Kurzgeschichte
Die Krönung

Die Krönung

Eigentlich hätte ich die Krone nicht verdient.

Aber der Augenzahn war abgebrochen. Kann sein, dass mich im „Tempel der Waren“ das Angebot überwältigte, aber nach kurzem Knacken war der Zahn nur noch zur Hälfte da.

Eigentlich ein optisches Problem, der Neuss hat sich auch mit blanker Kauleiste in der Öffentlichkeit gezeigt. Aber – aus Kindertagen hat man ein Schlüsselerlebnis, wenn alte Menschen am Abend ein Teil der Zähne reinweichten oder früh ohne erwachten. Das sah Hexe aus würde man in der heutigen Kurzsprache texten.

Ich walzte zum Dentisten oder auch zum Feindentalartisten, besser zu Dr. med. M.W. in B.

Sein erster Anschlag war der für die Kosten, der macht den Patienten still und devot. Als Nebenwirkung bleibt ihm der Mund offen stehen, weil ihm der Unterkiefer sinngemäß auf die Kniescheibe fällt.

Über die Vorbereitung, die Abformung und der voll krass, ewigen Wartezeit hangelte ich mich zum heutigen Tag, dem der Krönung!

In dunkler Stunde schlich ich die Stiegen hinauf, der Richtstätte entgegen.

Mit schwitzigen Handinnenseiten nahm ich auf dem Hightechliegestuhl Platz und legte meine Brille ab. Wer will das Elend auch sehen.

Beim Probeaufstecken und wieder abziehen entglitt das Krönchen in den Mundraum.

Was mich zu der hypothetischen Frage veranlasste, ob schon mal wer den Zahnersatz verschluckt hätte. Der versierte Fachmann servierte sofort die Steigerung des Szenariums, was wäre, wenn das Teil in die Luftröhre rutscht?!

Das wäre übelst!

Sein Bruder sei Chirurg, der hat es erlebt, der musste schon Prothetik raussägen bzw. rausschneiden.

Schon driftete mein Dr.W. zum nächsten Patienten, der schon voller Sehnsucht auf ihn harrte.

Meine Schwester (vorübergehende) aber hatte noch ein Schmakerl für mich.

„In meiner letzten Praxis hatte eine Dame wirklich ein Beisserchen verschluckt!“ Ich wurde bleicher als der Wandanstrich!

„Wir haben ihr dann ein Paar Gummihandschuhe mitgegeben und freuten uns an dem Tag ihrer Wiederkehr – sie hatte es wieder gefunden.“

Ich murmelte noch so was, wie Kaffe und Katzen und das man damit Gourmets erfreut, bekam noch einen Qualitätspass, den ich wegen potentieller Allergie immer bei mir tragen muss und bin nun arm und reich.

Arm um einen erheblichen Euronenbetrag und reicher um eine Krone (in attraktivem Altersgelb) und einem Pass, der mir leider keine Passage ermöglicht.

2010-11-08