Sonstiges
Selbstbetrug

Das Chemiebuch auf den Knien saß sie in ihrem rosa Pyjama auf ihrer rosa Decke in ihrem rosa Zimmer und wunderte sich darüber, dass ihr Körper immernoch funktionierte. Sie atmete ein, spürte den kühlen Luftstrom durch ihren Rachen in die Lunge strömen und staunte.

Sie spürte -und fühlte doch nicht.

Wäre der Augenblick nicht so wunderlich gewesen, sie hätte schreien mögen. Da er allerdings wunderlich war tat sie es nicht.

Vielleicht hätte es ihr gut getan, doch es galt den Schein zu wahren. Der war das Wichtigste. Niemand sollte etwas mitbekommen, niemand wissen wie es um sie stand, niemand belästigt werden. Ihre Brust schnürte sich mit einem Mal zu und ihre Augen füllten sich für eine Sekunde mit Tränen, doch dann atmete sie wieder aus und das beklemmende Gefühl war verschwunden. Dafür war die erdrückende Dumpfheit zurück. Als wäre sie betrunken und doch bei vollem Verstand, als wäre sie betäubt, ruhig gestellt.

Ein unschönes Lächeln durchzog ihr Gesicht als sie daran dachte wie gut sie sich machte. Niemand merkte etwas. Alles war gut, alles in Ordnung.

Früher hatte sie sich zu helfen gewusst. Immer öfter spielte sie mit dem Gedanken die Dummheiten, die ihr damals geholfen hatten zu wiederholen, doch sie ließ es sein.

Wie ein trockener Alkoholiker.

Nie geheilt.

Nicht, dass sie jemals irgendwelche Drogen angerührt hätte, nicht einmal geraucht hatte sie. Doch sie hatte Wege gefunden sich selbst zu fühlen, sich selbst zu zeigen wie sie sich fühlte. Nicht gut begann nicht einmal ansatzweise an der bitteren Realität zu kratzen. Wenn sie könnte, würde sie alles anders machen, selbst anders werden, besser werden. Jemand werden, der es wert war...nein, die Worte wagte sie nicht mal in Gedanken auszusprechen. Sie hatte keine Zeit für einen Zusammenbruch. Keine Zeit für Selbstmitleid. Keine Zeit zu verzweifeln.

Und dabei zerbrach sie nichteinmal, nein, sie löste sich auf. Verschwand, verblasste. Vermutlich gut so, dachte sie und legte den Kopf schief.

"Kommst du?" die Stimme, die sie rief klang freundlich.

"Ich bin gleich fertig!" rief sie ebenso freundlich und machte sich daran aufzustehen und sich geschwind umzuziehen.