Sonstiges
Die Mauer

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"Die Mauer"
Veröffentlicht am 27. September 2010, 90 Seiten
Kategorie Sonstiges
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Die Mauer

Die Mauer

 

 

Aus der Zeit des Mauerkrieges gibt es viele Aufzeichnungen und Berichte. Genauso wurden viele Soldatentagebücher entdeckt. Sie alle beschreiben die Schrecken und Grausamkeiten des Krieges auf ihre eigene Weise. In vielen Punkten ähneln sie sich jedoch sehr. Vor zwei Jahren jedoch wurde ein Tagebuch ausgegraben, das so mit keinem anderen verglichen werden kann. Vor allem wenn man bedenkt, aus welcher Zeit es stammt, ist es einfach einzigartig. Da wir dieses Tagebuch Keinem vorenthalten wollten, haben wir uns entschieden es zu veröffentlichen. Nun dürfen auch Sie am Leben dieses Offiziers teilhaben. Lesen Sie selbst und bilden Sie Ihr eigenes Urteil.

 

 

 

30 Januar:

Wir sind vor Agaria. Wenn diese Stadt eingenommen ist, ist es auch bis zum Fall der Mauer nicht mehr weit. Dann endlich wird dieser verfluchte Krieg vorbei sein. Ich bin so müde. So unfassbar müde. Doch bald, bald ist alles vorbei.

 

2 Februar:

Wir sind schon seit drei Tagen hier und es hat sich nichts bewegt. Garnichts. Wir konnten ja noch nicht einmal einen einzigen Fuß in diese verfluchte Stadt setzen. Sie haben wohl doch mehr Kräfte, als die da oben gedacht hatten. Wenn die da oben überhaupt denken können! Alles Vollidioten. Alles adelige, dem Klerus arschleckende Versager. Ich habe es satt von diesen Gehirnamputierten kommandiert zu werden. Ich habe die alle satt. Die haben bei diesem verdammten Krieg so viel Mist gebaut, dass es an ein Wunder grenzt, dass wir überhaupt soweit gekommen sind. Die Idioten haben nur soviel Glück, weil die anderen noch größere Idioten sind. Heute habe ich wegen einem dieser Möchtegernkommandanten neunzehn Mann verloren, einfach so. „Schlagt euch bis da und da durch, dort ist bereits die 11. Stosskompanie, unterstützt sie“. Ja, denkste! Da und da ist keiner. Trottel!

 

Trottel! Alles nur Trottel. Aber was soll man von denen auch erwarten, wenn die einen solchen König zum Vorbild haben? Was will man denn bei einem König erwarten, der sich nicht gegen die Geistlichen durchsetzen kann? Der es zulässt, dass sie das Land teilen und uns gegenseitig wegen eines Stücks maroder Wand die Köpfe einschlagen lassen? Was will man da erwarten? Da kann aus diesem Adel ja nur vertrotteltes Gesindel werden. Ich habe das alles dermaßen satt. Einfach satt.

 

4 Februar:

Der Mensch ist schwach. So schwach, dass es schon fast beschämend ist einer zu sein. Statt im letzten Moment die Waffe zu ergreifen und sich zu verteidigen, betet der zu seinem Gott, auf eine Hilfe vergeblich hoffend. Jedes Mal dasselbe. Jedes Mal hofft der auf eine Hilfe und bekommt doch nie eine. Egal, wie viele Menschen ich in diesem Krieg auch abschlachte, jedes Mal hoffen die. Nach so vielen Jahren Krieg könnte man doch endlich begreifen, dass es keine Hilfe gibt. Seit der Dürre leiden die Menschen hier und egal wie viel und wie oft die zu ihrem wertlosen Gott auch beten, es wird nicht besser. Langsam sollte doch bei diesem Idiot von Mensch ein Licht aufgehen? Aber nein, der

 

betet weiter. Statt nach dem Ende der Dürre auch den Krieg zu beenden, betet der weiter und wundert sich auch noch, warum seine Leiden nicht aufhören. Idiotie ist das, nichts weiter.

 

5 Februar:

Wahrscheinlich ist der Mensch dazu verdammt schwach zu sein. Selbst ich verspüre manchmal in schwierigen Situationen das Bedürfnis nach Hilfe zu schreien. So ist der Mensch gebaut. Doch statt nach dieser Hilfe zu rufen und schlimmer noch, auf diese auch noch vergeblich zu warten, nehme ich mein Schicksal selbst in die Hand. Deshalb lebe ich noch, wie sinnlos das auch sein mag. Doch der gewöhnliche Mensch versteht es nicht. Der ist zu sehr in seinen, ihm angeborenen Zwängen gefangen. Zwang die Schuld immer bei einem Anderen zu suchen, Zwang ihm alles zuzuschreiben, Zwang auf ihn angewiesen zu sein. Und so wird der Mensch auch weiterhin sich einen Gott ausdenken, ihn lieben und ihn hassen, und leiden, und sterben für diesen einen Gott. Die, die das System verstanden haben, sind die wahren Sieger. Der Klerus. Mag sein, dass auch er an seinen Gott glaubt, doch da er diesem Gott „näher“ steht als der Rest, wird auch er zum angebetenen. Und je mehr gebetet wird, desto 

mächtiger wird er, desto machthungriger wird er. Der Mensch ist in Zeiten des Elends wie ein streunender Hund, wirft man ihm etwas Fleisch zu, folgt er einem, und verzeiht auch, wenn mal zwischendurch der Fuß ausrutscht. Geht es ihm aber wieder besser, vergisst er das Fleisch und erinnert sich nur noch an die Tritte. Wer das System verstanden hat, ist der wahre Sieger. Bete weiter lieber Mensch und du wirst ewig leiden!

 

6 Februar:

Heute stieß ich auf ein kleines Mädchen. Es war wohl im Alter meines Mädchens. Es war in Mitten des Chaos und trug eine Puppe bei sich. Es war allein. Es schien, als ab das Chaos um ihn herum es gar nicht interessierte. Es war einfach da und spielte mit seiner Puppe. Das Mädchen muss sich wohl selbst angezogen haben, seine Schuhe waren verkehrt herum. Auch hatte es verschiedene Handschuhe an. Es hatte auch seine Puppe warm angezogen. Es versuchte der Puppe ein Haus zu bauen. Und wie zufrieden es aussah, als das Haus fertig war. Seine großen blauen Augen, seine kleine Nase, sein lieblicher Mund, seine Eltern müssen es geliebt haben. Sie waren wahrscheinlich vor kurzem getötet worden, denn sie würden ihre liebliche Tochter nie in diesem

Chaos spielen lassen. Ich bezweifle, dass das Mädchen begriff, dass es seine Eltern nie wieder sehen würde. Eine Explosion nicht weit von ihm, und der aufgewirbelte Schnee prasselte auf es herab. Es schaute kurz nach oben in den Himmel, in die Leere und widmete sich kurz darauf wieder dem Puppenhaus zu. Das Geschehen um ihn herum interessierte es nicht. Es war in seiner Welt versunken und nichts würde es aus der Ruhe bringen. Nichts.

Das Mädchen, ich habe es getötet. So ist die Order. Alle, die noch in der Stadt sind, sollen sterben. Dies gilt auch für taube Mädchen.

7 Februar:

Dragunov hat mich heute einen Mörder genannt. Töte ich hundert Männer, macht es nichts. Töte ich ein Mädchen, so bin ich ein Mörder. Eine Logik, die ich nicht verstehe. Wo ist der Unterschied? Sie sei noch ein Kind. Und? Ist ein Kind tot, unterscheidet es sich auch nicht mehr von einem toten Erwachsenen. Sie hätte noch ihr ganzes Leben vor sich. Und?  Das hätten die Männer auch, die ich abgeschlachtet habe. Aber ihr Leben hätte doch gerade eben angefangen. Und? Wo ist der Unterschied, ob ein Leben gerade erst begonnen hat, oder schon die Reife erreich hat? Wo? Es gibt Keinen. Schlussendlich wartet auf jeden der Tot und ist er einmal eingetreten,  interessiert es einen überhaupt nicht, wie lang das Leben einmal war, ob es überhaupt jemals da war. Dann ist nichts mehr von Bedeutung. So viel zum Sinn des Lebens! Doch einer wie Dragunov wird es nie verstehen. Für ihn ist das Leben Gottes Werk, Gottes Wille. Er wird nie verstehen, dass das Leben nichts weiter, als ein Fehler im System ist. Und der Tod, nur der Versuch diesen Fehler zu korrigieren. Einer, wie er, hält sich für was besonderes, er wäre von Gott erschaffen und wäre die Krone der Schöpfung. Dabei ist er nur ein Stück Dreck, geformt zu etwas, was sich selbst vorgaukelt, es würde leben. Einer wie er wird es nie verstehen. Er hält     

Gefühle, Schmerzen, Ängste für den Beweis seiner Existenz. Übersieht aber, dass diese, genau wie sein Leben selbst, nur flüchtige Erscheinungen sind, künstlich erzeugte biochemische Prozesse, die schnell verpuffen. Was bleibt, ist nur eine Illusion. Das ganze Leben ist eine Illusion. Gefühle, Schmerzen, Ängste sind nur Mittel diese Illusion solange wie möglich Aufrecht zu erhalten. Wo ist also der Unterschied, ob man ein Mädchen oder Jungen, Mann oder Frau, jung oder alt tötet? Was lebt, wird auch sterben. Und was stirbt, ist eh schon vergessen. Doch kann ich es dem Dragunov noch so gut und ausführlich erklären, er wird es nicht begreifen. Seine begrenzte religiöse Denkweise lässt es nicht zu. Für meine Taten würde ich in die Hölle kommen, das ist das Einzige, was er dann noch sagen kann! Wer soll mich denn in diese Hölle schicken? Sein nutzloser Gott? Ich glaube weder an Gott, noch an den Menschen. Ich glaube weder an die Hölle, noch an das Paradies. Ich glaube weder an die Werte, noch an die Tugenden. Ich glaube weder an das Leben, noch an den Tod. Ich glaube nur an die Sinnlosigkeit der Welt. In diesem Falle ist das Leben eines Kindes genau so gut, wie das eines Erwachsenen, einer Mücke oder sonst irgendjemanden auf dieser Welt. Es ist einfach sinnlos.

 

11 Februar:

Seit wir vor fünf Tagen in diese verfluchte Stadt eingedrungen sind, hat sich nichts bewegt. Wir sitzen am Rande und kommen nicht weiter. Zum Erbrechen. Bei so einem Tempo wird es Wochen dauern bis diese Stadt fällt, wenn überhaupt. Verfluchte Feiglinge! Fliehen, sobald sich nur etwas bewegt. Durch die Worte des Klerus verblendet kamen die alle her. Das Paradies erobern. Die Leiden der Menschheit beenden. Und nun? Nun sehen die mit deren eigenen Augen die Welt, die sie selbst geschaffen haben. Ein schrecklicher Ort, in dem nichts eine Bedeutung hat. Ein Krieg, durch den das Leid erst geboren wird. Die Mauer, hinter der sich das sagenumwobene Paradies befindet, ist weit entfernt. Das Leid hingegen allgegenwärtig. Nun sitzen die da, in deren widersprüchlichen Welt gefangen, vom Glauben verblendet, von der Angst zerdrückt. Die hoffen auf ein Wunder, für das die selbst nichts tun müssen. Die klammern sich an ihren Gott, in der Hoffnung, er würde alles für sie erledigen. Wie jämmerlich. Ein Haufen paranoider Spinner! Mit denen soll ich Krieg führen? Mit denen soll ich die Mauer erobern? Da bin ich im Alleingang schneller. Verfluchte Idioten mit ihrem ebenso verfluchten Gott. Tragen alle seinen dicken Wälzer mit sich, geschrieben von schizophrenen

 

Epileptikern! Die sollen damit den Feind totwerfen, dann wäre das verfluchte Buch zumindest zu etwas zu gebrauchen. Ein Paar Bücher sollen die aber lassen, um den verfluchten Klerus totzuwerfen. Hält nur bescheuerte Reden, tut selber gar nichts. Wenn nur Einer von diesen Trotteln sich selbst aufs Schlachtfeld gestellt hätte und nach vorne gestürmt wäre, dann würden vielleicht auch diese Idioten hinterherlaufen. Aber nein, das ist ja zu gefährlich! Da kann man ja sterben! Alles verfluchte, verlogene Feiglinge. Zu reden, zu beten und sich zu verkriechen, das ist alles, was die können. Nur wird so die verfluchte Mauer nicht fallen. Niemals. Und der Krieg wird sich ewig weiterziehen. Wohl genau das, was der Klerus will. Ein nie endender Krieg, für etwas, das nicht existiert.

 

12 Februar:

Dragunov meinte, ich soll meine Leute mehr motivieren. Sie wüssten nicht, wofür sie kämpfen und ihre Kampfmoral leide zunehmend. Motivieren, leichter gesagt als getan. Wie soll ich diese Feiglinge motivieren? Was soll ich denen denn sagen? Überhaupt, wie soll ich die für etwas motivieren, an das ich selbst nicht glaube? Das Paradies! Ein Wort, nichts als ein leeres Wort. Wie ich es inzwischen hasse. Seit nun einem halben Monat sitzen wir vor dieser Stadt und verrecken, und krepieren wegen diesem einen Wort. Die dreieinhalb Jahre Krieg davor nicht eingerechnet. Jeder Trottel glaubt an das Paradies, auch diese Soldaten. Jeder glaubt, er kommt dahin. Die Reichen, weil sie Privilegien haben, die Armen, weil sie nichts haben, die Unglücklichen, weil sie immer gelitten haben, die glücklichen, weil sie’s verdient haben. Für was soll ich die dann motivieren? Die wissen doch, wofür die kämpfen. Die wollen es doch. Alle kommen die ins Paradies, wenn nicht im Leben, dann nach dem Tod. Fragt sich nur, wieso diese Trottel dann überhaupt Krieg führen? Wenn die es nicht erwarten können, sollen die sich doch gleich alle den Schädel einschlagen. Dann sind die am Ziel. So einfach wäre das. Doch jeder von denen hängt an seinem Leben. Die haben Angst vor dem Tod und deshalb fehlt denen

 

auch die Motivation. Wieso? Jeder lebende Organismus versucht sich so lange wie Möglich am Leben zu erhalten, weil er nach dem Tod ins Paradies kommt? Kaum. Das Paradies, es ist nur ein Hirngespinst primitiver Menschheit. Ein bedeutungsloser Hoffnungsschimmer für die Unzufriedenen. Soll ich denen das erzählen? Soll ich die so motivieren? Soll ich das Märchen vom Paradies jenseits der Mauer zerstören? Damit würde ich wohl auch den letzten Tropfen Motivation wegwischen. Nein, lieber Dragunov, ich kann die nicht motivieren. Brauchen die denn überhaupt eine Motivation von mir? Die glauben doch an die Geschichten aus dem Uraltbuch, an das Hirngespinst vom Paradies und ewigem Leben. Das und die Versprechungen des Klerus dürften Motivation genug sein.

 

13 Februar:

Dragunov lässt einfach nicht locker. Nach seiner Auffassung würde keiner der Soldaten so richtig glauben. Sie würden nur des Ruhmes, des Geldes und der Privilegien wegen kämpfen. Deswegen würden sie nichts riskieren wollen und deshalb würde auch nichts voran gehen. Er geht mir auf die Nerven. Jeden Tag muss ich irgendeine bescheuerte Diskussion mit ihm   

führen, die letztendlich doch immer sinnlos ist. Wo zum Teufel hat der bei den Soldaten Geld und Privilegien gesehen? Wer ist von denen je zu Ruhm gekommen? Gut, die müssen nicht hungern und müssen keine Steuern zahlen, aber zu welchem Preis? Ohne ihren Glauben würden die Trottel die Strapazen doch nie auf sich nehmen. Niemals. Selbst ich als Offizier habe kein besseres Leben. Wo ist mein Ruhm, wo sind meine Privilegien? Dragunov sollte mal endlich seine Augen öffnen. Außer der Geistlichen und des Adels hat keiner Geld, Ruhm oder Privilegien. Gehört man nicht zu deren Sippe, ist das einzige Privileg, das man hat, im Dreck rumzukriechen. Hier angekommen merken die, dass es doch alles anders ist, als es denen der Klerus versprochen hat. Die merken, dass die in der Scheiße sitzen. Dass die Hölle bereits hier ist. Die bekommen Zweifel. Die bekommen Angst. Angst in der Hölle zu verrecken. Nicht, weil die nicht glauben, sondern weil der Zwang zum Überleben doch stärker ist. Andernfalls wären es Fanatiker, mit denen man den Krieg genauso wenig gewinnen kann wie mit Feiglingen. Und obwohl es Feiglinge sind, so glauben die doch nicht minder. Hätten die nur ein bisschen Verstand und wären nicht so glaubensversessen, wären die nie hergekommen. Nur wegen deren Glaubens sind die hier. Nur wegen deren Glaubens ist dieser verfluchte Krieg überhaupt erst möglich. Ohne den Glauben würden die längst  

 

merken, dass die Dürre schon lange vorbei ist und der Krieg absolut sinnlos geworden ist. Und weil die glauben, wird sich dieser verfluchte und sinnlose Krieg noch ewig weiterziehen. Mit dem Glauben hat alles angefangen, doch wird es mit ihm nie zu Ende gehen. Und Dragunov ist doch auch nicht anders. Er kann nur reden, reden, reden. Sonst tut er gar nichts. Kein einziges Mal habe ich gesehen, wie der nach vorne gestürmt ist, geschweige denn überhaupt was Sinnvolles getan hat. Bei der kleinsten Gefahr verkriecht der sich ins Loch, wie alle anderen. Verfluchter Feigling.  Wieso kommt der jedes Mal zu mir? Was will der jedes Mal von mir? Unsere Meinungen sind von Grund auf verschieden. Will der mich bekehren? Macht es dem Spaß, sich mit mir zu streiten? Macht der sich nur lustig über mich? Oder hat der einfach keinen, den er sonst zureden kann? Ich begreife es einfach nicht. Der soll mich endlich in Ruhe lassen. Seine bescheuerten Spinnereien vom Glauben und Gott, die kann ich nicht mehr hören. Soll der sich doch in sein Loch verkriechen und nie mehr rauskommen. Verfluchter Trottel.

 

 

14 Februar:

Heute hat ein Stabsoffizier neun meiner Leute in den sicheren Tod geschickt. Wenn die sich um das Leben der Soldaten nicht scheren, wieso sollte ich das? Wieso soll ich mir Gedanken über deren Motivation machen? Die werden sowieso alle verrecken. Mir, der weder an den Tod noch an das Leben glaubt, sind die alle so was von scheißegal. Je schneller die alle verrecken, mitsamt ihren adeligen Offizieren, desto schneller endet vielleicht auch dieser verfluchte Krieg!

 

15 Februar:

Für heute ist der Krieg vorbei. Ich bin wieder in meinem Zelt. Müde und wieder allein. Endlich. Ich habe meiner Tochter geschrieben. Eigentlich wusste ich gar nicht, worüber ich ihr schreiben sollte. Über die Grauen des Krieges kann man einem sechsjährigen Mädchen nicht schreiben. Es würde sie nur erschrecken, sie würde es wahrscheinlich auch gar nicht verstehen. Ihre Welt ist anders. Ich habe ihr geschrieben, ich würde eine wichtige Arbeit haben, die erledigt werden muss, es würde mir gut gehen. Ich würde bald zurück kommen, sie solle mir schreiben, habe ich geschrieben. Ja, einen Brief von ihr würde ich gerne in meinen Händen halten. Doch solange dieses Chaos nicht aufhört, werde ich wohl keinen Brief von ihr bekommen. Zumindest bekommt sie meine, hoffe ich.

 

16 Februar:

Ich habe alles satt. Tag ein, Tag aus, nur Chaos und Geschrei um dich herum. Ich will es nicht mehr hören. Ich will es nicht mehr sehen. Ich bin so müde. Ich bin des Schlachtens müde. Ich bin des Krieges müde. Diese verfluchte Mauer, die soll zusammenbrechen über deren Köpfen und die alle unter sich begraben. Die selbst und deren verfluchte Welt, alles.

18 Februar:

Heute, vor meinen Augen, ist eine Frau mit ihrer kleinen Tochter direkt in die Flammen gerannt. Sie sah mich an, ihre Augen erstarrten für einen Moment, begannen dann zu tränen und sie rannte los. Die Frau blickte nicht zurück, aber das Mädchen. Das kleine süße Mädchen, es war nicht außer Verstand, es versuchte sich verzweifelt loszureißen, doch vergebens. Die Mutter zog es erbarmungslos hinter sich her. Dragunov versuchte hinterher, schaffte es aber nicht mehr. Schreie. Ich stand nur da. Ich schaute mir das Ganze an. Ich zuckte nicht einmal. Was sollte mich das Leben dieses dummen Weibes auch kümmern, ich hätte sie wahrscheinlich sowieso getötet, beide. Jeder ist für sein Leben selbst verantwortlich. Es hat sie keiner gezwungen hier zu bleiben oder ins Feuer zu rennen. Sie wollte es so. Und das Mädchen? Das hatte eben Pech. Es war zur falschen Zeit am falschen Ort mit falschen Menschen. Es hätte auch deine Tochter sein können, schrie mich Dragunov an. Ist sie aber nicht. So ist es, das Leben ist grausam. Es verreckt jede Sekunde irgendwer, irgendwo. Ob ein Mädchen oder eine Frau, macht keinen Unterschied. Wieso sollte man dann hinterherrennen, wieso sollte man Mitleid haben? Wieso? Dragunov ist eben ein Idiot, mehr gibt es dazu nicht zu sagen.

20 Februar:

Wir haben das Stadtzentrum eingenommen. Fast zwei Tage haben wir dafür gebraucht. Die haben sich bis zu letzt verbissen gewehrt. Ich, mit meinen Leuten, musste die Stadt vom Westen aus angreifen. Ich gab Dragunov Soldaten, damit der uns den Rücken sichert, während ich selbst mit dem Rest zum verfluchten Zentrum der Stadt vorzudringen versuchte. Dragunov mag ja ein kluger Zeitgenosse sein, doch als Soldat ist der absolut ungeeignet. Und zum Führen fehlt dem gar jegliches Talent. Noch ein Mal werde ich diesen Fehler nicht wiederholen. Der hat versagt. Wegen seiner idiotischen Fehler wurden wir eingekesselt und drohten abgeschlachtet zu werden. Zum Glück waren die Anderen nur ein Haufen idiotischer Fanatiker. Deren bescheuerter Fanatismus hat denen auch das letzte bisschen Gehirn komplett weggefressen. Die sind ohne nachzudenken nach vorne gestürmt, einer nach dem anderen sind die auch so wieder zu Boden gegangen. Glauben die wirklich so sehr an deren Gott, dass die denken, er mache sie unverwundbar? Glauben die wirklich immer noch so sehr an ihn, obwohl die am Verlieren sind, obwohl die so viel Leid und Elend ertragen müssen? Ist deren Gott ein Sadist, oder was? Hätten die an sich selbst geglaubt, statt an deren leeren Gott, hätte ich diese Zeilen nicht mehr schreiben

können und deren Stadtzentrum wäre immer noch bei denen. Idiotisch! Die Unseren sind aber auch nicht besser, alles die gleichen Idioten, die sich nur auf deren wertlosen Gott verlassen. Anders kann ich es mir nicht erklären, warum diese verfluchte Stadt immer noch nicht komplett eingenommen ist. Über einen halben Monat ununterbrochen Kämpfe und dann können wir trotz Überzahl nur das Zentrum erobern und zwar nur wir. Trotz des Versagens von Dragunov hatte es meine Truppe als Einzige zum Zentrum geschafft. Zum Schluss mussten wir auch noch der Haupttruppe helfen, die uns in jeder Hinsicht überlegen war. Und wer hat die geführt? Wahrscheinlich wieder so ein adeliges Müttersöhnchen, das sich mitsamt seiner Kollegen dem Gott und Klerus verschrieben hat. Dann kommt so was dabei raus. Unfähige Inzuchttrottel. Ich habe es alles so satt, diesen Gott, diesen Klerus, diesen unfähigen König, mitsamt seinem Adel, diesen verdammten Krieg. Wann endlich hat das alles ein Ende? Wann werde ich nicht mehr von diesen Trotteln umgeben sein? Ich wünsche mir fast, diese Idioten hätten uns wirklich abgeschlachtet, dann wäre endlich Ruhe, dann wäre endlich alles vorbei. Wieso bin ich in die Armee gegangen? Was mache ich hier? Ich bin so fertig, dass ich es nicht einmal mehr beantworten kann.

 

21 Februar:

Ich musste heute wieder Partisanen und Gefangene hinrichten lassen. Und wieder haben sich einige geweigert. Immer dasselbe. Wie hoch die Strafen auch sind, es gibt immer Welche. Ich kann die nicht verstehen. Haben die Mitleid mit denen? Warum? Warum sollte man mit denen Mitleid haben? Die sind doch selbst für deren Leben verantwortlich. Jeder von denen weiß, was passiert, wenn die gefangen genommen werden. Jeder von denen weiß, worum es geht. Und trotzdem machen die weiter. Die wollen es doch so. Alles, religiöse Fanatiker. Denen sind doch die Stadt oder die Menschen hier scheißegal. Alles für die bescheuerte Mauer, für ihren bescheuerten Gott, für das bescheuerte Paradies. Warum soll man die bemitleiden? Die können eigentlich noch froh sein, wenn die nur hingerichtet werden, denn Bestrafung ist es nicht, es ist ein glückliches Davonkommen. Ich kann es einfach nicht verstehen. Aber nun können die anfangen sich selbst zu bemitleiden. Nachdem die morgen verhört worden sind, werden die alle hingerichtet. Dafür werde ich persönlich sorgen.  

 

22 Februar:

Es sind schwache Menschen ohne eigenen Verstand und alles, was die im Leben machen, ist dem Dienen zu Gott gewidmet. Alles, was in derem heiligen Buch steht, nehmen die wörtlich. Alles, was vor drei tausend Jahren geschrieben wurde, wird als die reinste unveränderliche Wahrheit angenommen. Die versuchen nicht einmal darüber nachzudenken, ob das Geschriebene denn überhaupt noch einen Sinn ergibt. Die werden nie verstehen, dass Menschen, die dieses Buch geschrieben haben, genauso ahnungslos waren wie die selbst. Verfluchte Idioten, die töten die Gefangenen nicht, weil die die für Glaubensbrüder halten! Die würden doch alle an das Selbe glauben, mit Ausnahme des kleinen kriegsrelevanten Unterschieds und Glaubensbrüder tötet man nicht, punkt! Alles Fanatiker. Die sind doch alle außer Verstand. Haben die vergessen, was die Anderen mit ihren Gefangenen machen? Gleiches mit Gleichem zu vergelten wäre falsch, meinte dann einer zu mir. Es würde nur in eine Sackgasse führen, aus der es kein Zurück gäbe. Es wäre ein Kreis ohne Anfang und Ende, der immer kleiner sein würde, bis nichts mehr übrig bliebe, bla, bla, bla. Wie blauäugig kann man denn sein und das zu diesen Zeiten? Erwarten die tatsächlich, dass wir die Gefangenen verschonen, nur damit auf Hass nicht                  

 

neuer Hass entsteht? Es entsteht immer neuer Hass, egal, was man tut. Erwarten die, dass es die Gefangenen denen später einmal danken? Der Mensch ist ein selbstsüchtiger Egoist. Je mehr du ihm gibst, desto mehr will er. Seine Erwartung wird größer und größer, bis sie unrealistische Maße erreicht. Nur sieht es ein verblendeter Mensch nicht mehr. Und bei der nächstbesten Gelegenheit bringt er dich um. Auch der Bauer in den eigenen Reihen wird sicherlich dankbar sein! Er hat den Glaubensbruder gerettet, lies dafür aber seine Kinder verhungern. Was glauben diese Trottel, was das hier ist? Ein Techtelmechtel, oder was? Wir sind im Krieg, verflucht nochmal. Und da schlachtet man alle ab, die im Weg stehen. Und so lange wir einander abschlachten, sind und bleiben wir Feinde. Ein Anderer kam mir dann mit der Einzigartigkeit jedes einzelnen Lebens, dass Gott es nicht umsonst erschaffen habe und für Jedes, das man erhält, würde er es einem später danken. Dass Erhalten jedes einzelnen Lebens über den Strapazen stehen sollte und, dass man selbst im Krieg menschlich bleiben sollte. Was soll am Leben denn so einzigartig sein? Die Erde wird sich auch ohne das Leben um die Sonne weiter drehen. Ob es nun da ist oder nicht, macht keinen Unterschied. Und was ist schon menschlich? Für mich ist menschlich, dass man den Feind abschlachtet. Selbst für den Klerus scheint es   

 

menschlich zu sein und die sollten es auch tun. Dumm nur, dass die keine Gelegenheit mehr dazu bekommen werden. Alle werden sie morgen hingerichtet, zusammen mit dem Glaubensbrüdern Rest. Ihre Familien werden sicherlich auch für deren Güte dankbar sein. Einen Vater zu haben, der wegen Hochverrats hingerichtet wurde, ist sicherlich sehr förderlich für so einen Jungen. Verfluchte Trottel, das kommt davon, wenn man wegen des bescheuerten Glaubens immer nur eine Seite sieht. Idioten.

 

25 Februar:

Blut, Blut, überall Blut. Die gesamte verfluchte Stadt ist voll mit Blut, die gesamte verfluchte Insel. Schlachten über Schlachten, Tote über Tote, Leid über Leid. Muss ein Mensch sich wirklich eine Hölle schaffen, nur um an das Paradies zu glauben? Eine Hölle mit nur zwei Sorten von Mensch, der Schlachtende und der Abgeschlachtete. Wenn das Leben eines Menschen auch nur die geringste Bedeutung hat, hier ist sie längst verloren. Und so schlachte ich und schlachte ich, und ständig werden Neue nachgeschickt. Marionetten, die nur zum Sterben da sind. Marionetten des Klerus, des Glaubens, des Gottes. Ihre Schachfiguren, Bauern.

 

Man kann sie immer und jederzeit opfern, ohne das Gefühl zu haben etwas Wertvolles verloren zu haben. Diese Stadt ist längst verloren und die Hohen wissen das. Und die Bauern? Die Bauern haben kein Verstand, nur deren Glauben. Die gehen blind in den Tod ohne nachzufragen. Wie verblendet der Mensch doch sein kann. Wie schnell er zum Verblendeten werden kann. Vor der Dürre hat die Religion keinen interessiert. Jetzt werfen die für deren Glauben deren Leben weg. Für etwas, dass die nie bekommen werden. Der Mensch ist schwach. Er sucht ständig nach etwas, das ihn führt, das ihm sagt, was er zu tun hat. Er kann nicht anders, er braucht jemanden, der ihn unterjocht, der ihn dressiert. Und er lässt sich dressieren, er will es so. Er ist ein dressiertes Tier. Schlimmer noch, ein Tier bewahrt immer ein letztes Stückchen Freiheit in sich auf, dass aus ihm jederzeit losbrechen kann. Beim Menschen nicht. Er ist ein Elend.

 

28 Februar:

Irgendein Idiot von da oben hat entschieden, dass es nun endlich Schluss mit den Kinderspielen ist. Also greifen wir ohne Pausen schon seit Tagen die Altstadt an. Zermürbungstaktik nennen die das. Fragt sich nur wer dabei zermürbt werden soll!? Die sitzen schön hinter den Mauern der Altstadt und wir versuchen wie bekloppt die da rauszuholen. Die ganze Zeit. Die Soldaten fallen fast um vor Müdigkeit und sollen dann noch irgendwie den Feind bekämpfen. Dieser verdammte Idiot hat nur an den Gegner gedacht. Was war aber mit den eigenen Soldaten genügend Pausen zu gewähren? Vergessen? Vielleicht sogar Absicht? Wann hat es endlich ein Ende? Wann wird es da oben mal Einen geben, der wenigstens ein bisschen Verstand in der Birne hat? Vielleicht hätte ja auch dieser Idiot eine Ahnung, wenn er wenigstens ein Mal bei einem Angriff dabei wäre? Was bringt es, wenn die immer nur aus der Ferne beobachten und dabei doch nichts sehen. Ihre bescheuerten Theorien funktionieren in einer Schlacht nicht. Irgendeiner muss es doch denen mal sagen, denn allein kommen die ja anscheinend nie drauf. Diese Idioten, von Gott auserkoren. Wenn von Gott auserkoren, sein ganzes Leben lang ein Idiot sein zu müssen heißt, dann hoffe ich, dass der liebe Gott mich nie auserkort! 

 

1 März:

Agaria, die verfluchte Stadt, sie ist gefallen. Eigentlich sollte ich mich freuen.

Nach drei Tagen ununterbrochenen Schlachtens und Sterbens ist es vorbei. Doch wer hat gesiegt? Wir? Nein. Der Sieg gehört der heiligen Truppe des Klerus. Taucht am dritten Tag mit frischen Kräften auf und räumt alles weg. Nur die Leichen im Schnee bleiben liegen. Mich würde es auch nicht wundern, wenn die auf ihrem Säuberungszug ein Paar der Unseren mit erwischt haben. Nach drei Tagen sind wir sowieso von den Anderen nicht zu unterscheiden. Ich hasse die Armee! Wir quälen uns drei Tage lang, alles für den Arsch. Dragunov ist heute Morgen vor Erschöpfung zusammengebrochen. Und nun? Morgen darf er zur verfluchten Mauer marschieren. Ich habe in diesen drei Tagen dreiviertel meiner Leute verloren, für was? Morgen wird kein Mensch mehr sich an die erinnern, schon gar nicht die Armee. Gelebt für nichts, gestorben für nichts. Existenzen, die es nie gab. Ich hasse die Armee. Jedes Mal Befehle hirnamputierter, eingebildeter Idioten entgegennehmen. Die sich für unfehlbar halten, aber nur Scheiße von sich geben. Von denen hat ja auch nie Einer versucht diesen Scheiß selbst in die Tat umzusetzen. Stattdessen wird es einfach nach  unten  weiter gereicht, bis  es noch        

 

weiter nach unten nicht mehr geht. Dann muss einer wie ich Himmel und Höhle in Bewegung setzen um diesem Scheiß einen Sinn zu geben. Den Dank bekommt am Ende irgendeine scheißheilige Truppe oder ein höherer Offizier. Entweder Fanatiker oder adelige Müttersöhnchen, die im normalen Leben nicht den Hauch einer Chance hätten. Was glauben die, wer es der verfluchten Truppe überhaupt erst ermöglicht hat in die Stadt einzudringen? Ich hasse die Armee. Ich hasse sie. Diese adeligen Bürokraten. Dieser verfluchte Klerus. Alles, was die wollen, ist Macht und Geld. Der Rest interessiert die nicht im Geringsten. Auch nicht, was der kleine Soldat alles zu erdulden und zu ertragen, und auf sich nehmen muss, damit diese adeligen, heiligen Ärsche weiter in Saus und Braus leben können. Man wird rumgeschubst, man wird erniedrigt, alles für den heiligen Arsch. Mich interessiert weder der noch dieses verfluchte marode Stück Wand, noch Geld und Macht. Man schlachtet und schlachtet und am nächsten Tag wird man wieder zum Schlachten geschickt. Ja, ich kann schlachten, ich kann abschlachten soviel die wollen. Die sollen nur schauen, dass die nicht vor mich geraten. Mir ist nämlich scheißegal wen ich abschlachte. Ob heiliges oder verfluchtes Vieh, arm oder reich, am Ende sind die eh alle gleich, ein Stück toter Scheiße, mehr nicht. Ich bin müde. Einfach müde. Ich will nur noch liegen und nie 

mehr aufstehen. Einschlafen und das war’s.

 

2 März:

Ich bin doch aufgewacht. Zumindest für zehn Stunden war ich tot. Einfach tot. Für einen Schlaf ohne Träume gibt es kein Gefühl der Zeit. Man schließt die Augen, man öffnet die Augen und es ist ein anderer Tag. Wie gerne würde ich weiter schlafen. Der Tod, einfach ein nie endender, traumloser Schlaf. Alles, was man je getan hat, wie man gelebt hat, Leiden, Freuden, kurzes Leben, langes Leben, guter Mensch, schlechter Mensch, Alles - nichts ist dann von Bedeutung. Denn selbst in Trilliarden von Jahren ist man immer noch nicht aufgewacht und wird es nie. Alle Gedanken, Ängste, Vorstellungen, Träume sind nicht mehr existent. Von einem selbst ist nichts mehr da. Es war nie da. Das eigene Ich nicht mehr zu spüren, das ist das wahre Paradies.

 

 

3 März:

Ich habe einen neuen Trupp bekommen. Der mickrige Rest des Alten wird eingegliedert. Da wir noch auf Verstärkung warten, geht es erst übermorgen Richtung Mauer. Endlich werde ich sie sehen, diese verfluchte, morsche Wand. Endlich kann ich sehen, für was man uns die ganze Zeit kämpfen lässt. Vielleicht lässt es sich dann auch leichter kämpfen, wenn man sie vor Augen hat. Denn egal, ob sich dahinter ein Paradies verbirgt oder auch nicht, mit ihrem Fall wird der Krieg zu Ende sein. Der endlose Krieg endlich zu Ende. Keine Vorgesetzten mehr. Kein Schlachten mehr. Kein Lärm mehr. Ruhe. Ich werde meine Tochter wieder sehen. Ich werde ihr Lächeln wieder sehen. Ich werde ihre Stimme wieder hören. Ich werde ihre Wärme wieder fühlen. Und vielleicht werde ich auch wieder leben können. Jetzt, wo wir die Mauer endlich einkesseln und einnehmen können, scheint all dies wieder in greifbarer Nähe zu sein.

 

4 März:

Mein lieber Engel, wie geht es dir? Deinem Vater geht es ganz gut. Die Reise wird bald zu Ende sein und ich werde wieder zurückkommen. Ich bin gesund und mir tut nichts weh.  Nur bin ich wegen der langen  Reise       

 

ganz müde und kann es deshalb kaum erwarten mich zu Hause auszuruhen. Ich hoffe wirklich, dass ich sehr bald nach Hause kommen werde. Mein ganzer Körper ist von der langen Arbeit ganz steif geworden und ich hoffe, dass es mir nach deiner Massage wieder besser geht. Papa freut sich sehr auf deine Massage. Das Essen hier ist wie immer nicht besonders gut und ich freue mich zu Hause endlich etwas Leckeres zu essen. Du weißt doch noch, was Papa mag und was nicht? Es gibt hier viele böse Menschen, die Papas Arbeit behindern wollen. Bis zum Ende der Reise ist es nicht mehr weit. Bis dahin werde ich versuchen, so gut wie möglich durchzuhalten.

Dein, dich liebender Vater.

Ja, ich freue mich wirklich auf das Ende des Krieges, auf die Heimkehr. Trotz dieser drei Tage Ruhe, fühle ich mich kraftlos, ausgelaugt. Ich hoffe wirklich, dass ich bis zum Ende durchhalten werde. Zwar konnte ich ihr nichts vom Krieg schreiben, aber sie soll trotzdem wissen, dass es ihr Vater nicht leicht hat. Und das er sich wirklich freut nach Hause zu kommen.

 

5 März:

Verfluchtes Land, verfluchte Menschen, verfluchte Partisanen. Kriechen alle paar Meter aus ihren Löchern heraus und greifen an. Nach wenigen Augenblicken sind die auch wieder weg. Wie Wespen stechen die zu. Ein, zwei Stiche sind nicht schlimm, doch nach ein paar dutzend wird es lebensgefährlich. Und diese Taktik haben die den ganzen Tag verfolgt. Über 41 Mann haben wir heute verloren, darunter zwei hohe Offiziere und 62 wurden verwundet. Diese fanatischen Partisanen haben anscheinend doch noch einen, der vernünftig denken kann. Der weiß, dass der uns nicht vernichten kann. Aber schwächen, zermürben, verängstigen. Und das macht der mit vollem Erfolg. Diese verdammten Feiglinge sind schlimmer als kleine Kinder. Bei kleinster Feindbewegung verlieren die die Ruhe und wollen fliehen. Zwei von denen musste ich töten. Verflucht, sterben werden die doch so oder so. In diesem Krieg krepiert doch jeder irgendwann. Langsam müsste es doch jeder von denen kapiert haben. Und die Partisanen? Glauben die, nur weil die die Soldaten verängstigen, werden diese umdrehen? Dafür ist es viel zu spät. Es ist egal, wie oft oder wie lang die angreifen, die haben verloren. Mit deren Aktionismus verlängern die nur den Krieg. Etwas. Mehr aber auch nicht.

 

6 März:

Frauen und ihre Töchter. Frauen und ihre Töchter. Die folgen uns auf Schritt und Tritt und das, obwohl wir fast ohne Pausen durchmarschieren. Seit wann die uns folgen, habe ich keine Ahnung. Die müssen sich wohl irgendwann in der Nacht angeschlossen haben. Ich kann die nicht ausstehen. Deren Blicke durchbohren mich. Die machen mich nervös. Was wollen die von mir? Und die Mädchen. Ich habe das Gefühl, dass jede einzelne von denen wie meine Tochter aussieht. Ich bin einfach müde. Seit zwei Tagen kaum Schlaf. Da kann es schon passieren, dass alle gleich aussehen. Und trotzdem werde ich das Gefühl nicht los, dass die nur mir folgen. Schritt auf Schritt, immer weiter. Deren tote Blicke reizen mich ins Unermessliche. Am liebsten würde ich die alle auf der Stelle umbringen. Die Frauen und die Mädchen, alle. Aber ich werde es nicht tun, wie sehr die mich auch anstarren mögen. Wegen dieser Huren und ihrer Mistgeburten auch den letzten Respekt vor eigenen Untergebenen zu verlieren, das werde ich nicht riskieren. Ich muss mit denen noch die Mauer einnehmen. Ich bin einfach müde, deshalb reizt mich deren Anwesenheit so, deshalb bilde ich mir Dinge ein, die nicht da sind.  Nach etwas Schlaf, müsste alles wieder gut sein. Diese Frauen, die werden sowieso sterben. Deren eigene  Leute werden die umbringen.  

 

Deren eigene Männer. Den fanatischen Partisanen ist es scheißegal wen die umbringen. Für die Mauer bringen die auch eigene Frauen und Töchter um. Und diese Frauen, wahrscheinlich wissen die es auch. Deshalb starren die mich auch mit ihren toten Augen an. Diese verfluchte Weiber, folgen mir nur um zu verrecken. Schleppen deren Töchter mit. Wollen die Mitleid erwecken? Bei mir? Da können die auch ihre Babys mitschleppen und halbtot vor meinen Füßen rumwinseln, ich habe kein Mitleid. Mit keiner von denen. Ein Monster hat kein Mitleid und ich schon gar nicht. Ich brauche auch keine Mauer zum Vorwand um jemanden zu töten. Verdammt, wie sehr die mich reizen. Wann geht es denn endlich weiter? Wenn ich marschiere, dann achte ich nicht so sehr auf die. Dann habe ich andere Sachen zu tun. Verflucht, noch nie habe ich den Angriff der Partisanen so sehr gewünscht wie jetzt.

 

 

7 März:

Die Mauer. Endlich konnte ich sie mit eigenen Augen sehen. Für wahr, sie ist ein riesiger Konstrukt. Zwischen zwei Bergen steht sie da und versucht etwas zu verbergen. Es ist kaum zu glauben, dass Menschen früher in der Lage waren so etwas zu bauen. Höher als die Wolken, breiter als die Berge, sagenhaft.

Ob ich an das Paradies glaube, hat mich heute Dragunov gefragt. Was sollte ich ihm denn antworten, die Antwort kannte er doch längst? Deswegen habe ich das gemacht, was ich normalerweise nicht tue, ich stellte ihm eine Gegenfrage, auf die ich ebenfalls schon längst eine Antwort hatte, „Und du?“. Darauf hat er nur gewartet. Könne ein Mensch im Leben Gerechtigkeit erlangen? Könne ein Mensch einfach so verschwinden? Könne ein Mensch so etwas bauen? Das hat der mir gesagt. War auch nicht anders zu erwarten. Dragunov ist das typische Abbild eines Menschen, in seinem ganzen primitiven Denken. Wenn ich im Leben keine Gerechtigkeit erlange, dann nach dem Tod. Wenn die Bösen im Leben nicht bestraft werden, dann nach dem Tod. Alles passiert nach dem Tod. Aber was ist mit dem Leben? Dummer Mensch. Wie durchschaubar du doch bist, wie primitiv. Immer unzufrieden, hoffst und glaubst du dein ganzes Leben 

 

lang. Mehr tust du nicht. Aber wenn du für Gerechtigkeit selbst sorgst, musst du nicht mehr nach dem Tod auf diese warten. Wenn du die Bösen selbst bestraffst, musst du dich nicht von ihnen unterjochen lassen und auf andere hoffen. Dann brauchst du das Paradies nicht mehr. Doch Dinge selbst in die Hand zu nehmen, das liegt dir nicht, es ist viel zu umständlich für dich. Lieber hoffst du, lieber glaubst du und bleibst weiter unzufrieden. Und obwohl du so primitiv bist, hältst du doch ziemlich viel von dir. Es ist unmöglich, dass du verschwindest, dass sich dein Ich im Nichts auflöst. Du bist ein Mensch, du bist auf ewig da. Auch wenn das Universum längst Geschichte ist, bist du noch da. Und trotz dessen glaubst du nicht in der Lage zu sein eine Mauer zu bauen? Dummer, dummer Mensch!

 

8 März:

Das Lager ist aufgebaut. Es ist ein altes, halbzerfallenes Schloss auf einer Anhöhung. 33 Soldaten haben während der Befestigungsarbeiten durch Partisanen ihr Leben verloren. Egal. Morgen geht es los. Die verfluchte Mauer wird fallen und alles wird ein Ende haben. Alles.

 

11 März:

Verfluchte Welt. Ich hab es alles satt. Jetzt haben wir schon die Mauer komplett umzingelt und können sie trotzdem nicht einnehmen. Jede Angriffswelle wird von der Mauerverteidigung zurückgeschlagen. Die anderen Truppen haben zumindest Glück nahe des heimischen Bodens aus anzugreifen. Unsere Truppe sitzt tief im Gegnersland. Wäre ja nicht so schlimm, wenn da nicht ständig Angriffe von hinten wären. Ich bin in einen verdammten  Zweifrontenkrieg geraten. Alles wieder für den Arsch. Seit Monaten kämpfen wir dafür, die Mauer einkesseln zu können und jetzt werden wir selbst eingekesselt. Verfluchte Welt, ich will nicht mehr. Ständig muss alles nur schlimmer werden, ständig reitet man nur noch tiefer in die Scheiße rein. Da sieht man diese verfluchte Mauer schon, nah an sie ran kommt man aber trotzdem nicht. Ich komme mir vor wie eine Motte, die ständig gegen das Glas einer leuchtenden Laterne knallt. Sie sieht das Licht, kann es aber nicht erreichen. Und so knallt sie immer weiter gegen das Glas bis sie erschöpft zu Boden fällt. Das verfluchte Leben, es ist nur eine Tortur, ob man nun eine Motte ist, oder ein Mensch. Da ist es wohl auch nicht verwunderlich, warum der schwache Mensch an einen Gott glaubt. So oder so, aus diesem Drecksloch müssen wir irgendwie  rauskommen.  Andernfalls

 

werden wir alle, wie die Motten zu Boden fallen. Mal schauen, was unsere ach so tollen Stabsoffiziere nun zu tun gedenken. Ich für meinen Teil, verdammt nochmal, will diese verfluchte Mauer so schnell wie möglich einreißen. Es ist mir absolut gleich wie viele Motten dabei draufgehen, sind eh nur dazu da das Glas zum bersten zu bringen, ansonsten unbedeutend.   

 

12 März:

Die Stabsoffiziere haben entschieden, dass es für uns unmöglich sei die Mauer anzugreifen. Das Einzige, was wir tun könnten, wäre den Gegner daran zu hindern die Mauerverteidigung mit Nachschub zu versorgen, den Angriff auf die Mauer selber müssten die anderen Truppen übernehmen. In dem Fall wird es wohl noch Monate dauern, bis diese verfluchte Mauer fällt. Verflucht noch Mal, ich bin nur von Feigen und Schwachen umgeben. Sobald es etwas brenzlig wird,  ziehen die sofort ihre verdammten Schwänze ein. Statt diese gottverdammte Mauer zu Fall zu bringen, wollen sie lieber warten. Da können die auch warten bis die von selbst zusammenbricht! Warum wollen diese Trottel sich gerade jetzt verkriechen? Da ist sie doch schon diese Mauer, einen  Steinwurf  entfernt.  

 

Und trotzdem wollen die sich verkriechen. Ich begreife es nicht. Auch wenn die keine reguläre Armee mehr haben, die Partisanen, die Fanatiker, die bieten einen mehr als wertvollen Ersatz. Deren ständigen Angriffe geben uns keine Ruhe und die Soldaten werden immer weiter demoralisiert. Wenn es so weiter geht, dann werden die zu lebenden Zombies, dann kann man die komplett vergessen. Und bis die anderen Truppen die Mauer eingenommen haben, wird es uns nicht mehr geben. Ich habe langsam das Gefühl, dass alles, was diese verdammten Offiziere beschließen, nur der Kriegsverlängerung dient. Entweder sind die einfach nur dumm, oder es ist Absicht. Die Zeit wird es zeigen. Verflucht noch Mal, ich will endlich ein Ende des Ganzen haben. Endlich ein Ende. In diesem Loch weiter zu sitzen ertrage ich nicht. Ich will es nicht. Ich will endlich ein Ende haben.

 

17 März:

Der Frühling ist gekommen. Es taut. Der schmelzende Schnee verwandelt sich in Dreck und Schlamm in denen wir versinken. In diesem Drecksloch sitzen wir und warten auf ein Ende. Verfluchte Welt. Verfluchte sinnlose Welt. Warum erschafft sie diesen Menschen? Ein Wesen, geschaffen aus dem Chaos. Ein widersprüchliches Wesen, das nach außen hin erschaffen, nach innen hin aber nur zerstören will. Es glaubt es lebt, nur wenn es sich selbst und Anderen das Leben unerträglich macht. Ich bin dieses Wesen. Und ich sitze in diesem Loch und verrecke. Ich werde von tausenden kleinen Ameisen umringt, die an mir nagen und mich Stück für Stück langsam auffressen. Jedem in diesem Loch geht es so. Jedem. Auch Dragunov sitzt in der Ecke und schweigt. Seit Tagen redet er immer weniger. Wird er bald ganz aufgefressen sein? Werde ich bald ganz aufgefressen sein? Wer weiß. Wir sind Menschen, geschieht uns Recht. Wir wollen es so. Wir wollen im Dreck sitzen, wir wollen leiden, wir wollen verrecken. Nur dann glauben wir, dass wir leben. Wir wollen dazu gebracht werden, zu leiden, zu verrecken, im Dreck zu sitzen. Nur dann glauben wir, wir seien dagegen machtlos. Alles, was uns wiederfährt, ist von uns gewollt. Weil wir es nicht verhindern wollen.

20 März:

Es sind wieder nicht Alle von der Patrouille zurückgekehrt. Aber die haben es trotzdem geschafft zwei der Getöteten mitzunehmen. Immer noch hängen die an deren Werten, an deren Glauben. Die schleppen zwei tote Steine mit, nur damit der Priester die segnen und begraben kann. Steine! Und der Priester? Der führt mit zitternden Händen seine einstudierten Rituale durch und verkriecht sich wieder in sein Loch. Dort sitzt der zitternd und betend, und kommt solange nicht mehr raus, bis die ihm neue Steine anschleppen. Doch am liebsten würde der gar nicht mehr rauskommen. Die Furcht steht dem ins Gesicht geschrieben, so klar, dass man sie vom weiten sehen und riechen kann. Auch ein Priester ist ein Mensch und die Furcht vor dem Tod nur menschlich. Beten scheint da wohl der einzige Ausweg zu sein. Der klammert sich an seinen Gott, doch traut der ihm trotzdem nicht im Geringsten. Der weiß genau, dass ihn vor den Partisanen nur das Loch retten kann. Gott ist nur ein Werkzeug, um die dummen Menschen an sich zu binden. Zu mehr taugt der nicht. Verlogenes Gesindel! Wegen denen und deren Glaubens sitze auch ich in diesem Loch. Und wenn man diesen Trottel ansieht, dann weiß man ganz genau für was man kämpft, für einen Scheißdreck. Für eine Wahn- vorstellung eines Epileptikers. Für Luftschlösser.       

 

Verflucht sollen die alle sein. Die, deren Glaube und die verfluchte Mauer. Alle. Soll der sich doch in sein Loch verkriechen, verrecken wird der sowieso, wenn nicht heute, dann morgen. Komisch, dass gerade die, die es eigentlich wissen sollten, es am wenigsten wahr haben wollen. Gerade die, die das ewige Leben propagieren, sich vom Irdischen nicht lösen können. Verfluchtes Gesindel, verrecken sollen die alle. 

 

21 März:

Mein liebes Mädchen, ich kann wohl doch nicht so schnell nach Hause kommen. Es sind unerwartete Schwierigkeiten aufgetreten, die mich an der Rückreise hindern. Ich kann dir leider auch nicht sagen, wie lange es noch dauern wird. Aber ich werde dir auf jeden Fall schreiben wenn es soweit ist, damit du bescheid weißt, damit du dich auf Papas Ankunft vorbereiten kannst. Ansonsten ist mein Befinden nicht besonders gut, die Arbeit ist sehr schwer und zehrt an meinen Nerven. Die Mitarbeiter sind allesamt unfähig und nutzlos. Es ist oft laut hier und hektisch, und man kommt wenig zur Ruhe. Ich vermisse die Ruhe und die Stille von Früher. Von Zuhause. Die friedliche Stille. Ich hoffe sehr, dass ich bald zurückkehren kann. Dein, dich liebender, Vater.

 

Das habe ich ihr geschrieben. Was soll man auch einem sechsjährigen Mädchen schreiben? Einem Mädchen, das gerade eben zu lesen gelernt hat. Wenn sie erwachsener geworden ist, dann wird sie aus den Geschichtsbüchern schon erfahren, was eigentlich die Sache war. Aber jetzt soll sie ihr friedliches Leben leben und auf meine Rückkehr warten, sofern sie jemals stattfindet.

 

22 März:

Verfluchter Dragunov, verrecken soll der. Der und seine Ideale. Liegt halb tot da und dann sowas. Was kümmert es den, wen ich abschlachte? Ein Weib ist genau so gut wie jeder Andere. Nur starrt mich jeder Andere nicht mit diesen Augen an. Verfluchtes Weib, folgt mir auf den Tritt und starrt mich an. Mit ihren großen toten Augen starrt die mich an. Sollte ich die je noch ein Mal sehen, wird die mir nicht mehr so leicht davon kommen. Und wenn dieser fanatische Dragunov noch ein Mal dazwischen kommt, dann wird der zusammen mit diesem Miststück verbluten. Verflucht, wenn mir nicht die Partisanen auf der Patrouille die Suppe versalzen, dann diese Weiber. Immer starren die mich an. Immer wollen die was von mir. Schleppen ihre Missgeburten mit.  Was soll das  ganze?  Was       

 

wollen die von mir? Alle werde ich die abschlachten. Alle, bis auf die Letzte. Soll sich mir nur jemand in den Weg stellen, wird auch der mit dran glauben müssen. Es reicht mir. Alle werden die bluten. Alle. Und der Dragunov, der soll mir nicht mehr unter die Augen kommen. Für diese Tat wird der jeden Tag auf Patrouille gehen. Jeden Tag, bis ihn irgendein bescheuerter Partisan erwischt. Der wird mir nicht mehr dazwischen kommen. Nie mehr. Soll der doch weiter an seinen nutzlosen Gott und das sinnlose Leben glauben, helfen werden die ihm nicht. Mir wird dieser Trottel nicht mehr auf die Nerven gehen. Wenn ich Lust aufs Schlachten habe, dann schlachte ich. Wenn ich Lust auf Sterben habe, dann sterbe ich. So sieht es aus. Und diese Weiber, die wollen doch nichts anderes als zu verrecken. Warum laufen die denn sonst hinter mir her? Verflucht sollst du sein, Dragunov.

 

23 März:

Die Ganze Patrouille ist nicht zurückgekehrt. Ein Teil getötet, ein anderer weggelaufen, der Rest hängt. Vor unserem Lager, vor unseren Augen, von den Partisanen aufgehängt. Dragunov ist tot.  Er und drei Weitere sind nicht weggelaufen, sie blieben da. Ihr Gott würde ihnen schon beistehen, sie retten. Und nun, Dragunov? Bist du jetzt zufrieden? Wurdest von deinen Glaubensbrüdern aufgehängt. Macht dich das glücklich? Bist du jetzt gerettet? Hast du das, was du immer wolltest? Das Paradies? Das ewige Leben? Hast du es? Wohl kaum. Vor der Unendlichkeit des Nichts gibt es kein Entkommen. Nichts wird Einen vor ihr retten. Man lebt, man hofft, man stirbt. Was bleibt, ist der verwesende, stinkende Körper und die Erinnerungen der Anderen. Doch ist der Körper irgendwann verwest, die Anderen auch lange tot, dann bleibt von dir nichts mehr. Nichts beweist noch deine Existenz. Es gibt dich weder hier, noch dort, es hat dich nie gegeben. Liebe, Glück, erfülltes Leben, alles nur leere Phrasen. Wozu leiden wir dann? Wozu glauben wir dann? Wozu leben wir dann? Sag es mir, Dragunov. Das weißt du nicht? Ich auch nicht. In dieser sinnlosen Welt tristen wir unser Dasein und warten nur darauf, dass es endlich aufhört. Warum soll man Tote dann bedauern? Der Tote weiß ja nicht einmal, dass er

 

tot ist. Für ihn ist alles vorbei. Das Warten hat ein Ende. Sinnlos gelebt, sinnlos gestorben, nie existiert.

 

24 März:

Dragunov meinte ein Mal, das Menscheninnere sei wie eine verschneite Landschaft. Der Schnee verdecke alle Schmerzen, Ängste und Gräueltaten  des Menschen in eine weiße Unschuld. Doch irgendwann würde jeder Schnee schmelzen und alles wieder freilegen. Nur bräuchte es bei jedem Menschen seine Zeit. Bei einem mehr, beim anderen weniger. Wird auch mein Schnee irgendwann schmelzen? Hat es bei mir überhaupt je geschneit? Wer weiß. Sicher ist, wie sehr ich mich auch anstrenge, ich kann mich kaum an mein Leben vor dem Krieg erinnern. Der ständige Stress lässt es nicht zu. Vielleicht ist er ja mein Schnee? Der Krieg wird irgendwann vorbei sein, der Stress wird sich legen, an was werde ich mich dann erinnern? An eine gute Vergangenheit? An eine schlechte Vergangen- heit? Oder werde ich mich nur an den Krieg erinnern können? Werde ich dann meine Taten während des Krieges bereuen, wie es der Dragunov immerzu meinte? Werde ich bereuen seinen Tod gewünscht zu haben, ihn verflucht zu haben, ihn auf die Patrouille geschickt zu haben? Alles ist möglich. Eines ist sicher-

lich gewiss, in einem Krieg verändert sich jeder unwiderruflich. Nach seinem Ende wird man nie zu dem, was man einmal war. Auch ich war sicherlich anders, ja selbst der Dragunov. Wenn der Krieg nicht wäre, hätten wir vielleicht sogar Freunde sein können. Er ist aber da. Mag sein, dass ich mich an seinem Tod schuldig fühlen werde, doch nichtsdestotrotz trägt er selbst daran nicht weniger die Schuld. All die Ereignisse, Diskussionen, Streitigkeiten mit ihm haben letztendlich ganz langsam und unbemerkt dazu geführt. Wenn es nicht die Partisanen getan hätten, so hätte ich ihn wahrscheinlich irgendwann selbst erschlagen. Irgendwann wäre es sicherlich passiert.

 

 

28 März:

Was  machen wir hier? Fast einen Monat und die Mauer steht immer noch. Sie steht da, wie immer und lacht uns aus. Nicht einmal in ihrer Nähe waren wir. Wir schaffen es nicht einmal, ihre Verteidigung vom Nachschub abzuschneiden. Wie denn auch, wir sind zu wenige? Inzwischen haben wir fast die Hälfte der Männer verloren. Nun schaffen wir gerade noch unser Lager zu schützen. Jedem mit etwas Verstand dürfte klar sein, dass man so nichts gewinnen kann. Auf eigenem Boden sieht es anscheinend auch nicht besser aus. Seit Tagen bereits wurde die Mauer nicht angegriffen. Der verfluchte Adel, der ist anscheinend nicht mehr in der Lage diesen Krieg zu Ende zu führen und der verfluchte Klerus, der das ganze angefangen hat, der will es nicht. Logisch betrachtet wäre der sogar ziemlich dumm, es zu wollen. Der Krieg hat dem unermesslichen Reichtum gebracht. Wofür braucht der noch das Paradies? Die Welt ist zum Spielbrett des Klerus geworden und wir sind nichts weiter als seine Puppen. Wie ein verzogenes Gör, reißt der den Puppen die Köpfe raus, trampelt auf denen herum, lässt die von Hunden zerbeißen und wirft die anschließend ins Feuer. Das Gör hat viele Puppen, viel zu viele. Es macht mit denen was es will, sind ja schließlich seine Puppen. Die Puppen beschweren sich

auch nicht, sind ja willenlos und dumm. Einfach nur Puppen. So sieht die Welt aus. Und egal, ob hier oder dort, der Klerus ist alles. Die Furcht der Puppen ist seine Macht und die Macht ist ein Dämon. Selbst aus dem aufrichtigsten Priester macht sie ein Monstrum, das nur noch darauf aus ist, seinen Puppen das letzte zu nehmen.

In diesem Loch hier werden wir verrecken, denn es ist so tief, dass wir aus eigener Kraft nicht raus kriechen können. Hierhin hat uns das Gör geworfen und dann vergessen. Es hat ja schließlich viele Puppen, viel zu viele.

 

 

30 März:

Wir haben heute tatsächlich Verstärkung erhalten. Nicht viel aber man kann wieder die Mauer vom Nachschub trennen, zumindest teilweise. Die Neuen sind jung, mutig, motiviert. Bald wird davon nichts mehr übrig bleiben. Auf ewig werden die dann alt, ängstlich und desillusioniert sein. Der Krieg wird denen alles nehmen. Für immer wird der sie zeichnen. Aber noch wissen die es nicht. Noch wollen die kämpfen. Noch wollen die erobern, bis einer von denen fällt. Dann fällt der Zweite und der Dritte, und dann merken die, was ein Krieg ist. Kein Pathos, kein Heldentum, nur Grauen und Tod. Doch zu spät kommt die Erkenntnis, zurück geht es nicht mehr. Wer bleibt stirbt und wer wegläuft, den bringe ich um. Und werden alle sterben, so kommen Neue, vom Pathos erfüllt, vom Glauben beseelt, mit dem Wunsch, deren Gott deren Leben zu geben. Und wieder  fallen ein Paar und wieder offenbart der Krieg sein wahres Wesen, und wieder offenbart der Mensch sein wahres Wesen. Dummheit und Schwäche. Nur deshalb lässt der sich vom Pathos verführen. Nur deshalb ignoriert der die Tatsachen. Krieg, ein für den selbstverständliches Wort. Überall auf dieser gottverdammten Welt schlachtet der sich ab. Erhängt sich, vergiftet sich, verbrennt sich. Gleichzeitig aber weiß der, dass Krieg ein Grauen ist.  Das  kleine

bisschen Vernunft und Gewissen das der hat, lässt es den wissen. Der weiß, dass Krieg vom Gott, an den der glaubt, verurteilt und verboten wird. Doch reicht das nicht. Wenn es um Krieg geht, lässt sich jedes Verbot umgehen, umschreiben, zu seinem Vorteil auslegen. Der verfluchte Mensch, bis ans Ende seiner Tage wird der schlachten und sich abschlachten lassen. Es gibt immer Einen, der nur sich selbst im Recht hält. Und dieses Recht will der immer mit Gewalt anderen aufzwingen. Der meint zu wissen, was Andere wollen. Der glaubt zu wissen, wie alles besser geht. Und der will alles. Alles nur für sich. Der ist blind vor Gier und sieht die Grauen eines Krieges nicht. Der will die nicht sehen. Und so kommen die her. Immer und immer, seinem Ruf folgend. Schlachten wollen die, doch werden die wie Fliegen fallen. Einer nach dem Anderen werden die in seinen Fleischwolf rein gepresst, aus dem die nie mehr rauskommen. Und wer es doch schafft, wird sich am Ende wünschen, er wäre im Fleischwolf umgekommen. Dem Einen macht es aber gar nichts aus, denn schlachten und sich abschlachten lassen ist nur für Dumme. Kluge sehen nur von oben zu und lenken. Nur gibt es diese Klugen wie Sand am Meer. Und von den Dummen gibt‘s noch mehr. Und so geht es immer weiter.

 

Auch ich bin dumm und werde gelenkt. Auch ich führe diesen verfluchten Krieg, für Adel, für König, für Klerus, für Gott, für Paradies. Wieso, das weiß ich nicht, doch bin ich hier. Da die allesamt unfähig sind, muss ich wohl hier sein. Der Krieg muss ja weitergehen, und jemand muss ihn ja führen. Jemand muss ja diese Narren in den Tod führen. Wenn die schon herkommen, dann sollen die auch erfahren, was ein Krieg ist. Wie es ist, im Dreck zu kriechen, zu verrecken, zu krepieren, vom Fleischwolf zerfetzt zu werden und anschließend zu verfaulen.

 

2 April:

Von Vorgestern bis heute Morgen mussten wir deren stärkstem und längstem Angriff, seit wir in diesem Loch stecken, standhalten. Nur aufgrund der Tatsache, dass es gestern stark zu regnen angefangen hat, sind wir noch hier. Nach mehrstündigem Beschuss griffen die an. Einen Tag lang konnten wir standhalten. Und als die unsere Verteidigung durchzubrechen begannen, fing es zu regnen an. Die Trottel blieben im Dreck stecken und wurden einer nach dem anderen abgeschlachtet. Bis heute Morgen dauerte das Gemetzel an. Keiner von denen hat es überlebt. Nun liegen die da und vermodern. Die sind nichts weiter als

zerhackte, zerstückelte, stinkende Leichen. Hat es sich gelohnt herzukommen? Hat es sich gelohnt diesen verdammten Krieg in die Länge zu ziehen? Verdammte Leichen, das waren die schon als die herkamen. Denn als Leichen haben die jetzt nicht weniger Verstand. Und morgen kommen neue Leichen. Dann werden wir zu Leichen und es kommen wieder Neue. Und nie wird diese gottverdammte Wand zu Bruch gehen. Für was kämpft man dann überhaupt? Für was waren die zwei Tage des Grauens? Nur um sicherzugehen, dass man wirklich eine Leiche ist? Das weiß ich doch schon längst. Jeder hier ist eine Leiche. Das ist man schon, wenn man auf diese gottverdammte Welt kommt. Für was dann das Ganze? Für das bescheuerte, unerreichbare Paradies? Das Paradies, das sich gerade hinter dieser Wand verstecken soll? Für dieses verfluchte Märchen? Wie viele Idioten sind schon für dieses Märchen verreckt, wie viele werden noch verrecken? Warum nageln die sich an dieses Märchen fest? Verfluchte Idioten! Keiner von denen hat das Paradies je gesehen, es gefühlt, geschmeckt, berührt. Und trotzdem schlagen die sich wegen ihm die Köpfe ein. Nur wegen diesem Märchen ist dieses Leid doch da. Die machen sich das Leben zur Hölle, nur damit die an dieses Märchen weiter glauben können. Und da die Hölle nun hier ist, wollen die umso mehr und schneller ins Paradies. Verfluchte Trottel. Verfluchte Leichen. Da

 

sitzen die nun halb verstümmelt, halb traumatisiert, paranoid, tot. Und die werden weiter machen. Für das Märchen, an das die immer mehr glauben, da die Hölle immer schrecklicher wird. Wie zum Teufel bin ich in dieser Hölle gelandet? Ich glaube nicht an dieses Märchen und trotzdem bin ich hier. Ich glaube nicht an deren leeren Gott, was mache ich dann hier? Warum schlachte ich dann? Warum? Ich weiß es nicht. Ich will das Ganze nicht. Ich will das Ganze nicht mehr sehen. Es ist genug. Ich will nicht mehr.

 

3 April:

Ich habe heute ganzen Tag nichts anderes gemacht, als Kadaver einzusammeln und zu verbrennen. Gestern noch waren es lebendige Wesen, jetzt sind die nur noch stinkender Müll. Aber die wollten es so. Wer im Glashaus sitzt und mit Steinen wirft, sollte damit Rechnen, dass die Steine zurück fliegen, das Glas zum Bersten bringen und man von Scherben erschlagen wird. So ist es. Alles, was dem Menschen widerfährt, ist auf sein eigenes Tun zurückzuführen. Die sind hier, weil die es so wollten. Wir sind hier, weil wir es so wollten. Und auch wenn ich es ungern zugeben möchte, bin wohl auch ich selber hier, weil ich es so wollte. Ich habe heute versucht, mich an den Grund zu

erinnern, doch leider vergeblich. Mein Erinnerungs- vermögen wurde wohl in Folge des Krieges erheblich in Leidenschaft gezogen. Bei dem fast vierjährigen Chaos ist es auch nicht verwunderlich. Doch ich werde mich erinnern, bestimmt. Ändern wird es aber nichts, ich bin hier und komme hier nicht mehr weg. Wahrscheinlich war ich genauso ein Idiot, wie die Neuen. Ich ließ eine kleine Tochter allein und bin losgezogen. Für was? Für was wollte ich kämpfen? Was mache ich hier? Wenn ich das jetzt so sehe, war es wohl die dümmste Entscheidung, die ich je getroffen hatte. Ich war wirklich dumm. Habe ich damals wirklich an das Paradies geglaubt? An Gott? Schwer vorstellbar. Doch wofür sonst sollte ein einfacher dummer Bauer in diesen verdammten Krieg gezogen sein? Ich weiß es nicht. Und wenn ich es mir überlege, will ich es vielleicht gar nicht wissen. Allein die Vorstellung, ich könnte genauso gottversessen, wie diese ganzen Trottel, gewesen sein, macht mich schon krank. Nein, es war sicherlich ein anderer Grund. Ich werde mich erinnern, ganz bestimmt. Spätestens, wenn dieser verdammte Krieg vorbei ist.

 

 

4 April:

Verfluchtes Weib. Direkt vor meinen Augen bringt es ihr Kind um und dann sich selbst. Direkt vor meinen Augen. Was soll der das? Und der bescheuerte Dragunov, schreit und heult wie ein Verrückter. Wenn dieses Miststück sich absticht, dann soll es doch. Was kümmert es mich? Was kümmert es ihn? Ob es heute oder morgen verreckt, ist doch Scheißegal. Und wenn es auch noch seine eigene Missgeburt mitnimmt, umso besser. Desto weniger müssen wir abstechen. Versteht er das denn nicht? Verfluchtes Weib. Warum gerate ständig ich an diese verrücken Weiber. Was wollen die immer bezwecken, wenn die sich vor mir umbringen? Dem Dragunov macht es vielleicht was aus, mir gar nichts. Selbst wenn die ganze Welt verreckt, ist es mir scheißegal. Also was soll das ganze? Die sind doch alle verrückt. Einfach nur verrückt. Welche Mutter bei Verstand würde ihre Tochter in ein Kampfgebiet bringen? Welche Mutter bei Verstand würde denn ihre eigene Tochter umbringen? Welche? Bei Verstand, sicherlich Keine. Aber anscheinend ist die ganze Welt außer Verstand. Nur deshalb gerate ich immer und immer wieder an solche Weiber. Weil es keine anderen gibt. Weil alle verrückt sind. Verfluchtes Weib, wie sehr es mich aufregt. Mein ganzes Innere tobt unermesslich. Warum bringt die sich vor mir um? Warum? Beim näch-

 

sten Mal werde ich jedes Weib abschlachten, sobald ich es nur sehe. Und ihre Missgeburt gleich mit. Und wenn Dragunov mich aufzuhalten versucht, so wird auch sein Kopf rollen. Wer für diese Verrückten Mitleid empfindet, ist selbst nicht bei Verstand. Alle werde ich sie abschlachten. Alle.

 

6 April:

Heute hatten sich ein Paar Köter in unser Lager verirrt. Dragunov und die anderen haben sie getötet. Gestern hat er noch wie verrückt geschrien, weil ein blödes Weib sich und ihr Kind umgebracht hat, jetzt tötet der wehrlose Tiere. Ich fragte ihn, wo denn da der Unterschied sei? Leben bleibt doch Leben, also wo ist der Unterschied zwischen dem eines Köters oder dem des Weibes? Tiere könne man doch nicht mit Menschen vergleichen, meinte er. Tiere seien niedere Wesen, von Gott für den Menschen erschaffen worden, um den Menschen zu nähren und ihm zu dienen. Ah so, so einen Köter kann man weder zum Essen noch zum Arbeiten benutzen, er ist nur eine Last, eine sinnlose Existenz. Also kann man ihn auch ohne Bedenken abschlachten. Was für eine bescheuerte Logik. Welchen Nutzen hat denn das Leben dieses Weibes? Oder das von Dragunov? Beide sind eine Last

für ihre Umwelt, sonst nichts. Im Grunde sind die beiden genauso wertlos wie diese Köter. Man kann sie genauso umbringen und kein Arsch auf dieser Welt wird um sie trauern. Also wo ist der Unterschied? Laut deren Glauben, sind die doch alle von deren Gott erschaffen worden? Warum soll dann das Leben eines wertlosen Menschen einen höheren Wert als das eines wertlosen Tieres haben? Beide wurden aus dem Dreck geformt, beide werden wieder zu Dreck. Oder ist es, weil der Mensch an imaginäre Wesen glaubt? Weil er die Fähigkeit hat, alles um ihn herum zu vernichten? Oder, weil die glauben, das Ebenbild deren Gottes zu sein? Dann muss deren Gott ja genauso bescheuert sein, wie die selbst. Ich kann die nicht verstehen. Wie kann man ein Leben auslöschen und beim nächsten schreien, wenn es ausgelöscht wird? Wie? Die sind doch alle einfach nur bescheuert. Fixiert auf das, was in ihrem bescheuerten Buch steht. Würden die nur ein wenig den eigenen Verstand gebrauchen, dann hätten die längst selbst erkannt, dass da kein Unterschied besteht. Alles Leben ist gleich, sinnlos und unbedeutend. Verfluchter Dragunov, sollte er sich noch einmal weigern Menschen zu töten, werde ich ihn auf der Stelle selbst erschlagen. Wenn er schon tötet, dann soll er alles töten oder es ganz sein lassen. Eine Unterscheidung ist nur Heuchelei und diese werde ich nicht dulden.

 

 

8 April:

Seit dem letzten großen Angriff ist es mehr oder weniger ruhig geblieben. Vielleicht war es wirklich deren letzter verzweifelter Versuch, uns von deren Boden zu vertreiben. Zu wünschen wäre es. Aus diesem Anlass habe ich heute wieder meiner Tochter geschrieben. Wieder musste ich ihr schreiben, dass ich bald zurückkomme. Wieder musste ich sie anlügen. Zum Glück ist sie erst sechs und noch sehr leichtgläubig. Ich selbst habe inzwischen die Hoffnung, bald zu Hause zu sein, fast aufgegeben. Jedes Mal, wenn das Ende des Krieges absehbar zu sein scheint, rückt es doch nur weiter in die Ferne. Und auch jetzt wird es nicht anders sein. Ob ich meine Tochter überhaupt noch sehen werde, ist mehr als fraglich. Wir alle sind dazu verdammt, hier in diesem Loch zu verrecken. Und trotzdem schreibe ich ihr immer wieder, ich komme bald zurück. Zumindest sie soll noch hoffen, warten. Und solange ich weiß, dass es jemanden gibt, der auf mich wartet, wird vielleicht auch meine Hoffnung nicht komplett erlöschen.

 

9 April:

Vor paar Tausend Jahren ist irgendein Heiliger verreckt. Dank ihm haben wir jetzt eine vier Tage andauernde Trauerfeier, in der absolute Waffenruhe eingehalten werden muss. Da alle an das Selbe glauben, kann man sich auf die vier Tage Ruhe ausnahmsweise Mal verlassen. Sogar ein hoher Priester ist heute angereist und hat zum Glück auch eine kleine Verstärkung mitgebracht. Doch dabei ist es natürlich nicht geblieben, dieser Spinner musste vor versammelter Truppe unbedingt eine Rede halten, Gott macht dies, Gott macht das... Sinnloses Geschwätz. Versucht uns Mut zu machen, durchzuhalten, weiterzumachen, nicht aufzugeben. Selbst aber wird schon am zwölften abreisen, ohne die geringste Ahnung zu haben, wie es in einem Krieg wirklich zugeht, was wir alles durchmachen müssen. Am schlimmsten aber waren seine letzten Worte, „Gott hat mit uns einen Plan. Diesen Plan in die Tat umzusetzen, das ist unsere Bestimmung. Gott hat uns bestimmt ins Paradies zu gelangen, das ist unser Schicksal“.

Schicksal! Noch so ein Hirngespinst der Menschheit. Als ob es nicht genug gäbe, muss jeder Trottel auch noch daran glauben. Bescheuert! Gefällt denen allen die Vorstellung ein Spielball höherer Mächte, eine Puppe ohne eigenen Willen und Verstand,  zu  sein?

Glauben das die meisten Menschen? Das ganze menschliche Leben, ein Theaterspiel der Götter? Wollen die das? Das ist doch absurd. Warum hängen die dann so an deren Leben? Warum versuchen die dann trotzdem sich im Leben einen Vorteil zu verschaffen, Kinder zu bekommen, glücklich zu werden? Weil es die Götter so wollen? Oder vielleicht doch, weil die einen eigenen Willen, einen eigenen Verstand haben. Zumindest so viel, um zu wissen, welche Vorteile der Glaube an ein Schicksal mit sich bringt. Die brauchen ihn, diesen Sündenbock. Für alles was die machen und tun, für alles was denen geschieht und nicht geschieht, für alles was mit der Welt passiert. Nicht, weil die es nicht erklären können, weil es so einfacher ist. Weil der Mensch faul und feige ist. Ich kann tausende von Gründen nennen, warum wir immer noch in diesem Drecksloch sitzen, tausend Schuldige. Leichter ist es zu sagen, es ist unser Schicksal, Gottes Wille. Und schon haben die Tausend Gründe keine Existenzberechtigung mehr, die Tausend Schuldigen keine Schuld mehr. Die Menschen wollen die Verantwortung für ihr Handeln nicht übernehmen. Die wollen nicht akzeptieren, dass alles, was denen geschieht, von denen selbst gewollt, von denen selbst verursacht wird. Die Schuld am eigenen Elend zu haben, will sich keiner eingestehen. Also jubeln die besser, wenn dieser Spinner vom Schicksal erzählt. Leich-

 

Leichter für den, weil der sonst nichts tun muss, leichter für die, da die sich nun wieder an etwas klammern können. Bescheurte Trottel!

 

11 April:

„Sehr verehrter Herr, wir bitten Sie sehr höflich nicht mehr an diese Adresse zu schreiben. Elisabetta Dragunov lebt hier nicht mehr. Falls Sie ein Angehöriger von ihr sind, müssen wir Ihnen leider mitteilen, dass das Mädchen bereits vor vier Jahren, zusammen mit ihrer Mutter, verstorben ist. Wir sprechen ihnen hiermit unser tiefstes Beileid aus.“

Zusammen mit diesem Schreiben sind alle Briefe, die ich je an meine Tochter geschrieben habe, heute zurückgekommen. Wegen der verfluchten Waffenruhe konnten die alle zugestellt werden. Wenn die schon die Briefe nicht an ihren Bestimmungsort bringen wollen, ist das in heutigen Zeiten noch irgendwie verständlich, aber wozu schreiben die mir so einen Brief? Wenn die nicht wollen, dass wir schreiben, dann sollen die es einfach erklären und nicht solche Lügen erfinden. Meine Tochter soll seit vier Jahren tot sein? Lächerlich! Einfach lächerlich. Wer gibt denen das Recht so etwas zu behaupten? Sind die denn alle komplett übergeschnappt? Verflucht sollen die alle sein. Wegen

denen hat meine Tochter seit Jahren keinen Brief von mir erhalten. Wahrscheinlich denkt sie, ich habe sie zurückgelassen, oder was sonst noch in den Kopf eines sechsjährigen Mädchens kommen könnte. Verflucht! Vor vier Jahren gab es noch nicht einmal diesen Krieg. Verdammt, ich könnte den Postboten erstechen vor Wut. Ihn und all die anderen, die dafür verantwortlich sind. Aber ich könnte mir schon denken, wer die Idee dazu hatte. Außer diesem verfluchten Klerus kann sonst auch niemand auf solche Ideen kommen. Um seine Macht nicht zu verlieren, tut er alles. Hat er soviel Angst davor, dass wir Soldaten davon erzählen, was hier wirklich passiert? Verdammte Idioten. Dabei habe ich doch nie über den Krieg geschrieben. Was sollte ich auch einem kleinen Mädchen vom Krieg berichten? Verdammt. Mein kleines Mädchen ist nicht tot. Es ist da und wartet auf mich. Ich werde bald zuhause sein, dass verspreche ich.

 

 

 

12 April:

Heute ist etwas Herrliches passiert. Ein zielsicherer Schuss, ein Treffer, sofortiger Tod. Die Partisanen scheißen auf die Waffenruhe. Ihr Ziel ist Wiederstand, da interessiert die Logik nicht. Bei seiner Abschlussrede haben die den Oberpriester umgebracht. Es wird keine weiteren Waffenruhen mehr geben. Was jetzt passiert, wird den dummen Partisanen gar nicht schmecken. Denn jetzt wird der Klerus Rache haben wollen, der gläubige Adel wird Rache haben wollen, die gläubigen Soldaten. Ab morgen wird der Krieg von neuem beginnen, eigentlich sogar heute schon. Und diesen werden weder die Partisanen, noch ihre schwache Regierung überstehen. Ich danke den Partisanen dafür, dass die ihn umgebracht haben, ich danke dem, dass der sich umbringen ließ. Nun besteht wieder Hoffnung, dass diese verfluchte Mauer in absehbarer Zeit doch noch zu Fall geht. Dass sich dieses verfluchte Märchen vom Paradies in Luft auflöst. Dass ich endlich nach Hause komme und das Lächeln meiner Tochter wieder sehe. Nun kann ich wieder hoffen. Aber anscheinend bin ich der Einzige, der sich darüber freut. Deren ach so toller Priester ist verreckt, wie soll man sich da auf das freuen, was nun kommen wird?! Doch die meisten wissen es, auch Dragunov. Auch wenn der  jetzt  da

 

sitzt, kauernd in der Ecke, versunken in seinen wirren Gedanken. Der weiß es. Der weiß, was nun kommen wird. Blöd nur, dass sein dummer Glaube die Vorfreude darauf nicht zulässt. Sei es drum. Heute Nacht wird geschlachtet. Als erste Reaktion auf das Attentat, werden wir alle umliegenden Dörfer niederbrennen und alle abschlachten. Ein Fest wird das. Ein riesiges Fest.   

 

13 April:

Das Fest ist vorbei. Vier Dörfer, samt ihrer Einwohner, sind nur noch Asche. Selbst deren Blut ist verdampft. Nichts ist von denen übrig geblieben. Die Soldaten haben eine hervorragende Arbeit geleistet. Wenn‘s ums Abschlachten und Abfackeln von Wehrlosen geht, haben sie plötzlich alle wieder Mut und leisten hervorragende Arbeit. Nach nur wenigen Minuten wird der Grund für das Schlachten unwichtig, man schlachtet nur des Schlachtens willen. Wie wilde Löwen, die im Blutrausch fluchtunfähige Esel töten. Einen nach dem Anderen, bis es Keinen mehr gibt. Auch ich habe geschlachtet, Kinder und Erwachsene, Männer und Frauen, Junge und Alte. Alle, die mein Auge erfassen konnte. Wenn man einmal angefangen hat, kann man nur schwer wieder aufhören. Die Flehen

und Schreie Anderer spornen Einen nur noch mehr an. Auch wenn man ganz vom fremden Blut bedeckt ist, wenn man darin schwimmt, kann man nicht aufhören. Ein Fest, das erst vorbei ist, wenn keiner der Gäste mehr am Leben ist.

Nur wenige schaffen es sich dem Genuss des Schlachtens zu wiedersetzen. Idioten, die der Meinung sind, das menschliche Leben würde einen Wert haben. Dragonov ist einer von denen, wahrscheinlich sogar der Einzige hier. Hat mir die ganze Nacht nur entsetzt zugeschaut und wie verrückt geschrien, ich solle doch aufhören. Es sei unmenschlich Wehrlose zu töten, grauenhaft. Wehrlos oder nicht, Fleisch bleibt Fleisch. Grauenhaft oder nicht, am Ende wartet sowieso der Tod. Ich kann es immer noch nicht verstehen, warum man freiwillig in einen Krieg zieht, wenn man nicht bereit ist Menschen zu töten. Der will gut vor seinem Gott dastehen, aber ohne irgendetwas dafür zu tun, bringt es dem gar nichts. Das muss der doch eigentlich wissen? Der ist wohl einfach nur ein Feigling. Ein echter Idiot, der die ganze Zeit in seiner Fantasiewelt lebt ohne die Realität zu sehen. Menschen zu töten soll grauenhaft sein? Lächerlich! Würde ein Mensch keine Menschen mehr töten, wäre er kein Mensch. Das gerade macht ihn doch aus, dass er die eigene Sippe abschlachtet, wie es ihm beliebt.  Der Mensch selbst

raubt seinem Leben jeglichen Wert. Solche Vollidioten, wie Dragunov, wollen es nur nicht zugeben, obwohl es klar auf der Hand liegt. Die predigen Liebe, Frieden, Freundschaft. Alles nichts anderes, als pseudotypische Ausdrücke des Wegschauens und Verdrängens. Die guten Partisanen wollten auch eine gute Tat vollbringen. Und scheinbar haben die es auch geschafft, die haben den bösartigen Priester des Gegners umgebracht! Was für eine Heldentat! Doch jeder dieser Idioten wusste ganz genau was folgen wird. Die haben billigend den Tod derer Familien in Kauf genommen, nur um sich einen kleinen Triumph zu gönnen. Das ist wahre Liebe und Freundschaft, das ist der Mensch. Der liebt nur sich selbst und das wird sich nie ändern, egal wie oft die auch von Liebe und Freundschaft predigen. Aber Dragunov will es einfach nicht eingestehen, der schafft sich weiterhin ein Bild vom Menschen, das weit an der Realität vorbei geht. An das der nur im Stande zu glauben ist, wenn der sich einen imaginären sadistischen Gott erschafft, wenn der sich an Worte und Versprechen Anderer klammert, die noch bescheuerter sind als er selbst. Niemals werde ich so sein wie der. Ich glaube nur an das, was ich sehe und was mein Verstand erfassen kann. Und was ich sehe, ist die Grausamkeit und Sinnlosigkeit der Welt. Keine Liebe, Freundschaft, keine Götter, nur Chaos und Gewirr. Der soll endlich aufwachen und hinsehen.

Sonst wird dem das, was der nach dem Mauerfall sehen wird, schwer zu schaffen machen. Das wird seine Welt tief erschüttern und ich glaube kaum, dass der es verkraften wird.

 

Ich bin wirklich ein Vollidiot. All die Jahre habe ich nicht gemerkt, was du wirklich bist. Nun endlich habe ich es erkannt. Und diese Erkenntnis ist extrem schmerzhaft. So schmerzhaft, dass mir schlecht wird und ich mich übergeben möchte, sobald ich nur wieder daran denke. Aber ich kann an nichts anderes mehr denken. All die Sünden, all die Untaten, schrecklich. Das Tor zum Paradies wird mir wohl auf ewig verwehrt bleiben. Daran bist nur du schuld. Doch eins sage ich dir,  der Einzige, der noch in einer Fantasiewelt lebt, bist du. Nur noch du allein. Wie alt wäre deine Tochter heute? Wer war deine Frau? Wieso bist du in diesem Krieg? Seit wann bist du hier? Wofür kämpfst du? Nichts von alledem kannst du beantworten, gar nichts. Du bist Derjenige, der endlich aufwachen sollte. Du allein. Wache auf. Wache auf und verschwinde. Ich brauche dich nicht mehr. Ich will dich nicht mehr. Wache auf.

 

 

14 April:

Verfluchter Dragunov. Wie ist der an mein Tagebuch gekommen? Und dann kritzelt der auch noch seine bescheuerten Behauptungen rein. Verfluchter Idiot. Was erlaubt der sich überhaupt? Ich soll in einer Fantasiewelt leben? Ich? Ich glaube wenigstens an keine erfundenen Götter. Und wenn der erst jetzt merkt, was für ein Mensch ich bin, da kann man nur sehen, wie bescheuert der ist. Macht sich Sorgen, dass der nicht ins Paradies kommt. Wie denn? Die gesamte Kriegsdauer über hat der nichts getan. Wehrend ich geschlachtet habe, stand der immer nur daneben und predigte sinnlos daher. Immer nur predigen und predigen, sonst nichts. Nichts hat der getan. Gar nichts. In was für ein Paradies will der denn dann? Ein Paradies schafft man sich selbst. Aber wenn man nichts tut, dann sollte man sich auch nicht wundern, wenn man nicht aus dem Dreck kommt. Ich bin schon lange aufgewacht, lieber, bescheuerter Dragunov. Schon lange. Auch wenn ich mich an einige Sachen nicht erinnern kann, so bin ich immer noch tausend Mal besser dran als du. Ich schaffe mir keine Illusionen über diese Welt, ich sehe sie so, wie sie ist. Dreckig und unnütz. Du sagst, du brauchst mich nicht? Warum zum Teufel klebst du dann ständig an mir? Warum? Wache verdammt nochmal selbst auf, bevor du mich   

 

belehrst, verfluchter Idiot!

 

Und wieder schreibe ich in dein Tagebuch. Auch wenn du es diesmal bei dir trägst, hab ich die Möglichkeit dazu. Und die werde ich immer haben.

Ist Glauben wirklich eine Schwäche? Ist nicht Glauben wirklich eine Stärke? Keiner kann diese Fragen beantworten ohne seine subjektiven Meinungen und Erfahrungen mit hineinfließen zu lassen. Warum glaubst du dann, du kannst die Welt sehen, wie sie ist? Wie kannst du sie denn sehen, wenn du die Augen vor der Realität verschließt? Du glaubst, du kannst dich nicht erinnern? Ich sage, du willst dich nicht erinnern. Denn diese Erinnerung ist schrecklich, unglaublich schrecklich. Du willst es nicht. Du suchst dir lieber Ausreden, der Krieg sei schuld, der Stress sei schuld, die Welt. Deine Welt ist gut, wie sie jetzt ist. Du siehst sie nur so, wie du sie sehen willst. An das vergangene willst du dich nicht erinnern. Stattdessen lebst du in einer selbsterfundenen Realität, die mit Logiklöchern nur so durchsetzt ist. Wann wird denn deine Tochter endlich sieben? Vielleicht solltest du deine Tagebücher auch mal selbst lesen, dann hättest du vielleicht auch längst gemerkt, dass sie nicht ewig sechs Jahre alt sein kann. Und hast du mal gezählt, wie oft ich schon ge-  

storben bin? Du bist der Einzige, der schläft. Nur du. Du schläfst in einem „Ich“, dass ich vor vier Jahren in meiner Verzweiflung geschaffen habe. Doch aus diesem Schlaf wirst du schon bald aufwachen, dafür werde ich schon sorgen. Du wirst dich erinnern, auch wenn du es nicht willst. Dann wirst auch du erkennen, was du bist. Dann hast du keinen Grund zu existieren. Auch wenn deine Taten nicht rückgängig zu machen sind, so wird die Welt zumindest von deinen weiteren Sünden und Gotteslästerungen verschont bleiben.

 

15 April:

Verfluchter Dragunov. Ich hab‘s gelesen, am 6. Juni, am 13. September, 1. Januar. Alles Todesdaten Dragunovs. Das letzte Mal am 23 März, da wurde der gehängt. Wie konnte ich es vergessen? Und warum lebt der noch, liest meine Tagebücher und kritzelt dauernd seine paranoiden Behauptungen rein? Warum lebt der noch? Hat der jedes Mal seinen Tod vorgetäuscht? Verfluchter Feigling, ich weiß schon warum du es getan hast. Einen Toten kann man nicht in den Kampf schicken. Und nach ein paar Tagen des Chaos und Gewirrs, weiß sowieso Keiner mehr, wer verreckt war und wer nicht. Dann taucht der wieder auf. Munter und lebendig. Wegen solcher Feiglinge steht 

diese verfluchte Mauer noch. Wegen solcher Feiglinge bin ich immer noch hier. Ich muss damals wirklich ein Volltrottel gewesen sein in diesen verfluchten Krieg zu ziehen. Ja, Dragunov, ich kann mich nicht an den Grund erinnern. Und ja, ich will es wahrscheinlich gar nicht. Wozu auch? Im Dreck sitzen bleibe ich so oder so. An der jetzigen Situation ändert es gar nichts. Was interessiert den überhaupt meine Vergangenheit? Wieso erwähnt der ständig meine Tochter? Wohin soll ich denn verschwinden? Verliert der langsam komplett den Verstand? Ich glaube, ich muss den langsam loswerden. Im Gegensatz zu dem habe ich auch die Möglichkeit dazu. Bei der nächstmöglichen Gelegenheit werde ich den an den gefährlichsten Ort schicken. Verrecken soll der endlich und diesmal wirklich. Und wenn der es überleben sollte, dann mache ich es selbst. Nie wieder wird der irgendetwas in mein Tagebuch schreiben. Nie wieder wird der mir mit seinem paranoiden Gelaber auf die Nerven gehen. Verrecken soll der, endlich verrecken.

 

 

 

Verrecke selber. Alles, was ich immer wollte, war Büße tun. Das mir der liebe Herr meine Sünden verzeiht, die ich mir selbst nicht verzeihen konnte. Heute weiß ich, dass daraus nichts mehr wird. Du hast alles kaputt gemacht. Wegen dir werde ich auf ewig verdammt sein. Egal, wie viele Menschen ich auch zu retten versucht habe, du hast immer mindestens doppelt so viele getötet. Alles, was ich aufzubauen versucht habe, hast du zerstört. Während ich immer kleiner wurde, wurdest du immer größer. Du wurdest sogar so groß, dass du es geschafft hast mich zeitweise komplett versch- winden zu lassen. Immer dann, wenn dein Hass und Unverständnis mir gegenüber am größten waren, immer dann, wenn der Schleier über den Erinnerungen dünner wurde und du deine Schuldgefühle mit roher Gewalt nieder zu metzeln versuchtest, starb ich. Doch deine Einsamkeit brachte mich immer wieder ins Leben zurück. Und obwohl das schon so oft passiert ist, haben weder du noch ich je etwas davon gemerkt. Stattdessen hielten wir uns für eigenständige Personen, führten rege Diskussionen und belächelten einander heimlich. Und wären deine Briefe nicht zurückgekommen, hätte sich an dieser Situation auch nichts geändert. Noch einmal hat mir der liebe Gott seine Barmherzigkeit gezeigt und in dem Moment, in dem ich ganz zu verschwinden drohte, einen rettenden Anker zugeworfen. Vielleich ist es meine letzte Chance

alles ins Lot zu bringen.

Es wunderte mich doch sehr, als ich ein Haufen Briefe zurückbekam, die ich nicht geschrieben habe.  Als ich die Briefe las, brach die gesamte Welt über mir zusammen. Auf einmal wurde mir alles klar. Mein ganzes Handeln der letzten Jahre wurde im Bruchteil einer Sekunde zu Nichte gemacht. Am Ende konnte ich nur lachen. Lachen über meine Schwäche, über meine Unfähigkeit und darüber, dass du seit vier Jahren an eine tote Tochter schreibst. Ja, ganz recht, unsere Tochter ist schon lange tot. Du wurdest nicht belogen. Kannst du dich nun endlich erinnern? Weißt du nun, warum sie sterben musste? Warum wir ständig Wahnträume von Frauen und Mädchen haben? Weil ich an ihrem Tod schuld bin und du aus dieser Schuld geboren wurdest. Weil ich nicht mit ihr leben konnte. Weil ich jemanden brauchte. Weil ich allein die Grauen des Krieges nicht ertragen konnte. Begreifst du es jetzt endlich? Du bist nichts weiter, als ein Geist in meinem Kopf. Ein ruheloser Geist ohne Vergangenheit und Zukunft. Ein Missprodukt meiner Fantasie. Ich habe dich erschaffen, ungewollt und doch ist es passiert. Begreifst du jetzt, warum du dich nicht an den Grund erinnern kannst in den Krieg gezogen zu sein? Weil du gar nicht in den Krieg gezogen bist, sondern ich. Ich allein.

 

Alles erkannte ich auf einmal, als ich die Briefe las. Und doch, lieber Dragunov, es ändert sich so einiges an der jetzigen Situation, wenn du dich endlich erinnerst. So einiges. Denn dann wirst du auch erkennen, was du bist. Dann wirst du verschwinden. Ein für alle Mal. Ein gottloses Etwas, wie du es bist, braucht die Welt nicht. Deine Gewalt wird ein Ende finden. Für immer. Hier und jetzt. Du hast mir alle Hoffnung auf Erlösung genommen, dafür nehme ich dich. Und trotz deiner Bemühungen mir die Erlösung zu nehmen, eine Hoffnung bleibt mir immer noch, die Mauer steht noch und wird bald fallen. Das Paradies wird mich erlösen, ganz gewiss. Ich danke dir, mein Herr, für diese letzte Chance.

 

16 April:

Ich soll nicht wirklich sein? Elisabetta ist tot? Hat der sie noch alle? Was erzählt der da? Der verfluchte Trottel hat wohl ganz den Verstand verloren. Wie kann ich nur ein Geist sein, wenn ich doch hier bin, einen Körper habe und in meinem Tagebuch schreiben kann? Ich bin real aus Fleisch und Blut, hier bin ich. Wie kann meine Tochter schon so lange tot sein, ohne dass ich es gewusst habe? Das kann nicht sein. Unmöglich. Dragunov muss einfach verrückt geworden sein. Das Chaos um ihn herum ist dem zu viel geworden. Wie denn sonst kommt man auf derart kranke Gedanken? Allein die Vorstellung, ich und er seien ein und dieselbe Person, ist absolut absurd. So etwas kann es nicht geben. Niemals. Und dann versucht der auch noch wieder, mir an seiner Unfähigkeit die Schuld zu geben. Verfluchter Feigling. Der selbst soll verschwinden, für immer. Der ist doch einfach nur verrückt. Es wird Zeit, dass dieser sinnlose Krieg endlich zu Ende geht und ich endlich nach Hause komme. Wenn ich weiterhin von solchen Idioten umgeben sein werde, werde ich womöglich genauso enden. Ich muss hier weg. Ich merke ja nicht einmal mehr, wann der mein Tagebuch stielt oder meine Briefe durchliest. Ich bin müde. Ich muss hier wirklich weg. Nach Hause, zur Elizabetta. Meine schöne Elizabetta,

du bist nicht tot, das weiß ich. Du wartest auf den Tag, an dem ich zurückkomme. Bald hat das Warten ein Ende, das verspreche ich dir. Bald bin ich zu Hause, bald.

 

 

19 April:

Dragunov ist endlich tot. Endgültig. In diesem Körper gibt es den nicht mehr und der wird nie mehr wiederkommen. Was für eine Ironie, der wollte, dass ich mich erinnere und dann verschwinde. Ich konnte mich aber nur erinnern weil der verschwunden ist. Im Nachhinein betrachtet wäre ich lieber in meiner Fantasiewelt geblieben. Denn zu wissen, dass wir ein und dieselbe Person waren, versetzt mich in Rage. Dieser verfluchte Feigling, auf ewig soll der verflucht sein. Wegen dem musste Elisabetta sterben. Wegen dem hat dieses Miststück sie umgebracht. Verfluchte Schlampe!

Meine Wut zerreißt mich und wenn ich nur könnte, würde ich die gesamte Welt um mich herum auseinanderreißen. Ich will wieder in meine Fantasiewelt, ich will wieder alles vergessen. Diese Erinnerungen, sie schmerzen und zerdrücken mich. Verfluchter Dragunov, es ist alles seine Schuld. Für seinen bescheuerten Gott hatte der alles gegeben. Wochenlang war der auf irgendwelchen Messen und Pilgerreisen unterwegs. Der hat versucht Tausenden zu helfen, sein Weib und Tochter blieben aber immer allein auf sich gestellt. Und wenn dieser Trottel mal da war, betrunken von den Feiern mit seinen Glaubens- brüdern, hat der die immer nur zurechtgewiesen. Dabei

hat die sich wohl nichts anderes erwünscht, als mal ein warmes Wort,  oder Umarmung. Letztendlich hat die Schlampe wohl keinen anderen Weg gesehen, als sich umzubringen. Und um es dem noch Mal zu zeigen, hat die auch das Mädchen mitgenommen. Würde der dann zumindest zu seinem Tun stehen, dann hätte sich seine Persönlichkeit nie gestört. Aber der hat Schuldgefühle bekommen. Suchte einen Weg seine Sünde reinzuwaschen. Da kam der Krieg für eine vermeintlich gute Sache nur zu Recht. Fürs Recht einzutreten und schließlich in das Paradies zu gelangen, das wäre die Rettung. Doch tief in seinem Inneren wusste der ganz genau, eigene Landsleute wegen eines Stücks Mauer abzuschlachten, kann keine gute Sache sein. Aus diesem Dilemma heraus wurde ich geboren. Ich, der keine Skrupel hat, Menschen abzuschlachten, der an nichts glaubt, das war seine Lösung. Das Schlimme war nur, der selbst hatte es nicht gemerkt und auch ich nicht. Vier Jahre lang haben wir so gelebt, zwei völlig unterschiedliche Persönlichkeiten in einem Körper. Doch nun ist alles vorbei, für immer. Im Grunde ist es das Beste, was dem passieren konnte. Im ewigen Nichts gibt es keine Sünden, keine Schuldgefühle, gar nichts. Und ich? Ich hab nichts mehr. Keine Tochter, kein Zuhause, kein Ziel. Nur Wut und Rage. Ich bin einfach müde, unfassbar müde. Am liebsten würde ich jetzt einschla-    

 

fen und nie mehr aufwachen. Das Nichts, wie sehr ich es herbeisehne. Das wahre Paradies.

 

24 April:

Es ist wohl soweit. Morgen soll die entscheidende Schlacht um die Mauer stattfinden. Die Reservekräfte sind nun da. Jetzt gibt es kein Zurück mehr, jetzt gibt es keine Ausreden mehr. Ob der Klerus sein Paradies bekommt, ob der König sein Land, ob der Adel seine Macht, alles wird nach der Schlacht entschieden. Ist mir alles scheißegal. Ob die Mauer fällt oder weiter steht macht kein Unterschied mehr. Nichts ist mehr von Bedeutung. Trotzdessen muss ich in diese Bescheuerte Schlacht mitziehen. Diese bescheuerten Trottel haben mich zum Befehlshaber des Stoßtrupps ernannt. Ich pfeife darauf. Morgen wird alles ein Ende finden, denn ich werde nur einen einzigen Befehl geben, „Stürmen!“. Der Stoßtrupp und ich, morgen ist alles zu Ende.

 

26 April:

Bescheuerte Welt! Da macht man alles um umgebracht zu werden, stattdessen wird man zum gefeierten Helden. Wer könnte es schon ahnen, dass mein Stoßtrupp im Alleingang die Mauerverteidigung vernichtet? Wer könnte es schon ahnen, dass mein wilder Sturm nach vorne, mit der Hoffnung abgeschossen zu werden, zu einer Motivation des gesamten Trupps werden würde? Wer könnte es schon ahnen, dass ich dabei nur leicht verwundet werden würde und immer noch am Leben bleibe? Wer? Verfluchtes Leben. Da willst du es beenden und es lässt dich nicht. Bescheuerte Welt.

Der verfluchte Krieg ist zu Ende. Die Anderen haben nicht mehr die Kraft die Mauer zurückzuerobern. Morgen oder übermorgen werden die kapitulieren. So lange habe ich auf das Ende des Krieges gewartet. Jetzt ist er da und mich kümmert es nicht. Der so lange herbeigesehnte Meilenstein ist nun nichts weiter als ein weiteres unbedeutendes Ereignis in einem sinnlosen Leben. Lächerlich! Da ich immer noch hier bin, muss ich es wohl hinnehmen. Als ein Held darf ich nun als einer der ersten ins Paradies eintreten, morgen wollen die anfangen die Mauer einzureißen. Als ob ich es nötig hätte. Aber ich werde lachen, wenn ich deren enttäuschten Gesichter sehe. Auslachen werde ich die.

 

Alle werde ich die auslachen. Jeden einzelnen.

 

27 April:

Die verfluchte Mauer steht immer noch. Wie sehr die auch heute versucht haben ein Durchgangsloch in die Mauer zu schlagen, letztendlich haben die es nicht geschafft. Morgen wollen die Trottel weitermachen, solange bis die durch sind. Auch morgen muss ich die ganze Zeit dastehen und warten. Warten mit diesen reichen, fetten Trotteln, die wegen des Gewichts ihrer Klunker und ihres Goldes nicht länger als zwei Minuten am Stück stehen können. Was wollen die im Paradies, das haben die doch längst hier? Was wollen die da? Erwarten die denn noch ein besseres Leben? So ist es wohl, so ist der Mensch, nie hat er genug. Immer mehr will er, immer mehr und nur für sich allein. Verrecke du heute und ich erst irgendwann, so lebt er, so ist er. Nie wird sich das ändern. Schon lustig, das ausgerechnet so ein Wesen Gott am nächsten sein soll. Da ist es wohl auch nicht verwunderlich, warum die alle an einen sadistischen und egoistischen Gott glauben. Weil deren Gott das Ebenbild des Menschen ist und nicht andersherum. Egal, morgen ist damit ehe vorbei. Wenn die Mauer fällt, wird deren Gott sterben. Ohne Paradies kein Gott.

 

29 April:

Alles ist vorbei. Der Krieg, die Mauer, das Märchen vom Paradies, alles. Ich wollte lachen, wenn ich deren enttäuschten Gesichter sehen würde, nur war mir nicht danach. Stattdessen wurde ich von Wut ergriffen, unglaublicher Wut. Rage. Jeden dieser Fettsäcke den ich zu fassen bekam, habe ich erstochen oder ich stieß ihn in die Fluten. Auch der Oberpriester ist so in den Fluten umgekommen. Verfluchter Trottel, vier Jahre Krieg für eine Überflutung. Vier Jahre für den Arsch. Es war ein Damm, den die Menschen vor Urzeiten gebaut haben, es war ein verfluchter Damm. Die ganze Mauer war nur ein bescheuerter Damm. Als die es geschafft hatten die Metallfäden zu entfernen, da fing es an. An der Bruchstelle entstanden Risse, die langsam immer größer wurden. Die Trottel hielten das für ein gutes Zeichen, Gott selbst würde denen helfen durch die Mauer zu kommen. Und dann geschah es, die nur noch ganz dünne, von Rissen übersäte Wand konnte dem Wasserdruck an der Bruchstelle nicht mehr standhalten. Das Wasser schoss aus dem Loch heraus und nur wenige Augenblicke später riss es unter tosendem Lärm die gesamte Mauer nieder. Wie nasses Papier wurde die mächtige Mauer niedergemäht, zerquetscht, zerdrückt und weggespült. Nichts ist von ihr übriggeblieben. Die verfluchten reichen Trottel, in 

Panik rannten die davon. Gottes Strafe, riefen die. Jeden, den ich fassen konnte, habe ich abge- schlachtet. Dem Oberpriester hackte ich die Beine ab, damit er in seinem Paradies ertrinkt. Es war nicht Gottes Strafe, es war meine. Und nun? Nun steht die halbe Insel unter Wasser. Häuser, Felder, Menschen einfach weggespült. Ein tolles Paradies! Davon wollte Dragunov erlöst werden? Dafür hat der die ganze Zeit gepredigt? Dafür musste der mich erschaffen? Dafür musste ich für ihn so lange schlachten? Verflucht soll der sein. Der kann nur froh sein, dass der das nicht mit ansehen muss. Der wollte Tausende erlösen. Stattdessen werden nun Millionen umkommen. Die wollten es so. Alles haben die so gewollt. Nach dem Hunger kam der Krieg, den das Paradies ersetzen sollte, nun kommt noch mehr Hunger. Viel mehr.

Aber mich stört es nicht, ich werde eh nicht mehr lange leben. Nachdem ich deren ach so heiligen Übervater so grausam ermordet habe, bleibt denen nichts anderes übrig. Die haben meine Tagebücher gefunden und konfisziert. Nur dieses eine blieb bei mir, weil der Werter Dragunov kannte. Was die in den Tagebüchern gelesen haben, hat denen wohl auch nicht sonderlich gefallen. Nun werde ich auch noch der Gottes- lästerung, Heiligenlästerung, Königslästerung, Ungläubigkeit, Blasphemie, Ketzerei, des Hochverrats

und was weiß ich noch beschuldigt. So schnell wird aus dem Helden wieder ein Niemand. Mir egal, ich habe auf dieser Welt eh nichts mehr. Was soll ich noch hier? Je schneller die es hinter sich bringen, desto besser. Für die und mich. Dann hat alles wirklich ein Ende. Dragunov ist dann zu Ende.

 

 

5 Mai:

Verhöre, Verhöre, Verhöre. Ich weiß nicht, was die noch von mir hören wollen, die haben doch schon alles gelesen. Ich habe auch alle deren Anschuldigungen gestanden, also was wollen die noch von mir? Die wissen doch, wie es enden wird, ich weiß. Ich will endlich Ruhe haben. Deren Gerede über deren bescheuerten Gott, ich kann es nicht mehr hören. Immer dasselbe, Gott hier, Gott da, sonst nichts. Wenn die an deren verfluchten Gott immer noch glauben wollen, dann sollen die doch, aber die sollen mich dabei in Ruhe lassen. Wie kann man überhaupt nach all dem, was passiert ist, immer noch an diesen Gott glauben? Wie? Geht es hier überhaupt um Gott? Die haben doch nur Angst, dass deren Macht schwinden wird. Und das wird sie. Ohne die Mauer, auf der deren ganze Religion gestützt war, ist sie einen Dreck wert. Was sind da schon die Paar Tagebucheinträge eines Spinners, die eh kein Mensch je zu Gesicht bekam. Aber wenn es Einen gibt, der so denkt, wie viele wohl gibt es noch da draußen? Das macht denen Angst. Bald wird eine Jagd beginnen, die letztendlich doch zu nichts führen wird. Und es wird wohl noch ne Weile dauern bis die begreifen, dass die am absteigenden Ast sind und vielleicht finden die bis dahin auch eine neue Geisel das dumme Volk zu blenden. Im Tricksen

 

waren die schon immer gut. Nur mich sollen die endlich in Ruhe lassen. Die sollen es endlich hinter sich bringen, es soll endlich vorbei sein. Mich interessiert weder deren Religion, noch deren Gott, ich will nur, dass es endlich vorbei ist.

 

7 Mai:

Endlich haben die das Urteil gesprochen. Endlich. Dragunovs Geschichte endet bald. Im Grunde kann es nun jeden Augenblick passieren, jeden Augenblick können die mich holen kommen. Habe ich Angst? Ich glaube nicht. Warum sollte ich auch? Aus dem Nichts gekommen, gehe ich wieder ins Nichts. Ich gehe dahin, wo ich herkam und ich komme nie mehr wieder. Das Nichts, das einzig Ewige in diesem Universum. Bist du einmal da, gibt es kein Zurück mehr. Dann ist nichts mehr von Bedeutung, was du warst, wer du warst, nichts. Es hat dich nie gegeben.

 

12 Mai:

Die Welt des Esels ist die Scheune, also denkt er, die Scheune ist die Welt.

Das Leben ist sinnlos und trotzdem leben wir. Der Glaube ist sinnlos und trotzdem glauben wir. Wer sagt mir denn, dass das Leben sinnlos sei? Ich bin es. Wie komme ich dazu? Weil mein rationales und logischen Denken zu diesem Schluss kommt. Wer sagt mir aber, dass mein Denken fehlerfrei sei? Dass meine Logik richtig sei? Mein Hirn hatte mich schon einmal getäuscht, wer sagt mir also, dass es diesmal anders ist? Wer sagt mir denn, dass ich nicht dieser Esel bin? Der Esel kennt nur die Scheune, ich kenne nur den Krieg. Ich bin ein Esel. Im Krieg geboren, im Krieg gelebt, ich kenn nichts anderes. Und aus diesem Bisschen ziehe ich meine Schlüsse. Jetzt, wo ich etwas Ruhe habe, merke ich erst, wie klein meine Welt war. Wie sollte ich da den Sinn im Leben sehen? Im Glauben? Und für mich ergeben diese Dinge immer noch keinen Sinn. Doch sind die daher wirklich sinnlos? Die Frage wird wohl nie jemand wirklich beantworten können. Und vielleicht sollte man sie auch gar nicht stellen. Der Mensch ist schwach, er muss an etwas glauben um leben zu können. Und da er nun verdammt ist zu leben, muss er glauben. Das war’s.

 

Woran glaube ich? Wohl an das Nichts. Mal schauen, ob ich ab morgen dort meine Ruhe finden werde oder doch in irgendeiner Hölle mein Dasein weiter fristen mus. Mal schauen...  

 

 

 

Der 12 Mai ist der letzte Eintrag in Dragunov’s Tagebuch. Scheinbar wurde er am nächsten Tag hingerichtet. Wir haben viel recherchiert, um herauszufinden, wer er wirklich war und woher er kam. Doch es war nichts herauszufinden und sein Tagebuch ist das Einzige, was wir von ihm haben.

Irgendwie hatte Dragunov schon Recht, hätten wir das Tagebuch nicht gefunden, wäre es so, als hätte es ihn nie auf dieser Welt gegeben. Es gäbe keinen Beweis für seine Existenz, nichts, was auf ihn deuten könnte. Aber so geht seine Geschichte weiter, auch wenn er es wahrscheinlich gar nicht gewollt hätte. Vielleicht streben die Menschen auch deshalb nach Ruhm und Macht, einfach, um nicht vergessen zu werden. Ein Aspekt, den Dragunov in seinen Überlegungen nie bedacht hatte. Wie auch immer, wir hoffen, dass wo immer er auch ist, er endlich seine Ruhe und Frieden gefunden hat. Und möge er uns verzeihen sein Tagebuch veröffentlicht zu haben. Wir wünschen, alles Gute.     

 

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