KRAMPUSTAG
Heinzi und sein Freund Werner gehen in die selbe Klasse. Das ist praktisch.
Denn erstens können sie immer gemeinsam die Hausaufgaben machen und zweitens sind sie immer zu zweit auf ihrem Schulweg.
Heute hängen dicke Wolken über der Stadt, als ob es gleich schneien würde.
Es ist der 5. Dezember – und die Gespräche der Buben drehen sich natürlich um den Krampus.
„Glaubst du, dass es den Nikolaus und den Krampus wirklich gibt?“, fragt Werner.
„Geh´ wo!“, erwidert Heinzi forsch. „Einen Krampus gibt es nie und nimmer. Das sind doch nur Erwachsene, die sich verkleiden und uns erschrecken wollen.“
„Und das Kettengerassel in unserer Schule? Und das Gepolter vor unserem Klassenzimmer? Gestern, du weißt schon...“
„Das? Ach, das. Sicher hat der Lehrer jemanden beauftragt. – Aber mir macht das nicht Angst. Ich sage dir noch einmal, es sind nur verkleidete Erwachsene – die glauben, wir fallen da drauf rein.“
„Ich weiß nicht, ich habe schon ein bisschen Angst,“ gesteht Werner, „am liebsten ginge ich heute gar nicht zur Schule.“
„Du Hasenfuss! Aber das meinst du sicher nicht im Ernst.“
„Doch!“
„Quatsch´ nicht so dumm. Werner, wirklich, du bist ja kein Baby mehr.
Soll er nur kommen, der Beelzebub!
Ich sage dir, was ich tun werde. Ich laufe ihm entgegen und reiße ihm die Larve herunter.....
Unser Papa ist voriges Jahr auch als Krampus gegangen. Er bestritt es zwar, aber ich habe ihn an seinen Schuhen erkannt.“
„Den Schuhen? Hat der Krampus nicht einen Klumpfuß?“
„Eben! Und daran erkennst du genau, dass er nicht echt ist.“
„Na ja,“ meint Werner ein wenig erleichtert, „wirst schon Recht haben. – Jetzt habe ich auch keine Angst mehr. Er soll nur kommen! Na, dem werden wir es aber zeigen!“
Sie erreichen die Schule und gehen in ihre Klasse. Alle Kinder sind heute so aufgeregt.
Alle reden vom Krampus und vom Nikolaus.
Die Pausenglocke läutet die Unterrichtsstunde ein. Der Herr Lehrer kommt in den Klassenraum.
Was har er nur? Er schaut heute so ernst. Sonst lacht er und macht gleich irgend einen Spaß.
Vielleicht hat er Zahnweh, oder Bauchweh?
Und warum schaut er immer wieder so besorgt zum Fenster hinaus?
„Sollen wir die Klassentüre zusperren?“, fragt er plötzlich.
„Nein!“, ertönt es im Chor.
„Wir haben keine Angst vor dem Krampus!“, ruft der Peter. „Er soll nur kommen!“, ergänzt Hugo. Und Heinzi ruft: „Weil es nämlich gar keinen Krampus gibt!“
Der Lehrer schaut zweifelnd auf seine Schüler. „Na, wenn ihr euch da nur nicht zu sicher seid. – Aber mit der Türe habt ihr Recht. Wir dürfen sie gar nicht zusperren, das ist verboten.“
„Wir fürchten uns sowieso nicht! Das ist nur etwas für Kindergartenkinder!“
„Na gut. Dann wollen wir mal die Lesebücher hervor holen.“
In diesem Moment poltert jemand mit schweren Schritten die Stiege herauf. Kettengerassel hallt durch den Schulgang.
Die Kinder sind blass geworden und machen sich ganz klein in ihren Bänken. Mucksmäuschenstill ist es – die Klasse hält den Atem an.
Verschreckt schauen die Schüler auf ihren Lehrer. Vielleicht schließt er die Türe doch noch ab?
Zu spät.
Mit lautem Gebrüll wird sie aufgerissen und ein riesiger, zotteliger Krampus poltert in die Klasse. Schauerlich rasselt er mit seiner Kette und schwingt drohend einen Reisigbesen.
„Wo sind hier die schlimmen Kinder?“
„Hier gibt es nur brave.“, versucht der Lehrer den wilden Gesellen zu beruhigen und zeigt dabei auf seine Schüler.
Doch wo sind sie?
Nur noch ein paar Mädchen sitzen auf ihren Plätzen.
Im rückwärtigen Teil des Raumes steht ein Klavier. Eine große Decke ist darüber gebreitet und hängt herab bis zum Boden.
Dort hin sind die Buben blitzartig geflüchtet.
Alles, was Platz hat, versteckt sich unter dem großen Flügel.
Heinzi ist einer der ersten. Jetzt hält er sich krampfhaft an einem Fuß des Klaviers fest und duckt sich immer weiter hinunter. Er ist gar nicht mehr so überzeugt, und leider fällt ihm alles mögliche ein, was er in letzter Zeit so angestellt hat.
Der Krampus trampelt ärgerlich brummend durch das Klassenzimmer. Jetzt hat er die Buben entdeckt.
Die Mädchen schaut er nicht einmal an. Mit seiner Rute um sich schlagend, nähert er sich schnurstracks dem Klavier.
Heinzi kämpft mit den Tränen, er fürchtet sich sehr .....
Da öffnet sich leise die Türe und der Nikolaus steht im Klassenzimmer.
„Krampus!“ ruft er streng, „komm her! Du hast doch gehört, dass es in dieser Klasse nur brave Kinder gibt.“
„Ja, nur brave!“, bestätigt der Lehrer.
„So kommt schon unter dem Klavier hervor und zeigt dem Nikolaus, wie brav und tüchtig ihr seid.“
Er lässt den einen ein Gedicht aufsagen, den anderen eine Rechnung an die Tafel schreiben oder ein Lied singen. Auch Heinzi muss ein Sprüchlein sagen. Nur mühsam kommen die Worte aus seinem Mund. Doch der Nikolaus sagt: „Brav! Brav!“
Dann öffnet er seinen großen Sack und reicht jedem Kind ein kleines Päckchen. Er ermahnt die Schüler, brav und anständig zu bleiben, und verlässt freundlich winkend die Klasse. Der Krampus trottet brummend hinter ihm hinaus.
Jetzt erst atmen alle auf. Die Kinder plappern aufgeregt durcheinander, bis der Lehrer zur Ruhe mahnt und mit dem Unterricht beginnt.
Auf dem Heimweg fragt Werner: „Und? Glaubst du jetzt noch immer, dass es keinen Krampus gibt?“
Heinzi bleibt stehen und schaut seinen Freund verwundert an.
„Na klar!“, sagt er im Brustton der Überzeugung, „Ganz klar! Das sind ja nur verkleidete Erwachsene........ vielleicht war der Krampus sogar wieder mein Papa?!“