Biografien & Erinnerungen
Weltinnenraum

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"Weltinnenraum"
Veröffentlicht am 04. September 2010, 8 Seiten
Kategorie Biografien & Erinnerungen
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Lieber ist mir, wenn meine Texte für mich sprechen...
Weltinnenraum

Weltinnenraum

Beschreibung

Erinnerung an eine Trauerweide, die durch Menschenwillkür vor einiger Zeit gefällt wurde.


Ein Weile saß ich schon auf der Bank, unter dem herabhängenden Dach der Trauerweide und hatte den Blick auf ein etwa drei Meter entferntes Breitwegerichblatt fixiert, auf daß das Auge nicht unstet und auf der Suche nach Ablenkung herumwanderte. Es war ein kleines Ritual, eben soviel, wie nötig war, um dem Bewußtsein einen Ort, eine Herberge zur Stille zu geben.
So saß ich, rief mir die ursprüngliche Reinheit der Elemente in Erinnerung, dankte ihnen – der Reinheit des allesdurchwaltenden, unbegrenzten blauen Raumes und seiner Emanationen Luft, Wasser, Feuer und Erde…. Und schämte mich etwas, da ich ihrer so selten gedachte.
Irgendwann huschte ein Lebewesen über das Wegerichblatt, eine Ameise war’s. Wenig später zeigte sich eine kleine Spinne, die es nicht minder eilig hatte, ihren Faden über den Abgrund zum nächsten Blatt zu ziehen. Was für eine Leistung! Doch auch sie verschwand gleich wieder. Es folgte eine Amsel, die mal eben vorbei flog. Danach stand eine Schwebefliege reglos in der Luft, nur wenige Zentimeter vor dem linken Auge, so daß das Surren ihrer Flügel wie der Motor eines Doppeldeckers aus dem 1. Weltkrieg erklang. Gleichzeitig saßen auf dem Fuß und auf dem Arm je ein Hüpftier unbekannten Namens. Da wurde mir wieder einmal bewußt, wie lebendig alles war. Selbst dort, wo man nichts vermutete. Egal, worauf der Blick ruhte, es dauerte nie lange, bis ein Leben durchs Blickfeld marschierte, flog, hüpfte. Und mit dem Hören war es dasselbe: überall riefen und antworteten Vögel, Grillen und sonstiges Getier, jeder auf die Weise seiner Art. Und es nahm zu, dieses Entdecken von Leben, je stiller man wurde. Irgendwann kommt der Moment, wo du nur noch Lebendiges entdeckst und den heiligen Laut hörst.
Da ist es nur eine Frage der Zeit, bis der Gedanke ins Bewußtsein keimt, daß mit zunehmender Stille allmählich alles lebendiger, sichtbarer, hörbarer wird. Ein einziges Leben durchwebt die Unendlichkeit. Raum ist voller Raumwesen, ohne ihn zu füllen. Und ein einziger Geist ist aller Gedanken Ursprung.
Aber der Ungestillte sieht es nicht. Entsprechend der eigenen Bewegung sieht man immer nur das seine. Der Säugling wird erst still, wenn die nährenden Brüste erscheinen.
Erst die Geistesstille bringt die Magie ans Licht oder wirft, je nach Standpunkt, Licht ins magische Geschehen. Man sieht durch die Transparenz der Ruhe immer feinere Bewegung, leuchtendere Wesen. Und, anders herum, verringert das Lärmen alle ursprüngliche Wahrnehmung. Zumindest die Wahrnehmung der Stille. So ist jedem eine seiner Bewußtheit entsprechende Barriere gesetzt.
Es wäre ja auch ein Leben in dem uns bekannten Sinn nicht möglich, wenn wir auf Schritt und Tritt die ganzen Wesen um uns herum sehen könnten. Wesen mit feineren Körper, noch feinerem Geist und längerer Lebensdauer, deren Energie so schnell schwingt, daß ihre Präsenz sich der Wahrnehmung auf eine ähnliche Weise entzieht, wie die Flügelbewegung der Schwebefliege den physischen Augen – man kann sie nicht zählen. Oder Wagenräder mit Speichen – manche kennen sie noch – die sich ab einer bestimmten Geschwindigkeit gegen die Fahrtrichtung zu drehen scheinen. Die Vibration ist zu schnell, nur ihr Summen verrät in der Summe die Bewegung. Ja, wie sollte man eine Gemeinheit begehen können, wenn achthundertfünfundsechzig Engel um uns herum schwirren? Da ist es bedeutend angenehmer, Krach zu machen und „ich seh keine Engel“ zu sagen. Oder wissenschaftlich abgeklärt: „Das ist doch Blödsinn.“ – Jenen Reduzierern laufen die Weibchen reihenweise nach, um genau die Art zu vervielfältigen und entsprechen sieht es dann aus in der Welt!.
Richtig, es ist Blödsinn. Heiliger Blödsinn! – die Körperlichkeit von Gedanken, ihr Licht, ihre Aura, ihre Heilkraft.
Zwei Jahre setzte ich mich unter den Baum (nein, nicht am Stück, ein Buddha bin ich noch lange nicht!) und bemerkte seine Präsenz nur manchmal so am Rande. Ich nahm die Weide nicht als eigenständig wahr, weil ich mein Ritual im Kopf hatte und auf traditionelle Weise „meditierte“ - weil auf herkömmlich steife West-Weise geprägt.
Die gute Weide! Jetzt, da es mir zu Bewußtsein kommt, frage ich mich, was ich alles immer noch nicht wahrnehme, obwohl die Raumunendlichkeit surrt und schwingt. Wieviele Bewohner wievieler Sphären leben und sterben im Baum? Aber immerhin – außer still werden bedarf es nichts weiterem für die Antwort!

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LotharAtzert
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