den Fuß hämmerte. Die hart gesottenen, als Oma Voss nach einer Zange schrie und den Nagel damit aus der Prothese he-rauszog.

Da hat mich dieses Holzbein wieder einmal gerettet. Stellt euch vor, ich junges Ding, zwischen den ganzen Verbrechern. Da trauten sich die Kerle nichts mehr!“

So log uns meine Oma unsere ganze Jugend Geschichten ins Ohr. Tatsächlich war sie nie aus Dithmarschen herausgekommen. Aber die Geschichten waren schön.

Momme bemerkte meinen abwesenden Blick und stieß mich an.

He, noch ist sie nicht tot!“

Wenn sie das Holzbein abgeben will?“

Ganz trübselig trank ich weiter an meinem Whisky. Kool und Wu saßen mit bei uns, und ich konnte nicht aufhören, die alten Storys von ihr zu erzählen. Es plätscherte wie Wasser aus mir heraus.

Onkel Wu, der als Chinese natürlich keinen heimatkundlichen Unterricht in Dithmarscher Landeskunde genossen hatte und dem die Heldentaten der alten Bauerngeschlechter unvertraut waren, stellte alle möglichen Fragen:

Voss, wieso wal Dithmalschen die elste Lepublik auf deutschem Boden? Wal das noch vol Kall Malx?“

Lange vor dem alten Kalle Marx. So zum Ende des Mittelalters, um Fünfzehnhundert rum, hatten es die Bauern satt, Steuern und Abgaben für das Land zu bezahlen, das sie mit eigener Hand der Nordsee abgedeicht hatten. Schon zweihundert Jahre vorher mussten die letzten Adligen Dithmarschen verlassen.“

Das ließen die Adligen einfach so zu?“

Nö, da gab’s heftig Prügel.“

Die Schlacht bei Hemmingstedt!“ Momme und Kool sagten es gleichzeitig.

Jo, die große Schlacht. Ein paar tausend Bauern gegen einen vier-, fünffach überlegenen Feind! Die Bauern fanden es einfach besser, ihre Angelegenheiten unter sich zu regeln. Natürlich war das keine lupenreine Demokratie, wie es sie heute gibt.“

Wal es denn Demoklatie?“

Na ja, Onkel Wu, es gab einen Rat der achtundvierzig Bauerngeschlechter – das waren so etwas wie Familiensippen. Die trafen sich im Frühling und im Herbst und regelten bei einer Art ‚Thing’ ihre Streitigkeiten. Solche Sachen wie Strandraub, Brandstiftung, Seeräuberei. Unsere Vorfahren waren schon recht umtriebig und wenig zart besaitet.“

Wu fasste Momme, Kool und mich mit einem merk-würdigen Blick scharf ins Auge.

Ich glaube nicht, dass sich das sehl geändelt hat!“

Die Antwort war ein fröhliches, dreistimmiges: „NEIN!“

Kool sorgte für reichlich Nachschub aus Mommes Ka-nistern mit dem neunzigjährigen, garantiert nicht mehr als vierzehn Tage alten Fusel.

Ich geriet in immer mehr Fahrt, soff gegen den Kater am nächsten Morgen an. Aber der würde trotzdem ge-winnen.

Irgendwann schleppten sie meinen nach Fusel stin-kenden Kadaver in die Tiefgarage unter dem Restaurant, schmissen mich zur unauffälligen Beruhigung (meine Neigung zu Unfug und voll tönendem Gesang nimmt bei Alkoholkonsum im Quadrat zu) und Ausdünstung in den Kofferraum des Diplomaten und brachten mich später in die Wohnung.

Mit hellsichtiger Klarheit kann ich mich noch an jeden dieser Momente erinnern. Alle möglichen Geschichten schwirrten in meinem Kopf herum und bildeten einen wüsten Hexenkessel. Es vermengte sich Erlebtes und Erlogenes. Geschichten unserer stolzen Landschaft mit ihren freiheitsliebenden Dithmarschern. Eine Gegend mit merkwürdigen Gebräuchen. Und noch schlimmeren Eingeborenen. Strandraub und Wegelagerei.

Dann schlief ich ein. Und träumte los. Vor meinem Traumauge entstand meine Heimat. Das flache Land mit dem weiten Blick ...

 

 

Zu Dithmarschen verurteilt

 

Aus vollem Halse singend stolperte ich durch die nächtlichen Straßen des anderen Dithmarschens – dem, was es hätte sein können, wenn die Geschichten Oma Voss’ wahr wären.

Halt!“

Eine Horde Schwerbewaffneter verstellte mir den Weg. Hellebarden glitzerten im Mondlicht, Lederriemen von Brustpanzern knirschten, Keulen wurden in Handflächen geklatscht.

Diese völlig surrealistische Begegnung stellte mich in mei-nem besoffenen Zustand vor die Entscheidung, diesen Traum als Traum zu akzeptieren oder aufzuwachen.

Aus dem Aufwachen wurde nichts, also musste ich den verwegenen Gestalten Rede und Antwort stehen:

 

Watt wollt ihr?“

Die Mautgebühr für nächtliches Rumtorkeln in angetrunkenem Zustand. Und Strafgeld für diesen grausamen Gesang!“

 

Was wollte der? Maut? Und Geld fürs Singen? Blöder Traum ...

 

Leck mich am Arsch!“

Die Kolonne von Landsknechten wurde mit einigen harten Schlägen von der Unmöglichkeit überzeugt, von mir nachts, und dazu noch im angetrunkenen Zustand, Maut, Strafgeld oder sonstige Gebühren zu verlangen.

Die verbeulten Körper der behördlichen Wegelagerer ließ ich danach herzlos in ihrem Blut liegen. Zwecks eines ausgiebigen Nachtschlafes torkelte ich zum Haus meiner Großmutter, Oma Voss.

 

Was, auch hier im Traum kam Oma Voss vor? Dann konnte es ja nicht so schlimm werden.

 

Ohne jedes Schuldbewusstsein schlief ich zufrieden ein.

 

So kam es mir in meinem Traum vor.

 

Am Morgen weckten mich die Behördenschergen.

Welcher Morgen war das, verflixt? Löste der selbst gebrannte Fusel (den mein Kumpel Momme mit viel Freude herstellte und „Lebertreibstoff“ nannte) Amnesie und Schlafkrankheit aus?

Dazu war mir schlecht, alles drehte sich.

Komm ohne Zicken mit, dann geschieht dir nichts!“

Aal reiht!“

Trotz meiner zustimmenden Antwort wurde ich aus dem Bett gezerrt und mitgeschleift.

 

Scheiße, war das jetzt immer noch der dösige Traum? Kann mich mal jemand wecken?

 

Die Büttel schleppten mich gefesselt bis zur nächsten privaten Zollstelle.

Wen habt ihr denn da am Wickel?“ fragte der Besitzer, der zu dieser Morgenstunde selbst auf seine Zoll-schranke aufpasste.

Lars Voss.“

Ui! Das ist fein. Warum habt ihr ihm nicht gleich den Bauch aufgeschnitten, das Gedärm auf einen Stock ge-spult und ihm den Kopf abgeschlagen? Zur Warnung für alle anderen? So mach ich das mit meinen zahlungsunwilligen Kunden.“ (*)

Mir wurde schlecht. Ich hatte zwar schon genug angestellt in meinem Leben, aber dies?

Hee, ihr wollt mir für nix den Kopf abschlagen?“

 

Doch keine der Gestalten reagierte auf mein Schreien, was die Traumwahrscheinlichkeit erhöhte.

 

Der Zöllner wies auf eine Reihe von Zaunpfählen. Von dort blickten die abgeschlagenen Häupter diverser Maut-preller in den verschiedenen Stadien der Mumifizierung auf die Szene herunter.

Ich stelle euch sogar umsonst einen Zaunpfahl zur Verfügung. Das Kopfabschlagen geht ganz flott!“

Das Richtschwert lehnte mit schartigem, fiesem Grinsen am Zaunpfahl des jüngst Geköpften. Mir wurde ganz matt im Gekröse.

Die Krähen krächzten erwartungsfroh.

Nee, geht nicht, so gern wir das auch täten. Die Richterbüttel haben etwas Besonderes mit ihm und seinem Kumpel vor.

Und wo steckt sein Kumpel, der Kool? Wenn ihr den Voss ins Thingkasino schleppt, wird Kool sich garantiert hinterherschleichen. Wer zahlt für den die Maut?“

Das ist uns doch egal. Außerdem gehört es zum Plan, das Kool auch kommt. Pass einfach besser auf! Und wenn du Kool vor uns fängst, kannst du ihn auf den Zaunpfahl pflanzen.“

Die Augen des Zöllners begannen zu leuchten.

Gut. Aber jetzt erst mal her mit der Maut!“

Der Anführer der Behördenschergen zahlte knurrend für jeden seiner Truppe eine Eurone, für mich musste er vier hinlegen.

Wieso vier? Der Voss kommt nicht zurück!“ maulte der Scherge.

Das matte Gefühl in meinem Gekröse wurde immer matter ...

Eben. Aber es gibt nur Hin- und Rückreise bei mir. Und für Kool zahlt ihr gleich mit! Denn: Latscht du über meinen Acker, dann zahl auch wacker! Und jetzt Schluss mit dem Gesabbel. Der da wollte auch handeln!“

Der Zöllner wies auf den unlängst Geköpften. „Aber ich habe auch gegenüber meinen Anteilsinhabern Verpflichtungen.“

Diejenigen, mit denen du dein Land zusammengelegt hast, um die Zollstelle zu betreiben?“

Jo. Dafür dient Grundbesitz nun mal. Jeder von euch besitzt doch auch ein Stück Land.“

Das hat jeder von uns. Dafür ja das Geburtsrecht. Aber unseres liegt eben mitten im Watt und taucht nur alle sechs Stunden bei Ebbe auf.“

Euer Pech.“

 

So war das doch mal bei uns. Das hatte mir Oma Voss mit großer Ernsthaftigkeit geschildert. „Alles Land ist per Geburts-recht in Privatbesitz. Jeder bekommt mit der Geburtsurkunde einen Quadratmeter Land, den Urmeter. Und was man damit macht, ist jedem selbst überlassen. Ob man Zoll nimmt oder sonstige Arten der Plünderei betreibt: Alles legal.

 

Auf diese Weise haben manche Leute sich schweineviel Geld zusammengezollt.

Und es gibt bei uns noch andere lustige Möglichkeiten des Gelderwerbs: Ein ausgesprochen kreativer Gaststättenbesitzer fordert zum Beispiel von seinen Gästen kein Geld für den Service, sondern Stuhlgeld, das fällig wird, sobald man sitzt. Egal, ob man etwas trinkt oder isst, der Betrag ist fällig.

Eine hoch gebildete Toilettenfrau mit einem Doktortitel der Harvard Business School beispielsweise nimmt kein Geld für Wasser oder die Benutzung des Klos, sondern für das Verschließen dar Klotür, denn: Wasser ist billig, Türen nicht.

Dazu muss gesagt werden, das wir im Zuge der Emanzipation die gemischten öffentlichen Toiletten eingeführt haben.

Männer sind auf diese Art und Weise von der Verzollung ausgeschlossen, wenn sie nur das Pinkelbecken benutzen.

 

Und unsere klugen Klosettfrauen erfanden die Sprenkelabgabe – sehr zum finanziellen Nachteil der Sprühpisser ...“ So sprach meine Oma in dem Traum.

 

Meine persönlichen Einkünfte beliefen sich auf den Stuhl-, Tresen- und Tellerzoll meiner Kneipe. Doch ich hatte das dumpfe Sausen, dass ich die so schnell nicht wiedersehen würde. Denn wenn mir nicht ein ganzer Öltanker voll Glück zu Hilfe kam, würde ich den nächs-ten Morgen von einem Pfahl aus erblicken.

Mit einer pickenden Krähe auf dem Kopf.

Oder sollte mir mein geradezu sprichwörtliches Glück unverdienterweise auch diesmal wieder beistehen?

 

Oder doch ein Traum?

 

Im Thingkasino stopfte man mich in einen der Käfige und zog mich wie einen Papagei zur Decke hoch. So hatte ich einen schönen Überblick über die Räumlichkeit.

Rund um den Tisch der Richterbüttel waren Tribünen im Halbkreis angebracht. Dort saßen Schaulustige und wetteten. Die jeweilige Quote für oder gegen ein Urteil stand auf einer Kreidetafel angeschrieben. Dort stand auch „Voss, 23:1“. Das hieß also, dass die Bande fest damit rechnete, das ich verurteilt wurde.

Autsch! Mir wurde der Kragen eng.

In den anderen Käfigen, die wie in einer Zoohandlung links und rechts von mir von der Decke hingen, konnte man diverse Delinquenten schmachten sehen.

Einer hatte das Schmachten besonders ernst genom-men und war nur noch ein nacktes Skelett. Vermutlich hatte die Quote zu gut für ihn gestanden, sodass die Richter nix verdienten – Pech für den Unschuldigen.

Glatt verschmachtet.

Weiter hinten loderte ein Schmiedefeuer. Die Landsknechte, die einige Blessuren im Gesicht hatten, kümmerten sich um das Equipment. Dort wurden die Halseisen angepasst sowie die Verhörwerkzeuge für lügnerische Delinquenten erwärmt, bis zum Glühen.

Einer schärfte das Richtschwert.

Als sie meine Blicke bemerkten, fuhren sie sich mit der Hand über den Hals, stießen sich gegenseitig in die Rippen und lachten roh.

(* Diese Behandlung hat es wirklich bei uns Dithmarschern gegeben. Nachdem man mehrere besonders aktive Strandräuber so behandelt hatte, nahm die Beutelust der Deichbewohner stark ab.

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NilsPeters
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Gunda Na, das ... - ... ist doch mal eine Oma nach meinem Geschmack :o))

Herrlich erzählt, Nils, auch die Idee, IM Traum darüber nachzudenken, OB es wohl ein Traum ist, bzw. ihn während des Träumens zu "bewerten" finde ich sehr gelungen umgesetzt.

Lieben Gruß
Gunda
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