Oh Schreck, schon wieder zu spĂ€t. Eilig zog Nele ihre Jacke an, schnappte sich ihre Handtasche und wollte gerade aus der TĂŒr, als sie bemerkte, dass sie beinahe ihre SchlĂŒssel vergessen hĂ€tte. Es war jeden Morgen das selbe Theater. Statt etwas frĂŒher aufzustehen und sich in Ruhe fĂŒr die Arbeit fertig zu machen, blieb sie bis auf den letzten DrĂŒcker im Bett liegen. Klar dass man dann schon vor der Arbeit Stress hatte. Dabei hatte sie den auf ihrer Arbeit schon genug. Sie war Angestellte in einer kleinen Rechtsanwaltskanzlei. Treffender wĂ€re wahrscheinlich MĂ€dchen fĂŒr Alles. Ihr blieb gerade noch genug Zeit, beim BĂ€cker rein zuspringen und sich wenigstens ein belegtes Brötchen und ein KaffeestĂŒckchen zu kaufen. Zu viel mehr wĂŒrde sie sowieso nicht kommen. "Bei dem Stress den du dir immer machst ist es kein Wunder, dass du keinen Mann hast", hatte ihre Freundin Bine noch vor ein paar Tagen zu ihr gesagt. "Mir ist der Richtige einfach noch nicht begegnet", hatte sie darauf erwidert. Aber insgeheim musste sie sich eingestehen, dass ihre Freundin recht hatte. Egal. FĂŒr diese Gedanken hatte sie im Moment sowieso keine Zeit. Jetzt erst zum BĂ€cker. Sie öffnete die TĂŒr und wie sollte es anders sein, eine Ă€ltere Frau die nicht so recht wusste was sie wollte, stand an der Theke. Ungeduldig trat Nele von einem FuĂ auf den anderen. Endlich hatte die Frau sich entschieden und Nele war an der Reihe. Schnell sagte sie der VerkĂ€uferin was sie wollte, legte das Geld bereit und packte die beiden TĂŒten in ihre Tasche. Schwungvoll drehte sie sich um und stieĂ mit einem Mann zusammen. Mist. Das auch noch. Sie sah in zwei grau grĂŒne Augen und brachte nur noch ein leises "tschuldigung" raus. "Nichts passiert" erwiderte der gut aussehende Mann und lĂ€chelte sie an. Sie hielt kurz inne und besann sich darauf, dass sie zum Zug musste. Eilig verlieĂ sie die BĂ€ckerei Richtung Bahnhof. Den ganzen Tag ĂŒber ging ihr die Begegnung nicht aus dem Kopf. 'Du benimmst dich wie ein liebeskranker Teenager und nicht wie eine Frau von Mitte dreiĂig' schimpfte sie sich. Doch so sehr sie sich bemĂŒhte, die grau grĂŒnen Augen zu vergessen, es ging einfach nicht. Die nĂ€chsten Tage ging sie jeden Morgen zur BĂ€ckerei, aber der Traum von einem Mann war nicht da. Dann, etwa vierzehn Tage nach der ersten Begegnung und als sie die Hoffnung fast aufgegeben hatte, sah sie ihn. Er stand am selben Bahnsteig, an dem auch sie morgens immer abfuhr. Nele sah zu ihm hinĂŒber und lĂ€chelte schĂŒchtern. Richtig gut sah er aus. GroĂ, sportlich, schwarze, lockige Haare. Einfach umwerfend. Er lĂ€chelte zurĂŒck und wĂŒnschte ihr einen "Guten Morgen". Dann kam der Zug. Und ehe sie sich versah, war er verschwunden. Nein, nicht schon wieder. Wie konnte er ihr das antun? Einfach so verschwinden. Dieser Mann brachte sie ganz durcheinander. TagsĂŒber konnte sie sich nicht richtig auf ihre Arbeit konzentrieren und abends fiel ihr das Einschlafen schwer. Immer wieder kreisten ihre Gedanken um ihn. Wann wĂŒrde sie ihn wieder sehen. Aber diesmal meinte es das Schicksal gut mit ihr. Schon am nĂ€chsten Morgen stand er wieder am Gleis. Diesmal wĂŒrde sie ihn ansprechen. Dann bemerkte sie jedoch, dass er bereits einen GesprĂ€chspartner hatte. Also blieb es wieder bei einem LĂ€cheln und einem "Guten Morgen". Nach einem anstrengenden Tag mit Ăberstunden, war Nele froh, dass ihr Chef sie noch an den Bahnhof fuhr. MĂŒde stand sie da und wartete auf ihren Zug. Der hatte natĂŒrlich, als ob der Tag nicht schon stressig genug gewesen wĂ€re, auch noch VerspĂ€tung. Na, was solls. Es wartete ja sowieso keiner zu Hause auf sie. Der Zug fuhr ein StĂŒck an ihr vorbei. Und da sah sie ihn. Sie stieg ein, ging auf ihn zu und fragte "ist der Platz noch frei"? Er lĂ€chelte sie an und nickte. Nele nahm Platz und bemerkte, dass sie ganz kalte HĂ€nde hatte. So nervös war sie. "Na, hatten Sie heute eine lange Schicht" fragte er und blickte ihr direkt in die Augen. "Ja, lang und auch etwas stressig" antwortete Nele und setzte dabei ihr charmantestes LĂ€cheln auf. Jetzt oder nie dachte sie. Sie unterhielten sich gut und als sie zusammen ausstiegen, wusste Nele, dass er Marc hieĂ, 36 und Ingenieur war. Bevor sie sich verabschiedeten, drĂŒckte er ihr seine Visitenkarte in die Hand, lĂ€chelte und war verschwunden. Am liebsten hĂ€tte Nele ihn noch am selben Abend angerufen, aber sie hielt sich fĂŒr heute zurĂŒck. Als sie ihn am nĂ€chsten Tag nicht sah, konnte sie es kaum erwarten am Abend nach Hause zu kommen. Als sie seine Karte hervorholte und die Nummer zu wĂ€hlen begann, zitterten ihr HĂ€nde leicht. Es lĂ€utete und auf einmal fragte Nele sich, was sie hier eigentlich tat. Auf der anderen Seite wurde abgehoben und ein "ja bitte" holte sie aus ihren Gedanken. Sie verabredeten sich fĂŒr das nĂ€chste Wochenende. Und als sie aufgelegt hatte, fĂŒhrte Nele einen kleinen Freudentanz auf. Den Rest der Woche war sie nur halb bei der Sache. Und endlich war Freitag und sie hatte Feierabend. Das Wochenende konnte beginnen. Schon heute wollte Nele schauen, was sie Samstag anzog und so flog ein KleidungstĂŒck nach dem anderen aus dem Schrank auf ihr Bett. Das kleine Schwarze, nein, zu fein. Sie wollten sich in einer netten kleinen Pizzeria treffen und nicht zur Oper. Der kurze blaue Rock und die weiĂe Bluse, nein, darin fĂŒhlte sie sich nicht wohl. Sie entschied sich fĂŒr ihre Lieblingsjeans und den blauen anliegenden Pullover, der ihre blauen Augen zum Strahlen brachte. Ok, das war geklĂ€rt. Die Nacht wurde endlos lange. Nele konnte vor lauter Aufregung nicht schlafen. Zeitig begann sie damit sich auf ihr Date mir Marc vorzubereiten. Sie nahm ein langes entspannendes Bad und cremte sich mit der nach Rosen duftenden Bodylotion ein, die ihre Haut immer so seidig zart machte. Dann schlĂŒpfte sie in ihre bereit gelegten Kleider und ging los. Als sie in der Pizzeria ankam, war Marc schon da und begrĂŒĂte sie mit einem umwerfende LĂ€cheln und einer langstieligen roten Rose. Das Essen war gut. Sie redeten ĂŒber Gott und die Welt. Und als der Kellner zu ihnen kam um dezent darauf aufmerksam zu machen, dass man gleich schlieĂen wolle, verlieĂen die beiden lachend das Lokal. Nach ein paar Metern blieb Marc abrupt stehen. Er drehte Nele zu sich und sagte zu ihr " ich habe ein Zimmer fĂŒr uns reserviert. HĂ€ttest du Lust mit mir zu kommen"? Nele sah ihn an und hörte sich wie aus weiter ferne sagen: "ja, gerne". Sie gingen zusammen zu seinem Auto und er fuhr mit ihr zum besten Hotel der Stadt. Dort angekommen erwartete sie eine wunderschöne groĂe Suite. Nele sah sich beeindruckt um. In einem solch noblen Hotel war sie noch nie gewesen. "Ich hoffe es gefĂ€llt dir". Marc sah sie an. Sie konnte ihm einfach nicht widerstehen. Und als er sie in den Arm nahm und erst zĂ€rtlich und dann etwas fordernder kĂŒsste, lieĂ sie es geschehen. Sie hatten eine wundervolle Nacht. Sie liebten sich leidenschaftlich und verstanden sich blind. Er schien all ihre geheimen WĂŒnsche zu kennen. Als sie am morgen erwachte, war Nele alleine. Sie stand auf, aber Marc war nirgends zu finden. Es klopfte an der TĂŒr und Nele öffnete. Der Portier stand da und ĂŒberreichte ihr einen StrauĂ roter Rosen und eine Nachricht. Sie war von Marc. Darin stand 'Danke fĂŒr die wundervolle Nacht. Marc'. Das war zuviel. Nele lieĂ sich aufs Bett sinken und verstand die Welt nicht mehr. Dann sollte alles nur ein one night stand gewesen sein? Eilig zog sie sich an und verlieĂ ĂŒberstĂŒrzt das Hotel. Die Rosen hatte sie im Zimmer gelassen. Zu Hause angekommen, ging sie unter die Dusche und blieb so lange darunter stehen, als könne das Wasser die letzte Nacht abwaschen. Danach schlĂŒpfte sie in ihren plĂŒschenen Hausanzug und verkroch sich unter die Decke auf die Couch. Es war schon nach 21 Uhr als es klingelte. Nele hatte einen furchtbaren Tag hinter sich. Am liebsten hĂ€tte sie dieses Wochenende aus ihren Gedanken gestrichen. Der Gedanke einfach nur benutzt worden zu sein machte ihr schwer zu schaffen. Sie öffnete die TĂŒr und sah in ein paar grau grĂŒne Augen. Marc! Er stand tatsĂ€chlich und wahrhaftig vor ihr. "Was willst du" fuhr sie ihn an. Er schaute sie verdutzt an und fragte "darf ich rein oder willst du das hier auf dem Flur klĂ€ren"? Widerwillig lieĂ Nele ihn eintreten. Sie gingen ins Wohnzimmer und setzten sich. "Wenn es nur fĂŒr eine Nacht geplant war dann hĂ€ttest du es mir gleich sagen sollen" ging Nele auf ihn los. "Hey, langsam. Beruhige Dich. Es tut mir leid, dass ich dich allein gelassen habe. Aber ich bekam heute morgen einen Anruf von meiner Mutter, dass mein Vater mit einem Herzinfarkt ins Krankenhaus eingeliefert werden musste. Du hast so friedlich geschlafen, da wollte ich dich nicht wecken und hab dem Portier den Auftrag mit den Rosen und der Nachricht gegeben".
Nele kam sich in diesem Augenblick so dumm vor. Sie sah Marc an und sagte leise "tschuldigung". Dann kĂŒssten sie sich zĂ€rtlich.
Das war der Beginn einer wundervollen, einmaligen Beziehung, die nun schon seit drei Jahren bestand. Und nĂ€chsten Monat wĂŒrden sie heiraten.