Kurzgeschichte
Der OCB-Truck - Eine Kalkulation

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"Der OCB-Truck - Eine Kalkulation"
Veröffentlicht am 01. Juni 2010, 6 Seiten
Kategorie Kurzgeschichte
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Der OCB-Truck - Eine Kalkulation

Der OCB-Truck - Eine Kalkulation

Beschreibung

Wie man zu keinem Ergebnis kommt.

Heute morgen sah ich einen OCB-Truck vor meiner Haustür.

Sofort dachte ich: "Was will der OCB-Truck hier?", aber dann fiel mir der kleine Zeitungskiosk im Erdgeschoss ein. Hat gerade erst aufgemacht. Türke.
Schlaftrunken beobachtete ich die beiden Männer in schwarzen Overalls, die kistenweise Zigarettenpapier aus dem Truck herausholten und in den Laden brachten. Eines nach dem anderen. Dutzende. Hunderte.
Ich stellte mir den Truck von innen vor: Bis zur Decke vollgestopft mit Zigarettenblättchen.
Ich fragte mich, was man wohl mit derartig vielen Zigarettenblättchen anfangen solle. Ein Kunstprojekt? Ein Kettenraucher? Kriegsvorbereitungen?
Als ich die Ungewissheit nicht mehr aushielt, nahm ich Zettel und Stift zur Hand und machte ein paar Rechnungen auf.
100 Blättchen pro Packung. 25 Packungen pro Schachtel. 50 Schachteln pro Großgebinde...
Ich rechnete hin, rechnete her, schätzte Verpackungsvolumina und Sicherheitsabstände, nahm Maß am natürlichen Objekt und kam auf ein unfassbares Ergebnis.
Mit glatten Augen starrte ich auf das Papier, als plötzlich das Bild eines riesenhaften Tabakhaufens aufstieg, so hoch, dass sein Gipfel durch die Wolken stieß.
Wieder musste ich rechnen, wie von Dämonen getrieben.
Durchschnittliche Zigarettenradien und Bruttorohgewichte schlugen vor meinen Augen Kabolz, Spezifische Dichten und Maximale Komprimierungsgrade tanzten in meinem Kopf einen Reigen.
Die Anwendung des Allgemeinen Gesetzes zum Kegelvolumen brachte mich auf eine gigantische Zahl.
Ich ließ den Stift sinken.
Vor meinem geistigen Auge waberten opake Kohlenmonoxidwolken, breiteten sich mattschwarz brodelnde Teerseen aus.
Da griff ich zum Stift und rechnete, als würde man mich mit einem Revolver bedrohen.
Ich kalkulierte das Verhalten von Gasen, Athmosphärendesigns. Ypern, dachte ich. Ypern!
Ich googelte. Es reichte nicht.
Ich betrachtete das Fassungsvermögen der Meere. Ihre aufgeworfenen Hänge, ihre düsteren Tiefen. Das Tote, dachte ich. Das Tote!
Ich googelte. Es reichte nicht.
Und wieder saß ich schweigend da.
Unwillkürlich musste ich an schwarz verklebte Lungen denken. Lungen! Wie sie aufgeschnitten daliegen auf einem stählernen Tisch und nicht mehr atmen...
Ich rechnete. Recherchierte Mortalitätsraten. Studierte die Bronchien. All das.
Der Zettel war vollgeschrieben, ich nahm einen neuen.
Leichen, dachte ich. Leichen!
Berge...
Gruben...
Ich ließ den Stift ein letztes Mal sinken.
Die Rechnung war abgeschlossen.
Mein Blick fiel auf das Tabakbeutelchen, die Blättchen.
Wie viel? dachte ich.
Wie viel?
Dann ging ich duschen.

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Luzifer Und - beim nächsten Mal die Berechnung der Zuckeraufnahme, den Gewichtszuwachs und die damit einhergehende Verschiebung der Erdachse, wenn einer den Süßkram liefert...
Die Übertreibungen sind stellenweise gut gewählt, doch durch die ganze Rechnerei verliert es an Substanz und realen Bezug. Vor allem, da so viele Rechnungen und Rechnungsarten wesentlich mehr als einen Zettel+1 benötigen.
Es ist verwunderlich, dass es nicht die Annahme gab, dass die ganzen Blättchen allein für den "Türken" und seinen Kundenkreis bestimmt sind.

Luzifer
Vor langer Zeit - Antworten
Gunda Sehr löblich ... - .... dass dein Ich-Erzähler anschließend duschen ging und nicht etwa dachte: "Ach, was solls", und sich eine drehte ...

Ein hervorragend aufgebauter und auch sprachlich sehr ansprechender Text, Wortverdreher. Ich muss allerdings gestehen, dass ich auch etwas schmunzeln musste, alleine schon wegen der diversen Berechnungsformeln und den darin einfließenden Faktoren, die du eingebaut hast. Klasse.

Lieben Gruß
Gunda
Vor langer Zeit - Antworten
Wortverdreher Re: Amüsant -
Zitat: (Original von BrianBrazzil am 01.06.2010 - 09:46 Uhr) und zumindest mich hat es nachdenklich gestimmt, obwohl ich nicht weiß, ob das bei diesem Text beabsichigt war...

Sehr locker geschrieben, schnörkelos und kurz, großes Lob ;)

Gruß
Brian


Huch.
"Amüsant" sollte das eigentlich nicht sein. Übertreibungen sind natürlich immer etwas amüsant.
Der Text behandelt aber eigentlich eine *ernste* Frage, die ich mir schon öfter mal gestellt habe:
Wieviele waren's bisher?
Da will man natürlich nicht nachrechnen!
Das Bild vom Tabakhaufen ist mir aber durchaus geläufig.

Wortverdreher.
Vor langer Zeit - Antworten
Wortverdreher Re: man -
Zitat: (Original von Rajymbek am 01.06.2010 - 07:31 Uhr) kann's ja echt übertreiben, wenn man vor Hunger nicht in den Schlaf kommt, oder? Schmunzel

LG Roland


Natürlich.
Das ist alles maßlos übertrieben.
Meistens neigen Raucher ja zum untertreiben...

Wortverdreher.
Vor langer Zeit - Antworten
BrianBrazzil Amüsant - und zumindest mich hat es nachdenklich gestimmt, obwohl ich nicht weiß, ob das bei diesem Text beabsichigt war...

Sehr locker geschrieben, schnörkelos und kurz, großes Lob ;)

Gruß
Brian
Vor langer Zeit - Antworten
Rajymbek man - kann's ja echt übertreiben, wenn man vor Hunger nicht in den Schlaf kommt, oder? Schmunzel

LG Roland
Vor langer Zeit - Antworten
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