Biografien & Erinnerungen
Das Land hinter der Mauer

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"Das Land hinter der Mauer"
Veröffentlicht am 10. April 2010, 10 Seiten
Kategorie Biografien & Erinnerungen
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Über den Autor:

Ich bin am Niederrhein geboren, aufgewachsen und lebe heute noch dort - wenn auch nicht in der selben Stadt. Das Wichtigste in meinem Leben - auch wenn es mancher nicht glauben mag - ist meine Familie. In meinen Werken ist Zusammenhalt und Konflikte zwischen Familienmitgliedern immer wieder ein Thema. Meine engste Familie, jene mit denen ich zusammenlebe, besteht aktuell aus meiner Frau Veronika, unserem Hund Xanadu, unsere Katze Trixi, sowie ...
Das Land hinter der Mauer

Das Land hinter der Mauer

Beschreibung

In meiner Kindheit besaßen wir ein Land. Es war uns von den Erwachsenen verboten, wurde von ihnen streng bewacht und stand uns Kindern doch jederzeit offen. Cover: © DX@fotolia.de

Das Land hinter der Mauer

In meiner Kindheit besaßen wir ein Land. Es war uns von den Erwachsenen verboten, wurde von ihnen streng bewacht und stand uns Kindern doch jederzeit offen.
Die Grenzen des Landes bestanden aus Garagenreihen, Mietshäusern, Zäunen und Mauern. Letztere waren unsere Eingänge.
Es brauchte wenigstens drei Kinder und wenn möglich ein Fahrrad, um sie zu überwinden. Einer hielt das Rad, meistens das leichteste Kind, die anderen beiden kletterten auf die Mauer. Wir waren in Gefahr. Eltern und Nachbarn konnten jederzeit aus einem Fenster oder von einem Balkon blicken und uns entdecken. Wir mussten rasch handeln und selbst immer die Häuserfronten im Auge behalten. Wenn zwei von uns auf der Mauer saßen, schaffte das Dritte eilig das Fahrrad fort. Meistens war ich dieses Kind, denn ich war die Leichteste. Wenn ich zurückkam, streckte ich meine Hände nach oben und wurde hinauf gezogen.
Hinter der Mauer erwartete uns das Abenteuerland. Die Überreste eines ausgebrannten Einfamilienhauses standen nahe. Das Dach hatte ein riesiges Loch. Wir konnten die Balken des Dachstuhls sehen, die schwarz waren wie Holzkohle.
Von der Mauer sprangen wir auf das Dach und drangen durch das Loch ein. Im Innern standen verrußte Möbel. Der metallene Federkern einer Matratze lehnte träge in einer Ecke. Ein Stuhl balancierte wacklig auf drei Beinen. Ein Schreibtisch, dessen Holz an den Ecken angesengt war, stand mit offenen Schubladen da.
Eine Treppe gab es nicht mehr. Wir mussten durch ein Fenster auf ein Vordach klettern, dort hinunter springen und konnten dann in den unteren Räumen des Hauses umher streunen. Die Ruine warf unser Fort, die Festung, das Räuberversteck oder einfach nur das Sommerhaus. Es war unsere Zentrale, wenn wir als Entdecker unser Land erkundeten. Es stand an der Spitze eines Dreiecks, dass es nur in Gedanken gab. Die anderen beiden Spitzen bildeten zwei weitere Ruinen.
Links stand ein Rohbau, der einmal ein dreistöckiges Mehrfamilienhaus werden sollte. Er bestand aus Wänden, Böden und einem Flachdach, im Innern sogar aus Treppen. Doch es fehlte jede Tür und jedes Glas in den Fensterlöchern. Die Innenwände waren nicht verputzt und die Treppe besaß nicht in allen Etagen ein Geländer. An einigen Stellen fehlten gar die Stufen und lose Stahlseile ragten aus der Wand. Nur die Mutigsten von uns wagten sich dort hinauf.
Von den oberen Fenstern aus hatten wie einen herrlichen Blick über weite Teile des Landes. Es war der Ausguck auf dem Piratenschiff und der Späher der Indianer hatte dort seinen Posten.
Das rechte Bauwerk war einst eine Autowerkstatt. Einige Seitenwände waren eingebrochen und auch das Dach hatte Risse und Löcher. Die alte Werkstatt war unsere Schatzhöhle. In dem Graben, in dem früher Mechaniker standen, fanden wir rostiges Werkzeug. Alte Kellergänge waren unsere Gold- und Silberminen.
Nach Norden gab es hinter den Ruinen nur Geröll und Kies, aus dem vereinzelnd Disteln und Brennnesseln hervor stachen. Wir näherten uns der Nordgrenze nur vorsichtig. Unzählige Fenster verteilten sich über die Rückseite einer Häuserreihe und wir wussten nie, ob ein griesgrämiger Erwachsener hinter dem Glas stand und die Polizei rief, weil jemand das verbotene Land betreten hatte.
An einer Stelle war ein Loch in der Mauer, durch das wir uns zwängen konnten. Wenn wir diesen Weg wählten, lauschten wir stets am Durchgang auf Geräusche. Das Rauschen des Verkehrs hinter den Häusern drang an unsere Ohren. Ab und zu hörten wir Gesprächsfetzen der Passanten. Wir achteten auf die Stimmen aus den Häusern. Manchmal waren sie laut und nahe den Fenstern. Nur wenn wir von dort nichts hörten, krochen wir durch das Loch. Wenn wir uns aufrichteten, standen wir auf einem Kiespfad zwischen zwei Häusern. Zwei riesige Plakate versperrten die Sicht auf die Straße.
Wenn uns der Weg nach Hause über die Mauern versperrt war, weil Eltern und Nachbarn hinter den Fenstern lauerten, wählten wir diesen Weg. Er war ebenso verboten, denn keines von uns Kindern war alt genug, als das wir bis zur Schnellstraße auf der Rückseite des Häuserblocks gehen durften.
Der Spalt zwischen den Plakaten war grad so breit, dass sich ein Kind hindurchquetschen konnte. Kaum dass wir alle auf dem Weg standen, rannten wir um den Block, vorbei an dem Fahrradgeschäft und der Kneipe an der Ecke, bis wir die Trinkhalle erreicht hatten. Bis dort durften wir alle gehen. Wenn die Eltern uns fragten, wo wir gewesen seien, so antworteten wir: „Wir kommen von der Trinkhalle“, uns es war nicht gelogen.
Hinter dem Kiosk, im verbotenen Teil des Häuserblocks, lag die Westgrenze unseres Landes. Sie war noch nie einmal halb so lang, wie die beiden anderen Grenzen und bestand aus einem hüfthohen Holzzaun. Es hätte wohl der leichteste Zugang in unser Land sein können, hätte sich dahinter nicht ein riesiges Brombeermeer ausgebreitet, das in der Höhe selbst die Erwachsenen überragte.
Von unserem Land her schlugen wir mit Stöcken gleich Macheten auf die Brombeerbüsche ein. Unser Dschungel war groß genug, um gleich zwei Höhlen Platz zu bieten. In einer richteten wir Mädchen uns ein, während die Jungen in der anderen hausten. Es waren Robinson-Häuser oder die riesige Burg von Ronja Räubertochter, die in zwei Teile gespalten war. Zwischen dem Dschungel und den Ruinen breitete sich die Grasebene aus. Hier veranstalteten wir Wettrennen und sprangen dabei über tiefe Erdkuhlen.
Hinter den Ruinen in Richtung Ostgrenze ragten ein halbes Dutzend Sandberge in die Höhe. Diese Überbleibsel von den Bauarbeiten war ideal zum Fangenspiel geeignet.
Weiter gingen wir nie. Hinter den Sandbergen begann das, was wir Wüste nannten. Ebener Sand und Kies auf der Höhe des Gemeindehauses. Noch mehr als das heilige Grundstück, das nur von einem hüfthohen Holzzaun von unserem Land getrennt war, hielt uns der Bauzaun neben der Straße ab. An dieser gefürchteten Ostgrenze warte ein großes, gelbes Schild mit den Worten: Betreten Verboten! Eltern haften für ihre Kinder! Der Bürgermeister.

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Über den Autor

Sunnypluesch
Ich bin am Niederrhein geboren, aufgewachsen und lebe heute noch dort - wenn auch nicht in der selben Stadt. Das Wichtigste in meinem Leben - auch wenn es mancher nicht glauben mag - ist meine Familie. In meinen Werken ist Zusammenhalt und Konflikte zwischen Familienmitgliedern immer wieder ein Thema. Meine engste Familie, jene mit denen ich zusammenlebe, besteht aktuell aus meiner Frau Veronika, unserem Hund Xanadu, unsere Katze Trixi, sowie einem Aquarium voller Fische. Für Letzteres ist allerdings meine Frau verantwortlich.

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Sunnypluesch Re: -
Zitat: (Original von Gast am 11.04.2010 - 10:05 Uhr) Nach so vielen Jahren eine tolle Beschreibung. War fassiniert und enttäuscht als der Text zuende war.
Es gefällt mir gut, danke

LG
Mutti


Vielen Dank fürs Lesen und für deinen Kommentar.
Wie schön, dass es dir gefallen hat.
Ich hab dich lieb. *kuss*
Vor langer Zeit - Antworten
Gast Nach so vielen Jahren eine tolle Beschreibung. War fassiniert und enttäuscht als der Text zuende war.
Es gefällt mir gut, danke

LG
Mutti
Vor langer Zeit - Antworten
Sunnypluesch Re: ... -
Zitat: (Original von Homer am 10.04.2010 - 13:01 Uhr) Gut geschrieben

toll

lg
Homer


Danke :-)
Vor langer Zeit - Antworten
Homer ... - Gut geschrieben

toll

lg
Homer
Vor langer Zeit - Antworten
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