Kurzgeschichte
Nur gerülpst

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"Nur gerülpst"
Veröffentlicht am 16. August 2010, 4 Seiten
Kategorie Kurzgeschichte
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Über den Autor:

Lieber ist mir, wenn meine Texte für mich sprechen...
Nur gerülpst

Nur gerülpst

Nur gerülpst

Meine Ex kam aus gutem Hause. So sagt man von denen, die beim Trinken den kleinen Finger abspreizen.
Eigentlich rülpse ich nicht, aber wenn ich auf Abgespreiztes treffe, entsteht immer so eine Art Augleichs-Reflex, ein innerer Drang, welcher der Pendelbewegung alter Waagen entspricht. Das mag vom Neptun in Haus 7 kommen......
Vier ganzer Wochen guten Zuredens bedurfte es, bis ihr der erste zarte Rülpser knospengleich entfuhr. Und wie peinlich ihr die Befreiung aus der Konvention war, während ich "Bravo" rief, sie leidenschaftlich küßte und dabei fast umriß..
Um ihr Entgegenkommen zu belohnen, spreizte ich jetzt meinerseits den kleinen Finger beim Trinken ab, obwohl das die Herkunft auch nicht veränderte.
Manchmal lagen wir stundenlang völlig entspannt in der Badewanne, der eine las aus einem Buch vor, das wir in der Bibliothek liehen und der jeweils andere hörte zu.
Einmal las sie das Igelgleichnis vom Schopenhauer, während ich ihren makellos schönen Körper in unendlicher Bewunderung betrachten durfte. So je und je tauchten die zwei Hügel wie Atlantis halb aus dem Badeschaum hervor und das flackernde Kerzenlicht tat ein Übriges, um mich in Verzückung zu bringen. Sodann, beim Ausatmen, verschwanden diese Pfirsichinseln wieder leise gurgelnd in der Tiefe.
Ach ja...... andere fahren deswegen in die Karibik....

Beim Igelgleichnis geht es darum, das Menschenlos mit zwei frierenden Igeln zu vergleichen. Sie rennen zusammen, suchen die Wärme des anderen - und bohren ihre Stacheln dabei in dessen Fleisch. Aufgrund des Schmerzes rennen sie wieder auseinander und frieren wieder. So geht das einigemale hin und her, bis sie schließlich sich zwar nahe kommen, aber doch zugleich genügend Abstand halten, so daß der Schmerz vermieden wird, jedoch auch die Wärme nur noch in unbefriedigendem Maße empfangen werden kann.
Der Badeschaum schwand, das Wasser wurde kälter, auch klarer, gab endlich den Blick auf den Jadetempel frei, doch sie las und ich hörte, schaute verzückt und dachte nur: Nacktheit erscheint umso vollkommener, je weniger das Nackte darum weiß. Sobald es weiß, posiert es und damit ist alles Natürliche durch Kalkül verdorben und versinkt, wie Atlantis versank.

Sie wurde eine ganz passable Rülpserin und ich lernte einigermaßen Manieren, so paßten wir uns an. Nur den Schmerz durch die Stacheln empfanden wir unterschiedlich. Sie floh eines Tages, vielleicht doch in die Karibik, Atlantis tauchte jedenfalls nie wieder auf. Ich aber hatte genug von Schopenhauer, der mit seiner Lehre auf halbem Weg eine Pessimistenbleibe erbaute und schrieb mir ab da mein einsam-irrendes Fahren durch Gefahren zwecks Erfahrung selbst.

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LotharAtzert
Lieber ist mir, wenn meine Texte für mich sprechen...

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LotharAtzert Re: Sprachlich ... -
Zitat: (Original von Gunda am 17.08.2010 - 08:53 Uhr) ... hervorragend, Lothar. Und inhaltlich ... verzeihst du mir sicher mein kleines Schmunzeln, das sicher auch von dir bei der Beschreibung des Ausgleich-Reflexes gewollt war.

Bei deiner Geschichte musste ich an die zwei völlig entgegengesetzten Weisheiten denken, die man -- je nach Bedarf - zu hören bekommt, wenn man sich für die Lebensgemeinschaft mit einem anderen Menschen entschieden hat:
"Gleich und Gleich gesellt sich gern"
oder
"Gegensätze ziehen sich an" ...
Gefahren birgt beides. Bei Ersterem kann sich Langeweile einstellen, beim Zweiten entstehen die Konflikte oft
aus einem Nicht-Verstehenwollen/-können des anderen.
ABer es kann eben auch gaaaanz anders sein *grins*.

Ein sehr guter Text. Inhaltlich wie formal.

Lieben Gruß
Gunda


Hallo Gunda,
danke für die ausführliche und positive Antwort. Ja, das war so gewollt, ist vielleicht auch eine Eigenart von mir, das Triviale mit dem Hochphilosophischen zusammen zu bringen, um die Unterschiede aufzuheben, bzw. um eine mittlere und ausgewogene Position zu finden.
Gleich und Gleich - oder Gegensätze, jaja, Du sagst es, beides birgt Gefahren und...:
"Wo Gefahr ist, da wächst das Rettende auch" - Friedrich Hölderlin

Liebe Grüße aus Hessen
Lothar
Vor langer Zeit - Antworten
Gunda Sprachlich ... - ... hervorragend, Lothar. Und inhaltlich ... verzeihst du mir sicher mein kleines Schmunzeln, das sicher auch von dir bei der Beschreibung des Ausgleich-Reflexes gewollt war.

Bei deiner Geschichte musste ich an die zwei völlig entgegengesetzten Weisheiten denken, die man -- je nach Bedarf - zu hören bekommt, wenn man sich für die Lebensgemeinschaft mit einem anderen Menschen entschieden hat:
"Gleich und Gleich gesellt sich gern"
oder
"Gegensätze ziehen sich an" ...
Gefahren birgt beides. Bei Ersterem kann sich Langeweile einstellen, beim Zweiten entstehen die Konflikte oft
aus einem Nicht-Verstehenwollen/-können des anderen.
ABer es kann eben auch gaaaanz anders sein *grins*.

Ein sehr guter Text. Inhaltlich wie formal.

Lieben Gruß
Gunda
Vor langer Zeit - Antworten
UteSchuster Re: Re: man lernt immer und aus jeder Situation noch dazu -
Zitat: (Original von LotharAtzert am 16.08.2010 - 23:21 Uhr)
Zitat: (Original von timeless am 16.08.2010 - 23:01 Uhr) ich glaube wirklich gelitten hast du nicht und du die Lösung gefunden hast, denke ich du lebst zufrieden mit den Gefahren der Erfahrung.

LG Ute



Aus Bewältigung von Gefahr kommt ja Erfahrung - die deutsche Sprache ist da sehr genau!
Gelitten hab ich schon... aber es ist lange her und die Wunde ist inzwischen verheilt...

LG
Lothar


das tut mir leid, aber du sagst ja selbst, die Zeit heilt alle Wunden.

LG Ute
Vor langer Zeit - Antworten
LotharAtzert Re: man lernt immer und aus jeder Situation noch dazu -
Zitat: (Original von timeless am 16.08.2010 - 23:01 Uhr) ich glaube wirklich gelitten hast du nicht und du die Lösung gefunden hast, denke ich du lebst zufrieden mit den Gefahren der Erfahrung.

LG Ute



Aus Bewältigung von Gefahr kommt ja Erfahrung - die deutsche Sprache ist da sehr genau!
Gelitten hab ich schon... aber es ist lange her und die Wunde ist inzwischen verheilt...

LG
Lothar
Vor langer Zeit - Antworten
UteSchuster man lernt immer und aus jeder Situation noch dazu - ich glaube wirklich gelitten hast du nicht und du die Lösung gefunden hast, denke ich du lebst zufrieden mit den Gefahren der Erfahrung.

LG Ute
Vor langer Zeit - Antworten
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