Romane & Erzählungen
Die Tragik der Lebenden

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"Die Tragik der Lebenden"
Veröffentlicht am 24. November 2010, 84 Seiten
Kategorie Romane & Erzählungen
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Die Tragik der Lebenden

Die Tragik der Lebenden

1. Kapitel

 

Der erste Sonnenstrahl suchte sich einen Weg durch das Staubige, alte Fenster. Nach dem ersten folgt der zweite und der dritte, bis die ganze Kammer erfüllt war vom hellen Licht, getrübt durch die dreckigen Fenster.

Die Tiere rumorten schon in ihren Ställen. Die sanfte Herbstsonne, der nasse Tau und das Gras schien sie zu rufen und sie blökten, wieherten und schrien zurück.

Die ersten Bediensteten erwachten nun und rieben sich den Schlaf aus den Augen. Wer noch nicht wach war wurde gerüttelt. Neben mir zappele es unter der Decke und Magda tauchte auf.

Ich stülpte ihr die Decke über den Kopf und rappelte mich mühsam auf. Mein Rücken tat weh und ich freute mich schon wenn wir im Winter mehr Stroh zum Stopfen der Matratzen bekamen. Oben begannen schon die ersten Männer trampelnd die Treppe herunter zu laufen. Mein Kleid war ein wenig feucht, denn die Nacht über hatte es Gewittert. Das feuchte Kleid und die morgendliche Kälte waren mir unangenehm. Ich schnappte mir Magda und zog ihr ihr Kleid über was ich zum Glück heute mit unter die Decke gelegt hatte den Magda war sehr empfindlich und erkrankte schnell. Vorsichtshalber zog ich ihr noch ihre Winterstrumpfhose an und eine Jacke. Mir legte ich ein Wollenes Tuch um und suchte nach meiner Mutter. Sie war damit beschäftigt Jakob und Maria anzuziehen.

„Lucia, nun geh schon. Nimm deine Geschwister mit.“ rief sie mir zu und schob mir die Kleinen zu. Ich nahm Maria und Jakob an die Hand und klemmte mir Magda an die Hüfte. Eilig lief ich hinaus, denn wenn ich die Kühe nich rechtzeitig melkte wurden die Fiehtreiber sauer. Schnell lief ich zum Stall, die Türen waren schon offen.

„Jakob geh und frag ob du helfen kannst.“ rief ich und lies ihn zu denn Männern laufen.

„Magda“, sagte ich und lies sie runter, „Wen möchtest du denn melken?“

Sie zeigte auf eine relativ kleine und ich gab ihr einen Eimer und stellte ihr den Hocker hin. „Maria, machst du bitte Betti und dann Hannah.“

„Aber ich möchte auch Luisa machen.“ rief sie. „Schätzchen wir haben wirklich keine Zeit, machst du jetzt bitte Betti.“

„Ich möchte nicht Betti ich möchte Luisa.“ sagte sie wieder und stampfte mit ihren Füßen auf den Boden. „Maria, ich mochte, dass du bitte Betti machst. Sofort!“

Maria fing an zu weinen und Strampelte mit ihren Füßen. Die Kühe wurden langsam unruhig. Eilig nahm ich Maria an der Hand und zog sie aus dem Stall.

„So jetzt kannst du gar keine Melken. Alle arbeiten und du schreist hier rum und alle werden denken was du nur für ein Faules, ungezogenes Kind bist. Los jetzt geh und füttere die Hühner bevor ich dir noch den Hinter versohle.“

Ich lief wieder rein und begann Clara zu melken, dann Betti, Hannah, Suse und Else. Magda half fleißig mit und schaffte es nur einen Eimer umzureißen als sie durch die Kammer wirbelte wie ein Wirbelsturm. Ziemlich gestresst nahm ich zwei Eimer und schaffte sie in die Küche, die nächsten beiden kamen in unsere Kammern und die anderen beiden wieder in die Küche. Meine Mutter machte zusammen mit den zwei anderen Frauen, Laura und Hiltraut das Frühstück. Ich ließ Magda bei ihnen schnappte mir Marie und teilte mit ihr die Milch in Becher auf. Insgesamt waren wir sieben, Ich, meine Mutter, Laura, Hiltraut, Gabriel, Samuel und Lukas. Die Kleinen wurden nicht mitgezählt. Aber es waren fünf, Maria, Magda, Jakob, Anka und Peter. Samuel und Laura bekamen jeweils zwei Becher, da Samuel alt und Laura schwanger war.

Hiltraut und Samuel waren die ältesten und ihre Kinder arbeiteten außerhalb des Dorfes. Laura und Lukas wurden nun zum dritten Mal Eltern und Gabriel war der Stallbursche der nur hierher kam weil sein Vater ihn aus dem Haus geworfen hatte. Meine Mutter hatte keinen Mann, als die erste Frau des Herren starb übernahm sie die Rolle ein, sozusagen als Oberbedienstete und in dieser Zeit wurden ich, Jakob und Maria geboren. Doch wir sahen dem Herr allzu ähnlich vor allem Jakob und er verheiratete Mutter mit einem Bediensteten seines Vettern. Der Mann war schmächtig und schaffte es gerade noch Magdas Geburt mit zu erleben bis der Winter mit seinen kalten Fingern den letzten Atemzug aus seiner Lunge sog. Als ich neun wurde Heiratete der Herr abermals und seine Frau brachte zwei Kinder mit in die Ehe. Die Frau war eine Schönheit und ebenso wunderschön wie Dumm und kränklich. Umso schöner sie war ihre Kinder hatten nichts von ihr, sie waren klein, dick, verzogen und klug. Sie brachten Laura ihre Zofe mit und setzten sich wie Kuckucke ins gemachte Nest. Da wir alle noch recht klein waren spielte Rang noch nicht allzu sehr eine Rolle, jedenfalls dachte ich das. Doch die beiden Geschwister Isabel und Marie waren schon sehr mit der Rangordnung vertraut und ließen mich meine auch immer und überall spüren. Es war sehr verwirrend für uns Kinder denn davor waren wir des Herren Lieblinge gewesen und konnten in einer Kammer im Herrenhaus schlafen. Doch die Geschwister sagten sie leiden darunter das meine Mutter so entsetzlich Schnarche und nach einiger Zeit bildete sich auch die Liebevolle aber Dumme Mutter das Schnarchen ein und bekam davon schreckliche Migräne und wir mussten in den Stall.

„Lucia, ich brauche eben mal deine Hilfe.“ Gabriel schaute durch die Tür.

„Hm, ja was?“ schreckte ich auf.

Er kam näher und zeigte mir seine Handinnenfläche die ein einziger Roter Blutschwall war. „Oh mein Gott. Gabriel was hast du denn angerichtet? Warum bist du nicht zu Mutter oder Laura gegangen?“

„Die sind mit dem Ankleiden der Herrschaften beschäftigt.“

„Komm das muss ordentlich ausgespült und gereinigt werden.“ ich schnappte seine Hand und presste mein Wolltuch auf die Wunde. Leider wurde ich bei der Berührung auch noch Rot, aber Gabriel bemerkte es nicht. So eilten wir in die Küche und ich Wusch seine Hand unter kaltem Wasser aus und verband die Stelle mit einem eingesalbten Leinentuch.  

Langsam gingen nun alle wieder in die Scheune und Magda kriegte ganz rote Wangen als sie allen ihre Becher reichen durfte. Jakob hatte aus den Lagerscheunen für jeden zwei Äpfel geholt und nun saßen wir alle beisammen und aßen.

„Das Fohlen müsste spätestens morgen kommen, darauf wette ich.“ sagte Lukas.

„Ach ja um wie viel denn?“ Gabriel lachte.

„Du willst Wetten Junge? Ich Wette um zwei Schichten Schweinestall ausmisten.“

„Ich Wette es kommt übermorgen.“ lachte Gabriel und beide spuckten sich in die Hände und schüttelten sie dann.

„Will auch Wetten.“ sagte Peter und kletterte auf den Schoß seines Vaters.

„Wir Wetten zusammen kleiner.“ sagte Lukas und hievte Peter rüber zu seiner Mutter. Die Männer standen auf nur Samuel war mit seiner Portion Haferbrei noch nicht fertig, denn er hatte keine Zähne mehr.

Ich stand nun auch auf um meiner Mutter in der Küche zu helfen denn Laura war mit den Geschwistern beschäftigt. Ich wusch gerade ab als die Herrin herein trat.

„Würdest du mir bitte ein Tee machen.“ zirpte sie und setzte sich graziös an den Tisch.

„Ich haben den ganzen morgen durch schon Migräne. Sag du deiner Mutter sie soll mir nachher wieder das Mittel geben.“

„Gerne Miss.“ ich fing an vom noch brodelndem Wasser ein wenig abzufüllen und Teeblätter hinein zu streuen ich stellte ihn ans Fenster und Wusch noch ein wenig ab.

„Meine Kleider verlieren an Farbe, ich gebe dir nachher Geld und du kaufst ein wenig Farbpflanzen. Ach ja und hohl die Seidenbänder bei der Bänderfrau ab.“

„Gerne.“ sagte ich nur. Die Herrin ging so gut wie nie ins Dorf oder gar weit raus. Einmal in der Woche machte sie einen Spaziergang mit dem Herr über die Ländereien und sonst blieb sie immer im Haus. Davon erhielt sie eine kränkliche Blässe die sie wie eine Porzellanpuppe aussehen lies.

Ich goss den Tee ab und servierte ihr die dampfende Tasse.

„Setz dich doch mal Lucia.“

Ich setzte mich ihr gegenüber.

Ihre runden, Himmelblauen Augen füllten sich mit Tränen.

„Geht es ihnen gut Madame?“ fragte ich besorgt.

„Es geht schon. Ich fühle mich nur so fehl am Platz. Weißt du, ich bin einfach von kränklicher, vorsichtiger Natur. Ich bin nicht für das Landleben geschaffen, verstehst du? Es ist nicht so das ich den wöchentlichen Spaziergang nicht schön finde, ich bin danach nur so ermüdet und bekomme Gliederschmerzen. Ich will es ihm doch auch recht machen Aber ich bin eben ein wenig anders gestrickt.“ sie schluchzte Herzzerreißend in ihr Taschentuch.

„Aber Madame vielleicht sind die Gliederschmerzen auch nur weil sie zu wenig laufen. Ich kenne es so das Laufen und frische Luft gut tut, vor allem bei Migräne.“

„Sie meinen also ich sollte mich meinem Mann ganz hingeben und die Stadt vergessen?“

„Madame ich weiß nicht ob ich sie da gut beraten kann.“ sagte ich zögernd.

„Du hast sehr hübsche braune Augen, genau wie mein Gatte.“

Mir wurde das Gespräch langsam unwohl.

„Madame wenn sie solch ein anliegen haben reden sie doch mit Laura, sie kennt den vergleich von Stadt und Land besser als ich.“

„Ja das ist wirklich ein guter Ratschlag. Was hast du heute eigentlich zum Frühstück gegessen Lucia?“

„Ein Glas Milch und einen Apfel.“

Sie schluchzte. „Du armes Kind, die Welt ist wirklich ein ungerechter Ort. Weißt du wie schrecklich es ist ein so großes Herz wie ich zu haben? Ich spüre die schmerzen meiner umstehenden immer noch zusätzlich zu meinen schmerzen! “

Und dann „Ich muss unbedingt mit ihrer Mutter sprechen wegen meiner Migräne.“

Damit verlies sie das Zimmer.

Sie war auf dem besten Weg im Suff aus Selbstmitleid und Angst zu versinken, ihre Mitleidsanfälle wurden immer häufiger. Ich stand auf und wusch weiter das Geschirr.

Danach kam meine Mutter herein und wir begannen das Mittagessen vorzubereiten. Nach einer weile löste mich Hiltraut ab weil Lukas und Benjamin Hilfe beim Zaun benötigten. Lukas und Benjamin waren am hinteren Ende der Koppelt tief in ein Gespräch vertieft.

„Ich könnte Schwören das ich diese Stelle schon Zehnmahl geflickt hab und immer wieder…“ Lukas schüttelte den Kopf.

„Ach so und du wirst deine Wette verlieren, die Liebe Sophia ist vorhin hin und her Galoppiert als die Weide offen war.“

„Pah wir werden ja sehn ich hab schon viele Pferde Fohlen sehn es dauert nicht mehr lange.“

„Ich Wette es kommt heute noch.“ sagte ich und stellte mich neben sie.

„Oho hört sich das einer an, die Pferdeflüsterin. Plötzlich so gut mit Pferden?“ lachte Lukas.

„Wieso, kann sie nicht gut mit Pferden?“ fragte Gabriel.

„Sie hat eine Heidenangst. Ha du hättest sie früher sehen sollen. Einmal war Cora durch den Zaun gekommen und sie hat grade die Ställe Gemistet. Sie hat geschrieen und ist richtig ausgerastet Cora auf sie zukam. Sie hat probiert die Stallwände hoch zu klettern und hat sich erst beruhigt als der Zaun wieder geflickt war.“

„Ich sag euch das Fohlen kommt heute ich spüre das unheil.“ sagte ich lachend.

„Klar doch. Von mir aus Wetten wir. Um zwei Haupttänze auf dem nächsten Fest.“ sagte Gabriel.

„Von mir aus.“ sagte ich und spuckte mir wie ein echter Mann in die Hand und schüttelte die beiden anderen. Es war eklig und meine Hand klebte nun von Spuckte und aufgelöstem Dreck.

„Also was wolltet ihr?“

„Neuen Draht.“

„Deswegen bin ich hierher gekommen?“

„Ja.“

Also kehrte ich um und holte den Draht aus dem Gerätehaus und brachte ihn zurück. Dann musste ich wieder zurück diesmal mit den beiden denn es gab Mittag. Die Herren hatten die Fischsuppe mit dem Fisch und dem Muscheln und wir die übrige Brühe. Aber sie war Nahrhaft und alle hatten Hunger. Das Wasser aus dem Brunnen war eisig weswegen wir ein wenig warmes dazugaben.

Danach wuschen Mutter und Hiltraut ab, Laura machte den Nachmittagsspaziergang mit den Geschwistern, Samuel und Jakob arbeiteten auf den Feldern, Lukas und Gabriel am Zaun und ich ging mit dem Korb ins Dorf um mit der Postkutsche in die Stadt zu fahren.

Die Einkaufsliste hatte sich erweitert um Seife, Fleisch, Stoffe, Leder und Gewürze. Eigentlich war es schon zu spät um zu so einem großen Einkauf aufzubrechen, aber der Gewürzhändler war nur am Donnerstag in der Stadt. In der Postkutsche probierte ich mich vor der Pferdeangst in Sicherheit zu bringen in dem mühsam die Buchstaben meines derzeitigem Lesebuches zu entziffern versuchte: Benehmen einer wirklichen Lady. Es war ein ehemaliges Schulbuch von den Geschwistern. In Wahrheit war mein größter Wunsch genauso die Chance gehabt zu haben Lese, Schreiben und Benehmen zu erlernen. Denn ich wollte später eigentlich wie Laura Kammerzofe und Lehrerin werden.

Nach einem wirklich schwierigem Kapitel, Teetassen und ihr Zweck, waren wir endlich da. Mein Gehirn war von der Anstrengung noch ganz verknotet und ich musste mich erst einmal kurz zurechtzupfen und ordnen. Dann begann ich den Weg in die Stoff Geschäfte, danach in die Binderei und in das Hygenehaus. Dann begab ich mich auf den Markt, beschaffte Salz und Pfeffer, ein gutes Stück Leder für Ausbesserungen an Halftern und Satteln und ganz am Schluss das Fleisch. Dann begab ich mich in das ärmere Viertel und kaufte mir ein paar alte Tanzschuhe und einen neuen Hut mit kleinen Schleifen.

Müde begab ich mich, schon in der Dämmerung zu den Postkutschen und auf der Fahrt zurück schlief ich schon tief und fest und verpasste fast die Salzstraße wo ich eilig in Richtung Herrenhaus lief. Auf halber Strecke hielt eine Kutsche und mein Herz klopfte schneller als ich sah, dass es ein schäbig aussehender Herr war.

„Willst du Kaufen Hund?“ fragte er mich und hielt mir ein dunkles Säckchen entgegen.

„Ähm nein Danke.“ ich schüttelte den Kopf.

„Kaufen kleinen, süßen Hund?“ sagte er wieder.

„Nein, Danke wirklich nicht.“

„Kaufen Hund, jetzt Mädchen!“ sagte er aufdringlich.

„Ich habe kein Geld.“ sagte ich und überlegt einfach loszurennen, aber der Stoff und der fette Batzen Fleisch waren sehr hinderlich.

„Nicht schlimm. Tauschen. Gib mir dein Fleisch.“

„Oh nein, Sir das geht wirklich nicht“, ich überlegte was ich davon am wenigsten brauchte, „Wollen sie Pfeffer Sir?“ ich hielt ihm das Päckchen hin.

„Pfeffer? In Ordnung.“ Er hielt den Beutel in meine Richtung.

„Ach den können sie ruhig behalten, wirklich Sir.“ lehnte ich ab.

„Nehmen jetzt Hund. Ehrliches Geschäft.“ er warf mir den Beutel zu und schon brauste er mit der Kutsche weiter.

Ich überlegte den Beutel einfach hier zu lassen aber der Beutel zitterte so erbärmlich das ich ihn einfach aufmachen musste und da war es dann schon um mich geschehen.

Große, braune Knopfaugen und lange Schlappohren, das man denken musste er würde beim Laufen Rauftreten. Er fiepte und strampelte so sehr, dass man merkte, dass er um kleinen Preis wieder in den Sack wollte.

„Na was bist du denn für ein süßer. Oi, oi, oi. Na hör mal auf zu weinen du musst ja nicht mehr darein.“ Leise säuselnd steckte ich ihn mir unter meinen Kittel und lief weiter. Am Hof angekommen brachte ich das Fleisch und alles in die Halle des Hauses und suchte den Herrn. Er saß draußen auf der Terrasse und trank Apfelmet.

„Sir?“ Ich knickste.

„Ja Lucia?“

„Ich… War heute in der Stadt und dort wurde mir ein kleiner Hund geschenkt. Ich konnte nicht anders Sir, es tut mir sehr Leid, aber ich dachte doch das hier ein Wachhund auch nicht fehl wäre, Sir. Entschuldigen sie.“

Er fuhr sich durch sein Haar und guckte in den Garten.

„Lucia, du hattest in keiner Weise das recht über so etwas zu entscheiden. Du und deine Mutter, ihr seit Bedienstete, nichts weiter. Das muss dir klar werden.“ sagte er ernst.

„Ja Sir. Entschuldigung, Sir.“

Er schwieg.

„Nun denn, zeig ihn mir.“ sagte er dann.

Ich holte ihn unter meinem Mantel hervor und sah ihn nun auch zum ersten Mal in voller Montur.

Er hatte wirklich riesige Schlappohren, kurzes Fell mit ein wenig Falten als müsste er noch in seine Haut wachsen. Seine Schnauze war dunkel und das Fell hellte sich bis zu den Augen in ein schönes Fuchsbraun auf was sich dann den ganzen Körper über weiter zog. Seine Augen waren Schokoladenbraun und er hatte lange, kräftige Beine und war von Schlankem Bau. Ich fand ihn auf seine Weise interessant und er erinnerte mich an die Jagdhunde auf den Portraits im Schloss der Stadt.

„Lucia, du bist ja ein Glückspilz, wenn das nicht ein fast völlig Reinrassiger Ridgebag ist. Den kannst du nicht umsonst bekommen haben.“

„Ähm, er hat mich auf der Salzstraße gesehen und angehalten ich wurde gezwungen Sir. Ich musste den Pfeffer geben.“ betreten guckte ich zu Boden.

„Pfeffer, der ist 100 Mal Pfeffer wert.“

Seine Begeisterung war schön und gut, aber ich wollte ihn eigentlich selbst behalten. Betreten schaute ich seine verzauberte Miene an mit der er den Hund betrachtete.

„Ein erstklassiger Wachhund und obendrein auch ein Jagdhund. Mit dem können wir uns jeden Fuchs vom Hof fernhalten. Erzieh ihn gut. Ich will keinen Beißer.“ er drückte ihn mir in die Hand.

„Ja Sir. Wie sie wünschen. Dankeschön, Sir.“ ich knickste.

Ich verließ die Terrasse und begab mich in die Kammer. Ich lief als erstes zu Mutter.

„Lucia, der Hof muss noch gefegt werden und Magda weigert sich, sich von mir ins Bett bringen zu lassen.“ fing Mutter an, doch ich musste erst einmal die kleine Sache mit dem Hund klären.

„Mutter, als ich heut zurückkam auf der Salzstraße da hat eine Kutsche angehalten mit einem sehr lumpigem Mann. Der hat mir einen Hund verkauft. Ich musste ihn nehmen, ich hatte ja angst. Der Herr hat gesagt ich soll ihn aufziehen er ist fast reinrassig und sehr viel Wert.“ sagte ich schnell.

„Zeig mal den kleinen.“ sagte sie erst einmal.

Ich holte den kleinen aus der Tasche.

Ich stellte ihn zum ersten Mal auf den Boden.

„Das ist ja ein prächtiger. Die Essensreste sind ihm Gesichert wenn man diese Augen unterhalb der Tischkante erblickt.“ rief sie und Streichelte ihn. Ein kleiner war er nun nicht mehr ganz, seine Schulter ging mir ungefähr bis fünf Zentimeter unter mein Knie.

„Den musst du aber erziehen Schätzchen.“ sie schaute Streng.

„Klar doch, Mutter weiß ich doch.“ ich schnappte mir den kleinen und ging nach hinten durch zu meinem und Magdas Bett.

„Magda.“

Sie schaute schläfrig auf.

„Guck mal, der schläft jetzt mit bei uns, in Ordnung?“ ich zeigte ihr den kleinen Schnüffler.

„Oh.“ hauchte sie und ihre kleinen, weichen Finger strichen langsam vom Kopf bis zum Schwanz des Hundes hinab.

„Ist es ein Mädchen?“ fragte sie flüsternd.

„Puh, das weiß ich noch gar nicht, soll ich mal schnell schauen?“  „Oh ja.“ sie schaute mir mit großen Augen zu wie ich den Hund umdrehte und ihn genau Studierte.

„Es ist ein Mädchen.“

„Dann heißt sie Maja. Bitte nenn sie Maja, ja Lucia?“ sie war nun ganz aufgeregt.

„Ja, schon gut Spätzchen. Nennen wir sie Maja.“

Ich gab ihr ein Kuss und deckte sie zu.

„Oh ein Hundi!“ Maria kam auf uns zugestürmt.

„Maria, nicht zu stürmisch. Ist ja gut.“ ich zog den Hund schnell aus ihren Klauen und befahl ihr sich zu beruhigen. Dann gab ich ihr den Hund.

Mit Maria war es ein wenig anders als mit Magda. Zu ihr hatte ich nicht so einen Draht. Sie war eben meine richtige Schwester und mir vielleicht ein wenig zu ähnlich. Magda war in keiner Weise so wie ich und ich bewunderte sie und liebte sie auf eine andere Art als Maria oder Jakob. Ich war so etwas wie ihre Mutter, Maria und Jakob waren meine Geschwister, sie hatten als richtige Bezugsperson. Bei Magda war ich es. Meine Mutter hatte nicht so eine Verbindung zu ihr. Es war keine Glückliche Zeit mit Magdas Vater und es hatte sie verletzt was der Herr getan hatte.

Seufzend zog ich mein Kleid aus und legte mich zu Magda und Maja.

Langsam gewöhnte ich mich an den kleinen Hund. Ich stolperte nicht bei jedem zweiten Schritt über ihn und begann mich an seine ständige Anwesenheit zu akzeptieren. Der Herr hatte mir erklärt das sich der Hund in Welpenalter immer an mich halten würde und er mit der Zeit abstand nehmen würde. Sie war ein wildes Energiebündel und zusammen mit Marie war es mir sogar manchmal ein wenig unheimlich. Bei Magda passte ich immer auf, denn Majas aufdringliche Art machte ihr manchmal angst. Ich achtete sehr auf ihre Erziehung um den Herr später nicht zu enttäuschen und zum wohl unser aller. Sie wuselte ständig neben mir herum außer beim melken, da war sie zu unruhig für die Kühe, da kam sie mit Jakob mit die Tiere auf die Weiden bringen.

Seit einiger Zeit wartete ich schon auf das Ende der nächsten Woche, da war das Fest im Dorf, die Herrschaften fuhren zu einem Dinner in die Stadt und hatten uns den Abend frei gegeben. Heute fuhr ich wieder in die Stadt um das Kleid für die Herrin und den Stoff für mein Kleid abzuholen.

Als ich den Laden betrat, sah ich Puppen mit Kleidern die so teuer und elegant aussahen, dass ich mich nicht traute sie an zu fassen. Das Kleid der Herrin war ein dunkelblaues Seidenkleid mit schwarzer Spitze und langen samtenen Handschuhen. Meinen Stoff gab es zwei Straßen weiter in einem recht billigen Laden.

Der Stoff für mein Kleid war eine einfache weiche, fließende, hellblaue Rolle die mir die Verkäuferin in die Hand drückte. Die Herrin hatte mir vorige Woche ein paar alte Spangen geschenkt und ich malte mir mit Freude mein Outfit aus und wurde mit jedem Tag immer hibbeliger.

Danach ging ich noch zum Schuster. Er wohnte nicht weit von uns im Dorf, vor ein paar Wochen als er sich beim Hufbeschlagen unserer Stute, die ein paar Tage zuvor gefohlt hatte, den Knöchel verstaucht, woraufhin ich seine Besorgungen für ihn erledigte. Zum dank hatte er meine Tanzschuhe wieder auf Vordermann gebracht. Abends hatte ich nun endlich mein Komplettes Outfit zusammen. Spangen, Bänder, Ohrringe, Halskette und Schuhe als Accessoire. Mein Kleid, das mir gut gelungen war und eine leichte Jacke waren der Rest. Stolz packte ich alles zusammen und legte mich in mein Bett.

„Mach das Licht aus, Lucia.“ drängten mich die anderen und ich pustete die Kerze aus. Lange konnte ich nicht einschlafen und fand erst ruhe als die Kirchenuhr Zwölf schlug.

„Lucia, steh sofort auf.“

Ich schreckte aus einem tiefen Schlaf auf. Mein Kopf nahm wirre Stimmen war und langsam erst wurde alles etwas klarer.

„Lucia. Nun schau was dein Köter angerichtet hat.“ meine Mutter zerrte mich wütend ais dem Bett.

Alles war mit einem feinen weißen Flaum übersäht. Ich schaute mich um. Am anderen Ende der Kammer lagen die alten Federbetten der Herren. Wir hatten uns sosehr gefreut, Federbetten, weich und warm, den ganzen Winter über. Nun lag der Inhalt in der ganzen Kammer und inmitten der zerrissenen Decken schlief Maja friedlich.

„Du wirst das heute alles wieder in Ordnung bringen, verstanden? Mach die Kühe und dann ran die arbeit sonst wird das mit dem Fest heute nichts.“ damit packte sie Maja am Halsband und zog sie unsanft aus der Kammer. Fluchend suchte ich unter den Federn nach meinem Kleid und Schuhen.

Ich rannte zu den Ställen, ich hatte zu allem übel auch noch verschlafen. Ich packte mir die Eimer und hoffte, dass die Kühe heute nicht allzu voll waren. Ich stürmte in die Kammer und feuerte den ersten Hocker neben die erste Kuh und begann wie verrückt zu Melken. Nach der dritten Kuh ging die Tür auf.

„Ich soll dir von deiner Mutter sagen sie brauch die Milch fürs Frühstück, sonst geht heut Abend nichts.“ sagte Gabriel und guckte zu mir herunter.

„Schade, schade ich hatte doch noch den einen Tanz frei.“

„Gabriel kannst du die beiden rüber bringen ich mach die anderen zwei noch schnell fertig?“ fragte ich.

„Kannst du froh sein mich zu haben.“ sagte er und hob die beiden Eimer an.

Ich lächelte.

„Danke.“

„Ich mach das für den Tanz.“ er lächelte, verlies den Stall und ließ mich errötend zurück.

Den heutigen Tag verbrachte ich mit aufräumen. Kurz vor fünf war ich damit fertig und half Mutter beim Abendessen. Danach konnte ich mich endlich fertig machen. Ich brauchte lange und musste dann noch meine Geschwister ankleiden. Zuerst duschte ich und ölte mich mit Duftöl ein, dann steckte ich meine Haare in kleinen Teilen hoch und befestigte darin Blumen und Kraut. Ich kleidete mich an und zog Magda ihr Kleidchen an, dann brachen wir gemeinsam auf.

 

1. Kapitel

Der erste Sonnenstrahl suchte sich einen Weg durch das Staubige, alte Fenster. Nach dem ersten folgt der zweite und der dritte, bis die ganze Kammer erfüllt war vom hellen Licht, getrübt durch die dreckigen Fenster.

Die Tiere rumorten schon in ihren Ställen. Die sanfte Herbstsonne, der nasse Tau und das Gras schien sie zu rufen und sie blökten, wieherten und schrien zurück.

Die ersten Bediensteten erwachten nun und rieben sich den Schlaf aus den Augen. Wer noch nicht wach war wurde gerüttelt. Neben mir zappele es unter der Decke und Magda tauchte auf.

Ich stülpte ihr die Decke über den Kopf und rappelte mich mühsam auf. Mein Rücken tat weh und ich freute mich schon wenn wir im Winter mehr Stroh zum Stopfen der Matratzen bekamen. Oben begannen schon die ersten Männer trampelnd die Treppe herunter zu laufen. Mein Kleid war ein wenig feucht, denn die Nacht über hatte es Gewittert. Das feuchte Kleid und die morgendliche Kälte waren mir unangenehm. Ich schnappte mir Magda und zog ihr ihr Kleid über was ich zum Glück heute mit unter die Decke gelegt hatte den Magda war sehr empfindlich und erkrankte schnell. Vorsichtshalber zog ich ihr noch ihre Winterstrumpfhose an und eine Jacke. Mir legte ich ein Wollenes Tuch um und suchte nach meiner Mutter. Sie war damit beschäftigt Jakob und Maria anzuziehen.

„Lucia, nun geh schon. Nimm deine Geschwister mit.“ rief sie mir zu und schob mir die Kleinen zu. Ich nahm Maria und Jakob an die Hand und klemmte mir Magda an die Hüfte. Eilig lief ich hinaus, denn wenn ich die Kühe nich rechtzeitig melkte wurden die Fiehtreiber sauer. Schnell lief ich zum Stall, die Türen waren schon offen.

„Jakob geh und frag ob du helfen kannst.“ rief ich und lies ihn zu denn Männern laufen.

„Magda“, sagte ich und lies sie runter, „Wen möchtest du denn melken?“

Sie zeigte auf eine relativ kleine und ich gab ihr einen Eimer und stellte ihr den Hocker hin. „Maria, machst du bitte Betti und dann Hannah.“

„Aber ich möchte auch Luisa machen.“ rief sie. „Schätzchen wir haben wirklich keine Zeit, machst du jetzt bitte Betti.“

„Ich möchte nicht Betti ich möchte Luisa.“ sagte sie wieder und stampfte mit ihren Füßen auf den Boden. „Maria, ich mochte, dass du bitte Betti machst. Sofort!“

Maria fing an zu weinen und Strampelte mit ihren Füßen. Die Kühe wurden langsam unruhig. Eilig nahm ich Maria an der Hand und zog sie aus dem Stall.

„So jetzt kannst du gar keine Melken. Alle arbeiten und du schreist hier rum und alle werden denken was du nur für ein Faules, ungezogenes Kind bist. Los jetzt geh und füttere die Hühner bevor ich dir noch den Hinter versohle.“

Ich lief wieder rein und begann Clara zu melken, dann Betti, Hannah, Suse und Else. Magda half fleißig mit und schaffte es nur einen Eimer umzureißen als sie durch die Kammer wirbelte wie ein Wirbelsturm. Ziemlich gestresst nahm ich zwei Eimer und schaffte sie in die Küche, die nächsten beiden kamen in unsere Kammern und die anderen beiden wieder in die Küche. Meine Mutter machte zusammen mit den zwei anderen Frauen, Laura und Hiltraut das Frühstück. Ich ließ Magda bei ihnen schnappte mir Marie und teilte mit ihr die Milch in Becher auf. Insgesamt waren wir sieben, Ich, meine Mutter, Laura, Hiltraut, Gabriel, Samuel und Lukas. Die Kleinen wurden nicht mitgezählt. Aber es waren fünf, Maria, Magda, Jakob, Anka und Peter. Samuel und Laura bekamen jeweils zwei Becher, da Samuel alt und Laura schwanger war.

Hiltraut und Samuel waren die ältesten und ihre Kinder arbeiteten außerhalb des Dorfes. Laura und Lukas wurden nun zum dritten Mal Eltern und Gabriel war der Stallbursche der nur hierher kam weil sein Vater ihn aus dem Haus geworfen hatte. Meine Mutter hatte keinen Mann, als die erste Frau des Herren starb übernahm sie die Rolle ein, sozusagen als Oberbedienstete und in dieser Zeit wurden ich, Jakob und Maria geboren. Doch wir sahen dem Herr allzu ähnlich vor allem Jakob und er verheiratete Mutter mit einem Bediensteten seines Vettern. Der Mann war schmächtig und schaffte es gerade noch Magdas Geburt mit zu erleben bis der Winter mit seinen kalten Fingern den letzten Atemzug aus seiner Lunge sog. Als ich neun wurde Heiratete der Herr abermals und seine Frau brachte zwei Kinder mit in die Ehe. Die Frau war eine Schönheit und ebenso wunderschön wie Dumm und kränklich. Umso schöner sie war ihre Kinder hatten nichts von ihr, sie waren klein, dick, verzogen und klug. Sie brachten Laura ihre Zofe mit und setzten sich wie Kuckucke ins gemachte Nest. Da wir alle noch recht klein waren spielte Rang noch nicht allzu sehr eine Rolle, jedenfalls dachte ich das. Doch die beiden Geschwister Isabel und Marie waren schon sehr mit der Rangordnung vertraut und ließen mich meine auch immer und überall spüren. Es war sehr verwirrend für uns Kinder denn davor waren wir des Herren Lieblinge gewesen und konnten in einer Kammer im Herrenhaus schlafen. Doch die Geschwister sagten sie leiden darunter das meine Mutter so entsetzlich Schnarche und nach einiger Zeit bildete sich auch die Liebevolle aber Dumme Mutter das Schnarchen ein und bekam davon schreckliche Migräne und wir mussten in den Stall.

„Lucia, ich brauche eben mal deine Hilfe.“ Gabriel schaute durch die Tür.

„Hm, ja was?“ schreckte ich auf.

Er kam näher und zeigte mir seine Handinnenfläche die ein einziger Roter Blutschwall war. „Oh mein Gott. Gabriel was hast du denn angerichtet? Warum bist du nicht zu Mutter oder Laura gegangen?“

„Die sind mit dem Ankleiden der Herrschaften beschäftigt.“

„Komm das muss ordentlich ausgespült und gereinigt werden.“ ich schnappte seine Hand und presste mein Wolltuch auf die Wunde. Leider wurde ich bei der Berührung auch noch Rot, aber Gabriel bemerkte es nicht. So eilten wir in die Küche und ich Wusch seine Hand unter kaltem Wasser aus und verband die Stelle mit einem eingesalbten Leinentuch.  

Langsam gingen nun alle wieder in die Scheune und Magda kriegte ganz rote Wangen als sie allen ihre Becher reichen durfte. Jakob hatte aus den Lagerscheunen für jeden zwei Äpfel geholt und nun saßen wir alle beisammen und aßen.

„Das Fohlen müsste spätestens morgen kommen, darauf wette ich.“ sagte Lukas.

„Ach ja um wie viel denn?“ Gabriel lachte.

„Du willst Wetten Junge? Ich Wette um zwei Schichten Schweinestall ausmisten.“

„Ich Wette es kommt übermorgen.“ lachte Gabriel und beide spuckten sich in die Hände und schüttelten sie dann.

„Will auch Wetten.“ sagte Peter und kletterte auf den Schoß seines Vaters.

„Wir Wetten zusammen kleiner.“ sagte Lukas und hievte Peter rüber zu seiner Mutter. Die Männer standen auf nur Samuel war mit seiner Portion Haferbrei noch nicht fertig, denn er hatte keine Zähne mehr.

Ich stand nun auch auf um meiner Mutter in der Küche zu helfen denn Laura war mit den Geschwistern beschäftigt. Ich wusch gerade ab als die Herrin herein trat.

„Würdest du mir bitte ein Tee machen.“ zirpte sie und setzte sich graziös an den Tisch.

„Ich haben den ganzen morgen durch schon Migräne. Sag du deiner Mutter sie soll mir nachher wieder das Mittel geben.“

„Gerne Miss.“ ich fing an vom noch brodelndem Wasser ein wenig abzufüllen und Teeblätter hinein zu streuen ich stellte ihn ans Fenster und Wusch noch ein wenig ab.

„Meine Kleider verlieren an Farbe, ich gebe dir nachher Geld und du kaufst ein wenig Farbpflanzen. Ach ja und hohl die Seidenbänder bei der Bänderfrau ab.“

„Gerne.“ sagte ich nur. Die Herrin ging so gut wie nie ins Dorf oder gar weit raus. Einmal in der Woche machte sie einen Spaziergang mit dem Herr über die Ländereien und sonst blieb sie immer im Haus. Davon erhielt sie eine kränkliche Blässe die sie wie eine Porzellanpuppe aussehen lies.

Ich goss den Tee ab und servierte ihr die dampfende Tasse.

„Setz dich doch mal Lucia.“

Ich setzte mich ihr gegenüber.

Ihre runden, Himmelblauen Augen füllten sich mit Tränen.

„Geht es ihnen gut Madame?“ fragte ich besorgt.

„Es geht schon. Ich fühle mich nur so fehl am Platz. Weißt du, ich bin einfach von kränklicher, vorsichtiger Natur. Ich bin nicht für das Landleben geschaffen, verstehst du? Es ist nicht so das ich den wöchentlichen Spaziergang nicht schön finde, ich bin danach nur so ermüdet und bekomme Gliederschmerzen. Ich will es ihm doch auch recht machen Aber ich bin eben ein wenig anders gestrickt.“ sie schluchzte Herzzerreißend in ihr Taschentuch.

„Aber Madame vielleicht sind die Gliederschmerzen auch nur weil sie zu wenig laufen. Ich kenne es so das Laufen und frische Luft gut tut, vor allem bei Migräne.“

„Sie meinen also ich sollte mich meinem Mann ganz hingeben und die Stadt vergessen?“

„Madame ich weiß nicht ob ich sie da gut beraten kann.“ sagte ich zögernd.

„Du hast sehr hübsche braune Augen, genau wie mein Gatte.“

Mir wurde das Gespräch langsam unwohl.

„Madame wenn sie solch ein anliegen haben reden sie doch mit Laura, sie kennt den vergleich von Stadt und Land besser als ich.“

„Ja das ist wirklich ein guter Ratschlag. Was hast du heute eigentlich zum Frühstück gegessen Lucia?“

„Ein Glas Milch und einen Apfel.“

Sie schluchzte. „Du armes Kind, die Welt ist wirklich ein ungerechter Ort. Weißt du wie schrecklich es ist ein so großes Herz wie ich zu haben? Ich spüre die schmerzen meiner umstehenden immer noch zusätzlich zu meinen schmerzen! “

Und dann „Ich muss unbedingt mit ihrer Mutter sprechen wegen meiner Migräne.“

Damit verlies sie das Zimmer.

Sie war auf dem besten Weg im Suff aus Selbstmitleid und Angst zu versinken, ihre Mitleidsanfälle wurden immer häufiger. Ich stand auf und wusch weiter das Geschirr.

Danach kam meine Mutter herein und wir begannen das Mittagessen vorzubereiten. Nach einer weile löste mich Hiltraut ab weil Lukas und Benjamin Hilfe beim Zaun benötigten. Lukas und Benjamin waren am hinteren Ende der Koppelt tief in ein Gespräch vertieft.

„Ich könnte Schwören das ich diese Stelle schon Zehnmahl geflickt hab und immer wieder…“ Lukas schüttelte den Kopf.

„Ach so und du wirst deine Wette verlieren, die Liebe Sophia ist vorhin hin und her Galoppiert als die Weide offen war.“

„Pah wir werden ja sehn ich hab schon viele Pferde Fohlen sehn es dauert nicht mehr lange.“

„Ich Wette es kommt heute noch.“ sagte ich und stellte mich neben sie.

„Oho hört sich das einer an, die Pferdeflüsterin. Plötzlich so gut mit Pferden?“ lachte Lukas.

„Wieso, kann sie nicht gut mit Pferden?“ fragte Gabriel.

„Sie hat eine Heidenangst. Ha du hättest sie früher sehen sollen. Einmal war Cora durch den Zaun gekommen und sie hat grade die Ställe Gemistet. Sie hat geschrieen und ist richtig ausgerastet Cora auf sie zukam. Sie hat probiert die Stallwände hoch zu klettern und hat sich erst beruhigt als der Zaun wieder geflickt war.“

„Ich sag euch das Fohlen kommt heute ich spüre das unheil.“ sagte ich lachend.

„Klar doch. Von mir aus Wetten wir. Um zwei Haupttänze auf dem nächsten Fest.“ sagte Gabriel.

„Von mir aus.“ sagte ich und spuckte mir wie ein echter Mann in die Hand und schüttelte die beiden anderen. Es war eklig und meine Hand klebte nun von Spuckte und aufgelöstem Dreck.

„Also was wolltet ihr?“

„Neuen Draht.“

„Deswegen bin ich hierher gekommen?“

„Ja.“

Also kehrte ich um und holte den Draht aus dem Gerätehaus und brachte ihn zurück. Dann musste ich wieder zurück diesmal mit den beiden denn es gab Mittag. Die Herren hatten die Fischsuppe mit dem Fisch und dem Muscheln und wir die übrige Brühe. Aber sie war Nahrhaft und alle hatten Hunger. Das Wasser aus dem Brunnen war eisig weswegen wir ein wenig warmes dazugaben.

Danach wuschen Mutter und Hiltraut ab, Laura machte den Nachmittagsspaziergang mit den Geschwistern, Samuel und Jakob arbeiteten auf den Feldern, Lukas und Gabriel am Zaun und ich ging mit dem Korb ins Dorf um mit der Postkutsche in die Stadt zu fahren.

Die Einkaufsliste hatte sich erweitert um Seife, Fleisch, Stoffe, Leder und Gewürze. Eigentlich war es schon zu spät um zu so einem großen Einkauf aufzubrechen, aber der Gewürzhändler war nur am Donnerstag in der Stadt. In der Postkutsche probierte ich mich vor der Pferdeangst in Sicherheit zu bringen in dem mühsam die Buchstaben meines derzeitigem Lesebuches zu entziffern versuchte: Benehmen einer wirklichen Lady. Es war ein ehemaliges Schulbuch von den Geschwistern. In Wahrheit war mein größter Wunsch genauso die Chance gehabt zu haben Lese, Schreiben und Benehmen zu erlernen. Denn ich wollte später eigentlich wie Laura Kammerzofe und Lehrerin werden.

Nach einem wirklich schwierigem Kapitel, Teetassen und ihr Zweck, waren wir endlich da. Mein Gehirn war von der Anstrengung noch ganz verknotet und ich musste mich erst einmal kurz zurechtzupfen und ordnen. Dann begann ich den Weg in die Stoff Geschäfte, danach in die Binderei und in das Hygenehaus. Dann begab ich mich auf den Markt, beschaffte Salz und Pfeffer, ein gutes Stück Leder für Ausbesserungen an Halftern und Satteln und ganz am Schluss das Fleisch. Dann begab ich mich in das ärmere Viertel und kaufte mir ein paar alte Tanzschuhe und einen neuen Hut mit kleinen Schleifen.

Müde begab ich mich, schon in der Dämmerung zu den Postkutschen und auf der Fahrt zurück schlief ich schon tief und fest und verpasste fast die Salzstraße wo ich eilig in Richtung Herrenhaus lief. Auf halber Strecke hielt eine Kutsche und mein Herz klopfte schneller als ich sah, dass es ein schäbig aussehender Herr war.

„Willst du Kaufen Hund?“ fragte er mich und hielt mir ein dunkles Säckchen entgegen.

„Ähm nein Danke.“ ich schüttelte den Kopf.

„Kaufen kleinen, süßen Hund?“ sagte er wieder.

„Nein, Danke wirklich nicht.“

„Kaufen Hund, jetzt Mädchen!“ sagte er aufdringlich.

„Ich habe kein Geld.“ sagte ich und überlegt einfach loszurennen, aber der Stoff und der fette Batzen Fleisch waren sehr hinderlich.

„Nicht schlimm. Tauschen. Gib mir dein Fleisch.“

„Oh nein, Sir das geht wirklich nicht“, ich überlegte was ich davon am wenigsten brauchte, „Wollen sie Pfeffer Sir?“ ich hielt ihm das Päckchen hin.

„Pfeffer? In Ordnung.“ Er hielt den Beutel in meine Richtung.

„Ach den können sie ruhig behalten, wirklich Sir.“ lehnte ich ab.

„Nehmen jetzt Hund. Ehrliches Geschäft.“ er warf mir den Beutel zu und schon brauste er mit der Kutsche weiter.

Ich überlegte den Beutel einfach hier zu lassen aber der Beutel zitterte so erbärmlich das ich ihn einfach aufmachen musste und da war es dann schon um mich geschehen.

Große, braune Knopfaugen und lange Schlappohren, das man denken musste er würde beim Laufen Rauftreten. Er fiepte und strampelte so sehr, dass man merkte, dass er um kleinen Preis wieder in den Sack wollte.

„Na was bist du denn für ein süßer. Oi, oi, oi. Na hör mal auf zu weinen du musst ja nicht mehr darein.“ Leise säuselnd steckte ich ihn mir unter meinen Kittel und lief weiter. Am Hof angekommen brachte ich das Fleisch und alles in die Halle des Hauses und suchte den Herrn. Er saß draußen auf der Terrasse und trank Apfelmet.

„Sir?“ Ich knickste.

„Ja Lucia?“

„Ich… War heute in der Stadt und dort wurde mir ein kleiner Hund geschenkt. Ich konnte nicht anders Sir, es tut mir sehr Leid, aber ich dachte doch das hier ein Wachhund auch nicht fehl wäre, Sir. Entschuldigen sie.“

Er fuhr sich durch sein Haar und guckte in den Garten.

„Lucia, du hattest in keiner Weise das recht über so etwas zu entscheiden. Du und deine Mutter, ihr seit Bedienstete, nichts weiter. Das muss dir klar werden.“ sagte er ernst.

„Ja Sir. Entschuldigung, Sir.“

Er schwieg.

„Nun denn, zeig ihn mir.“ sagte er dann.

Ich holte ihn unter meinem Mantel hervor und sah ihn nun auch zum ersten Mal in voller Montur.

Er hatte wirklich riesige Schlappohren, kurzes Fell mit ein wenig Falten als müsste er noch in seine Haut wachsen. Seine Schnauze war dunkel und das Fell hellte sich bis zu den Augen in ein schönes Fuchsbraun auf was sich dann den ganzen Körper über weiter zog. Seine Augen waren Schokoladenbraun und er hatte lange, kräftige Beine und war von Schlankem Bau. Ich fand ihn auf seine Weise interessant und er erinnerte mich an die Jagdhunde auf den Portraits im Schloss der Stadt.

„Lucia, du bist ja ein Glückspilz, wenn das nicht ein fast völlig Reinrassiger Ridgebag ist. Den kannst du nicht umsonst bekommen haben.“

„Ähm, er hat mich auf der Salzstraße gesehen und angehalten ich wurde gezwungen Sir. Ich musste den Pfeffer geben.“ betreten guckte ich zu Boden.

„Pfeffer, der ist 100 Mal Pfeffer wert.“

Seine Begeisterung war schön und gut, aber ich wollte ihn eigentlich selbst behalten. Betreten schaute ich seine verzauberte Miene an mit der er den Hund betrachtete.

„Ein erstklassiger Wachhund und obendrein auch ein Jagdhund. Mit dem können wir uns jeden Fuchs vom Hof fernhalten. Erzieh ihn gut. Ich will keinen Beißer.“ er drückte ihn mir in die Hand.

„Ja Sir. Wie sie wünschen. Dankeschön, Sir.“ ich knickste.

Ich verließ die Terrasse und begab mich in die Kammer. Ich lief als erstes zu Mutter.

„Lucia, der Hof muss noch gefegt werden und Magda weigert sich, sich von mir ins Bett bringen zu lassen.“ fing Mutter an, doch ich musste erst einmal die kleine Sache mit dem Hund klären.

„Mutter, als ich heut zurückkam auf der Salzstraße da hat eine Kutsche angehalten mit einem sehr lumpigem Mann. Der hat mir einen Hund verkauft. Ich musste ihn nehmen, ich hatte ja angst. Der Herr hat gesagt ich soll ihn aufziehen er ist fast reinrassig und sehr viel Wert.“ sagte ich schnell.

„Zeig mal den kleinen.“ sagte sie erst einmal.

Ich holte den kleinen aus der Tasche.

Ich stellte ihn zum ersten Mal auf den Boden.

„Das ist ja ein prächtiger. Die Essensreste sind ihm Gesichert wenn man diese Augen unterhalb der Tischkante erblickt.“ rief sie und Streichelte ihn. Ein kleiner war er nun nicht mehr ganz, seine Schulter ging mir ungefähr bis fünf Zentimeter unter mein Knie.

„Den musst du aber erziehen Schätzchen.“ sie schaute Streng.

„Klar doch, Mutter weiß ich doch.“ ich schnappte mir den kleinen und ging nach hinten durch zu meinem und Magdas Bett.

„Magda.“

Sie schaute schläfrig auf.

„Guck mal, der schläft jetzt mit bei uns, in Ordnung?“ ich zeigte ihr den kleinen Schnüffler.

„Oh.“ hauchte sie und ihre kleinen, weichen Finger strichen langsam vom Kopf bis zum Schwanz des Hundes hinab.

„Ist es ein Mädchen?“ fragte sie flüsternd.

„Puh, das weiß ich noch gar nicht, soll ich mal schnell schauen?“  „Oh ja.“ sie schaute mir mit großen Augen zu wie ich den Hund umdrehte und ihn genau Studierte.

„Es ist ein Mädchen.“

„Dann heißt sie Maja. Bitte nenn sie Maja, ja Lucia?“ sie war nun ganz aufgeregt.

„Ja, schon gut Spätzchen. Nennen wir sie Maja.“

Ich gab ihr ein Kuss und deckte sie zu.

„Oh ein Hundi!“ Maria kam auf uns zugestürmt.

„Maria, nicht zu stürmisch. Ist ja gut.“ ich zog den Hund schnell aus ihren Klauen und befahl ihr sich zu beruhigen. Dann gab ich ihr den Hund.

Mit Maria war es ein wenig anders als mit Magda. Zu ihr hatte ich nicht so einen Draht. Sie war eben meine richtige Schwester und mir vielleicht ein wenig zu ähnlich. Magda war in keiner Weise so wie ich und ich bewunderte sie und liebte sie auf eine andere Art als Maria oder Jakob. Ich war so etwas wie ihre Mutter, Maria und Jakob waren meine Geschwister, sie hatten als richtige Bezugsperson. Bei Magda war ich es. Meine Mutter hatte nicht so eine Verbindung zu ihr. Es war keine Glückliche Zeit mit Magdas Vater und es hatte sie verletzt was der Herr getan hatte.

Seufzend zog ich mein Kleid aus und legte mich zu Magda und Maja.

Langsam gewöhnte ich mich an den kleinen Hund. Ich stolperte nicht bei jedem zweiten Schritt über ihn und begann mich an seine ständige Anwesenheit zu akzeptieren. Der Herr hatte mir erklärt das sich der Hund in Welpenalter immer an mich halten würde und er mit der Zeit abstand nehmen würde. Sie war ein wildes Energiebündel und zusammen mit Marie war es mir sogar manchmal ein wenig unheimlich. Bei Magda passte ich immer auf, denn Majas aufdringliche Art machte ihr manchmal angst. Ich achtete sehr auf ihre Erziehung um den Herr später nicht zu enttäuschen und zum wohl unser aller. Sie wuselte ständig neben mir herum außer beim melken, da war sie zu unruhig für die Kühe, da kam sie mit Jakob mit die Tiere auf die Weiden bringen.

Seit einiger Zeit wartete ich schon auf das Ende der nächsten Woche, da war das Fest im Dorf, die Herrschaften fuhren zu einem Dinner in die Stadt und hatten uns den Abend frei gegeben. Heute fuhr ich wieder in die Stadt um das Kleid für die Herrin und den Stoff für mein Kleid abzuholen.

Als ich den Laden betrat, sah ich Puppen mit Kleidern die so teuer und elegant aussahen, dass ich mich nicht traute sie an zu fassen. Das Kleid der Herrin war ein dunkelblaues Seidenkleid mit schwarzer Spitze und langen samtenen Handschuhen. Meinen Stoff gab es zwei Straßen weiter in einem recht billigen Laden.

Der Stoff für mein Kleid war eine einfache weiche, fließende, hellblaue Rolle die mir die Verkäuferin in die Hand drückte. Die Herrin hatte mir vorige Woche ein paar alte Spangen geschenkt und ich malte mir mit Freude mein Outfit aus und wurde mit jedem Tag immer hibbeliger.

Danach ging ich noch zum Schuster. Er wohnte nicht weit von uns im Dorf, vor ein paar Wochen als er sich beim Hufbeschlagen unserer Stute, die ein paar Tage zuvor gefohlt hatte, den Knöchel verstaucht, woraufhin ich seine Besorgungen für ihn erledigte. Zum dank hatte er meine Tanzschuhe wieder auf Vordermann gebracht. Abends hatte ich nun endlich mein Komplettes Outfit zusammen. Spangen, Bänder, Ohrringe, Halskette und Schuhe als Accessoire. Mein Kleid, das mir gut gelungen war und eine leichte Jacke waren der Rest. Stolz packte ich alles zusammen und legte mich in mein Bett.

„Mach das Licht aus, Lucia.“ drängten mich die anderen und ich pustete die Kerze aus. Lange konnte ich nicht einschlafen und fand erst ruhe als die Kirchenuhr Zwölf schlug.

„Lucia, steh sofort auf.“

Ich schreckte aus einem tiefen Schlaf auf. Mein Kopf nahm wirre Stimmen war und langsam erst wurde alles etwas klarer.

„Lucia. Nun schau was dein Köter angerichtet hat.“ meine Mutter zerrte mich wütend ais dem Bett.

Alles war mit einem feinen weißen Flaum übersäht. Ich schaute mich um. Am anderen Ende der Kammer lagen die alten Federbetten der Herren. Wir hatten uns sosehr gefreut, Federbetten, weich und warm, den ganzen Winter über. Nun lag der Inhalt in der ganzen Kammer und inmitten der zerrissenen Decken schlief Maja friedlich.

„Du wirst das heute alles wieder in Ordnung bringen, verstanden? Mach die Kühe und dann ran die arbeit sonst wird das mit dem Fest heute nichts.“ damit packte sie Maja am Halsband und zog sie unsanft aus der Kammer. Fluchend suchte ich unter den Federn nach meinem Kleid und Schuhen.

Ich rannte zu den Ställen, ich hatte zu allem übel auch noch verschlafen. Ich packte mir die Eimer und hoffte, dass die Kühe heute nicht allzu voll waren. Ich stürmte in die Kammer und feuerte den ersten Hocker neben die erste Kuh und begann wie verrückt zu Melken. Nach der dritten Kuh ging die Tür auf.

„Ich soll dir von deiner Mutter sagen sie brauch die Milch fürs Frühstück, sonst geht heut Abend nichts.“ sagte Gabriel und guckte zu mir herunter.

„Schade, schade ich hatte doch noch den einen Tanz frei.“

„Gabriel kannst du die beiden rüber bringen ich mach die anderen zwei noch schnell fertig?“ fragte ich.

„Kannst du froh sein mich zu haben.“ sagte er und hob die beiden Eimer an.

Ich lächelte.

„Danke.“

„Ich mach das für den Tanz.“ er lächelte, verlies den Stall und ließ mich errötend zurück.

Den heutigen Tag verbrachte ich mit aufräumen. Kurz vor fünf war ich damit fertig und half Mutter beim Abendessen. Danach konnte ich mich endlich fertig machen. Ich brauchte lange und musste dann noch meine Geschwister ankleiden. Zuerst duschte ich und ölte mich mit Duftöl ein, dann steckte ich meine Haare in kleinen Teilen hoch und befestigte darin Blumen und Kraut. Ich kleidete mich an und zog Magda ihr Kleidchen an, dann brachen wir gemeinsam auf.

 

 

 

 

2. Kapitel

 

Die Männer waren schon früher aufgebrochen und so machte sich nun die Frauenschar auf zum Fest. Die kleinen rannten vor Aufregung hin und her, zogen an den Rocken ihrer Eltern und fragten jede Minute wann wir endlich da wären. Je näher wir dem Fest kamen desto aufgeregter wurde auch ich. Das letzte Fest war schon länger her und ich sah selten welche in meinem Alter, außer Gabriel natürlich. Als wir der Hügeligen Salzstraße lang genug gefolgt waren, bogen wir links ins Dorf ein und steuerten die Festwiese am anderen Ende an. Als man die ersten johlenden Stimmen hörte und die erste Lichter erahnen konnten, waren die Kinder nicht mehr zu halten. Sie stürmten voraus und verschwanden in den Schattenbergen die das flackernde Feuer auf die Festwiese warf, bevor auch nur eine Mutter reagieren konnte. Die Luft war von lustiger Musik und grölenden rufen erfüllt, das große Feuer verzerrte die Schatten in undurchsichtige Gebilde, überall tanzten Menschen umher und es roch nach Alkohol, Schweiß und essen. Zugegeben es stank, doch der unangenehme Geruch war eben der Preis dafür sich einen Abend zu vergnügen. Meine Mutter und ich stellten uns unsicher an den Rand der Tanzfläche und das Gesuche der Neuankömmlinge, bekannte Gesichter und Freunde zu finden begann. Meine Mutter hatte schon bald die Frauen aus dem Nähgeschäft entdeckt und drängte sich zu ihnen durch, so dass ich netterweise alleine und verloren am Rande der Tanzfläche stehen bleiben konnte und vergeblich nach meinen Freunden suchte. Als ich endlich glaubte das Gesicht von Luise entdeckt zu haben legten sich mir zwei Hände auf die Schultern, sie waren heiß und klebrig.

„Tanzen hübsches Mädchen?“ raunte mir jemand ins Ohr und heißer Atem Kitzelte meine kalte Haut. Er stank nach Rauch, Schweiß und beißendem Alkohol. Ich drehte mich schnell um und brachte somit auch ein wenig Sicherheitsabstand zwischen mich und die Person. Es war der Sohn des Schmieds und er lächelte mich mit nicht mehr als fünf Zähnen an.

„Nein Danke.“ sagte ich und lief schnell weiter um einer Überredungsdiskussion zu entgehen.

Als ich Luise und Karla endlich gefunden hatte, konnte ich mich wieder entspannen. Nach einer herzlichen Begrüßung und den üblichen Förmlichkeiten begannen wir unser Interesse auf die diesmaligen Tänzer zu beschränken. Die meisten waren verschwitzt und sahen nicht allzu hygienisch aus, aber es gab auch ein Paar dessen Gesellschaft mir durchaus angenehm wäre.

„Und der dort? Der hinten rechts neben dem Metzger.“ sagte Luise gerade als ich Gabriel entdeckte.

„Oh ja, Luise du hast recht der ist hübsch. Schau er sieht zu uns.“ zwitscherte Karla und ihre Wangen wurden noch röter, als sie schon vom Feuer waren.

Ich sah zu Gabriel herüber, er stand neben dem Bierfass und unterhielt sich angestrengt mit dem Wirt der `Ofenkartoffel`. Luise und Karla kicherten, während ihr auserwählter Gentleman begann sich zu ihnen durch zu drängte. Karla stupste mich an.

„Nun sag schon Lucia, wie findest du ihn?“ flüsterte Karla.

„Ja, ganz stattlich.“ gab ich zurück. Die Antwort schien ihr nicht zu gefallen, böse guckte sie mich an.

„Ist dir wohl nicht gut genug? Du wirst noch als alte Jungfer enden. Also ich finde ihn hübsch und Tanzen tut er auch gut.“ sagte sie eingeschnappt und fixierte nun wieder ihren Burschen.

„Je weniger Neider, desto besser für dich oder nicht?“ sagte ich. Ich guckte die beiden an, sie standen beide da und fixierten den Jungen und ihre Körper warteten angespannt, wen er nun fragen würde. Abwesend nickte Karla und konzentrierte sich wieder auf den stillen Kampf mit Luise.

„Ich hab ihn entdeckt.“ zischte Luise.

„Er wird sich schon Entscheiden.“ gab Karla zurück.

Die Spannung wurde schier unerträglich als er sich nun vor sie stellte und beide strahlend um die Wette lächelten. Er deutete eine Verbeugung an und beide kicherten gezwungen, doch ihre Blicke huschten unruhig zwischen Gegenspielerin und Gewinn hin und her.

„Solch hübsche Damen und noch nicht vergeben?“ sagte er und ich blieb bei meiner Meinung, er sei ein völlig Durchschnittlicher Bursche mit Strohblonden Wuschelhaaren und Blauen Augen.

„Würde mir eine der Damen einen Tanz gönnen?“ fragte er und entzog sich damit aus der Verantwortung ein Mädchen zu wählen.

„Aber gerne.“ schoss es aus Karla hervor und sie legte ihre Hand innerhalb einer halben Sekunde in seine und zog den verdatterten Jungen mit sich.

Luise knirschte mit den Zähnen.

„Ich kann noch viel bessere kriegen.“ sagte sie zu mir und setzte ein gezwungenes Lächeln auf.

Ich nickte und winkte Gabriel zu, der mich nun auch entdeckt hatte. Ich sah Luise und ihre Reaktion und sagte schnell:

„Ich habe ihm einen Tanz versprochen.“

„Ja geht nur alle und lasst mich alleine.“ sagte sie Theatralisch, als Gabriel ankam.

„Hallo junge Frauen.“ grinste er und ich lächelte.

Es gab die üblichen Sprüche für eine Tanzaufforderung, doch Gabriel würde nie das gleiche sagen wie jemand anderes auf ein und demselben Fest.

„Mein Tanz, mein Tanz.“ rief er und ergriff meine Hand.

Ich schaute Luise an und fragte dann Gabriel:

„Hast du jemanden für sie, ich kann sie doch nicht so einfach stehen lassen.“

„Es gibt nur eine Reserve. Aber sei gewarnt.“ flüsterte er mir zu und winkte dann einem hageren Typ mit dunklen Haaren.

Der Junge hielt wohl auch nicht viel von den üblichen Sprüchen, aber seine art war eher ein wenig grotesk.

„Junges Mädchen komm Tanz mit mir, beide Hände reich ich dir. Einmal hin einmal her…“ sang er grölend und aus seinem Mund schoss eine Wolke von Biergeruch das einem Übel wurde. Ich warf Luise einen Entschuldigenden Blick zu während mich Gabriel zum Tanzen zog.

„Das war aber nicht nett.“ tadelte ich ihn.

„Sonst wärst du doch nicht mitgekommen.“ gab er Achselzuckend zurück.

„Also nein.“ sagte ich gespielt empört und schlug meine Hand auf seine Brust.

Gespielt zuckte er zusammen und stöhnte auf vor Schmerzen.

Ich lachte und wir tanzten eine weile ohne zu sprechen. Unsere Körper bewegten sich im schnellen Takt der Musik und ich bemerkte wieder einmal wie sehr unsere Körper aufeinander abgestimmt wahren. Als ich sieben Jahre Alt war, hatte mir Gabriel im Kuhstall das Tanzen beigebracht und jeden Abend nach dem Essen hatte er mir neue Tänze beigebracht. Ich schmunzelte über die lange Zeit die ich ihn schon kannte.

Als ich bemerkte das ich die ganze Zeit mit ihm Lachte und das herumgespringe was wir veranstalteten nicht mehr viel mit Tanzen zutun hatte, wurde mir klar, wie sehr ich mich mit Gabriel verstand. Ich schaute ihn an und mir wurde ganz warm.

„Nun aber genug, es gibt noch viele Jungen, viele Mädchen, der Abend ist lang.“ rief Gabriel und innerhalb einiger Sekunden stand ich alleine mitten auf der Tanzfläche.

So würde ich nun unsanft in die Realität gerissen und alleine schlich ich mich von der Tanzfläche zu Luise und Charlotte, die mich winkend empfingen.

Sie waren missgelaunt, denn wie es schien hatte Karla nicht nur Luise den Tanzpartner abgeluchst, sondern auch Charlotte.

„So etwas ungerechtes, warum liegen Karla nur alle zu Füßen?“ schimpfte Charlotte.

„Wenn du soviel ausschnitt zeigen würdest, würden dir auch alle Männer zu Füßen liegen.“ sagte Luise.

Luise war das Mädchen mit dem schönen Gesicht, der Engelsstimme und dem Voluminösen Körper. Charlotte das mit der Piepsstimme, den goldenen Locken und der verspielten Art. Ich überlegte wie man mich wohl beschreiben würde.

„Das sie sich nicht einmal dafür schämt.“ sagte Charlotte Kopfschüttelnd.

„Sie hat einen Ruf zu verlieren.“ sagte Luise und spielte auf Karlas Ruf als Hure an.

„Aber sie hat doch nie jemanden an sich Herangelassen oder?“ fragte ich.

„Wer weiß, der, der sich den Namen ausgedacht hat, hatte bestimmt einen Grund.“

Ich spähte auf die Tanzfläche und suchte nach Gabriel. Er lachte gerade schallend und tanzte mit Karla. Sie kicherte und wackelte dabei betont mit den Hüften. Es kam mir so vor als würde Karla sich fast über ihren Ruf freuen. Ein wenig tat sie mir Leid, die Jungen verachteten ihren weiten Ausschnitt und ihr schlechtes Benehmen nicht, doch insgeheim wurde sie von ihnen verspottet und ausgelacht.

 Zweifelsohne musste ich bei ihrer Taktik immer an eine Spinne denken, sie umgarnte ihre Opfer mit kleinen Scherzen, tiefen Einblicken und weiblichem Geschäker. Ich runzelte die Stirn, Gabriel ließ sich vollkommen auf sie ein, er achtete auf nichts anderes als auf ihr kichern, ihre Tanzschritte und natürlich ihren tiefen Ausschnitt. Ich hatte nicht gedacht, dass er auf sie reinfallen würde und ein wenig nagte es an mir.

„Schau einmal wer da mit ihr tanzt.“ Luise schubste mich an.

„Ja, ich hab es auch schon bemerkt.“ sagte ich.

„Sieh nur hin, wie sie mit den Hüften wackelt, ihren Ausschnitt zeigt, tiefe Blicke wirft und über alles was er sagt lacht. Und er fällt vollkommen darauf rein. Eine Kunst dabei nicht als Hure durchzugehen, eine Kunst die sie nicht beherrscht.“ lachte Luise entnervt.

„Wie er schon guckt.“ meinte Charlotte.

„Ach was, der guckt immer so.“ warf ich ein.

„Ach ja? Als ihr vorhin getanzt habt hat er aber gar nicht so geguckt.“ sagte Luise feixend.

Auch wenn ich mich nicht mit Karla messen wollte kam ich mir seltsam abgewiesen vor.

„Also gut, ich Wette da passiert nichts. Null!“ sagte ich um ein wenig von meinem Gefühl abzulenken.

„Okay. Ich sag da läuft was. Du hast so gut wie verloren, Darling.“ sagte Luise sofort.

„Um was Wettet ihr?“ meinte Charlotte als beigeisterte Schiedsrichterin.

„Ich will deine Spangen, die du heut trägst.“ sagte Luise.

„Meine Spangen? Na gut ich krieg deine Kette und Ohrringe.“

„Beides? Niemals.“

„Die Spangen sind von meiner Herrin, “ sagte ich, “ Oder hast du Angst zu verlieren?“ setzte ich noch drauf, wie ich das von Gabriel und Lukas kannte.

„Sicher nicht, ich spüre schon förmlich die Spangen in meiner Hand.“ meinte Luise.

„Ich würde sagen Schluss mit dem gequatschte. Ich begebe mich auf die Tanzfläche und ihr beobachtet von hier.“ sagte ich.

Ich guckte nach einem Tanzpartner und sobald Blickkontakt bestand war mein Aussichtsplatz gebongt.

 

Ich fand mich in den Händen des Stallburschen von Seven Gifts und war beruhigt, da er zivilisiert wirkte. Ich tanzte immer mit dem Gesicht zu Gabriel und Karla, mit ausnahmen von ein paar kleinen Drehungen. Soweit ich das schließen konnte lief es nicht so gut für mich und meine Spangen, sie tanzten nun enger als alle anderen und er hatte nur noch Augen für sie. Langsam gesellte ich mich wieder zu den beiden anderen Spioninnen, denn was da geschah konnte man auch gut von ferne sehen.

„Mit wem hast du getanzt?“ fragte Charlotte.

„Mit dem Stallburschen von Seven Gifts.“

„Die Engländer hinten beim Fluss?“ fragte Charlotte.

„Ja, er ist recht nett.“ meinte ich.

Die Engländer waren vor ein paar Monaten hier noch ein großes Gesprächsthema gewesen. Sie waren aus England gekommen und hatten das alte Gut am Fluss hergerichtet und es Seven Gifts getauft, Mutter meinte es sei nach der Erschaffung der Erde in den sieben Tagen benannt.

Viele fanden die Engländer bald unangenehm, denn sie bauten eine eigene kleine Kirch auf ihrem Grundstück mitsamt Gruft. Luise stieß mich an.

„Was?“ fragte ich verwirrt.

„Sie gehen. Spangen ihr seit so gut wie mein!“ trällerte sie.

„Wer weiß ob da was passiert.“ sagte ich spöttisch und betete insgeheim Gabriel würde stehen bleiben und zurückkommen.

„Vater im Himmel der Schelm, schaut sicher zu.“ kicherte Charlotte.

„Wenn er, wieso nicht auch wir.“ schlug Luise vor.

„Aber nein. Geht lieber zur Beichte bei euren Worten.“ sagte ich nur.

„Na gut, her mit den Spangen.“ sagte Luise fordernd.

Nun war ich hin und her gerissen, zwischen Tugendhaftigkeit, Neugierde und Ungewissheit.

„Schnell, sie sind schon fast weg.“ sagte ich deswegen nur und Luise und Charlotte pirschten sofort kichernd hinter ihnen her.

Bei dem Gedanken erwischt zu werden wurde mir recht mulmig aber ich schlich weiter hinter den beiden Röcken, die man von meinen Kameradinnen nur erkennen konnte her.

„Wenn ihr weiterhin so kichert können wir es gleich lassen.“ zischte ich und wir versteckten uns hinter einer dicken Platane als sie stehen blieben.

Zum Glück konnten wir nur ihr Gemurmel hören, doch allein das ließ mich erröten. Einerseits, weil ich hinter einem Baum, nur wegen einer Wette zwei liebenden hinterher schnüffelte und andererseits, weil ich zornig war das Gabriel wirklich so etwas tat.

Es war nun außer den Stimmen der beiden vollkommen Still und ein weiter Sternenhimmel erstreckte sich über den beiden. Wie oft hatte ich mir die Situation ausgemalt, romantisch mit dem Mann meiner Träume unter dem Sternenhimmel zu sitzen. Doch jetz hockte ich im Dreck, hinter einem Baum und beobachte Karla an der Stelle der Hauptperson, wo ich in meinen Träumen eigentlich immer stand. In dieser Hinsicht war ich also zunehmend schlechter gelaunt, da ich dazu auch noch dabei war, meine teuren Spangen zu verlieren.

In einer angespannten Haltung starrte ich nun Gabriels Hand an, die zart und vorsichtig Karlas Wangen berührten und dann hinunter zu ihrem Mund wanderten, kurz verweilten und dann ihren Hals hinab zitternd auf ihren Schlüsselbeinen ankamen.

„Sehr anständig.“ kommentierte Luise flüsternd.

Karla schaute nun hoch zu Gabriel und ihre Bewegungen waren weder zärtlich noch ehrfürchtig. Fast Plump kam es einem vor wie sie dann einfach ihre Lippen auf seine legte und ihre Hand ohne umschweife zu seinem Hemd wanderte. Er hielt ihre Hand auf und küsste vorsichtig ihre Fingerspitzen.

Dieser Moment war so intim, das ich am liebsten im Boden versunken wäre. Ich kam mir so klein, unwichtig und vor allem kindisch vor, dass mir Zornestränen in die Augen stiegen. Zudem war da noch das Gefühl des Verletzt- und Abgewiesenwerdens. Wieso hatte Gabriel nicht dasselbe von mir gewollt? Ich kam mir hässlich und dumm vor.

Ich ertrug keinen Blick mehr in die Richtung der beiden und drehte mich um und verschwand im Dunkeln, unwichtig für diese Szene, vollkommen ungebraucht.

Luise und Charlotte folgten mir nach einigem Zögern, sodass ich gezwungen war meine Tränen abzuwischen und normal sein musste.

Tuschelnd kamen Charlotte und Luise näher.

„Also, her mit meinen Spangen.“ lachte Luise.

Ich löste die Spangen ohne ein Wort aus den Haaren und gab sie ihr.

„Ich lag wohl vollkommen daneben. Seit mir nicht böse, ich gehe nach Hause.“

Sie umarmten mich und ich machte mich auf den Weg.

Ich war so enttäuscht von mir, den beiden hinterhergelaufen zu sein. Außerdem war da so viel Wut und Selbsthass, das ich mit mühe Tränen zurückhalten konnte.

Ich lief schnell und bald hatte ich das Dorf hinter mir gelassen und lief mitten durch die Felder.

Nach einiger Zeit hörte ich Schritte hinter mir. Ich drehte mich um und zu meiner Erleichterung war es nur Gabriel. Doch die Erleichterung war schon bald Wut und ich wischte mir unsanft die Tränen aus den Augen.

Als er mich eingeholt hatte liefen wir eine Zeit schweigend nebeneinander. Er pfeifend ich Zähneknirschend. Bis ich dann anfing.
„Ehrlich, dass du auf so eine reinfällst.“ schnaubte ich.

Er hörte verwirrt auf zu Pfeifen.

„Das du dich traust noch jemanden unter die Augen zu treten.“ machte ich weiter.

Er schaute mich nun völlig verdattert an.

„Was?“ fragte er. Nun hatte ich ihn vollends aus dem siebten Himmel geholt.

„Das du auf Karla reinfällst. Das hätte ich nicht von dir gedacht ehrlich! Ich meine sie ist eine Hure, sie macht das mit jedem!““

„Ich bin auf niemanden reingefallen.“ sagte er langsam und betont.

„Nein. Du doch nicht. Willst du mich für dumm verkaufen? Du hast den Blick ja nicht mehr wegbekommen aus ihrem Busen.“

„Ich denke nicht das ich mich in irgendeiner Weise vor dir rechtfertigen muss.“ sagte er bestimmt.

„Stimmt, eigentlich muss ich mich gar nicht für dich Schämen. Aber ich tu’s! Weist du warum, weil du mir nicht egal bist, weil du mein Freund bist, deswegen!“

„Was du willst dich für mich schämen? Hab ich mich hinter einem Baum versteckt um Leute zu beobachten? Echt du bist doch verrückt!“ lachte er mich aus.

Meine Verlegenheit, dass er mich entdeckt hatte schürte nur meine Wut.  

„Wenigstens hab ich meine Ehre und werfe mich nicht dem nächst besten an den Hals.“

„Nein du lässt das andere machen und guckst lieber zu.“

„Du weißt doch nicht einmal warum ich da war!“

„Nein aber ich kann es mir durchaus denken!“ rief er wütend.

„Du kannst gar nichts. Du bist doch bescheuert. Ekeln kann man sich nur vor dir du Rammelkönig!“ schrie ich und Tränen der Wut über ihn und mich selbst kamen unaufhaltsam zu Tage.

Er fing an mich auszulachen, bis er meine Tränen in den Augen sah, da verstummte er.

„Was ist überhaupt mit deinen Haaren?“ fragte er schroff.

„Jede Spange hab ich darauf gewettet, dass du das nicht tust. Jede einzelne der Herrin und du? Ich habe an deine Tugendhaftigkeit geglaubt!“ schrie ich laut.

„Ach um deine Spangen geht es. Das war nur eine Wette? Ja da würde ich auch rumheulen wie ein Kleines Kind.“

Seine verachtenden Worte waren wie Salz in meiner Wunde. Ich blinzelte meine Tränen weg.

Ich lief schneller und schneller um nicht neben ihm laufen zu müssen. Das schreckliche Gefühl ich hätte mich wie ein kleines Kind verhalten brannte noch immer auf meinen Wangen.

Als ich mich nach einer Weile wieder umdrehte war Gabriel verschwunden. Er war wohl wieder zum Fest gegangen.

Ich lief weiter bis zu dem kalten, dunklen Hof. Schnell überquerte ich den Hof und steuerte auf den Stall zu. Lauschend blieb ich stehen. Es war unmöglich, dass dort jemand im Herrenhaus war, es war niemand da, außer Hiltraut und Samuel. Aber da hörte ich es wieder leises Gemurmel und Klappern. Ängstlich starrte ich in die Dunkelheit.

Mein erster Gedanke war sofort umzudrehen und mich bei den Tieren zu verstecken, aber dann bildete die Angst seltsame Gedanken in meinem Kopf. Was war, wenn sie mich schon entdeckt hatten, was wenn sie Samuel und Hiltraud etwas angetan hatten? Das Bild des zerbrechlichen Ehepaares, wie sie sich verteidigen zu versuchten huschte durch meinen Kopf.

Vielleicht konnte ich durchs Fenster gucken, vielleicht sogar im Stall gucken ob Hiltraud und Samuel da waren. Langsam pirschte ich mich an das Fenster heran, vielleicht waren es auch nur dumme Hirngespinste, aber als ich unter dem Fensterbrett hockte hörte ich deutlich das Flüstern zwei rauer Männerstimmen und die Worte: „Schnell, Dummkopf nicht so laut.“

Es war das zweite Mal heute das ich versteckt hockte und jemanden belauschte und was hätte ich nicht alles gegeben um wieder hinter der Platane im Dreck zu kriechen.

Die Panik trieb mich wieder weg vom Fenster in Richtung Feld, an den Ställen entlang. Jetzt hörte ich Getrampel im Flur und ich huschte gebückt am Stall entlang.

Die Tür öffnete sich und zwei Gestalten und eine kleine Gestallt zwängten sich aus der Tür.

Ich duckte mich hinter den Zaun, der die Gemüsebeete umgab. Ich erkannt zwei Massige Körper die auf die einfahrt zwischen den Ställen zuliefen. Und dort bei ihnen, Maja. Tränen stiegen mir in die Augen, meine Maja.

Verzweifelt so ich die Luft ein, ich wollte nur noch weg. Majas Kopf schoss in die Höhe, sie witterte und sprang Schwanz wedelnd auf mich los. Ich begann zitternd ihren Körper von mir Weg zu drücken, bis die Kerle auf mich zukamen, da begann ich ihren zappelnden Körper an mich zu pressen, als ob ich Hilfe in ihrem warmen Fell finden würde.

„Scheiße Mann, da ist jemand.“ zischte der eine.

„Ja, dass sehe ich auch, Dummkopf. Aufstehen!“ sagte der andere.

Ich regte mich nicht im letzten Versuch, wie ein Sack oder ähnliches zu wirken.

„Aufstehen hab ich gesagt!“ bellte er nun wieder und packte mich. Sofort stand ich wackelnd auf meinen Beinen.

„Oh ein kleines Mädchen.“ lächelte er nun.

„Was sollen wir machen? Sollen wir, sollen wir sie umlegen?“ flüsterte der erste nervös.

„Hm, erst einmal kann man sich auch vergnügen.“

„Aber, meinst du das ernst?“ fragte der kleinere, nervöse.

„Sicher Dummkopf, sicher.“

Mein Herz begann sosehr zu schlagen, dass Luftholen schwieriger wurde als je zuvor.

„Also nein. Ich mache das nicht. Wir sollten abhauen. Schlag ihr eins über, das dumme Kind wird alles vergessen.“

„Halts Maul, ich will ein wenig spaß.“ lachte der große.

Er näherte sich meinem Gesicht und ich versuchte mich aus seinen Griff zu wenden.

Er verstärkte den Griff und ich zitterte und mir wurde eiskalt.

Ich war nicht wirklich im begriff vergewaltigt zu werden, dass konnte nicht sein. Gott hätte so etwas nicht zugelassen. Jede Berührung des Mannes ekelte mich, jede Reaktion in seinem Gesicht brachte mich fast zum Brechen, aber ich konnte mich nicht befreien. Er hob mein Gesicht grob an und sein Atem nach verfaulten Essensresten strich über mein Gesicht. Er lachte, während ich verloren ohne halt da stand und seine rauen, klebrigen Hände spürte. Sie waren überall, in meinem Gesicht, auf meinem Hals, auf meinem Kleid. Er strich über den schönen Stoff, über den ich mich so gefreut hatte über meinen Bauch bis zu meinem Ausschnitt. Ich atmete zischend ein. Meine raue Kehle brannte vor hass, als seine Hand zitternd auf meinem Dekolte verweilte.

„Nehmen Sieh ihre Finger weg oder ich schreie!“ sagte ich mit brüchiger Stimme und schlug seine Hand beiseite.

„Oh na sieh mal an ich dachte schon du wärst stumm, nun dann wirst du gleich genug Grund zu schreien haben!“ sagte er und grinste breit.

Mein Blick ging hektisch über die Nachtschwarzen Konturen des Hofes und mein Herz raste in meinem Brustkorb schmerzend hin und her.

Seine Hand begab sich wieder über meinen Bauch nach unten und begann, meinen langen Rock zu heben. Ich strampelte mit den Füßen und gab ein paar heisere Töne von mir, die aber niemanden hören konnte, so leise waren sie. Zitternd lies ich meine Füße sinken und merkte wie schwach mein Körper war. Nass vor Angstschweiß und zitternd hielt ich mich am Gemüsetorgatter fest.

Leise fluchend kam der andere wieder näher.

„Lass das, komm schon. Gehen wir lieber!“

„Nein hatte ich gesagt!“ knurrte der große.

Seine Hand berührte nun meine Knöchel und ich trat kräftig nach vorne und krachte gegen seine Schulter.

Sein kehliges Schmerzstöhnen erinnerte an ein Wildschwein.

„Du kleine Ratte! Das wirst du teuer...“

Er verstummte und lauschte. Wie er hatte ich nun auch das leise Pfeifen wahrgenommen und hoffte das Lukas oder der Herr dahinter steckte.

Leise kaum atmend lauschten wir alle und jeder hoffte auf etwas anderes. Nun konnte man im Mondlicht eine Gestallt erkennen.

Groß und Muskulös stand Lukas in der Einfahrt.

Er pfiff vergnügt und machte sich auf den Weg zu den Kammern. Niemand regte sich. Die beiden Einbrecher standen wie erstarrt da und warteten bis Gabriel sein Ziel erreicht hatte.

Panisch versuchte ich mich frei zu kämpfen und bekam dafür eine Faust in die Magengrube. Ich stöhnte vor Schmerz und sackte zusammen. Ich konnte nicht schreien, der Schlag hatte mir die Luft genommen.

„Hallo?“ fragte eine Stimme.

Sirrendes Schweigen und dann ein rauer Aufruf: „Lauf.“

Ich wurde auf eine Schulter geworfen und mein träger begann schnell zu rennen.

Bis zu den Feldern war ich keine Last, aber dann atmete der träger schwerer und verlangsamte.

„Komm schnell!“ kam es vor uns aus der Dunkelheit und da warf er mich ab. Ich rutschte kraftlos auf den Boden und blieb schlaff in der schlammigen Erde liegen.

Gabriels Schritte liefen schnell an mir vorbei, dann blieb er stehen und drehte.

Er kniete sich herunter und hob mich an.

„Lucia?“ fragte er vollkommen verwirrt und ängstlich.

Ich stöhnte nur vor Schmerzen und richtete mich auf.

„Gott im Himmel! Lucia! Was ist passiert?“

„Sie sind eingebrochen. Alle schönen Sachen. Dann haben sie mich gesehen.“ meine Stimme bebte und ein Schluchzen drang in mir empor, der die ganze Zeit in meinem innern verborgen gewesen war.

Lukas nahm mich vorsichtig in beide Arme und hob mich an. Langsam machte er sich auf den Weg zum Gehöft.

„Lukas? Was in Gottes Namen?“ fragte seine Frau ängstlich. Also waren sie alle da, alle konnten mich sehen. Sehen wie eklig es war, was mir passiert war und ich schämte mich.

„Lucia? Lucia um Gottes Willen!“ schrie meine Mutter entsetzt.

Ich wurde in die leicht beleuchtete Kammer gebracht und auf eine Matte gelegt.

„Lucia, mein Schatz was ist passiert?“ fragte meine Mutter hektisch.

„Sie hat gesagt, es wurde eingebrochen und die Einbrecher haben sie gesehen. Ich vermute das schlimmste. Ich gehe mal im Herrenhaus gucken“ sagte er leise. Meine Mutter schluchzte laut auf und drückte sich an mich.

„Mein Engel, mein kleiner, kleiner Engel.“ sagte sie die ganze Zeit.

„Mama, sie haben nicht… sie haben es nicht geschafft.“ flüsterte ich und wusste nicht ob sie den Sinn der Wörter überhaupt genau erfasste. Meine Mutter brach einfach weiter in Tränen aus und streichelte mir über den Kopf. Meine Tränen rannen mir einfach nur übers Gesicht, als würden sie all die Erinnerungen fortschwemmen.

Ich sah durch den Schleier aus Salzwasser, wie Laura und die Kinder hereinkamen.

Meine Mutter begann mich mit Laura auszuziehen und bettete mich in mein Bett. Magda saß neben mir und hielt bleich und still meine Hand. Ich strich ihr über die Wange: „Magda, leg dich schlafen.“

„Nein Luci. Ich bleibe und halte deine Hand.“ flüsterte sie.

Ich sank zurück in die Kissen. Ich war müde, doch ich wollte nicht die Augen schließen. Wie ein Fluch tauchten mit der Dunkelheit all die Bilder und Worte in meinem Kopf auf, wie lästige Fliegen nur mit dem unterschied, dass ich Angst vor ihnen hatte.

Meine Mutter legte mir ihre Hand auf die Stirn und sagte:

„Schlaf, morgen ist ein anderer Tag.“

Ich nickte, ihre wenig Trost spendenden Worte ließen mich trotzdem ein wenig ruhiger werden.

Die Fragen, Angst und Schmerzen bildeten ein undurchdringliches Netz, welches mich umschlang und den Schlaf fernhielt.

Irgendwann siegte mein müder Körper über meinen rasenden Geist und ich viel in einen traumlosen Schlaf.

 

 

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Lucienna

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