Kurzgeschichte
Frankenstein

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"Frankenstein"
Veröffentlicht am 31. Oktober 2010, 6 Seiten
Kategorie Kurzgeschichte
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Über den Autor:

Ich bin ein Honigkuchenpferd, Honigkuchendachs, Honigkuchen, oder einfach nur Ich. http://www.rdedition.com/ http://honigkuchendachs.wordpress.com/
Frankenstein

Frankenstein

Frankensteins Monster  hatte sich mittlerweile abgeschminkt und sah gar nicht einmal so schlecht aus. Ein Lob an den Maskenbildner! Wir ließen uns auf die Couch fallen, die mitten im Raum stand, aber definitiv nicht für drei solcher Prachthintern gedacht war. Ich drehte mich so, dass wir Platz hatten, sich mein Becken hingegen aber schmerzhaft in meine Rippen bohrte. In dieser Haltung verharrend lauschte ich eine Stunde der Diskussion meiner Mitstudenten mit dem Regisseur. Lustig, Schauspieler meinen immer ihre Rolle verteidigen zu müssen, egal, wie unemanzipiert und klischeehaft diese sei. Irgendwie finden sie trotzdem Argumente, die dafür sprechen, es einzusehen, zu verstehen. Ich stöhnte leise, da ich langsam befürchtete, auseinanderzubrechen. Meine Freundin fragte mich, ob alles in Ordnung sei, ich biss nur die Zähne zusammen und nickte. Der Regisseur gestikulierte reghaft, warf dabei seinen Becher Rotwein um. Er sickerte in den Boden wie Blut, schmatzend, gefräßig machte er sich über den grauen, fleckigen Teppich her. Ich musste laut auflachen, sodass mich alle erstaunt anblickten. Sowas hab ich schon immer gehasst, ich senkte meinen Blick und wurde rot. Dann lachte ich für den Rest der Diskussion nicht mehr.

Als die Erdnussdose des hübschen Frankensteins geleert war, schien das ein unsichtbares Zeichen zu sein, uns zu verpissen. Mein Lektor klatschte in die Hände und verabschiedete sich. Ich klemmte mir eine Zigarette zwischen die Lippen, eilte nach draußen und zündete sie an. Genüsslich zog ich an ihr und blies den Rauch in den kalten Abendwind. Ein Auto hupte und ich erschrak. Wir tratschten noch ein wenig, mein Telefon läutete plötzlich: Es war ein Freund von mir, der gerade in Dänemark auf seine Fähre wartete und bei Ricky Martin Songs im Radio an mich denken musste. Gerade schmeichelnd war das nicht, dennoch musste ich kichern. Ich dachte auch immer bei den merkwürdigsten Dingen an meine Freunde. Wenn ich einen besonders üblen Witz riss, musste ich an C. denken, der mich normalerweise bei sowas mit dem liebenswertesten Blick der Welt segnete – strafende Augen, untermalt von einem grinsenden, schmunzelnden Mündchen, das mir straight ins Herz trifft. Und es am Schlagen hält.

Und wenn ich wieder einen seltsamen Typen auf der Straße treffe, oder einen legendären Abend verbringe, denke ich an M., dem ich Wochen später garantiert davon erzählen werde, atemlos, wie ein Kind, das meint, das Christkind gesehen zu haben.

Als er schließlich aufgelegt hatte, schnippte ich die Zigarette auf die Straße und hakte mich bei meinen zwei Studienfreundinnen ein. So spazierten wir die Straße entlang zur U-Bahn. Meine war wie immer die erste, so verabschiedete ich mich von den beiden, stülpte meine geliebten karierten Oldschool Kopfhörer über und gönnte mir eine Runde Foo Fighters für den Heimweg. Gegenüber von mir saß ein Mann und starrte mich unangenehm an. Ich überschlug die Beine und drehte mich demonstrativ weg. Dann kapierte er es und brabbelte sinnlosen Scheiß vor sich hin. Glaubte ich jedenfalls, ich hörte es nicht genau. Als ich endlich angekommen war, beschloss ich, die Straßenbahn sausen zu lassen und zu Fuß zu gehen. Es war eiskalt, ich vergrub die Hände tief in meinen Taschen und wickelte den Schal enger. Beim Ausatmen kamen kleine Dampfkringel aus meiner Nase. Ich wechselte zu Arcade Fire und begann automatisch über mein Leben nachzudenken. Schrecklich war das, eigentlich mochte ich es nicht, im Winter traurige Musik zu hören, weil es ja doch immer wieder gleich endete. Ich heulte mir die Äuglein aus, weil ja doch alles sinnlos war, ich zu nichts zu gebrauchen und die Welt endgültig dem Untergang geweiht. So war es auch diesmal. Ich hob mir das Geheule nur für daheim auf, ich wollte nicht unnötig frieren durch nasse Wangen.

Als ich daheim war, tippte ich auf meinen Radiowecker und brachte dadurch meinen Lieblingssender zum Laufen. Der meinte es auch diesmal nicht gut mit mir und brachte eines der traurigsten Lieder, die ich selbst auf CD hatte. Ich machte mir eine Tasse Tee und ließ mich auf mein Bett fallen. Seit ich endlich das neue hatte, brach ich dabei nicht ein. Herrlich. Sowas ist für mich Luxus, Baby, stell dir vor. Ich vergrub mich in der Decke und musste ein bisschen weinen. Dann zwang ich mich, meinen Mann zu stehen, nahm einen Schluck Tee und spülte damit die ersten Anzeichen meiner Winterdepression hinunter. Heuer nicht, okay, Deal? Zur Bekräftigung nickte ich mit dem Kopf. Ich trank aus, knipste das Licht aus und schlief ein. Mit Kontaktlinsen, angezogen, ungewaschen.

Ich träume von Frankensteins Monster. Er, es war eindeutig männlich, kniete vor mir, ich hatte ein weißes, langes Kleid an und starrte in die Ferne. Dann erstickte er mich mit einem Kopfkissen. Ich wollte gar nicht aufwachen. 

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PhanThomas Re: Re: Re: Re: Das ist so'n typischer... -
Zitat: (Original von Honigkuchenpfe am 01.11.2010 - 21:07 Uhr) Ich dachte der rote Faden wäre der, dass es einfach ein normaler Abend wäre! Seufz. Working on it..
Muss aber gestehen, das Werk wirklich in einem Schwung vollbracht zu haben!
War aber dementsprechend motiviert, inspiriert etc, ein Mister T merkt sowas antürlich sofort :-)
Ja ich möchte eigentlich eh fiktiver handwerken, aber manchmal ist das wahre Leben schon so spannend. Also nicht unbedingt in der geschichte, aber manchmal doch....
Freut mich auch. Ehrlich! Du bist auch einer der wenig, die sich dazu äußern. Und ich steh total drauf, vorallem auf Hilfe.

Der rote Faden ist auch der normale Abend. Es fehlt eher, hm, so 'ne Art Motiv. Weißt, was ich meine? Ach klar, weißt du bestimmt. Aber ist nicht schlimm. Ein Rahmen war ja da.
Und japp, ich merk sowas. :-P Nee, also ich fand den Text gut, wie ich deine Texte generell mag, auch wenn sie nicht immer 'nen roten Faden haben, so haben sie doch ihren Charme. Weil die halt so gedankengängig sind. Und sowas mag ich ja schon sehr. So what!? :-)

Liebe Grüße
Thomas
Vor langer Zeit - Antworten
Honigkuchenpfe Re: Re: Re: Das ist so'n typischer... - Ich dachte der rote Faden wäre der, dass es einfach ein normaler Abend wäre! Seufz. Working on it..
Muss aber gestehen, das Werk wirklich in einem Schwung vollbracht zu haben!
War aber dementsprechend motiviert, inspiriert etc, ein Mister T merkt sowas antürlich sofort :-)
Ja ich möchte eigentlich eh fiktiver handwerken, aber manchmal ist das wahre Leben schon so spannend. Also nicht unbedingt in der geschichte, aber manchmal doch....
Freut mich auch. Ehrlich! Du bist auch einer der wenig, die sich dazu äußern. Und ich steh total drauf, vorallem auf Hilfe.
Vor langer Zeit - Antworten
PhanThomas Re: Re: Das ist so'n typischer... -
Zitat: (Original von Honigkuchenpfe am 01.11.2010 - 19:27 Uhr)
Zitat: (Original von PhanThomas am 01.11.2010 - 19:10 Uhr) ... C-Text. Also nicht wie'n B-Movie, sondern eben C., weil du ja eben die C. bist. Irritierend, wenn's dann im Text noch einen C. gibt. Scheint mir nicht sonderlich erdacht zu sein, sondern, hmmm, eher aus Tatsachen kumuliert. Und so sehr das Frankensteinmonster ja irgendwie Rahmen und zugleich bittere Erlösung darstellt, so traurig ist's irgendwie auch. Hm, die »Gestalt« auf dem Cover tut ihr Übriges. Man sollte der Erzählerin wohl alles Gute wünschen und dass Träume eben Träume bleiben. Nun ja...

Viele liebe Grüße an dich,
Thomas


Typisch ohne roten Faden und in ner 10minütigen Unlust hingefetzt oder doch mit ein bisschen mehr? :-)
Ja, ich sollte aufhören, Geschichten zu persönlich zu getsalten. Aber ein paar Dinge sind wie immer rein erfunden!
Traurig war die Erzählerin wohl ein bisschen beim Schreiben, aber dann doch nicht so zum Glück.
Danke für dein Kommentar, freu mich immer wieder von dir gelesen zu werden!

Liebe Grüße aus der einen Hauptstadt in die andere
C (die!)

Ohne roten Faden, zusammengehalten vom titelgebenden Rahmen, aber nicht in zehn Minuten hingefetzt, sondern schon mit mehr Mühe. Zeitformtechnisch nämlich völlig in Ordnung. :-)
Hm, und ich denke, du kannst ruhig persönlich schreiben, weil, öhm, es wissen ja sicher eh längst nicht alle, was nun fiktiv ist und was nicht. Ich ja auch nicht, und ich bin von denen hier vermutlich schon einer derer, die dich zumindest 'n kleinwenig besser kennen. :-)
Ach ja, und ich les deine Sachen übrigens immer gern. Ist ernst gemeint.
Vor langer Zeit - Antworten
Honigkuchenpfe Re: Das ist so'n typischer... -
Zitat: (Original von PhanThomas am 01.11.2010 - 19:10 Uhr) ... C-Text. Also nicht wie'n B-Movie, sondern eben C., weil du ja eben die C. bist. Irritierend, wenn's dann im Text noch einen C. gibt. Scheint mir nicht sonderlich erdacht zu sein, sondern, hmmm, eher aus Tatsachen kumuliert. Und so sehr das Frankensteinmonster ja irgendwie Rahmen und zugleich bittere Erlösung darstellt, so traurig ist's irgendwie auch. Hm, die »Gestalt« auf dem Cover tut ihr Übriges. Man sollte der Erzählerin wohl alles Gute wünschen und dass Träume eben Träume bleiben. Nun ja...

Viele liebe Grüße an dich,
Thomas


Typisch ohne roten Faden und in ner 10minütigen Unlust hingefetzt oder doch mit ein bisschen mehr? :-)
Ja, ich sollte aufhören, Geschichten zu persönlich zu getsalten. Aber ein paar Dinge sind wie immer rein erfunden!
Traurig war die Erzählerin wohl ein bisschen beim Schreiben, aber dann doch nicht so zum Glück.
Danke für dein Kommentar, freu mich immer wieder von dir gelesen zu werden!

Liebe Grüße aus der einen Hauptstadt in die andere
C (die!)
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PhanThomas Das ist so'n typischer... - ... C-Text. Also nicht wie'n B-Movie, sondern eben C., weil du ja eben die C. bist. Irritierend, wenn's dann im Text noch einen C. gibt. Scheint mir nicht sonderlich erdacht zu sein, sondern, hmmm, eher aus Tatsachen kumuliert. Und so sehr das Frankensteinmonster ja irgendwie Rahmen und zugleich bittere Erlösung darstellt, so traurig ist's irgendwie auch. Hm, die »Gestalt« auf dem Cover tut ihr Übriges. Man sollte der Erzählerin wohl alles Gute wünschen und dass Träume eben Träume bleiben. Nun ja...

Viele liebe Grüße an dich,
Thomas
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