Kurzgeschichte
Geh, du darfst mich nicht sehen. Nicht jetzt.

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"Geh, du darfst mich nicht sehen. Nicht jetzt."
Veröffentlicht am 20. September 2010, 6 Seiten
Kategorie Kurzgeschichte
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Geh, du darfst mich nicht sehen. Nicht jetzt.

Geh, du darfst mich nicht sehen. Nicht jetzt.

Kapitel 1

Atemlos stieß ich die grau bestaubte Tür auf. Sie musste hier sein, das wusste ich. Hastig suchten meine Augen den stinkenden, feuchten Raum ab. Das Schulklo. Mein Blick wandte sich durch den Raum, als ich sie entdeckte: In einer dunklen Ecke saß sie, ihre Arme hingen schlaff an ihrem Körper hinab. Ich versuchte, ihre Augen zu entdecken, doch ihre dichten Haare verschleierten ihr Gesicht. „Süße…“ flüsterte ich leise in den Raum. Ihr Kopf hob sich, und sie blickte mich an. Eine Weile starrten wir uns an. Ihre schwarz getuschten Augen blickten mich fassungslos an, als wollte sie sagen „Geh, du sollt mich so nicht sehen. Glaub mir, ich will dich nicht verletzen.“ Die Schminke war verlaufen, und die schwarze Farbe hinterließ dichte Bahnen auf ihrem Gesicht. Erst über die Wangen, dann an ihrem Hals hinab.

Sie sah grässlich aus.

 

„Wir werden Freundinnen sein, für immer“ sagte sie mit leerer Stimme. Ich wusste nicht, was sie meinte, doch da zog sie die Klinge aus ihrer Tasche. Silberglänzendes Metall, das matt blitzte. Langsam schob sie den Ärmel ihrer Jacke hoch, und ich sah das, wovor ich immer Angst hatte. Kleine rote, verheilende Streifen, die quer über ihren Unterarm verliefen.

Angetrocknetes Blut. Kleine Krusten, die sich über die Schnitte legten.

 

Noch einmal blickte sie mich an, bedeutete mir mit ihren Augen, dass ich gehen solle. Doch ich blieb. Ich war wie versteinert, als ich mit aufgerissenen Augen sie und die Klinge in ihrer Hand betrachtete. Doch ich konnte nicht gehen. Meine Beine blieben stehen, da, wo sie waren. Wie in Zeitlupe sah ich die Klinge auf ihre Haut zukommen. Meine Gesichtszüge entglitten mir, ich wusste nicht, wie mir geschah. Mir wurde übel, ich sah diese Bilder in meinem Kopf. „Es tut nicht weh“ sagte sie, um mich zu beruhigen. Doch sie wusste genau, dass ich ihr keinen Glauben schenkte. Nicht in diesem Moment. Meine Gefühle kochten hoch. Ich konnte nicht anders. Mein Gesicht glitt zu einer eisernen Maske über. Die Wut betäubte mich. Als würde auf meiner Stirn geschrieben stehen „Du bringst jetzt dich um, stimmts?“, nickte sie mir zu. Mit einer traurigen Miene.

 

Die Klinge streifte über ihre Haut, sie riss auf. Ein Tropfen Blut quoll aus einer ihrer Adern, fiel auf die blasse Haut ihrer Beine, dann auf den kühlen Stein.

 

Die Wut brachte mich wieder dazu, klar denken zu können. Fest ging ich einen Schritt auf sie zu. Auf die Person, die mir in meinem Leben am wichtigsten war. Die vielleicht gleich nicht mehr unter uns wandeln würde. Leise, aber mit festem Unterton flüsterte ich in die Stille hinein: „Willst du das wirklich hinwerfen? Bedeute ich dir etwa gar nichts?“ Sie wollte etwas erwidern, doch ich sprach weiter: „Du glaubst doch nicht wirklich, dass deine Probleme damit vorbei sind, oder? Nein, Schätzchen, glaub mir, damit fängt der ganze Scheiß erst an!“ Verblüfft sah sie mich an. Und ich wusste, dass ich jetzt Zeit gewonnen hatte. Um sie weiter von ihrem Vorhaben abbringen zu können. Ich ging noch einen Schritt. Dann kniete ich vor ihr auf dem kühlen Boden. Ich sah sie an, und ich wusste, dass mein Blick nicht die Festigkeit hatte, die ich mir wünschte. Doch in meinen Augen lag eine Spur von Schmerz. Flehend sah ich sie an.

 

Und in ihrem Blick lag diese Schwere, die sie bis auf den Boden gezogen hatte. Zitternd glitt die Klinge noch ein zweites Mal über die Haut, doch sie sah während dessen nur mich an. Doch sie schien verstanden zu haben. Ohne, dass sie Widerstand leistete, konnte ich ihr die Klinge aus der Hand nehmen. Ich brach sie durch, warf sie weg, aus dem Fenster, einfach nur weg. Dann hielt ich ihre Schultern fest, drückte sie gegen die Wand. „Sieh mich an“ befahl ich ihr. Und sie schaute. Und meine Gefühle überschlugen sich, vor Freude, meine Freundin lebend vor mir zu haben, brachte mich dazu, zu weinen. Und ich fragte mich, wieso ich nicht gemerkt hatte, wie schlecht es ihr in Wahrheit ging. Dann umarmte ich sie, hielt sie so fest in den Armen, wie nur möglich.

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Lafrotina

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Fuchs1957 Für mich verdienst Du das Bundesverdienstkreuz, - denn Menschen die es schaffen einen anderen Menschen vom Leben zu überzeugen, haben meine Hochachtung. Denn es ist nicht einfach manche Menschen vom Richtigen Weg zu überzeugen.
Toller Text und vorallem Spannend bis zum Schluss.
Steffen
Vor langer Zeit - Antworten
NellyTV Re: Re: Liebe Ina... -
Zitat: (Original von Lafrotina am 20.09.2010 - 18:03 Uhr)
Zitat: (Original von NellyTV am 20.09.2010 - 17:58 Uhr) ...als ich deine Geschichte las, lief es mir kalt den Rücken hinunter. Wie immer schöner Text (lach, weißt du noch, Jan - Buchreferat - Feedback? - Schöner Text ^^ ), tolle Story, und ich finde du hast vollkommen recht, aber das kann man ja niemanden glaubwürdig machen: Für Selbstmörder beginnt die ganze Scheiße erst nach dem Tod. Aber das glauben sie nicht. Diese Geschichte ist ein Wunsch-Ablauf. Leider.

Denk doch bitte mal ganz kurz drüber nach ;) - LLG


Hm. Ich glaube, ich kann mich daran erinnern. *lach*.
DU warst die jenige, die mich inspiriert hat. Weil du genau das gleiche zu mir gesagt hast, nachdem ich dir erzählt habe, was ich tun wollte. und ich danke dir jetzt hiermit offiziell, da du mir gezeigt hast, das mein Leben wieder einen Sinn hat. Vielen vielen Dank, Lieben Gruß, Ina.


Huch?...Ich muss danken. Ich weiß zwar nicht, was genau ich getan habe, aber ich habe nie einen Menschen in meinem Leben beeindruckt...ich danke *dir*.

Einen Menschen zu berühren ist großartig - Nelly
Vor langer Zeit - Antworten
Lafrotina Re: Liebe Ina... -
Zitat: (Original von NellyTV am 20.09.2010 - 17:58 Uhr) ...als ich deine Geschichte las, lief es mir kalt den Rücken hinunter. Wie immer schöner Text (lach, weißt du noch, Jan - Buchreferat - Feedback? - Schöner Text ^^ ), tolle Story, und ich finde du hast vollkommen recht, aber das kann man ja niemanden glaubwürdig machen: Für Selbstmörder beginnt die ganze Scheiße erst nach dem Tod. Aber das glauben sie nicht. Diese Geschichte ist ein Wunsch-Ablauf. Leider.

Denk doch bitte mal ganz kurz drüber nach ;) - LLG


Hm. Ich glaube, ich kann mich daran erinnern. *lach*.
DU warst die jenige, die mich inspiriert hat. Weil du genau das gleiche zu mir gesagt hast, nachdem ich dir erzählt habe, was ich tun wollte. und ich danke dir jetzt hiermit offiziell, da du mir gezeigt hast, das mein Leben wieder einen Sinn hat. Vielen vielen Dank, Lieben Gruß, Ina.
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NellyTV Liebe Ina... - ...als ich deine Geschichte las, lief es mir kalt den Rücken hinunter. Wie immer schöner Text (lach, weißt du noch, Jan - Buchreferat - Feedback? - Schöner Text ^^ ), tolle Story, und ich finde du hast vollkommen recht, aber das kann man ja niemanden glaubwürdig machen: Für Selbstmörder beginnt die ganze Scheiße erst nach dem Tod. Aber das glauben sie nicht. Diese Geschichte ist ein Wunsch-Ablauf. Leider.

Denk doch bitte mal ganz kurz drüber nach ;) - LLG
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