Kurzgeschichte
In der Bar

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"In der Bar"
Veröffentlicht am 04. August 2010, 8 Seiten
Kategorie Kurzgeschichte
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In der Bar

In der Bar

Heute habe ich mich in einer Bar verirrt. Zufällig. Ich mache so etwas sonst nicht, müssen Sie wissen. Eigentlich genieße ich verregnete Sommerabende in meiner Schmöker-Ecke am Fenster und lese Kafka, während ich an einer heißen Tasse Jasmin-Ingwer-Fenchel-Tee nippe und mir eine Zigarette der Sorte Eve anzünde. Diese schmalen, langen Frauen-Glimmstengel verleihen mir das Gefühl, unglaublich sinnlich zu sein. Dann ziehe ich mir meinen übergroßen, graumelierten Strickpulli über die Knie, der Regen klopft an meine Fenster und allein dieser Umstand zaubert eine angenehm schwere, melancholische Stimmung.

 

Nun, um ehrlich zu sein, habe ich noch nie einen solchen Abend verbracht. Ich verabscheue Ingwer-Tee-Mischungen und noch vielmehr Kafka. Im Gegensatz dazu, und bitte missverstehen Sie mich an dieser Stelle nicht, besuche ich gelegentlich Bars oder, wenn ich ganz verrückt sein möchte, auch mal eine Kneipe. Manchmal habe ich sogar das Bedürfnis, eine dieser angesagten In-Cocktail-Lokalitäten zu aufzusuchen. Dann, wenn mir mal wieder bewusst wird, dass die „30“ immer lauter an meiner Tür klopft. „Jugend ausnutzen“ hämmert es dann in meinem Schädel. Noch mal dabei sein, noch mal frei sein – denkt’s und springt in die Sachen.

 

In weiser Voraussicht, den Abend nicht ganz nüchtern abzuschließen, schwinge ich mich auf mein Fahrrad und trete in die Pedale, um wenige Minuten später am Tresen einer eher mittelmäßigen Eck-Kneipe Platz zu nehmen. „Ja – was trinken“ Nur was? Meine eingeschränkte Fähigkeit, kurzfristig Entscheidungen zu treffen, macht es mir nicht leichter, eine Bestellung aufzugeben. Ich fühle mich zusätzlich unter Druck gesetzt, als die Bedienung bereits zum zweiten Mal fragt, was ich trinken möchte. Kennen Sie das auch? Diese was-wäre-wenn-Dauerschleifen, die in völlig unwichtigen Situationen wieder und wieder im Kopf abgespielt werden: Vielleicht einen Saft? Apfel? Orange? Multivitamin? Was, wenn ich das darauf folgende Fruchtgeschmackserlebnis als zu stark oder zu schwach empfinde? Oder der Saft zu warm oder zu kalt serviert wird? Ärgere ich mich dann, dass ich keinen Tee bestellt habe? Oder möglicherweise doch ein Schlückchen Alkohol wagen? Bier? Oder sieht das nicht aus: Ich so, am Tresen, lange Zigarette und dann ein Pils?! Wie immer bin ich unschlüssig. „Einen Rotwein“ höre ich mich sagen. „Trocken bitte“. Eine ziemlich unverbindliche und obendrein unkreative Entscheidung. Aber immerhin kann man mit einem trockenen Rotwein nur selten daneben liegen. Eigentlich nur dann, wenn die edle Rebe aus dem Tetra-Pack kommt.

 

Da sitzen wir nun also, ich und mein Schoppen. Im Schuppen. Und nun? Umgucken: Rechts von mir: Ein älterer Herr. Er trägt eine dieser Neunziger-Jahre-Jeans: Oben weit, unten eng und überall meliert, falls man das bei Jeanshosen so benennt. Außerdem trägt er ein Hemd und im Gesicht einen ausgefransten Schnauzer. Oder heißt das Schnäuzer? Ich trage ja so etwas nicht. Ich überlege nach der Wortherkunft und da ich, wie es der Zufall will, mein etymologisches Wörterbuch nicht griffbereit habe, scheitere ich an meiner persönlichen Erklärung ob diese Bartform von „Schnauze“ oder „schnäuzen“ kommt. Bevor ich an dieser Fragestellung zu Grunde gehe, schaue ich nach links. Eine Horde Jugendlicher bei einer Sommerferien-Sommersause. Männlichkeit und Trinkfestigkeit werden erprobt. Daneben eine Single-Mittvierzigern, die sich offensichtlich am Kleiderschrank ihrer Tochter bedient hat. Die einzig andere logische Erklärung für diesen optischen Fauxpas wäre, dass sie noch vor wenigen Minuten mit den Ferienkindern um die Wette gesoffen und dabei verloren hätte, woraufhin Sie mit einer anwesenden 14-Jährigen die Klamotten hätte tauschen müssen. Da die Jugendlichen aber alle aussehen, wie das heutzutage als modisch kompatibel empfunden wird und die Mittvierzigerin pseudo-intellektuell in der Süddeutschen Zeitung die Bilder anschaut, verwerfe ich diesen Gedankengang sofort und überdenke den Wirkungsgrad meines Rotweins.

 

Da mein Kopf scheinbar keine Funktion für „Nicht-Denken“ besitzt, schnellt mir gleich die nächste Frage durch die Synapsen: Warum sitzen sie nur Abend für Abend an den Theken und Tresen des Landes? Sie – die Leute. Nun ja, ich sitze auch hier. Dieser Umstand ist nicht von der Hand zu weisen und offen gestanden: Hätte ich nicht auch genügend Gründe, mich an dieser Stelle zu schämen. Wo ich mich doch ganz offensichtlich an diesen armen Würstchen ergötze, die ein Herrengedeck nach dem nächsten in ihre durstigen Kehlen schütten. Ich fühle mich schon ein bisschen besser, wenn ich in diesem Moment niederschreibe, wie unglaublich doof die doch alle sind und dass ich eigentlich schon ein bisschen toller bin, weil ich weiß, dass die doof sind und ich nicht. Denn ich sitze hier nur zum Beobachten. Fast ein wenig, wie Ernest Hemingway im Café Florian in Venedig. Nur ein wenig provinzieller versteht sich, denn hier gibt es weder weiß eingedeckte Café-Tische, noch einen Flügel an dem ein pomadenfrisurtragender Herr gemütsbeglückende Musik für gut Betuchte klimpert. Hier gibt es Bierbänke. Und auch Bier. Ich finde, das macht es irgendwie ganz passend.

 

Weil mich das viele Nachdenken stört, betäube ich mich mit acht weiteren Gläsern Rotwein und verspüre zunehmend den Drang, rührselig zu werden. Ich schrecke innerlich zusammen, als ich dem schnauzbarttragenden Jeanshosenmann zuproste. „Peter“ sagt er. Und ich nicke anerkennend zurück. Dann stellt er sich auf, krabbelt auf den Bar-Hocker zu meiner Linken und wedelt aufgeregt mit einer Schachtel Zigaretten vor meiner Nase herum. „Naja,“ denke ich. „is’ jetzt eigentlich nicht so meine Marke“. Andererseits muss ich mir eingestehen, den Unterschied zu diesem Zeitpunkt nicht mehr wahrnehmen zu können. Alles ist auf einmal ziemlich weich. Der Barhocker. Meine Stimmung. Vor allem mein Gehirn. Eine Stunde und sechs Herren-Gedecke später sitzen Tresen-Peter und ich noch immer so rum und gucken in unsere Gläser, die abwechselnd leer und voll sind. Er hält Monologe über sein Leben als kleiner Mann, der wenig zu melden und viel zu tun hat. Und über den Staat und die da oben, die alle machen, was sie wollen. Ich überlegte kurz, wen er meint, mit denen da oben. Die Politiker? Die Vögel? Gott? Oder den Mann im Mond? Ich kann meine Gedanken nicht mehr ordnen, tätschele aber vorsichtshalber Tresen-Peters Schulter. Zwischendurch stoßen wir immer wieder für und gegen alles an.

 

Den weiteren Verlauf dieser durchaus kafkaesken Nacht kann ich nur den Spuren entnehmen, die ich am nächsten Morgen an mir finde: Ich, vor der Bar in Tresen-Peters melierter Jeans. Ich schmecke, dass ich nicht schmecke und identifiziere mich nur ungern als mich selbst. Zu Hause versuche ich, die Vorfälle der letzten Nacht unter der Dusche von mir zu spülen, um im Anschluss an einer heißen Tasse Jasmin-Ingwer-Fenchel-Tee zu nippen und mir einen Zwieback der Sorte Brand einzuflößen. Diese krümeligen, trockenen Brotscheiben verleihen mir das Gefühl, unglaublich bettlägerig zu sein. Dann ziehe ich mir meine übergroße Bettdecke über den Kopf, der Schmerz klopft an meinem Schädel und allein dieser Umstand zaubert eine unangenehm schwere, unpässliche Stimmung.

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