Der Staub der Ebene hüllte Hariko ein, mischte sich mit den Schweißfetzen, die dem Braunen vom Maul flogen, als sie auf den Wald zu galoppierten. Trotzdem wurde der Wallach noch flacher, als sähe auch er die Hügelkette über dem Wald aufragen. Atlantis. Insel des ewigen Frühsommers, linde Brisen über weiten Feldern, hier das Korn gerade gekeimt, daneben reife, volle Ähren. Ein Paradies, das sich nur einmal auf dieser Erde fand. Ein gesegnetes Archipel, dessen Völker gar nicht wussten, dass sie auf den Inseln des ewigen Glücks wohnten. Hariko zügelte den Braunen, spürte den Widerstand, wusste, dass auch der Wallach sich nach den Gärten der geheimen Stadt sehnte. Aber noch hatten sie einen halben Tag vor sich, im Schatten der riesigen Eichen, in denen Orchideen wuchsen und Weinreben, Phlox und wilde Rosen den Weg wiesen. Heute Abend waren sie zuhause, ein Bad im Kratersee, bevor sie den letzten Teil des Weges hinterlegen mussten. Der Reiter zog das Halstuch vom Gesicht und parrierte den Wallach durch. Staub senkte sich klebrig auf seine Wangen und das Fell des Braunen, doch hinter den roten und gelben Wolken waren die ersten Baumriesen zu erkennen. Das Pferd witterte und schnaubte, als würde es die Heimat riechen. Wie er, den die Insulaner als den Reiter kannten und die Atlanter Hariko getauft hatten.
Kapitel 1 – Das geheimnisvolle Buch
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Der Staub der Ebene hüllte Hariko ein, mischte sich mit den Schweißfetzen, die dem Braunen vom Maul flogen, als sie auf den Wald zu galoppierten. Trotzdem wurde der Wallach noch flacher, als sähe auch er die Hügelkette über dem Wald aufragen.
Atlantis. Insel des ewigen Frühsommers, linde Brisen über weiten Feldern, hier das Korn gerade gekeimt, daneben reife, volle Ähren. Ein Paradies, das sich nur einmal auf dieser Erde fand.
Ein gesegnetes Archipel, dessen Völker gar nicht wussten, dass sie auf den Inseln des ewigen Glücks wohnten.
Hariko zügelte den Braunen, spürte den Widerstand, wusste, dass auch der Wallach sich nach den Gärten der geheimen Stadt sehnte. Aber noch hatten sie einen halben Tag vor sich, im Schatten der riesigen Eichen, in denen Orchideen wuchsen und Weinreben, Phlox und wilde Rosen den Weg wiesen. Heute Abend waren sie zuhause, ein Bad im Kratersee, bevor sie den letzten Teil des Weges hinterlegen mussten.
Der Reiter zog das Halstuch vom Gesicht und parrierte den Wallach durch. Staub senkte sich klebrig auf seine Wangen und das Fell des Braunen, doch hinter den roten und gelben Wolken waren die ersten Baumriesen zu erkennen. Das Pferd witterte und schnaubte, als würde es die Heimat riechen. Wie er, den die Insulaner als den Reiter kannten und die Atlanter Hariko getauft hatten.
Er senkte seine Fersen in die Flanken des Wallachs und trieb ihn langsam vorwärts, tastete nach den Satteltaschen, alles da.
Vorsichtig lenkte er das Pferd durch die Schwertbuschwüste, die den Waldrand abschirmte, vor allzu neugierigen, allzu mutigen Insulanern, die sich von den Legenden nicht abschrecken ließen. So was kam vor. Doch hier, wo ihnen die fingerlangen Dornen der wilden Rosen wie Speerspitzen, die langen Blätter der Agaven wie Sägen entgegestarrten, gaben auch die letzten auf. Und Atlantis blieb sicher, denn nur vor den Reitern und den Atlantern selbst wischen die Büsche zurück und gaben den geheimen Weg frei, als wüssten sie, wer im Refugium zuhause war und wer nicht.
Heimat. Das hieß ewiger Frühsommer, Überfluss an allem, Düften, Ernten und Liebe. Ein Paradies, unerkannt inmitten üppigster Vegetation. Und über allem wachte der Gipfel des Taida, krönte sich manchmal mit Rauchschleiern oder hüllte sich dann wieder in kühles Wolkenmeer, gebot auch den wenigen Einhalt, die sich in den letzten achthundert Jahren nicht gleich beim Anblick der Schwertbüsche zur Umkehr entschlossen haben. Dass es ein Trugbild war, das den friedlichsten aller Vulkane zum Leben erweckte, konnten und durften sie nicht wissen. Nicht, wenn Atlantis leben sollte.
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Hariko, sah sich um, bevor er an den Kristall, griff. Das Tor öffnete sich, auf dem Palasthof zügelte er das Pferd, das es sich einmal im Kreis drehte, das Tor schlug zu und ein magisches Kraftfeld sicherte das Areal vor Eindringlingen. Vor ihm lagen der Palast und der ins Mondlicht getauchte Brunnen mit den Blumenrabatten.
Die Tore des Areals wurden nicht unbemerkt geöffnet. Brakan, das höchste Mitglied eines Geheimbundes, und gleichzeitig leitender Magister für die Unterrichte, sah aus dem Fenster der oberen Etage seines kleinen Hauses auf den Hof und Hariko. Eine Gewitterfront zog auf. Regen peitschte über den Hof, spritze in großen Fontänen von Dächern und Giebeln. Mit ein paar Schritten war er am Stall und schob das Tor auf. Ein letzter Blick über den Hof. Gleißend hell schlug der Blitz neben dem Brunnen in den Boden, der Braune scheute, riss sich hoch und schlug mit den Vorderhufen wild in der Luft umher.
"Netter Empfang", dachte Hariko und schob alles auf die Heilige vom Vulkan. Die Insulaner glaubten alles was man ihnen erzählte, so auch an den Zorn einer unbekannten bösen Macht.
Die hier in der geheimen Stadt lebendenden dachten anders, sahen die Naturgewalten aus einer anderen Sicht.
„Ich erwarte dich dann im Haus. Komm durch den Stall“, rief Brakan ihm entgegen.
Das Wetter wollte sich nicht ändern, mürrisch sahen sie auf den Hof.
„Da hatten wir noch einmal Glück.“
Brakan nickte.
„Trotzdem, wir haben den Regen gebraucht. Das Korn wurde schon gelb.“Â Â Â Â
Nachdem Hariko das Pferd versorgte, betrat er das Haus.
Ein weiterer Teller und Becher wurden hinzugestellt. Hariko war mit dem Essen sichtlich zufrieden.
„Ausgezeichnet. Sage deiner Frau sie, kocht sehr gut“, er griff zu einem Stück Brot.
„Wegen des guten Essens habe ich den weiten Weg nicht gemacht.“, er blickte auf das Päckchen.
Brakan, stellte einen Krug mit Wein auf den Tisch. Er musste sich tief herunterbeugen, so sehr überragte er die anderen Atlanter. Und war trotzdem erstaunlich muskulös für sein Alter. Selbst die schulterlangen Haare waren immer noch schwarz. Ihre Blicke trafen sich. Graubraune Augen blitzen schelmisch über der Knollennase auf. Nicht einmal zu einer Gelegenheit wie dieser verfiel der Meister der Magister in den sonst in seiner Zunft so verbreiteten Ernst.
„Du hast dich nicht verändert, Brakan.“ Hariko schnürte das Päckchen auf.
„Du kommst wegen der Legende?“, der Magister streifte das Bündel mit seinem Blick, als vermute er, dass es den letzten Teil der Fackel der Wahrheit enthalte und wolle jeden näheren Kontakt vermeiden. Kluge Entscheidung.
„Wir müssen unbedingt herausfinden, welches Zwillingspaar für die Aufgabe ausersehen ist, Brakan. Jetzt. Die Zeichen sind eindeutig.“
„Was die Sache nicht leichter macht.“ Brakan hob seinen Becher.
„Zwei Elternpaare, hier geboren, wie die Prophezeiung es verlang, haben Zwillinge, wie die Prophezeiung es verlangt. Sie ...“, er prostete der Herrscherin des Berges zu, „könnte es uns wirklich leichter machen.“
„So sind die Götter.“ Hariko dachte an das Gewitter. Ein Zeichen? Ein Schülerstreich?
„Also, wen haben wir auf der Liste?“
„Harifa und Hatiem, die Kinder von Sirani und Miguel. Shorny und Sonmo, die Kinder Pedro und Shirah.“
Die Augen des alten Mannes wurden weich.
„Ich sehe Shirah vor mir, als wäre ihre Abschlussprüfung gestern gewesen. Mit einem Dreh entzündete sie den Feuerring und lief hindurch. Ohne von den Flammen, auch nur berührt zu werden.“
Hariko grinste. Das würde ihr gar nicht gefallen, dass Brakan immer noch die zweite Silbe des Namens betonte und ihn dabei derart in die Länge zog.
„Ist das wirklich schon siebzehn Jahre her?“
„Länger, alter Freund, viel länger, die Zwillinge sind siebzehn.“
„Nein nein, Hariko. Die Zwillinge wurden hier geboren. Siebzehn Jahre. Es ist siebzehn Jahre her.“
Hariko drehte den leeren Becher in der Hand.
„Erzähl mir von Shirahs Sohn!“
So sehr er die Gespräche mit Brakan vermisst hatte, die Zeit rannte ihnen davon und wenn der Alte erst einmal ins Schwärmen geriet, würde es Stunden dauern, bis sie zur Sache kamen.
„Das Gegenteil seines Vaters. Haben nur Streiche im Kopf, er und seine Schwester.
„Bei unserem Glück sind sie es.“ Hariko grinste. Brakan nicht.
„Ein einziger Fehler, und es kostet nicht nur ihr Leben. Mir wären die anderen lieber.“
„Mir auch.“ Hariko nippte an seinem Wein und überlegt, wie er seinem alten Freund die anderen schlechten Nachrichten beibringen sollte.
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„Guten Morgen Brakan“, noch verschlafen betrat Hariko das Archiv im Palast.
„Du bist schon munter? Mir steckt der Ritt noch in den Gliedern. Jetzt fällt es mir ein, du wartest auf deine Frau und die Enkel. Bei dem Wetter von gestern Abend zogen sie sicher eine Übernachtung in Paritago vor.“
Brakan sah seinem Freund entgegen, der sich zu ihm ans Fenster bemühte.
„Wir kommen in der Sache einfach nicht weiter. Es fehlen weitere Hinweise. Mit Sicherheit gibt es Aufzeichnungen. Aufzeichnungen, die erwarten, dass sie nach achthundert Jahren endlich gelesen werden. Noch zwanzig Jahre, dann wird die Sternenkonstellation die Position erreicht haben.“
„Wir sind im Greisenalter und sehen kaum älter als die Eltern unserer Schüler aus. Es muss einen Grund dafür geben.“
Hariko teilte die Gedanken seines Freundes. Neue Schüler waren nicht gemeldet, und die Anzahl der hier seit Jahrzehnten Ausgebildeten hielt sich in Grenzen.
„Alle haben das gleiche Merkmal. Sie werden nicht schnell älter.“
„Ich kann dir nichts vormachen. Es würde kein Vermächtnis geben, wenn es keine Feinde gibt. Bisher haben die Senatoren von Atlantis die Provinzen Kaya und Paritago in Ruhe gelassen. Brakan, deine Kinder halten sich in Notronicos auf.“
„Schande genug, das die Senatoren die Hauptstadt mit dem Namen dieses Verräters ehren. Notronicos war der abtrünnige Magier der das Unheil über Atlantis und seiner großen Nebeninseln brachte“, Brakans Blicke aus dem Fenster erfassten das kleine Wäldchen. In der geheimen Stadt, hinter dem Wäldchen waren die Familien von Hariko und ihm zuhause. Selbst den Schülern war diese kleine Stadt, so bezeichnete Hariko den ehemaligen, auf einer Insel liegenden, Gefährtentrakt des königlichen Areals, nicht bekannt.
„Ist es wahr, dass sich die Senatoren mit dem Anführer der Küsten- und Landräuber Zembra, verbündet haben?“
Hariko blieb still, jetzt musste er seinem Freund alle Neuigkeiten offenbaren, die guten wie die schlechten.
„Torak, der Nachfahre des verräterischen Magiers, hat Zembra und die atlantischen Senatoren für sich gewinnen können. Mehr weiß ich im Augenblick nicht. Ich sagte es bereits, deine Kinder sind für unseren Geheimbund in Notronicos tätig. Was wir in Erfahrung brachten ist, dass Zembras Neffe, Caridam heiß er glaube ich. Das dieser Neffe sich in Deribal befindet.“
„Warte einen Augenblick, bevor du weiter sprichst“, bat Hariko seinen Freund.
„Deribal. Dort wohnen Shorny und Sonmo.“
„Diese Sorge habe ich befürchtet, und es ist gut, dass die Beiden sich hier in Sicherheit befinden. Können wir einen Botenvogel nach Deribal schicken?“
Brakan musste mit einem Kopfschütteln die Frage seines Freundes verneinen. Hariko überlegte.
„Phönixe! Die Beschützer ihrer Eltern. Ich meine, sie könnten doch …“
„Hariko, das war ein guter Einfall. Das werden wir gleich wissen, zu dieser Zeit sind sie im großen Saal.“
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„Was gibt es hier anderes als sonst“, flüsterte Shorny, ihre Blicke suchten jeden Winkel im großen Saal ab. Sonmo antwortete nicht, staunend stand er vor einem Gestänge, auf dem ein roter Vogel mit langen Schwanzfedern saß und ihn mit glühenden gelben Augen betrachtete. Sonmo sah nach seiner Schwester.
„Hast du den schon gesehen?“
„Ich kenne hier alles“, bemerkte Shorny.
„Dann kannst du mir sagen, was das für ein Vogel ist?“
Shorny hatte sich hinter ihren Bruder geschlichen und sah ihm über seine Schultern.
„Den kenne ich nicht. Seit wann steht er hier?“
„Er steht schon sehr lange hier. Er ist älter als ihr oder eure Eltern. Ein Phönix.“
„Hast du uns einen Schreck eingejagt Meister Brakan. Wir haben uns zu sehr auf die Vögel konzentriert.“ Â
„Ein Phönix? Der kann doch nur von Magistern gesehen werden“, Shorny stand hilflos im Raum, das Sonmo nicht neugierig war störte sie.
„Schwesterchen, du bist seit gestern Magisterin“, belehrte sie Sonmo.
Sonmo stellte sich neben Shorny, die nur etwas fauchte und ihre Lippen zusammen presste.
Entschuldige, ich habe mich – ich wollte sagen – uns noch nicht vorgestellt. Ich bin Sonmo und das ist meine kleine Schwester…“
„Danke Sonnie. Ich bin Shorny“, neugierig wartete sie auf den Namen des Fremden.
„Ohne Zweifel Brakan, ohne Zweifel. Den größten Anteil an ihrem Aussehen haben sie von ihrer Großmutter, wie hieß sie doch?“
„Mixendra“, flüsterte Shorny vorlaut.
„Ich bin Hariko.“
Shorny kniff die Augen zusammen und stieß ihren Bruder an, eine Frage stellte sie nicht.
„Hariko, der Reiter?“, Sonmo fragte zurückhaltend.
„Wie ich es an euren Gesichtern sehe, wurde in eurer Familie viel über den geheimen Palast und seine Bewohner gesprochen.“
„Da siehst du es Hariko, habe ich dir zu viel versprochen?“
„Nein Brakan.“
... Fortsetzung folgt .....