Fantasy & Horror
Es hat bereits begonnen Teil 6 - Tagebuch über Ereignisse, die noch stattfinden

0
"Es hat bereits begonnen Teil 6 - Tagebuch über Ereignisse, die noch stattfinden"
Veröffentlicht am 19. Juni 2010, 40 Seiten
Kategorie Fantasy & Horror
http://www.mystorys.de
Es hat bereits begonnen Teil 6 - Tagebuch über Ereignisse, die noch stattfinden

Es hat bereits begonnen Teil 6 - Tagebuch über Ereignisse, die noch stattfinden

Beschreibung

Drei Steine aus der Vorzeit, ein Vulkanausbruch, ein zu interessierter Kurator, ein schwedischer Theatermime und sein geheimnisvoller Agent, eine Katze, die freiwillig ins Wasser springt, ein vierter Stein, der auf einer verschwundenen Zeichnung war. Und zwei Worte, die ich schon einmal gehört habe. Zusammenhang oder Zufall? Was würdet ihr sagen?

16.04.

16.04.

Ständig schwankend zwischen- Was für ein Unsinn - Gibt es einen Zusammenhang - und - Was, wenn ja-  verbrachte ich jede freie Minute mit Grübeln. Zusehend entfernte ich mich von den alltäglichen Dingen, ein Zustand, der sehr unangenehm und auch recht unpraktisch war, da meine sozialen Kontakte und beruflichen Aufgaben darunter litten. Was hätte ich aber auf die Nachfragen ob meiner Zerstreutheit antworten sollen? Was hättet ihr gesagt?

Entschuldigt, ich habe wirklich keine Zeit, ich muss nach Hause mit Steinen spielen?

Selbstverständlich befürchtete ich, langsam dem Verfolgungswahn anheim zu fallen. Eines Abends saß ich wieder vor den aufgereihten Steinen und alles in mir strebte danach, eine Antwort zu finden. Auch diesmal fand ich keine. Ich konzentrierte mich also nicht mehr auf die Frage, was all dies bedeutet, denn dies hatte ich nun schon so lange getan. Ein befriedigendes Ergebnis war nicht zu erwarten. Vielmehr dachte ich darüber nach, was ich tun könnte, um Klarheit zu erlangen.

Ich erkannte, ich konnte nur eines tun, es geschehen lassen. Auch rückwirkend ist mir bewusst, dass dies exakt der Moment war, an dem ich die Tür dem öffnete, zu dem was danach geschah. Hätte ich mich dazu entschlossen, nicht zur Kenntnis zu nehmen, dass eine Bedeutung hinter den Dingen liegen könnte, hätte ich konsequent alle meine Sinne den Ereignissen verschlossen, so wäre es nie geschehen. Aber das konnte ich nicht, denn etwas in mir wusste, dass ich mich nicht der Verantwortung meiner eigenen Geschichte verschließen konnte.

Mit dieser Entscheidung trat aber noch etwas anderes ein, lebte ich die Wochen vorher in einem merkwürdigen Graubereich, konturlos und auch sehr trist, so kamen jetzt die Farben und Töne zurück in mein Leben. Mein Leben, an dem ich euch nun mehr teilhaben lassen werde, damit euer Rat meine Perspektive hat.

Der nächste Stein brachte den Tod mit sich.

Noch immer frage ich mich, ob ich es hätte verhindern können. Hätte ich schneller sein, früher eingreifen müssen?

In den Wochen nach der Begegnung mit der Katze wurde ich zunehmend wachsamer. In dem Haus, das ich von meiner Mutter übernommen hatte, da es ihr zu viel Arbeit geworden war, kontrollierte ich jetzt jeden Abend alle Türen und Fenster. Auch mein Hund, ein großes gelbes Doggenmischlingsmädchen mit ausgeprägten, aber inhaltlich keineswegs gerechtfertigten Denkfalten auf der Stirn, hatte seine innere Ruhe verloren, folgte mir aufmerksam auf Schritt und Tritt, sobald ich zu Hause war. An den Laufspuren im Garten, der das alleinstehende Haus umschloss, konnte ich sehen, dass sie den ganzen Tag Runde um Runde am Zaun Patrouille lief. Ich ließ Lotta nachts bei mir im Zimmer schlafen, das beruhigte uns beide. Doch jede Nacht kam sie auf leisen Pfoten an mein Bett, lauschte auf meinen Atem, schnüffelte kurz an mir, ging die Treppe hinunter, horchte unten im Flur und ging erst dann wieder in ihr Bett, gegenüber dem meinen. Um ein paar Stunden später das Gleiche zu wiederholen.

Als meine Mutter eine Nacht bei mir verbrachte, weil in ihrer kleinen Stadtwohnung der Balkon von Handwerkern für das nun doch langsam kommende Frühjahr gefließt wurde, war sie am nächsten Tag ganz gerädert.

Müde saß sie mir im kalten Morgenlicht in der großen hellen Küche am gedeckten Frühstückstisch gegenüber, rührte in ihrem Kaffee und sagte: "Weißt du, dass Lotta neuerdings nachts auf Wanderschaft geht? Sie ist die Nacht zweimal in mein Zimmer gekommen, hat mir ihre Schnauze ins Gesicht gesteckt und war danach auch noch unten. Das hat sie doch früher nicht getan?"

Natürlich hatte ich mir vorher Gedanken gemacht, wie ich Lottas Kontrollverhalten erklären könnte, sollte sie es auch auf meine Mutter ausweiten. Deshalb antwortete ich mit leichter Stimme "Es sind jetzt nachts immer mal wieder Wildschweine aus dem Wald in unserem Viertel unterwegs. Sie kommen nicht auf die Grundstücke, aber Lotta würde liebend gerne ein Gespräch über territoriale Ansprüche mit ihnen führen. Das Beste ist, du beachtest sie gar nicht. Ich stelle dir das nächstemal einen Stuhl ans Bett, damit du ihrem feuchten Knutschen nachts entgehst. Die Tür solltest du lieber nicht schließen, sonst singt sie dir nämlich auch noch eine Mitternachtsserenade."

Meine Mutter lächelte und schnitt sich beruhigt ein Brötchen auf. Ich habe sie gerne bei mir, sie ist ein sehr liebevoller und gutwilliger Mensch. Als mein Vater vor ein paar Jahren nach langer schwerer Krankheit starb, intensivierte dies unser ohnehin enges Verhältnis, zumal ich auch keine Geschwister habe. Meine Mutter hat dafür drei Schwestern und dies bescherte mir bundesweit einen Haufen Onkel und Tanten, Cousins und Cousinen mit denen wir gerne Geburtstage und Feiertage verbrachten.

Sie schaute mich nun kopfschüttelnd an "Was machst du nur immer mit deinen Haaren, Alina?"

Sie legte ihr bereits geschmiertes Brötchen zurück, stand auf, trat hinter mich und versuchte mit den Händen meine ungekämmten hellbraunen Haare zu glätten. Ein völlig sinnloses Unterfangen, meine langen, leicht welligen Haare hatten sich in der Nacht eigenwillig ineinander verdreht, ohne groben Kamm war da nichts zu machen.

"Dein Vater hatte das gleiche Haar. Es stand ihm immer wirr vom Kopf ab, egal, wie kurz er es trug." Sie gab es auf und küsste mich aufs Haar.

"Du vermisst ihn immer noch sehr", stellte ich mehr fest, als dass ich fragte. Sie seufzte, strich mir übers Haar und setzte sich wieder. "Ja, jeden Tag. Aber nicht mehr so schmerzhaft wie früher. Ich wünschte nur, ich wüsste etwas über seine Familie. Es wäre für uns beide tröstlich gewesen, einen Bruder oder eine Tante von ihm bei uns zu haben."

Wir hatten schon oft darüber gesprochen, dass seine Familiengeschichte so im Dunkeln lag. Meine Eltern hatten sich in den 70igern kennengelernt, er arbeitete als evangelischer Diakon, sie kochte in seiner Diakonie. Er sagte immer, meine Mutter sei das Leckerste, was er je gesehen hat. Das war mir zwar als Kind immer etwas peinlich, aber so hatte meine Mutter für mich auch immer den Glanz einer phantastischen dreistöckigen Sahnetorte.

Mein Vater wurde, direkt von der Schule weg, im 2. Weltkrieg an die Front geschickt, hatte mehrere Schussverletzungen und musste sich im letzten Kriegswinter durch Russland zurück nach Deutschland kämpfen. Immer wenn ich im Fernsehen Dokumentationen sehe, wie sich erschöpfte, ausgemergelte Soldaten an der Ostfront durch den meterhohen Schnee quälen, suche ich in den Gesichtern meinen Vater zu erkennen. Er sprach wenig über diese Zeit. Das Grauen des Erlebten und die Schuld des Begangenen hatten ihn nie verlassen. Sicherlich war seine diakonische Tätigkeit danach eine Form der Wiedergutmachung an den Menschen. Ich weiß nicht, ob er wirklich gläubig war. Auch im Rückblick bezweifle ich dies. Der Glaube war bei uns nie ein Thema, er brauchte ihn auch nicht als Grundlage für sein Tun. Er war viel unterwegs, begleitete persönlich Rat- und Hilfesuchende bei schwierigen Familienproblemen und nahm an Seminaren und Versammlungen teil. Er trug eine innere Unruhe in sich und so kamen ihm diese Reisen sicher recht gelegen. Wir hatten aber auch viel Besuch, die Menschen kamen mit ihren Problemen zu ihm, er hatte immer eine offenes Ohr und Herz. Manchmal schaute ich durch den Türspalt ins Wohnzimmer und sah ihn im Sessel sitzen, sein wildes lockiges Haar mit beiden Händen zurückstreichend, sich dann nach vorne beugend und mit leiser Stimme sanft aber fest seinem Gegenüber zusprechend. Er war ein guter, freundlicher Vater, der mich sehr förderte und mir einen hohen Bildungsanspruch vermittelte.

Als ich 12 Jahre alt war und mich darüber beschwerte, dass einige Mitschüler bei Klassenarbeiten nicht ganz ehrlich waren und damit unverdient besser abschnitten als ich, sagte er "Es geht immer nur darum, dass du dir im Spiegel in die Augen schauen kannst. Es ist für dich nur wichtig zu wissen wer du bist und wer du sein willst. Was andere tun oder lassen, darf für dich keine Bedeutung haben.“" Danach richte ich mich bis heute, auch wenn es manchmal sehr schwer fällt.

Ich ergriff die Hand meiner Mutter "Ja, ein Verwandter von ihm, das wäre schön. Wir könnten ihn fragen, wie er aufgewachsen ist, wie er als Kind war. Wenn ich einmal Kinder haben sollte und sie nach der Familie des Opas fragen, kann ich nichts erzählen. Es ist ein komisches Gefühl, wie ein schwarzes Loch, in das man schaut. Selbst unsere eigenen Recherchen über den Familiennamen haben ja nichts ergeben. Zumal er dir ja auch gesagt hat, dass er im Kinderheim aufwuchs."

Meine Mutter nickte, drehte meine Hand um und sagte träumerisch "Sogar seine Hände hast du, die langen schlanken Finger und die vollendeten Halbmonde der Nägel."

Es klopfte an der Tür, die aus der großen Küche in den Garten führte. Dies holte uns beide aus den zwar angenehmen aber auch immer etwas traurigen Erinnerungen an meinen Vater zurück.

Lotta war bereits mit einem Sprung an der Tür und bellte diese äußerst unfreundlich an. Ich öffnete die Riegel an der Tür, obwohl es mich drängte erst zu fragen, wer da sei. "Seit wann verbarrikadierst du dich denn so?" fragte meine Mutter erstaunt. Vor der Tür antwortete jemand "Seit dem ich wohl der Wolf bin!" Herein kam meine beste Freundin und Nachbarin Marina, von Lotta verliebt halb umgeworfen und sich mühsam bis zu meiner Mutter rettend. Ihr lächelnd die Hand reichend sagte sie "Guten Morgen, Bea, ich wollte Lotta abholen, ihr müsst bestimmt gleich los."

Das war nur zu wahr, denn ich musste nach Dänemark auf eine Dienstreise und vorher noch meine Mutter nach Hause bringen.

Marina und ich kennen uns noch aus der im Ort gemeinsam verbrachten Kindheit. Auch während unserer unterschiedlichen Studiengänge hielten wir den Kontakt. Sie wandte sich den Sozialwissenschaften zu, ich mich den Naturwissenschaften, und als sie eine Familie gründete und wieder in unseren Ort zog, war dies ein paar Jahre später für mich eine weiterer Anreiz, mein Elternhaus zu übernehmen.

Prüfend schaute sie mich an: „Alles in Ordnung mit dir?“ Diese Frage stellte sie mir in letzter Zeit oft und wahrscheinlich auch berechtigt, wirkte ich bestimmt etwas nervös und in mich gekehrt. „Ich lächelte sie an und bemühte mich um einen entspannten Tonfall "Nein, alles bestens, aber du hast recht, wir müssen uns beeilen, wir sind ins Plaudern gekommen und ich bin noch nicht mal geduscht. Aber vielen Dank, dass du Lotta mitnimmst, sie fühlt sich bei dir immer so wohl, dass ich manchmal das Gefühl habe, dass sie sich in den Türrahmen stemmt, um nicht wieder mit mir nach Hause zu müssen." Natürlich war mir klar, dass dies auch mit den immensen Futterportionen zu tun hatte, die Lotta bei Marina bekam und meinem unbestätigten Verdacht, dass der riesige Hund bei einem der beiden Kinder Marinas im Bett schlafen durfte. Aber letztlich war es mir auch nicht wichtig, dass meine Erziehungskonzepte komplett unterlaufen wurden, denn Lotta ging es dort gut, besser als in jeder Hundepension.

Als ich mich an der Gartentür von beiden verabschiedete schaute der Hund so besorgt wie Marina. "Pass auf dich auf und komm gesund zurück." Ich glaube, das sagten sie beide. Ich umarmte sie, strich Lotta noch einmal über den Kopf und lächelte beide gewollt unbekümmert an. "Keine Sorge, die Wikinger werden mich bestimmt nicht behalten wollen, Karl der Kahle wird mich maximal meiner Haarpracht berauben wollen."

Eine Stunde später, als ich meine Mutter an der Haustür absetzte, wiederholte sich das gleiche Gespräch. Neben der Erkenntnis, dass ich in Zukunft offensichtlich meine Wirkung auf mein Umfeld besser kontrollieren musste, stieg in mir auch ein ungutes Gefühl auf. Hätte ich irgendwie gekonnt, hätte ich die Reise abgesagt, aber eine Kollegin war sehr kurzfristig erkrankt und fiel aus, ich hatte keine Wahl.

Der Flug nach Kopenhagen war ruhig und problemlos. Mir fiel nur auf, wie leer der Flieger war, aber dabei dachte ich mir nichts, die Auslastung der Flieger war nach meiner Erfahrung immer mal unterschiedlich. Ich hatte vor, am nächsten Vormittag zurück zu fliegen und deshalb auch nur einen kleinen Businessrucksack als Handgepäck dabei. So kam ich sehr schnell aus dem Flughafen heraus, in einer halben Stunde mit der Bahn in die Innenstadt und noch vor Beginn der allgemeinen Einschreibung auf das internationale Symposium. Ich bat um einen ruhigen Ort, um die Präsentation meiner Kollegin mit meiner zusammenzufügen. Da sie aus Krankheitsgründen ausgefallen war, musste ich nun aus zwei Vorträgen einen machen. Man führte mich in ein leeres Büro und ich konnte dort in Ruhe arbeiten. Auch nach meinem Vortrag und der anschließenden Diskussion musste ich sofort wieder zurück in das Büro, um für die Veranstalter die Präsentation zur Veröffentlichung des Symposiumberichest vorzubereiten. So nahm ich weder am üblichen Welcome unter Berufskollegen, noch an der Begrüßungsrede oder der Verabschiedung teil. Ansonsten wäre ich wahrscheinlich, wie auch meine Kollegen sofort zum Flughafen geeilt. Als ich das Büro verließ, wunderte ich mich zwar kurz, dass alle so schnell gegangen waren, aber einen weiteren Gedanken verschwendete ich daran nicht. Ich schlenderte mit meinem Rucksack auf dem Rücken von der Universität langsam in Richtung Schloss Rosenborg zu meinem Hotel, das sich nicht unweit dessen befand. Ich bin schon des öfteren in Kopenhagen gewesen und nutze immer gerne die Gelegenheit die verschiedenen Parkanlagen und den Hafen zu besuchen.

Ich kam an der St. Petri Kirche vorbei und da Orgelmusik zu hören war, blieb ich einen Moment stehen. Ich konnte nicht ausmachen, was für ein Stück es war, es klang ein wenig nach mittelalterlicher Dudelsackmusik, und trat neugierig näher. Auf einem Veranstaltungsständer im Eingangsbereich stand, dass es sich um Stücke aus dem Buxheimer Orgelbuch um ca. 1460 handelte. Ich trat ein.

Die Kirche war voll und ich ging nur ein Stück an den besetzten Sitzreihen entlang und blieb dann stehen, um einen Moment der Musik zu lauschen. Dies hatte ich als Kind schon in den Gemeinden getan, in denen mein Vater arbeitete oder zu denen ich ihn begleitet hatte und ich empfand es auch als Erwachsene noch als beruhigend und durch die Kraft des Instrumentes zugleich aufbauend. Mein Blick fiel auf eine mannshohe spindelförmige Eiseninstallation über einem Sandbecken. In der Spindel steckten angezündete Bittkerzen, die langsam ihr Wachs auf das Sandbecken tropften.

Ich folgte einem Impuls, holte ein paar Münzen heraus und steckte sie in den dafür vorgesehenen Kasten. Ich zündete eine Kerze an einer der bereits brennenden Kerzen in der Spindel an, konzentrierte mich und bat allen Ernstes um ein Zeichen, ob ein tieferer Sinn hinter den Ereignissen der letzten Monate stände. Nachdem ich die Kerze festgesteckt hatte, trat ich zurück. Ich war über mein Handeln überrascht bis entsetzt. Eine Kirche ob der Musik zu betreten war eine Sache, aber an einer religiösen Handlungen teilzunehmen war nicht in meinem Nichtglaubenssystem vorgesehen und ich empfand es selbst als reichlich heuchlerisch. Aber ich konnte es nun nicht mehr rückgängig machen. Ich entschuldigte mich still bei den Gläubigen und verließ, mich über mich selbst ärgernd, die Kirche.

Als ich an meinem Hotel ankam, liefen in der Lobby auf einem Flachbildschirm Nachrichten in Englisch. Die Sprecherin verkündete vor dem Bild eines rauchenden Vulkans "the mountain of fire in iceland has revived…“. Alle Flüge im Norden Europas wären auf unabsehbare Zeit gecancelt. Erst dachte ich, dass es sich um einen Scherz handelte, aber der Hotelangestellte bestätigte die Nachricht ernst und bot mir an, am Flughafen anzurufen und nachzufragen. Ich lehnte ab, drehte um, wohlweislich ihm vorab mitteilend, dass er mich als eingecheckt betrachten sollte, und eilte zum Flughafen. Mit hunderten anderer Passagiere. Im blendenden Sonnenschein, keine schwarzen Aschewolken in der Luft, kein Fallout, keine Lava wälzte sich durch die Straßen. Es war kaum zu glauben.

Am Flughafen reihte ich mich in die Schlange derer ein, die gestrandet waren. Meine Berufskollegen schienen entweder den letzten Flieger bekommen oder bereits vor Stunden ein Bahnticket ergattert zu haben, ich sah kein bekanntes Gesicht. Nachdem sich die meterlange Schlange in einer halben Stunde nur minimal bewegt hatte und das Infopersonal die Reihen ablief, um sehr freundlich und sehr ungerührt mitzuteilen, dass es keinerlei Prognosen für eine Wiederaufnahme des Flugverkehrs gäbe, gab ich waghalsig meinen Platz in der Schlange auf. Ich lief zum Bahnschalter, in der Hoffnung, doch noch eine Bahnrückfahrt zu erbeuten. Der Schalter war recht weit weg auf der anderen Seite der Halle, doch ich sah schon von weitem die bestimmt 30m lange, sich in Absperrungen windende Schlange. Aber es half nichts, wollte ich nach Hause, musste ich mich anstellen. Anderthalb Stunden später hatte ich das letzte Ticket für einen Schlafwagenplatz in einem Nachtzug ab Schweden in der Hand. Hungrig wie ein Rudel Wölfe musterten mich die in der Schlange verbliebenen. Hätten sie gewusst, dass ich sogar ein Hotelzimmer hatte, Zahnbürste und frische Socken, wäre von mir wahrscheinlich nur ein Zahnimplantat übrig geblieben. Rasch verließ ich den Airport, man darf sein Glück nicht ausreizen.

Im Hotel sah ich dann auf meinem Zimmer die Bilder des Vulkanausbruchs, die auf fast allen Kanälen liefen. Ich war hin- und hergerissen. Einerseits nervte mich natürlich der Gedanke mich morgen über Schweden in einer zwölfstündigen Fahrt nach Hause durchschlagen zu müssen. Andererseits fand ich es auch faszinierend, wie so etwas anachronistisch anmutendes, wie ein Vulkanausbruch in Nordeuropa, unsere auf Mobilität ausgelegte Industrie- und Informationsgesellschaft lahm legen konnte. In dem Moment, als ich anachronistisch dachte, fiel es mir schlagartig wieder ein. Mein unziemlicher Wunsch in der Kirche. Sollte das ein Hinweis, ein Zeichen gewesen sein, dass die Dinge, die Geschehen waren doch eine Bedeutung hatten? Ich nicht einfach nur neurotisch wurde? So schnell, wie mir der Gedanke gekommen war, so schnell verwarf ich ihn wieder. Das erschien mir doch etwas zu konstruiert und unverhältnismäßig. Nur dieser Ausdruck, ‚Mountain of Fire‘ ich hatte ihn schon einmal gehört aber ich kam nicht darauf. Nach einem Telefonat mit Marina und meiner Mutter, beide gleich aufgeregt aber nach Mitteilung meiner Bahnrückfahrt, gleich beruhigt, ging ich ins Bett. Tatsächlich schlief ich gut, den strahlenförmigen Stein in der Hand, wie jede Nacht. Meine Versuche, ihn auf das Bild mit den anderen Steinen zu bringen oder auch allein zu fotografieren, scheiterten bisher, entweder reflektierte er so stark, dass kaum etwas erkennbar war oder aber das Bild war völlig verwackelt. Gut, es ist auch möglich, dass ich nicht mit der tatsächlich sehr komplizierten digitalen Kamera umgehen kann. Jedenfalls konnte ich ihn bisher nicht auf ein Bild bannen.

Da mein Zug ab Malmö erst am Nachmittag ging, hatte ich etwas Zeit zum Sightseeing. Ich entschloss mich in das Nationalmuseum zu gehen. Wanderer, kommst du je nach Kopenhagen und bist heimatlos und unsicher ob deines weiteren Fortkommens, so geh in das Nationalmuseum. Es ist kostenlos, modern, hell, die Toiletten sind sauber, du kannst einen Imbiss erstehen und du kannst deine paar Habseligkeiten kostenlos in ein Schließfach einschließen. Und niemand sagt etwas, wenn du erschöpft eine halbe Stunde auf einer Bank schläfst. Denn dies taten einige, die wie ich gestrandet waren und die Zeit totschlugen.

Aber ich hatte einen Plan, den ich bereits auf dem Hinflug gefasst hatte. Da meine Internetrecherche zu den Steinen bisher ergebnislos war, hatte ich mich vorab informiert und wusste, dass das Museum auch vorgeschichtliche Exponate hatte. Ich wollte schauen, ob ich Steine fände, die den meinen ähnelten.

Zwei Stunden und hunderte von Steinen später wusste ich, dass ich hier wohl nicht fündig werden würde. Ich stand vor der letzten Vitrine, hatte mein Handy in der Hand und verglich ein letztes Mal die Bilder meiner Steine mit den Exponaten, als mich jemand ansprach.

"Excuse me, are you looking for something?"

Ich drehte mich um, vor mir stand ein älterer Mann, der klassische Professor, zerknautschte Anzughose, Hemd mit nachlässig gebundener Krawatte, Brille auf der Nase, und lächelte mich freundlich an. Ich war unschlüssig, ob ich ihn tatsächlich ins Vertrauen ziehen sollte und sagte ihm, dass ich aus Deutschland zu Besuch wäre und mich die Werkzeuge der Vorzeit interessieren würden. Daraufhin wechselte er in ein gutes Deutsch und stellte sich kurz als Kurator der Sammlung vor. Ich entschloss mich, die Gelegenheit zu nutzen. "Ich habe im Kies auf meinem Grundstück Steinwerkzeug gefunden und mich würde interessieren, wie alt sie sind und welche Verwendung sie haben. Meine Suche im Internet war bisher erfolglos, ich bin mir nur sicher, dass sie aus der Vorzeit sind." Ich fand es zu kompliziert ihm mitzuteilen, dass ich den einen Stein in der Bahn gefunden hatte und etwas hielt mich auch davon ab, ihm von dem ersten Steinfund im Schnee zu erzählen.

Er lächelte mich ein wenig von oben herab, obwohl er kleiner war als ich, an, es war ihm deutlich anzusehen, was er von Hobbyarchäologen hielt. Ich hielt ihm mein Handy mit dem Foto der beiden Steine hin. Das Lächeln verschwand sofort aus seinem Gesicht und konzentriert betrachtete er das Bild. Er räusperte sich und fragte mit belegter Stimme, ohne seinen Blick von dem Foto abzuwenden "Wissen Sie woher der Kies kam, in dem die Steine lagen?"

"Nein, das müsste ich erst beim Lieferanten erfragen. Können Sie mir denn etwas über die Steine sagen?"

"Ich habe vor mehr als 30 Jahren einmal eine Zeichnung von ähnlichen Steinen gesehen. Aber auch diese Zeichnung ist hier im Museum bei einem Umzug der Sammlungen verschwunden. Die Herkunft der Zeichnung und auch der Steine war damals schon völlig unklar. Die Speer- oder Pfeilspitze ist der Jagd, wahrscheinlich der Fischerei zuzuordnen und das andere Werkzeug ist eine Art Steinpickel, um aus dem Steinbruch gewonnene Steine im Detail zu bearbeiten. Soweit ich mich erinnere, war auf der Zeichnung auch eine Art spitzer Griffel, dessen Verwendung vielleicht in Richtung Fellbearbeitung ging."

Er schaute kurz hoch und sah mich prüfend an "Diesen Stein haben Sie nicht gefunden?"

Wahrheitsgemäß sagte ich nein. "Aber was können Sie mir über die Herkunft oder das Alter der Steine sagen?"

"Nicht viel. Mit großer Wahrscheinlichkeit kommen sie aus ganz unterschiedlichen Regionen. Sie sind auf jeden Fall viele Tausende von Jahren alt."

Er zögerte kurz und bemühte sich dann um einen leichten Plauderton "Wissen Sie was, geben Sie mir Ihre Adresse und ich schicke Ihnen ein Spezialbehältnis in dem Sie uns die Steine zurücksenden können. Wir machen dann eine Bestimmung und danach bekommen Sie sie selbstverständlich zurück."

Während er dies sagte, war mein Blick auf einen Mann hinter ihm gefallen, der auf der anderen Seite des großen Raumes stand und dessen Torso im dunklen Anzug ich durch eine Reihe von Vitrinen sehen konnte. Er fasste sich an die linke Brust und stützte sich dann schwer auf eine Vitrine, die laut knackte.

Ich ergriff den Kurator aufgeregt am Arm und zeigte auf den langsam zu Boden gehenden Mann. "Ich glaube, er hat einen Herzinfarkt!" Er drehte sich um, erfasste die Situation und rief mir im Weglaufen noch zu "Gehen Sie nicht weg, ich bin gleich wieder bei Ihnen!"

Aber ich fühlte mich schon bei seinem, sicherlich gut gemeinten, Begutachtungsangebot unwohl und folgte meinem Instinkt, mir schnell meinen Rucksack aus dem Schließfach zu holen und auf direktem Wege das Museum zu verlassen.

Ich suchte mir eine stille Bank am Hafen und versuchte meine Gedanken zu ordnen. Die Steine waren also bekannt und aus der Reaktion des Kurators entnahm ich, dass sie, zumindest aus archäologischer Sicht, nicht uninteressant waren. Die Verwendung für den  Fischfang und die Steinbearbeitung waren recht offensichtlich. Das es allerdings nur eine Zeichnung und keine vorhandenen ähnlichen Exponate gab, war allerdings überraschend, da ich die Steine in Form, Verwendung und Fertigung keineswegs außergewöhnlich fand. Auch im nach hinein war ich froh über meine Entscheidung gegangen zu sein, der Kurator war mir irgendwie zu interessiert. Aus meinen eigenen Recherchen wusste ich, dass die Steine nun wirklich keine Schätze darstellten. Etwas anderes daran war für ihn von Wert. Aber was nur?

Wieder eine Informationssackgasse.

Ich versuchte zu beurteilen, ob ich das hoffentlich auch für ihn war, oder ob er mich wiedererkennen oder ausfindig machen konnte. Und er war schon aus beruflichen Gründen ganz sicher ein geschulter Beobachter. Was also wusste er von mir?

Sie ist aus Deutschland, hat ein Haus mit Kies in der Einfahrt, wohnt also wahrscheinlich nicht in einer Großstadt. Sie ist etwas größer als ich, also etwas über 1.70m, um die 30, hellbraunes Haar, Länge unklar, da sie es in einen Dutt gezwungen hat. Sie trägt Businesskleidung, sie ist also aus beruflichen Gründen hier und scheint gebildet. Und jetzt gehe ich mal die gestern stattfindenden internationalen Veranstaltungen durch, der Rest ist ein Kinderspiel oder ich suche die Möglichkeiten heraus, mit der Bahn nach Deutschland zu gelangen und stelle mich einfach am Bahnsteig auf. Blumen wären da bestimmt nett.

Mir wurde noch ein wenig unwohler. Der Vorfall mit dem alten Mann im Museum kam zwar wie gerufen, um mich aus den Fängen des Kurators zu befreien, erschien aber nach meinen letzten Überlegungen überflüssig und auch irgendwie zu punktgenau. Den letzten Gedanken verwarf ich aber, ich musste Acht geben, nicht zu paranoid zu werden.

Ich ging zurück in die Innenstadt, mich ständig umschauend und die Gegend nach verdächtigen Personen absuchend. Man glaubt gar nicht, wie viele Leute suspekt erscheinen, wenn man ersteinmal diesen Beobachtungsfilter eingesetzt hat. Ich aß bei einem Araber zu Mittag. Genießen konnte ich dies nicht, zuviel ging mir durch den Kopf und auch die bevorstehende Fahrt in der Schlafsardinenbüchse lag mir schwer im Magen. Also genehmigte ich mir in einer kleinen Bar einen sehr frühen Mojito, dieser beruhigte sowohl meine Nerven als auch meinen Magen. Ein erprobtes Mittel, ich gestehe, ich habe zu Hause sogar ein kleines Pfefferminzbeet dafür, welches auch Marina sehr zu schätzen weiß.

Trotzdem löste ich auf der Toilette des Restaurants mein Haar und wechselte das Jacket, ich hatte glücklicherweise  zwei dabei. Mit der Sonnenbrille auf der Nase wagte ich mich zum Kopenhagener Hauptbahnhof. Ich nahm einen viel zu frühen Zug nach Malmö, verbarg mich in Agentenmanier hinter einem Pfeiler und stieg auch erst ein, als der Bahnsteig leer war und der Schaffner bereits pfiff. Niemand war mir aufgefallen, nichts war ungewöhnlich, ich entspannte mich, ich hatte mich viel zu wichtig genommen.

Die Fahrt nach Malmö verlief ruhig und problemlos. Die Mitreisenden setzten sich zusammen aus Leuten, die versuchen wollten etappenweise nach Hause zu kommen, da sie keine Gesamtstrecke hatten buchen können und Reisenden, die wie ich den Nachtzug nehmen wollte. Überall war der Vulkanausbruch in aller Munde, so auch hier. Ich erfuhr, dass ich es geschafft hatte in den vorangegangenen Tagen um alle Informationen, die den Vulkanausbruch bereits ankündigten, herumzukommen. Tatsächlich hätte ich es wissen und die Reise einfach absagen können.

Als wir ankamen, war der Nachtzug bereits da. So musste ich mich nicht in der Stadt herumtreiben, sondern konnte mich in Ruhe in mein Schlafschliessfach zurückziehen. Dachte ich.

Schon als ich einstieg, konnte ich ihn hören und als ich in den Gang meines Abteils einbog, konnte ich ihn auch sehen. Und drei Schritte später durfte ich ihn kennenlernen. Nils, den grossen schwedischen Theatermimen. Auch körperlich gross, bestimmt an die 2m hoch und fast ebenso breit, mit langer blonder überraschender Rastafari Frisur, in roter Leinentunika und mit einem riesigen schwarzen Eisenkreuz um den Hals, welches bei ihm klein wirkte, mich aber beim Kentern der Fähre wie ein Mühlstein in die Tiefe gezogen hätte. Gefolgt, oder eher überwacht, wurde er von seinem in Armani gekleideten ungarischen Agenten Andresch mit Bon Jovi Gedächtnisfrisur und am Ohr festgewachsenem Handy. Nils sah mich, lächelte mich breit an und sang begeistert in tiefstem Bass seine schwedische Endlosarie weiter. Leider gehörte das Singen nicht zu seinen Kernkompetenzen, schon gar nicht in dem sturzbesoffenen Zustand, in dem er sich befand.

Er versperrte mir und den nachfolgenden Reisenden den Weg und ich entschloss mich zur Taktik der eiskalten Höflichkeit. Ich lächelte ihn also nicht amüsiert an, obwohl ich ihn als Phänomen ganz entzückend fand, und ignorierte das begeisterte Grinsen und englische Vorstellungsgeplänkel seines Agenten, der offensichtlich hoffte, das Abteil, oder mehr, mit mir zu teilen. Ich schaute beide nur kühl mit leicht hochgezogenen Brauen an, machte eine ungeduldige Bewegung mit der Hand, die auf ihr Versperren hin deutete, und blieb abwartend stehen. Als ihnen klar wurde, dass mit mir weder gut Kirschen essen noch gemeinsames Singen zu erwarten wäre, drückte Andresch seinen schwankenden Mimen in das nächste Abteil und liess mich vorbei. Die nachfolgenden Reisenden mussten allerdings neu verhandeln, um sich einen Durchgang zu verschaffen.

Mein Abteil war mit mir dann vollzählig. Zwei x drei Schlafplätze auf ca. 4qm. Und kein Entkommen in einen Speisewagen oder Sitzplätze in einem anderen Waggon. Es war ein reiner Liegendtransport. An dieser Stelle entschuldige ich mich für alle Eier, die ich je aus Hühnerkäfighaltung verspeist habe.

Meine Mitschläfer kamen aus Ost- und Südeuropa und lagen bereits ergeben in ihren Kojen. Ich hatte ein mittleres Bett, kletterte hinein, bezog mein Kopfkissen und legte mich ebenso ergeben hin. Aber Nils hatte offensichtlich sein Publikum in uns gefunden und wechselte von Abteil zu Abteil, von schwedisch zu englisch, von tragischem Vortrag zu schwungvollem Trinklied.

Als sich der Zug nach anderthalb Stunden in Bewegung setzte, atmete alles auf. Dachten sie, er könnte während der Fahrt sein Repertoire nicht umsetzen? Er konnte.

Als wir eine weitere halbe Stunde später in Trelleborg an der Fähre nach Deutschland ankamen, hatte Nils mehrere Reisende zu seinen neuen besten Freunden erklärt, dies mit vielen feuchten Küssen und weiteren Bieren besiegelt, während sein Agent hinter ihm hereilend und ihn vor Stürzen und größeren Verletzungen bewahrend, mit geheimnisvoll leiser Stimme dem einen oder anderen Mitreisenden, natürlich nur unter seiner Führung, eine große Zukunft vorhersagte.

Es dämmerte bereits und wir konnten aus dem Zugfenster die hellerleuchtete Fähre sehen, die bereits Ladung aufnahm. Der Schaffner ging durch den Zug und teilte fröhlich mit, dass es noch eine Weile dauern würde, bis wir an Bord fahren könnten. Ich war mit meiner Geduld am Ende. Der Sauerstoff im Abteil war schon lange aufgebraucht und irgendwie hatte ich auch das Gefühl, dass ich den Platz in meiner Box verbraucht hatte und mein Vertrauen in die Konstruktion des über an mir angebrachten Bettes war durch mehrfaches Knacken der Scharniere auch geschrumpft. Ich musste hier raus.

Auf dem Gang war nach wie vor Nils unterwegs, aber es hieß jetzt er oder ich. Ich griff meine Handtasche, zog mir die Schuhe an und kletterte den Baum wieder hinunter. Kampfbereit trat ich in den Gang. Andresch begann gerade eine Diskussion in Englisch mit dem Schaffner, da Nils es sich in den Kopf gesetzt hatte, aussteigen und eine Zigarette rauchen zu wollen. Nils umarmte bittend den Schaffner, strich ihm mit seiner riesigen Hand freundlich über den Kopf und küsste ihn von oben auf den Scheitel. Dann ließ er ihn los und fiel langsam rückwärts einfach um. Der ganze Wagen bebte. Ich verbuchte dies als Sieg für mich, stieg über ihn hinweg, lächelte den fassungslosen Schaffner und den verblüfft auf seinen Schützling starrenden Agenten an und ging zur Tür, die bereits andere Reisende öffneten, um sich die Beine zu vertreten.

Die kalte Luft nahm mir nach dem überheizten Zug ersteinmal den Atem und mir wurde sofort kalt. Ich ging schnell am Hafenbecken entlang, um meinen Kreislauf in Schwung zu bringen.

Dann blieb ich am Hafenbecken stehen und schaute zu, wie in der untergehenden Sonne die Autos und LKW’s  auf die Fähre fuhren. Mein Blick fiel neben mir auf einen Haufen Betonreste, die wohl von Bauarbeiten übrig geblieben waren. Ich bückte mich und griff ein paar Brocken, um sie ins Wasser zu werfen. Gut, ich hatte mehr eine Vorstellung davon, wie dies elegant aussieht, als tatsächliche Übung.

Ich hob die Hand und warf einen Stein in Richtung Wasser, als ich eine Art hohes Schreien hörte. Nur ein paar Meter von mir entfernt, kam eine Katze laut miauend hinter einem Poller hervor und sprang dem Stein hinterher, der schon auf seinen Weg durch die Luft in Richtung Wasser genommen hatte.

Ich erkannte sie sofort, es war die Katze aus dem Wald!

Durch die Ablenkung hatte mein Wurf nur halbe Kraft und der Stein kam noch auf den Quai zu Fall aber die Katze konnte ihr Tempo nicht mehr stoppen und trotzdem sie im Sprung noch versuchte sich zu kontrollieren, kam sie erst an der Quaimauer wieder auf die Füße, rutschte über den Rand und fiel ins Wasser. Einer meiner Mitreisenden hatte den Vorfall gesehen, eilte herbei und konnte mich gerade noch davon abhalten einfach hinterher zuspringen. Völlig entsetzt mussten wir beide zusehen, wie die Katze von der Strömung mitgezogen wurde, verzweifelt versuchte zu schwimmen und dann aus unseren Augen verschwand. Ich zitterte am ganzen Körper. Der Mann lies mich los, ging an den Rand des Quais, bückte sich und hob den Stein auf, den ich geworfen hatte. Er brachte ihn mir: "That is what she was after, it’s a stone, I can’t believe it."

Ich nahm den Stein, es war kein Betonrest. Ich wusste es, bevor ich ihn anschaute, es war der dritte Stein, von dem der Kurator gesprochen hatte. Er musste im Betonhaufen gelegen haben und ich hatte ihn im Halbdunkel mitgegriffen.

Der Mann und dessen Frau brachten mich fürsorglich zurück in mein Abteil, an dem wiederauferstanden Nils vorbei. Mein Gesichtsausdruck musste ihm in seiner Ausdrucksstärke der ultimativen Warnung wohl Respekt abverlangt haben, er sagte kein Wort und folgte brav seinem Agenten in deren Abteil. Ich kletterte in mein Bett, auf meinem Kopfkissen lag die Reiseinformation der Bahn, jemand musste sie dort abgelegt haben.

Ich machte mit noch zittriger Hand meine kleine Bettlampe an, um zu sehen, wie lang ich in diesem Zug noch ausharren musste, bevor ich endlich allein sein und meine Gedanken ordnen konnte. Auf den Rand des Infofaltblattes hatte jemand etwas mit einer sehr hohen spitzen Handschrift und einem ganz dünnen Stift geschrieben.

Maloya Loth

Ich richtete mich so schnell auf, dass ich mir den Kopf an dem Bett über mir stieß und der darin Schlafende unwillig brummte.

Maloy Loth. Dies waren die letzten Worte, die mein Vater vor seinem Tod zu mir gesagt hatte.

Den Rest der Nacht verbrachte ich allein auf einem der Notsitze im Gang.

 

http://www.mscdn.de/ms/karten/beschreibung_36658-0.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/beschreibung_36658-1.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_226623.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_226624.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_226625.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_226626.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_226627.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_226628.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_226629.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_226630.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_226631.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_226632.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_226633.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_226634.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_226635.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_226636.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_226637.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_226638.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_226639.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_226640.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_226641.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_226642.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_226643.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_226644.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_226645.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_226646.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_226647.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_226648.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_226649.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_226650.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_226651.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_226652.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_226653.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_226654.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_226655.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_226656.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_226657.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_226658.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_226659.png
0

Hörbuch

Über den Autor

aval

Leser-Statistik
49

Leser
Quelle
Veröffentlicht am

Kommentare
Kommentar schreiben

Senden
Zeige mehr Kommentare
10
0
0
Senden

36658
Impressum / Nutzungsbedingungen / Datenschutzerklärung